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Fünftes Kapitel.

Austern, schöne Austern!
So weiß wie Schnee.
Die Austern wachsen auf Rockaway's Höh'!
New-Yorker Ausrufer.

Es stand einige Zeit an, bis Jason's beleidigte Würde und sein Verdruß über die Täuschung ihm gestatteten, über das Mißverständniß zu lächeln; und wir waren eine ziemliche Strecke weit gegen Old-Slip zu gewandert, wo ich Dirck treffen sollte, ehe der Pädagog auch nur den Mund öffnete. Und dann war die einzige Aeußerung, die er über den weißen Wein that, die, daß er es einen »verdammten holländischen Betrug« nannte; denn Jason hatte unbedingt darauf gerechnet, jenes eiqenthümliche Getränke seiner Kaste zu bekommen, das unter dem Namen des »Bittern« bekannt ist. Was er mit holländischem Betrug sagen wollte, weiß ich nicht; wenn er nicht anders glaubte, Buttermilch sey etwas eigenthümlich Holländisches, und diese Buttermilch eine Täuschung.

Dirck erwartete mich bei Old-Slip; und auf meine Erkundigung erfuhr ich, daß er seinen Trunk weißen Wein ebenso wie ich zu sich genommen hatte, und sofort zu jeder Wanderung bereit war. Wir wanderten nun mit einander die Werften entlang, und bewunderten die verschiednen Schiffe, welche dort lagen. Gegen neun Uhr gingen wir alle Drei Wall-Street hinauf, wo auf den Stufen der Häuser schon ein nicht geringer Theil der Bewohner saß, an dem Anblick der Neger sich ergötzend, wie sie mit glücklich glänzenden Gesichtern die Häuser verließen, um nach dem »Pinkster-Feld« zu eilen. Unser Zug durch die Straße erregte nicht geringe Aufmerksamkeit; denn da wir alle Drei Fremde waren, war nicht zu erwarten, daß wir so in einem Haufen beisammen erblickt werden könnten, ohne Bemerkungen hervorzurufen. So Etwas wäre kaum in London selbst zu erwarten gewesen.

Nachdem wir Jason City-Hall, Trinity-Church und City-Taverne gezeigt hatten, gingen wir zur Stadt hinaus und schlugen die Richtung ein nach einer großen Heide, welche von den Offizieren des Königs lange als Paradeplatz benützt worden war, und seither der Park genannt worden ist, obwohl schwer zu sagen wäre, warum? da der Umfang kaum der eines kleinen Geheges ist, und gewiß niemals wildere Geschöpfe darin gehalten und gesehen wurden, als die Knaben der Stadt. Ich vermuthe, es wird dereinst noch ein Park werden, obgleich der Platz für jetzt noch wenig hat, was mit meinen Vorstellungen von einem solchen übereinstimmt. Auf dieser Heide war der Pinkster-Platz, jetzt ganz angefüllt mit Menschen und voll von Leben.

Eine Pinkster-Lustbarkeit hatte nichts Neues weder für mich noch für Dirck, während Jason den ganzen Vorgang mit Staunen angaffte. Er war nur siebzig Meilen von diesem Orte entfernt geboren, hatte aber zuvor nicht den mindesten Begriff von einem solchen Fest- und Feiertag wie Pinkster. Es gibt, glaube ich, wenig Schwarze in Connektikut, und diese sind in der puritanischen Mühle so zermalmt und zerrieben, daß sie weder Fisch, noch Fleisch, noch Häring sind, wie wir von etwas ganz Abnormem zu sagen pflegen. Niemand hat in Neu-England von einem Fest gehört, das nicht in unmittelbarer Beziehung zu den Heiligen oder zur Politik stünde.

Jason war Anfangs wie betäubt von dem Getöse, dem Tanzen, der Musik und den Spielen, welche da im Gange waren. Es waren jetzt neun Zehntheile von den Schwarzen der Stadt, ja von dem ganzen Lande auf dreißig bis vierzig Meilen im Umkreise, zu Tausenden auf den Feldern versammelt, Schellentrommeln schlagend, afrikanische Lieder singend, trinkend, was das Aergste war, lachend in einer Weise, daß ihr Herz an die Rippen zu rasseln schien. Alles hatte den Anstrich von guter Laune, obgleich es gute Laune in den derbsten und rohesten Gestalten war. Alle Arten Spiele waren aufgeboten, während auch das Trinken keineswegs vernachläßigt wurde. Dennoch war kein Mensch betrunken. Ein betrunkener Neger ist in der That etwas Ungewöhnliches. Die Züge, welche eine Pinkster-Lustbarkeit von den gewöhnlichen Scenen auf Jahrmärkten und bei ähnlichen Gelegenheiten unterscheiden, sind jedoch von afrikanischem Ursprung. Es ist wahr, es waren schon damals nicht viele in Afrika geborene Schwarze unter uns, und jetzt sind deren noch weniger; aber die Traditionen und Gebräuche ihrer ursprünglichen Heimath hatten sich so weit bei ihnen erhalten, daß dadurch ein auffallender Unterschied zwischen diesem Feste und einem von europäischem Ursprung bewirkt wurde. Unter Anderem machten Einige Musik dadurch, daß sie auf Felle schlugen, welche über die Enden hohler Scheiter gespannt waren, während Andere dazu tanzten in einer Weise, die von ihrem unendlichen Entzücken zeugte. Dieß namentlich soll eine Sitte ihrer afrikanischen Eltern gewesen seyn.

Hunderte von Weißen wandelten als vergnügte Zuschauer durch die Felder. Unter diesen waren sehr viele Kinder von den bessern Klassen, welche gekommen waren, um der Kurzweil derjenigen zuzusehen, welche ihnen bei ihren gewöhnlichen Unterhaltungen Gesellschaft leisteten. Manche kohlschwarze Wärterin sah ich an diesem Tage, welche ihren jungen Master, oder ihre junge Mistreß, oder Beide zugleich, durch die verschiedenen Gruppen geleitete, von Allen den Respekt heischend und empfangend, welchen Jedes von dieser Klasse der andern zu zollen gewohnt war.

Sehr viele junge Fräulein im Alter zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren befanden sich auch auf dem Felde, theils von männlichen Begleitern eskortirt, theils, was ebenso gewiß ihnen von allen Seiten Aufmerksamkeit und Artigkeit sicherte, unter der Obhut alter Wärterinnen, welche eben der Raçe angehörten, von welcher das Fest gefeiert wurde. Wir selbst waren zwei Stunden auf dem Feld gewesen, und selbst Jason geruhte nachgerade belustigt zu werden, als ich unversehens und unbewußt von meinen Begleitern getrennt wurde und allein die Gruppen durchwanderte, wobei ich auf eine Gesellschaft junger Mädchen stieß, welche unter der Obhut zweier oder dreier runzliger und grauköpfiger Negerinnen standen, so gut gekleidet, daß man sogleich in ihnen die vertrauten Dienerinnen von vornehmeren Familien erkannte. Was die jungen Ladie's selbst betrifft, so standen die meisten noch im Alter von Schulmädchen: doch waren auch Einige davon jenem zweideutigen Alter, wo die Knospe gerade zur aufbrechenden Blüthe sich gestaltet, und ein paar noch um Etwas Aeltere, junge Damen nach Gestalt und Haltung, obwohl kaum den Jahren nach. Eine unter Zweien der letztern Art schien mir alle Anmuth einer gereiften Jungfrau zu besitzen, strahlend gehoben durch das harmlose Lachen, die leichtherzige Schalkhaftigkeit und die mädchenhafte Unschuld von siebzehn Jahren. Sie war einfach aber sehr hübsch gekleidet, und Alles in ihrem Anzug, ihrem Wesen, ihrer Haltung und ihrem Benehmen bezeichnete eine junge Lady der höhern Klasse, gerade alt genug, um zu fühlen, welche Rücksichten der Schicklichkeit ihre Lage ihr vorschreibt, und zugleich doch noch jung genug, um an all der Kurzweil und den Possen Freude zu finden. Als sie mir nahe kam, war mir, als ob ich sie kennte; aber erst als ich ihre süße, fröhliche Stimme hörte, erkannte ich wieder das hübsche kleine Geschöpf, für welches ich beinahe sechs Jahre zuvor auf Bowery-Road mit dem Fleischersknaben einen Gang gemacht hatte. Als ihre Gesellschaft der Stelle, wo ich stand, ganz nahe war, wurde, was Anfangs nur Vermuthung war, zur Gewißheit erhoben.

In der Ueberraschung des Augenblicks war ich, als ich zufällig so glücklich war, dem Blicke des jungen Geschöpfs zu begegnen, so kühn, ihr einen tiefen Bückling zu machen. Zuerst lächelte sie, wie wenn sie glaubte einen Bekannten zu erkennen; dann wurde ihr Gesicht scharlachroth, und sie erwiederte meinen Bückling mit einer sehr ladymäßigen, aber zugleich auch sehr fremden Verbeugung; worauf sie, ihre blaue Augen auf den Boden heftend, sich wegwandte, anscheinend um mit ihrer Begleiterin zu sprechen. Auf dieß hin konnte ich nicht so weit gehen, sie anzureden, obgleich ich starke Hoffnung hegte, die alte schwarze Wärterin, die bei ihr war, werde mich wieder erkennen; denn sie hatte bei Gelegenheit meines Zwistes mit dem jungen Fleischer mir viele Theilnahme bezeigt. Dieß geschah aber nicht, und die alte Katrinke, wie ich die Negerin nennen hörte, watschelte weg, und erklärte einem Haufen sehr achtsamer Zuhörerinnen die Bedeutung der verschiedenen Ceremonien ihrer Raçe, ohne mir irgend Aufmerksamkeit zu widmen. Die Zungen der hübschen kleinen Geschöpfe gingen, wie eben die Zungen von Mädchen zu gehen pflegen, während jedoch meine unbekannte Schöne all die Zurückhaltung und das gesetzte Benehmen beibehielt, welches sich für ihre gereiftere Jungfräulichkeit und ihre anscheinende Stellung im Leben ziemte.

»Da, Miß Anneke!« rief plötzlich Katrinke; »da kommt ein Gentlemen, der Euch Vergnügen bringen wird, das weiß ich.«

» Anneke,« wiederholte ich bei mir selbst, »und ein Gentleman, der durch seine Erscheinung Vergnügen verursachen wird! Kann es wohl Dirck seyn?« dachte ich. Und wirklich war es auch Dirck, welcher rasch auf die Gruppe zu schritt, im Allgemeinen grüßte, zuletzt mit meiner schönen jungen Unbekannten die Hände schüttelte und sie mit dem Namen: »Cousine Anneke« anredete. Das war also Annie Mordaunt, wie sie in den englischen Cirkeln gewöhnlich genannt wurde, das einzige Kind und die Erbin von Hermann Mordaunt von Crown-Street und Lilaksbusch! Nun, Dirck besaß mehr Geschmack, als ich ihm zugetraut hatte! Gerade als dieser Gedanke mir durch die Seele zuckte, wurde mein Freund meiner ansichtig, und mit einer Miene des stolzen, freudigen Triumphs winkte er mir, näher zu kommen, obgleich ich schon jetzt mich ziemlich in die Nähe zu machen gewußt hatte. »Cousine Anneke,« sagte Dirck, welcher sich nie umschreibender Redewendungen bediente, wenn er überhaupt auf direktem Wege zu seinem Zweck kommen konnte, »dieß ist Corny Littlepage, von welchem Ihr mich so oft habt sprechen hören, und für welchen ich Euern besten Knix und Euer holdestes Lächeln in Anspruch nehme.«

Miß Mordaunt war freundlich genug, sein Verlangen buchstäblich zu erfüllen; sie knixte und lächelte genau so wie er sie gebeten hatte, obwohl ich bemerkte, daß sie auch eine leise Neigung verspürte zu lachen. Ich machte noch meinen Bückling, und murmelte ein unverständliches Compliment, als Katrinke einen kurzen Ausruf ausstieß, und der Freiheit, die einer alten, vertrauten Dienerin zustand, sich bedienend, ihre junge Gebieterin lebhaft am Aermel zupfte und ihr hastig etwas ins Ohr flüsterte. Anneke erröthete, wandte sich schnell gegen mich, heftete ihr Auge kühner und steter auf mein Gesicht – und da bildete ich mir ein, daß das süßeste Lächeln, welches je einem Sterblichen zu Theil geworden, oder auch das, welches ich so eben von ihr empfangen, von ihrem jetzigen Lächeln weit überstrahlt werde.

»Mr. Littlepage ist mir, glaube ich, nicht völlig fremd, Cousin Dirck,« sagte sie. »Katrinke erinnert sich seiner noch als eines jungen Gentleman, der mir einmal einen wichtigen Dienst leistete; und jetzt glaube ich selbst die Aehnlichkeit wieder zu finden. Ich meine den Vorfall mit dem Knaben, der mich auf Bowery Road beleidigte, Mr. Littlepage, und Eure ritterliche Einmischung zu meinen Gunsten.«

»Wären es zwanzig Knaben gewesen, Miß Mordaunt, eine Beleidigung gegen Euch wäre von jedem Manne von gewöhnlichem Geist und Herz geahndet worden.«

Ich weiß nicht, ob irgend ein Jüngling, der plötzlich seinen Witz aufzubieten gehabt, um höflich, oder sentimental, oder gefühlvoll zu seyn, etwas viel Besseres vorgebracht haben würde, als Dieß. Anneke war, wie ich glaube, auch dieser Meinung, denn ihr Erröthen stieg, und machte sie zum Entzücken liebenswürdig, und sie sah ganz erstaunlich vergnügt aus.

»Ja,« fiel Dirck mit Energie ein, »laßt Zwanzig, oder Hundert es versuchen, wenn sie Lust haben, Anneke, Männer oder Knaben – sie werden jederzeit Leute finden, bereit Euch zu beschützen!«

»Euch zum Beispiel, natürlich Vetter Dirck,« versetzte das reizende Mädchen, die Hand meinem Freunde hinbietend mit einer Offenheit, die ich ihr in diesem Falle gerne erlassen hätte; »aber ihr werdet Euch erinnern, Mr. Littlepage, oder Master Littlepage, was er damals war, war ein mir Unbekannter, und ich hatte an ihn keine solche Ansprüche zu machen, wie allerdings an Euch

»Nun, Corny, es ist aber seltsam von Euch, daß Ihr mir davon kein Wort gesagt habt! Als ich ihm Lilaksbusch zeigte und von Euch und Eurem Vater schwatzte, da sagte er nicht ein Wort von der Sache!«

»Damals wußte ich nicht, daß es Miß Mordaunt gewesen, der ich zu dienen das Glück gehabt hatte; aber da steht Mr. Newcome ganz in Eurer Nähe, Follock, und stirbt vor Verlangen vorgestellt zu werden, da er sieht, daß ich vorgestellt worden bin.« Anneke wandte sich und lächelte und kniete gegen Jason, welcher seinen Bückling in sehr schulmeisterlicher Art machte, während ich bemerkte, wie der Umstand, daß ich mit meiner Heldenthat nicht geprahlt hatte, ihr in den Augen des süßen Geschöpfes einen neuen Werth verlieh. Was Jason betrifft sobald seine Vorstellung vorüber war, die erste, bilde ich mir ein, die er in regelmäßiger Form durchgemacht hatte, so benützte er einige Fragen, welche Miß Mordaunt an Dirck richtete, seine Mutter und die übrige Familie betreffend, kam zu mir herum, zog mich mittelst eines Rucks am Aermel bei Seite, und gab mir zu verstehen, daß er mir etwas heimlich mitzutheilen habe.

»Ich wußte bisher nicht, daß Ihr je Schule gehalten, Corny,« flüsterte er mir halb ins Ohr und zwar sehr angelegentlich.

»Wie wißt Ihr es denn jetzt, Mr. Newcome, da dieß gar nie der Fall gewesen ist?«

»Wie kommt es denn aber, daß diese junge Dame Euch Master Littlepage nannte?«

»Pah! Jason, wartet nur ein Jahr oder zwei, dann werdet Ihr schon anfangen, richtigere Vorstellungen von uns New-Yorkern zu bekommen.«

»Aber ich habe es mit eigenen Ohren gehört – Master Littlepage; so deutlich, als nur je Worte gesprochen wurden.«

»Nun, so muß also wohl Miß Mordaunt Recht haben, und ich habe die Sache vergessen. Ich muß einmal eine Frauenschule irgendwo in meinen jüngern Jahren gehalten, es aber ganz vergessen haben.«

»Nun das ist Nichts als Euer verzweifelter Yorkscher Stolz, Corny; aber ich denke deßhalb nur um so besser von Euch. Ha, da es nicht kann gewesen seyn, nachdem Ihr ins Collegium kamet, müßt Ihr sogar mir vorangeeilt seyn! Aber der Hochwürdige Mr. Worden ist auch der Mann, um einen Jüngling mit einem guten Kapital auszusteuern, wenn er dazu Lust hat. Ich gestehe, er versteht sich auf die todten Sprachen. Es ist Schade, daß er so gar todt ist in religiösen Dingen.«

»Wohl – wohl – ich will Euch Alles ein ander Mal erzählen; Ihr begreift jetzt, daß Miß Mordaunt weiter zu gehen wünscht, und uns nicht gern allzu rasch verläßt. Laßt uns ihr folgen.«

Jason bequemte sich dazu, und ein paar Stunden hatten wir das Vergnügen, die jungen Frauenzimmer zu begleiten, wie sie unter den Buden und den verschiedenen Gruppen dieser eigenthümlichen Versammlung herumschlenderten. Wie schon gesagt, die meisten von den Schwarzen waren in der Colonie geboren, doch befanden sich auch einige geborene Afrikaner darunter. New-York hat nie Sklaven gehabt nach dem System der südlichen Pflanzer, oder in Schaaren von Hunderten, um unter Aufsehern auf den Feldern zu arbeiten, in eigenen Hütten abgesondert wohnend; vielmehr war unser Sklavensystem ein streng häusliches, indem der Neger beinahe ohne Ausnahme unter demselben Dache mit dem Herrn lebte, oder wenn seine Wohnung abgesondert war, was allerdings in manchen Fällen vorkam, so war sie doch ganz in der Nähe, so daß beide Raçen doch als Theile einer zusammenhängenden Familie erschienen. Auf dem Lande arbeiteten die Neger, nicht anders auf dem Feld, denn als gewöhnliche Feldarbeiter; und bei denjenigen, welche ihre Güter als Eigenthümer, oder als Pächter eines großen Grundbesitzers bewirthschafteten, verrichtete der Schwarze seine Arbeit an der Seite seines Gebieters. Sodann waren alle, oder fast alle unsre Diener und Dienerinnen im Hauswesen Schwarze und sind es noch, und hatten das Departement der häuslichen Oekonomie beinahe ausschließlich in Händen, mit Ausnahme der Fälle, wo weiße Weiber auch zu solchen Geschäften sich herbeiließen, nebst der gewohnten Oberaufsicht der Hausfrauen. Bei den Holländern namentlich war die Behandlung des Negers die allermildeste, ein zuverlässiger Feldsklave hatte da oft in Betreff der Feldbestellung und der Ernte so viel zu sagen, als Derjenige, welchem das von ihm bearbeitete Feld und er selbst gehörte.

Eine Gruppe eingeborener Afrikaner hielt uns eine halbe Stunde gefesselt. Die Scene schien ihre frühen Erinnerungen und Gemahnungen neu belebt zu haben und sie wurden von ihrer eigenen Aufführung halbwilder Spiele und Kurzweil hingerissen. Die in Amerika geborenen Schwarzen gafften ebenfalls mit lebhaftem Interesse diese Gruppe an, und betrachteten sie als eben so viele Gesandte aus dem Lande ihrer Vorfahren, die sie unterweisen konnten in Gebräuchen und abergläubischem Wissen, wie es ihrer Raçe ganz besonders eigen war. Die Letztern bestrebten sich sogar, das Thun und Treiben der Ersten nachzuahmen, und so spaßhaft oft die Versuche ausfielen, so fehlte es doch gewiß nie am Ernste des Wollens und der Absicht. Nichts war als Karikatur gemeint, sondern Alles geschah aus Achtung und Neigung.

Damit die Sitten und Gewohnheiten dieser Generation nicht dahinschwinden und vergessen werden, wovon ich schon drohende Spuren sehe, will ich eines Gebrauches erwähnen, welcher ganz gewöhnlich war bei den Holländern, und der einigermaßen auch in die englischen Familien überging, die mit den Abkömmlingen Hollands Verbindungen schlossen. Zwei solche Verschwägerungen hatten die Littlepages so sehr Jenen genähert, daß der in Rede stehende Gebrauch auch bei mir in Anwendung kam. Der Brauch war dieser: wenn ein Kind von der Familie das Alter von sechs oder acht Jahren erreichte, so wurde ihm, ein junger Sklave dem Knaben, eine junge Sklavin dem Mädchen, von gleichem Alter mit einiger Förmlichkeit und Feierlichkeit zugegeben, und von diesem Augenblick an wurde das Schicksal beider gewissermaßen, so weit es die Verschiedenheit der Stellung und des Lebensberufes gestattete, wie das von Mann und Frau, betrachtet. Es ist wahr, es kommen Scheidungen vor, aber nur in Fällen von sehr schlimmer Aufführung und völlig ebenso oft fällt das schlechte Benehmen dem Herrn als dem Sklaven zur Last. Ein Trunkenbold mag in Schulden gerathen und genöthigt werden, sich von seinen Schwarzen zu trennen, und mit den Uebrigen auch von diesem Einen; aber dieser Neger bleibt bei ihm, so lange ihm nur irgend Etwas bleibt. Sklaven, welche sich fortgesetzt schlecht halten, werden gewöhnlich auf die Inseln geschickt, wo die Arbeit auf den Zuckerpflanzungen sich als eine ganz genügende Strafe erweist.

Am Tage, wo ich sechs Jahre alt wurde, ward mir in der erwähnten Weise ein Knabe zugegeben, und er ist bis auf diesen Augenblick nicht nur mein Eigenthum, sondern mein Factotum geblieben. Dieser Knabe war Yaap, oder Jakob, der Neger, dessen ich schon zu erwähnen Gelegenheit gehabt. Anneke Mordaunt, deren Großmutter, wie man sich erinnern wird, von einer holländischen Familie war, hatte hier, auf dem Pinkster-Feld, eine Negerin ganz von ihrem Alter bei sich; welche Mari genannt wurde; nicht Mary oder Maria, sondern so wie der letztere Name mit Weglassung des a am Schlusse ausgesprochen werden würde. Diese Mari war eine kecke, glänzende, glatte, lachende, schmucke, schwarze Hexe, mit rothen Lippen, Perlenzähnen und schwarzen Augen, die ganz zu Possen und Kurzweil geboren schien, und es kostete oft ihre gesetztere, wohlgezogene Gebieterin nicht geringe Mühe sie in Ordnung zu halten. Mein Geselle trieb sich auch auf dem Felde herum, denn ich hatte ihm Erlaubniß gegeben, in die Stadt zu gehen, um Pinkster zu halten: und er sollte Satanstoe in einer Schaluppe verlassen, eine Stunde nach meiner Abreise. Der Wind war günstig gewesen und ich hatte mich noch gar nicht erkundigt, ob er angekommen sey, obwohl ich ihn bis jetzt noch nicht gesehen hatte.

Ich hätte Anneke und ihre Gesellschaft den ganzen Tag auf diesem Schauplatz unverfälschter Fröhlichkeit herum begleiten können, ohne einen Mangel an Interesse zu empfinden. Ihre bloße Gegenwart machte unmittelbar einen Eindruck; selbst die geborenen Afrikaner mäßigten ihr ausgelassenes Benehmen und dämpften, so gut es gehen wollte, ihr gellendes Freudengeschrei, um ihrem verfeinerten Geschmack desto besser zuzusagen. Niemand in unsrer Gesellschaft dünkte sich zu gut und zu vornehm um zu lachen, als Jason. Der Pädagog, es ist wahr, gab oft seinen Widerwillen gegen die Lustbarkeiten und Possen der Neger zu erkennen, erklärte, sie seien widerliche menschliche Geschöpfe, und legte noch sonst jene Neigung zur Hyperkritik an den Tag, woran man so häufig Denjenigen erkennt, der in seinem eigenen Fach ein ungeübter Neuling und Anfänger ist.

Dieß war der Stand der Dinge, als Mari auf ihre junge Gebieterin her gestürzt kam. und mit weit aufgerissenen Augen und erhobenen Händen rief, mit einem so gellenden Tone daß wir nothwendig Alle ihre Mittheilung auch hörten:

»Oh! Miß Anneke! – Was glaubt Ihr wohl, Miß Anneke! Hättet Ihr Euch je so etwas träumen lassen, Miß Anneke?«

»Sagt mir doch sogleich, was Ihr gesehen oder gehört habt, Mari, und laße diese einfältigen Ausrufungen weg,« sagte die gütige Gebieterin, mit einem Erröthen, welches zeigte, daß selbst ihr das Benehmen ihres Mädchens ungewohnt war.

»Wer hatte auch das denken können, Miß Anneke! Diese Neger da haben in ihr so weit entferntes Land geschickt und haben einen Löwen fangen lassen für Pinkster!«

Das war freilich eine wichtige Neuigkeit, wenn es sich wirklich so verhielt. Keiner von uns Allen hatte je einen Löwen gesehen; denn wilde Thiere waren damals ausnehmend selten in den Colonien, mit Ausnahme derjenigen, die man in unsern eigenen Wäldern fing. Ich hatte bis jetzt einige kleine braune Bären, und manchen Wolf, auch einen ausgestopften Panther gesehen; aber ich hatte es nie für eine Möglichkeit gehalten, daß ich einem lebendigen Löwen sollte so nahe kommen können. Nähere Erkundigungen zeigten indessen, daß Mari Recht hatte, mit Ausnahme des Umstandes, daß das Thier nicht ausdrücklich für diese Gelegenheit gefangen worden war. Das wilde Thier gehörte einem herumziehenden Manne, welcher auch der Besitzer eines sehr beweglichen und ergötzlichen Affen war. Der Einlaßpreis war ein Viertelsdollar für einen erwachsenen Weißen; Kinder und Neger bezahlten die Hälfte. Nachdem man über diese Präliminarien im Reinen war, wurde sofort verabredet, daß Alle, welchen hinlänglich Geld und Muth zu Gebote stand, in Einem Haufen hingehen und den König der Thiere beschauen sollten. Ich sage Muth, denn es war dessen nicht wenig erforderlich für ein an so Etwas nicht gewöhntes weibliches Wesen, um sich einem lebendigen Löwen so nahe zu wagen.

Der Löwe war natürlich in einem Käfig, welcher in einem für kurze Zeit aufgeschlagenen Brettergebäude auf dem Pinkster-Felde sich befand. Als wir uns der Thüre näherten, sah ich die Wangen einiger von den hübschen jungen Geschöpfen, welche zu der Gesellschaft Anneke'ns gehörten, bleich werden; ein Zeichen von Schwäche, das, so seltsam es scheinen mag, sehr merklich auch auf die meisten der sie begleitenden Negerinnen sich erstreckte, Mari jedoch blieb unerschüttert; und als es zur Entscheidung und Probe für das weibliche Geschlecht kam, waren sie und ihre Gebieterin die Einzigen, welche bei dem ursprünglichen Beschlusse beharrten, hineinzugehen. Einige Zeit verlor man über der Bemühung, zwei oder drei von ihren älteren Begleiterinnen zu bereden, auch mit hineinzugehen; aber als sich Alles fruchtlos zeigte, sagte Miß Mordaunt ruhig mit einem schwachen Lächeln:

»Nun, Gentlemen, so müssen eben Mari und ich den weiblichen Bestandtheil der Gesellschaft ausmachen. Ich habe noch nie einen Löwen gesehen, und möchte um Alles nicht diese Gelegenheit versäumen. Wir werden bei unserer Zurückkunft unsere Freundinnen finden, wie sie auf die Stücke von uns warten, welche nicht gefressen worden sind.«

Wir waren jetzt der Thüre nahe, wo der Mann stand, welcher das Geld einnahm und die Karten ausgab. Zufälligerweise war Dirck aufgehalten worden von einem Gentleman von seiner Bekanntschaft, der gerade die Bude verlassen hatte, und lachend einen Vorfall erzählte, welcher sich drinnen ereignet hatte. Ich stand auf der einen Seite von Anneke, Jason auf der andern, und dicht hinter uns folgte Mari.

»Einen Vierteldollar für jeden Gentleman und die Lady«, sagte der Thürsteher, »und einen Shilling für die Schwarze.«

Auf diesen Wink zog Jason, zu meiner großen Ueberraschung (denn gewöhnlich war er bei solchen Gelegenheiten sehr rückhältig,) eine Börse heraus, schüttete einiges Silbergeld auf die Hand, und sagte mit stattlichem Tone:

»Erlaubt mir, Miß – es ist eine Ehre, die ich mir sehr ausbitte; einen Viertel für Euch und einen Shilling für Mari.«

Ich sah Anneke erröthen und ihren Blick hastig auf Dirck werfen. Ehe ich Zeit hatte, Etwas zu sagen, oder Etwas zu thun, antwortete sie mit Festigkeit:

»Macht Euch keine Mühe, Mr. Newcome; Mr. Littlepage wird mir den Gefallen thun, Karten für mich zu lösen.«

Jason hatte das Geld zwischen den Fingern, und ich ging an ihm vorbei und kaufte die Karten, während er betheuerte:

»Es mache ihm eine Freude – er sey stolz auf die Gelegenheit; ein ander Mal könne ihr Bruder seinen Schwestern denselben Dienst leisten, und er habe deren sechs«, und andere solche Redensarten.

Ich händigte einfach die Karten Anneke'n ein, welche sie mit einer Aeußerung des Dankes empfing, und wir gingen Alle weiter; und Dirck, als er herbeikam, erkundigte sich bei seiner Base, ob er ihr Karten holen solle. Ich erwähne dieses kleinen Vorfalls, weil er den weiblichen Takt beweist, und will Alles, was sich darauf bezieht, erzählen, ehe ich zu Weiterem übergehe. Anneke sagte Nichts über diese Sache mit den Karten, bis wir die Bude verlassen hatten, wo sie sich mir näherte, und mit der Einfachheit und Anmuth, welche einem wohlerzogenen weiblichen Wesen bei solcher Gelegenheit zu Gebote stehen, ganz ruhig sagte: »Ich bin Eure Schuldnerin, Mr. Littlepage; Ihr habt meine Karten bezahlt; – sie kosten drei Schillinge, glaube ich.«

Ich verbeugte mich und hatte die Freude, der Miß Mordaunt schöne kleine Hand beinahe zu berühren, als sie mir das Geld gab. In diesem Augenblick wurde ich am Ellbogen angestoßen, daß ich beinahe die Silbermünzen fallen ließ. Es war Jason, der sich diese Freiheit genommen hatte, und mich jetzt bei Seite führte, mit einem Ernst in seinem Wesen, den man für gewöhnlich nicht leicht an ihm bemerkte. Ich sah an dem geheimnißvollen Ausdruck von des Pädagogen Gesicht und an seinem wichtigthuenden Wesen, daß etwas Außerordentliches seinen Geist beschäftigte, und erwartete mit einer kleinen Neugier zu erfahren, was es wohl seyn möchte.

»Ei, was, ums Himmels willen, Corny, was denkt ihr doch?« rief er, beinahe zornig. »Hat je ein Sterblicher davon gehört, daß ein Gentleman eine Lady eine Zeche bezahlen ließ? Wißt Ihr wohl, Ihr habt Miß Anneke eine Zecke bezahlen lassen.«

»Eine Zeche, Mr. Newcome?«

»Ja, eine Zeche, Mr. Corny Littlepage! Wie oft glaubt Ihr, daß junge Lady's Euch zu Schaustellungen und Bällen und andern Spektakeln begleiten werden, wenn Ihr sie bezahlen laßt?« Dann gab ein höhnisches Lachen Jasons Worten noch mehr Nachdruck.

»Bezahlen! – konnte ich denn mir herausnehmen, zu glauben, Miß Mordaunt werde zugeben, daß ich für sie oder ihre Dienerin Geld bezahle?«

»Ihr bringt mich beinahe auf die Meinung, Ihr seyet ein Dummkopf! Junge Männer bezahlen immer für junge Damen und da braucht es gar keine Fragen. Habt Ihr nicht bemerkt, wie flott ich mich erbot, diese Miß freizuhalten, und wie gut sie es aufnahm, bis Ihr vortratet und mich ausstachet? – Ich ließ es mir gefallen, denn es ersparte mir drei Neunpencestücke.«

Ich bemerkte, wie Miß Mordaunt zurückbebte vor der Vertraulichkeit, mit der Ihr sie schlechthin Miß nanntet, und wie abgeneigt sie war, Euch die Karten kaufen zu lassen; und ich vermuthe, das war nur deßhalb, weil sie sah, Ihr hattet die Absicht, sie frei zu halten, nach Eurem Ausdruck.«

Ich kann nicht auf die Philosophie der Sache eingehen, aber sicherlich ist im Englischen Nichts gemeiner, als eine junge Lady mit Miß anzureden, ohne einen Namen hinzuzusetzen, während ich weiß, daß es im Französischen die höchste Feinheit ist, Mademoiselle zu sagen: und ich habe mir sagen lassen, daß die Spanier, Italiener und Deutschen des gleichbedeutenden Wortes sich ganz ebenso bedienen. Ich hatte mich erzürnt über Jason's Vertraulichkeit, als er Anneke, – die liebliche Anneke! Miß anredete; und ich freute mich der Gelegenheit, ihm zu verstehen zu geben, wie ich über die Sache dachte.

»Welch ein Kind seyd Ihr aber doch, Corny!« rief der Pädagog, welcher viel zu gutmüthig war, um über eine Kleinigkeit beleidigt zu werden. »Ihr ein Baccalaureus artium! Aber diese Sache muß ins Reine gebracht werden, wäre es auch nur um der Ehre meiner Schule willen. Die Leute könnten glauben, Ihr seyet in der Schule gewesen, seit sie unter meiner Leitung steht, und ich möchte um Alles in der Welt nicht, daß man sagte, ein Jüngling aus meiner Schule habe unter solchen Umständen versäumt, eine Dame zechfrei zu halten.«

Ueberzeugt, daß es nutzlos sey, mit mir weiter zu streiten, begab sich Jason sofort zu Anneke, von welcher er sich Erlaubniß erbat, ihr ein Wort unter vier Augen zu sagen. So begierig war mein Genosse, den Flecken auszutilgen, und so überrascht war die junge Lady, welche mild es ablehnte, sich mehr als einen Schritt von den Uebrigen zu entfernen, daß das Gespräch in meiner unmittelbaren Nähe Statt fand, ohne daß Eines oder das Andere wußte, daß ich nothwendig Alles, was vorging, sehen und hören mußte.

»Ihr müßt Corny entschuldigen, Miß,« begann Jason, seine Börse wieder ziehend, in welcher er sofort nach einem Vierteldollar und einem Shilling zu fahnden anfing, »er ist noch so ganz jung und versteht so wenig, daß es nicht der Rede werth ist, von dem, was unter den Menschen Sitte ist. Ha! da ist gerade das Geld; drei Neunpencestücke oder drei Yorker Shillinge. Da, Miß, entschuldigt Corny, und überseht Alles; wenn er älter ist, wird er keine solche Böcke mehr machen.«

»Ich weiß nicht gewiß, ob ich Euch recht verstehe, Sir.'« rief Anneke, welche schon ein wenig zurückgescheut hatte bei dem »Miß!« und jetzt den Jason ihr die Silbermünzen hinbieten sah, mit einem Staunen, welches zu verhehlen sie sich keine Mühe gab.

»Das ist der Preis der Karten – ja das ist Alles. Nichts weiter, auf Ehre; Corny, Ihr erinnert euch, war so entsetzlich dumm und blöde, daß er Euch bezahlen ließ, gerade als wenn Ihr ein Gentleman wäret.«

Anneke lächelte jetzt und da sie in demselben Moment einen Blick auf mich warf, übergoß ein leuchtendes Erröthen ihr Angesicht, obgleich der Ausdruck meines Blickes sie, wie ich leicht bemerken konnte, stark zum Lachen reizte.

»Es ist ganz gut so, wie es ist, Mr. Newcome, obgleich ich mich Euch sehr verpflichtet fühle, für Eure freigebigen Gesinnungen und Absichten,« sagte sie, und zugleich wandte sie sich, um wieder an ihre Gesellschaft sich anzuschließen; »in New-York ist es gebräuchlich, daß Ladies für Alles dergleichen selbst bezahlen. Wenn ich nach Connektikut komme, werde ich Euch unendlichen Dank wissen für ein solches Anerbieten.«

Jason wußte nicht, was daraus machen. Er blieb noch lange nachher fest dabei, die junge Lady sey eigensinnig gewesen, und sie habe sich geweigert, das Geld zu nehmen, blos weil sie so beleidigt worden sey.

»Es gibt eine Art, Corny, wißt Ihr,« sagte er, »etwas Genteeles zu thun – nämlich auch auf eine genteele Weise. Ich bezweifle sehr, ob etwas Genteeles auf eine ungenteele Weise gethan werden kann. Für Eines bin ich dankbar, und das ist: daß sie nicht weiß, daß Ihr je in Eurem Leben in dem Seminar-Institut gewesen«; diesen Namen nämlich hatte Jason aufgebracht für das, was Mr. Worden einfach eine Knabenschule genannt hatte. Kehren wir aber jetzt zu der Bude zurück.

Der Löwe hatte starken Besuch und wir hatten einige Mühe, Plätze zu finden. Natürlich stand Anneke vorn, denn die meisten Männer in der Bude machten ihr mit achtungsvoller Aufmerksamkeit Platz. Zum Unglück trug die junge Lady einen ausnehmend hübschen Shawl, in welchem Scharlach die vorherrschende Farbe war; und diesem Umstände wurde zugeschrieben, was nun sich begab, obwohl ich weit entfernt bin, zu behaupten, daß es sich eigentlich so verhalten habe. Anneke zeigte anfänglich durchaus keine Furcht; aber da der Kreis der Zuschauer von hinten auf sie drückte, kam sie dem Käfig so nahe, daß das Thier eine Pfote herausstreckte, den Shawl förmlich packte und das erschrockene Mädchen ganz an das Gitter hinzog. Ich war an Anneke'ns Seite, und mit einer Geistesgegenwart, über die ich mich jetzt wundern muß, gelang es mir, den Shawl von den Schultern des köstlichen Geschöpfs loszumachen, sie rasch vom Boden aufzuheben und sie in sicherer Entfernung von der wilden Bestie niederzusetzen. Alles dieß ging so schnell, daß die Hälfte der anwesenden Personen von dem Vorgefallenen gar Nichts wußten, bis er ganz vorüber war; und was mich am meisten verwundert, ist, daß ich nicht die mindeste Erinnerung mehr habe von dem Vergnügen, das ich empfinden mußte, als mein Arm den schlanken Leib von Anneke Mordaunt umspannte, und während sie ganz von mir emporgehoben ward. Der Wärter legte sich sogleich ins Mittel, und der Löwe ließ den Shawl fahren und sah sehr mißvergnügt und ärgerlich aus, als er fand, daß die schöne Eignerin nicht mehr darin war.

Anneke ward befreit, ehe sie Zeit gehabt, die ganze Größe der Gefahr, in welcher sie geschwebt hatte, zu fassen. Selbst Dirck konnte nicht ihr zu Hülfe herbeieilen, obgleich er die drohende Gefahr sah und begriff, welcher das Wesen ausgesetzt war, das er am innigsten auf der Welt liebte; aber Dirck war immer so langsam. Jason muß ich die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bezeugen, daß er sich gut benahm, obgleich er in einer Lage war, daß er keine wirkliche Hülfe leisten konnte. Er rannte herzu, um Anneke'n beizustehen, und blieb, um den Shawl wegzuziehen, sobald es dem Wärter gelungen war, den Löwen dahin zu bringen, daß er ihn fahren ließ. Aber das Alles ging so rasch, daß Einem wenig Gelegenheit blieb, die einzelnen Vorfälle sich zu merken.

Anneke war allerdings nicht wenig erschrocken über dieses Abenteuer mit dem Löwen, wie aus ihrer wechselnden Farbe und einigen Thränen, welche ihr ins Auge traten, deutlich erhellte. Dennoch genügte ein Glas Wasser und ein Paar Minuten Ruhe, während sie in einem Sessel saß, ihre Fassung gänzlich wieder herzustellen, und sie blieb mit uns noch eine halbe Stunde, ihren furchtbaren Feind betrachtend und bewundernd.

Und hier sey mir erlaubt hinzuzusetzen, für diejenigen, welche nie Gelegenheit gehabt, den König der Thiere zu sehen, daß er ein Anblick ist, wohl werth, daß man ihn aufsucht! Ich habe nie einen Elephanten gesehen, von welchem gereiste Gentlemen mir sagen, daß es ein noch ausserordentlicheres Thier sey, obgleich es mir schwer ist, mir etwas in seiner Art Schöneres zu denken, als der Löwe war, welcher um ein Kleines an der holden Anneke Mordaunt sich vergriffen hätte. Ich bezweifle, ob irgend Eines von uns den ganzen Umfang der Gefahr, der sie ausgesetzt war, erkannte, bis wir anfingen, kühler darüber nachzudenken, als sich nun Zeit und Muße dazu ergab. Sobald die erste, natürlich dadurch verursachte Erschütterung des Gemüths sich gelegt hatte, schien der Vorfall vergessen; und wir verließen nach einem langen Aufenthalt die Bude und besprachen uns weitläufig über das Thier und seinen Charakter, anscheinend ganz vergessend, daß der Löwe durch Einen Schlag mit seiner gewaltigen Tatze Einem der holdesten, glücklichsten und unschuldigsten Wesen in der ganzen Provinz, ohne das rechtzeitige und barmherzige Dazwischentreten der gütigen Vorsehung, hätte verderblich werden können.

Nach dem kleinen Vorfall mit den Karten schritt ich mit Anneke weiter, welche ihren Vorsatz aussprach, das Feld zu verlassen, da die glücklich beseitigte Gefahr jetzt doch ihre Lebensgeister angriff, und sie besorgte, ein besonders theilnehmender Freund oder eine Freundin möchte ihrem Vater eine übertriebene Nachricht von dem Vorgefallenen überbringen. Dirck erbot sich, sie heim zu begleiten, denn Mr. Mordaunt hielt keinen Wagen, oder wenigstens keinen, der gewöhnlich als Equipage in der Stadt benützt worden wäre. Wir waren Alle bis an die Grenze des Feldes mit Anneke gegangen, als das holde Mädchen stehen blieb, mich ernst und innig ansah, und während sie die Farbe wechselte und die Thränen ihr ins Auge traten, sagte: »Mr. Littlepage, es kommt mir jetzt erst recht zum Bewußtseyn, was ich Euch schuldig bin. Die Sache ging so plötzlich vor sich, und ich war so erschrocken, daß ich im Augenblick nicht wußte, wie ich mich ausdrücken sollte, auch weiß ich noch jetzt nicht, ob ich es recht zu thun vermag. Glaubt mir jedoch, daß ich diesen Morgen niemals vergessen kann, und ich bitte Euch, wenn Ihr eine Schwester habt, ihr das Anerbieten der Freundschaft von Anneke Mordaunt zu überbringen und ihr zu sagen, daß ihr Gebet für ihren Bruder nicht aufrichtiger seyn kann, als das meinige.«

Ehe ich mich so weit sammeln konnte, um eine passende Antwort zu geben, hatte Anneke einen Knix gemacht und sich, das Taschentuch vor den Augen, entfernt.


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