Joseph Conrad
Nostromo
Joseph Conrad

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V

Während der Nacht hatte die erwartungsvolle Bevölkerung alle Glockentürme der Stadt besetzt, um Pedrito Montero begrüßen zu können, der nun, nachdem er die Nacht in Rincon geschlafen hatte, seinen Einzug hielt. Zuerst strömte durch das Landtor der bewaffnete Pöbel herein, der sich Nationalgarde von Sulaco nannte und von Señor Gamacho befehligt wurde: Kerle in allen Farbenschattierungen, Gestalten in allen Abstufungen der Zerlumptheit. Mitten durch die Straße ergoß sich wie ein Strom von Unrat eine Menge von Strohhüten, Ponchos, Gewehrläufen, in deren Mitte, in einer Staubwolke, unter wütendem Trommelwirbel, eine ungeheure grün-gelbe Fahne flatterte. Die Zuschauer wichen gegen die Hausmauern zurück und schrien ihre Vivas! Hinter dem Pöbel konnte man die Lanzen der Kavallerie sehen, der »Armee« von Pedrito Montero. Er selbst kam zwischen den Señores Fuentes und Gamacho an der Spitze seiner Llaneros daher, die es fertiggebracht hatten, die Paramos des Higuerota in einem Schneesturm zu überqueren. Sie ritten in Viererreihen auf beschlagnahmten Campopferden, in verschiedenartige Gewänder gekleidet, die sie bei ihrem eiligen Ritt durch den nördlichen Teil der Provinz in hastig geplünderten Läden am Wege gefunden hatten; denn Pedro Montero hatte es sehr eilig gehabt, Sulaco zu besetzen. Die Tücher, die sie lose um die nackten Hälse geknotet trugen, waren blitzneu und die rechten Ärmel ihrer Baumwollhemden knapp an der Schulter abgeschnitten, um größere Freiheit beim Lassowerfen zu geben. Verwitterte Graubärte ritten an der Seite schmächtiger, dunkler Jünglinge, alle gekennzeichnet von den Härten des Feldzugs, rohe Fleischfetzen um die Kopfform ihrer großen Hüte gebunden und mächtige Eisensporen an die nackten Fersen geschnallt. Die auf den Gebirgspässen ihre Lanzen verloren, hatten sich mit Stachelstöcken versehen, wie sie die Viehtreiber im Campo gebrauchen: schlanke Palmschäfte, gut drei Meter lang, unter deren eisenbeschlagenen Enden lose Ringe klirrten. Sie waren mit Messern und Revolvern bewaffnet. Wilde Kühnheit sprach aus den sonnverbrannten Gesichtern; sie sahen hochmütig aus glühenden Augen auf die Menge hinunter oder zwinkerten frech in die Höhe und machten einander auf den oder jenen Frauenkopf an den Fenstern aufmerksam. Als sie auf den Platz gekommen waren und das Reiterstandbild des Königs erblickten, das sich blendend weiß im Sonnenschein, reglos und ungeheuer, mit der ewig grüßenden Gebärde über der Menge auftürmte, da lief ein Murmeln der Überraschung durch ihre Reihen. »Wer ist der Heilige in dem großen Hut?« fragten sie einander.

Sie bildeten ein gutes Muster der Reiterei von den Ebenen, mit deren Hilfe Pedro Montero so nachhaltig die Siegeslaufbahn seines Bruders, des Generals, unterstützt hatte. Daß dieser Mann, in Küstenstädten aufgewachsen, über die Flachländer der Republik so schnell solchen Einfluß gewonnen hatte, kann nur seiner genialen Gabe für Verrat zugeschrieben werden, die so wirksam war, daß sie diesen gewalttätigen, kaum erst dem Zustand völliger Wildheit entwachsenen Männern als die Vollendung von Scharfsinn und Tüchtigkeit erschienen sein muß. Die Sagen aller Völker beweisen, daß in den Urzeiten Zweizüngigkeiten und List, zugleich mit Körperstärke, mehr noch als bloßer Mut für Heldentugenden gehalten wurden. Den Gegner zu besiegen, war die große Lebensfrage. Mut galt als selbstverständlich. Der Gebrauch des Verstandes aber erweckte Staunen und Hochachtung. Schliche, vorausgesetzt, daß sie nicht fehlschlugen, waren ehrenhaft. Die Niedermetzelung eines ahnungslosen Feindes rief keine andern Gefühle hervor als Freude, Stolz, Bewunderung. Nicht als ob die Menschen alter Zeiten treuloser gewesen wären als ihre heutigen Nachkommen; aber sie gingen gerader auf ihr Ziel los und waren weniger verkünstelt in der Anerkennung des Erfolgs als einzigen sittlichen Maßstabs.

Wir haben uns seither geändert. Der Gebrauch des Verstandes erweckt weniger Staunen und noch weniger Hochachtung. Die unwissenden, barbarischen Flachländer aber, die in Bürgerkriegen kämpften, folgten willig einem Führer, dem es oft gelang, ihnen ihre Feinde sozusagen gebunden in die Hände zu liefern. Pedro Montero war ein Meister darin, seine Gegner in Sicherheit zu wiegen. Und da die Menschen nur sehr langsam klüger werden und immer bereit sind, Versprechungen zu glauben, die ihren geheimen Hoffnungen schmeicheln, so hatte Pedro Montero einmal ums andre Erfolg. Ob er nun ein Diener oder ein Unterbeamter in der Pariser Gesandtschaft von Costaguana gewesen war – jedenfalls war er sofort in seine Heimat zurückgeeilt, sobald er gehört hatte, daß sein Bruder aus dem Dunkel seines Grenzpostens aufgetaucht war. Durch seine Überredungskunst war es ihm gelungen, die Ribieristenführer in der Hauptstadt zu täuschen, und sogar der schlaue Agent der San Tomé-Mine hatte ihn nicht ganz durchschaut. Sofort hatte er ungeheuren Einfluß auf seinen Bruder gewonnen. Sie waren einander im Äußeren auffallend ähnlich: beide kahl, mit krausen Haarbüscheln über den Ohren, die auf ein Teil Negerblut deuteten. Nur war Pedro kleiner als der General, im ganzen zarter, mit einem affenartigen Geschick, alle äußerlichen Merkmale von Bildung und Erziehung nachzuahmen, und sprachenbegabt wie ein Papagei. Beide Brüder hatten eine notdürftige Erziehung genossen, durch die Freigebigkeit eines großen europäischen Reisenden, dem während der Reisen im Innern ihr Vater als Leibdiener gefolgt war. Diese Erziehung hatte es General Montero ermöglicht, zu höheren Graden aufzurücken. Pedrito, der Jüngere, unverbesserlich faul und liederlich, war ziellos von einer Küstenstadt zur anderen geirrt, hatte zeitweilig in Geschäftshäusern Dienst getan, zeitweilig bei Fremden, als eine Art Valet-de-place, und sich leicht und wenig ehrenhaft fortgebracht. Daß er lesen konnte, nützte ihm nur dazu, sich den Kopf mit unsinnigen Vorstellungen vollzupfropfen. Seine Handlungen wurden gewöhnlich durch Beweggründe bestimmt, die an sich zu unwahrscheinlich waren, als daß ein vernünftiger Mensch sie hätte erfassen können.

So hatte ihm auf den ersten Blick der Agent der Gould-Konzession in Sta. Marta vernünftige Ansichten und sogar die Fähigkeit zugetraut, des Generals ewig gekränkte Eitelkeit günstig zu beeinflussen. Nie hätte es ihm in den Kopf kommen können, daß Pedrito Montero, während er als Lakai oder niederer Schreiber die Dachkammern der verschiedenen Pariser Hotels bewohnte, in denen die Gesandtschaft von Costaguana eine ihrer diplomatischen Bedeutung würdige Unterkunft gefunden hatte – daß dieser Pedrito Montero all die leichteren Geschichtswerke in französischer Sprache verschlungen hatte, wie zum Beispiel die Bücher von Imbert de Saint Amand über das zweite Kaiserreich. Pedrito aber war berückt worden von den Bildern eines glänzenden Hofes und hatte sich für sich selbst ein Leben ausgemalt, in dem ihm, wie dem Duc de Morny, jedes erdenkliche Vergnügen zugleich mit der Leitung der politischen Geschäfte offenstehen und er auf jede Weise die größte Macht genießen würde. Das hätte niemand erraten können. Und doch war dies eine der unmittelbaren Ursachen der monteristischen Revolution. Es wird weniger unglaublich erscheinen, wenn man bedenkt, daß die Grundursachen die gleichen waren wie immer: die politische Unreife des Volkes, die Gleichgültigkeit der oberen und der geistige Tiefstand der unteren Schichten.

Mit der Ernennung seines Bruders sah Pedrito Montero den Weg zur Verwirklichung seiner wildesten Hoffnungen weit offen. Dies war es, was das Montero-Pronunziamento so unvermeidlich machte. Der General selbst wäre wahrscheinlich abzufinden gewesen, mit Schmeicheleien zu besänftigen und auf eine politische Mission nach Europa abzuschieben. Sein Bruder war es, der ihn vom ersten bis zum letzten Augenblick aufgehetzt hatte. Er wollte der glänzendste Staatsmann Südamerikas werden. Er verlangte nicht nach der höchsten Macht. Tatsächlich hätte er sich vor deren Gefahr und Arbeitslast gefürchtet. Vor allem gedachte sich Pedrito Montero, gewitzigt durch seine europäischen Erfahrungen, ein bedeutendes persönliches Vermögen zu erwerben. Mit diesem Ziel vor Augen erwirkte er von seinem Bruder, sofort am Morgen nach der siegreichen Schlacht, die Erlaubnis, über das Gebirge vorzustoßen und Sulaco zu besetzen. Sulaco war das Land künftiger Wohlfahrt, das gelobte Land materiellen Fortschritts, die einzige Provinz der Republik, die für das europäische Kapital Interesse hatte. Pedrito Montero gedachte, nach dem Beispiel des Duc de Morny, sich Anteil an dieser Wohlfahrt zu sichern. Das war im wahrsten Sinn des Wortes sein Plan. Nun, da sein Bruder Herr des Landes war, sei es als Präsident, Diktator oder gar als Kaiser – warum nicht als Kaiser? –, nun gedachte er einen Anteil an jedem Unternehmen zu verlangen – an den Eisenbahnen, den Bergwerken, den Zuckerplantagen, den Baumwollspinnereien, den Ansiedlungen, an allem und jedem – als Gegenwert für seinen Schutz. Der Wunsch, frühzeitig an Ort und Stelle zu sein, hatte den wahrhaften Antrieb zu dem berühmten Ritt über das Gebirge gegeben, mit etwa zweihundert Llaneros; zu einem Unternehmen, dessen Gefahren seine Ungeduld nicht rechtzeitig erkannt hatte. Da er von einer Reihe von Siegen herkam, so schien es ihm, daß ein Montero sich nur zu zeigen brauchte, um sofort Herr der Lage zu sein. Diese falsche Vorstellung hatte ihn zu einer Überstürzung verleitet, die ihm nun peinlich bewußt wurde. Als er so an der Spitze seiner Llaneros ritt, bedauerte er, daß ihrer so wenige waren. Die Begeisterung des Volkes beruhigte ihn. Sie schrien: »Viva Montero! Viva Pedrito!« Um diese Begeisterung noch zu steigern und aus einer natürlichen Freude an Verstellung ließ er die Zügel auf seines Pferdes Hals sinken und schob mit großartiger Gebärde vertraulich seine Hände unter die Arme der Señores Fuentes und Gamacho. In dieser Haltung – wobei ein zerlumpter Stadtmozo sein Pferd am Zügel führte – ritt er im Triumph über die Plaza bis zum Tor der Intendancia. Deren alte, düstere Mauern schienen zu wanken von dem ohrenzerreißenden Geschrei, das das Dröhnen der Kirchenglocken übertönte.

Pedro Montero, der Bruder des Generals, stieg inmitten eines brüllenden und schwitzenden Haufens von Enthusiasten ab, den die zerlumpten Nationalgarden rücksichtslos zurückdrängten. Er stieg einige Stufen hinauf, überblickte die dichtgedrängte Menge, die ihm zubrüllte, und die mit Kugelspuren übersäten Wände der gegenüberliegenden Häuser, die ein leichter, staubiger Dunst verhüllte. Das Wort »Porvenir«, in ungeheuren, schwarzen Lettern, die mit zerbrochenen Fenstern abwechselten, blickte ihm über den weiten Platz weg entgegen; und er dachte entzückt an die Stunde der Rache, denn er war sicher, die Hand auf Decoud legen zu können. Zu seiner Linken stand Gamacho, wuchtig und erhitzt, wischte sich über sein haariges, nasses Gesicht und enthüllte in einem stummvergnügten Grinsen ein gelbes Raubtiergebiß. Señor Fuentes, zu seiner Rechten, klein und schmächtig, sah mit zusammengepreßten Lippen zu. Die Menge starrte mit offenen Mäulern, nun mit einmal still, als hätten die Leute erwartet, der große Guerillero, der berühmte Pedrito, würde ohne weiteres mit sichtbarer Freigebigkeit beginnen. Was er aber begann, war eine Rede. Er begann sie mit dem gebrüllten Wort »Bürger!«, das bis in die Mitte der Plaza drang. Späterhin fühlte sich der größte Teil der Bürger nur noch von den Gebärden des Redners allein gepackt – wie er sich auf die Zehen stellte, die Arme mit geballten Fäusten über den Kopf erhob, eine Hand flach auf das Herz legte, den Silberglanz der rollenden Augenbälle wirken ließ; wie er mit weiten Gesten auslöschte, andeutete, umfing; eine Hand vertraulich auf Gamachos Schulter legte; eine Hand mit feierlichem Nachdruck gegen die kleine, schwarzgekleidete Persönlichkeit des Señor Fuentes schwenkte, eines Advokaten, Politikers und wahren Volksfreundes. Die Vivas brachen unter den dem Redner Zunächststehenden aus, pflanzten sich unregelmäßig bis zu den Rändern der Menge fort, wie Flammen, die über trockenes Gras laufen, und erstarben an der Mündung der Straßen. Dazwischen brütete über der gedrängten Plaza ein dumpfes Schweigen, währenddessen der Mund des Redners sich unaufhörlich öffnete und schloß, und abgerissene Sätze – »das Glück des Volkes«, »Söhne des Landes«, »die ganze Welt, el mundo entiero« – noch bis zu der dichtbesetzten Vortreppe der Kathedrale hinüberklangen, dünn und klar wie das Summen einer Mücke. Nun schlug sich der Redner an die Brust; er schien sich zu bäumen zwischen seinen beiden Helfern. Es war der letzte Höhepunkt seiner Ansprache. Dann verschwanden die zwei kleinen Gestalten dem Blick der Menge, und der ungeheure Gamacho, allein geblieben, trat vor und hob den Hut hoch über den Kopf. Dann setzte er ihn wieder auf und brüllte: »Ciudadanos!« Ein gewaltiges Aufschreien grüßte Señor Gamacho, den Hausierer aus dem Campo, den Kommandanten der Nationalgarde.

Oben ging Pedrito Montero hastig aus einem der verwüsteten Räume der Intendancia in den anderen und brummte unaufhörlich:

»Verdammte Dummheit! Diese Zerstörung!«

Señor Fuentes, der ihm folgte, unterbrach sein Schweigen mit der leisen Bemerkung: »Das ist alles das Werk Gamachos und seiner Nationalen.« Dann neigte er den Kopf auf die linke Schulter und preßte die Lippen so hart zusammen, daß in jedem Winkel ein kleines Grübchen erschien. Er hatte die Ernennung zum politischen Jefe der Stadt in der Tasche und war voller Ungeduld, sein Amt anzutreten.

Sie standen in dem langgestreckten Audienzsaal; die hohen Spiegel waren von Steinwürfen zertrümmert, die Vorhänge und der Baldachin über der Tribüne an dem einen Längsende in Fetzen zerrissen; das tiefe, dröhnende Summen der Menge und die schreiende Stimme Gamachos, der gerade unterhalb der Fenster seine Rede hielt, drangen durch die Läden zu den beiden Männern, die träge und verzagt dastanden.

»Das Vieh!« stieß Seine Exzellenz Don Pedro Montero durch zusammengebissene Zähne hervor. »Wir müssen trachten, ihn und seine Nationalen so schnell wie möglich zum Kampf gegen Hernandez hinauszuschicken.«

Der neue Jefe Politico neigte nur den Kopf zur Seite und machte einen Zug aus seiner Zigarette, zum Zeichen der Zustimmung zu diesem Plan, die Stadt von Gamacho und seiner lästigen Horde zu befreien.

Pedrito Montero sah angewidert auf den völlig nackten Fußboden und auf die Reihe schwerer Goldrahmen, die rings um den Raum liefen und aus denen die Überreste zerfetzter und zerschlagener Leinwand wie schmutzige Lumpen niederhingen.

»Wir sind keine Barbaren«, sagte er.

Das waren die Worte Seiner Exzellenz, des volkstümlichen Pedrito, des Guerilleros, des Meisters in der Kunst, Hinterhalte zu legen, der auf seine eigene Bitte von seinem Bruder mit der Umgestaltung Sulacos auf demokratischer Grundlage betraut war. Die Nacht zuvor, während der Beratung mit seinen Parteigängern, die ihm nach Rincon entgegengekommen waren, hatte er Señor Fuentes seine Absichten geoffenbart:

»Wir werden eine Volksabstimmung vornehmen, die mit Ja oder Nein die Geschicke unseres geliebten Landes der Weisheit und Tapferkeit meines heldenhaften Bruders, des unbesieglichen Generals, anvertrauen soll. Einen Volksentscheid. Verstehen Sie mich?«

Señor Fuentes hatte seine ledernen Wangen aufgeblasen, hatte den Kopf leicht auf die Seite geneigt und eine dünne bläuliche Rauchwolke zwischen aufgeworfenen Lippen hervorgestoßen. Er hatte verstanden.

Seine Exzellenz war außer sich über die Verwüstung. Kein einziger Stuhl, kein Tisch oder Sofa, keine Etagere oder Konsole waren in den Prunkräumen der Intendancia gelassen worden. Seine Exzellenz, obwohl kochend vor Wut, wurde von einem heftigen Ausbruch nur durch das Bewußtsein der eigenen Abgeschiedenheit und Vereinsamung abgehalten. Sein heldenhafter Bruder war sehr weit weg. Wie sollte er inzwischen seine Siesta halten können? Er hatte nach einem Jahre harten Feldlebens, das mit den Gefahren und Entbehrungen des Vorstoßes auf Sulaco geendet hatte, in der Intendancia Bequemlichkeit und Wohlleben zu finden gehofft – in der Provinz, die an Reichtum und Bedeutung den ganzen Rest der Republik überwog. Mit Gamacho würde er nach und nach quitt werden. Und Señor Gamachos Rede, ein Genuß für die Ohren des Volkes, ging weiter, in der blendenden Sonnenglut der Plaza, wie das rauhe Geheul eines niederen Teufels in einem weißglühenden Hochofen. Alle Augenblicke mußte er sich das schweißüberströmte Gesicht mit dem nackten Vorderarm abwischen. Er hatte den Rock abgeworfen und die Hemdärmel bis über die Ellbogen aufgekrempelt, den großen Dreispitz aber, mit weißen Federn, auf dem Kopf behalten. In seiner Einfalt schätzte er dies Abzeichen seines Ranges als Kommandant der Nationalgarde. Beifälliges, ernstes Gemurmel begrüßte seine Perioden. Er vertrat die Meinung, es sollte sofort der Krieg erklärt werden, an Frankreich, England, Deutschland und die Vereinigten Staaten, die durch die Einrichtung der Eisenbahnen, Bergwerke, Siedlungen und unter anderen nichtigen Vorwänden dieser Art das Ziel verfolgten, arme Leute ihres Bodens zu berauben und sie mit Hilfe dieser Barbaren und Paralytiker, der Aristokraten, zu elenden Arbeitstieren hinabzudrücken. Und die Leperos schwenkten die Zipfel ihrer schmutzigweißen Mantas und brüllten Beifall. General Montero, heulte Gamacho mit Inbrunst, sei als einziger dieser vaterländischen Pflicht gewachsen. Auch hierin stimmte ihm die Menge bei.

Der Morgen rückte vor; in der Menge zeigten sich schon Anzeichen der Auflösung, Strömungen und Wirbel. Einige suchten den Schatten auf, unter den Mauern und den Bäumen der Alameda. Reiter spornten sich schreiend ihren Weg; Gruppen von Sombreros, zum Schutze gegen die senkrechten Sonnenstrahlen waagerecht auf die Köpfe gesetzt, trieben in die Seitenstraßen ab, wo die offenen Türen der Pulperias mit kühlem, von Gitarrengezirp erfülltem Dunkel lockten. Die Nationalgarden dachten an die Siesta, und die Beredsamkeit Gamachos, ihres Führers, war erschöpft. Als sie sich später, in den kühlen Nachmittagsstunden, zu weiterer Erwägung öffentlicher Angelegenheiten nochmals zu sammeln versuchten, wurden sie von Abteilungen von Monteros Reiterei, die auf der Alameda lagerte, ohne Warnung im Galopp bis in die Seitenstraßen hineingejagt. Die Nationalgarden von Sulaco waren von diesem Vorgehen etwas überrascht. Aber sie waren nicht entrüstet. Kein Costaguanero hatte es je gelernt, die Verschrobenheiten einer militärischen Macht zu bekritteln. Sie gehörten zur natürlichen Ordnung der Dinge. Dies mußte wohl, schlossen sie, eine Verwaltungsmaßnahme sein, ohne Zweifel. Der Grund dafür entging ihrer unbeholfenen Auffassungsgabe, und ihr Führer und Redner, Gamacho, der Kommandant der Nationalgarde, lag betrunken und schlafend im Schoße seiner Familie. Seine nackten Füße lagen im Schatten beängstigend hoch, wie die eines Leichnams. Sein beredter Mund war aufgeklappt. Seine jüngste Tochter kratzte sich mit einer Hand am Kopf und schwenkte mit der anderen einen Zweig über seinem glühenden, sich schälenden Gesicht.

 


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