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Im Namen alles desjenigen, was heilig ist, Sir, warum steht
Ihr so starr dorthinblickend? |
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Der Sturm. |
Als Mädchen war Ruth Harding eines der sanftesten lieblichsten Geschöpfe des menschlichen Geschlechts. Wenn auch ihren natürlichen freundlichen Neigungen durch die Anhänglichkeit als Weib und Mutter an Mann und Kind neue Antriebe gegeben worden, so erlitt doch ihr eigentlicher Charakter durch die Ehe keine Veränderung. Unterwürfig, uneigennützig und ergeben gegen die, welche sie liebte, wie schon ihre Eltern sie kennen gelernt hatten, hatte sie sich auch nach einer Erfahrung von vielen Jahren beständig gegen Contentius gezeigt. Bei dem äußersten Gleichmuth ihres Charakters und Benehmens schlief doch ihre wachsame Besorgniß für die Wenigen, die den beschränkten Kreis ihres Wirkens und Daseins bildeten, nimmer. Diese wohnte anspruchslos, doch thätig in ihrer liebenden Brust, gleich dem hohen, bewegenden Princip des Lebens. Obgleich Umstände sie an eine ferne, entblößte Grenze versetzt hatten, wo den verschiedenen Beschäftigungen noch nicht Zeit gelassen worden, sich in die gewöhnlichen Abstufungen zu trennen, blieb sie doch 61 unverändert in Gewohnheiten, Gefühlen und Charakter. Der Wohlstand ihres Mannes hatte sie über die Nothwendigkeit, schwere Arbeit zu verrichten, hinausgehoben, und während sie die Gefahren der Wildniß empfunden und keine der Pflichten ihres thätigen Standpunktes vernachlässigt hatte, so war sie doch den meisten der für die weibliche Schönheit so nachtheiligen Wirkungen entgangen, welche so wenig geeignet sind, die besondere Lieblichkeit eines Weibes zu erhöhen. Ungeachtet der Beschwerlichkeiten eines Lebens an der äußersten Landgrenze, verlor sie daher die Weiblichkeit und ihre jugendlichen Reize nicht.
Der Leser mag sich nun die Gefühle einer solchen Frau, während ihr Gatte in der Ausführung eines Geschäfts, wie das erwähnte, begriffen war, und ihr Streben denken, seine fernere Gestalt nicht aus den Augen zu verlieren. Trotz des Einflusses langer Gewohnheiten näherten sich doch selten die kühnsten Waldleute nach dem Einbruche der Nacht den Wäldern ohne ein geheimes Bewußtsein, sie setzten sich bestimmter Gefahr aus. Es war die Stunde, wo bekanntlich die wandernden, hungrigen Bewohner der Wälder am meisten in Bewegung sind, und das Rascheln eines Blattes, oder das Brechen eines dürren Zweiges, unter dem leichten Tritt des kleinsten Thieres, war fähig, Bilder von gefräßigen, feueräugigen Panthern, oder vielleicht von spähenden Zweifüßlern heraufzubeschwören, die, obgleich listiger, wie bekannt, kaum weniger wild und grausam waren. Freilich erfuhren Hunderte das Unruhige solcher Gefühle, die niemals vom Schicksal dazu bestimmt waren, die Wirklichkeit der grausenhaften Bilder an sich selbst zu erfahren. Indeß fehlte es doch auch nicht an Thatsachen, welche hinreichenden Grund zu jenen schweren, vernünftigen Besorgnissen gaben.
62 Geschichten von Kämpfen mit Raubthieren und von Mordthaten durch räuberische, jedes Gesetz verschmähende Indianer, waren die anregenden Sagen der Grenze. Throne hätten umgestürzt und Reiche in dem fernen Europa gewonnen oder verloren werden mögen, und weniger wäre über diese Ereignisse von Denen gesprochen worden, die in jenen Wäldern lebten, als bei einem besondern, auffallenden Vorfall im Walde geschehen wäre, der die Uebung des stattlichen Muthes und scharfen Verstandes eines Schiedsrichters in Anspruch genommen. Solch eine Begebenheit ging von Mund zu Mund, mit dem Eifer eines persönlichen mächtigen Antheils, und ihrer viele waren schon in der Gestalt der Ueberlieferung von Vater auf Kind übergegangen, bis, wie dies auch in weit künstlicheren und mehr verfeinerten Menschenvereinen sich zutrug, zu großen Unwahrscheinlichkeiten sich auf die zweifelvollen Blätter der Geschichte einschlichen, und Uebertreibung mit der Wahrheit sich so eng vermischte, daß sie nie wieder davon auszuscheiden waren.
Unter dem Einfluß dieser Gefühle und vielleicht durch seine nie ihn verlassende Umsicht dazu bewogen, hatte Contentius eine wohlbewährte Büchse über die Schulter geworfen, und als er der Anhöhe hinaufritt, auf welcher sein Vater dem Fremden begegnet war, erhaschte Ruth auf einen Blick seine Gestalt, wie er, auf den Nacken seines Pferdes gebeugt, durch das neblige Licht der nächtlichen Stunde hinglitt, einem jener phantastischen Schreckbilder von herumstreifenden, kühn reitenden Gespenstern vergleichbar, von denen die Mährchen des östlichen Continents so gerne erzählen.
Dann folgten angstvolle Augenblicke, während welcher weder Gesicht noch Gehör auch nur im Geringsten die 63 Vermuthungen des aufmerksamen Weibes unterstützen konnten. Athemlos lauschte sie, und ein- oder zweimal glaubte sie die Hufschläge härter und schneller, als früher, auf die Erde fallen zu hören; aber erst, als Contentius die plötzlich aufsteigende Hügelseite hinaufritt, wurde er wieder einen Augenblick sichtbar, während er schnell in das Dickicht der Wälder hineinjagte.
Obgleich sich Ruth mit den Sorgen der Grenze vertraut gemacht, hatte sie doch vielleicht nie einen Augenblick erfahren, der für sie peinlicher und voll stärkerer Besorgnisse gewesen, als jener, wo die Gestalt ihres Mannes hinter den dunkeln Baumstämmen verschwand. Die Zeit schien ihrer Ungeduld länger als gewöhnlich, und in der Erregung einer fieberischen Unruhe, die keinen bestimmten Grund sich anzugeben wußte, schob sie den einzigen Riegel, der die Pforte verschlossen hielt, zurück, und trat völlig aus den Schranken hinaus. Ihren von Angst besessenen Sinnen schienen die Pallisaden Hindernisse für die Aussicht.
Aber noch immer schlich Minute nach Minute dahin, ohne Erleichterung zu bringen. In dieser Besorgniß fiel ihr mehr als gewöhnlich, die verlassene Lage auf's Herz, in welcher sie und Alle, die ihr theuer waren, sich befanden. Das Gefühl des Weibes behielt die Oberhand und die Seite der Anhöhe, auf der sie stand, verlassend, wandelte sie den Pfad entlang, den ihr Mann eingeschlagen hatte, bis Besorgniß sie unmerklich in schnellere Schritte drängte. Erst dann stand sie still, als sie fast den Mittelpunkt der Lichtung auf der Anhöhe erreicht hatte, wo ihr Vater am Abend Halt gemacht hatte, um das wachsende Gedeihen seiner Besitzungen in Augenschein zu nehmen.
64 Hier wurden ihre Schritte plötzlich festgehalten, denn ihr dünkte, eine Gestalt tauche an jener für sie so wichtigen Stelle, die ihre Augen zu beobachten nie unterlassen hatten, plötzlich aus dem Walde hervor. Es zeigte sich, daß es nichts weiter war, als der vorüberschwindende Schatten einer mehr als gewöhnlich dichten Wolke, die ihr Dunkel auf die Bäume warf, und einen Theil ihrer Umrisse auf den Boden, nahe dem Rande des Waldes, fallen ließ. Gerade in diesem Augenblicke blitzte der Gedanke, daß sie unvorsichtigerweise die Pforte habe offen stehen lassen, in ihrer Seele auf, und mit Gefühlen, die zwischen ihrem Gemahl und ihren Kindern hin und her flutheten, trat sie schnell ihren Rückweg wieder an, um ein Versehen wieder gut zu machen, dem Gewohnheit eben so sehr als Klugheit einen hohen Grad von Strafbarkeit beimaß. Die Augen der Mutter, denn die Gefühle dieses heiligen Standes hatten jetzt mächtig die Oberhand erlangt, richteten sich zur Erde, als sie eifrig ihren Weg längs der unebenen Fläche zurücknahm, und ihr Gemüth war von der Unterlassung ihrer Pflicht, die sie sich streng vorhielt, so erfüllt, daß ihre Blicke Gegenstände in sich aufnahmen, ohne dem Verstande abgeschlossene deutliche Bilder davon zu überliefern.
Aber ungeachtet des einen, alles verdrängenden Gedankens, begegnete Etwas ihrem Auge, welches selbst den nichts bestimmt auffassenden Blick zurückschrecken und jede Nerve ihres Körpers erzittern machte. Es war ein Moment, in welchem ihre Verwirrung den Schreck fast bis zum Wahnsinn steigerte. Nachdenken trat erst wieder ein, als Ruth sich auf mehrere Schritte von der Stelle entfernt hatte, wo dieser aufschreckende Gegenstand, halb ihr unbewußt vor ihrer Seele 65 vorübergegangen. Dann stand sie einen Augenblick, einen einzigen aber schrecklichen Augenblick still, als berathe sie mit sich, was sie jetzt thun sollte. Die mütterliche Liebe siegte, und das Reh ihrer eigenen Wälder setzt kaum mit größerer Flüchtigkeit dahin, als die Mutter der schlafenden, vertheidigungslosen Familie jetzt dem Wohnhause entgegen eilte. Bebend und athemlos erreichte sie die Pforte, die sie mehr unwillkürlich, als einem Vorsatze folgend, schloß und doppelt, ja dreifach verriegelte.
Zum ersten Male nach langen Minuten athmete sie wieder tief und ohne Schmerz. Sie bemühte sich, ihre Gedanken zu sammeln, um über den Weg mit sich zu Rathe zu gehen, den Klugheit und ihre Pflicht gegen Contentius, der noch der Gefahr ausgesetzt war, welcher sie selbst entgangen, ihr vorschrieb. Ihr erster Gedanke war, das eingeführte Signal zu geben, welches bei irgend einem verdächtigen Fall die Arbeiter vom Felde zurückrief und die Schlafenden aufschreckte; aber reiferes Nachdenken sagte ihr, ein solcher Schritt möchte Dem verderblich werden, der in ihrer Liebe der ganzen übrigen Welt das Gleichgewicht hielt. Der Kampf in ihrer Seele endete erst, als sie klar und unzweifelhaft ihren Gemahl erblickte, der an dem nämlichen Punkte, wo er ihn betreten, aus dem Walde hervorkam. Der Rückweg führte unglücklicher Weise gerade an der Stelle vorbei, wo ihr Gemüth von so plötzlichem Schreck erfüllt worden. Sie würde Welten darum gegeben haben, wenn sie gewußt hätte, wie sie ihn, ohne die Warnung andern und schrecklichen Ohren zuzurufen, von einer Gefahr benachrichtigen sollte, von der ihre Phantasie voll war. Die Nacht war ruhig, und obgleich die Entfernung als beträchtlich sich auswies, war sie doch nicht so groß, daß sie alle Erwartung eines Erfolges unmöglich 66 gemacht hätte. Kaum sich bewußt, was sie that, und doch durch eine Art instinctmäßiger Klugheit, die Vorsicht nicht vergessend, welche ein Leben unter beständigen Gefahren allen unseren Bewegungen giebt, machte das arme zitternde Weib den Versuch.
»Mann! Mann!« rief sie, Anfangs in klagenden Tönen, aber dann ihre Stimme durch die Kraft der Aufregung erhebend: »Mann, reite schnell; unsere kleine Ruth liegt im Todeskampf. Um ihr und Dein Leben willen reite so schnell es Dein Pferd vermag; begieb Dich nicht nach den Ställen, sondern komm' in aller Hast nach der Pforte, sie wird für Dich offen sein.«
Das war freilich ein schrecklicher Zuruf für die Ohren eines Vaters, und sicher, wäre es Ruth's schwachen Kräften gelungen, die Worte so weit hörbar zu machen, als sie gewünscht hatte, sie würden die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht haben. Aber vergebens rief sie. Ihre schwachen Töne, wenn auch auf die höchste Stufe durch die tödtliche Angst hinaufgesteigert, konnten ihren Weg über so weiten Zwischenraum nicht durchsetzen. Und dennoch hatte sie Grund zu glauben, daß sie nicht gänzlich verloren waren; denn einmal hielt ihr Mann inne, und schien zu lauschen, und dann beschleunigte er wieder den Schritt seines Rosses; allein diesen Beweisen, daß er etwas vernommen habe, folgten keine weiteren Zeichen, daß er den Warnungsruf auch begriffen.
Contentius war jetzt auf dem Hügel selbst angelangt. Wenn Ruth überhaupt während seines Herankommens athmete, so geschah dies unmerklicher, als das leiseste Athemholen eines schlafenden Kindes. Aber als sie ihn in vertrauender Sicherheit auf dem Pfad an der Seite längs der 67 Wohnung hintraben sah, durchbrach ihre Ungeduld alle Schranken, und die Pforte aufreißend, wiederholte sie ihren Ruf mit einer Stimme, die sich jetzt nicht mehr als zu schwach erwies. Das Stampfen des unbeschlagenen Pferdehufs ward wieder schneller und im nächsten Augenblick sprengte ihr Gemahl unversehrt an ihre Seite.
»Tritt ein,« rief die fast schwindlichte Frau, indem sie den Zügel faßte, und das Pferd in die Pallisaden führte. »Tritt ein, Mann, bei Allem, was Dir theuer, tritt ein, und danke dem Herrn!«
»Was bedeutet dieser Schrecken, Ruth,« fragte Contentius, mit all' der üblen Laune vielleicht, die er ein so liebliches Wesen wegen einer für ihn gezeigten Schwäche empfinden lassen konnte; »ist Dein Vertrauen auf Den, dessen Auge sich nie schließt, und der mit gleicher Liebe für das Leben des Menschen und des fallenden Sperlings väterlich wacht, ist dies Vertrauen gänzlich verloren?«
Ruth war für diese Worte taub. Mit emsigen Händen zog sie die Schranken zu, ließ die Stangen fallen und drehte einen Schlüssel um, der ein dreifach gesichertes Schloß zwang, seine Pflicht zu thun. Erst alsdann fühlte sie sich selbst sicher und in der Lage, für die Rettung dessen, für den sie eben noch in der äußersten Seelenangst gewacht hatte, ihren Dank darzubringen.
»Warum diese Sorge? Hast Du vergessen, daß das Pferd so fern von seiner Krippe und seiner Raufe hungern muß?«
»Besser, daß es vor Hunger umkommt, als daß Dir ein Haar gekrümmt werde.«
»Ja, aber, Ruth, Du bedenkst nicht, daß das Pferd der 68 Liebling meines Vaters ist, der es übel aufnehmen wird, wenn es eine Nacht in den Pallisaden zubringt.«
»Mann, Du irrst; es ist Einer in den Feldern!«
»Gibt es einen Ort, wo Einer nicht ist?«
»Aber ich habe ein Wesen von menschlicher Abkunft gesehen, ein Wesen, das nichts mit Dir oder den Deinigen zu schaffen hat, und das einen Eingriff in unsern Frieden sowohl als in unsere natürliche Rechte thut, indem es sich da aufhält, wo ich es habe spähen sehen.«
»Geh, geh, Du bist nicht gewohnt, so spät noch fern von Deinem Kissen zu sein, meine arme Ruth; der Schlaf hat Dich überfallen, während Du auf Deinem Posten standest. Eine Wolke hat ihren Schatten auf die Felder geworfen oder vielleicht hat auch wirklich das Treibjagen die Thiere nicht so weit von der Lichtung weggescheucht, als wir dachten. Komm, da Du einmal bei mir bleiben willst, und lege die Hand an den Zügel des Pferdes, während ich ihm seine Last abnehme.«
Da Contentius ganz ruhig sich an das Geschäft machte, das er erwähnt hatte, so wurden die Gedanken seines Weibes für einige Augenblicke von ihren andern Beunruhigungsquellen durch den Gegenstand abgelenkt, welcher hinten auf dem Pferde lag, und der bis jetzt ihrer Aufmerksamkeit gänzlich entgangen war.
»Hier ist wirklich das Thier, das heute von unserer Heerde vermißt wurde!« rief sie, als der Leichnam eines Schafes schwer auf den Boden fiel.
»Ja, und mit außerordentlicher Kunst getödtet, vielleicht selbst zu unserm Gebrauch ganz gut zugerichtet. Schöpsenfleisch wird bei unserm Erntefest nicht fehlen, und das 69 eingepferchte Wesen, dessen Tage schon gezählt waren, mag nun bis zum nächsten Jahre leben.«
»Und wo fandest Du das geschlachtete Thier?«
»An dem Ast eines grünenden Ahornbaumes. Eben Dudley mit all' seinem Geschick im Schlachten, und bei all' seinem Paradiren mit der Vortrefflichkeit seines Fleisches, hätte kein Thier mit größerer Kenntniß an den Ast eines jungen Baumes aufhängen können. Du siehst, nur für eine einzige Mahlzeit fehlt an dem Körper und auch seine Wolle ist unverletzt.«
»Das ist nicht das Werk eines Indianers aus dem Stamme der Pequods!« rief Ruth, erstaunt über ihre eigene Bemerkung; »die rothen Menschen verüben ihr Unheil mit weniger Umsicht.«
»Auch hat der Zahn eines Wolfes die Adern des armen Straffhorns nicht geöffnet. Hier sieht man Kenntniß im Schlachten, so wie auch Klugheit im Verzehren der Nahrung. Die Hand, die so sparsam schnitt, beabsichtigte einen zweiten Besuch.«
»Und unser Vater hieß Dich, das Thier da suchen, wo Du es wirklich gefunden! Mann, ich fürchte, ein schweres Gericht wird zur Strafe der Sünden der Eltern über die Kinder hereinbrechen.«
»Die Kleinen schlummern ruhig und sanft, bis jetzt also ist uns noch nichts Arges widerfahren. Ich will, ehe ich schlafen gehe, die Halfter von dem eingethanen Pferde nehmen und Straffhorn soll uns bei dem Erntefeste dienen. Wir mögen durch diesen bösen Zufall weniger schmackhaftes Fleisch bekommen, aber die Zahl Deiner Heerde wird nichtsdestoweniger unverändert bleiben.«
70 »Und wo ist nun derjenige, der sich zum Gebet mit uns vereinigt, und unser Brod gegessen hat; er, der so lange im Geheimen mit unserm Vater sich berieth, und der nun wie eine Erscheinung aus unserer Mitte verschwunden ist?«
»Das ist in der That eine nicht so leicht zu beantwortende Frage;« erwiderte Contentius, der bis jetzt ein fröhliches Aeußere bewahrt hatte, um, was er gerne für einen grundlosen Schrecken in der Brust seiner Ehefrau halten wollte, zu besänftigen, der aber jetzt durch diese Frage veranlaßt wurde, sein Haupt zu senken, gleich Jemand, der in seinen Gedanken einen oder den andern Grund aufzufinden sucht. »Es liegt nichts daran, Ruth Heathcote; das Ordnen dieser Angelegenheit ist in der Hand eines Mannes von so vielen Jahren und großer Erfahrung; sollte auch seine bejahrte Weisheit nicht ausreichen, so wissen wir ja, daß Einer, noch weiser als er, uns in seiner Obhut hat! Ich will das Thier wieder an seine Raufe zurückbringen, und wenn wir dann zusammen Gnade von denjenigen Augen erfleht haben, die nie schlafen, wollen wir uns voll Vertrauen zur Ruhe begeben.«
»Mann, Du sollst nicht nochmals in dieser Nacht die Pallisaden verlassen,« sagte Ruth, und hielt die Hand fest, die schon einen Riegel zurückgezogen, noch ehe sie selbst gesprochen hatte; »ich habe eine Ahnung von Unglück.«
»Ich wünschte, der Fremde hätte irgend einen andern Zufluchtsort gefunden, wo er seine kurze Ruhezeit hingebracht; daß er sich solche Freiheit mit meiner Heerde herausgenommen, daß er sie mit einigen Unkosten für uns seinem Hunger hat dienen lassen, während auf ein einziges Wort man ihn zu dem Besten, was der Eigenthümer von Wish-Ton-Wish aufbieten kann, mit Willkommen würde eingeladen haben, das 71 sind Wahrheiten, die nicht geleugnet werden können. Doch ist er ein Sterblicher, wie sein guter Appetit hinlänglich bewiesen hat, wenn auch unser Glaube an die Vorsehung so sehr wanken sollte, daß wir Zweifel darüber hegten, sie werde nicht verhindern, daß Wesen der Ungerechtigkeit und des Bösen in menschlicher Gestalt und in unseren Bestandtheilen herumwanderten. – Ich sage Dir, Ruth, das Pferd wird morgen schon wieder zu Dienst und Arbeit nöthig sein, und unser Vater es uns schlecht Dank wissen, wenn wir es hier lassen wollten, um sich ein Bett auf der kalten Hügelfirste zu bereiten. Geh zur Ruh, zum Gebet, Du Kleinmüthige; ich werde die Pforte mit aller Sorgfalt verschließen. Fürchte nichts, der Fremde hat menschliche Bedürfnisse, und sein Bestreben, übel zu thun, muß nothwendig durch menschliche Macht beschränkt werden können.«
»Ich fürchte keinen von weißer Abkunft, auch keinen von christlichen Eltern; aber der mörderische Heide ist in unsern Feldern.«
»Du träumst, Ruth!«
»Es ist kein Traum. Ich habe den leuchtenden Augapfel eines Wilden gesehen. Der Schlaf konnte mich nicht leicht überfallen, als ich auf einem Posten, wie dieser, mich befand. Ich gedachte, wie dieser Dein nächtlicher Zug von ganz besonderer, unbekannter Art sei, und daß unser Vater sehr bejahrt wäre und vielleicht seine Sinne geschwächt sein möchten, und wie man einen gehorsamen Sohn nicht so aussetzen dürfe – Du weißt, Heathcote, daß ich die Gefahren von dem Vater meiner Kinder nicht mit Gleichgültigkeit ansehen konnte, und ich folgte bis zu dem Nußbaumhügel.«
72 »Bis zu dem Nußbaumhügel? Das war nicht vorsichtig von Dir – aber die Pforte?«
»Sie blieb offen; denn hätte man den Schlüssel herumgedreht, wer wäre gleich da gewesen, uns schnell einzulassen, wenn Eile nöthig geworden?« entgegnete Ruth, für einen Augenblick das Gesicht abwendend, um die durch ihr Vergehen, dessen sie sich bewußt war, heraufbeschworene Röthe zu verbergen. »Obgleich ich gegen die Vorsicht fehlte, geschah es doch zu Deiner Sicherheit, Heathcote. Aber auf jenem Hügel, und in der hohlen Schlucht bei einem gefallenen Baum liegt ein Heide verborgen!«
»Ich kam durch den Nußbaumwald auf meinem Wege zu der Fleischbank unsers seltsamen Metzgers; und ich zog auch den Zügel an, um, ganz in der Nähe dieses Orts, das Pferd ausschnaufen zu lassen, als wir mit der Last zurückkehrten. Es kann nicht sein; irgend ein Geschöpf des Waldes hat Dich erschreckt.«
»Ja wohl, ein Geschöpf, gebildet, gestaltet, begabt wie wir selbst, und in allem, nur die Farbe der Haut und den Segen des Glaubens ausgenommen, uns gleich.«
»Das ist eine seltsame Täuschung! Wäre ein Feind in der Nähe, würden dann Leute, so listig wie die, welche Du fürchtest, den Herrn des Hauses, und in der That, ich darf auch sagen, ohne Eitelkeit, würden sie einen Mann ungefährdet durchlassen, von dem doch wohl zu erwarten steht, daß er für sein Eigenthum eben so tapfer ringen wird, als ein Anderer, – würden sie ihn sich entwischen lassen, wenn ein unzeitiger Besuch der Wälder ihn ohne Widerstand ihren Händen überlieferte. Geh, geh, gute Ruth, Du hast vielleicht einen verkohlten Klotz gesehen; – vielleicht haben die Fröste 73 einen Feuerkäfer unberührt gelassen, oder es kann auch sein, daß irgend ein herumstreichender Bär die Süßigkeit Deines kürzlich eingesammelten Honigs ausgeschnuppert.«
Ruth legte nochmals ihre Hand fest auf den Arm ihres Gemahls, der einen zweiten Riegel weggeschoben hatte, und indem sie ihm mit Festigkeit in's Auge sah, antwortete sie feierlich und mit rührender Erhabenheit:
»Glaubst Du, Mann, ein Mutterauge könne trügen?« Mochte es nun sein, daß die Hindeutung auf die zarten Wesen, deren Schicksal von seiner Sorge abhing, oder daß die tief ernste, obgleich milde und zarte Weise seiner Gemahlin einen tiefern und größern Eindruck auf das Gemüth des Contentius machten. Statt, wie er beabsichtigte, die Pforte vollends zu öffnen, verriegelte er sie wohlbedächtig wieder, und stand nachsinnend da.
»Wenn es auch zu weiter nichts dient, als Deine Besorgnisse zu beruhigen, gute Ruth,« sagte er nach einem Nachdenken von einem Augenblick, »so wird schon dadurch ein wenig Vorsicht hinlänglich belohnt sein. Verweile Du also hier, wo man den Hügel übersehen kann, während ich gehe, einige von unsern Leuten zu wecken. Mit dem kräftigen Eben Dudley und dem erfahrenen Ruben Ring zur Seite, werde ich schon meines Vaters Pferd sicher in den Stall einbringen können.«
Ruth nahm mit der größten Zufriedenheit einen Auftrag an, den mit Verstand und Eifer auszuführen, sie alle Fähigkeit hatte. »Eile nach dem Zimmer der Arbeiter, denn ich sehe, daß dort noch Licht brennt,« war die Antwort, die sie auf einen Vorschlag gab, der zum wenigsten die drückende Last ihrer Besorgnisse für den minderte, für 74 dessen Wohl sie eben noch fast bis zum Todeskampf gesteigert worden.
»Es soll schnell geschehen sein; aber stehe nicht so frei da, mein Weib, so offen im Mondschein. Du mußt Dich hierhin an das dichte Gehölz stellen, hier neben die Schranke, wo Dich kaum etwas verletzen könnte, selbst wenn ein Kanonenschuß das Holzwerk zertrümmern sollte.«
Mit dieser Ermahnung, sich vor einer Gefahr zu hüten, die er eben noch zu verachten vorgegeben hatte, machte sich Contentius auf den Weg, seinen Plan auszuführen. Die beiden Arbeiter, die er mit Namen genannt hatte, waren junge Männer, von starkem Bau und vieler Kraft, und wohl gewöhnt an Arbeit nicht nur, sondern auch an die besonderen Entbehrungen und Gefahren des Grenzlebens. Wie der größte Theil der Leute von ihren Jahren und ihrem Stande, waren sie auch erfahren in allen Kniffen indianischer List, und obwohl die Provinz Connecticut, mit andern Ansiedelungen verglichen, nur wenig von dieser Weise mörderischen Krieges gelitten, hatten sie doch beide von eigenen Kriegsthaten und gefährlichen Erfahrungen bei den leichten Arbeiten der langen Winterabende zu erzählen.
Contentius schritt schnellen Schrittes über den Hof hin, denn trotz seines standhaften Unglaubens beschleunigte doch das Bild seines lieblichen Weibes, das auf ihrem Außenposten stand, seine Bewegungen. Der Stoß, den er der Thüre versetzte, als er das Gemach derer erreicht, die er suchte, war eben so laut als plötzlich.
»Wer ruft?« fragte eine tieftönende, feste Stimme von innen beim ersten Schlag der Knöchel an die Planke.
75 »Verlaß Dein Bett schnell und komm heraus mit den zu einem Angriff geeigneten Waffen.«
»Das ist bald geschehen,« antwortete ein kräftiger Waldmann, indem er die Thüre aufriß und vor Contentius in den Gewändern stand, die er den ganzen Tag über getragen. »Wir träumten eben davon, die Nacht werde nicht ohne einen Aufruf zu den Schießlöchern vorübergehen.«
»Hast Du denn Etwas gesehen?«
»Unsere Augen waren eben so wenig als die Anderer geschlossen; wir sahen den hereinkommen, den Niemand fortgehen gesehen hat.«
»Ei was, Bursche, Whittal Ring würde kaum eine weisere Antwort, als diese Deine Entgegnung ist, geben. Mein Weib steht an der Pforte, und es ziemt sich, daß wir gehen, sie abzulösen. Du wirst die Pulverhörner nicht vergessen, da es gar nicht ehrenvoll für uns sein würde, wenn, sollte es für unsere Gewehre etwas zu thun geben, wir ganz und gar Nichts hätten, ihnen eine zweite Ladung zukommen zu lassen.«
Die Arbeiter gehorchten; und da es nur weniger Zeit bedurfte, die zu bewaffnen, welche nie, ohne Waffen und Munition in ihrem Bereich zu haben, schliefen, sah sich Contentius bald von seinen Untergebenen begleitet. Ruth fand man auf ihrem Posten; aber als ihr Gemahl in sie drang, zu erklären, was in seiner Abwesenheit vorgefallen, war sie genöthigt, einzugestehen, daß, obgleich der Mond glänzender und heller hinter den Wolken hervorgekommen, sie doch Nichts gesehen, was ihre Befürchtungen vermehrt hätte.
»Wir wollen denn das Thier in seinen Stall führen und 76 unsere Arbeiten damit beschließen, daß wir einen einzigen für den übrigen Theil der Nacht wachen lassen,« sagte ihr Gatte. »Ruben soll die Pforte besetzen, während Eben und ich für meines Vaters Pferd Sorge tragen, – das Schaf für das Erntefest nicht zu vergessen. Hörst Du, tauber Dudley, wirf das Thier hinten auf das Roß, und folge mir in die Ställe.«
»Hier hat kein gewöhnlicher Arbeiter in mein Amt eingegriffen,« sagte der schlichte Eben, der, obwohl ein gewöhnlicher Feldarbeiter wie die Uebrigen, doch auch, nach einem jetzt noch so sehr allgemein in diesem Lande vorkommenden Gebrauch, geschickt in der Kunst eines Metzgers war. »Ich habe manchen Schöps zu Ende gefördert, aber dies ist das erste Schaf, so viel Erfahrungen ich auch gemacht habe, welches sein Fließ behalten hat, während ein Theil seines Leibes im Topfe war! Liege hier, armer Straffhorn, wenn nach einem so seltsamen Schlachten Du ruhig liegen kannst. Ruben, ich zahlte Dir, als die Sonne aufging, ein spanisches Silberstück für die geringe Schuld aus, die von der guten Ausbesserung her, welche Du meinen Schuhen zukommen ließest, noch zwischen uns lag. Seit dem letzten Jagen auf den Hügeln waren sie nicht mehr zum Besten. Hast Du dieses Stück etwa bei Dir?«
Diese Frage, welche in gedämpftem Tone und nur dem Ohr des dabei Betheiligten hörbar, ausgesprochen wurde, ward bejahend beantwortet.
»Gib es mir, Junge; morgen sollst Du mit Wuchererszins dafür entschädigt werden.«
Ein zweiter Ruf von Contentius, welcher jetzt das mit dem Körper des Schafes beladene Pferd der Pforte herausgeführt hatte, unterbrach die geheime Verhandlung. Eben 77 Dudley, welcher die Münze empfangen hatte, eilte zu folgen. Aber die Entfernung bis zu den Außengebäuden war hinlänglich, ihn in den Stand zu setzen, unentdeckt seinen geheimnißvollen Plan auszuführen. Während sich Contentius bemühte, die Besorgnisse seines Weibes, die immer noch darauf bestand, seine Gefahr zu theilen, durch solche Gründe zu beruhigen, wie er sie für den Augenblick auffinden konnte, legte der leichtgläubige Dudley das dünne Silberstück zwischen seine Zähne und bewirkte durch das Zusammendrücken seiner Kinnbacken, deren wunderbare Stärke er eben dadurch an den Tag legte, daß es allmälig eine zusammengebogene, gerundete Gestalt einnahm. Er ließ dann schlau die zusammengebissene Münze in das Rohr seines Gewehrs fallen, und trug Sorge, sie darin vermittelst eines Pfropfens, den er aus einem linnenen Stück seines Gewandes gemacht hatte, festzuhalten, bis er sie selbst auf ihre entzaubernde Botschaft aussenden würde. Durch dieses furchtbare Hülfsmittel unterstützt und aufrecht erhalten, folgte der abergläubische, aber doch muthige Grenzbewohner seinem Gefährten, während er still ein Liedchen summte, das eben so sehr seine Gleichgültigkeit gegen Gefahren natürlicher Art, als seine Empfindlichkeit gegen Eindrücke weniger irdischen Charakters darthat und verrieth.
Diejenigen, welche in den älteren Bezirken Amerika's wohnen, wo Kunst und Arbeit sich seit vielen Geschlechtern vereinigt haben, die Erde von ihren Ungleichheiten frei zu machen, und die Spuren eines Naturzustandes zu entfernen, diese können sich nur schwer einen Begriff von den tausend Gegenständen machen, die in einer Lichtung sich vorfinden mögen, und die Einbildungskraft dessen in Schrecken setzen, der einmal sich der Furcht und den Besorgnissen überlassen 78 hat, besonders wenn diese Lichtung in dem zweifelhaften Schein eines selbst wolkenlosen Mondes übersehen wird. Noch weniger können die, welche nie die alte Welt verlassen haben, und, da sie nur solche gesehen, sich nur Felder denken können, lieblich und eben wie die Oberfläche des Wassers, – noch weniger können diese sich einen Begriff von der Wirkung machen, welche jene zögernden Ueberreste, die man eben so vielen modernden Monumenten des gefallenen Waldes vergleichen möchte, hervorbrachten, wie sie zu einer solchen Stunde über eine breite Fläche offenen Landes hingestreut waren. So gewöhnt sie auch an diesen Anblick waren, glaubten doch Contentius und seine Begleiter, von ihrer Furcht aufgeregt, in jedem dunkeln, fernen Baumstumpf einen Wilden zu sehen, und sie wandten um keine Ecke in den hohen, dichten Zäunen, ohne einen eifersüchtigen Blick in ihre Schatten zu werfen, um zu spähen, ob nicht ein Feind dahinter ausgestreckt läge.
Noch zeigte sich kein weiterer Beweggrund zu Besorgnissen während der kurzen Zeit, in welcher die beiden Abenteurer damit beschäftigt waren, des Puritaners Pferd in Sicherheit und unter Obdach zu bringen. Dies Geschäft war beendigt, der Körper des geschlachteten Straffhorns war aufgehoben worden, und Ruth hatte schon ihrem Manne angelegen, sich auf den Rückweg zu begeben, als ihre Aufmerksamkeit durch die Stellung und Miene ihres Gefährten in Anspruch genommen ward.
»Der Mann ist abgereist, wie er gekommen ist,« sagte Eben Dudley, der kopfschüttelnd in offenem Zweifel vor einem leeren Pferdebehälter stand; »hier ist kein Thier, ob ich gleich mit diesen meinen eigenen Augen den Halbvernünftigen ein wohl gefülltes Maaß vollen Hafers hierher habe tragen sehen, 79 um das Pferd zu füttern. Er, der uns mit seiner Gegenwart bei'm Nachtessen und Gebet beehrte, ist unserer Gesellschaft müde geworden, noch ehe die Stunde zum Schlafengehen gekommen war.«
»Wirklich, das Pferd fehlt,« sagte Contentius; »der Mann muß nothwendig in ganz außerordentlicher Eile gewesen sein, daß er in den Wald in der tiefsten Nacht ritt, von wo der längste Sommertag selbst ein besseres Pferd, als das er hatte, nicht zu einer andern christlichen Wohnung bringen würde. Er muß Grund zu dieser Hast gehabt haben, aber es ist genug, daß das uns nicht kümmert. Wir wollen uns nun zur Ruhe begeben, vertrauend und sicher, daß Einer über unsern Schlummer wacht, dessen Auge sich nie schließen kann.«
Ob sich gleich der Mensch in jenem Lande nicht der Ruhe überlassen konnte, ohne der Sicherheit von Schloß und Riegel zu vertrauen, so haben wir doch gesehen, daß das Eigenthum nur mit geringer Sorgfalt aufbewahrt wurde. Nachdem daher der Holzriegel vor der Stallthüre lose vorgeschoben war, kehrten die drei von diesem kurzen Auszug mit Schritten zurück, die durch ein Gefühl von Unruhe, das sie in, ihrem verschiedenen Charakter angepaßten, Formen überfallen hatte, in etwas beschleunigt wurden. Aber ein Obdach war ja in der Nähe, und man konnte es schnell erreichen.
»Hast Du Etwas gesehen?« sagte Contentius zu Ruben Ring, der seines scharfen Auges und seiner Klugheit wegen, die eben so merkwürdig, als seines Bruders Schwachsinnigkeit war, zu dem Wachposten erwählt worden; »hast Du etwas während Deiner Wache gesehen?«
»Nichts Ungewöhnliches; und doch gefällt mir jener 80 Holzbüschel, nahe der Schlucht an dem Hügel, nicht. Wenn es nicht so ganz deutlich ein halbverbrannter Klotz wäre, möchte man glauben, es sei Leben darin. Indeß, wenn die Einbildungskraft arbeitet, ist das Gesicht scharf. Ein- oder zweimal glaubte ich, es scheine sich nach dem Bache hinzurollen. Ich bin selbst jetzt nicht gewiß, ob, als ich es zuerst sah, es nicht acht oder zehn Fuß höher an der Hügelwand lag.«
»Es mag vielleicht etwas Lebendiges sein!«
»Auf das Wort eines Waldmanns Auges, es mag wohl sein,« sagte Eben Dudley;»aber wäre diese Stelle von einer Legion böser Geister besessen, man könnte sie von dem Schießloch an der nächsten Ecke zur Ruhe bringen. Stellen Sie sich etwas zur Seite, Madame Heathcote,« denn der Charakter und Reichthum der Eigenthümer des Thals gab Ruth Ansprüche auf diesen Titel der Ehrerbietung unter den Landleuten, »laßt mich mein Gewehr dadurch strecken, – halt, es ist ein ganz vorzüglicher Zauber in meinem Rohre, den gegen ein solches Geschöpf zu verbrauchen sündlich sein würde. Es könnte nichts weiter als ein leckermäuliger Bär sein. Ich will für die Ladung verantwortlich sein, wenn Du mir Deine Muskete leihst, Ruben Ring.«
»Das wird nicht geschehen,« sagte sein Herr. »Jemand, den mein Vater kennt, hat diese Nacht unser Haus betreten und an unserm Tisch gegessen; wenn er auf einem Wege weggegangen ist, der unter denen, welche aus dieser Colonie führen, nur wenig betreten zu werden pflegt, so hat er dennoch kein besonderes Unrecht gethan. Wir könnten irren und wagen zu viel, darum will ich lieber hingehen und untersuchen.«
Es lag in diesem Vorschlag zu viel von jenem Geist des 81 Rechtthuns, welcher alle Bewohner dieser einfachen Gegenden beherrschte, als daß er ernsthafte Einwürfe gefunden hätte. Contentius, von Eben Dudley unterstützt, verließ nochmals das Pförtchen, und ging gerade, obgleich immer nicht ohne die nöthige Behutsamkeit, auf die Gegend zu, wo der verdächtige Gegenstand lag. Eine Beugung in der Hecke brachte ihn zuerst ganz vor das Auge, denn ehe man jenen Punkt erreichte, konnte die Annäherung an den Gegenstand auf eine gewisse Entfernung unter den Schutz des Schattens geschehen, den die Pallisaden warfen; die an dem Punkte, wo der Gegenstand gesehen wurde, plötzlich mit dem Blick des Beobachtenden eine und dieselbe Richtung nahm. Es schien, als wenn die Bewegungen derer, welche sich näherten, beobachtet würden; denn in dem Augenblick, wo sie die Vertheidigungswerke verließen, war der dunkle Gegenstand sicher ganz regungslos; selbst Ruben Ring's scharfes Auge begann zu zweifeln, ob eine Täuschung des Gesichts ihn gar dazu verleitet hätte, einen Holzklotz für ein belebtes Wesen zu halten.
Aber Contentius und sein Gefährte wurden dadurch nicht bewogen, ihren Entschluß zu ändern. Selbst, als sie nur noch fünfzig Fuß von dem Gegenstande entfernt waren, und obgleich der Mond voll und glänzend über das Land hinfiel, machte noch seine eigentliche Beschaffenheit alle Vermuthungen zu Schanden. Der Eine behauptete, es sei die Fläche eines verkohlten Klotzes, von denen noch viele auf den Feldern herumlagen, und der Andere glaubte, es sei ein zusammengekauertes Thier des Waldes. Zweimal erhob Contentius seine Büchse, und eben so oft ließ er sie aus zögerndem Widerwillen, selbst einem Thier, dessen Beschaffenheit er nicht hinlänglich kannte, Uebles zuzufügen, wieder zurückfallen. Es 82 ist mehr als wahrscheinlich, daß sein weniger bedächtiger und nur halb gehorchender Gefährte bald, nachdem er die Pforte verlassen, die Frage entschieden haben würde, hätte nicht der ganz besondere Inhalt seiner Muskete ihn sparsam und vorsichtig in ihrem Gebrauch gemacht.
»Halte Deine Waffe in Bereitschaft,« sagte der Erstere, und zog sein eigenes Jagdmesser aus seiner Scheide. »Wir wollen näher gehen, und zur Gewißheit machen, was zweifelhaft ist.«
Sie thaten dies, und das Gewehr Dudley's wurde dem Gegenstand ihres Mißtrauens roh und hart in die Seite gestoßen, ehe er wieder Leben und Bewegung verrieth. Dann aber freilich, als wenn ferneres Verstecken unnöthig wäre, sprang ein Indianerknabe von etwa fünfzehn Jahren mit aller Ueberlegung auf und stand vor ihnen mit der finstern Würde eines gefangenen Kriegers. Contentius ergriff schnell den Burschen bei'm Arm, und ohne Aufschub eilten Alle in die Vertheidigungswerke zurück, wobei Eben gelegentlich die Schritte des Gefangenen durch eine Mahnung beschleunigte, die er durch den Kolben seiner Muskete hervorbrachte.
»Ich setze mein Leben gegen das des Straffhorns, was gewiß jetzt nicht von großem Werthe ist,« sagte Dudley, als er den letzten Riegel an der Pforte vorstieß, »wir hören heute Nacht nichts weiter von den rothhäutigen Gesellen. Ich weiß noch nie, daß ein Indianer sein Messer geschwungen, wenn ein Kundschafter den Feinden in die Hände gefallen war.«
»Das mag richtig sein,« entgegnete der Andere; »und doch muß die Familie während ihres Schlafes bewacht werden. Wenden wir die Mittel, die uns als Menschen zu Gebote 83 stehen, bis Sonnenaufgang an, so dürfen wir im Uebrigen uns auf die bewachende Gunst der Vorsehung verlassen.«
Contentius war ein Mann von wenig Worten, aber von außerordentlicher Standhaftigkeit und Entschlossenheit in Augenblicken der Noth. Er war vollkommen gewiß, sie würden einen indianischen Jüngling, wie den, den er gefangen, nicht an jener Stelle und unter Umständen gefunden haben, unter denen sie ihn ergriffen, ohne daß ein Plan von einer Wichtigkeit und Ausdehnung dahintersteckte, welche die Gefahren, denen er getrotzt, hinlänglich rechtfertigte. Auch das zarte Alter des jungen Mannes ließ den Glauben nicht zu, daß er allein und ohne alle Begleitung und Gefährten sei. Aber er stimmte schweigend seinem Taglöhner bei, daß die Gefangennehmung des Kundschafters wahrscheinlich einen Aufschub des Angriffs verursachen würde, im Fall man einen beabsichtige. Er hieß daher seine Frau sich in ihr Zimmer zurückziehen, während er Maßregeln traf, die Wohnung im äußersten Fall zu vertheidigen. Ohne irgend unnöthigen Lärm zu machen, was weit weniger Wirkung auf einen etwa außen lauernden Feind hervorgebracht haben würde, als die auffallende, furchterweckende Stille, welche jetzt innerhalb der Vertheidigungswerke herrschte, ließ er noch zwei oder drei andere von den stärksten seiner Untergebenen in die Pallisaden rufen. Nun wurde eine genaue Untersuchung über den Zustand aller verschiedenen Ausgänge des Orts angestellt, die Flinten sorgfältig geprüft; die strengste Wachsamkeit anempfohlen, und regelmäßige Posten in den Schatten der Gebäude an Punkten ausgestellt, wo sie ungesehen und sicher die Felder überblicken konnten.
Contentius nahm darauf seinen Gefangenen, ohne nur 84 den Versuch zu machen, eine Silbe mit ihm zu wechseln, und führte ihn nach dem Blockhause zu. Die Thüre, welche in den unteren Theil dieses Gebäudes führte, blieb stets offen, um im Falle eines plötzlichen Alarms desto schneller eine Zuflucht zu gewähren. Er trat ein, ließ den Jüngling einer Leiter hinauf in das obere Stock steigen, und dann, die Mittel zum Herabkommen wegziehend, drehte er den Schlüssel außen um, und war vollkommen sicher, daß sein Gefangener wohl verwahrt sei.
Trotz aller dieser Sorgen und Anstrengungen dämmerte doch beinahe der Morgen, ehe der vorsichtige Vater und Gatte sein Lager aufsuchte. Seine Besonnenheit aber hatte verhindert, daß die Befürchtungen, welche seine und seines Weibes Augen so lange offen hielten, sich weiter als auf die wenigen Männer ausdehnten, deren Dienst in einem solchen Fall als unumgänglich zur Sicherheit nöthig angesehen wurde. Erst gegen die letzten Wachen der Nacht begannen die Bilder von den Auftritten, welche sie so eben durchlebt, allmälig dunkel und undeutlich zu werden, und dann fielen beide Eheleute in einen tiefen, durch nichts unterbrochenen Schlaf. 85