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Und seltsam ist's; Dein Vater scheint
In Leidenschaft, die mächtig ihn bewegt. |
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Der Sturm. |
Einige wenige Stunden bewirkten eine große Veränderung in den Beschäftigungen der verschiedenen Glieder unserer einfachen, abgeschiedenen Einsiedlerfamilie. Die Kühe hatten ihren abendlichen Tribut geliefert, die Ochsen waren von dem Joch gelöst worden, und befanden sich jetzt ruhig und sicher unter Dach; die Schafe waren in ihren Hürden und geschützt vor den Angriffen des heulenden Wolfs, und man hatte Sorge getragen, zu untersuchen, ob jedes Ding, das Leben besaß, innerhalb des besonderen Schirms eingebracht worden, der für seine Sicherheit und sein Wohlsein zugerichtet war. Doch während lebenden Wesen so viel Vorsicht geschenkt wurde, herrschte die äußerste Gleichgültigkeit in Hinsicht jener Arten von beweglichem Eigenthum, welche wo anders wenigstens mit gleicher argwöhnischer Sorgfalt in Obhut genommen worden wären. Die Hausleinwand der Frau Ruth lag auf der Bleiche, um den Nachtthau einzusaugen, und Pflüge, Eggen, Karren, Sättel und andere ähnliche Gegenstände, 39 ließ man im Freien, was einen Beweis lieferte, daß die Hand des Menschen noch zu zahlreiche, zu drängende Geschäfte zu verrichten habe, um sich auch noch Arbeit zu machen, wo man sie nicht für unumgänglich nothwendig ansah.
Contentius selbst war der Letzte, der die Felder und die Außengebäude verließ. Als er die Pforte in den Pallisaden erreichte, blieb er stehen, um erst noch die um ihn anzurufen, damit er wisse, ob sich noch Jemand außerhalb der hölzernen Schranken befinde. Da die Antwort verneinend ausfiel, trat er ein, zog das kleine aber gewichtige Thor zu, und sicherte es sorgfältig und argwöhnisch mit eigener Hand durch Riegel, Stange und Schloß. Da diese nöthige Vorsichtsmaßregel jeden Abend getroffen wurde, so veranlaßte sie in den häuslichen Verrichtungen keine Unterbrechung. Das zu dieser Stunde gewöhnliche Mahl war bald vorüber, und Unterhaltung nebst jenen leichten Beschäftigungen, welche in den langen Herbst- und Winterabenden in den an der Grenze wohnenden Familien so gewöhnlich sind, folgten als passende Arbeiten, um die Geschäfte eines mühsamen und wohlangewendeten Tages damit zu beschließen.
Trotz der außerordentlichen Einfachheit, wodurch sich die Ansichten und Gebräuche der Colonisten zur damaligen Zeit auszeichneten, und ungeachtet der großen Gleichheit an Stand und Vermögen, welche selbst bis auf diese Stunde in den besondern Klassen von Menschen bemerklich ist, die wir beschreiben, brachte doch Wahl und Neigung einige natürliche Abstufungen in dem gewöhnlichen Benehmen der Glieder von Heathcote's Familie gegen einander hervor. Ein so glänzendes, fröhliches Feuer sprühte auf einem ungeheuren Herde 40 in einer Art von erhöheten Küche empor, daß es Lichter oder Fackeln ganz unnöthig machte. Um dieses saßen sechs oder sieben kräftige, athletische junge Männer herum; von denen einige höchst betriebsam an Ochsenjochen schnitzelten, andere glätteten Stiele zu Aexten oder bildeten Birkenreisig zu unförmlichen aber brauchbaren Besen für das Hauswesen. Eine ernste junge Frau hielt, das Auge nie aufschlagend, ihr Spinnrad in beständiger Bewegung, während ein oder zwei andere weibliche Wesen mit der auszeichnenden und regen Geschäftigkeit sorgsamer Stubenmädchen von Zimmer zu Zimmer eilten, mit den mehr die Familie betreffenden Sorgen für den Haushalt beschäftigt. An dieses größere Gemach stieß unmittelbar ein kleineres, besser eingerichtetes. In diesem flackerte ein nicht so großes, aber eben so einladendes Feuer, der Fußboden war rein gekehrt, während der im äußern Zimmer frisch mit Ufersand bestreut war, Talglichter standen auf einem Tisch von Kirschbaumholz aus dem nahen Wald, die Wände waren mit Täfelwerk von der schwarzen Eiche des Landes versehen und noch einige andere Geräthschaften fanden sich vor, von solch altem Geschmack und mit so sinnreichen und kostbaren Verzierungen, daß man daraus sehen konnte, sie stammten von jenseits des atlantischen Oceans her. Ueber dem Kamingesimse hing das Wappen der Heathcote's und Harding's, das sehr künstlich in zehn Felder eingetheilt war.
Die vornehmsten Personen aus der Familie saßen um den Herd dieses kleineren Gemachs, obgleich auch Einer aus dem andern Zimmer, von mehr als gewöhnlicher Neugier sich unter sie gemischt hatte, der aber den Unterschied in Rang oder vielmehr in Stellung nur durch die außerordentliche 41 Sorgfalt verrieth, mit welcher er die Späne des Stieles, den er glättete, stets wieder von dem reinen eichenen Fußboden auflas.
Bis zu diesem Augenblick hatten während des ganzen Abends die Pflichten der Gastfreundschaft und die religiösen Uebungen jede vertrauliche Unterredung verhindert. Aber die Geschäfte der Hausfrau waren jetzt für diesen Abend beendet, die Mädchen hatten alle sich an ihre Spinnräder begeben, und da das Geräusch einer geschäftigen und unruhigeren häuslichen Emsigkeit jetzt aufhörte, schien das kalte, in sich abgeschlossene Schweigen, welches bis jetzt nur durch weithergeholte und kurze Bemerkungen der Höflichkeit, oder durch heilsame Anspielungen auf den verderbten Prüfungsstand des Menschen unterbrochen worden, zu einer Unteredung von etwas allgemeinerem Charakter einzuladen.
»Ihr betratet meine Waldlichtung auf dem südlicheren Pfade,« begann Marcus Heathcote, indem er sich mit der gebührenden Höflichkeit an seinen Gast wandte; »und nothwendig müßt Ihr Nachrichten aus den Küstenstädten mitbringen. Haben unsere Sachwalter zu Hause in der Sache, die das Wohl dieser Colonie so nahe angeht, irgend Etwas gethan?«
»Ihr möchtet von mir erfahren, ob Der, welcher jetzt auf Englands Thron sitzt, auf die Bittschriften seines Volks in dieser Provinz gehört, und ihnen hat Schutz angedeihen lassen gegen die Mißbräuche, welche so leicht aus seinem eigenen übelberathenen Willen, oder aus der Gewaltthätigkeit und Ungerechtigkeit seiner Nachfolger herfließen könnten?«
»Wir wollen dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und 42 ehrerbietig von Leuten sprechen, welche Gewalt haben. Ich möchte gerne wissen, ob es dem von unseren Leuten abgesandten Geschäftsträger gelungen ist, sich bei den Räthen des Fürsten Gehör zu verschaffen, und das Gewünschte zu erlangen?«
»Er hat noch mehr erreicht,« entgegnete der Fremde mit seltsamer Barschheit; »er hat sogar Gehör bei dem Gesalbten des Herrn selbst sich zu verschaffen gewußt.«
»Dann ist Karl von besserer Sinnesart und strengerer Gerechtigkeit, als das Gerücht ihm zuschreibt. Man erzählte uns, leichte Sitten und unvortheilhafte Gefährten hätten ihn dazu verleitet, mehr an die Eitelkeiten der Welt und weniger an die Bedürfnisse Derjenigen zu denken, über welche zu herrschen er von der Vorsehung berufen ist, eine Sinnesart, die nicht sehr schicklich für Denjenigen wäre, der eine so hohe Stelle einnimmt. Ich freue mich, daß die Vorstellungen des Mannes, den wir geschickt, über bösere Einflüsterungen gesiegt haben, und daß es den Anschein gewinnt, es werden Friede und Gewissensfreiheit die Früchte unseres Versuchs sein. Auf welche Weise hat er für dienlich erachtet, die künftige Regierung dieses Volkes zu ordnen?«
»Ziemlich so, wie es immer geschehen; nach des Volkes eignen Verordnungen. Winthrop ist zurückgekehrt, und ist der Ueberbringer einer königlichen Urkunde, welche alle die lang geforderten und längst geübten Rechte gewährt. Niemand lebt jetzt unter dem brittischen Scepter mit wenigeren lästigen Gewissensbeschränkungen und mit geringeren Anforderungen an ihre staatsrechtlichen Verpflichtungen, als die Bewohner von Connecticut.«
»Es geziemt sich, Dem dafür unseren Dank darzubringen, 43 dem wir ihn am meisten schuldig sind,« sagte der Puritaner, indem er die Hände auf der Brust faltete und die Augen für einen Moment geschlossen hielt, und überhaupt eine Stellung annahm, wie Einer, der sich mit dem unsichtbaren Wesen unterhält. »Ist es bekannt geworden, durch welche Beweismittel der Herr das Herz des Fürsten lenkte, daß er auf unsere Bedürfnisse hörte; oder war es ein offenes, in die Augen fallendes Zeichen seiner Macht?«
»Ich glaube, es muß nothwendig das Letztere gewesen sein,« entgegnete der Andere mit einer noch beißenderen und nachdrucksvolleren Miene. »Das Spielzeug, das die sichtbare Ursache davon war, konnte nicht viel Gewicht bei einem Manne haben, der so stolzen Rang vor den Augen der Menschen einnimmt.«
Bis zu diesem Punkt in der Unterredung hatten Contentius und Ruth mit ihrer Nachkommenschaft und zwei oder drei andern Personen, welche Zuhörer waren, mit dem vor sich hinblickenden Ernst zugelauscht, der die Sitten des Landes auszeichnet. Die Sprache, zusammen mit dem schlechtverhehlten Hohn, der in den Mienen ebensowohl, als in dem Nachdruck des Sprechenden lag, bewirkte jetzt, daß sie wie durch gemeinsamen Antrieb die Augen aufrichteten. Das Wort »Spielzeug« wurde hörbar und mit Ausdruck wiederholt, aber der Blick kalter Ironie war schon wieder aus den Zügen des Fremden verschwunden, und hatte einem finstern, tiefen Ernste Platz gemacht, der seinem harten, sonnverbrannten Gesicht einen Anstrich von Grimm verlieh. Doch zeigte er keine Neigung, den Gegenstand des Gesprächs aufzugeben; sondern, nachdem er seine Zuhörer mit einem Ausdruck angesehen, 44 worin sich Stolz und Argwohn stark mischten, nahm er seine Rede wieder auf.
»Es ist bekannt,« fuhr er fort, »daß der Großvater des Mannes, dem die guten Leute dieser Ansiedelungen den Auftrag gaben, ihre Wünsche vor den Thron Englands zu bringen, in der Gunst jenes Mannes gestanden hat, welcher zuletzt auf Englands Throne saß, und es geht das Gerücht, jener Stuart habe in einem Augenblick königlicher Huld und Herablassung den Finger seines Unterthans mit einem Ringe geschmückt, der auf seltsame Weise gearbeitet gewesen. Es war das Pfand einer Liebe, wie sie ein Herrscher gegen einen Menschen hegen mag.«
»Solche Gaben sind Fackeln für die Freundschaft, sollten aber nicht zu leichtsinnigem, sündlichem Schmuck gebraucht werden,« bemerkte Marcus, während der Andere einhielt, als wünsche er, es möchte nichts von der Bitterkeit seiner Anspielungen verloren gehen.
»Es liegt nichts daran, ob das Spielzeug in den Kästen der Winthrop lag, oder schon lange vor den Augen der Gläubigen in der Bai geglänzt hat, da es sich zuletzt als ein Juwel von Werth erwiesen hat,« fuhr der Fremde fort. »Man sagt im Geheim, dieser Ring sei an den Finger eines Stuart zurückgekehrt, und öffentlich wird ausgerufen, Connecticut habe einen Freibrief!«
Contentius und sein Weib sahen einander mit trauervollem Erstaunen an. Solch' ein Zeichen kindischen Leichtsinns und kindischer Unwürdigkeit in den Beweggründen, bei einem Manne, dem das Amt irdischer Herrschaft anvertraut worden, bekümmerte ihr einfaches, lauteres Gemüth; während der alte Marcus, der noch entschiedenere und höhere Begriffe von 45 geistlicher Vollkommenheit hatte, laut aufseufzte. Der Fremde fand sichtbar Vergnügen an diesen Zeichen ihres Abscheu's gegen eine so grobe und unwürdige Käuflichkeit; jedoch sah er keinen Grund, die auf seine Zuhörer hervorgebrachte Wirkung durch eine fortgesetzte Erzählung noch zu erhöhen. Als sein Wirth sich erhob und mit einer Stimme, die gewohnt war, daß man ihr gehorchte, seine Familie aufrief, sich mit ihm für den rücksichtslosen Beherrscher des Landes ihrer Väter in ein Gebet an Den zu vereinen, welcher allein die Herzen der Fürsten zu lenken vermag, da stand auch er von seinem Sitze auf. Aber selbst bei dieser Handlung der Andacht, hatte der Fremde mehr das Ansehen, als wolle er seinen Wirthen zu gefallen leben, und wünsche und hoffe gar nicht, das zu erlangen, warum er bat.
Das Gebet war kurz, aber innig, voll scharfer, persönlicher Beziehungen. Die Spinnräder in dem Außenzimmer unterbrachen ihr Geschnurr, und eine allgemeine Bewegung bewies, daß Alle dort aufgestanden waren, sich der Andacht zuzugesellen. Einer oder zwei sogar von ihnen, angetrieben durch größere Frömmigkeit, oder höhere Theilnahme, zogen sich näher an die offene Thür zwischen den Zimmern, um besser zu hören. Mit dieser seltsamen, aber bezeichnenden Unterbrechung stockte völlig jener besondere Zweig des Gesprächs, der zu ihr Veranlassung gegeben.
»Ist vielleicht Grund vorhanden, einen Aufstand der Wilden an den Grenzen zu befürchten?« fragte Contentius, als er fand, daß das aufgeregte Gemüth seines Vaters noch nicht hinlänglich beruhigt worden, um zur Untersuchung weltlicher Dinge sich zurückzuwenden; »Jemand, der von den Städten unten vor einigen Monaten Waaren brachte, gab uns durch 46 seine Erzählungen Grund, Bewegungen unter den Rothen zu befürchten.«
Der Gegenstand hatte für den Fremden nicht hinlängliches Interesse, daß er darauf gehört hätte. Er war gegen die Frage taub, oder hielt es für gut, Taubheit dagegen zu affectiren. Seine beiden großen und vom Wetter zerschlagenen, doch immer noch nervigen Hände auf ein Gesicht legend, das durch die Witterung, der er sich ausgesetzt, sehr gebräunt worden, schien er die Gegenstände der Welt von sich auszuschließen, während er innig, und, wie ein leichtes Zittern verrieth, das selbst seinen mächtigen Bau erschüttere, in großer Erregung mit seinen Gedanken verkehrte.
»Wir haben Viele, an denen unsere Herzen festhängen, und für die wir bei den geringsten Zeichen von Unruhe von jener Seite her lebhaft fürchten,« fügte die zärtliche und angstvolle Mutter hinzu, während ihr Auge auf dem aufgerichteten Antlitz zweier kleinen Mädchen leuchtete, die mit ihrer kleinen Näharbeit beschäftigt auf Schemeln zu ihren Füßen saßen. »Aber es freut mich, zu sehen, daß ein Mann, der von jener Seite herkommt, wo man den Sinn der Wilden besser durchschauen muß, nicht gefürchtet hat, unbewaffnet die Reise zu machen.«
Der Wanderer enthüllte langsam seine Züge, und der Blick, den sein Auge über das Gesicht der zuletzt Sprechenden schoß, war nicht ohne einen freundlichen, theilnehmenden Ausdruck. Sogleich jedoch gewann er seine Fassung wieder, stand auf, und begab sich nach dem Ledersack, welcher hinten auf seinem Pferde gelegen hatte und sich jetzt in geringer Entfernung von seinem Sitze befand. Er zog ein paar 47 Reiterpistolen aus zwei in den Seiten wohl angebrachten Taschen hervor, und legte sie vorsichtig auf den Tisch.
»Obgleich wenig geneigt, einen Streit mit einem Wesen zu suchen, das das Ebenbild des Menschen trägt,« sagte er, »habe ich doch nicht die gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln Derjenigen versäumt, welche die Wildniß betreten. Hier sind Waffen, die in fester Hand leicht ein Leben nehmen oder, wenn es Noth thut, erhalten können.«
Der junge Marcus näherte sich mit kindischer Neugier, und während ein Finger das Schloß zu berühren wagte, und ein Blick, der sich etwas Schlimmes bewußt war, sich zu seiner Mutter hinüberstahl, sagte er mit all' der Verachtung in seinem Blicke, die nur die Ausbildung seiner Sitten ihm geben konnte:
»Ein indianischer Pfeil würde doch sicherer zum Ziel gelangen, als ein so kurzer Lauf, wie dieser die Kugel zu schießen verspricht. Als der Exerciermeister aus der Stadt Hartford die wilde Katze auf der Hügellichtung schoß, fuhr die Kugel aus einer fünf Fuß langen Röhre; außerdem möchte auch die kurzsichtige Waffe im Ringen eine unbehülfliche Wehr gegen das scharfgespitzte Messer sein, das bekanntlich der böse Wampanoag mit sich führt.«
»Knabe! Deiner Jahre sind wenige, und die Kühnheit Deiner Rede ist zu verwundern;« fiel ernst der Großvater ein.
Der Fremde zeigte keine Unzufriedenheit über die vertrauensvolle Sprache des Kindes. Er ermuthigte es durch einen Blick, welcher deutlich aussprach, kriegerische Eigenschaften setzten auf keine Weise den Burschen in seiner Gunst herunter, und er bemerkte:
48 »Die Jugend, die an den Kampf zu denken, oder über seine Unfälle nachzuforschen sich nicht scheut, wird zu einem Mannesalter voll Muth und Unabhängigkeit führen. Hunderttausend Burschen, wie dieser da, hätten Winthrop's Juwel unnöthig gemacht und dem Stuart die Schande erspart, einer so eiteln und erbärmlichen Bestechung zu erliegen. Aber Du magst auch sehen, mein Kind, daß, wenn es mit mir und dem bösen Wampanoag zum Kampfe gekommen wäre, dieser einer Klinge begegnet wäre, die nicht weniger scharf als die seine gewesen.«
Während der Fremde noch sprach, löste er zu gleicher Zeit einige Schnüre seiner Jacke auf, und steckte die Hand in die Brust. Diese Bewegung machte es mehr als einem Auge möglich, für einen Augenblick eine Waffe von derselben Art, aber von noch weit geringerer Größe, als die waren, welche er schon vorher so offen gezeigt hatte, zu gewahren. Da er jedoch alsbald die Hand wieder herauszog, und das Gewand wieder mit eigener Sorgfalt zumachte, nahm sich Niemand heraus, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, sondern Alle richteten ihre Blicke auf das lange, scharfe Jagdmesser, das er neben die Pistolen legte, als er die letzten Worte sprach. Marcus wagte die Klinge zu entblößen, aber er wandte sich plötzlich, im Bewußtsein der Unschicklichkeit seiner That, weg, als er fand, daß einige wenige Flocken von der krausen, langen Wolle, die er von der losgemachten Scheide abgestreift, an seinen Fingern hängen geblieben waren.
»Straffhorn ist an einen schärferen Busch, als an einen Dornbusch angestoßen,« rief Whittal Ring, der in der Nähe gewesen war und in der kindischen Bewunderung die geringsten Bewegungen der verschiedenen Personen bewachte. »Ein 49 Feuerstein zum Rücken dieser Klinge, eine Handvoll trockener Blätter und gebrochener Reiser und dann ein solcher Zertheiler, mochten bald den alten Leithammel rösten und braten. Ich weiß, daß die Mähne aller meiner Fohlen fuchsrot ist, und ich zählte ihrer fünf bei Sonnenuntergang, was gerade die Zahl war, die durch das Untergehölz setzte, als ich sie am Morgen von den Pfählen losmachte; aber sechsunddreißig Rücken können nie siebenunddreißig lange Fließe ungeschorener Wolle tragen. Der junge Herr weiß das; denn er ist gelehrt, und kann bis Hundert zählen!«
Die Hinweisung auf das Schicksal des verlornen Schafes war so klar, daß sie keine Mißdeutung der Meinung des einfachen Sprechers zuließ. Die Thiere dieser Art waren für die Bequemlichkeit der Ansiedler von der größten Wichtigkeit, und es fand sich wohl Niemand im Bereich der Rede Whittal Ring's, der ganz und gar unwissend über die Bedeutung seiner Worte gewesen. In der That ließ auch das laute Kichern und die offen höhnende Weise, womit der Bursche die härenen Flocken, die er dem jungen Marcus aus den Händen gehascht, über seinem Kopf in die Höhe hielt, kein Verhehlen der Sache zu, wäre dies auch wünschenswerth gewesen.
»Dieser schwachköpfige Bursche möchte zu verstehen geben, Dein Messer habe seine Schärfe an einem Hammel versucht, der aus unserer Heerde vermißt wird, seit die Thiere am Morgen auf ihren Berghang ausgetrieben,« sagte der Wirth ruhig; obwohl er sogar sein Auge auf den Boden heftete, als er die Antwort auf die Bemerkung erwartete, welche gerade an ihn gerichtet ward, wie dies von einem Manne zu vermuthen war, bei dem der Sinn für Gerechtigkeit und die 50 Liebe zur Wahrheit so unumwunden und uneingeschränkt sich vorfand.
Der Fremde fragte in einem Tone, welcher in Nichts von seiner Tiefe und Festigkeit nachließ: »Ist Hunger ein Verbrechen, daß die, welche so weit von den Wohnungen der Selbstsucht abgelegen sind, ihn mit ihrem Zorne ahnden?«
»Der Fuß des Christen nahte nie den Thoren von Wish-Ton-Wish, um sich weggewiesen zu sehen in Härte und Unbarmherzigkeit; aber was freiwillig gegeben wird, sollte nicht mit Willkür und Leichtsinn genommen werden. Von dem Hügel aus, wo meine Heerde zu weiden pflegt, ist leicht durch manche Oeffnung im Walde dieses Dach zu sehen, und es würde besser gewesen sein, daß der Leib geschmachtet, denn daß eine schwere Sünde auf jenen unsterblichen Geist gefallen, welcher schon zu sehr beladen ist; es müßte denn sein, daß Du weit glücklicher Dich fühltest als die Andern von Adam's gefallenem Geschlecht.«
»Marcus Heathcote,« sagte der Angeschuldigte und zwar in festem, ungetrübten Tone, »sieh Dir diese Waffen, die, wäre ich ein Schuldiger, ich unbehutsam in Deine Gewalt gegeben habe, etwas genauer an. Du wirst mehr daran zu bewundern finden, als einige zurückgebliebene Härchen, die jede Spinnerin weit von sich wegwerfen würde, als zu grob, um nütze zu sein.«
»Es ist lange her, daß ich Vergnügen daran fand, Waffen des Streits zu führen; möge es noch länger bis zur Zeit sein, wo man ihrer in dieser Wohnung des Friedens bedürfen wird. Dies sind Werkzeuge des Todes, denen ähnlich, welche in meiner Jugend die Cavaliere gebrauchten, die in der Armee des ersten Karl und seines kleinmüthigen Vaters 51 dienten. Da fand sich weltlicher Stolz und große Eitelkeit mit vieler und verdammnißwürdiger Gottlosigkeit in den Kriegen, die ich gesehen habe, meine Kinder; und doch hatte der fleischliche Mensch Lust an dem wirren Aufruhr jener gnadenlosen Tage. Komm hierher, Knabe! Du hast oft verlangt, die Weise kennen zu lernen, wie die Reiter in den Kampf zu stürzen pflegen, wenn die weitmäuligen Geschütze und der pfeifende Bleihagel einen Weg gebahnt haben zum Kampf von Roß gegen Roß und Mann gegen Mann. Viele von den Rechtfertigungsgründen für diese Gefechte müssen abhängen von der inneren Gesinnung, und von dem Charakter Dessen, der nach dem Leben trachtet von seinen sündigen Nebenmenschen, aber der gerechte Josua, wie bekannt, stritt mit den Heiden einen ganzen durch Wunder verlängerten Tag; und deswegen, immer demüthig vertrauend, daß unsere Sache die gerechte ist, will ich Deinem jungen Gemüth den Gebrauch einer Waffe enthüllen, die nie vorher gesehen worden in diesen Wäldern.«
»Ich habe manches schwerere Stück als dieses gehandhabt,« sagte der junge Marcus, die Stirn zusammenziehend, eben so sehr der Anstrengung wegen, als angefeuert durch kriegerischen Muth, wie er die gewichtige Waffe in Einer Hand gerade hinhielt: »wir haben Flinten, welche einen Wolf mit größerer Gewißheit zähmen, als jeder andere Lauf, der kleiner ist, als meine eigene Höhe. Sage mir, Großvater, in welcher Weite erreichen die berittenen Krieger, die Du so oft erwähnst, ihr Ziel noch?«
Aber die Gabe der Rede schien den bejahrten Krieger mit einem Male verlassen zu haben. Er hatte in seiner eigenen Rede plötzlich eingehalten, und jetzt, statt die Frage des 52 Knaben zu beantworten, richtete sich sein Auge langsam und mit einem Blick peinlichen Zweifels von der Waffe weg, die er noch vor sich hielt, auf das Antlitz des Fremden hin. Dieser behielt immer seine geradeaufgerichtete Stellung bei, als wünsche er eine genaue, sorgfältige Beschauung seiner Züge. Dieser stumme Auftritt mußte nothwendig die Aufmerksamkeit des Contentius auf sich ziehen. Er erhob sich von seinem Sitz und winkte mit einer stillen, aber jener gebietenden Weise, welche man noch in dem Hausregiment des Volks der Gegend bemerkt, welche sie bewohnten, und hieß alle Gegenwärtigen das Gemach verlassen. Ruth und ihre Töchter, die Tagelöhner, der schwachsinnige Whittal und selbst der zögernde Marcus gingen ihm voraus nach der Thüre zu, die dieser mit ehrerbietiger Sorgfalt verschloß, worauf sich dann der ganze verwunderte Haufe mit den Besitzern des Außenzimmers vermischte, und die eine Stube, die sie verlassen, in dem alleinigen Besitze des bejahrten Häuptlings der Colonie und seines noch unbekannten und geheimnißvollen Gastes ließen.
Viele angstvolle und denen, welche ausgeschlossen waren, unendbar scheinende Minuten gingen vorüber, und die geheime Unterredung hatte immer nicht den Anschein, zu ihrem Schlusse kommen zu wollen. Jene tiefe Ehrfurcht, welche Jahre das väterliche Ansehen und der Charakter des Großvaters ihnen eingeflößt hatte, verhinderte Alle, sich dem Theil des Zimmers zu nähern, der dem Gemache am nächsten war, welches sie verlassen hatten; aber ein Schweigen, still wie das Grab, that alles, was Schweigen thun konnte, um ihren Gemüthern Licht über eine Sache zu geben, die für sie von so allgemeinem Interesse war. Die tiefen, 53 unterdrückten Reden der beiden Sprechenden hörte man oft, wie jeder mit Standhaftigkeit und eigenthümlicher Ansicht auf seinem besondern Satze beharrte, aber kein Wort, das dem Verstande derer außen Aufklärung gegeben hätte, drang je durch die neidischen Wände. Endlich war die Stimme des alten Marcus mehr als gewöhnlich hörbar, und dann erhob sich Contentius mit einem Winke gegen die, welche um ihn waren, sein Beispiel nachzuahmen. Die jungen Leute warfen die Gegenstände ihrer leichten Beschäftigungen bei Seite, die Mädchen verließen die Spinnräder, die seit langen Minuten nicht umgedreht worden, und die ganze Gesellschaft nahm die sittsame, einfache Stellung zum Gebet an.
Zum dritten Male hörte man an jenem Abende die Stimme des Puritaners seinen Geist in seiner Andacht ausströmen, in einer Unterredung mit jenem Wesen, auf welches er alle seine weltlichen Sorgen zu werfen pflegte. Aber obgleich seit langem an alle die besondern Formen gewöhnt, durch welche ihr Vater gewöhnlich seine frommen Bewegungen auszusprechen pflegte, vermochte doch weder Contentius noch sein aufmerksamer Nebenmann die Art des Gefühls zu bestimmen, welche die Oberhand hatte. Zu Zeiten schien es die Sprache des Dankes zu sein, dann nahm es wieder mehr von den flehenden Tönen des Abwendens und Bittens an; kurz, seine Rede war so mannigfaltig und, obgleich ruhig, so vielsinnig, wenn man einen solchen Ausdruck von einem so ernsten Gegenstand gebrauchen darf, daß sie jede Vermuthung gänzlich irre machte und verhinderte.
Alles wurde dann wieder stille. Lange und verdrießliche Minuten gingen abermals vorüber, und doch erging an die harrende Familie kein Aufruf, noch ließ sich sonst ein Ton 54 aus dem innern Gemache vernehmen, welchen der ehrfurchtsvolle Sohn sich erkühnt hätte, als ein Zeichen auszulegen, das ihm ein Recht gegeben, wieder einzutreten. Endlich mischten sich Besorgniß in ihre Vermuthungen und dann besprachen sich Mann und Frau in leisen Worten. Die schlimmen Ahnungen und Zweifel des ersteren äußerten sich bald in noch auffallenderer und unzweideutigerer Weise. Er erhob sich, und man sah ihn jetzt das weite Zimmer durchschreiten, immer mehr der Stelle sich nähernd, welche die beiden Gemächer trennte, augenscheinlich aber immer bereit, sich außer dem Bereich des Hörens zurückzuziehen, sobald er einige Beweise entdecken würde, daß seine Unruhe ohne hinlänglichen Grund sei. Noch ließ sich kein Ton aus dem innern Zimmer vernehmen. Das athemlose Schweigen, welches so eben noch da geherrscht hatte, wo er sich selbst befand, schien plötzlich auf die Stelle versetzt, an welcher er vergebens sich bemühte, den geringsten Beweis vom Dasein eines Menschen zu entdecken. Nochmals kehrte er zu Ruth zurück, und nochmals beriethen sie sich in leisen Tönen über den Schritt, den kindliche Pflicht von ihrer Seite zu verlangen schien.
»Man hat uns nicht geheißen, uns zurückzuziehen,« sagte seine liebliche Gefährtin, »warum nicht zu unserem Vater zurückkehren, jetzt da wir ihm Zeit gelassen, sich über den Gegenstand zu verständigen, der so augenscheinlich sein Gemüth beunruhigte.«
Contentius gab endlich dieser Ansicht nach. Mit jener vorsichtigen Abgemessenheit, die seine Nation auszeichnet, winkte er seiner Familie, ihm zu folgen, damit keine unnöthige Ausscheidung Veranlassung zu Vermuthungen gäbe, oder Verdacht erregte, wozu bei allen dem die Umstände nicht zu berechtigen schienen. Trotz der demüthigen Sitten der damaligen Zeit 55 und des Landes waren doch Neugier, oder vielleicht ein besseres Gefühl so mächtig geworden, daß sie alle Anwesenden schnell zum Gehorsam gegen diesen stillen Befehl antrieben; sie eilten jetzt so schnell auf die offene Thüre zu, als es ein nie sie verlassendes Gefühl für Schicklichkeit im Benehmen nur immer zuließ.
Der alte Marcus Heathcote nahm noch den Stuhl, worauf sie ihn zurückgelassen, mit jenem ruhigen, ungestörten Ernste in Auge und Miene ein, welche man damals für unerläßlich zu einer geziemenden Nüchternheit des Geistes hielt; aber der Fremde war verschwunden. Es befanden sich zwei oder drei Ausgänge an dieser Seite des Gebäudes, durch welche man das Zimmer und selbst das Haus verlassen konnte, ohne daß Die, welche so lange auf Einlaß gewartet, einige Kenntniß davon erhielten. Der erste Eindruck, den dies auf die Familie machte, war die Erwartung der Wiedererscheinung des abwesenden Mannes durch einen dieser äußern Eingänge. Aber Contentius las in dem Ausdrucke von seines Vaters Auge, daß der Augenblick der Vertraulichkeit, wenn er je eintreten sollte, noch nicht gekommen sei, und so bewunderungswürdig und vollkommen war das Hausregiment in dieser Familie, daß die Fragen, welche der Sohn vorzulegen nicht passend erachtete, kein Anderer zu geringerem Range oder jüngerem Alter zu besprechen sich herausnahm. Mit der Person des Fremden war auch jede Spur seines kürzlichen Besuchs gleichfalls verschwunden.
Der junge Marcus vermißte die Waffe, die seine Bewunderung erregte; Whittal spähte vergebens nach dem Jagdmesser, welches das Schicksal des Hammels verrathen hatte. Mrs. Heathcote sah beim ersten schnellen Blick ihres Auges, 56 daß der lederne Mantelsack weg war, welchen sie in das Schlafgemach ihres Gastes hatten bringen lassen wollen, und die kleine sanfte, spiellustige Ruth, die mit dem Namen auch die Züge der Mutter besaß, welche ihre eigene Jugend mehr als gewöhnlich reizend und anziehend gemacht hatte, suchte ohne Erfolg einen massiven silbernen Sporn, von seltsamer, altfränkischer Arbeit, mit dem man sie bis zu dem Augenblick, wo die Familie das Zimmer verlassen mußte, hatte spielen lassen.
Die Nacht war jetzt weit über die Stunde vorgerückt, wo noch Leute von so einfachen Gewohnheiten außer ihrem Bette zu sein pflegten. Der Großvater zündete ein Licht an, und nachdem er den gewöhnlichen Abendsegen Allen um ihn mit einem so ruhigen Aeußern gegeben hatte, als wenn gar nichts vorgefallen, schickte er sich an, sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Und doch schien noch etwas Wichtiges in seinem Innersten zurückgeblieben. Noch auf der Thürschwelle wandte er sich um, und einen Augenblick lang erwarteten alle eine Erklärung über einen Umstand, der nicht wenig von dem Anstrich eines aufregenden und peinlichen Geheimnisses anzunehmen begann. Aber ihre Hoffnungen wurden nur aufgeregt, um getäuscht zu werden.
»Meine Gedanken haben auf den Gang der Zeit nicht geachtet,« sagte er, »welche Stunde der Nacht ist's, mein Sohn?«
Man entgegnete ihm, daß es schon weit über die gewöhnliche Zeit des Schlafengehens hinaus sei.
»Thut nichts; das, was die Vorsehung für unser Wohlsein und unsern Unterhalt uns verliehen hat, darf nicht leichtsinnig und undankbar übersehen werden. Nimm Du, 57 Contentius, das Thier, das ich zu reiten pflege, und verfolge den Pfad, der nach der Berglichtung führt; nimm mit Dir, was dort nahe der ersten Wendung der Straße auf die Uferstädte zuerst Dir in's Auge fallen wird. Wir sind im letzten Quartal des Jahrs getreten, und damit nun unser Fleiß nicht erschlaffen möge, und Alles mit Aufgang der Sonne auf und in Thätigkeit sei, laß die Uebrigen unsers Hauses sich zur Ruhe begeben.«
Contentius sah aus der Weise seines Vaters, daß keine Abweichung von dem strengen Buchstaben dieser Vorschriften rathsam und zulässig sei. Er schloß hinter dem sich zur Ruhe Begebenden die Thüre, und bedeutete dann durch einen stillschweigenden, gebietenden Wink seinen Untergebenen, daß sie sich entfernen möchten. Die Dienstmägde der Ruth führten die Kinder in ihre Zimmer, und in wenigen Augenblicken später blieb Niemand mehr in dem schon so oft erwähnten Außenzimmer als der gehorsame Sohn mit seiner ängstlichen und liebenden Frau.
»Ich will Dich begleiten, lieber Mann,« begann Ruth halb flüsternd, sobald die kleinen häuslichen Geschäfte vorüber waren, das Feuer bewahrt und die Thüren geschlossen worden; »mir gefällt es nicht, daß Du allein zu so später Stunde der Nacht in den Wald gehen sollst.«
»Einer wird doch bei mir sein, der Diejenigen, welche zuversichtlich seinem Schutze vertrauen, nie verläßt. Und was wäre denn auch in einer Wildniß, wie diese zu befürchten, meine Ruth? Die Thiere sind kürzlich von den Hügeln verjagt worden, und die ausgenommen, die unter unserm eigenen Dache wohnen, ist keins zu finden innerhalb einer langen Tagereise.«
58 »Das können wir nicht wissen: Wo ist der Fremde, der in unsere Thüre trat, als die Sonne unterging?«
»Wie Du sagst, das können wir nicht wissen. Mein Vater ist nicht geneigt, seine Lippen in Betracht dieses Reisenden zu öffnen, und sicher brauchen wir nicht jetzt erst die Lehren des Gehorsams und der Entsagung zu lernen.«
»Es würde indeß eine große Beruhigung für den Geist sein, wenigstens den Namen Dessen zu hören, der unser Brod aß, und zu unserer Hausandacht sich vereinigte, wenn er auch unmittelbar darauf uns für immer aus dem Gesicht kommen sollte.«
»Dies möchte vielleicht schon geschehen sein,« entgegnete der weniger neugierige und mehr selbstbeherrschte Gemahl. »Mein Vater will nicht, daß wir darnach forschen.«
»Und doch kann es keine Sünde sein, den Stand eines Mannes zu erfahren, dessen Geschick und Schritte weder unsern Neid, noch Uneinigkeit unter uns erregen können. Ich wünschte, wir wären zurückgeblieben, um uns inniger im Gebet mit ihm zu vereinen: es geziemte sich nicht, einen Gast zu verlassen, für den, wie es schien, eine ganz besondere Fürbitte so nöthig war.«
»Im Geiste beteten wir mit, wenn auch unsere Ohren für den eigentlichen Gegenstand seiner Bedürfnisse verschlossen waren. Aber es wird nöthig sein, daß ich zugleich mit den Leuten am folgenden Morgen wieder aus bin, und bis zu der Krümmung des Pfades nach den Küstenstädten ist's eine gute Meile. Komme mit bis zur Pforte und nimm die Pallisadenschranken in Obhut; ich werde Dich nicht lange auf Deinem Posten lassen.«
Contentius und sein Weib verließen jetzt die Wohnung 59 durch die einzige Thüre, die unverriegelt geblieben. Von einem Mond beleuchtet, der voll, wiewohl umwölkt war, schritten sie durch einen Thorweg zwischen zwei der Außengebäuden und stiegen zu den Pallisaden hinab. Die Riegel und Stangen der kleinen Pforte wurden weggenommen, und in wenigen Minuten saß der Erstere auf dem Pferde seines Vaters und jagte eifrig den Pfad entlang, der in den Theil des Waldes führte, den aufzusuchen er beauftragt worden.
Während er auf diese Weise den Befehlen gehorsam, denen er nie zu willfahren zögerte, forteilte, zog sich sein getreues Weib innerhalb des Schutzes der hölzernen Vertheidigungen zurück. Mehr aus Nachgiebigkeit gegen die Vorsicht, die zur Gewohnheit geworden, als aus einer andern Ursache zu Verdacht, zog sie den einzigen Riegel vor, und blieb an der Pforte, ängstlich des Ausgangs einer Unternehmung harrend, die eben so unerklärlich, als außerordentlich war. 60