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III. Kapitel.

In Gmunden war Kurmusik. Ein zahlreiches, höchst elegantes Publikum erging sich auf der schattigen Esplanade oder saß bei der Konditorei, lauschte den Klängen der trefflichen Wiener Kapelle, freute sich des herrlichen Tages, versäumte dabei aber nicht, Neuigkeiten auszutauschen oder den lieben Nächsten zu bekritteln. Auch Nell und Christa schritten neben einander her, Christa im weißen gestickten Kleide und großem weißen Federhut, der ihr reizend stand, Nell im dunklen schlichten Rock und weißer Bluse, auf dem Kopf ihren weißen Matrosenhut, der durch den Regen auf der Tour über den Gangsteig nicht schöner geworden war.

»Du solltest dir einen neuen Hut kaufen, Nell,« sagte Christa und streifte ihn mit einem Blick des Unbehagens, »mit dem verregneten Ding kannst du dich hier wirklich nicht sehen lassen. Er ist ja hart wie ein Brett und knistert, sobald man ihn anfaßt.«

»Laß ihn doch. Mich stört das nicht, dich vielleicht?«

»Ein bißchen hübscher könntest du dich wirklich machen, Nell, dein Hut –«

»O, sieh doch, sieh,« unterbrach Nell sie lebhaft und zeigte nach dem Traunsee, an dem sich die Esplanade hinzog, »hast du nicht die Wettfahrt der beiden Gondeln beobachtet? Du sollst sehen, die weiße bleibt Siegerin.«

»Ach, komm doch weiter, so was kannst du zu Hause auf eurem See ja auch sehen.«

Forstassessor Baumgarten, der mit den beiden älteren Herren voranschritt, blieb stehen und gesellte sich zu ihnen.

»Hätten die Damen nicht Lust, mit auf den Kalvarienberg zu kommen und den Sonnenuntergang zu beobachten?« fragte er.

»O ja – ja –« rief Nell.

»Bloß nicht, hier ist es ja reizend,« wehrte Christa ab.

»Ich glaube aber, er wird heute besonders schön,« fuhr der Assessor fort.

»Kommen wir noch rechtzeitig hinauf?« forschte Nell.

»Wenn wir uns beeilen, ja.«

»Ich will's Väterchen sagen.«

»So laß uns doch hier bleiben,« redete Christa ihr zu, »was ist denn groß daran zu sehen. Ich gehe jedenfalls nicht mit, ich habe mich nicht so fein gemacht, um irgend einen dummen Berg raufzuklettern.«

»Und da ich nicht recht kurfähig bin, kannst du froh sein, mich auf so gute Manier los zu werden, Christa,« neckte Nell sie und ging ihrem Vater nach.

Der war sofort bereit und der Landgerichtsrat gleichfalls.

Christa war außer sich und fand Nell rücksichtslos und selbstsüchtig. Am liebsten wäre sie ins Hotel auf ihr Zimmer gegangen, da hätte es aber nachher eine Strafpredigt gegeben. So ging sie mit, aber sehr übellaunig und ohne sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Nell, nach einigen vergeblichen Versuchen, sie aufzuheitern, ließ sie links liegen, so daß Christa schließlich allein hinterher kam, scheinbar von niemand vermißt.

»Bitte, jetzt nicht umsehen,« rief der Assessor, als Nell endlich stehen blieb, die Freundin zu erwarten, »ich werde Fräulein Gerstinger ins Schlepptau nehmen.«

»Will's nicht gehen?« fragte er freundlich und stieg zu Christa hinab, »nehmen Sie bitte meinen Arm.«

»Danke. Es geht auch so.«

»Wie gnädiges Fräulein wünschen.«

Ein belustigtes Lächeln flog ihm um die Lippen, als er auf den hübschen Trotzkopf niedersah. Ihr weißes Kleid zierlich raffend, stieg sie neben ihm her, beide schweigend. Er ging von dem Grundsatze aus, trotzige Kinder austrotzen lassen, sie, anfangs ärgerlich über sein Schweigen, hätte dann gern eine Unterhaltung angefangen, wußte aber durchaus nichts zu sagen. Das machte sie verlegen, und als sie oben anlangten, hatte nicht nur die Anstrengung ihre Bäckchen hübsch rosig gefärbt.

»War es so schlimm?« fragte er, als er ihr schnelles Atmen gewahrte.

»Das Steigen fällt mir immer etwas schwer.«

»Jetzt kommt aber der Lohn. Drehen Sie sich bitte um, Fräulein Gerstinger.«

»Ja, es ist recht nett,« erklärte sie gnädig, errötete aber unwillig nach einem Blick in seine lustigen Augen, aus denen ihr tausend Schelme entgegenblitzten. Ein unausstehlicher Mensch, wie konnte er sich erdreisten, über sie zu lachen? Und nun rief er noch zu allem Überfluß zu Nell hinüber:

»Nicht wahr, Fräulein Wartenberg, es ist recht nett hier oben?«

»Wonnig ist es! über alle Beschreibung schön und herrlich – o – die Sonne – seht doch nur dies Flammenmeer!«

Alle wandten sich nach Westen. Die Sonne streifte noch die äußerste Spitze des gegenüberliegenden Traunstein, dann sank sie hinter dem Gmundenerberg, ließ aber eine wahre Feuerlohe zurück. In andachtsvollem Schweigen verharrten alle und genossen das seltene Schauspiel eines vollendet schönen Alpenglühens. Der Goldglanz auf dem Traunstein vertiefte sich zusehends zu leuchtendem Purpur, bis die starren Wände des mächtigen, fast senkrecht aus dem See aufsteigenden Felskolosses eine einzige glühende Masse zu sein schienen. Selbst auf den grünen Matten der Vorberge lag ein warmer Schein, und die Fenster der kleinen Fischerhütten drüben am Ufer strahlten die Glut des Himmels wieder, die lange, feurige Streifen über den See warf. Auch die Schwäne, die ihn belebten, waren rosig überhaucht, und die langsam dahingleitenden Boote zogen leuchtende Furchen.

Allmählich verblaßte die Glut, violette Schatten krochen langsam die Felswände hinan und wandelten sie wieder in kaltes, graues Gestein. Nell atmete tief auf und lief ohne ein Wort ein Stückchen hinunter. Sie mußte den gewaltigen Eindruck in aller Stille in sich verarbeiten. Wie wunderschön war doch der See im Kranze seiner Berge, im Süden abgeschlossen durch das Toten- und das mächtige Höllengebirge. Im Osten durch den Erlakogel, den dräuenden Traunstein und den Grünberg. Zu Füßen die Stadt, nach Westen hin von lieblich grünen Bergen umrahmt, davor der See mit prächtigen Villen in wohlgepflegten Gärten und blühenden Dörfern längs seiner Ufer.

»Gefällt es Ihnen?« fragte eine Stimme halblaut das völlig versunkene Mädchen.

»Ach – ich kann es nicht aussprechen, wie sehr! Ich freue mich so, daß Sie uns heraufgeführt haben, Herr Assessor, ich danke Ihnen!« Und mit strahlendem Lächeln streckte sie ihm die Hand hin, die er kräftig drückte.

»Es ist mir vielleicht die größte Freude gewesen, Fräulein Wartenberg. Und was beginnen wir morgen? In die Weite schweifen?«

»Und das Gute liegt so nah – ich schlage vor, wir lernen erst mal die nächste Umgegend kennen, es ist ja alles so zauberhaft schön. Aber Sie wollten doch auf Hochtouren.«

»Ich hoffe immer noch, daß Sie –«

»Nein, bitte, auf mich rechnen Sie nicht, Herr Assessor, das ist nichts mehr für meinen Vater und ohne ihn möchte ich nicht.«

»Dann machen wir morgen früh einen Spaziergang an der Traun entlang und fahren nachmittags zum Traunfall, das heißt, wenn den Herrschaften mein Vorschlag genehm ist.«

»Das wird er sicher. Ich möchte aber auf Fräulein Gerstinger warten.«

In Begleitung der beiden Väter kam Christa heran, immer noch verstimmt, wie Nell sofort sah.

»Ist's nicht himmlisch hier, Christelchen?« rief sie ihr zu und wollte ihre Hand ergreifen, ward aber zurückgestoßen. »Was hast du denn? Du tust ja wie ein kleines Böckchen?«

»Das soll ich wohl empfinden, wenn sich keiner um mich kümmert,« brach Christa zornig los und blieb etwas zurück, »Papa hat auch keinen Blick für mich –«

»Darüber sei doch heil froh,« unterbrach Nell sie lachend, »es setzte höchstens Schelte.«

»Und du – und du – du bist in ewiger Begeisterung und denkst dir mit dem greulichen Menschen die anstrengendsten Touren aus. Wäre der doch auf dem Dachstein geblieben, der verdirbt uns hier bloß das Zusammensein.«

»Aber Christa, wenn er dich hörte.«

»Mir ganz egal. Meinetwegen kann er noch heute Abend abreisen.«

Die Nell schüttelte den Kopf. »Ich begreife nicht, Mädchen, was dich so in Harnisch bringt, daß du aber die Backfischschuhe erst vor kurzem ausgezogen hast, das merkt man. Sei doch lieb, Böckchen.«

»So sollst du mich nicht nennen, ich will's nicht.«

»Und ich tu's doch, sobald du dies Gesicht aufsetzest. Als Böckchen bist du wirklich nicht ein bißchen hübsch, Christelchen.«

»Brauchst mich ja nicht anzusehen.«

»Nein, nötig hab ich's nicht und ein erfreulicher Anblick ist's auch nicht,« erklärte Nell und dann schritten sie schweigend neben einander her.

Sehr kühl trennten sie sich am »Hotel Bellevue«, dann wanderten Väterchen und Nell mit dem Forstassessor weiter zum »Goldenen Hirschen«, wo sie verhältnismäßig billig und gut wohnten.

»Es freut mich recht für dich, Kind, daß wir so netten Anschluß gefunden haben,« sagte der Postdirektor, als er später mit der Tochter die Treppen zu ihren Zimmern hinaufstieg.

»Ja, es ist reizend, aber Väterchen, du und ich allein, darüber geht doch nichts.«

»Hast recht, Tochter, mir geht's genau so. Ist mir der größte Genuß, mit meinem Kameraden zu wandern.«

»Sobald es einmal paßt, rücken wir aus, Väterchen.«

»Wenn wir dann nur nicht wieder auf dumme Streiche verfallen, Nell. Seit wir in Gesellschaft reisen, geht alles merkwürdig glatt.«

»Bin ich dir zu fügsam, Väterchen?«

»Schlingel du! Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Väterchen.«

* * *

Während der Nacht entlud sich ein Gewitter. Morgens regnete es, und Erich Baumgarten zog allein ab, die nächste Umgegend zu durchstreifen. Nell ging auf ihr Zimmer und schrieb Briefe. Da klopfte es, und Christa trat ein mit rosigen Wangen, glänzenden Augen, ein Lächeln auf den Lippen. Bildhübsch sah sie aus.

»Guten Morgen, Thusnelda! Einen schönen Gruß von Papa und er läßt dich einladen, mit uns bei Konditor Wiesinger zu frühstücken.«

»Ei der Tausend!« Nell warf ihre Feder hin und sprang auf. »In einer Konditorei frühstücken, das hab ich in meinem Leben noch nicht getan. Hochfein ist das ja. Aber Christel –« der Schelm lachte ihr aus den Augen – »geniert dich mein Hut nicht?«

»Ach – liebe, einzige Nell – du kaufst dir schnell einen andern, ja? Mir zu Liebe! Haben mußt du doch einen, und dies ist eine so gute Gelegenheit.«

»Mein sauer gespartes Geld in Putz und Tand anlegen? Was denkst du nur! Ich will doch all meinen Lieben was Nettes mitbringen, da bleibt nichts für so unnütze Ausgaben.«

»Ja – aber –«

»Komm mir nicht mit Wenn und Aber, Christelchen, einen neuen Hut gibt's nicht. Bin ich dir in meinem verregneten, immerhin noch anständigen, nicht elegant genug, so müssen sich unsere Wege trennen. Da – setz dich hin –« sie schob sie in einen Stuhl, »denk über den Fall nach. Hast du dich entschieden, so sag es.«

Sehr energisch hatte die Nell gesprochen; ohne sich weiter um die Freundin zu kümmern, kehrte sie an ihren Tisch zurück und schrieb an ihrem Brief weiter. Christelchen saß völlig verblüfft. Die Nell sprang ja mit ihr um, als sei sie ein kleines Kind. Das brauchte sie sich wahrlich nicht gefallen zu lassen. Schon wollte sie entrüstet aufspringen, sie blieb aber sitzen. Das Mädchen imponierte ihr. Hat das Geld und kauft keinen Hut, sondern macht lieber andern eine Freude. So etwas wäre dem Christelchen nie eingefallen. Die hatte sich nur immer verwöhnen und verziehen lassen und nie daran gedacht, auch mal zu geben. Nachdenklich sah sie zu der emsig Schreibenden hin. Verdrießlich war es wirklich, hier in dem hochfeinen Gmunden mit ihr in dem häßlichen Hut herumzulaufen, aber ihr deshalb die Freundschaft kündigen?

Im nächsten Augenblick fühlte die Nell sich umfaßt. »Liebe, Einzige, behalte dein Scheusal, dich kann ich nicht hergeben.«

»Hurra,« Nell sprang auf, »bravo, Christelchen! Nun bist du meine wirkliche Freundin.«

»Nun kann uns nichts mehr trennen, Nell.«

»Nein, wenn es dem Scheusal nicht gelungen ist, eine schwerere Prüfung wird es kaum geben. Und nun will ich mich schnell fertig machen.«

»Nein, Nell, erst müssen wir uns zur Besiegelung unserer Freundschaft einen Kuß geben.«

Die Nell lachte. »Ist das durchaus nötig? Ich bin im allgemeinen nicht sehr für Zärtlichkeiten, aber wenn du es gern willst – also –«

»Nein, Nell, lachen darfst du nicht.«

»Tu' ich ja nicht. Bin ja todernst. Also – eins – zwei – drei – so, abgemacht. Zufrieden, Schatzkind?«

»Du tust gerade, als hättest du saure Milch gegessen,« schmollte Christa.

»Mag ich schrecklich gern.«

»Ich nicht – brrr! Aber bei Wiesinger gibt es pikfeine Schokolade mit Schlagsahne. Mach schnell, daß du fertig wirst.«

Vergnügt begaben sich beide auf den Weg, nachdem sie Väterchen, der im Lesezimmer saß, benachrichtigt hatten.

Der Landgerichtsrat erwartete die Mädchen schon und führte sie in die Konditorei.

»Ich habe soeben gehört, daß in nächster Zeit der übliche Korso stattfinden soll,« berichtete er.

»O Papa, dazu bleiben wir doch hier? Und ihr, Nell?«

»Ich will mit Väterchen sprechen. Wenn's nicht zu teuer wird, bleiben wir vielleicht auch. Mir gefällt es hier großartig.«

»Dann mieten wir ein Boot und fahren den Korso mit, nicht, Papa?« schmeichelte Christa.

»Das weiß ich heute noch nicht, Kind,« wehrte er ab.

»Es ist nur, ich müßte mich dann schnell für ein Kostüm entscheiden, weil es ja noch angefertigt werden muß,« beharrte Christa, »was wäre wohl am schönsten, Nell? Was möchtest du am liebsten?«

»Ich komme überhaupt nicht in Betracht, ich will ja nur zuschauen. Aber sieh, es klärt sich auf, du sollst sehen, heute Nachmittag ist das schönste Wetter.«

Sie behielt recht, gleich nach dem Essen, zu dem sich der Forstassessor wieder einfand, konnte die Partie nach dem Traunfall unternommen werden.

Die Fahrt mit der Flügelbahn ließ sich Christa gefallen, den Weg durch den noch nassen Fichtenwald fand sie jedoch schauderhaft und zürnte heimlich dem Papa, daß er nicht lieber einen Wagen genommen hatte. Sie vergaß ihren Ärger jedoch, als sie sich dem breiten, dreizehn Meter hohen, wild herabstürzenden Fall gegenüber befanden.

Das Tal schob sich hier ziemlich eng zusammen zwischen steil ansteigenden Felsen, mit prachtvollen alten Fichten bestanden. Feine Moose, breitblättrige Farne, üppig wuchernde Schlingpflanzen hingen leicht von dem Gestein hernieder und wiegten sich im Winde. Überall funkelten auf den feinen Blättchen Tropfen, wie Perlen, von dem sprühenden Wasser darübergestreut. Wirre Felsriffe im Flußbett, über die die stürzenden Wasser hinwegtobten, erhöhten die Romantik. Selbst Christa konnte dem Zauber nicht widerstehen, sie war jedoch so erfüllt von dem Gedanken an den bevorstehenden Korso, daß sie, sobald sie den Fall verlassen hatten, wieder davon zu sprechen begann.

Das empörte die Nell. »Wie kannst du sofort wieder solche Nichtigkeiten im Kopfe haben,« schalt sie, »hast du denn gar keinen Sinn für die Größe der Natur, Mädchen?«

»O doch! Ich kann mich deswegen aber doch auf das Fest freuen. Weißt du, Nell, heute Abend schreibe ich an Großmama, die verhilft mir dazu, die Fahrt mitzumachen, Papa ist in solchen Dingen immer ein bißchen schwierig.«

»Du hast nur Sinn für Vergnügungen,« rief Nell ärgerlich, ließ Christa stehen und wanderte mit langen Schritten den andern voran durch den Wald nach der kleinen Station. Auf dem Bahnsteig schritt sie noch immer erregt auf und nieder, als die drei Herren mit Christa anlangten.

»Nun, Tochter, was heißt das, daß du dich so absonderst?« fragte Väterchen, zu ihr tretend.

»Wir passen nicht zu einander,« sprudelte sie zornig hervor, »das Mädchen ist ganz ohne Gemüt und Tiefe, hat nur Sinn für elenden Tand. Ich will nicht länger mit ihr zusammen sein, alles Schöne verdirbt sie mir. Wir reisen morgen weiter.«

»So o – o – ich auch?« Väterchen zog die Augenbrauen hoch und machte ein so überwältigend komisches Gesicht, daß die Nell zu jeder andern Zeit sicher gelacht hätte. »Ja, du auch,« entgegnete sie kurz, »du tust es mir zu Liebe.«

»Hm. Also schön, Tochter. Wir sprechen heute Abend noch darüber. Im übrigen meine ich, Thusnelda, du willst Lehrerin werden?«

»Gewiß. Was hat das mit dieser Christa zu tun?«

Ein Lächeln huschte Väterchen um die Lippen. »Es sollte mich doch wundern, wenn meine kluge Tochter das nicht herausfände. Und nun komm, man könnte uns für ungebildet halten.«

Da kam Christa angeflogen und legte ihren Arm in Nells. »Du,« raunte sie ihr leise zu, »er ist gar kein schrecklicher Mensch, er hat sich reizend mit mir unterhalten und mir entzückende Vorschläge gemacht, wie ich mein Boot schmücken und danach meine Toilette wählen kann. Warum bist du fortgelaufen, Nell? Bist du so böse, weil ich mich auf das Fest freue? Das ist doch kein Unrecht?« Mit der Miene eines schmollenden und doch unendlich reizenden Kindes sah sie auf, ein bittendes Lächeln auf den Lippen. »Man kann ihr doch nicht widerstehen,« dachte die Nell.

»Freu dich nur, Christa,« entgegnete sie, im Grunde ihres Herzens fühlte sie sich der Kleinen aber doch überlegen.

Auf der Fahrt sann sie über Väterchens Worte nach. Sie konnte das, ohne unhöflich zu sein, da sie zufällig abgesondert von den übrigen saß. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Das war wieder ihre Unduldsamkeit, die sich sofort breit machte, wenn einer nicht so war und nicht so wollte, wie sie es für gut hielt. Ja – war sie denn so maßgebend oder so vollkommen? Ziemte es sich nicht viel besser für sie, die künftige Lehrerin, sich in freundlicher Duldsamkeit zu üben, als über die Fehler anderer haarscharf abzuurteilen?

In Gmunden angekommen, war sie die erste draußen.

»Nell –« Christa war sofort neben ihr, »wir haben noch gar nichts von einander gehabt. War es nicht eine wunderschöne Tour? Du – Nell –« sie sah sich vorsichtig um, »wie findest du ihn? den Assessor meine ich. Ist er nicht nett?«

»Ja, sehr nett.«

»Er sagte, ich wäre heute sehr tapfer gewesen, das Salzkammergut bekäme mir ausgezeichnet. Papa strahlte förmlich. Ich bin auch so froh, ordentlich glücklich. Das kommt, weil ich dich gefunden habe, du liebe, große, tatkräftige Nell.«

Die Nell errötete heiß.

»Darf ich den Traunstein grüßen, meine Damen?« fragte der Assessor, als sie beim Hotel anlangten, »morgen in aller Frühe breche ich auf.«

»Ja, bringen Sie dem alten Herrn unser Kompliment, wir ließen um recht schönes Edelweiß bitten,« scherzte Christa.

»Das zu pflücken ist oft gefährlich,« rief Nell, »es dürfen auch Alpenrosen sein, Herr Forstassessor, oder was der alte Herr sonst Schönes zu vergeben hat.«

»Wird wohl nicht viel zu holen sein da oben,« meinte der Landgerichtsrat und verabschiedete sich mit Christa. Der Assessor ging, noch einmal Rücksprache mit dem halbwegs bestellten Führer zu nehmen, und Väterchen und Nell schlugen den Weg zum Goldenen Hirschen ein.

»Nun, Tochter, packen wir heute Abend noch unsern Koffer?«

»O, Väterchen, nein! Wie gut, daß du mir die Augen geöffnet hast. Ich war auf dem besten Wege, eingebildet und unduldsam zu werden, und das darf nicht sein.«

»Hast die schönste Gelegenheit, dich an der kleinen Christa in edler Duldsamkeit zu üben und wolltest davonlaufen,« neckte Väterchen. »Also: bleiben wir.«

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