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Der Anklage fünfter Teil. Die Mordrede

I. (1) Hoher Gerichtshof!

Niemand zweifelt mehr daran, daß Gaius Verres in Sicilien ganz offen alle geistlichen und weltlichen Schätze geplündert hat, und daß er ohne jegliche Gewissensfurcht, ohne Scheu, ja ohne sich auch nur die Mühe der Verstellung zu geben, seine zahllosen Raubzüge vollführte. Aber da wird nur nun zu seiner Verteidigung ein gar prächtiges, vollklingendes Wort entgegengehalten werden, dem zu widerstehen ich mich beizeiten in acht nehmen muß. Man stellt nämlich die Sache so dar, daß es heißt: die Provinz Sicilien wurde durch seine stets wachsame Energie in schweren, angstvollen Zeiten gegen Sklavenaufruhr und Kriegsgefahr mit bestem Erfolge geschützt. – (2) Was soll ich thun? Wie kann ich nun meine Klage einrichten? Wohin mich wenden? Wo ich auch meinen Angriff unternehme, überall steht mir wie eine Mauer der Titel eines guten Feldherren gegenüber. Ich kenne den Punkt, ich weiß, wo sich Hortensius ins Zeug legen wird. »Kriegsgefahren – politische Bedrängnis – Mangel an militärischen Talenten«, das werden seine Schlagworte sein; dann wird er für die Vergehen hübsch um Nachsicht bitten und schließlich seine Verteidigungsrede auf eine Phrase etwa folgender Art hinauslaufen lassen: »Darum gebet nicht zu, daß ein solcher Feldherr uns durch die sicilianischen Zeugenaussagen entrissen werde, noch daß seinen Feldherrnruhm der Vorwurf der Habsucht verdunkele.« (3) Ich kann es nicht leugnen, meine Herren: ich fürchte wirklich, Verres wird wegen dieser ausgezeichneten militärischen Verdienste mit all seinen Verbrechen straflos ausgehen. Unwillkürlich muß ich an den Prozeß des Manius Aquilius denken und an den niederschmetternden Effekt von Marcus Antonius' Plaidoyer: bekanntlich entfaltete dieser beim Reden nicht allein große Klugheit sondern auch die nötige Courage, und wie er schon beinahe fertig war, ergriff er den Manius Aquilius, stellt' ihn mitten vor allen Leuten hin, entblößt' ihm die Brust, so daß all die versammelten Römer nebst den Richtern seine ganze Frontseite voller Narben sehen konnten, redete dann noch ausführlich von der Kopfwunde, die ihm der feindliche Kommandeur im Zweikampfe beigebracht Manius Aquilius schlug den sicilischen Sklavenaufstand nieder und tötete den Bandenführer Athenion im Zweikampfe; in seinem Erpressungsprozeß ward er wirklich trotz erwiesener Schuld freigesprochen. , kurz, der Gerichtshof sagte sich mit Schrecken, aber einmütig: »Das Schicksal hat den Mann mitten aus dem Geschoßregen, wo er sich selber nicht schonte, gerettet; nun soll man denken, es hätte ihn nicht zum Ruhme Roms erhalten, sondern für einige grausame Richter aufgespart? Unmöglich!« (4) In derselben Weise wird jetzt hier eine Verteidigung in Scene gesetzt, auf denselben Erfolg sehen sie's ab. »Gut«, sagen sie, »mag sein, er ist ein Dieb, ein Bilderstürmer, ein Tempelschänder, ein Souverän im Reiche der Gaunerei und des Lasters: aber er ist ein guter Soldat, er hat Glück in den Waffen, und darum muß man ihn für kritische Zeiten aufheben.« II. Ich will nicht nach strengstem Rechte mit dir verfahren: ich will gar nicht, was ich wohl könnte, darauf bestehen, daß jeder Gerichtshof auf ein bestimmtes Gesetz hin berufen wird, daß du folglich verpflichtet bist, uns hier nicht über deine militärischen Erfolge, sondern über deine Zurückhaltung gegenüber fremdem Eigentume zu belehren; wie gesagt, auf alle dem will ich gar nicht bestehen, vielmehr auf deine Intentionen eingehen und einmal untersuchen, was du denn eigentlich für Kriegesthaten zu verzeichnen hast.

(5) Zunächst willst du Sicilien im Sklavenkriege durch deine Führung gerettet haben. Das wäre ein schönes Werk und ein starkes Motiv für die Verteidigung. Aber welchen Krieg meinst du denn? Wir wissen alle, daß seit dem entscheidenden Siege des Manius Aquilius in Sicilien kein Sklavenaufstand mehr ausgebrochen ist. – »Aber in Italien.« – Allerdings, und zwar ein sehr großer und heftiger. Also bei dieser Gelegenheit willst du Ehre eingelegt haben? Pompeius und Crassus sollen wohl den Siegerruhm mit dir teilen? Das fehlte gerade noch, daß deine Unverschämtheit sich so weit verstiege, aber ich glaube, das ist selbst für dich zu viel. Ach ja, du willst den aufständischen Truppen den Rückzug aus Italien nach Sicilien abgeschnitten haben. So? Wann denn, und wo, und von wo aus? Welchen Versuch machten sie denn, zur See vorzudringen? Wir haben nie davon etwas gehört, dagegen das wissen wir, daß der tapfere Marcus Crassus durch kluge und energische Maßregeln die Insurgenten verhinderte, in der Meerenge von Messana eine Schiffbrücke zu schlagen und sich so auf die Insel zurückzuziehen; die Vereitelung dieses Planes wäre gar nicht so dringend notwendig gewesen, wenn in Sicilien irgendwelche Streitkräfte zu ihrem Empfang bereit gestanden hätten. – (6) »Immerhin wurde der Krieg, der sich in Italien so nahe bei Sicilien abspielte, nicht auf die Insel mit ausgedehnt.« – Sehr natürlich; hin ist es so weit wie her, und solange in Sicilien gekämpft wurde, blieb das Festland ebenfalls völlig unberührt. III. Was hat überhaupt die Nähe der Lokalitäten hier mit unserer Sache zu thun? Weswegen spricht man davon, etwa wegen des bequemen Zuganges für den Feind oder wegen der Gefahr, daß der Aufruhr sich ausdehnte? Nun, ein Zugang existiert dort für Menschen ohne alle Seemacht überhaupt nicht; wer keine Flotte hat, kann nicht übers Meer, und die Insurgenten, die angeblich Sicilien bedrohten, wären leichter an den Atlantischen Ocean als ans Kap Pel ōris gelangt. (7) Was aber die Ausdehnung des Sklavenaufruhrs betrifft, so ist es ganz eigentümlich, daß nur du davon redest und kein Statthalter irgend einer anderen Provinz; die Präzedenzfälle beweisen nichts, im Gegenteil, gerade weil Sicilien früher von solchen Revolutionen heimgesucht war, herrscht jetzt daselbst andauernd tiefer Friede. Seitdem nämlich Aquilius die Provinz verlassen, besteht das von allen Statthaltern stets streng durchgeführte Gesetz, daß Sklaven unter keinen Umständen Waffen tragen dürfen. Ihr kennt gewiß Alle jenen Fall aus der Amtsperiode des Lucius Domitius, der sich allerdings vor längerer Zeit dort abspielte, aber wegen seiner exemplarischen Strenge so leicht nicht in Vergessenheit gerät: ein ungeheurer Eber ward dem Prätor gebracht, und als er auf die Frage, wer denn das Wild erlegt hätte, die Antwort erhielt »ein Hirt vom Gut eines Privatmannes,« ließ er ihn sofort rufen. Begierig eilte der Sklave zum Landvogte, voller Hoffnung auf Lob und Lohn; statt dessen fragte Domitius, wie er denn ein solches Riesentier bewältigt hätte, und auf die Antwort »mit einem Jagdspieß« ließ er ihn sofort an den Galgen schleppen. Das wird man hart finden, und ich will darüber nicht streiten; aber ich verstehe, daß Domitius lieber grausam als lässig schalten wollte. III. (8) Bei solchen Verhältnissen hatte es selbst ein gewiß weder sehr energischer noch sehr mutiger Mann wie Gaius Norbanus in Sicilien höchst bequem, während bereits durch ganz Italien der Bundesgenossenkrieg tobte; Sicilien schützte sich eben selbst, und somit war dort jede Gefahr eines Aufruhrs ausgeschlossen. Dafür bürgten schon die Handelsverhältnisse, das vollkommen herzliche Einvernehmen der Kaufleute hüben und drüben; für die Sicilianer selbst war die Erhaltung des Friedens oberste Existenzbedingung, außerdem besitzen sie eine solche Anhänglichkeit ans römische Reich, daß ihnen jede Schwächung unserer Macht zuwider ist, und schließlich waren sie gegen die Gefahr des Sklavenkrieges durch die Maßregeln der Landvögte wie durch die strenge Zucht der Grundbesitzer dermaßen geschützt, daß an die Entstehung einer politischen Krise aus dem Schoße der Provinz gar nicht zu denken war.

(9) Was folgt hieraus? Zunächst muß man annehmen, daß in Verres' Amtsperiode keinerlei geheime Verschwörungen oder sonstige Sklavenbewegungen in Sicilien vorkamen; thatsächlich hat unser Senat und Volk nie etwas derart erfahren, hat Verres in seinen amtlichen Berichten nie so etwas erwähnt, und doch, scheint mir, muß sich das Sklavenvolk stellenweise in Sicilien geregt haben. Ich entnehme das weniger aus der Sache unmittelbar als aus der Handlungsweise des Verres. Da könnt ihr sehen, wie unparteiisch ich vorgehe: ich selber will das herausbekommen und zur Sprache bringen, was er euch zu beweisen sich bis jetzt vergeblich bemüht. (10) Da kam in Triókala, wo die Insurgenten sich schon früher einmal festgesetzt hatten, das Gesinde eines Sicilianers Namens Leónidas in den Verdacht revolutionärer Absichten. Die Sache wurde dem Verres gemeldet. Sofort wurden, wie sich's gehört, die in Frage kommenden Personen verhaftet, nach Lilybaion gebracht, ihrem Herrn eine Vorladung zugeschickt, ein Verhör angestellt, die Menschen verurteilt.

V. Aber nun – ja, was denkt ihr wohl? Vielleicht spitzt ihr euch auf eine kleine Gaunerei, einen Diebstahl? Aber ich bitt' euch, suchet doch nicht überall dasselbe. Wenn Krieg droht, hat mein Angeklagter keine Zeit zu stehlen; oder, wenn sich diesmal eine Gelegenheit fand, so hat er sie nicht benutzt. Er hätte damals dem Leonidas ein hübsches Sümmchen abnehmen können, wie er ihm die Vorladung schickte; es giebt eine Manier zu markten (Verres kannte sie wohl) damit ein Prozeß unterdrückt wird; oder man kann's auch so einrichten, daß Schuldige freigesprochen werden; sind aber Sklaven erst einmal verurteil, dann giebt's nichts mehr einzustecken. Sie müssen aufs Schafott: die Zeugen sind nämlich da, das ganze Richterkollegium, die Prozeßakten, die vortreffliche Bürgerschaft von Lilybaion, die mächtige, vollzählig versammelte Genossenschaft römischer Bürger daselbst: es ist nichts zu machen, sie müssen bluten. So werden sie denn vorgeführt und an den Pfahl gebunden. (11) Noch immer les' ich in euren Mienen die Erwartung, wie es denn weiter ging, weil der Herr hier nie etwas ohne Profit für sich besorgte. Was könnt' er aber unter solchen Umständen thun? Erwartet nur immer so viele Spitzbubenstreiche, wie es euch beliebt; ich mache doch noch alle Erwartungen zu schanden. Die Menschen waren des Hochverrats und der Verschwörung überführt, zum Tode verurteilt, zur Hinrichtung geführt, bereits an den Pfahl gefesselt: da wurden sie plötzlich, in Gegenwart vieler Tausende von Zuschauern, losgebunden und zu ihrem Herrn nach Triokala zurückgeschickt.

Was kannst du jetzt noch sagen, Elender? Höchstens das Eine, wonach ich nicht frage – denn bei einer solchen Scheußlichkeit käme gar nichts darauf an, selbst wenn man noch zweifeln wollte, was wir alle nicht thun – nämlich wie hoch und in welcher Weise du bezahlt worden bist. Das alles erlaß ich dir; ich befreie dich von dieser Sorge; denn ich fürchte nicht, daß man dir zutraut, ein Verbrechen umsonst begangen zu haben, das andere nicht für alles Geld der Welt verüben würden. Aber ich will ja heute nicht von deinen Diebereien reden, sondern von deinem Feldherrntalent VI. (12) Was sagst du nun, du braver Hort und Hüter der Provinz? der du aufrührerische Sklaven, gerichtete und schuldig befundene Rebellen nach geschlossener Verhandlung im äußersten Momente der gerechten Todesstrafe entrissest, offenbar um das für verurteilte Sklaven errichtete Schafott nun für unverteidigte römische Bürger bereit zu halten. Es ist in der Regel bei verkommenden Staaten, wenn bereits alle Mittel erschöpft, alle Aussichten zerstört sind, ein Zeichen des letzten Stadiums, das direkt zum Untergange führt, wenn Verurteilte wieder ihre alte Stellung erhalten, Gefangene befreit, Verbannte in die Heimat zurückgerufen, Gerichtsbeschlüsse aufgehoben werden. Sobald es dahin kommt, weiß jeder: nun geht's zu Ende, keine Hoffnung ist mehr vorhanden, der Staat kracht zusammen. (13) Und doch, wenn solche Fälle eintraten, so ward wohl einzelnen nur wegen politischer Motive verurteilten Männern der Volks- oder Adelspartei Verbannung und Todesstrafe erlassen, und zwar nicht von denselben, die über sie zu Gericht gesessen hatten, auch nicht sofort, auch nicht Verbrechern, die wegen eines Anschlages gegen Leib und Leben Aller verurteilt worden waren. Dagegen ist es etwas Neues und schon an sich ganz unglaublich, daß ein Gerichtspräsident Sklaven vom Schafott wegführen läßt, nachdem diese Sklaven es auf das Blut der Freien abgesehen hatten und wegen gemeinen Verbrechens verurteilt waren. So etwas ist nur bei Verres möglich!

(14) Welch ein trefflicher Feldherr! Man darf ihn schon gar nicht mehr mit einem Soldaten wie Aquilius, sondern nur noch mit Heroen wie Aemilius Paullus, Scipio oder Marius vergleichen. Wie umsichtig trat er auf in der für die Provinz so gefahrvollen Situation! Kaum merkt er, daß der Ausstand entlaufener Sklaven in Italien auch nach Sicilien seine Flammenzungen hinübersprühen will, da tritt er auf, Schrecken verbreitend, daß keiner sich zu rühren wagt. Er läßt die Übelthäter verhaften: alles ist eingeschüchtert. Er läßt ihren Herrn vorladen: ihr Schicksal scheint besiegelt. Er spricht sein »Schuldig!« aus: und die schon lohende Flamme, des allgemeinen Verderbens scheint durch das Blut von ein paar Sündern erstickt. Aber was geschieht nun? Werden sie ausgepeitscht, mit glühenden Zangen gezwickt oder durch die Vorbereitung auf die äußerste Strafe, die Kreuzigung, erschreckt? Nein, alles wird ihnen erlassen. Was müssen nun alle Sklaven, die sich etwa noch mit Umsturzgedanken trugen, vor diesem Landvogte für einen Respekt gehabt haben, wenn sie sahen, daß er den schon verurteilten Anstiftern durch den Scharfrichter selbst die erkaufte Gnadenbotschaft übersandte!

VII. (15) Und wirklich, bei Aristod āmos in Apollonia, bei Leon in Imachara verfuhr er ganz ebenso. Hat also jene Bewegung mit ihrer Möglichkeit einer Kriegsgefahr dich endlich zu einem wachsamen Hüter der Provinz gemacht, oder hat sie dich vielmehr ein neues Mittel gemeiner Geldschneiderei gelehrt? Ein angesehener Edelmann in Halikye, Namens Euménidas, hatte sich für vieles Geld einen Verwalter gekauft, der dann plötzlich auf deinen Antrieb hin verdächtigt und angeklagt wurde; da ließest du dir schleunigst von seinem Herrn sechzigtausend Sesterzen auszahlen, wie dieser selbst neulich unter Berufung auf seinen Zeugeneid mit allen Details berichtete. – Gaius Matrinius, ein römischer Ritter, war gerade nach Rom gegangen; du benutztest seine Abwesenheit, um gegen seine Aufseher und Hirten Verdachtsmomente aufzustellen und ihm damit 600 000 Sesterzen abzupressen. Zeugen hierfür sind, außer Matrinius selbst, dessen Geschäftsführer Lucius Flavius, der dir die genannte Summe auszahlte, und eine so hochstehende Persönlichkeit wie der Reichsschatzmeister Gnaeus Lentulus, der, um dem Matrinius eine Aufmerksamkeit zu erweisen, unmittelbar nach dem Vorfall an dich schrieb und Andere zu ähnlichen Briefen veranlaßte.

(16) Auch die Geschichte aus Panormos von Apollonios, mit Beinamen Geminos, des Diokles' Sohn darf ich unmöglich auslassen; in ganz Sicilien hat sie sich herumgesprochen, als eine der skandalösesten, die man je erlebt. Als Verres nämlich nach Panormos kam, ließ er den Mann plötzlich vor sein Tribunal citieren. Bald füllte sich der Markt mit Menschen, und an ihrem Gemurmel konnte man merken, was ihre Neugierde so erregte. »Ja,« hieß es, »ich wundere mich schon lange, daß er so einen wohlhabenden Menschen wie Apollonios immer noch verschont läßt. Er muß sich etwas Besonderes ausgedacht haben; jetzt wird's herauskommen; wenn Verres plötzlich einen reichen Mann vor Gericht laden läßt, so hat das seinen ganz bestimmten Grund.« Alles war auf diesen Grund höchlich gespannt, da kommt Apollonios selber mit seinem heranwachsenden Sohn atemlos angelaufen; sein Vater, hochbejahrt, konnte schon längst das Bett nicht mehr verlassen. (17) Nun nennt Verres den Namen eines Sklaven, der angeblich bei Apollonios die Aufsicht über die Hirten führe und anarchistischer Umtriebe dringend verdächtig sei. Der Sklave war im ganzen Gesinde nicht vorhanden. Verres befiehlt, man soll ihm sofort den Sklaven schaffen. Apollonios versichert hoch und teuer, einen Sklaven jenes Namens hab' er in seinem ganzen Hause nicht; da läßt ihn Verres ohne weiteres ergreifen und ins Gefängnis werfen. Während der Unglückliche abgeführt wird, ruft er laut, er habe keine Schuld, habe nichts Schlimmes gethan; ferner: sein Geld hab' er in verschiedenen Posten ausstehen, bar hab' er für den Moment nichts zur Verfügung. Das bezeugt' er laut vor der zahlreich versammelten Bürgerschaft, so daß jeder merken konnte, er wurde nur deshalb so furchtbar bestraft, weil er den Landvogt nicht bestochen hatte; aber nichts half, er mußte ins Gefängnis. VIII. (18) Man beachte die vollkommene Konsequenz im Verfahren dieses Prätors, der ja hier nicht wegen mangelhafter Amtsführung verteidigt, sondern wegen glänzender Kriegführung gepriesen wird. Als ein wirklicher Sklavenaufstand zu befürchten war, erließ er den verurteilten Knechten die Todesstrafe, um die gleiche Strafe über freie Bürger ohne Prozeß zu verhängen; jetzt, wo von keiner Gefahr die Rede war, läßt er den reichen Apollonios, der im Fall einer wirklichen Revolution sein ganzes großes Vermögen verloren hätte, unter dem nichtigen Vorwand einer solchen vor Gericht laden und willkürlich ohne ordentliches Verhör ins Gefängnis werfen; dagegen sprach er Sklaven, die er in Übereinstimmung mit dem hohen Rat anarchistischer Umtriebe für schuldig befunden hatte, auf eigene Faust ohne Zuziehung des Rates von aller Strafe los und ledig. (19) Ist das nicht unerhört? Werden wir je, wenn Apollonios wirklich irgendwelche Ursache zu gerichtlichem Einschreiten gegen ihn gegeben hat, werden wir da den vorliegenden Prozeß so führen, daß wir dem Angeklagten gleich Neid oder Bosheit vorwerfen, falls er über jemand ein etwas strenges Urteil gefällt hat? Ich will nicht so heftig vorgehen, will nicht die übliche Anklägermanier befolgen, die eine milde Handlungsweise als sträflichen Leichtsinn, eine strenge Strafe als abscheuliche Grausamkeit darstellt. So etwas liegt mir ferne; vielmehr schließ' ich mich deiner richterlichen Entscheidung an und verteidige deine Amtswürde, Verres, solange du willst; sobald du aber anfängst, dein eigenes Gericht aufzuheben und dein Urteil umzustoßen, so nimm mir wenigstens nichts mehr übel: mit gutem Recht kann ich behaupten, daß, wer durch sein eigenes Urteil verdammt ist, auch durch den Richterspruch der Geschworenen verdammt werden muß. (20) Ich mache mich nicht zum Anwalte des Apollonios, meines lieben Gastfreundes, um nicht den Verdacht zu erwecken, als wollt' ich deinen Entscheid rückgängig machen: ich verliere kein Wort über seine Anspruchslosigkeit, seinen Fleiß, seinen edlen Charakter; ich gehe auch nicht weiter auf den vorher erwähnten Punkt ein, daß nämlich sein ganzes Vermögen in Haus und Hof, Dienerschaft, Landbau und Kredit derart angelegt ist, daß für keinen Menschen in ganz Sicilien ein Revolutions- oder Kriegsfall verhängnisvoller wäre; auch davon will ich schweigen, daß, selbst wenn Apollonios wirklich eine Schuld begangen hätte, dennoch gegen einen der achtbarsten Bürger eines bedeutenden Staates nicht ohne ordentliche Verhandlung so gewaltsam eingeschritten werden müßte. (21) Ich verzichte auch auf den bequemen Versuch, Erbitterung gegen dich durch eine Schilderung der Leiden zu erregen, die der arme Mann im dunklen feuchten Kerker bei Schmutz und Ekel ausstand, während deine tyrannischen Dienstvorschriften dem gebrechlichen Vater und dem jungen Sohne jede Zusammenkunft mit dem Unglücklichen aufs strengste untersagten. Ich verweile auch nicht bei der Thatsache, daß bei jedem deiner Besuche in Panormos während jenes Jahres und der folgenden sechs Monate – so lange mußte Apollonius im Kerker schmachten! – der gesamte Rat der Stadt mit allen hohen Beamten und den Spitzen der Geistlichkeit in feierlichem Aufzuge bei dir erschien, um demütig die endliche Befreiung des unschuldig gequälten Mannes zu erflehen. (22) Das alles laß ich beiseite, obgleich ich durch gehörige Beleuchtung aller dieser Umstände leicht feststellen könnte, daß deine Grausamkeit gegen Andere dir selbst jede Hoffnung auf Mitleid seitens der Richter von vornherein abgeschnitten hat. VIIII. Jetzt sei dir das alles nachgesehen. Denn ich sehe ja voraus, wie Hortensius dich verteidigen wird: er wird zugestehen, daß auf den Angeklagten weder das hohe Alter des Vaters noch die Jugend des Sohnes noch die Thränen beider mehr Einfluß ausüben durften als der Gedanke an Segen und Rettung der Provinz; er wird Weisheiten verkünden wie den Satz, »ohne rücksichtsloseste Strenge läßt sich kein Staat regieren;« er wird fragen: »wozu werden denn vor den Landvögten die Rutenbündel einhergetragen, wozu giebt man ihnen denn den Büttel mit dem Richtbeil, wozu baut man Gefängnisse, wozu haben unsere Vorfahren so viele schwere Strafen für die Sünder festgesetzt?« Und wenn er das alles feierlich mit düsterem Ernste vorgetragen hat, dann werde ich ihn fragen, warum denn Verres diesen selben Apollonios plötzlich, ohne irgendwelche neue Nachricht, ohne Prozeß und ohne Verteidigungsreden, aus dem Gefängnis wegschicken ließ, und ich werde dazu versichern, dieses Vorgehen enthält in sich soviel Verdächtiges, daß ich den Richtern auch ohne weitere Beweisführung überlasse, sich selber eine Vorstellung von diesem neuen Raubsystem mit seiner widerlichen Gemeinheit und seiner schier endlosen Ausdehnung zu machen. (23) Denn was Verres alles dem Apollonios angethan, das überleget euch noch einmal recht; betrachtet es von allen Seiten und dann versucht es ungefähr entsprechend in Geld zu taxieren: ihr werdet finden, daß er deswegen einen einzigen reichen Mann mit so vielen Mißhandlungen verfolgte, um allen übrigen mit dem Schreckbild ähnlicher Plackereien ein warnendes Beispiel vor Augen zu führen. Erst kommt die plötzliche Bezichtigung wegen eines schwer strafbaren und zugleich den allgemeinen Unwillen erregenden Verbrechens: bedenket wohl, wie viele sich hiervon losgekauft haben, und um welchen Preis. Dann kommt die direkte Anschuldigung ohne Kläger, der Schiedsspruch ohne Gerichtshof, die Verdammnis ohne Verteidigung: nun berechnet einmal die Preise für alle diese Artikel und vergesset nicht, daß der eine Apollonios die sämtlichen Phasen des rechtswidrigen Treibens durchmachen mußte, während viele andere sich durch Geld von all den Quälereien befreiten. Endlich der Kerker, die Ketten, das dunkle Loch, die Qual der Abgeschlossenheit von Kindern und Freunden, von der frischen freien Luft und dem allbelebenden Licht: dies letzte wiegt nur das Leben auf, in Geld es abzuschätzen, das bring' ich nicht fertig. (24) Alles das hat Apollonios bezahlt; zu spät für ihn, den Gram und Elend bereits gebrochen, aber immerhin zum Heile der anderen, denen er gelehrt hat, der frevelhaften Gewinnsucht dieses Menschen hier zuvorzukommen. Denn das glaubt hoffentlich keiner, daß man gerade einen enorm reichen Mann zu einer so unmöglichen Anschuldigung ohne die Absicht der Geldschneiderei herausgesucht, oder daß man ihn ohne denselben Grund so plötzlich aus dem Gefängnis entlassen oder daß Verres dieses Schindverfahren nur bei dem einen einzigen Mann angewendet hätte; vielmehr sieht jedermann, daß der Angeklagte durch dieses Beispiel alle vermögenden Sicilianer in Angst und Schrecken setzen wollte.

X. (25) Da ich über Verres als Feldherr spreche, wünscht' ich, er selber gäbe mir das Material zu seinem Ruhm an die Hand, falls ich irgend etwas übergehen sollte. Mir kommt es nämlich so vor, als hätt' ich bereits alle seine Heldenthaten, soweit sie sich auf den drohenden Sklavenaufruhr bezogen, erzählt; wenigstens hab' ich keine mit Absicht weggelassen. Damit habt ihr ein Bild von seiner Umsicht, Sorgfalt, Wachsamkeit, kurz von seiner ganzen energischen Landesverteidigung. Das Gesamtergebnis hat zur Folge, daß ihr erkennen könnt, in welche der verschiedenen Kategorien von Feldherrn – es giebt ihrer ja eine ganze Zahl – dieser Mann hineingehört, so daß bei dem jetzigen Mangel an kraftvollen Persönlichkeiten niemand mehr über seine militärische Bedeutung im Unklaren bleiben kann. Nicht an die kluge Zurückhaltung eines Fabius Maximus soll man hier denken oder an die blitzschnelle Schlagfertigkeit des älteren Scipio Africanus, noch an die geniale Umsicht seines unvergeßlichen Enkels, auch nicht an die überlegene Kriegskunst eines Aemilius Paullus oder an Gaius Marius' stürmische Gewalt. Nein, es giebt eine andere Art von großen Militärs, die sich der Staat ja recht warm halten muß; paßt auf, ich will sie euch beschreiben. (26) Die erste Aufgabe für den Soldaten und vielleicht sachlich die allerwichtigste, jedenfalls für Sicilien im höchsten Grade notwendig, sind die Märsche. Nun höret an, wie Verres sich durch schlaue Berechnung diese Arbeit leicht machte. Zunächst hat er sich gegen die Beschwerden des Winters, als da sind Kälte, Frost, Stürme, Überschwemmungen, folgendes vortreffliche Mittel besorgt: er schlug sein Standquartier in der Stadt Syrakus auf, deren Lage und Klima sich bekanntlich durch eine so ganz besondere Milde auszeichnet, daß man dort selbst an den stürmischsten Tagen der rauhen Jahreszeit immer wenigstens stundenweise die Sonne zu sehen bekommt. Hier residierte der brave Heerführer den ganzen Winter hindurch, und er führte ein Leben, daß man ihn nicht leicht außer dem Hause – was sag' ich, außer dem Bette antreffen konnte; so verstand er's, die kurzen Tage mit Zechereien, die langen Nächte mit den Opfern seiner Wollust hinzubringen. (27) Als dann der Frühling kam – dessen Anfang Verres nicht mittels Wind- oder Sternbeobachtungen Astronomische Studien, in denen es übrigens Cicero ziemlich weit gebracht hatte, ersetzten den Kalender; so erklärt sich die Verbreitung astronomischer Lehrgedichte seit der alexandrinischen Zeit bis tief in die Renaissance hinein. – Die Rose hatte bei den Alten eine intensiv erotische Bedeutung. , sondern mit dem Erscheinen der Rosen festsetzte, dann meint' er, der Lenz müsse wohl da sein – da ergab er sich dem Dienst und setzte sich in Bewegung. Nun zeigt' er auf den Fußmärschen eine Ausdauer und Unverdrossenheit, daß niemand behaupten kann, ihn je zu Pferde gesehen zu haben. XI. Er ließ sich nämlich, wie weiland die Könige von Bithynien, in einer Sänfte von acht Dienern tragen; die üppigen Kissen aus durchsichtigem Meliteserstoffe waren mit Rosenblüten vollgestopft, er selbst trug einen Rosenkranz auf dem Kopf, einen anderen um den Hals, und führte beständig ein aus feinstem Linnen mit ganz engen Maschen gewebtes Netz voller Rosen an die Nase. Wenn er so eine Weile gereist war und in eine Ortschaft gelangte, ließ er sich auf seiner Sänfte bis ins Schlafzimmer befördern. Dort empfing er die einheimischen Behörden, dort auch die römischen Ritter, wie ihr ja von vereideten Zeugen des öfteren vernommen habt; dort ließ er sich im geheimen einige Rechtshändel vortragen, um bald darauf seinen Entscheid in die Öffentlichkeit hinauszusenden. Hatt' er so eine Weile im Schlafzimmer Recht gesprochen und seine Entscheidungen nicht nach Gesetz und Billigkeit, sondern je nach dem höchsten Geldangebot verteilt, so hielt er es für seine Pflicht, die übrige Zeit ausschließlich der Venus und dem Bacchus zu widmen. (28) Ich darf hierbei die ganz außerordentliche Sorgsamkeit des großen Kriegeshelden nicht unerwähnt lassen. Ihr müßt nämlich wissen, daß unter den sicilischen Städten, in denen der Landvogt amtlich zu verweilen und Gerichtstag zu halten pflegt, keine einzige war, in der er nicht mit irgend einer Dame aus sonst ganz anständiger Familie ein skandalöses Verhältnis gehabt hätte. Einzelne dieser Personen wurden nun offen vor aller Welt zu seinen Zechereien hinzugezogen; die, welche noch allenfalls etwas auf den äußeren Anstand gaben, kamen wenigstens zur gehörigen Zeit, wenn Tageslicht und Straßenverkehr sie nicht mehr belästigten. Nun verliefen aber seine Gelage keineswegs mit der vornehmen Ruhe, die sonst an der Tafel eines römischen Statthalters oder Heerführers zu herrschen pflegt, überhaupt nicht mit dem Anstand eines Beamtendiners: im Gegenteil, da wurde getobt und geschrieen, man zankte sich und ließ es manchmal zu ordentlichen Schlägereien kommen. Denn der strenge und gewissenhafte Prätor, der den Gesetzen Roms in seinem Leben keinen Gehorsam geleistet, verstand sich auf die Gesetze der Kneiptafel ganz vortrefflich und befolgte sie mit der größten Pünktlichkeit. So endeten denn seine Gelage meistens in der Weise, daß jemand von der Kneiptafel wie von einem Schlachtfelde behutsam hinweggetragen werden mußte, oder daß einer wie entseelt auf dem Platze blieb, die meisten aber wie auf den Kopf geschlagen sinnlos umher taumelten und schließlich ohne eine Regung menschlichen Lebens herumlagen; ein zufälliger Augenzeuge hätte glauben müssen, nicht das Gastmahl eines römischen Reichsvertreters, sondern eine ins Nichtsnutzige übertragene Schlacht von Cannae vor sich zu sehen. XII. (29) War so wieder ein Teil des Jahres vergangen, dann kam der Hochsommer, also eine Jahreszeit, den alle Statthalter von Sicilien stets auf Inspektionsreisen zubrachten; sie glaubten nämlich in diesen Monaten sich besonders angelegentlich in der Provinz umthun zu müssen, weil da der Gedanke an Zusammenrottungen und Revolten besonders nahe liegt: das Getreide muß eingebracht werden, die Knechte finden sich massenweise zusammen, ihr numerischer Bestand läßt sich ziemlich gut übersehen, die anstrengende Arbeit reizt sie leicht auf, die reichen Kornvorräte kommen ihnen zu statten, das anhaltend klare Wetter ist wenigstens nicht ungünstig – kurz, alle Statthalter pflegten sich auf Rundreisen zu begeben. Anstatt dessen richtete sich dieser Feldherr neuesten Schlages an einem der schönsten Plätze von Syrakus sein Sommerquartier ein. (30) Am vorspringendsten Punkte des Einganges zum Hafen, da wo die Biegung der Meeresküste nach der Stadt zu anfängt, ließ er Zelte aufschlagen und mit feinem orientalischem Nesseltuch bespannen. Dorthin zog er von seinem Amtssitz in der Stadt, dem ehemaligen Schlosse des Königs Hieron, und geraume Zeit lang traf ihn niemand außerhalb jener improvisierten Sommerwohnung. Hinaus zu ihm durfte aber auch wiederum niemand, außer den Genossen und Intendanten seiner Lüste. Dort hinaus kamen alle die Weiber, mit denen er sich zu vergnügen pflegte – es waren deren in Syrakus eine ganz unglaubliche Menge, – dort fanden sich all seine edlen Freunde, die würdigen Objekte seines Wohlwollens und Gäste seiner eben beschriebenen Gelage zusammen. Unter Männern und Weibern seines Gelichters ließ er auch seinen eben erwachsenen Sohn sich bewegen, damit er, falls die Natur ihn zufällig vor der Ähnlichkeit mit seinem Vater schützte, ja gleich durch Verkehr und Übung ihm gewaltsam angeähnelt würde. (31) Dort bracht' er auch durch allerlei Intriguen die bekannte Tertia hin, die die ganze Gesellschaft in Aufruhr versetzte, da die hochvornehme Frau des Syrakusaners Kleomenes und die ebenfalls aus guter Familie stammende Frau des Aischrion es beleidigend fanden, mit der Tochter eines Bühnenhelden gesellschaftlich als auf gleichem Niveau verkehren zu müssen. Noch heute ist es in Italien so gut wie unmöglich, daß ein wohlsituierter Mensch sich fürs Theater ausbildet. Verres aber sagte wie Hannibal »in meinem Lager gilt nicht hoher Rang, in meinem Lager gilt nur das Verdienst« und hielt die Tertia so hoch in Ehren, daß er sie später sogar bei seiner Abreise aus der Provinz mitnahm. XIII. Damals nun, als dieser Mensch tagelang in purpurnem Griechenkleid und lang herabwallender Damentunika mit seinen Frauenzimmern zechte und schwelgte, da empfand es kein Mensch als Unglück, daß der oberste Beamte fehlte, der Markt verödet stand, kein Recht gesprochen, kein Urteil verkündigt ward; niemand beklagte sich, niemand litt, wenn die Meeresküste weithin von Weibergekreisch, von Flöten- und Paukenschall wiederhallte, während Totenstille das Forum bedeckte und keine Stimme sich fürs Recht erhob; sie wußten ja: was den Markt verlassen hatte, war nicht Gesetzesherrschaft und Rechtspflege, sondern die Herrschaft der Willkür, Gewalt und Grausamkeit, war Roheit und schmachvoller Raub.

(32) Und so einen Menschen willst du als Feldherrn rühmen, Hortensius? Diese Masse von Diebstahl, Raub, Habgier, Grausamkeit, Hochmut, Frevel und Frechheit willst du mit großen Kriegsthaten und militärischen Erfolgen zudecken? Ach ja, wir sind wohl auf dem Punkt angelangt, wo zu befürchten steht, daß du, um deiner Verteidigungsrede die Krone aufzusetzen, am Schlusse das berühmte würdevolle Verfahren des alten Antonius in Anwendung bringst; dann heißest du den Verres aufstehen und reißest ihm die Kleider von der Brust, damit die versammelten Römer seine Narben sehen können – nämlich die Stellen, wo ihn die Weiber gebissen haben, die Schandmale seiner Lüste. (33) Gott gebe, daß du es wagst, von Krieg und militärischen Verdiensten ein Wort zu sagen! Dann werden nämlich alle seine alten Campagnen durchgenommen, und ihr könnt sehen, wie sich der spätere Herrscher schon in seinen Dienstjahren aufgeführt hat. Da kommt zunächst seine erste Periode wieder zur Sprache, wo er müßig auf dem Markte stand und sich nicht etwa wie er es darstellt zu einem Liebhaber, sondern direkt von einem Liebhaber wegholen ließ Die passive Knabenliebe galt für schimpflich. ; dann das Lager des Würflers in Placentia, wo er zwar regelmäßig am Spieltisch erschien, aber sein ganzes Geld verlor, so daß er es, wie bei vielen anderen Gelegenheiten, nur vermittelst seines Körpers wieder einbrachte. (34) Und später, als er gegen diese Art von Schande unempfindlich geworden war (nicht sie wurde ihm, sondern er wurde anderen zuwider), wie er sich da als Mann benahm, wie viel anständige Personen er nur durch brutale Gewalt ruiniert hat – ach, wozu soll ich noch darüber reden und seine Nichtswürdigkeit mit der Schande anderer Leute zusammen beschreiben? Ich verzichte darauf; ich lasse alle die alten Geschichten beiseite; nur zwei Fälle aus jüngerer Vergangenheit will ich, ohne sonst jemand zu kompromittieren, hier erwähnen, weil ihr euch danach einen Begriff von allen übrigen machen könnt. Der eine hatte sich überall herumgesprochen und war so bekannt, daß damals, im Konsulatsjahr des Lucius Lucullus und Marcus Cotta Im Jahre 74. , kein noch so unschuldiger Kleinstädter aus irgend einem Nest zu Geschäftszwecken nach Rom kommen konnte, ohne zu wissen, daß die ganze Amtsthätigkeit des Stadtprätors nach den Launen einer Kokotte Namens Chelidon geführt wurde; das andere Mal war er eben, nach feierlichen Gelübden für das Gelingen seiner Offiziersthätigkeit und für das Gedeihen des allschützenden Staates, zur Armee abgereist um seinen Felddienst anzutreten, da ließ er sich bei Nacht heimlich in die Stadt hineintragen zur Buhlerei mit einer allmächtigen, verheirateten Frau – gegen Eid und Gewissen und Ehre, gegen alle Pflicht wider die Menschen und wider Gott.

XIIII. (35) Herr des Himmels! Wie verschieden sind doch die menschlichen Charaktere geartet! So wahr ich mir wünsche, daß die römische Nation meinem Streben und Hoffen für mein weiteres Leben Beifall schenkte, so aufrichtig kann ich versichern, daß ich alle mir bisher von meinen Mitbürgern anvertrauten Ämter mit keinem anderen Gedanken als dem an die strengste, gewissenhafteste Pflichterfüllung übernahm. Als ich Quästor wurde, hielt ich dieses Ehrenamt nicht für ein Geschenk, sondern für ein mir anvertrautes Pfand; ich verwaltete die Quästur in Sicilien in einer Weise, daß ich aller Augen auf mich gelenkt zu haben und mich fast auf einer Art von Weltbühne zu bewegen glaubte, wobei ich mir alle Annehmlichkeiten des Lebens versagte, und zwar nicht etwa vom Standpunkte moderner Genußsucht, sondern von dem des einfachen Naturbedürfnisses. (36) Jetzt bin ich zum Ädilen bestimmt worden; ich weiß, was die Nation mir gegeben und was ich ihr zu leisten habe: ich muß die heiligen Spiele zu Ehren der Ceres, des Liber und der Libera mit allem Pompe sorgfältig einrichten, der mütterlichen Göttin Flora zum Segen unserer gesamten Bürgerschaft Festspiele feiern, muß die uralte Feier, die wir die »römischen Spiele« nennen, würdig und prachtvoll veranstalten, auf daß Jupiter, Juno und Minerva uns fürder gnädig seien; ich weiß, mir ist die Erhaltung aller Gotteshäuser, ja die Sicherheit der ganzen Stadt anvertraut: wegen dieser Leistungen und Mühen sind mir alle die hohen Auszeichnungen zu teil geworden, Vortritt bei der Abstimmung im Senat, Ehrenzeichen an der Toga, der kurulische Sessel und das Recht, mein Bild zur Erhaltung meines Gedächtnisses der Nachwelt zu übermachen. (37) Aus allen diesen Dingen ziehe ich nun, so wahr mir die Götter gnädig sein mögen, für mich persönlich nicht den mindesten Vorteil; wohl macht mich die vom römischen Volke mir erwiesene Auszeichnung stolz und glücklich, aber daß sie mir Freuden einbrächte wie sie mir Mühe und Arbeit verursacht, davon kann auch nicht im entferntesten die Rede sein. In diesem Fall ist das Ädilenamt nicht irgend einem Bewerber unter dem Zwange der Umstände überlassen, sondern dem rechten Mann zur rechten Stunde im Interesse des Gemeinwohles anvertraut. Doch zurück zu Verres!

XV. (38) Du wurdest zum Stadtprätor ernannt – wie du dazu kamst, und was damals für Dinge geschahen, will ich jetzt nicht erzählen – kurz, du wurdest ernannt, und nun mußtest du ja schon vor der Stimme des Heroldes erschrecken, der deinen Namen in so vielen Wahlversammlungen ausgerufen hatte. Aber überlegtest du dir nun etwa, daß ein Teil des römischen Staates in deine Hände gegeben war? daß du wenigstens dieses eine Jahr ohne Verkehr mit Buhlerinnen hausen mußtest? Das Los bestimmte dich, über prozessierende Parteien zu Gericht zu sitzen; hast du je eine Ahnung von der ganzen Schwere deiner Aufgabe gehabt? Selbst so weit reichte dein Verstand nicht, zu sehen was bevorstünde, wenn du dich überhaupt aufraffen könntest; nämlich daß ein Amtsbereich, dessen Verwaltung selbst bei außerordentlicher Klugheit und vollkommener Unbescholtenheit recht schwierig ist, nun der größten Thorheit und Nichtswürdigkeit anheimgefallen war. So hast du dich denn auch keineswegs entschlossen, als Prätor die Chelidon aus deinem Hause zu entfernen; im Gegenteil, du hast die ganze Prätur ins Haus der Chelidon verlegt. (39) Dann folgte die Provinzialverwaltung; da ist es dir wohl nicht ein einziges Mal zum Bewußtsein gekommen, daß du die Richtbeile und Rutenbündel, die imponierende Amtsgewalt und die nicht minder große Würde der Ausstattung wahrlich nicht dazu bekommen hättest, um jede Schutzwehr des Anstandes und Pflichtgefühles zu zertrümmern, aller Menschen Hab und Gut zu rauben und einen Zustand herbeizuführen, wo vor deiner dreisten Gier kein Eigentum sicher, kein Haus verriegelt, kein Leben ungefährdet, keine Keuschheit mehr geschützt war. Da führtest du ein solches Leben, daß du jetzt, wo du auf allen Punkten überführt bist, zu dem Vorwand eines Sklavenaufstandes deine Zuflucht nehmen mußt; damit giebst du nicht bloß die Unmöglichkeit jeder Verteidigung, sondern die volle Unwiderstehlichkeit sämtlicher Klagepunkte zu – wenn du nicht etwa von den Trümmern der in Italien besiegten Sklavenhaufen und dem kleinen Zwischenfall bei Tempsa zu reden anfangen willst. Dieser war gerade frisch, als dein guter Stern dich im günstigsten Momente durch jene Gegend führte; hättest du doch nur eine Spur von Thatkraft oder gutem Willen gehabt! So aber zeigtest du dich als derselbe, der du stets gewesen warst. XVI. (40) Als die Vertreter der Stadt Valentia zu dir kamen und ihr Führer, der edle Marcus Marius, dich in beredtem Vortrage mit Betonung deiner Prätorenwürde bat, den Einwohnern zu Hilfe zu kommen, indem du sie zur Vernichtung jener Handvoll Rebellen ins Feld führtest und dich selber an ihre Spitze stelltest: da hast du dich einfach geweigert, und zugleich – die Scene spielte am Meeresstrande – konnte alle Welt deine Maitresse sehen, jene Tertia, die du mit hinauszunehmen pflegtest. Du selbst empfingst die Deputation einer so bedeutenden Munizipalstadt bei dieser feierlichen Gelegenheit – es handelte sich um Krieg und Frieden! – in einem für den Prätor recht schicklichen Aufzuge: Hausjacke und Griechenmantel. Schon damals kann man sich sein Benehmen während der Reise in die Provinz sowie während des Aufenthaltes daselbst vorstellen, wenn er, schon im Begriffe von der Provinz nicht zum Triumphe, sondern zum Prozeß abzugehen, selbst vor dieser Gemeinheit nicht zurückschreckte, die ihm doch gar nichts einbrachte! (41) O, es war köstlich, jenes bezeichnende Gemurmel des zahlreich versammelten Senats im Tempel der Bellona. Erinnert ihr euch noch an die Sitzung? Es wurde schon Abend, kurz vorher war der Zwischenfall von Tempsa gemeldet worden, man fand gerade keine geeignete Persönlichkeit, die man hätte hinschicken mögen, als jemand meinte, Verres wäre ja eben nicht weit von Tempsa. Erinnert ihr euch noch, was da für ein Gemurmel durch den ganzen Raum ging, und wie offen die Stimmführer dagegen sprachen? Und da hofft er noch jetzt, wo er in allen Klagepunkten durch die ganze Wucht der Zeugenaussagen zerschmettert ist, auf Rettung durch einzelne Mitglieder dieses Standes, der insgesamt seine Führung schon vor Beginn des Prozesses mit lauter Stimme verdammt hat?

XVII. (42) Gut denn; Kriegsruhm aus einem Kampfe mit entlaufenen Sklaven oder aus der Gefahr eines solchen hat er nicht geerntet, denn weder entbrannte ein solcher Krieg in Sicilien, noch stand er zu befürchten, noch hat Verres gegen einen solchen irgend vorbeugende Maßregeln getroffen. Aber gegen die drohenden Piraten hatte er ja wohl eine gut gerüstete Flotte zur Verfügung und zeigte da gewiß besonders rege Aufmerksamkeit, so daß man sagen kann, in dieser Hinsicht hat der Prätor unsere Provinz trefflich verteidigt. Also muß ich denn über den Seeräuberkrieg und das sicilische Geschwader sprechen, kann aber gleich von vornherein bemerken, daß auf diesem einen Gebiet all seine Todsünden zu Tage treten, Habgier, Felonie, Tobsucht, Willkür und Grausamkeit. Ich muß dazu eine kurze Übersicht über die Vorgänge geben und bitte auch dafür um die mir bisher gewährte Aufmerksamkeit.

(43) Was zunächst die Verwaltung des Seewesens anbetrifft, so ging sie in einer Weise vor sich, die nicht auf Landesverteidigung, sondern auf möglichst hohe Vorschüsse zu angeblichen Marinezwecken hinauslief. Während nämlich alle früheren Statthalter den Grundsatz befolgten, den Gemeinden die Gestellung von Schiffen sowie einer bestimmten Anzahl von Matrosen und Soldaten anzubefehlen, hast du der großen und besonders reichen Gemeinde der Mamertiner keine dieser Lasten auferlegt. Was dir die Mamertiner dafür heimlich in barem Gelde gezahlt haben, werden wir später, wenn es dazu kommt, aus ihren eigenen Briefen und Zeugnissen entnehmen. (44) Dagegen ist es Thatsache, daß ein mächtiger Kauffahrer von der Größe einer dreistöckigen Galeere auf Kosten der Gemeinde, unter Angabe deines Namens, auf amtlichen Befehl, mit Wissen ganz Siciliens gebaut und dir seitens der Mamertiner vermittelst ihres regierenden Rates als Geschenk verehrt wurde. Als dieses Schiff, voll beladen mit deinem sicilischen Beutegut und selber ein rechtes Beutestück, mit dir zusammen absegelte, ward es bei Velia an die Küste getrieben und ging daselbst vor Anker; an Bord befanden sich unter anderem seine Lieblingsschätze, die er nicht mit dem übrigen Raub nach Rom vorausschicken, sondern wegen seiner besonderen Vorliebe dafür stets in seiner Nähe behalten wollte. Ich hab' es mir selbst neulich in Velia angesehen, viele andere Leute thaten das auch; es war ein schönes Schiff, meine Herren, und prächtig ausgestattet; wer es ansah, meinte: »dem Schiff steht's an der Stirn geschrieben, wo es seinen Herrn hinbringt: weit, weit – in die Verbannung.« XVIII. (45) Was willst du mir hier antworten? Nichts; oder höchstens kommst du mit der Ausrede, die freilich absolut nicht zu beweisen ist aber vor Gericht in einem Erpressungsprozeß notwendig herbeigezogen werden muß, du hättest das Schiff auf deine eigenen Kosten bauen lassen. Ja, wag' es nur diese Notausrede zu gebrauchen! – Habe keine Angst, Hortensius, daß ich etwa frage, wo er denn als Mitglied des römischen Senates die Erlaubnis zum Schiffsbau hernahm. Das sind ja, wie du dich auszudrücken liebst, ganz veraltete, längst überlebte Gesetze, die diesem Stande eine solche Kapitalsanlage verboten. Das war alles einmal, dieses Staatswesen mit seinen Gesetzen, diese Gerichtshöfe mit ihrer Strenge, die einem Kläger gestatteten, so einen Vorwurf als großen Klagepunkt anzuführen. – Wozu brauchtest du, Verres, noch ein Schiff? Für deine amtlichen Reisen wurden dir ja stets vorschriftsmäßig alle Transportmittel auf öffentliche Kosten zur Disposition gestellt; privatim aber durftest du gar keine Reisen unternehmen und am wenigsten Frachten aus überseeischen Ländern exportieren, in denen du gar kein Privatgut besitzen durftest. (46) Wozu hast du überhaupt ungesetzliche Einkäufe gemacht? Dieser Vorwurf würde schon schwer wiegen, wenn unserem Staat jene alte Strenge und Würde geblieben wäre; jetzt bestehe ich nicht weiter darauf und erlasse dir sogar den allgemeinen Tadel. Hast du dir denn nie klar gemacht, welche Gefahr und Mißgunst dir dein schändliches Beginnen notwendig bringen mußte, dir an einem so lebhaften Ort vor aller Welt ein Schiff in der Provinz bauen zu lassen, die deiner Amtsgewalt anvertraut war? Was sollten denn die Augenzeugen dazu sagen und gar die Auswärtigen davon denken? Etwa daß du das Schiff leer nach Italien befördern wolltest? Etwa um es später in Rom gewerbsmäßig an Handelsleute zu vermieten? Auch die Idee ist ausgeschlossen, du habest etwa in Italien ein Bauerngut am Meere besessen und dir zum Transport der Bodenerzeugnisse ein Lastschiff besorgt. Nein, du wolltest geradezu, daß alle Welt ganz offen hinter dir her redete, du verschafftest dir ein Schiff um deine Beute aus Sicilien nach Hause zu transportieren und die noch zurückgelassenen Stücke später abzuholen. (47) Und doch will ich von alledem absehen, wenn du mich belehrst, daß der Kauffahrer auf deine Kosten erbaut wurde. Aber siehst du denn nicht ein, du blöder Thor, daß gerade diese Mamertiner, also deine Lobredner selbst, in der ersten Verhandlung jene Ausrede unmöglich gemacht haben? Denn Heius, der Führer ihrer Deputation, die zu deiner Anerkennung hergeschickt wurde, hat erklärt, das Schiff wurde für dich von dem Dienstpersonal der Mamertinergemeinde hergestellt und der Bau von einem ihrer Ratsherrn amtlich überwacht. Bleibt noch das Material. Dieses mußten, da die Mamertiner keins haben, die Rheginer stellen, du hast es ihnen amtlich befohlen; leugnen kannst du's nicht, übrigens sagen sie es selbst.

XVIIII. Wenn dir nun sowohl das ganze Baumaterial wie auch die Arbeiter sämtlich auf Amtsbefehl und nicht für Geld zur Verfügung standen, wo steckt denn da eigentlich das Objekt, das du aus eigener Tasche bezahlt hast? – (48) »Aber die Mamertiner haben nichts davon in ihren Akten stehen.« – Erstens kann es wohl geschehen sein, daß sie aus ihrer Stadtkasse nichts zahlten; ich kenne solche Fälle, wie denn sogar das Kapitol einstmals mit staatlich ausgehobenen Arbeitern und abkommandierten Handwerkern umsonst aufgebaut und befestigt wurde. Sodann aber hab' ich herausgefunden, und werd' es gelegentlich der Persönlichkeiten aus ihren eigenen Briefen nachweisen, daß der Angeklagte häufig Geldsummen für die kontraktlich vergebenen Arbeiten verlangte und sie dann falsch oder auch ganz ohne Lieferung in die Ausgabebücher eintragen ließ. Nun ist es wahrlich nicht zu verwundern, wenn die Mamertiner ihren größten Wohlthäter, der ihnen sichtlich mehr als dem römischen Volke zugethan war, so weit schonten, daß sie nicht durch schriftliche Notizen seine ganze bürgerliche Existenz bedrohten. Aber wenn du deine Behauptung, von den Mamertinern nicht bestochen worden zu sein, damit stützen willst, daß in ihren Akten darüber nichts geschrieben steht, so behaupte auch, das Schiff umsonst bekommen zu haben, weil du über einen Ankauf von Baumaterial oder Zuschlag der Arbeit an einen Unternehmer kein Dokument vorzeigen kannst!

(49) Wenn du den Mamertinern die Lieferung einer Galeere erlassen hast, so willst du dich vielleicht mit ihrem Bundesverhältnis zu uns entschuldigen. Glück auf! Da haben wir den Menschen, der in den Händen der Pfaffen großgezogen ist und sich nun andächtiger als irgend jemand den heiligen Pflichten der Verträge widmet: alle Statthalter, die vor dir in Sicilien regierten, müßten eigentlich an die Mamertiner ausgeliefert werden, weil sie ihnen gegen den Bundesvertrag die Gestellung einer Galeere auferlegten. Und doch hast du andächtiger Schützer des Rechtes der ebenfalls uns verbündeten Gemeinde Tauromenion gerade jene Lieferung ausdrücklich anbefohlen. Ja, warum denn? Willst du uns etwa ausführen, bei gleicher Stellung der beiden Völkerschaften zu uns wäre ohne Geldeslohn das Recht verschieden und das Verhältnis ungleich gewesen? (50) Wenn ich euch nun aber beweise: wir hatten mit beiden sonst den gleichen Bundesvertrag geschlossen, nur war in dem Vertrage mit Tauromenion ausdrücklich die Klausel beigefügt, von der Verpflichtung ein Kriegsschiff zu stellen seien sie entlastet, dagegen in dem Vertrage mit den Mamertinern die Lieferung eines solchen ausdrücklich ausbedungen und gerade diese Verpflichtung besonders scharf betont, Verres aber verlangte sie vertragswidrig von der Gemeinde Tauromenion und erließ sie ebenso vertragswidrig den Mamertinern: – wird dann noch irgend jemand bezweifeln, daß die Mamertiner erheblich mehr Vorteil aus jenem Kauffahrer zogen als die Stadt Tauromenion aus unserem Vertrage? Man verlese die Bundesakten.

[Es geschieht.]

XX. So hast du durch deine sogenannte Wohlthat, in Wahrheit niedrige Bestechlichkeit, allen geschadet: du schmälerst die Hoheitsrechte des Staates, die Hilfsquellen unserer Nation, die Mittel, deren Fülle wir der weisen Energie früherer Generationen verdanken; du vernichtest das Recht des Herrschers, die vertragsmäßige Stellung unserer Bündner, das Ansehen der Verträge. Diese Mamertiner, die laut Vertrag, wenn wir es befohlen hätten, auf ihre Kosten und Gefahr ein vollständig bemanntes und bewaffnetes Kriegsschiff bis ins Weltmeer hinaus hätten schicken müssen – sie brauchten nicht einmal zum Schutz ihrer Mauern und Hafenanlagen dicht vor ihren Wohnhäusern in der Meerenge von Messana zu kreuzen; und um dies zu erreichen, haben sie sich mittels deiner Bestechung von allen Pflichten gegen Verträge und Herrschermacht losgekauft. (51) Was, meint ihr wohl, hätten sie in früheren Zeiten, als das Bündnis abgeschlossen wurde, gern aufgeboten an Mühe, Arbeit und Geld, um nur diese Galeere nicht stellen zu müssen, wenn sie nur die mindeste Aussicht gehabt hätten, irgend etwas bei unseren Vätern durchzusetzen! Der Paragraph der Bundesakte war ihnen eine Qual, und indem sie diese Bürde übernahmen, erhielt der Bündnisvertrag für sie etwas wie das Brandmal der Knechtschaft. Damals standen ihre Gefälligkeiten gegen unseren Staat in frischem Andenken, die Sache war erst im Werden begriffen, Roms Marine in der günstigsten Lage, und sie konnten die Auslassung jenes Paragraphen bei unseren Vorfahren nicht durchsetzen; jetzt haben sie uns nichts geleistet, viele Jahre sind drüber hingegangen, alljährlich kam der Paragraph nach Reiches Recht und Wille zur Anwendung, dazu machte sich ein empfindlicher Mangel an Schiffen fühlbar – und sie erreichten ihren Zweck bei Verres durch Geld. Ja, nicht bloß von der Lieferung des Schiffes allein kauften sie sich los. Auch nicht einen Matrosen, nicht einen Soldaten für Flotte und Festungen haben die Mamertiner während der ganzen drei Jahre deiner Statthalterschaft gestellt!

XXI. (52) Noch eins. Nach Senatsbeschluß sowie nach dem Gesetze des Terentius und Cassius mußte der Angeklagte bei allen Gemeinden Siciliens in gleicher Höhe Getreide einkaufen; aber auch diese leichte und auf alle Gemeinden gleichmäßig verteilte Last hat er den Mamertinern erlassen. Er wird sagen: »dazu sind die Mamertiner nicht verpflichtet.« – Wieso nicht verpflichtet? Nicht einmal zum Getreideverkauf? Denn bedenket wohl, es handelt sich hier nicht um requiriertes, sondern um angekauftes Getreide, nicht um Steuer, sondern um Handel. Wenn es also nach dir ging und nach deiner Art Urkundentexte auszulegen, so brauchten die Mamertiner unserem Volke nicht einmal durch Markt- und Geschäftsverkehr zu helfen. (53) Und welche Gemeinden waren sonst dazu verpflichtet? In drei Kategorien kann man sie nach ihrem Rechtsverhältnis zu uns einteilen. Erstens giebt es Pächter von Staatsdomänen; ihnen wird Grund und Boden durch den Reichsschatzmeister zugewiesen, und durch das Reichsschatzgesetz ist auch die Höhe ihres Beitrages bestimmt festgesetzt. Warum hast du ihnen also noch weitere Lasten aufgebürdet? Zweitens sind da die Zehntpflichtigen; sie stehen noch unter dem Gesetze des Hieron und haben daher bekanntlich nichts als ihren Zehnten zu entrichten: trotzdem hast du auch über sie verfügt und ihnen ein bestimmtes Quantum des zu liefernden Getreides vorgeschrieben. Drittens die steuerfreien Gemeinden; diese sind natürlich zu nichts verpflichtet. Und doch hast du sie nicht nur belastet, sondern sie auch weit über ihr Vermögen belastet, indem du ihnen noch obendrein eben jene sechzigtausend Scheffel aufbürdetest, die du den Mamertinern erließest. Ich behaupte gar nicht, daß die übrigen unerlaubterweise herangezogen wurden; ich behaupte nur, daß die Mamertiner, die zu uns im selben Verhältnisse stehen und auch von allen deinen Vorgängern im selben Umfange wie die übrigen herangezogen und mit der gesetzlich normierten Summe bezahlt wurden, von dir unerlaubterweise entlastet worden sind. Und um diese Wohlthat, wie man zu sagen pflegt, niet- und nagelfest zu machen, berief er einen »Rat«, brachte vor ihm die Angelegenheit der Mamertiner zur Sprache und erklärte dann »nach des Rates Entscheid«, die Mamertiner brauchten kein Getreide zu liefern. (54) Vernehmet selbst den Erlaß des käuflichen Statthalters aus seinem eigenen Protokoll und beachtet wohl die Würde seiner Ausdrücke und das Gewicht seiner Rechtssätze. Bitte das Protokoll zu verlesen.

[Es geschieht.]

Hört ihr's? »Nach Entscheid des Rates« erklärt er es »gerne« zu thun, und das läßt er niederschreiben. So, und wenn du dieses Wort »gerne« nicht angewendet hättest? Dann müßten wir offenbar glauben, du steckst ungern deinen Profit in die Tasche! Und »nach des Rates Entscheid.« Nicht wahr, ein herrlicher Rat, dessen Mitgliederliste uns da vorgelesen wurde. Kam euch das wirklich wie der Rat eines Landvogtes vor, oder nicht vielmehr wie die Gaunersippschaft eines gemeinen Räubers? (55) Das nenn' ich mir rechte Männer um Vertragsurkunden auszulegen, Verkehr zu fördern, heilige Pflichten zu garantieren! Nie war für den Staat Getreide in Sicilien angekauft worden ohne daß man die Mamertiner ihrem Besitz entsprechend heranzog, bis dieser Mensch den herrlich auserlesenen »Rat« einsetzte, um, so recht seiner würdig, sich von den Mamertinern Geld geben zu lassen. Daher bestand denn auch die Gültigkeit seines Erlasses gerade so lange, wie es natürlich war bei einem Menschen, der, anstatt vorschriftsmäßig Getreide einzukaufen, vielmehr den Verkäufern seinen Erlaß verkaufte. Denn sofort griff sein Amtsnachfolger Lucius Metellus auf die urkundliche Verfügung des Gaius Sacerdos und Sextus Peducaeus zurück und holte sich Getreide von den Mamertinern. Da merkten sie denn, daß sie nicht länger festhalten konnten, was sie einem so unzuverlässigen Händler abgekauft hatten. XXII. (56) Aber nun weiter: sage doch einmal, du höchst gewissenhafter Urkundenausleger, warum hast du dir denn von Tauromenion oder von Netion Getreide liefern lassen? Beide Gemeinden sind uns ja verbündet. Nun waren die Leute in Netion gar nicht blöde, sondern sowie dein famoser Entscheid über die Mamertiner erging, wandten sie sich direkt an dich und wiesen darauf hin, daß ihr Vertragsverhältnis genau das gleiche war. So konntest du denselben Fall nicht zweimal verschieden beurteilen, erklärtest die Leute von der Lieferung entbunden und – zogst sie dennoch dazu heran. Bitte mir die Verfügungen des Statthalters zu reichen, erst den beifälligen Bescheid auf das Gesuch der Stadt Netion, dann den Befehl zum Zwangsverkauf an dieselbe.

[Vorlesung der Dokumente.]

Angesichts einer so krassen und entehrenden Inkonsequenz, meine Herren, können wir kein anderes Motiv voraussetzen, als daß er entweder von den Netinern Geld verlangt und nicht erhalten hat oder aber die Mamertiner wollte merken lassen, wie gut sie ihre zahlreichen Geld- und sonstigen Geschenke bei ihm angebracht hatten, indem Anderen bei gleichem Anlaß die gleiche Gunst nicht gewährt wurde.

(57) Hier wird er mir womöglich auch noch wagen das Anerkennungsschreiben der Mamertiner zu erwähnen! Ihr alle wisset ja wohl, was es für eine Menge fauler Punkte darin giebt. Zunächst: wenn jemand vor Gericht nicht seine zehn guten Leumundszeugen aufzustellen vermag, so wird er immer einen anständigeren Eindruck hervorrufen, wenn er gar keinen aufstellt als wenn er die durch altes Herkommen sozusagen obligatorisch gewordene Zahl Zehn nicht erreicht. In Sicilien giebt es so viele Gemeinden, die sämtlich drei Jahre lang unter deiner Regierung standen, und fast alle übrigen führen Klage über dich, nur ein paar ganz kleine eingeschüchterte schweigen, eine einzige spendet dir Lob; das heißt mit anderen Worten: er selber merkte sehr wohl, was eine wirkliche Anerkennung für Nutzen bietet, aber er hatte nun einmal die Provinz in einer Weise behandelt, daß er durchaus dieser Vorteile verlustig gehen mußte. (58) Und dann – ich sprach früher bei anderer Gelegenheit davon – was ist das für eine Dankadresse, wo die Führer der sie überbringenden Deputation berichten, wie dir von Gemeindewegen das Frachtschiff gebaut wurde und du privatim ihre Häuser ausplündertest! Endlich, wenn diese Leute allein in ganz Sicilien dich loben, was bewirken sie damit anders als daß sie uns bezeugen, du schenktest ihnen was du unserem Staat entzogest! Wo giebt es denn in ganz Italien eine so bevorrechtete Kolonie, wo eine Munizipalstadt mit solcher Steuerfreiheit, die in diesen Zeiten dermaßen aller Pflichten enthoben gewesen wäre wie die Mamertinergemeinde thatsächlich drei Jahre lang war? Sie allein haben ihre vertragsmäßigen Pflichten nicht erfüllt, sie allein wurden unter Verres' Regierung von allen Lasten befreit, sie allein haben seine Amtsführung dermaßen ausnutzen dürfen, daß sie dem römischen Volke nichts boten und dem Verres nichts abschlugen.

XXIII. (59) Aber um nun auf unseren Ausgangspunkt, nämlich zur Flotte zurückzukehren, so hast du dir also von den Mamertinern in ungesetzlicher Weise ein Schiff stellen und ein anderes entziehen lassen; folglich hast du an einem Punkte doppelt gesündigt, denn du erließest, was du nicht solltest, und nahmst an, was du nicht durftest. Du solltest ein Schiff bestellen gegen das Räubergesindel und nicht zum Raubtransport; es sollte die Provinz gut verteidigen und nicht die Güter der Provinz wegführen. Die Mamertiner boten dir für deine Beute erst in ihrer Stadt eine feste Burg, dann in ihrem Hafen eine schnelle Brigg – dem Briganten die nötige Brigantine. Jene Stadt war dein Stapelplatz für all das gestohlene Gut, jene Menschen waren Zeugen und Hehler deines Diebstahls, sie zeigten dir buchstäblich, wo du mit diesem Raub ein- und ausgehen konntest. Darum hast du selbst später, nachdem du um nichtswürdiger Habgier willen unsere Flotte vernichtet, doch nicht gewagt, dir von den Mamertinern eine Galeere stellen zu lassen: zu einer Zeit, wo sie selbst die bloße Bitte um eine solche nicht hätten abschlagen dürfen – so arg war die Marine heruntergekommen, so hart war die ganze Provinz bedrängt. Aber du konntest bereits weder bitten noch befehlen; der Mut zum einen wie die Kraft zum anderen war gebrochen durch den herrlichen Vorfall, daß Rom um ein Kriegsschiff betrogen, der Prätor dagegen um ein Transportschiff bereichert wurde. Das war der Lohn für seine Regierung, für seine Hilfe, seine Rechtspflege, für seinen Verkehr und seinen Vertrag.

XXIIII. (60) Ihr saht wie uns die Hilfeleistung einer kräftigen Völkerschaft verloren ging, wie sie für Geld verschachert wurde; jetzt müßt ihr ein neues, von Verres eigens ausgedachtes Raubsystem kennen lernen. Alle Ausstattungskosten für die Flotte, als da sind für Lebensmittel, Sold und andere Bedürfnisse, pflegte jede einzelne Gemeinde immer ihrem Schiffskapitän vorzustrecken; dieser setzte sich somit nie der Gefahr aus von seinen Mannschaften verklagt zu werden, war aber anderseits seinen Mitbürgern Rechenschaft abzulegen verpflichtet und hatte überhaupt in seiner Stellung nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Risiko. Dieser Brauch bestand wie gesagt immer, und zwar nicht bloß in Sicilien, sondern in allen Provinzen, auch im Sold- und Verpflegungswesen der Bündner und Latiner, solange wir überhaupt ihre Hilfstruppen verwendeten. Verres ist nun der erste, der seit dem Bestande der römischen Oberherrlichkeit den Befehl gegeben hat, alle jene Gelder sollten von den Gemeinden an ihn ausgezahlt werden, damit jedesmal der von ihm eingesetzte Beamte ihre Verwaltung übernähme. (61) Wer kann da zweifeln, zu welchem Zwecke du einen so feststehenden, allgemeinen, altherkömmlichen Brauch plötzlich aufhobst! zumal du damit die große Bequemlichkeit, das Finanzwesen von Anderen besorgt zu wissen, aus Händen gabest und mit dem schwierigen Geschäft nicht nur eine neue Arbeit sondern auch eine Gefahr übernahmest, nämlich die Möglichkeit, später angeschuldigt zu werden. Darauf eröffnet' er sich noch weitere, auf dem einen Gebiete des Seewesens immerhin recht zahlreiche Erwerbsquellen: z. B. von den Gemeinden Geld anzunehmen und ihnen dafür die Lieferung von Matrosen zu erlassen; oder für eine bestimmte Summe Mannschaften nach Hause zu schicken und ihren ganzen Sold einzustecken; oder an andere den schuldigen Sold nicht auszuzahlen. Das alles kann ich euch durch Zeugnisse der Gemeindevorstände beweisen. Bitte vorzulesen.

[Es geschieht.]

XXV. (62) Nein, so ein Mensch! So eine Unverschämtheit, ich bitte euch, so eine Frechheit! Den Gemeinden statt einer bestimmten Anzahl Soldaten eine bestimmte Summe Geldes abzufordern; einen bestimmten Preis, sechshundert Sesterzen für die zeitweise Entlassung eines jeden Matrosen aufzustellen! Wer sie zahlte, bekam Urlaub für die ganzen sechs Sommermonate; und was für seine Besoldung und Ernährung in die Listen eingetragen war, strich alles Verres ein; so brachte ein Manöver doppelten Gewinn. Und dies trieb der ehrlose Mensch, während die Seeräuber andrängten und die Provinz in äußerster Gefahr schwebte, so offen, daß die Seeräuber selbst es wußten und die ganze Provinz es mit ansah.

(63) Während also diese Geldgier verschuldete, daß vor Sicilien statt der angeblichen Kriegsflotte leere Schiffe lagen, die nicht Verderben über die Korsaren, sondern unerlaubten Gewinn an den Statthalter bringen sollten, da geschah es doch, daß Publius Caesetius und Publius Tadius, die mit ihren zehn halbbemannten Fregatten an der Ostküste kreuzten, ein mit Beute vollgepfropftes Piratenschiff nahmen; richtiger gesagt, sie schleppten es hinweg, da es sich unter seiner eigenen Last nicht mehr fortbewegen konnte und eben zu sinken im Begriffe stand. Die Ladung war überreich: da fand man geprägtes und künstlerisch verarbeitetes Edelmetall, Teppiche und Vorhänge, namentlich aber eine große Menge Gefangener, lauter prächtige, gesunde, junge Leute. Dies eine Schiff wurde von unserer Flotte nicht gefangen, sondern vorgefunden, und zwar bei Megaris in der Nähe von Syrakus. Als der Vorfall dem Statthalter gemeldet wurde, lag er gerade betrunken mit seinen Frauenzimmern am Strande; doch immerhin richtet' er sich auf und sandte seinen beiden Unteradmiralen den Befehl, ihm möglichst die Ladung in ihrem vollen Bestande zuzuführen. (64) Das Schiff wird nach Syrakus geschleppt: alle erwarten die Strafe der Schuldigen. Aber Verres denkt gar nicht an die gefangenen Seeräuber, sondern nur an seine Beute und erklärt deshalb die Alten und Häßlichen unter den Gefangenen für Staatsfeinde, die jungen, hübschen oder irgendwie brauchbaren behält er alle für sich; einige verteilt er an seine Sekretäre, seinen Sohn und andere Leute seiner Sippschaft, und sechs musiktüchtige schickt er einem Freund in Rom als Geschenk. Die ganze Nacht wird auf die Musterung des Schiffes und seiner Fracht verwendet. Aber niemand sieht den Oberpiraten, der mit dem Tode bestraft werden mußte. Heut' ist sich alles darüber klar – und ihr möget selber ahnen, was daran ist – daß Verres sich heimlich von den Piraten für ihren besagten Oberst Geld geben ließ. XXVI. (63) »Aber das ist nur ein Argwohn.« Ja, aber ohne Argwohn und gegründeten Verdacht kann kein guter Richter vorwärts kommen. Ihr kennet den Menschen, kennet seinen ganzen Verkehr; ihr wisset, wie gern er gefangenen Führern feindlicher oder räuberischer Banden gestattete, sich allenthalben öffentlich zu zeigen. Nun hab' ich in dem großen Kreise von römischen Bürgern zu Syrakus keinen einzigen getroffen, der jenen gefangenen Flibustierhäuptling gesehen hätte, obgleich natürlich alle, wie immer, gleich herumliefen, nach ihm fragten, ihn durchaus zu sehen verlangten. Was lag denn da vor? Wie kam es, daß man den Menschen so sorgsam versteckt hielt, daß keiner ihn auch nur zufällig einmal zu sehen bekam? Die Küstenbewohner von Syrakus, die ihn nur allzu gut kannten, die seinen Namen oft mit Schrecken vernommen hatten, hofften endlich beim Anblick seiner Marter am Kreuz ihre Augen zu weiden und ihr Herz zu sättigen; aber keinem wurde der ersehnte Anblick zu teil. (66) Man denke einmal an Publius Servilius; er allein hat ja mehr Piratenanführer lebendig gefangen als alle seine Vorgänger zusammen. Hat er jemals die Menschen des Genusses beraubt, sich am Anblicke der gefangenen Mordbrenner zu erlaben? Im Gegenteil, auf allen Reisen bot er immerfort der Bevölkerung das wonnevolle Schauspiel der endlich gefangenen und gefesselten Wüteriche; darum lief man ihm ja von allen Seiten zu, und nicht nur aus den Städten an seinem Wege, sondern rings aus dem ganzen Lande strömten die Leute herbei, um ihre Peiniger in Ketten zu sehen. Und vollends sein Triumph in Rom: warum war gerade dieser Triumph den Römern so ganz besonders willkommen und angenehm? weil es kein wonnigeres Siegesbewußtsein, kein bestimmteres Zeichen des definitiven Sieges giebt, als wenn man den lange gefürchteten Feind endlich gefesselt zum Schafott abführen sieht. (67) Warum hast du das also nicht gethan? Warum wurde jener Freibeuter so ängstlich versteckt gehalten, als ob es eine Sünde wäre, ihn ansehen zu lassen? Warum ward an ihm nicht die gesetzliche Todesstrafe vollzogen? Wozu hast du das Subjekt aufgespart? Kannst du mir einen einzigen Fall nachweisen, wo in Sicilien ein aufgegriffener Pirat nicht sofort geköpft worden wäre? Nenne mir einen Präzedenzfall, berufe dich auf einen Vorgänger! Einen Oberpiraten ließest du am Leben, hobst ihn dir auf für einen bestimmten Zweck: für welchen Zweck? Ich glaube fast, für einen Triumphzug, um ihn beim Einzug in Rom vor deinem Wagen herschreiten zu lassen; denn das war wirklich das Einzige was noch fehlte, daß man dir wegen des Verlustes von Roms schönster Flotte und wegen der Verwüstung unserer Provinz Sicilien die Ehre eines Triumphes zuerkannt hätte.

XXVII. (68) Nun weiter. Du wolltest vielleicht eine Neuerung einführen und den Piratenhäuptling nicht nach der alten Regel hinrichten lassen, sondern lieber in Gewahrsam halten. Dann frag' ich: was ist das für ein Gewahrsam? Bei welchen Menschen? Wie bewachte man ihn? Es giebt ein berühmtes Zuchthaus bei Syrakus, die »Steinbrüche«; ihr alle habt davon gehört, viele es auch selbst gesehen. Das ist eine ungeheure, großartige Anlage, ein echter Königs- und Tyrannenbau; die Steinmasse senkt sich bis zu unheimlicher Tiefe und ist rings durch zahllose Arbeiter so behauen, daß ein Hinausklettern unmöglich ist; kein Thor der Welt ist so fest verriegelt, kein Raum so isoliert, mit einem Wort, keinen sichereren Gewahrsam kann man sich vorstellen als dies Gefängnis unter freiem Himmel. Von den Schrecken dieses furchtbaren Gefängnisses ist bei den alten Schriftstellern häufig die Rede, namentlich von den Qualen, die die unglücklichen Athener daselbst erduldeten, als nach dem Scheitern ihrer sicilischen Expedition im Jahre 413 die Gefangenen zu Tausenden darin zusammengepfercht wurden. Im Mittelalter wurden nun, wie alle Bauten der Stadt Syrakus, so auch ihre Steinbrüche verwahrlost; Regenwasser sammelte sich darin an, und auf dem Schlamm, der allmählich den Boden und zum Teile die Felswände bedeckte, entwickelte sich unter der Kraft der südlichen Sonne eine üppige, phantastische Vegetation. So trat in diesem einen Falle die Lieblichkeit an Stelle des Grauens, und so kommt es, daß der moderne Name für eines dieser Gefängnisse in sich zwei Extreme vereinigt. Der zunächst am Theater gelegene Steinbruch heißt jetzt »Latomia del paradiso.« In diese Steinbrüche führt man in der Regel auch aus den übrigen Städten Siciliens die Gefangenen, die staatlich in Arrest gehalten werden sollen. (69) Dort hatte Verres viele verhaftete römische Bürger hineinwerfen lassen, außerdem die übrigen aufgegriffenen Piraten, und so dacht' er sich, wenn sein falscher Räuberhauptmann auch hinkäme, würden viele dort unten nach ihrem echten Obersten fragen und so die Sache ruchbar werden. Daher wagt' er's nicht, den Menschen diesem unvergleichlich sicheren Gewahrsam anzuvertrauen, ja er fürchtete sich überhaupt vor ganz Syrakus, er verschickt ihn also – wohin? vielleicht nach Lilybaion? Das wäre doch etwas, immerhin ein Zeichen, daß er nicht durchaus vor den Küstenbewohnern zurückschreckt. Aber nein, durchaus nicht. Also etwa nach Panormos? Das ließe sich hören, obgleich der Gefangene von Syrakus, wenn ihm schon die Todesstrafe geschenkt wurde, auch in Syrakus eingesperrt werden mußte. Indessen: nein, auch nach Panormos schickt er ihn nicht. Wohin also? Nun, was meint ihr wohl? (70) Zu Menschen, die an Seeräuber und ihre Plage nie gedacht hatten, denen nichts ferner lag als Seefahrten und Marineinteressen, nach Kentoripa, mitten unter diese Urbinnenlandbewohner, treffliche Ackerleute, die nie vor dem Namen eines Korsaren erschrocken waren, sondern nur einen Räuberhauptmann in deiner Regierungszeit verabscheuten, einen Oberpiraten zu Lande, nämlich deinen Freund Apronius. Und damit auch jedermann ja leicht den Grund seines Verfahrens durchschaute – nämlich daß jener untergeschobene Korsarenkapitän seine Rolle leicht und gerne spielen sollte – gab er der Stadt Kentoripa den ausdrücklichen Befehl, ihn anständig zu verpflegen und überhaupt in jeder Hinsicht freundlich aufzunehmen.

XXVIII. (71) Inzwischen stellten die Syrakusaner, klug und erfahren wie sie sind, fähig nicht nur das Greifbare zu übersehen, sondern auch das Versteckte zu erschließen, täglich Berechnungen an über die Piraten, die den Tod durch das Beil finden mußten: zunächst versuchten sie, über ihre Menge aus dem erbeuteten Schiffs Material und aus der Anzahl der Ruder einen Schluß zu ziehen. Nun hatte Verres alle, die sich auf irgend ein Handwerk verstanden oder durch Schönheit auszeichneten, für seinen Privatgebrauch wegführen lassen; wurden jetzt die anderen in üblicher Weise sämtlich an den Pfahl gebunden, so mußt' er einen lärmenden Ausbruch des Volksunwillens befürchten, da sehr viel mehr Menschen weggeführt als übrig gelassen waren. So kam er auf das Aushilfsmittel, verschiedene zu verschiedenen Zeiten vorzuführen, aber das gelang nicht; jedermann, auch alle die römischen Bürger wußten nach eigener Berechnung die Zahl der Gefangenen und so vermißte man die Fehlenden nicht nur, sondern verlangte auch nach ihnen laut und entschieden. (72) Da eine große Anzahl fehlte, ließ der nichtswürdige Mensch zum Ersatz und zur Ausfüllung der durch seinen Eigennutz entstandenen Lücke jene römischen Bürger holen, die er früher ins Gefängnis hatte werfen lassen; er schützte vor, einige von ihnen hätten unter Sertorius gefochten und wären, nach dessen Untergang, auf der Flucht aus Spanien an die sicilische Küste verschlagen worden; andere, die thatsächlich auf Geschäftsreisen oder sonstigen Seefahrten von den Piraten gekapert worden waren, beschuldigt' er ganz willkürlich des Einverständnisses mit diesen Reichsfeinden. So wurden denn römische Bürger, die als solche nicht erkannt werden sollten, aus dem Kerker mit verhülltem Haupt zum Pfahl und zum Tode geschleppt; andere wurden von vielen Römern erkannt, von allen verteidigt – vergeblich, sie fanden den Tod durchs Beil. Ich werde über ihre grausame Marter und ihren entsetzlichen Tod noch reden, wenn ich jenes Gebiet erst betreten habe; ich werde sprechen, wie's mir ums Herz ist; und sollten mich bei meiner Klage über die grausame Ermordung römischer Bürger durch diesen Elenden nicht nur meine Kräfte, sondern mein Leben verlassen, so bedauert mich nicht: es wäre ja ein Ruhm für mich. (73) Dies also ist seine Heldenthat, dies ist sein großer Sieg: von einem gekenterten Piratenkaper wurde der Kapitän in Freiheit gesetzt, die Spielleute nach Rom geschickt, die hübschen, jungen und brauchbaren Menschen in sein Haus beordert, an ihrer Stelle in entsprechender Anzahl römische Bürger nach Verbrecherart gemartert und getötet; schließlich alle Schätze an Gold, Silber und Stoffen unterschlagen.

XXVIIII. Wie hat er sich auch selber verwickelt in unserer ersten Verhandlung! Erst hatt' er tagelang geschwiegen; dann plötzlich, als unser verehrter Marcus Annius im Zeugenverhör erklärte, Verres habe die Todesstrafe durchs Beil, statt an einem Piratenoberst, an einem römischen Bürger vollziehen lassen –: da sprang er plötzlich auf, wie von allen Furien des bösen Gewissens im Gedanken an seine Unthaten gepeitscht, und sagte, er hätte vorher gewußt, daß man ihm Bestechlichkeit und die unerlaubte Schonung des wahren Piratenhäuptlings vorwerfen würde, deswegen hätt' er die Todesstrafe nicht verfügt: zwei Piratenhäuptlinge weilten bei ihm zu Hause. (74) Du gutes Römervolk, wie groß ist doch deine Milde, oder vielmehr wie wunderbar ist deine Langmut! Der römische Ritter Marcus Annius erklärt: »ein römischer Bürger wurde durchs Beil hingerichtet« – Verres schweigt; »einem Piratenführer wurde die gleiche Strafe erlassen« – er gesteht es zu. Alles jammert und schreit ringsum, aber von einer unmittelbaren Lynchjustiz nimmt das geduldige römische Volk noch Abstand um die Sorge für sein Wohl der Strenge des Gerichtshofes anzuvertrauen. – Wie, du wußtest vorher, daß man dich daraufhin beschuldigen würde? Woher wußtest du denn das? Wie kamst du auch nur zu dem Argwohn? Einen persönlichen Widersacher hattest du nicht; und wenn du ihn hattest, so ließ doch dein ganzes Auftreten nicht darauf schließen, daß du Angst vor den Gerichten hattest. Oder machte, was ja auch vorzukommen pflegt, das böse Gewissen dich ängstlich und argwöhnisch? Wenn du nun schon während deiner Amtsdauer mit Schrecken an Kläger und Richter dachtest, wie kannst du da jetzt an deiner Verurteilung zweifeln, wo so viele Zeugen dich belasten? (75) Ferner: du fürchtetest, sagst du, die Beschuldigung, es wäre ein untergeschobenes Subjekt, das man an Stelle des Piratenkapitäns zum Tode führte: wenn dem so war, wovon konntest du dir wohl besseren Erfolg bei deiner Rechtfertigung versprechen, von der Vorführung des angeblichen Flibustiers vor unbekannte Richter (noch dazu nach langer Zeit und gezwungenermaßen, auf meinen Antrag), oder aber von seiner Enthauptung auf frischer That, in Syrakus, wo man ihn kannte, vor den Augen von fast ganz Sicilien?! Beachte gefälligst den Unterschied zwischen den beiden Rettungswegen: gegen den einen wäre nichts einzuwenden gewesen, der andere ist zu nichts nütze. Alle Vorgänger haben denn auch stets ihre Pflicht gethan; den von dir eingeschlagenen Weg hat keiner gewählt. Du hieltest den Räuberhauptmann lebendig gefangen. Wie lange? Bis ans Ende deiner Amtsdauer. Zu welchem Zwecke, mit welchem Rechte, warum so lange Zeit? Warum, frag' ich, hast du, der du römische von Piraten gefangene Bürger sofort enthaupten ließest, den Räubern selbst so lange den Anblick des Lichtes gegönnt? (76) Aber selbst dies einmal zugegeben – mag dir meinetwegen die Zeit deiner Amtsperiode hingehen –: selbst nachher, als Privatmann, als Angeklagter, der schon so gut wie verurteilt ist, hast du die Führer der Reichsfeinde in deinem Hause behalten! Seit ihrer Gefangennahme verging ein Monat, dann ein zweiter, allmählich ward es fast ein Jahr, und immer blieben die Räuber in deinem Hause, so lange ich es zuließ, das heißt vielmehr, so lange es unser Stadtprätor Marius Glabrio zuließ, der auf mein Verlangen ihre Vorladung und Verhaftung befahl. XXX. Willst du dich hier nun auch aufs Recht berufen? Kannst du auch nur eine Analogie, einen einzigen Präzedenzfall anführen? Den bittersten grausamsten Feind der römischen Nation, oder vielmehr den gemeinsamen Feind aller Völker und Staaten – welcher Mensch wird sich je entschließen, den in seinen vier Wänden zu beherbergen? (77) Und wenn er nun am Tage, bevor ich dir das Geständnis von der Enthauptung römischer Bürger, von der Schonung des Piratenführers und seiner Aufnahme in dein Haus abnötigte – wenn er, sag' ich, am Tage vor dieser Wendung der Dinge aus deinem Haus entschlüpft wäre und irgendwie eine bewaffnete Bande gegen das Volk hätte zusammenbringen können, was würdest du da sagen? – »Er wohnte bei mir,« willst du erwidern, »er war stets in meiner Umgebung; ich hab' ihn eigens gegen alle Angriffe und Gefahren geschützt, um ihn für meinen Prozeß aufzuheben und mit seiner Hilfe die Vorwürfe meiner Widersacher zu entkräften.« – Ist das wirklich so? Willst du also deine persönliche Gefahr durch eine allgemeine Gefahr abwenden? Willst du die Todesstrafen, die dem besiegten Staatsfeinde zukommen, je nach deinem eigenen und nicht nach dem Staatsinteresse verfügen? Soll wirklich der Bedränger Italiens dem Gewahrsam eines Privatmannes überlassen bleiben? Aber selbst wer das Recht des Triumphes erhält und daher gewiß die feindlichen Führer am Leben läßt um sie für seinen Triumphzug aufzuheben und in ihrem Aufmarsch unser Volk das herrlichste Schauspiel, die Früchte des Sieges genießen zu lassen, selbst der läßt dennoch in dem Augenblicke, da die Wagen vom Forum zum Kapitol hin abbiegen, jene Gefangenen in den Kerker abführen; derselbe Tag macht der militärischen Gewalt des Siegers und dem Leben der Besiegten ein Ende. (78) Und da soll noch ein Mensch bezweifeln, daß du dies ohne Interesse gethan hättest, zumal du angeblich wußtest, du würdest dich gegen den Vorwurf verteidigen müssen, den Oberpiraten, anstatt ihn einfach zu enthaupten, nun sichtlich zu deiner eigenen Gefahr am Leben zu lassen. Denn wenn er nun gestorben wäre, wie hättest du, der du angeblich jene Beschuldigung fürchtetest, bei irgend jemand Glauben finden können? Es war bekannt, daß diesen Piratenobersten niemand in Syrakus gesehen hatte, daß alle nach ihm verlangten; niemand zweifelte daran, daß du ihn für Geld auf freien Fuß gesetzt hattest; allgemein ging das Gerede, an seiner Stelle hättest du einen Strohmann vorgeschoben; endlich du selber hattest nach deinem eigenen Geständnis schon seit langer Zeit solche Angst, man würde dir eben dies zur Last legen: und nun müßtest du plötzlich seinen Tod anzeigen – wer würde dich anhören? (79) Jetzt aber führst du hier irgend einen Menschen vor und mußt dabei erleben, daß man dich auslacht; wär' er nun erst entflohen, hätt' er seine Fesseln zerrissen, wie jener berühmte Räuber Nikon, den Publius Servilius so glücklich gefangen hatte und nun nach seiner Flucht ebenso glücklich wieder einfing – was wolltest du dann sagen? Dagegen lagen die Dinge so: wäre jener echte Räuberhauptmann hingerichtet worden, so hättest du dein Geld nicht bekommen; wäre dagegen dieser Untergeschobene gestorben oder entflohen, so hielt es nicht schwer, an seine Stelle wiederum einen anderen unterzuschieben. – Mehr als ich wollte hab' ich über den Piratenoberst gesprochen, und dabei hab' ich noch die wesentlichsten Beweismittel für diesen Klagepunkt ausgelassen. Ich will ihn mir nämlich nicht vorweg nehmen; sondern es giebt einen bestimmten Platz, ein bestimmtes Gesetz, ein bestimmtes Tribunal, wo er hingehört Damit läßt Cicero merken, daß er Verres vor anderen Richtern »wegen Schädigung der Reichsgewalt« verklagen will, falls er mit der gegenwärtigen Klage »wegen Erpressungen« wider Erwarten abgewiesen würde. : dafür heb' ich ihn mir auf.

XXXI. (80) Neu gestärkt durch so reiche Beute, gesegnet mit so viel neuem Erwerb an Sklaven, Silber und kostbaren Stoffen, fing Verres keineswegs an, sich etwas ernstlicher um Ausrüstung der Flotte, Einberufung und Unterhalt der Soldaten zu kümmern, obgleich ein solches Streben neben großem Segen für die Provinz auch allerlei gute Folgen für seinen eigenen Säckel hätte bringen können. Denn im folgenden Hochsommer, also der Jahreszeit wo sich sonst alle Statthalter zu Inspektionsreisen durch die ganze Provinz aufmachen oder auch angesichts der fürchterlich drohenden Seeräubergefahr wohl selber an Bord gehen, da genügte ihm die Amtswohnung in der Stadt nicht mehr für seine Lüste und Schwelgereien; er vertauschte den Palast der Landvogtei, weiland König Hierons Schloß, mit jener schon von mir beschriebenen Sommerresidenz am Strande, ließ seine orientalischen Battistzelte auf der »Insel« von Syrakus hinter der Quelle Arethusa dicht am Eingange zur Hafenmündung Zufällig ist es derselbe Punkt, wo am 7. April 1896 Kaiser Wilhelm II. ans Land stieg. aufschlagen; und man muß es ihm lassen, der Punkt war geschmackvoll gewählt, auch sicher vor unberufenen Gästen. (81) Hier wurden nun bereits ganze Wochen vom Prätor des römischen Volkes, dem Hort und Schützer der Provinz, dem regierenden Statthalter, in der Weise hingebracht, daß er täglich mit seinen Weibern zechte, wahrend Männer sich in dieser Gesellschaft überhaupt nicht befanden, außer ihm und seinem Bürschchen von Sohn. Übrigens hätt' ich, da diese beiden die Einzigen waren, ruhig sagen können: ohne Ausnahme. Zuweilen ward auch sein Freigelassener Timarchides zugezogen, sonst aber, bis auf die Tochter des Schauspielers Isidoros, die er in seiner Verliebtheit einem Flötisten in Rhodos entführt hatte, nur wirkliche Frauen von Stande; so jene gewisse Pipa, die mit Aischrion in Syrakus verheiratet war und in den zahlreichen, durch ganz Sicilien verbreiteten Spottversen auf Verres' Sinnengier eine Rolle spielt; ferner die wegen ihres schönen Gesichtes berühmte Nika, die Frau eines syrakusaner Bürgers Namens Kleomenes. (82) Ihr Mann liebte sie, aber sie konnte und durfte dem lüsternen Landvogt nicht widerstehen, der sie übrigens durch alle möglichen Geschenke und Aufmerksamkeiten an sich zu bringen suchte. Nun konnt' es dieser Mensch mit all seiner bereits hinlänglich bekannten Schamlosigkeit doch nicht gut riskieren, damals, wo der Ehemann selbst in Syrakus lebte, die Frau ganz ungeniert und sicher so viele Tage lang draußen am Strande zu behalten; daher dacht' er sich ein besonderes Manöver aus. Er ernennt den Kleomenes an Stelle eines Unteradmirals zum Befehlshaber einer Flottenabteilung; er stellt thatsächlich ein römisches Geschwader unter das unumschränkte Kommando des Syrakusaners Kleomenes. Dadurch erreicht' er, daß Kleomenes nicht nur sein Haus verließ, da er in See stechen und kreuzen mußte, sondern daß er es auch gern, unter den allergünstigsten und ehrenvollsten Umständen verließ; er selbst aber konnte nun, wo der Ehemann weit übers Meer geschickt war, die Frau zwar nicht ungehinderter als sonst (seine Wollust kannte eben niemals Hindernisse), jedoch immerhin mit größerer Seelenruhe bei sich behalten. Er entfernte den Kleomenes nicht als ihren Mann, sondern als seinen Rival.

XXXII. (83) Also die Bundesflotte wurde dem Syrakusaner Kleomenes unterstellt. Wo soll ich da mit Vorwurf und Anklage beginnen? Ein Sicilianer erhielt die ganze Amts- und Machtbefugnis eines Legaten, eines Quästors, ja selbst eines Prätors! Wenn du selber durch deine anhaltende Beschäftigung mit Wein und Weibern an der Ausübung deiner Pflichten verhindert warst, wozu hattest du Hilfsbeamte und Viceadmiräle? Wozu dienen all die Lieferungen, das Getreide mit seinen von dir so enorm hinaufgeschraubten Entschädigungssummen, die drei Denare für jeden Scheffel, die Maulesel, die Reisezelte, kurz der ganze Aufwand von Equipierung, die Roms Senat und Volk seinen Statthaltern und ihren Vertretern zur Verfügung stellt? Wo waren deine Divisionskommandeure und Stabsoffiziere? Wenn dir kein römischer Bürger zur Übernahme jener Aufgabe geeignet schien, so gab es doch zunächst Gemeinden, die unserer Nation zu allen Zeiten die treueste Anhänglichkeit bewiesen hatten, wie Egesta und Kentoripa, die uns seit alters her so viel gute Dienste erwiesen hatten, daß sie uns dadurch ebenso nahe stehen wie durch die gemeinsame Herkunft. Egesta soll von den Überbleibseln der Bevölkerung Troias gegründet sein, und zu Ciceros Zeit fing bereits die Erfindung an Glauben zu gewinnen, welche die Gründung Roms mit Aineias in Verbindung brachte. (84) Wahrlich, wenn das ganze militärische Kontingent dieser Staaten, wenn ihre Soldaten, ihre Schiffe, ihre Kapitäne dem Kommando des Syrakusaners Kleomenes untergeordnet wurden, hieß das nicht allem Anstand, allem Gefühl für Dank und Billigkeit einen Schlag ins Gesicht versetzen? Haben wir je in Sicilien einen Krieg geführt, in dem nicht Kentoripa für uns, Syrakus gegen uns gefochten hätte? – Folgendes erwähn' ich nur um an das hohe Alter dieser Beziehungen zu erinnern, nicht etwa um eine Gemeinde zu beleidigen. Unser großer Marcus Marcellus, der gewaltige Stratege, dessen Bravour die Stadt bezwang, dessen edles Herz sie vor dem Untergange bewahrte, erließ damals eine Verfügung, daß in dem Stadtteile von Syrakus, der auf der Insel liegt, kein Einheimischer mehr wohnen dürfe. Noch heute besteht diese Verfügung zu Recht: kein Syrakusaner darf dort wohnen – es ist nämlich ein Punkt, der selbst von einer geringen Anzahl Menschen leicht verteidigt werden kann. Darum wollte Marcellus ihn nicht gern Leuten anvertrauen, deren Zuverlässigkeit nicht genau erprobt war, auch schon weil jener Punkt die Einfahrt vom offenen Meere her beherrscht; er meinte, wer unseren Truppen den Zugang zur Stadt Syrakus so oft verschlossen hatte, der sollte nie mehr in den Besitz des Schlüssels dazu gelangen. (85) Nun betrachte man den Unterschied zwischen der Schamlosigkeit dieses Menschen und dem Ernst unserer Vorfahren, zwischen seiner tollen Ausschweifung und ihrer weisen Berechnung. Jene nahmen den Syrakusanern den Zugang zu ihrem Hafen weg, du gabst ihnen eine gewaltige Macht zur See; jene gestatteten keinem Syrakusaner an der äußeren Hafenmündung zu wohnen, du gabst einem Syrakusaner den Oberbefehl über Flotte und Mannschaften. Unsere Väter nahmen ihnen einen Teil ihrer Stadt, und du giebst ihnen einen Teil unserer Macht; unsere Alliierten, durch deren Eingreifen die Syrakusaner unsere Unterthanen wurden, sind auf dein Geheiß selber einem Syrakusaner unterthänig geworden.

XXXIII. (86) Kleomenes verläßt auf einer von Kentoripa gestellten vierstöckigen Galeere den Hafen; es folgen die Schiffe von Egesta, Tyndaris, Herbita, Herakleia, Apollonia, Haluntion – ein stattliches Geschwader dem Anscheine nach, aber dürftig und kraftlos wegen der Entlassung so vieler Kombattanten und Matrosen. Dieser arbeitsame Statthalter hat in der ganzen Zeit seiner Amtsführung eine Flotte gerade so lange gesehen, wie sie Zeit brauchte um bei einem seiner wüsten Zechgelage vorbeizufahren; er hatte sich sonst seit einer Reihe von Tagen nicht blicken lassen, aber nun zeigt' er sich der Schiffsmannschaft eine kleine Weile. In Hausschuhen, mit purpurnem Griechenmantel und lang herabwallender Damentunika angethan, auf ein Frauenzimmer gestützt, so erschien der Prätor des römischen Volkes am Gestade. Viele Sicilianer und römische Bürger hatten ihn schon oft in diesem Aufzuge gesehen. (87) Dann fuhr die Flotte weiter hinaus und gelangte endlich am fünften Tage ans Kap Pachynos; hier war die Mannschaft dermaßen ausgehungert, daß sie mühsam die Wurzeln der in jener Gegend wie in vielen Strichen Siciliens häufig vorkommenden Feldpalmen sammelten und sich in ihrem Zustand elender Verkommenheit davon ernährten. Inzwischen ließ sich Kleomenes, der sich bereits für einen zweiten Verres hielt und seinem Vorgesetzten auch im Punkte der nichtswürdigen Schlemmerei möglichst nahe kommen wollte, nach dessen Muster ein Zelt aufschlagen und verbrachte da den ganzen Tag beim Weine. XXXIIII. Schon lag er trunken, während seine Leute Hunger litten, da wird plötzlich gemeldet, ein Piratengeschwader sei im Odysseushafen – so heißt eine Örtlichkeit ganz in der Nähe vom Kap Pachynos, wo unsere Flotte vor Anker lag. Eben dort befand sich zwar nicht tatsächlich aber dem Namen nach eine Besatzungstruppe; Kleomenes dachte von ihr Mannschaften abzukommandieren und mit ihrer Hilfe die abgängigen Matrosen und Soldaten zu ersetzen. Da fand sich aber, daß die Habsucht des Verres bei den Landtruppen ebenso ihre Wirkung gethan hatte wie bei der Flottenmannschaft: nur sehr wenige waren noch vorhanden, die übrigen sämtlich entlassen. (88) Nun geht Kleomenes an Bord seiner kentoripiner Galeere, läßt sofort den Mastbaum aufrichten, die Segel hissen, die Ankertaue kappen, sticht in See und giebt den übrigen durch Signale den Befehl, ihm zu folgen. Die Galeere von Kentoripa besaß eine unglaubliche Fahrgeschwindigkeit durch Segelkraft; was nämlich ein jedes Schiff im Rudern zu leisten vermochte, konnte unter Verres' Regierung niemand konstatieren, obgleich gerade auf dem Admiralitätsschiff, also in der unmittelbaren Umgebung des Kleomenes, verhältnismäßig nicht so sehr viele Mannschaften fehlten. Schon war die fortsausende Galeere den übrigen fast außer Sehweite, während diese sich noch alle nebeneinander abmühten, die hohe See zu gewinnen. (89) Auf ihnen herrschte ein mutiger Geist. Wenig Leute waren da, aber wie sich die Dinge auch gestalteten, alle riefen laut, sie wollten durchaus kämpfen, wollten den Rest von Lebenskraft, den ihnen der Hunger gelassen, nur dem Schwerte weihen. Hätte Kleomenes nicht gleich so eilig die Flucht ergriffen, es hätte immerhin noch eine Möglichkeit des Widerstandes gegeben. Denn nur sein Schiff war gedeckt und von so gewaltigen Dimensionen, daß es die übrigen wie ein Bollwerk hätte schützen können; im Gefechte mit den Seeräubern hätt' es sich gegenüber den kleinen Piratenkapern wie eine mächtige Festung ausgenommen. Nun war es ausgerissen, die Flotte führerlos, die Mannschaft gering an Zahl: sie schlugen notwendig dieselbe Richtung ein, die der Admiral genommen hatte. (90) In der Direktion auf Heloros segelte Kleomenes, segelten nun auch die übrigen; nicht um Flucht vor den Piraten war es ihnen zu thun, sondern um das Beispiel ihres Kommandeurs, dem sie folgen mußten. Je weiter nun die Einzelnen in der Flucht zurück waren, desto näher rückte ihnen die Gefahr auf den Leib; natürlich richteten die Räuber ihren Angriff jedesmal zunächst auf das hinterste Schiff. So geriet zuerst das Schiff von Haluntion in ihre Gefangenschaft; sein Kapitän, ein vornehmer Haluntiner Namens Phylárchos, wurde später von den Lokrern auf Staatskosten ausgelöst: es ist derselbe, der euch in der ersten Verhandlung den ganzen Hergang berichtet und die Erzählung auf seinen Zeugeneid genommen hat. – Darauf kam Apollonia an die Reihe; das Schiff wird gefangen genommen, der Kapitän Anthropinos getötet. XXXV. (91) Während dieser Vorgänge war Kleomenes bereits bis ans Gestade von Heloros gelangt, hatte sich schleunigst vom Schiff aufs Uferland geschwungen und ließ seine Galeere in der Brandung treiben. Die übrigen Schiffskapitäne, die nach der Flucht ihres Kommandeurs keinen Widerstand leisten konnten, und sich auch auf dem Meere jeden Rettungsweg versperrt sahen, hatten keine Wahl: auch sie mußten landen, so ließen sie ihre Schiffe ans Ufer laufen, sprangen ab und eilten dem Kleomenes nach. So war der Anführer der Piraten Herakleon urplötzlich gegen alle Erwartung und nicht durch seine eigene Tüchtigkeit sondern durch die niederträchtige Habsucht des Verres in den Besitz des Sieges gelangt; er ließ die prächtige Flotte des römischen Volkes, die nun jämmerlich verlassen am Strande lag, beim ersten Einbruch der Nacht niederbrennen. – (92) Armes Sicilien! Welche Zeit der Qual für die schwergeprüfte Provinz! Welch' entsetzliches Unheil brachte jenes eine Ereignis, verschuldet nur durch die beispiellose Gemeinheit dieses Menschen hier, über so viele Unschuldige!

Man denke sich jene Nacht: der Prätor ließ sich von den Flammen schändlicher Lüste durchglühen, während die Seeräuber unsere Flotte in vernichtendem Feuer aufgehen ließen. Es war spät in der Nacht, als die schwere Unglückskunde nach Syrakus gelangte: man stürzt auf die Straße, man eilt zur Landvogtei, wohin dieser Mensch kurz vorher nach Beendigung seines herrlichen Gastmahles von den Frauenzimmern unter Gesang und Tanzmusik begleitet worden war. Kleomenes wollt' es trotz des Dunkels der Nacht doch nicht wagen, sich auf der Straße aufzuhalten; er schließt sich in seinem Haus ein – eine Gattin, die den Menschen im Unglück trösten könnte, war ja nicht da. (93) Hingegen hielt dieser vortreffliche Heerführer in seinem Hause so strenge Zucht und Ordnung, daß er in dieser Situation, nach einer solchen Botschaft, niemanden vorließ; niemand durft' es wagen, den Schlafenden zu wecken oder den Wachenden mit einer Anfrage zu belästigen. Inzwischen verbreitet sich die Kunde durch die ganze Stadt, alles bricht auf, eine ungeheure Menschenmenge strömt zusammen. Denn es erschien ja diesmal nicht, wie man es sonst oft erlebt hatte, ein Feuersignal, von einer Warte oder einem Hügel aus, um das Anrücken der Seeräuber zu vermelden; nein, gen Himmel loderte die Flamme, die unsere Schiffe verzehrte, und rings verkündete sie erlittenes Unheil und neue drohende Gefahr. XXXVI. Man verlangt nach dem Landvogte, man erfährt, daß noch niemand ihm die Katastrophe gemeldet; da fängt der Haufe an, mit wildem Geschrei gegen den Palast anzustürmen.

(94) Nun springt Verres auf, läßt sich die ganze Geschichte von Timarchides erzählen und macht sich bereit. Es nahte schon gegen den Tagesanbruch; Verres tritt heraus, noch ist er wein-, schlaf- und wollusttrunken. Tobender Lärm empfängt ihn; es war so arg, das ihm sein böses Erlebnis von Lampsakos, wo es beinah um sein Leben geschehen war, wieder vorschwebte. Hier erschien aber die Situation noch viel schlimmer, weil die gleiche Erbitterung eine ungeheure Menschenmasse beseelte. Bald hielten sie ihm seine Sommerwohnung vor, bald die skandalösen Schlemmereien, bald ertönten aus der Menge heraus die Namen seiner Frauenzimmer, bald stellten sie ganz offen Fragen an ihn wie: »Warum hast du dich so lange Zeit her nirgends blicken lassen? Wo warst du die ganze Zeit? Was hast du inzwischen gethan?« Bald verlangte man wieder nach seinem neuesten Produkt, dem so plötzlich ernannten Admiral Kleomenes, kurz, es war ganz nahe daran, daß sich der Fall des Hadrianus von Utica in Syrakus wiederholt hätte, auf daß zwei Gräber nichtswürdiger Prätoren in zwei Provinzen unseres Reiches zu sehen wären. Indes die Menge hütete sich doch; man dachte an die ungünstigen Zeitumstände, an die drohenden Piratenüberfälle, auch an die inneren Verhältnisse der Stadt, die für alle Parteien notwendige Aufrechterhaltung gesitteter Zustände, schon weil in Syrakus eine römische Bürgergenossenschaft ansässig ist, auf die nicht nur jene Provinz, sondern auch unser Staat mit Stolz blicken kann. (95) Sie selber nehmen sich zusammen, da sie diesen Menschen sehen, wie er noch halb im Schlafe mit allen Spuren der Unzucht heraustaumelt; sie bewaffnen sich, erfüllen den Markt und das ganze Stadtgebiet auf der Insel. – Inzwischen hielten sich die Freibeuter nur diese eine Nacht bei Heloros auf; dann verließen sie die noch rauchenden Trümmer unserer Flotte und machten sich auf zu einem Besuche von Syrakus. Sie hatten wohl oft gehört, es gäbe in der Welt nichts Prächtigeres als die Mauern und Hafenanlagen von Syrakus; nun sagten sie sich in richtiger Überzeugung, wenn sie das alles nicht unter Verres' Regierung zu sehen bekämen, würden sie es nie zu sehen bekommen.

XXXVII. (96) Zuerst kamen sie zu des Statthalters Sommerquartier; sie stiegen gerade in jener Gegend ab, wo Verres mit dem öfters erwähnten Apparat sein Lustlager aufgeschlagen hatte. Aber hier fanden sie zu ihrem Ärger alles leer; sie konnten nur konstatieren, daß der Statthalter sein Lager abgebrochen hatte, und nun fingen sie ganz dreist an, in den Hafen selber einzudringen. Wenn ich sage »in den Hafen« – ich muß die Situation möglichst genau erklären, da nicht alle mit den topographischen Verhältnissen von Syrakus vertraut sind – so heißt dies so viel als in die Stadt selbst; ja, ins Herz der Stadt drangen die Piraten ein, denn diese Stadt hat nicht wie andere im Hafen ihren Abschluß, sondern sie selbst umgürtet gleichsam den Hafen, so daß dieser in ihrem Innern liegt, und nicht die äußersten Enden der Stadtmauern vom Meere bespült werden, sondern dieses innerhalb des durch die Stadt gebildeten Busens ein Bassin, eben den Hafen, erfüllt.

(97) Hier ist unter Verres' Regierung der Freibeuter Herakleon mit vier kleinen Kaperschiffen nach Belieben umhergefahren. Man höre! Während der Prätor des römischen Volkes mit voller Amtsgewalt und Exekutionsbefugnis in Syrakus weilte, durfte ein Piratenkaper bis an den Markt und alle Quais von Syrakus vordringen, wohin sich selbst die ruhmbedeckten Flotten Karthagos in der Zeit der höchsten Blüte ihrer Seemacht nach so vielen Eroberungsversuchen niemals wagen durften; ja sogar die Flotten des römischen Reiches, angestaunt von der Welt und nie besiegt, bis du zu befehlen hattest, sie konnten in all den zahlreichen punischen und sicilischen Kriegen niemals dorthin vordringen: die Lage ist eben derart, daß die Syrakusaner eher auf ihren Mauern, in ihrer Stadt, auf Markt und Gassen einen bewaffneten siegreichen Feind als jemals in ihrem Hafen ein feindliches Schiff zu sehen bekommen konnten. (98) Hier ließest du nun die kleinen Piratenkreuzer spazieren fahren, hier, wo nur ein einziges Mal seit Menschengedenken die Riesenmacht der Athener mit Hunderten von Galeeren erschienen war; und auch diese Armada erlag dem Werke der Natur: im Hafen selber wurde sie besiegt. Hier wurde Athen zum erstenmal erschüttert, hier erhielt es den stärksten Stoß, der Verlust war nie wieder zu ersetzen; in diesem Hafen, das wissen alle, erlitt Athens Ruhm und Macht, Athens Pracht und Herrlichkeit Schiffbruch. XXXVIII. Und hierhin durfte ein Flibustier dringen, der im Augenblicke der Einfahrt ganze Stadtteile nicht nur in den Flanken, sondern auch im Rücken hatte? An der »Insel« von Syrakus durft' er vorbeisegeln, die allein eine selbständige Stadt mit Mauern und Festung ausmacht; ich erinnerte schon daran, daß unsere Ahnen daselbst keinem Syrakusaner die Niederlassung gestatteten, weil sie wußten, wer diesen Stadtteil in Händen hält, wird bald zum Herrn des Hafens. (99) Und was that der Freibeuter auf seiner Spazierfahrt? Die Feldpalmenwurzeln, die man in unseren Schiffen vorgefunden hatte, ließ er ausstreuen, so daß jedermann Verres' Nichtswürdigkeit und Siciliens Unglück so recht deutlich vor Augen geführt wurde. Sicilische Soldaten, rechte Bauernsöhne, deren Väter im Schweiß ihres Angesichtes den Boden pflügen, um Rom und ganz Italien mit Brot zu versorgen; Kinder der Demeterinsel, die zuerst der Menschheit die Früchte des Feldes gespendet hat – sie sollten eine Speise verzehren, von deren Genuß ihre Urahnen sich und alle anderen Menschen durch Einführung des Getreidebaues emancipierten! Dazu wurdest du Statthalter, daß sich die sicilischen Soldaten von Palmenwurzeln und die Seeräuber von sicilischem Korn ernährten? (100) O jammervolles Schauspiel, tief beschämendes Ereignis! Der Ruhm unserer Stadt, der Name des römischen Volkes, die zahlreiche Genossenschaft unserer Mitbürger wird einem Piratengesindel zum Spott; im Hafen von Syrakus hält der Seeräuber nach der Niederlage unserer Flotte seinen triumphierenden Einzug, während die Ruder seiner Knechte die Augen des niederträchtigen faulen Landvogtes bespritzen! Nachdem die Seeräuber den Hafen – nicht aus irgend welcher Furcht, sondern aus Überdruß – verlassen hatten, da fingen nun die Menschen an, nach der Ursache des fürchterlichen Ereignisses zu forschen. Alle waren sich einig und redeten ganz offen darüber, daß man sich doch nicht wundern dürfe, wenn bei diesen Zuständen, wo so viele Soldaten und Matrosen entlassen, die übrigen durch Hunger und jede Art von Entbehrung aufs äußerste heruntergekommen waren, während der Landvogt wochenlang mit ordinären Frauenzimmern Gelage hielt, – wenn man da eine schimpfliche Niederlage erlitten hätte. (101) Seine unerlaubte, ja schändliche Handlungsweise wurde noch bestätigt durch die Aussage der Kapitäne, denen die einzelnen Gemeinden das Kommando ihrer Schiffe anvertraut hatten. So viele ihrer den Verlust der Flotte überlebt und in Syrakus eine Zufluchtsstätte gefunden hatten, alle gaben sie an, wie viele von ihren Mannschaften unerlaubterweise entlassen worden waren. Die Sache war also ganz klar und Verres' frecher Betrug nicht bloß durch die Thatsache leicht zu erweisen, sondern nun auch durch kompetente Zeugenaussagen festgestellt. XXXVIIII. Es kommt ihm zu Ohren, das ganze Stadtgespräch drehe sich um nichts als um jene Katastrophe; fortwährend frage man die Kapitäne aus, wie es denn kam, daß die Flotte vernichtet wurde; die Antwort bleibe nicht aus und Jeder bekomme als Ursachen zu hören: die Entlassung der Mannschaften, die Hungersnot auf der Expedition, die feige Flucht des Kleomenes. Das ließ er sich gesagt sein; er ging mit sich zu Rate und rechnete folgendermaßen. Vor Gericht würd er sich verantworten müssen, das hatt' er sich schon lange klar gemacht, bevor dieser Fall wirklich eintrat; ihr habt es selbst aus seinem Mund in der ersten Verhandlung vernommen. Wenn nun die Kapitäne als Zeugen vorgeladen würden und ihn belasteten, so müßte ihn, das sah er ein, die Wucht einer solchen Klage völlig erdrücken. (102) Er faßt also zunächst einen zwar thörichten aber immerhin noch milden Entschluß. Er läßt die Kapitäne rufen; sie kommen. Er beklagt sich, daß sie in dieser Weise über ihn gesprochen hätten, und fordert sie auf, offiziell zu erklären, daß jeder in seinem Schiffe wirklich die vorschriftsmäßige Anzahl Mannschaften gehabt hätte, und daß keiner fehlte. Die Leute geben nach, erklären ihm seinen Willen thun zu wollen. Verres geht ohne Aufschub ans Werk: er läßt seine Freunde holen und befragt nun die Kapitäne einzeln nach der Mannschaftszahl des jeweiligen Schiffes. Jeder giebt die verabredete unvermeidliche Antwort. Verres nimmt diese Antworten zu Protokoll und versiegelt die Akte mit der Beglaubigung seiner Freunde – wie vorsichtig! So könnt' er gleich gegen eine etwaige Anschuldigung dieses Zeugnis ins Feld führen. (103) Ich glaube, der thörichte Mensch wurde von seinen Ratgebern ausgelacht und darauf hingewiesen, daß ihm ein solches Aktenstück nie helfen könnte, daß im Gegenteil, wenn überhaupt erst eine Klage vorläge, diese allzu große Vorsorglichkeit eines Landvogtes den Verdacht gegen ihn verstärken müßte. Schon in vielen Fällen hatt' er diese thörichte Manier angewendet, so daß er auch durch städtische Behörden alles Beliebige in die Akten aufnehmen oder je nach Bedürfnis daraus entfernen ließ; jetzt muß er einsehen, daß ihm das alles nichts hilft, da er trotzdem durch unwiderlegliche Schriftstücke und beweiskräftige Zeugen überführt wird. XXXX. Da er also merkte, daß alle jene Geständnisse, Zeugnisaufnahmen und Urkunden ihm keine Hilfe bringen würden, so faßt' er einen Plan, nicht wie ein pflichtvergessener Statthalter – das wäre nur allzu begreiflich – sondern wie ein brutaler, toll gewordener Tyrann. Er erkannte, um bei diesem Klagepunkt auch nur mildernde Umstände zu erlangen – an eine völlige Rechtfertigung war nicht zu denken, das sagt' er sich selbst –, bedarf es eines Mittels: die Kapitäne, als Zeugen seines Frevels, müssen sämtlich ums Leben gebracht werden. (104) Ein Gedanke freilich machte ihn stutzig, aber nur für einen Augenblick: »was geschieht mit Kleomenes?« So überlegt' er. »Kann ich seine Untergebenen, denen ich strengen Gehorsam gegen ihn anbefahl, bestrafen, und ihn selber, den ich mit aller Macht eines Oberkommandeurs ausstattete, laufen lassen? Kann ich die Menschen hinrichten lassen, die dem Kleomenes folgten, und ihn selber begnadigen, der sie mit ihm fliehen und seinen Schritten folgen hieß? Kann ich unerbittlich gegen Menschen sein, die nicht bloß auf schlecht bemannten, sondern überhaupt auf ungedeckten Schiffen segelten, und nachsichtig bis zur Lässigkeit gegenüber diesem Einzigen, der ein gedecktes und verhältnismäßig gut bemanntes Schiff zur Verfügung hatte? Nein! Kleomenes muß mit ihnen fallen.« Wo waren nun alle Schwüre und Wünsche hin? Wohin das gegebene Wort mit Händedruck Der Händedruck galt den Alten als eine intime Liebkosung, fast wie die Umarmung. und Kuß? Und die ganze Kameradschaft in der Weibercampagne an jenem wunderlieblichen Gestade? Alles umsonst; es war nicht einzurichten, daß dem Kleomenes das Leben geschenkt würde. (105) Er läßt den Kleomenes rufen. Er teilt ihm mit, er müsse gegen sämtliche Schiffskapitäne mit strenger Strafe vorgehen; die Rücksicht auf seine eigene Lebensgefahr mache ihm dies zur unumstößlichen Notwendigkeit. »Dich allein,« so fährt er fort, »will ich schonen, und lieber die Verantwortung für dieses Unrecht sowie den Vorwurf der Inkonsequenz auf mich nehmen als vor die Alternative treten, entweder gegen dich grausam zu sein oder so viele gewichtige Zeugen gegen mich am Leben zu lassen.« Kleomenes sagt ihm Dank, billigt seinen Plan, erklärt sein Vorgehen für durchaus notwendig. Nur erlaubt er sich auf einen Punkt hinzuweisen, den Verres übersehen hatte: gegen Phalakros, den Kapitän von Kentoripa, könne man nicht wohl das Strafverfahren in Anwendung bringen, weil dieser sich mit Kleomenes zusammen auf der Galeere von Kentoripa befand, als er die Flucht ergriff. – »Also?« ruft Verres, »soll dieser Mensch aus einer solchen Gemeinde, jung und vornehm dazu, als mein Belastungszeuge übrig bleiben?« – »Für den Augenblick allerdings,« erwidert Kleomenes, »das ist nun einmal unvermeidlich: später werden wir schon ein Mittel ausfindig machen, daß er uns auch nicht mehr im Wege stehen kann.«

XXXXI. (106) So war alles verhandelt und verabredet; da tritt Verres plötzlich aus dem Prätorenpalast, erhitzt von fieberhaften Gedanken an grausamen Frevel. Er kommt auf den Markt, läßt die Kapitäne rufen. Arglos ohne die leiseste Ahnung eilen sie herbei. Sofort läßt Verres die armen unschuldigen Menschen in Ketten legen. Sie rufen sein Regentengewissen an und fragen, warum er dies thue. Da antwortet er, sein Grund sei die Thatsache, daß sie die Flotte an die Seeräuber verraten hätten. – Gemurmel und Lärm entsteht im Volk; sie sind empört über seine derartig schamlose Dreistigkeit, entweder Anderen die Schuld an einem Unglück beizumessen, das nur von seiner eigenen Habgier herrührte, oder gar, wo man ihn selber mit den Räubern im Einverständnis glaubte, Andere des Verrates zu bezichtigen; endlich heißt es, vierzehn Tage wären schon seit dem Verluste der Flotte vergangen, und jetzt komme plötzlich diese Anschuldigung zum Vorschein. (107) Mitten während all dieser Vorgänge taucht die Frage auf, wo denn Kleomenes wäre; nicht als ob irgend jemand ihn, was er auch immer verschuldet hatte, deswegen der Bestrafung würdig erachtet hätte: denn was konnte schließlich Kleomenes – ferne sei es mir, einen Menschen jemals ungerecht zu beschuldigen – was, sag' ich, konnte Kleomenes schließlich Großes leisten, nachdem durch Verres' Geldgier die Schiffe ihre Mannschaften eingebüßt hatten? Und da erblicken sie ihn eben; er sitzt an der Seite des Landvogtes und flüstert ihm in gewohnter Weise ganz gemütlich allerlei ins Ohr. Nun stieg die allgemeine Entrüstung aufs höchste: vortreffliche Männer, von ihren Gemeinden auf einen ehrenvollen Posten gestellt, waren wie Sträflinge in Ketten geworfen, und Kleomenes als Genosse seiner Lüste und Schändlichkeiten, war des Landvogtes intimster Vertrauensmann. (108) Nun wird ein Ankläger gegen die Kapitäne angestiftet; zu dieser Rolle gab sich ein gewisser Naevius Turpio her, der unter dem Statthalter Gaius Sacerdos wegen grober Vergehen verurteilt worden war, das richtige Subjekt für einen Menschen wie Verres, der ihn denn auch bei der Steuerschraube, bei Justizmordversuchen und jeder Art von Gerichtsplackereien als Vorläufer und Helfershelfer zu verwenden pflegte.

XXXXII. Jetzt kamen die Eltern und andere Angehörige der unglücklichen jungen Männer nach Syrakus; die Nachricht von dem plötzlichen Verhängnis hatte sie aufs tiefste erschüttert. Sie sehen ihre Kinder in Ketten, sehen wie ihr Hals und Nacken für Verres' Sünden büßen mußte; sie treten auf, erheben Fürsprache, berufen sich auf Recht und Billigkeit, ja sie flehen dein Gewissen an, das doch nirgends existierte und nie existiert hatte. Da erschien Dexon, der Vater des Kapitäns von Tyndaris, ein hochvornehmer Mann, dein Gastfreund. In seinem Hause warst du abgestiegen, ihn hattest du vor aller Welt deinen Gastfreund genannt; jetzt sähest du den edlen Mann im Elend, vernichtet, aber weder seine Thränen noch seine grauen Haare noch das Ehrenrecht der Gastfreundschaft konnten deinen Frevlersinn einen Augenblick zum Anstande lenken. (109) Aber wie kann ich überhaupt von Gastfreundschaft reden, bei diesem rasenden Ungeheuer! Seinen Gastfreund Sthenios in Thermai, dessen Haus er bei seinem Besuch bis in die letzten Winkel durchwühlte und ausraubte, ließ er in seiner Abwesenheit auf die Liste der Angeklagten setzen und ohne Verhör zum Tode verurteilen; und da erwarten wir jetzt von ihm eine Rücksicht auf die Pflichten des Gastrechts? Haben wir es denn überhaupt mit einem grausamen Menschen zu thun oder vielmehr mit einer wilden losgelassenen Bestie? Die Thränen eines Vaters um das Leben seines unschuldigen Sohnes rührten dich nicht; als du den Vater zu Hause zurückließest und den Sohn mit dir nähmest, gemahnte dich weder die Nähe des einen an Kindesliebe noch die Abwesenheit des andern an väterliche Hingebung. (110) In Ketten lag dein Gastfreund Arísteus, Dexons Sohn. Weshalb? Was hatt' er denn verbrochen? – »Hochverrat.« – Welches Motiv hätt' ihn denn dazu bestimmt? – Etwa Desertion? Und Kleomenes?! – »... Also Feigheit.« – Aber du hast ihm ja kurz zuvor wegen seiner Tapferkeit eine hohe Auszeichnung verliehen! – »Entlassung der Mannschaften.« – Aber sie hatten sich ja bei dir vom Dienste freigekauft!

Aus einer anderen Stadt, Herbita, erschien der vornehme und allgemein verehrte Eubulidas; als er seinen Sohn verteidigte, entschlüpft ihm ein Wort über Kleomenes, und nun wurden dem armen Manne beinahe die Kleider vom Leibe gerissen. Was konnte man unter solchen Umständen für Verteidigungsversuche machen? – »Den Namen Kleomenes auszusprechen ist nicht gestattet.« – Aber die Sache selbst macht es unvermeidlich! – »Du stirbst, wenn du ihn aussprichst,« denn beim Drohen hat sich nämlich Verres nie mit Kleinigkeiten begnügt. – Aber die Schiffsmannschaften fehlten! – »Was, du wagst es, den Landvogt zu beschuldigen? Brecht ihm das Genick!« – Also weder den Landvogt noch seinen würdigen Vertreter durfte man erwähnen; wenn nun von ihnen die ganze Angelegenheit abhing, was sollte man thun?

XXXXIII. (111) Auch der vornehme Egestaner Herakleios versuchte zu Worte zu kommen. Laßt euch den Vorfall erzählen; euer edler Sinn muß ihn durchaus kennen lernen, denn ihr werdet hier von unglaublichen Mißhandlungen unserer Bündner hören. Mit Herakleios hatt' es diese Bewandtnis, daß er wegen einer schweren Augenkrankheit nicht an Bord gehen konnte und daher mit ausdrücklicher Ordre des Flottenkommandeurs in Syrakus auf Urlaub verblieb. Dem Manne kann man wenigstens nicht nachsagen, er habe die Flotte verraten oder feige die Flucht ergriffen oder sei vom Heere desertiert. Wäre hiervon je die Rede gewesen, so hätte man es ja auch schon beim Auslaufen der Flotte aus dem Hafen von Syrakus feststellen und ihn damals bestrafen müssen. Nun ward er aber durchaus in einer Weise behandelt, als hätte man ihn auf einem offenbaren Verbrechen ertappt, während man thatsächlich nicht einmal einen falschen Grund zur Klage gegen ihn zuwege bringen konnte.

(112) Ferner war da unter den verhafteten Kapitänen Furius von Herakleia – zuweilen kommen nämlich in jenen Landen solche lateinische Namen vor –; eine Persönlichkeit, die nicht bloß bei Lebzeiten und in seiner engeren Heimat, sondern auch nach seinem Tode in ganz Sicilien geliebt und verehrt ward. Dieser Mann besaß nicht allein Mut genug, den Wüterich mit freiem Worte zu beschuldigen – denn da er ohnehin seinen gewissen Tod vor Augen sah, braucht' er hiervon keine besondere Gefahr zu erwarten – sondern er hat auch im Angesichte des Todes, während seine Mutter Tage und Nächte bei ihm weinend im Gefängnisse saß, seine Rechtfertigung niedergeschrieben. Es giebt aber auch keinen Menschen in Sicilien, der diese Schrift nicht in Händen hätte, so daß durch ihre Lektüre die Erinnerung an deine entsetzlichen Grausamkeiten stets aufs neue geweckt wird. In dieser Apologie teilt Furius genau mit, wie viele Schiffsmannschaften er von seiner Gemeinde zugewiesen erhielt, wie viel ihrer Verres entließ und um welchen Preis, wie viele dann noch bei ihm blieben; es folgen entsprechende Aufzeichnungen über die anderen Schiffe. Als er sich in diesem Sinne mündlich vor deinem Richterstuhl ausließ, wurden ihm die Augen mit Ruten gepeitscht. Im Gedanken an den nahen Tod ertrug er leicht den körperlichen Schmerz; noch rief er aus, was auch in seiner Schrift zu lesen steht, daß wirklich bei Verres die Schamlosigkeit einer Dirne mehr vermochte als die Thränen einer Mutter: denn Kleomenes werde gerettet, er getötet.

(113) Auch jenes Wort ist sein, das er – wenn Roms Richter wirklich den Erwartungen entsprechen, die Roms Nation an sie stellt – mit vollem Rechte schon im Arme des Todes ausgesprochen hat: Verres könne durch die Ermordung der Zeugen nicht auch sein Verbrechen auslöschen; bei den weisen Richtern, im Schattenreiche, würde sein Zeugnis schwerer wiegen als wenn er lebend vor die Schranken geführt würde; hier auf Erden hätte er, der Gemordete, nur die Betrügereien des Verres bezeugen können, dort unten aber, als geschlachtetes Opfer, auch seine vor keinem Frevel zurückschreckende Grausamkeit. Dann kamen noch die schönen Worte: wenn Verres dereinst vor den Richterstuhl träte, so würden nicht nur die Scharen der Zeugen, sondern auch die göttlichen Manen, die Schutzgeister der unschuldig Verfolgten und die Rächerinnen allen Frevels, die Furien vor Gericht erscheinen; er selbst stelle seinen eigenen Fall nur als etwas Geringfügiges hin, weil er schon früher die Reihe der Richtbeile und das drohende Antlitz deines Henkersknechtes Sextius gesehen, als nämlich auf dem Versammlungsplatze der römischen Bürgergenossenschaft auf deinen Befehl römische Bürger enthauptet wurden. (114) Kurz, meine Herren, ich kann euch versichern, von der Freiheit, die ihr den Bündnern eingeräumt, hat dieser Mann unter Martern, die sonst nur über die erbärmlichsten Sklaven verhängt werden, vollen Gebrauch gemacht.

XXXXIIII. Verres verurteilt sämtliche Angeklagten »nach dem Entscheide des Rates«; indessen hielt er es bei diesem Prozeß um menschliches Leben nicht für nötig seinen Quästor Titus Vettius holen zu lassen, um etwa mit ihm zu beraten, noch auch seinen Legaten Publius Cervius, der gerade, weil er sein Legat in Sicilien war, von diesem Prätor zunächst der Teilnahme an den Gerichtssitzungen enthoben wurde; dagegen berief er ein Raubgesindel, nämlich seine gewohnten Begleiter, und nach deren Urteil verdammt er alle. (115) Es war für die gesamte Bevölkerung Siciliens, diese unsere ältesten und treuesten Bündner, denen unsere Vorfahren so unendlich viel Gutes erwiesen hatten, ein erschütternder Schlag; von Stund an fürchteten sie alle für ihr Gut und Blut. Sie mußten es erleben, daß an die Stelle unserer berühmten Milde und Sanftmut nun plötzlich die unmenschlichste Grausamkeit getreten war; daß eine ganze Anzahl Menschen ohne Schuld in einem Augenblicke verurteilt wurden; daß ein ehrloser Landvogt seine Räubereien durch die Abschlachtung unschuldiger Menschen zu vertuschen suchte. Wahrlich, man sollte glauben, diese rasende Grausamkeit und Gemeinheit könnte nicht mehr gesteigert werden; und wer dies glaubte, hatte insofern recht, als bei einem Wettstreit um den Preis der Gemeinheit Verres immer Sieger bleiben wird. (116) Er überbietet sich selbst; er bringt es jedesmal fertig, seine früheren Verbrechen durch eine neue Schreckensthat in Schatten zu stellen. Ich hatte erzählt, daß Kleomenes den Phalakros von Kentoripa ausnehmen ließ, weil er mit ihm auf seiner Galeere segelte; indessen erschrak der junge Mann dennoch bei dem Gedanken an das auch ihn bedrohende Schicksal seiner Kameraden, und das nahm Timarchides wahr: er ging zu ihm und sagt' ihm, vor den Beilen sei er sicher, da brauch' er nichts zu fürchten, aber vor den Ruten – das rat' er ihm – mög' er sich in acht nehmen. Kurz, ihr habt es ja selbst von dem jungen Manne gehört: um diese Angst loszuwerden, mußt' er dem Timarchides eine gewisse Summe Geldes einhändigen. (117) Dieser Fall ist eine Kleinigkeit. Der Kapitän eines der ersten Bundesstaaten muß sich durch Barmittel von der Furcht vor Auspeitschung loskaufen: das ist Milde; ein anderer muß Geld geben, um einer Verurteilung zu entgehen: das ist ganz gewöhnlich. Das römische Volk will ja den Verres gar nicht auf abgenutzte Motive hin verklagt sehen, sondern verlangt Neues, womöglich ganz Unerhörtes: es weiß ja, nicht über einen Statthalter von Sicilien, sondern über einen gottlosen Tyrannen wird Gericht gehalten. XXXXV. Die Verurteilten werden ins Gefängnis geworfen; über alle wird die Todesstrafe verhängt, aber eine andere Art von Marter wird an den unglücklichen Eltern der Kapitäne vollzogen: man verhindert sie, ihre Söhne zu besuchen, man verbietet ihnen, Kleider oder Speisen für ihre Kinder hineinzubringen. (118) Diese Väter, die ihr hier sehet, lagen auf der Schwelle, die armen Mütter hielten die Nächte an der Thüre des Kerkers aus, des letzten Anblickes ihrer Kinder beraubt, und flehten nur um die einzige Gnade, den letzten Atemzug der geliebten Söhne mit ihren Lippen auffangen zu dürfen. Der hier folgende Satz machte als rhetorisches Meisterstück mit seiner Steigerung der Attribute geradezu Aufsehen. Cicero spricht davon in einer Jahrzehnte nach diesen Reden verfaßten, theoretischen Schrift, in der er seine Anschauungen über Rhetorik mit genügender Unparteilichkeit auseinander setzt, um seine berühmte, heutzutage in Gymnasien viel gelesene Rede für Sextus Roscius als eine Jugendsünde zu bezeichnen. Da stand der Schließer des Gefängnisses, der Henkersknecht des Landvogtes, der leibhaftige Todesschrecken für Bündner wie für römische Bürger: Sextius der Büttel, der sich aus jedem Seufzer, jedem Schmerzensruf einen bestimmten Lohn erwachsen sah. – »Giebst du mir so und so viel, dann laß ich dich herein; für so und so viel erhältst du die Erlaubnis, ihm Kleidung und Speise hineinzubringen.« – Keiner sagte nein. – »Höre, wie viel giebst du mir dafür, daß ich deinen Sohn mit Einem Beilhieb töte? Daß er sich nicht lange zu quälen braucht? Daß ich nicht mehrmals zuschlagen muß? Daß er ohne alles Schmerzgefühl seinen Geist aufgiebt?« – Auch für diese Leistung gab man dem Büttel Geld. (119) Wie grauenvoll mußten diese Menschen leiden! Wie fürchterlich spielte ihnen das Schicksal mit, daß sie nicht das Leben ihrer Kinder, sondern die Beschleunigung ihres Todes bezahlen mußten. Ja, auch die jungen Leute selbst verhandelten mit Freund Sextius über das Henkerbeil und über jenen einen Hieb, und ihre letzte Bitte an die Eltern war die, sie sollten dem Scharfrichter zur Verminderung ihrer Qualen Geld geben. Ach, viele schwere Leiden hat man für Eltern und Verwandte erfunden, gar viele, aber der Tod soll doch immer das äußerste sein: nein, er ist es nicht mehr. Giebt es wirklich noch etwas darüber hinaus, kann die Grausamkeit noch einen Schritt weiter gehen? Jawohl, sie kann es. Wenn erst die Enthauptung vollzogen ist, dann wird man die Leichen aufs Feld hinauswerfen, den Tieren zum Fraß. Das ist für die Eltern fürchterlich? Nun, so mögen sie sich die Erlaubnis, ihre Kinder zu begraben, mit Geld erkaufen. (120) Einen edlen Mann wie Onāsos von Egesta habt ihr selbst aussagen hören, er habe für die Bestattung des Kapitäns Herakleios dem Timarchides eine bestimmte Summe Geldes bezahlt. Dies hat, damit du nicht etwa behaupten kannst »nach dem Verlust ihrer Söhne kommen die Väter zornentbrannt«, einer der ersten Männer erklärt, und er sprach noch nicht einmal von seinem Sohn. Noch mehr: jedermann, der damals in Syrakus lebte, weiß ganz genau, daß diese Begräbnisverträge mit dem Timarchides schon bei Lebzeiten der Opfer abgeschlossen wurden. Man sprach mit Timarchides ganz offen, sämtliche Verwandten sämtlicher Gefangenen wurden zugezogen, und so ward ohne Scheu die Genehmigung zum Begräbnis von Personen, die noch lebten, verkauft. XXXXVI. (121) Nachdem das alles verhandelt und beschlossen ist, werden die Gefangenen aus dem Kerker hervorgeführt und ihnen die Ketten abgenommen. Welches Herz war in diesem Momente so steinhart, welcher Mensch außer dir so vertiert, daß ihn der Anblick der jungen, edlen Männer in ihrem Unglück nicht aufs tiefste gerührt hätte? Man konnte sich der Thränen nicht erwehren; man ahnte zugleich, daß das Verhängnis nur scheinbar über diese Armen allein hereingebrochen war, daß man in Wahrheit sein eigenes Schicksal vor sich sah, daß die Gefahr gleichmäßig über allen schwebte. – Die Enthauptung wird vollzogen. Du freutest dich, Verres, beim allgemeinen Schmerzensschrei; du triumphiertest, die Zeugen deiner Spitzbübereien waren ja aus dem Wege geräumt! Aber du irrtest dich, Verres; du irrtest gewaltig, wenn du glaubtest, die Schandflecken deiner Räubereien und all deiner Schurkenstreiche mit dem Blut unschuldiger Bündner abwaschen zu können: im Wirbel riß dich deine Sinnlosigkeit fort, wenn du vermeintest, die Wunden, die deine Raubgier geschlagen, durch die Mittel der Grausamkeit heilen zu können. Wohl sind jene Zeugen deiner Frevel tot, aber ihre Verwandten leben, leben für sie und für dich; und ebenso leben einige aus der Zahl jener Kapitäne selbst: hier stehen sie, als hätte die Schicksalsgöttin selbst sie für die Sühne der Unschuldigen zu diesem Prozeß aufgespart. (122) Da steht Phylarchos von Haluntion, der, weil er nicht mit Kleomenes ausreißen wollte, von den Seeräubern überwältigt und gefangen genommen wurde: dieses Unglück bedeutete für ihn Rettung, denn wär' er den Hyänen des Meeres entgangen, so wär' er diesem blutsaugenden Vampir unseres Bundeslandes zum Opfer gefallen. Sein Zeugnis spricht von der Entlassung der Mannschaften, der Hungersnot an Bord, der Flucht des Kleomenes. Hier steht Phálakros von Kentoripa, unseres besten Bundesstaates vornehmstes Kind: er sagt dasselbe aus, in jedem Zuge stimmen die beiden Zeugnisse überein.

(123) Beim Himmel, was müssen euch, die ihr in diesem Prozesse richten sollt, jetzt für Gedanken durchziehen! Mit welcher Empfindung hört ihr wohl das alles an? Bin ich vielleicht geschmacklos, und zeig' ich allzuviel Schmerz über das fürchterliche Geschick unserer Bundesgenossen? Oder empfindet auch ihr über diese entsetzliche Marter und Trauer unschuldiger Menschen ein ähnliches Gefühl der Pein? Denn wenn ich es ausspreche, daß der Kapitän von Herbita, der Kapitän von Herakleia enthauptet wurde, so tritt mir all das Empörende des schmachvollen Vorganges wieder vor Augen. XXXXVII. Also die Bürger jener Staaten, die Söhne jener Länder, die uns zumeist ernähren, die alljährlich die größte Menge Korn als die Frucht ihrer Arbeit für das Volk nach Rom schicken; diese Jünglinge, die von ihren Eltern in aller Hoffnung auf den Segen unseres Reiches und unserer Gerechtigkeit auferzogen waren – sie waren gerade gut genug für Verres' schändliche Roheit und für das Beil seines Henkers?! (124) Und wenn ich an die Kapitäne von Tyndaris und Egesta zurückdenke, so kommen mir zugleich die Rechte dieser Staaten und ihr Verhältnis zu uns in den Sinn. Ein Mann wie Scipio Africanus hat sie sogar bereichern zu müssen geglaubt, und er that es, indem er sie mit erlesenen Stücken aus der Kriegsbeute schmückte; ein Verbrecher wie Gaius Verres hat sie nicht nur jener Prachtwerke, sondern auch ihrer edelsten Männer in fluchwürdiger Weise beraubt. Man höre nur was die Leute in Tyndaris so gern von sich aussagen: »Wir gehören zu den ›siebzehn treusten Gauen Siciliens‹, wir haben jederzeit in allen punischen und sicilischen Kriegen das Banner der innigsten Anhänglichkeit an Rom und sein Volk hochgehalten, wir haben stets dem römischen Volke alles geliefert, was es im Kriege wie im Frieden für seine Bedürfnisse brauchte.« Wahrhaftig, diese bevorzugte Stellung hat ihnen viel geholfen unter dem allmächtigen Regimente des Verres. (125) Einst ward ihre Marine von Publius Scipio gegen Karthago geführt: jetzt führt ein Kleomenes ihr fast unbemanntes Schiff gegen die Seeräuber; einst teilte ein Africanus mit euch die Kriegsbeute wie den Siegerruhm: jetzt beraubt ein Verres eure Schiffe der Mannschaft, um euch selber als Reichsfeinde zu erklären und zu behandeln. Und Egesta? Die vielgerühmte, durch uralte Schriften wie durch mündliche Tradition verbürgte Verwandtschaft der Egestaner mit uns, die sie immer aufs neue in zahllosen Dienstleistungen bewährten – was hat sie ihnen unter Verres' Regierung für Früchte eingetragen? Ihr seht es ja alle: ein vornehmer Jüngling ward aus dem Herzen seines Vaterlandes, aus den Armen seiner Mutter hinweggerissen, um unschuldig unter dem Beile deines Oberschergen Sextius zu fallen. Eine Gemeinde, die von unseren Vorfahren große und prachtvolle Ackergebiete zugewiesen, dazu die Garantie der Steuerfreiheit erhielt, sie konnte mit aller Berufung auf die Verwandtschaft der Völker, auf ihre Anhänglichkeit, auf Bedeutung und hohes Alter nicht einmal so viel bei dir ausrichten, daß sie einen einzigen ihrer Bürger, einen der achtbarsten und persönlich ganz unschuldigen Menschen vor blutigem Tode hätte retten können. XXXXVIII. (126) Wohin sollen sich denn die Bündner wenden? Wen können sie noch anflehen? An welche letzte Hoffnung für ihre weitere Existenz sollen sie sich klammern, wenn ihr sie im Stiche lasset? Etwa an den Senat? – So, also der sollte den Verres bestrafen! Daran ist nicht zu denken, so etwas nimmt der Senat nie in die Hand, es geht ihn nichts an. – Also ans römische Volk? – Das Volk kann sich die Sache leicht machen; es braucht nämlich bloß zu antworten, daß es ja im Interesse der Bündner ein besonderes Gesetz gegeben und euch, die Richter, als deren Schützer und Rächer eingesetzt hat. Nur dieser Ort hier bleibt übrig als ihre einzige Zufluchtsstätte; hier ist ihr Nothafen, ihre schützende Burg, ihr Altar. Aber auch hierher flüchten die Bündner nicht mehr in der Weise, wie sie es sonst zur Wahrung ihrer Rechte thaten. Jetzt kommen sie nicht mehr, um Gold oder Silber oder Stoffe oder Sklaven einzufordern, auch nicht um Kunstwerke, die man aus ihren Städten und Tempeln weggeschleppt: sie fürchten, die unerfahrenen Menschen, daß so etwas vom römischen Volke schon zugegeben und gar gutgeheißen wird. Seit vielen Jahren dulden wir nämlich diese Zustände: wir sehen stillschweigend zu, wie der ganze Reichtum aller Nationen in die Taschen von ein paar Spekulanten fließt. Und der Anschein, daß wir dies ohne Entrüstung mit ansehen und zugeben, muß um so eher entstehen, als keiner dieser Menschen aus seinem Prinzip ein Hehl macht, keiner sich im mindesten bemüht, seine Habgier auch nur zu verschleiern. (127) Was unsere schöne, prachtvolle Stadt in ihren öffentlichen Gebäuden an Statuen, Bildern und sonstigen Kunstwerken besitzt, hat sie alles von besiegten Reichsfeinden nach Kriegsrecht genommen und hierher transportiert. Dagegen jene Privatleute fallen über unsere treuesten Bundesgenossen her, nehmen ihnen all ihre schönsten Besitzstücke weg und füllen damit ihre Villen und Paläste. Wo, glaubt ihr wohl, ist das Geldvermögen der auswärtigen Nationen hingekommen, die jetzt alle verarmt sind, wenn wir sozusagen ganz Athen, Pergamon, Kyzikos, Milet, Chios, Samos, kurz schließlich ganz Kleinasien, Achaia, Hellas, Sicilien in ein paar Villen eingeschlossen sehen? – Aber dies, wie gesagt, geben unsere Bundesgenossen bereits alles auf, sie kümmern sich schon nicht mehr darum. Daß das römische Volk sie nicht von Staats wegen ausplünderte, dafür haben sie durch ihre treue Dienstergebenheit gesorgt; der Habgier einzelner konnten sie damals, als die Eroberung vor sich ging und Widerstand schon nicht mehr möglich war, wenigstens in irgend einer Weise Genüge thun: jetzt aber ist ihnen alles genommen, die Möglichkeit sich zu wehren und die Fähigkeit etwas aufzubringen. So vernachlässigen sie all ihren Besitz; auf materiellen Schadenersatz, für den dieser Gerichtshof dem Wortlaute nach berufen ist, dringen sie schon gar nicht mehr, das alles geben sie preis: in solchem Zustande kommen sie her zu euch. (128) Ich bitt' euch, ich bitt' euch, meine Herren, sehet doch nur diese grausige Verwahrlosung unserer Bündner an! XXXXVIIII. Hier steht Sthenios von Thermai mit ungepflegtem Haar im Trauerkleid; sein ganzes Haus ist ausgeplündert, aber kein Wort verliert er über deine Räuberei: sich selbst verlangt er von dir, nichts weiter; denn ihn selbst hast du aus seinem Vaterlande, wo er durch seine zahlreichen Vorzüge und Arbeiten die Leitung des Gemeinwesens erhalten hatte, durch deine frevelhafte Willkür vertrieben. Hier seht ihr den Dexon von Tyndaris; nicht was du der Stadt, nicht was du ihm aus seinem Hause entwendet hast, sondern seinen einzigen Sohn, den trefflichen, unschuldig gemordeten, verlangt der Unglückliche von dir zurück; nicht mit Schadenersatz nach amtlicher Schätzung, sondern nur mit deiner persönlichen Vernichtung ist ihm gedient; denn was er heim bringen will, ist nicht Geld noch Geldeswert, sondern eine Spur von Trost für den Verlust seines Sohnes. Hier der hochbejahrte Eubulidas hat an seinem Lebensabend noch diese weite anstrengende Reise nach Rom unternommen, nicht um etwas von seinem Hab und Gut wieder zu bekommen, sondern um mit denselben Augen, die das blutige Haupt seines Sohnes fallen sahen, nun den Anblick des verurteilten Verres zu genießen. (129) Hätte der jetzige Statthalter, Lucius Metellus, es gestattet, so wären auch die Mütter und Schwestern jener Unglücklichen hergekommen: eine von ihnen zog mir, als ich nachts vor Herakleia ankam, mit sämtlichen Damen dieser Stadt bei hellem Fackelschein entgegen; sie nannte mich ihre Rettung, sie nannte Verres ihren Bluthund, sie flehte mich beim Namen ihres Sohnes an, sie warf sich verzweifelt mir zu Füßen, als könnt' ich ihren Sohn aus der Unterwelt heraufbeschwören. So kamen dann auch in den übrigen Städten die bejahrten würdigen Mütter und die kleinen zarten Kinder der Gemordeten; jung und alt rechnete auf mein hilfreiches Eingreifen und auf euer aufrichtiges Erbarmen. (130) So hat denn ganz Sicilien gerade mich vor allen anderen ausersehen, um diese Klage in meine Hände zu legen; nicht Ruhmsucht, sondern Thränen sind es, die mich hierher geleitet haben, auf daß nicht mehr Kerker, Ketten, Ruten, Beile, die Martern unserer Bündner und das Blut unschuldiger Menschen, endlich die blutlosen Leichen der Getöteten und das Weh all ihrer Angehörigen dazu dienen, unseren Beamten eine Erwerbsquelle zu sein. Wenn ich dem ganzen Lande Sicilien diese Seelenangst vermittelst der Verurteilung des Verres durch eure rücksichtslose Wahrheitsliebe abnehme, so hab' ich, scheint mir, dem Willen der Bittsteller wie meiner Pflicht Genüge gethan.

L. (131) Solltest du jetzt noch jemand finden, der dich auch gegen diese Anklage auf dem Gebiete der Marineverwaltung in Schutz nehmen will, so müßt' er seine Verteidigung folgendermaßen einrichten. Alle Gemeinplätze, die mit der Sache selbst nichts zu thun haben, mag er weglassen, wie z. B., daß ich aus einem Zufall eine Schuld mache, daß ich ein verhängnisvolles Ereignis als Klagepunkt gegen einen einzelnen verwerte; daß ich ihm aus dem Verluste der Flotte einen Vorwurf mache, während viele tapfere Männer in dem allgemeinen Schwanken des Kriegsglückes zu Lande wie zur See gar oft einen Schlag abbekommen hätten u. s. w. Das alles mag er sich schenken: keinen Zufall werf ich dir vor, keinen Grund hast du, dich auf mißlungene Unternehmungen anderer zu berufen oder viele Fälle von Schiffbrüchen großer Flotten zu sammeln. Sondern ich sage, daß die Schiffe fast leer, die Soldaten und Matrosen für Geld entlassen waren, daß die vorhandenen sich von Palmenwurzeln ernähren mußten, daß die Flotte Roms unter dem Kommando eines Sicilianers, unsere ständigen Bundesgenossen und Freunde unter dem Befehl eines Syrakusaners standen; daß du während jener Zeit und während der ganzen letzt vorhergehenden Tage zechend mit Frauenzimmern am Strande lagest: für alle diese Thatsachen stell' ich Gewährsmänner und Zeugen auf. (132) Kann man da behaupten, ich schmähe dich im Unglück, ich verschließe dir die Zuflucht des »Schicksals«, ich wolle wegen eines Zufalles im Kriege dich tadeln oder schimpfen? Übrigens pflegen sich nur solche Leute unter Berufung auf den Zufall gegen Vorwürfe zu verwahren, die sich eben dem Zufall anvertrauen, die alle Schwankungen seines wechselvollen Spieles durchgemacht haben. Und wahrlich an diesem deinem Unfalle hat der Zufall keinen Teil. Denn die Launen des Kriegsglückes pflegen die Menschen auf dem Schlachtfelde und nicht an der Kneiptafel zu erfahren; bei jenem Unfall aber, das dürfen wir wohl sagen, schaltete nicht Mars, sondern Venus. Und wenn du dich so gern auf den Zufall berufen möchtest, warum ließest du denn für jene unschuldigen Opfer nicht einen Augenblick den Zufall mitsprechen? – (133) Auch den Einwand kannst du gleich von vornherein fallen lassen, daß ich eine gehässige Beschuldigung gegen dich erhebe, weil du nach der Sitte der Väter die Todesstrafe verhängtest und sie durchs Beil vollziehen ließest. Nicht um die Todesstrafe dreht sich meine Klage; ferne sei es mir, zu behaupten, daß kein Mensch enthauptet werden dürfe; nie will ich aus unserem Militärwesen das Furchtbare abgeschafft wissen, die unnachsichtliche strenge Disciplin, die Bestrafung aller groben Vergehen: ich weiß wohl, daß sehr häufig nicht nur allein gegen Bündner, sondern auch gegen unsere eigenen Bürger und Soldaten mit unerbittlicher Schärfe eingeschritten werden mußte. Darum kannst du dir auch dies ersparen. LI. Ich beweise, daß die Schuld nicht an den Kapitänen, sondern allein an dir lag; ich zeige daß du die Mannschaften der Schiffe entlassen hattest. Dies erklären die noch übrigen Kapitäne, dies bestätigt amtlich unser Bundesstaat Notion, und ebenso die Behörden von Herbita, von Amestratos, von Agyrion, von Enna und von Tyndaris; endlich dein Entlastungszeuge, dein Viceadmiral, dein zweites Ich, dein Gastfreund Kleomenes erklärt, er stieg ans Land, um aus der ständigen Besatzung von Pachynos eine Anzahl Soldaten zur Dienstleistung auf der Flotte abzukommandieren. Das hätt' er sicher nicht gethan, wenn die Schiffe selbst ihre Mannschaften in vorschriftsmäßiger Anzahl gehabt hätten; die Kadres sind nämlich für ordentlich ausgerüstete Kriegsschiffe derart eingerichtet, daß nicht nur für mehrere, sondern selbst für einen einzigen neuen Ankömmling kein Platz da ist. (134) Ferner sag' ich, daß die vorhandenen Schiffsmannschaften durch Hunger und alle Art von Entbehrung aufs jammervollste zugerichtet wurden; ich sage, daß deshalb entweder alle schuldlos waren oder, wenn einen die Schuld trifft, es nur derjenige war, der das beste Schiff mit den meisten Leuten hatte und dazu das Oberkommando führte, oder aber, falls ja alle für schuldig erkannt wurden, daß dann Kleomenes bei der Marter und Hinrichtung der anderen nicht als Zuschauer figurieren durfte. Weiter erklär' ich es für ein bei der Hinrichtung selbst begangenes Verbrechen, daß aus Thränen und Schmerzen, Wunde und Schlag, Totenbestattung und Leichenfeier noch Profit gezogen wurde.

(135) Folglich mußt du, um mir zu antworten, folgendermaßen reden: »die Flotte war vorschriftsgemäß ausgerüstet und bemannt, kein Kombattant fehlte, kein Ruder blieb ohne seinen Matrosen, für die Verpflegung war auskömmlich gesorgt, die Kapitäne lügen, die unbescholtenen Gemeindebehörden lügen, ganz Sicilien lügt; Kleomenes ist ein Verräter, wenn er sagt, er ging an Land um von Pachynos Soldaten zu holen; an Mut fehlt' es den Leuten, nicht an Vorräten; Kleomenes wurde tapfer kämpfend von seinen Leuten schnöde verlassen, niemand hat für Begräbnisse Geld bekommen.« Wenn du so sprichst, wirst du des Gegenteils überführt; sagst du etwas anderes, so kannst du meinen Aufstellungen nicht widersprechen.

LII. (136) Hier willst du dich vielleicht auch noch erfrechen zu sagen: »unter den Richtern sitzt hier mein guter Bekannter, dort ein alter Freund meines Vaters.« – Siehst du denn nicht ein, daß, je näher dir irgend ein Mensch persönlich steht, desto mehr du dich bei solchen Anklagen vor ihm schämen mußt! – »Aber ein Freund meines Vaters!« – Und wenn dein eigener Vater hier zu Gericht säße, wahrhaftig, du könntest nichts mehr anfangen, sobald er zu dir spräche: »du hast in einer Provinz des römischen Reiches, anstatt mit allen Kräften die Expedition zur See vorzubereiten, den Mamertinern die vertragsmäßig geschuldete Lieferung einer Galeere drei Jahre lang geschenkt; du hast dir von denselben Mamertinern auf Gemeindekosten ein mächtiges Transportschiff für deinen Privatgebrauch bauen lassen; du hast den Bundesstaaten Geldkontributionen unter dem Vorwande der Flottenausrüstung auferlegt und nachher die Schiffsmannschaften für Geld nach Hause geschickt; du hast, als dein Quästor und dein Legat ein gefangenes Flibustierschiff anschleppten, den Oberpiraten unter der Hand entwischen lassen; du hast das Herz gehabt, römische Bürger, die als solche von der allgemeinen Stimme bezeichnet, von vielen einzelnen erkannt wurden, zum Tode durchs Beil zu verdammen; du hast dich erfrecht, Seeräuber in deinem Hause aufzunehmen, einen Seeräuberhäuptling aus deinem Hause zur Gerichtsverhandlung mitzunehmen; (137) du hast in dieser wichtigen Provinz, bei einer Bevölkerung von getreuen Bündnern und hochachtbaren Römern, mitten unter den drohendsten Gefahren für das ganze Land eine Reihe von Tagen hintereinander mit Schlemmereien am Strande hingebracht; du ließest dich während dieser Zeit von niemand zu Hause sprechen noch in deinem Amtslokal aufsuchen; du hast Frauen aus anständigen Bürgerfamilien zu jenen Orgien hinzugezogen; du hast unter Weibspersonen dieser Sorte deinen halbwüchsigen Sohn, meinen Enkel, eingeführt, damit er in diesem gefährlichsten, schlüpfrigsten Alter in der Lebensweise seines Vaters das Muster aller Schändlichkeit kennen lernte; du hast dich als Landvogt in deiner Provinz mit wallender Damentunika und purpurnem Griechenmantel sehen lassen; du hast wegen skandalöser Liebesgeschichten das Kommando über die Flotte den römischen Admiralen weggenommen um es einem Syrakusaner zu übertragen; du hast unsere Soldaten in der fruchtbaren, gesegneten Provinz Sicilien darben lassen; du hast durch deine Schwelgerei und Geldgier verschuldet, daß eine römische Kriegsflotte von den Seeräubern erbeutet und verbrannt wurde, (138) so daß in einem Hafen, den seit der Gründung von Syrakus kein Feind betreten hatte, nun dank deinem Regimente zum erstenmal die Piratenkaper spazieren fuhren: und alle diese entehrenden Vorfälle hast du nicht etwa totzuschweigen, in Vergessenheit zu hüllen oder sonst irgendwie zu vertuschen gesucht, sondern du ließest noch dazu die Schiffskapitäne ohne jeden Anlaß aus den Armen ihrer Eltern, deiner Gastfreunde, reißen, um sie zu Marter und Tod zu schleppen, wobei dich unter dem Jammern und Weinen der Eltern selbst die Anrufung meines Namens nicht erweichen konnte; du hast an dem Blut unschuldiger Menschen nicht bloß Genuß, sondern auch eine Erwerbsquelle gefunden«: – wenn so dein Vater zu dir spräche, könntest du vor seinen Augen Gnade finden? Dürftest du ihn auch nur um Verzeihung bitten?

LIII. (139) Genug; ich habe allen Genüge gethan, den Sicilianern, meiner Pflicht und meiner Aufgabe, meinem Versprechen und allem, was ich übernahm. Aber eine Sache bleibt noch übrig, meine Herren, die nicht übernommen, sondern mein tiefstes Herzensbedürfnis, nicht äußerlich mir zugetragen, sondern im innersten Grunde meiner Seele eingewurzelt ist; sie bezieht sich nicht auf das Wohl der Bündner, sondern auf das der römischen Bürger, also auf unser aller Blut und Leben. Hierbei bitt' ich euch, keine Aufzählung von Beweisen meinerseits zu erwarten, als ob in der Sache selbst irgend etwas zweifelhaft wäre: alle die Thatsachen, um die es sich handelt, sind dermaßen bekannt, daß ich zu ihrer Bestätigung ganz Sicilien als Zeugen aufstellen könnte. Denn der Wahnsinn, der Begleiter der Frechheit und des Frevelmutes, packte Verres' zügellosen Sinn und riß diese brutale Natur zu solch rasender Tollwut hin, daß er nicht davor zurückscheute, Strafen, die sonst nur über ertappte Sklaven wegen gemeiner Verbrechen verhängt werden können, an Landgerichtstagen vor aller Welt gegen römische Bürger in Anwendung zu bringen. (140) Wie viele er mit Ruten peitschen ließ – ich will es gar nicht aufzählen. Nur so viel sag' ich euch, kurz zusammenfassend: so lange Verres Statthalter war, gab es bei diesen Vorgängen gar keine Rücksicht auf das Bürgerrecht. Es war durch die Gewohnheit soweit gekommen, daß der Leib des römischen Bürgers auch ohne Verres' besonderen Wink der Hand des Scharfrichters verfiel. LIIII. Kannst du leugnen, Verres, daß auf dem Markte von Lilybaion vor zahlreich versammeltem Volke Gaius Servilius, ein alter Kaufmann und römischer Bürger aus der Genossenschaft von Panormos, vor deinem Richterstuhle, zu deinen Füßen mit Ruten gepeitscht wurde, bis er zu Boden sank? Wag' es dies zu leugnen, wenn du kannst: ganz Lilybaion sah es mit an, durch ganz Sicilien verbreitete sich die Kunde. Ich wiederhole: unter den Hieben deiner Schergen brach ein römischer Bürger vor deinen Augen zusammen. (141) Und was war der Anlaß? Gute Götter! ach, ich versündige mich ja an Staats- und Völkerrecht, wenn ich diese Frage stelle; denn wenn ich nach dem Anlasse zu dieser Behandlung des Servilius frage, so thu' ich ja gerade, als ob eine solche Behandlung eines römischen Bürgers überhaupt unter irgend welchen Umständen je erfolgen dürfte. Ich bitt' euch also, meine Herren, für dieses eine Mal um Verzeihung; in künftigen Fällen werd' ich nicht mehr nach dem Anlasse fragen. Servilius hatte von Verres' Schandwirtschaft Kenntnis und erlaubte sich einmal ein freies Wort darüber. Dies wurde dem Verres hinterbracht; sofort schickt er dem Mann eine Vorladung und zwar muß er einem Diener des Aphroditetempels die für den Fall des Nichterscheinens bestehende Konventionalstrafe versprechen. Das thut er auch, und zum Termin kommt er nach Lilybaion. Niemand fand sich, eine Civil- oder Kriminalklage gegen ihn zu erheben; da zwang ihn Verres, mit einem seiner Amtsbüttel eine gerichtliche Wette im Betrage von verschiedenen tausend Sesterzen um den Klagepunkt des »betrügerischen Erwerbes« einzugehen; die entscheidenden Obmänner wollt' er aus seiner Horde stellen. Servilius weigerte sich, ein solches Verfahren anzunehmen, und flehte, man sollte doch nicht, ohne allen Grund und ohne daß ein Kläger erschiene, vor parteiischen Richtern einen Prozeß gegen ihn in Scene setzen, dessen Entscheidung ihm seine ganze bürgerliche Existenz kosten könnte.

(142) Während er in diesem Sinne noch spricht, treten die sechs Büttel um ihn herum, lauter robuste, im Prügeln und Peitschen wohlgeübte Kerle, und hauen aus Leibeskräften mit Ruten auf ihn los; endlich fing der Oberscherge, der schon mehrfach erwähnte Sextius, an, mit dem Knaufe seines Stockes dem Unglücklichen heftig auf die Augen zu schlagen, bis dieser blutüberströmt zu Boden sank; aber noch wie er dalag, fuhren die Bluthunde fort auf ihn loszudreschen, bis er sich bereit erklären würde, auf jene Wette einzugehen. Schließlich war er so zugerichtet, daß man ihn für tot vom Platze trug, und bald nachher gab er denn auch seinen Geist auf. Dagegen ließ dieser Aphroditesklave, dieser gar elegante und liebenswürdige Herr, vom Gelde des Gemordeten eine silberne Statue des Liebesgottes gießen und stellte sie im Tempel der Aphrodite auf. So pflegt' er auch das Vermögen anderer Leute für die Erfüllung der nächtlichen Gelübde seiner Frivolität auszunutzen.

LV. (143) Wozu sollt' ich über die Mißhandlungen anderer römischer Bürger noch im einzelnen reden, anstatt die Sache in großen, allgemeinen Zügen abzumachen? Jenes Zuchthaus, das der grausamste aller Tyrannen, Dionysios, bei Syrakus erbauen ließ, die sogenannten Steinbrüche, war unter Verres' Regierung der Wohnort zahlreicher Römer. Wer je seinen Launen nicht paßte oder seinem Blicke zuwider war, kam ohne weiteres in die Steinbrüche. Das findet ihr alle empörend, ich weiß es wohl und bemerkt' es schon bei unserer ersten Verhandlung, denn ihr wollt die Rechte der Freiheit nicht nur hier gewahrt wissen, wo es Volkstribunen giebt, wo der ganze Beamtenapparat funktioniert, wo wir das Forum mit seinen Gerichten, den Senat mit seiner Würde haben, wo die ganze Masse des römischen Volkes schon durch die öffentliche Meinung einen Druck ausübt: nein, wo irgend auf der ganzen Erde das Recht des römischen Bürgers verletzt ist, da konstatiert ihr einen Angriff auf die gemeinsame Sache der Freiheit und nationalen Ehre. (144) Und da hast du es gewagt, in das Gefängnis für ausländische Verbrecher und gemeine Frevler, für Straßenräuber und Staatsfeinde eine große Zahl römischer Bürger einzusperren? Ist dir denn nie ein Gedanke in den Sinn gekommen etwa an solche Dinge wie Gerichtshof, Volksversammlung, öffentliche Meinung, Wut und erbitterter Haß dieser ganzen Menge? Dachtest du nie an die Würde der Römer in der fernen Hauptstadt, trat dir nie das Bild dieser gewaltigen Masse vor die Seele? Glaubtest du nie mehr diesen Menschen unter die Augen zu kommen, nie mehr das Forum von Rom zu betreten, nie mehr der Herrschaft von Recht und Gesetz anheimzufallen?

LVI. (145) Aber was war das nur für eine Wonne, sich in Grausamkeiten zu ergehen? Woher kam dir immer wieder die Lust zu frevelhaftem Beginnen? Sehr einfach: die Ursache war nichts als ein ganz besonderes Raubsystem. Wie wir in alten Dichtungen von Raubmenschen lesen, die an wilden Meergestaden oder auf einsamen Vorgebirgen und jähen Felsklippen wohnten um die gestrandeten Schiffer zu töten, so bedrohte dieser Wüterich von allen Ecken Siciliens aus ringsum alle Meere. Jedes Schiff, das aus Kleinasien, aus Syrien, aus Tyros, aus Alexandria ankam, wurde sofort durch wohl instruierte Denunzianten und Controleure festgehalten; das Personal ließ er in die Steinbrüche werfen, die Fracht mit allen Waren in seinen Palast befördern. So hauste in Sicilien nach langer Zwischenzeit wieder nicht etwa ein neuer Unhold vom Schlage der Dionysios und Phalaris – denn einst lebten auf dieser Insel gar viele fürchterliche Tyrannen – sondern eine ganz neue Art von Ungeheuer, der ärgste Vertreter jener Scheußlichkeit, die einst diese Lande verheerte. (146) Denn ich glaube, weder Skylla noch Charybdis war den Schiffern so gefährlich, wie er, wenn er in jenen Gewässern wütete; ja, er war viel gefährlicher, weil er sich mit einer viel zahlreicheren und blutgierigeren Horde von Bestien umgeben hat. Er ist ein zweiter Polyphēmos , nur noch ungeschlachter; denn der alte Kyklop am Aitna tyrannisierte nur jenen einen Landstrich, in dem seine Höhle lag, dieser neue dagegen die ganze Insel Sicilien. Und was für einen Grund, glaubt ihr wohl, führt' er selbst damals an, um diese scheußliche Grausamkeit zu entschuldigen? Denselben, der jetzt in seiner Verteidigungsrede wieder aufgewärmt werden wird. Wer irgend mit einigermaßen reicher Schiffsladung nach Sicilien gesegelt kam, wurde für einen Soldaten des Sertorius erklärt, für einen Rebellen, der sich eben vom spanischen Artemiskap her flüchtete. Um die drohende Gefahr von sich abzuwälzen, unterstützten die armen Menschen ihre Bitten durch die verschiedensten Gaben, bald Purpur aus Tyros, bald orientalischen Weihrauch und andere seltene Essenzen, bald feines Leinenzeug, bald Perlen und Edelsteine; einige brachten griechische Weine und asiatische Sklaven an, so daß man aus den Waren entnehmen konnte, aus welchen Erdteilen ihre Fahrt sie herführte. Sie hatten nicht geahnt, daß diese selben Objekte, von denen sie zuversichtlich ihre Rettung erhofften, gerade ihr Verderben sein würden: Verres erklärte nämlich, sie hätten mit den Piraten gemeinsame Sache gemacht und wären nur so in den Besitz all jener Schätze gelangt; dann ließ er sie selbst in die Steinbrüche abführen und behielt ihre Schiffe nebst Ladung unter sorgfältiger Aufsicht. LVII. (147) Als durch solche Vorgänge der Kerker schon mit Kaufleuten angefüllt war, da geschahen erst die Dinge, die ihr aus dem Munde eines vorzüglichen Mannes, des Ritters Lucius Suecius, vernommen habt und noch von anderen Zeugen hören werdet. Erdrosselt wurden im Kerker römische Bürger mitleidlos; jener Hilferuf, jenes Wort, »ich bin ein Bürger Roms,« das sonst so oft in den entlegensten Ländern dieser Welt vielen Menschen mitten unter Barbaren Hilfe und Erlösung brachte, hier bedeutet' es Beschleunigung der Strafe und qualvolleren Tod. – Nun, Verres? Was denkst du hierauf zu antworten? Etwa daß ich lüge? Etwa daß ich mir etwas ausdenke? Daß ich deine Verbrechen übertreibe? Wirst du es wagen, etwas dieser Art deinen Verteidigern vorzureden? Man reiche mir gefälligst die syrakusanischen Dokumente aus seiner eigenen Tasche, diese Schriftstücke, die er nach seinem Belieben abgefaßt glaubte; man reiche mir ferner das Gefängnisjournal, das mit größter Sorgfalt geführt wird und genau verzeichnet, wer an jedem einzelnen Tage eingekerkert wurde, wer starb, wen der Landvogt ermorden ließ. Bitte vorzulesen.

[Es geschieht.]

(148) Da seht ihr's: römische Bürger scharenweis' in die Steinbrüche geworfen, am unwürdigsten Platz eine große Menge eurer Mitbürger zusammengepfercht. Jetzt suchet die Spuren, die auf ihre Wiederkehr aus jenem Schreckensorte deuten. Nirgends erscheinen sie. – »Sind etwa die Menschen alle gestorben?« So wird man vielleicht fragen. – Selbst wenn er dies zu seiner Rechtfertigung sagen könnte, so würd' er mit einer solchen Behauptung nirgends Glauben finden. Aber es kommt nicht dazu; in denselben Akten steht es geschrieben, was dieser gewissenlose ungebildete Mensch nie beachtete und nie verstehen konnte: das griechische Wort ἐδιϰαιώϑησαν steht da, das heißt im Sprachgebrauche der Sicilianer: »sie wurden gerichtet und umgebracht.« LVIII. (149) Wenn das ein fremder König gethan hätte, wenn ein ausländischer Staat, wenn irgend ein Volk der Welt sich so etwas gegen römische Bürger erlaubte, würden wir nicht von Staats wegen Rache nehmen? Würden wir nicht sofort den Krieg erklären? Könnten wir eine so schmachvolle Mißhandlung des römischen Namens ohne bittere Ahndung hingehen lassen? Wie viele Kriege, meint ihr wohl, und was für schwere Kriege haben unsere Vorfahren unternommen, nur weil es hieß, römische Bürger wären schlecht behandelt, Kauffahrer festgehalten, Geschäftsleute ausgeplündert worden! Aber ich will mich schon über Festnahmen nicht beklagen, über Plünderungen nicht aufhalten; ich erhebe Klage, daß Schiffe, Ladungen und Bedienungsmannschaften ihren Eigentümern weggenommen, die Großhändler selbst ins Gefängnis geworfen und – als römische Bürger! – im Gefängnis hingemordet wurden. (150) Wenn ich dies vor Skythen erzählte, und nicht hier vor einer großen Menge römischer Bürger, vor den Senatoren, dieser Blüte unserer Nation, auf dem Forum von Rom: ich würde mit der Schilderung dieser langen qualvollen Leiden unserer Mitbürger selbst die wilden Barbarenherzen erschüttern; denn so erhaben steht unser Reich da, so gewaltigen Klang hat der Name Roms bei allen Völkern der Welt, daß jene Grausamkeiten gegen unsere Leute überall Mißbilligung finden müssen. Und du rechnest noch auf Rettung, auf irgend eine Zufluchtsstätte, wo du so offenbar von der richterlichen Strenge gepackt, von der Menge des römischen Volkes wie mit einem dichten Netz umgarnt bist? (151) Wahrlich, wenn es dir selbst gelänge, was doch absolut unmöglich ist, dich aus diesen Schlingen loszumachen und mit irgend welchen Mittelchen herauszuwinden, so müßtest du ja notwendig in die noch viel schlimmeren Fallen hineingeraten, in denen dir von mir – wiederum käme ich, und diesmal von höherem Punkt Wie Cicero schon öfters gedroht hat, würd' er Verres im Fall seiner Freisprechung nochmals verklagen, und zwar wegen Hochverrates; in diesem Falle würd' er nicht zu Senatoren, sondern direkt zum Volke sprechen und dazu die in doppeltem Sinne »höhere« Tribüne besteigen. aus – definitiv der Garaus gemacht werden würde. Auch wenn ich ihm also jenen Versuch zu einer Ausrede lassen wollte, so müßte ihm dennoch seine falsche Verteidigung ebenso verhängnisvoll werden wie meine richtige Anklage.

Denn wie verteidigt er sich? Er habe, sagt er, Flüchtlinge aus Spanien abgefaßt und mit dem Tode bestraft. Wer erlaubt dir das? Wo hast du ein Recht dazu? Wer hat je etwas Ähnliches gethan? Und wie kämest du dazu? (152) Täglich sehen wir Markt und Hallen von solchen Menschen wimmeln, und wir sehen das mit ruhigem Gemüte. Denn wenn ein politisches Zerwürfnis innerhalb des Reiches beigelegt, wenn das ganze entsetzliche Wüten des Schicksals oder der menschlichen Tollheit, das man Bürgerkrieg nennt, endlich vorüber ist, so ist wahrlich niemand über einen Ausgang ungehalten, der wenigstens die übrig gebliebenen Bürger ruhig weiter existieren läßt. Hingegen Verres, dieser alte Verräter seines Konsuls, dieser eigenmächtige Überläufer in der Quästur, der Staatsgelder einfach unterschlagen hat, er nahm sich so viel Macht in unserem Staate heraus, um Menschen, die nach ausdrücklicher Autorisation durch unseren Senat, unser Volk und sämtliche Behörden in dieser Stadt leben, auf dem Forum erscheinen, sich bei Abstimmungen über Gesetze beteiligen, ja sogar Anstellungen erhalten durften – um solche Menschen regelmäßig zu einem grausamen, qualvollen Tode zu verdammen, falls ihr Unstern sie zufällig an irgend einen Punkt von Sicilien getrieben hatte. (153) Bei Gnaeus Pompeius, einem unserer ruhmvollsten Feldherrn, fanden sich thatsächlich nach der Hinrichtung des Perperna viele Soldaten aus dem vernichteten Heere des Sertorius Gnade flehend ein: mit größtem Eifer sorgt' er dafür, daß keinem ein Leides angethan würde; kein Bürger Roms suchte vergeblich bei ihm Zuflucht, sondern allen reicht' er seine Siegerhand, allen wies diese Hand den Weg zur Rettung. Dahin mußt' es kommen! Bei dem Helden, gegen den die Leute gefochten hatten, fanden sie ein schützendes Asyl; bei dir, der du in unserem Staate nie das Geringste zu bedeuten hattest, stand ihnen Marter und Tod bevor. Siehst du, wie schlau du dir deine Verteidigung ausgedacht hast? LVIIII. Wahrhaftig, ich wünschte, daß eher deine zur Verteidigung als meine zur Belastung bestimmten Aufstellungen bei diesen Richtern hier und bei den anderen Anwesenden Eingang fänden; ich wünschte – das will ich damit sagen – man hielte dich wirklich für den erbitterten Feind nicht der Seefahrer und Handelsleute, sondern der Überbleibsel jener zersprengten Armee. Denn meine Klage überführt dich nur der schonungslosen Habgier, dein Rechtfertigungsversuch dagegen der wahnsinnigsten, scheußlichsten Grausamkeit, ja in gewissem Sinne eines neuen Ächtungsverfahrens.

(154) Aber es ist nun einmal nicht so; die Thatsachen verbieten es mir, diesen schönen Vorteil auszunutzen. Ganz Putéoli Großer Merkantilhafenplatz bei Neapel, jetzt Fischerdorf. ist jetzt hier versammelt: in auffallend großer Anzahl sind die Großhändler zu dieser Gerichtsverhandlung hergereist und sprechen nun bald von ihren Associés, bald von ihren Vertretern oder deren Agenten, die überfallen und ausgeraubt und ins Gefängnis geworfen, dann teils im Gefängnis erdrosselt, teils öffentlich enthauptet wurden. Hier kannst du sehen, wie gnädig ich mit dir umgehe. Ich führe den Zeugen Publius Granius vor, der erklärt, seine Freigelassenen ließest du enthaupten, der sein Schiff nebst voller Ladung von dir zurückfordert; widerlege du ihn, wenn du kannst; dann will ich meinen Zeugen aufgeben, will für dich eintreten – hörst du? Dir will ich helfen! Aber beweise uns erst, daß jene Leute unter Sertorius gedient hatten, daß sie sich fliehend am Kap der Artemis einschifften und auf der Fahrt an die Küste von Sicilien verschlagen wurden. Keinen größeren Gefallen könntest du mir thun als diesen Nachweis zu erbringen; denn kein Verbrechen kann man vortragen oder ausfindig machen, das eine härtere Strafe nach sich zöge. (155) Gern will ich, wenn du es wünschest, den römischen Ritter Lucius Flavius noch ein zweites Mal vorführen, da du ja in der ersten Verhandlung aus »ganz besonders weiser Überlegung« – so nennen es nämlich deine Parteigenossen; die allgemeine Stimme dagegen sagt: »aus bösem Gewissen und unter der erdrückenden Wucht der Belastungszeugnisse« – keinen Zeugen befragen wolltest. Jetzt mag man, wenn du willst, den Flavius befragen, wer denn jener Lucius Herennius war, den er für den Chef eines großen Bankhauses in Leptis Belebte Handelsstadt in Afrika, Heimat des Kaisers Septimius Severus. erklärte; der Mann stand mit über hundert römischen Bürgern von der Genossenschaft zu Syrakus in Verbindung, die ihn alle nicht nur persönlich kannten, sondern auch flehentlich unter Thränen verteidigten – dennoch ward er vor den Augen der versammelten Bevölkerung von Syrakus enthauptet. Widerlege mir auch diesen Zeugen, ich wünsch' es von Herzen, und beweise mir, daß der Bankier Herennius in der Rebellenarmee des Sertorius diente. LX. (156) Und nun erst die ganz große Zahl derer, die mit verhülltem Haupt als angeblich gefangene Seeräuber einhergeführt wurden, um gleichfalls den Tod durchs Beil zu erleiden! Was ist das für eine ganz neue Art von Vorsicht? Zu welchem Zweck hast du dir so etwas ausgedacht? Schreckte dich vielleicht die unumwundene Aussage des Lucius Flavius und Anderer über die Persönlichkeit jenes Lucius Herennius? Oder hatte dich die achtunggebietende Würde unseres lieben verehrten Marcus Annius ein wenig vorsichtiger und schüchterner gestimmt? Annius erklärte ja neulich im Zeugenverhör, daß ein Geschäftsfreund von ihm, nicht etwa irgend ein beliebiger Ankömmling aus dem Auslande, sondern ein römischer Bürger, der sämtlichen Mitgliedern der Genossenschaft bekannt und in Syrakus selbst geboren war, auf deinen Befehl öffentlich geköpft wurde. (157) Nach diesen Äußerungen Einzelner und der Verbreitung solcher Schreckensnachrichten, die die allgemeine Empörung natürlich noch steigerten, fing Verres an, bei seinen Exekutionen nicht etwa milder, sondern nur mit mehr Überlegung vorzugehen. Jetzt traf er die schon erwähnte Einrichtung, daß die römischen Bürger mit verhülltem Haupte zum Tode geführt wurden; aber dennoch blieb die Persönlichkeit des Gemordeten für niemand ein Geheimnis, da die Leute in der Genossenschaft, wie ich schon erzählte, mit größter Genauigkeit die Zahl der gefangenen Seeräuber kontrollierten. So jammervoll war die Existenz für Leute unseres Volkes unter deiner Regierung geworden! Unter solchen Umständen sollten sie sich Glück von ihren Handelsunternehmungen versprechen! So stand es mit Leben und Tod! Müssen denn die armen Kaufleute sich sonst wenigen Gefahren mit ihrem Vermögen aussetzen, daß ihnen nun auch noch von unseren eigenen Beamten auf dem Grund und Boden unserer Provinzen das grausigste Geschick zu teil werden kann? Diese treue Provinz, die nächste an unserer Stadt, mit ihrer Bevölkerung von braven Bündnern und hochachtbaren Römern, die alle unsere Mitbürger stets mit größter Liebenswürdigkeit in ihren Gebieten aufnahm – diese Provinz Sicilien war gerade gut genug dazu, als Richtstätte zu dienen, auf daß Leute, die von den fernen Gestaden Syriens und Ägyptens kamen, die mitten unter Barbaren wegen ihrer römischen Toga in Ehren gehalten und allen Stürmen des Meeres glücklich entronnen waren, nun hier unter dem Beile des Henkers endeten, wo sie endlich die Heimat glücklich erreicht wähnten?

LXI. (158) Was soll ich über Publius Gavius, den unseligen Bürger von Consa Stadt im ehemals samnitischen Unteritalien. berichten? Wo soll meine Stimme die Kraft, wo mein Geist die Worte finden, wo meine Seele all den Schmerz fassen? Wohl, der Schmerz verläßt mich nicht, aber wie ich ihm Ausdruck verleihen und den Vorfall würdig darstellen soll, vermag ich kaum abzusehen. Das Verbrechen ist ja ein derartiges, daß, wie ich die erste Kunde davon erhielt, mein Gedanke zunächst war, gar keinen Gebrauch davon zu machen; wohl sah ich ein, es war nur allzu wahr, doch muß es, so schien mir, jedermann unglaublich vorkommen. Endlich, überwältigt durch die Thränen der gesamten, in Sicilien zu Handelszwecken ansässigen römischen Bürger, bestimmt durch die Zeugnisse der hochachtbaren Leute aus Valentia sowie der gesamten Bürgerschaft von Rhegion und vieler damals zufällig in Messana anwesender römischer Ritter, führt' ich in unserer ersten Prozeßverhandlung so viel Beweismaterial vor, daß über den Vorgang nirgends mehr ein Zweifel obwalten konnte. (159) Was soll ich jetzt thun? Seit vielen Stunden sprech' ich schon über ein und dieselbe Art von empörend grausamen Freveln dieses Menschen, schon hab' ich beinahe alle Macht der für seine Vergehen irgend bezeichnenden Worte bei anderen Momenten erschöpft ohne dafür zu sorgen, daß ich eure Aufmerksamkeit durch einige Abwechselung in der Art der Verbrechen fesselte: wie soll ich da über diesen Vorfall sprechen? Ich glaube, es giebt nur einen einzigen Weg. Ich will euch die Sache einfach vortragen; sie enthält in sich so viel Furchtbares, daß es weder meiner unbedeutenden Beredsamkeit, noch überhaupt menschlicher Worte, wessen sie auch seien, bedarf, um euer Gemüt in Brand zu setzen.

(160) Gavius aus Consa war ein römischer Bürger, der mit anderen seines Standes von Verres ins Gefängnis geworfen war, von dort aber auf irgend eine mir unbekannte Weise entkam und sich nach Messana flüchtete. Schon sah er das italische Festland und die Mauern von Rhegion nahe vor sich, schon fühlt' er sich nach dem Schauerbild von Tod und Dunkel gleichsam durch den Lichtstrahl der Freiheit und den Anhauch der Gesetze erquickt wieder aufleben, da beging er die Unvorsichtigkeit, in Messana zu sprechen und darüber zu klagen, daß er, als ein Bürger Roms, ins Zuchthaus gesteckt worden war; nun ginge sein Weg direkt nach Rom; wenn Verres käme, würd' er sich ihm schon stellen.

LXII. Der Ärmste wußte nicht, daß es ganz gleichbedeutend war, ob er diese Reden in Messana oder vor Verres in seinem Prätorenpalast führte; denn, wie ich euch schon früher erzählte, hatte der sich gerade die Stadt Messana ausgewählt, um an ihr eine Genossin seiner Frevel, eine Hehlerin des gestohlenen Gutes, eine Mitwisserin all seiner Schändlichkeiten zu besitzen. So wird denn auch Gavius sofort zu einem der städtischen Beamten geführt, und der Zufall fügt' es, daß Verres selber gerade an jenem Tage nach Messana kam. Die Sache wird ihm gemeldet: »da ist ein römischer Bürger,« heißt es, »der sich beklagte, daß man ihn in die Steinbrüche von Syrakus geworfen; schon wollt' er unter gräßlichen Drohungen gegen Verres ein Schiff besteigen um nach Italien zu fahren, da ergriff man ihn noch rechtzeitig und hält ihn nun in sicherem Gewahrsam, damit Verres selber beschließe, was mit ihm geschehen soll.« (161) Der Landvogt spricht den Leuten seinen Dank aus, belobt sie wegen ihrer Aufmerksamkeit und freundschaftlichen Gesinnung; dann eilt er Wut und Rache schnaubend auf den Markt. Seine Augen funkelten, sein ganzes Gesicht sprühte vor Blutgier. Alle waren gespannt, was er vorhätte, wie weit er sich wohl hinreißen lassen würde, da läßt er plötzlich den Menschen herbeischleppen, läßt ihn mitten auf dem Markt entkleiden und festbinden, läßt die Ruten aus den Bündeln nehmen. Laut rief der Unglückliche, er sei ein römischer Bürger aus der freien Stadt Consa, er habe mit Lucius Raecius, einem der vornehmsten römischen Ritter, der jetzt als Großkaufmann in Panormos lebte, zusammen gedient; von dem könne Verres alles erfahren. Da spricht Verres: er habe erfahren, daß Gavius von den Anführern der entlaufenen Sklaven als Spion nach Sicilien geschickt sei (worauf in Wahrheit auch nicht die leiseste Spur eines Anzeichens noch auch irgendwelcher Verdacht führte); sodann befiehlt er, von allen Seiten auf den Menschen unerbittlich loszuhauen. (162) Ihr hört es; mit Ruten gepeitscht wurde mitten auf dem Markte von Messana ein Bürger Roms; keinen Seufzer gab der Unglückliche in seinem Schmerze von sich, keinen Laut vernahm man unter dem Gedröhn der Schläge als das eine Wort: »ich bin ein Bürger Roms!« Mit dieser bloßen Anrufung seines Bürgerrechtes glaubt' er alle Schläge von seinem Leibe fernhalten und aller Folter ein Ende machen zu können. Aber es war ihm anders beschieden; die Ruten ließen nicht nach, und wie er noch öfter durch jene Anrufung sein Bürgerrecht geltend machte, da wurde das Kreuz – hört ihr? das Kreuz! – aufgerichtet für den Unglückseligen, der dieses Werkzeug des Entsetzens nie gesehen hatte.

LXIII. (163) O süßer Name Freiheit! O herrliches Vorrecht unseres Bürgertumes! Wo seid ihr hin? wohin die Gesetze des Porcius und des Gaius Gracchus? und die so heiß ersehnte, nach langem Harren endlich dem römischen Volke wiedergegebene Volkstribunengewalt? So elend ist das alles zusammengesunken, daß ein römischer Bürger in einer Provinz unseres Reiches, in einer Stadt unserer Alliierten von einem Menschen, dem die Gnade unseres Volkes Beile und Ruten in die Hand gegeben hat, öffentlich gefesselt und ausgepeitscht werden darf? Als die Flammen und glühenden Zangen und all die Folterwerkzeuge in Bewegung gesetzt wurden, als du taub bliebest gegen die bittere Anrufung und die erbarmenswerte Stimme des gequälten Opfers, konnten dich da selbst die flehentlichen Bitten und Thränen der anwesenden Römer nicht erweichen? Du wagtest es, einen Mann ans Kreuz zu schlagen, der sich einen Bürger Roms nannte? – Ich wollte in unserer ersten Verhandlung nicht so dringend auf diesen Punkt eingehen, glaubt mir, ich wollt' es nicht; ihr konntet nämlich sehen, wie die Gemüter der Menge von Schmerz und Erbitterung und Furcht vor allgemeiner Gefahr gegen diesen Menschen erhitzt wurden. So setzt' ich mir selbst ein Ziel, sowohl meiner eigenen Rede als auch den Aussagen meines vortrefflichen Zeugen, des Ritters Gaius Numitorius, und ich freute mich, daß Manius Glabrio auf den sehr vernünftigen Gedanken kam, mitten während der Zeugenaussage die Gerichtssitzung aufzuheben. Denn er fürchtete, daß unser Volk mit Gewalt eigenmächtig an Verres die Strafe vollziehen würde, die es ihm gönnte, die es aber gewärtig sein mußte ihm durch euren richterlichen Entscheid nicht zugesprochen zu sehen. (164) Jetzt, wo es ja ausgemacht ist, wie es um deine Sache steht und was mit dir geschehen wird, will ich so mit dir verfahren. Ich will zeigen, daß dieser Gavius, den du für einen plötzlich ausgesandten Spion erklärtest, auf deinen Befehl in die Steinbrüche bei Syrakus geworfen war; und zwar beweis ich das nicht nur aus den Schriftstücken der Syrakusaner, damit du nicht behaupten kannst, ich benutzte einen beliebigen in den Akten vorkommenden Namen Gavius um die ganze Geschichte zu erfinden und ihren Märtyrer mit dem Träger des zu diesem Zweck ausgewählten Namens zu identifizieren; vielmehr will ich Zeugen aufstellen, so viele dir belieben, welche sämtlich aussagen werden, daß eben jener Mensch von dir zu Syrakus in die Steinbrüche geschickt wurde. Sodann werd' ich Leute aus Consa vorführen, seine Mitbürger und Verwandten, welche dich jetzt zu spät belehren mögen – zu spät für dich, aber keineswegs zu spät für den Gerichtshof – daß jener Publius Gavius, den du ans Kreuz schlagen ließest, ein römischer Bürger aus der Freistadt Consa war, und kein Spion im Dienst entlaufener Sklaven. LXIIII. (165) Wenn ich all diesen Versprechungen nachgekommen bin und alles dies sämtlichen Parteien in vollem Maße zum Bewußtsein gebracht habe, dann nehm' ich vor, was du mir selber an die Hand giebst; ich will mich gern damit zufrieden geben. Denn was hast du neulich, als das Volk wütend auf dich eindrang und du ganz erschreckt aufsprangest, was hast du da selber gesagt? Du sagtest, der Mann hätte, nur um einen Aufschub seiner Strafe zu erlangen, nur zu diesem Zweck immerfort geschrieen, er wäre ein römischer Bürger; in Wahrheit wär' er ein Spion der Rebellen gewesen. Das stimmt vortrefflich zu meinen Zeugen. Denn was sagt Gaius Numitorius? Oder die beiden vornehmen Grundbesitzer aus dem Gebiete von Tauromenion, Marcus und Publius Cottius? Oder Quintus Lucceius, der Besitzer des großen Bankgeschäftes in Rhegion? Oder die übrigen alle? Bisher hab' ich nämlich nur solche Zeugen vorgeführt, die den Gavius nicht etwa persönlich näher gekannt sondern vielmehr mit eigenen Augen gesehen zu haben erklärten, wie der Mann, der sich auf sein römisches Bürgerrecht berief, zum Kreuze geschleppt wurde. Hiermit stimmst du, Verres, überein; du gestehst zu, daß der Mann wiederholt ausrief, er sei ein Bürger Roms, und daß der Name »Bürger von Rom« bei dir nicht einmal so viel bedeutete, um einen kurzen Aufschub der Kreuzigung, um wenigstens eine ganz kleine Verzögerung im Vollzuge der entsetzlichen, grausamen Strafe herbeizuführen. (166) Hierbei bleib' ich, meine Herren, dies halt' ich fest, mit diesem einen Moment bin ich zufrieden; alles übrige geb' ich gerne preis: Verres muß durch sein eigenes Geständnis in die Schlinge getrieben und abgestochen werden. – Du wußtest also nicht, wer der Mann war; die Behauptung, es wär' ein Spion, beruhte bloß auf Verdacht; ich frage gar nicht, auf was für einem Verdacht, sondern ich verklage dich mit deiner eigenen Rede: der Mann erklärte sich für einen Bürger Roms. Wenn du, Verres, fern in Indien oder Persien abgefaßt und zur Leibesstrafe abgeführt würdest, was würdest du anders ausrufen als daß du ein Bürger von Rom bist? Und wenn dir, als einem Unbekannten im unbekannten Land, unter Barbaren, bei Menschen der entlegensten Völkerstämme dieser Welt der auf dem ganzen Erdkreis berühmte und gefeierte Name nützen würde: konnte da nicht jener Mensch, den du zum Kreuze schleppen ließest, wer es auch war, zumal du ihn nicht kanntest, nun er sich für einen römischen Bürger erklärte, bei dir als dem Landvogt eine Zuflucht oder wenigstens einen Aufschub der Todesstrafe durch Anruf und Geltendmachung seines Bürgerrechtes erhalten? LXV. (167) Einfache Menschen von bescheidener Herkunft gehen zu Schiff; sie gelangen in Gegenden, die sie früher nie gesehen, wo sie weder denen, die sie vorfinden, bekannt sein noch auch immer auf Leute, die ihre Persönlichkeit festzustellen vermöchten, rechnen können. Niemand schützt sie; aber auf einen Schutz vertrauen sie immer: mit ihrem Bürgerrecht fühlen sie sich sicher, und zwar nicht bloß bei unseren Beamten, die ja selber den Gesetzen und der öffentlichen Meinung mit ihrer Person haften, auch nicht allein bei anderen römischen Bürgern, mit denen sie in Sprache, Rechtsverhältnis und so vieler anderer Hinsicht zusammengehören; nein, wohin sie auch verschlagen werden, überall hoffen sie von diesem Ehrentitel Schutz und Schirm. (168) Jetzt nimm ihnen diese Hoffnung, nimm den römischen Bürgern diese rettende Wehr; bestimme, daß dieses Wort »ich bin ein Bürger Roms« keine Hilfe mehr bringt, daß ein Prätor oder sonst irgendwer ungestraft jede beliebige Leibesstrafe über den, der sich römischer Bürger nennt, verhängen kann, mit der Motivierung, er kenne den Menschen nicht: damit wirst du ohne weiteres alle Provinzen, alle Monarchien, alle freien Staaten, ja alle Länder der Welt, die doch bisher unseren Leuten stets ohne Beschränkung offen stand, für die Bürger Roms auf immer verschließen. Und weiter: wenn der Mann sich auf den römischen Ritter Lucius Raecius, der sich damals in Sicilien aufhielt, ausdrücklich berief, war es denn so eine große Sache, einen Brief nach Panormos zu schicken? Du konntest so lange den Mann bei deinen Mamertinern in sicherem Gewahrsam halten, konntest ihn fesseln und gefangen setzen lassen, bis Raecius aus Panormos käme; der hätte dann entweder die Persönlichkeit festgestellt, und du ließest in diesem Falle eine kleine Milderung der Strafe eintreten, oder aber er hätte erklärt, den Mann nicht zu kennen, dann mochtest du, wenn du dies nun einmal richtig fandest, den Rechtsgrundsatz festsetzen: »wer mir persönlich unbekannt ist und keinen zahlungsfähigen Bürgen stellen kann, der soll, auch wenn es ein römischer Bürger ist, ans Kreuz geschlagen werden.«

LXVI. (169) Aber wozu sprech' ich so viel von Gavius? Als ob du damals nur den Gavius angegriffen hättest und nicht vielmehr das gesamte Bürgertum mit seiner Ehre und seinem Recht! Nicht einen Menschen, sag' ich, sondern die gemeinsame Sache der Freiheit hast du verfolgt. Denn was hatt' es zu bedeuten, daß du, als die Mamertiner ihrem Herkommen gemäß das Kreuz hinter der Stadt an der Pompeiusstraße aufrichteten, daß du da erklärtest, es müsse vielmehr vorn auf der Seite nach dem Meere zu stehen; ja, du fügtest noch hinzu (leugnen kannst du es absolut nicht, denn du sagtest es laut vor zahlreichen Zuhörern), du wähltest deswegen jenen Punkt aus, weil der Mann, der sich einen Bürger Roms genannt, nun von seinem Kreuz aus Italien sehen und nach seiner Heimat ausschauen könnte. So ist denn jenes Kreuz das einzige, das seit der Gründung von Messana an jenem Platz aufgestellt worden ist. Den Anblick Italiens hat Verres dazu ausgewählt, daß ein Mann unter qualvollen Schmerzen sterbend noch die Lande der Freiheit und der Knechtschaft, nur durch eine schmale enge Wasserstraße getrennt, vor sich sähe, und daß Italia dem Schauspiele beiwohnte, wie an ihrem Kinde die schmachvolle und grausame Strafe eines Sklaven vollzogen wurde. (170) Es ist schon unerlaubt, einen römischen Bürger zu fesseln; es ist ein Verbrechen, ihn zu schlagen; es ist so viel als Brudermord, ihn zu töten: wie sollen wir seine Kreuzigung nennen? Es giebt kein Wort dafür, die Sprache versagt.

Doch alles dies genügte Verres nicht. »So mag er denn,« rief dieser, »nach seinem Vaterland hinüberschauen, mag er im Anblick von Gesetz und Freiheit sterben.« An dieser Stelle hast du nicht den Gavius, nicht irgend einen beliebigen einzelnen Menschen, sondern die gemeinsame Sache der Freiheit und Bürgerehre ans Kreuz geschlagen; und nun beachtet die namenlose Frechheit dieses Menschen. Macht es euch nicht auch den Eindruck, als hab' er es tief bedauert, jenes Kreuz für römische Bürger nicht auf dem Forum dieser Stadt, auf dem Platz unserer Volksversammlungen, auf der Rednertribüne aufrichten zu können? Denn er wählte den Punkt seiner Provinz aus, der jenen Plätzen an Bedeutung durchaus entspricht, übrigens auch geographisch am nächsten liegt; er wollte das Schandmonument seines maßlosen Frevels im Anblick Italiens, an der Pforte Siciliens errichtet wissen, da wo jeder vorbeikommen muß, der hinüber oder herüber fahren will.

LXVII. (171) Wenn ich dies alles nicht vor römischen Bürgern oder vor irgend welchen Freunden unserer Bürgerschaft, auch nicht vor Leuten, die je den Namen des römischen Volkes vernommen haben, wenn ich es überhaupt nicht vor Menschen, sondern vor wilden Tieren oder, um noch weiter zu gehen, in der leblosen Einöde vor Felsen und Steinwüsten aus vollem Herzen beklagen wollte: wahrlich, selbst die stummen und leblosen Wesen der Natur müßten durch diese unendlich jammervollen Vorgänge erschüttert werden. Nun aber sprech' ich zu den Senatoren des römischen Volkes, zu den obersten Hütern des Rechtes, der Gesetze und der Ordnung; da kann ich wohl mit Fug erwarten, daß man diesen einen römischen Bürger hier allerdings der Kreuzigung würdig finde, während allen übrigen diese Gefahr niemals auch nur als Möglichkeit nahen darf. (172) Noch ist der Augenblick kaum verronnen, da wir bei dem elenden jammervollen Tode der Schiffskapitäne uns der Thränen nicht erwehren konnten, da wir uns mit vollem Rechte von den Leiden unserer unschuldigen Bundesgenossen erschüttern ließen; was sollen wir vollends jetzt beginnen, angesichts unseres eigenen Blutes? Denn das Blut aller römischen Bürger ist eines, diese Überzeugung muß alle durchdringen; die Wahrheit fordert es und nicht minder die Rücksicht auf das allgemeine Gedeihen. Alle römischen Bürger, ob sie hier zugegen sind oder wo sie sich sonst in der Welt aufhalten mögen, verlangen auf dieser Stelle euer strenges Einschreiten, sie beschwören euer Gewissen, sie suchen eure hilfreiche Hand; all ihre Rechte, ihre Vorteile, ihre Existenzmittel, mit einem Wort all ihre Freiheit, glauben sie, ist in eurem Richterspruch enthalten. (173) Ich meinerseits habe ihnen wohl geboten was ich konnte; indessen, sollte die Sache etwa eine unerwartete Wendung nehmen, so könnt' es geschehen, daß ich ihnen mehr leiste als sie verlangen. Denn wenn irgend eine Kraft diesen Menschen vor eurer Strenge bewahrt, was ich freilich weder fürchte noch überhaupt für möglich halte, aber wenn mich in diesem Punkte meine Berechnung täuscht, wenn es den Sicilianern passieren sollte, daß sie ihren Prozeß verlieren, so würden sie diesen Fall ebenso betrauern wie ich; Roms Bevölkerung aber, die mir ja jetzt durch Verleihung des Ädilenamts die Macht gegeben hat, direkt zu ihr zu sprechen, wird dann auf meine Klage durch ihre eigenen Stimmen ihr Recht noch vor dem ersten Februar des neuen Jahres wieder erhalten. Und wenn ihr, meine Herren, fraget, wie es denn da um meinen Ruhm und meine Carriere stehe, so erwidere ich: es läuft meinen Berechnungen durchaus nicht zuwider, wenn mir der Angeklagte hier bei diesem Gerichtshof entrissen wird und dafür jenem anderen aufgespart bleibt, wo das römische Volk selber zu Gericht sitzt. Es wäre ein herrlicher Prozeß, dankbar und bequem für mich, angenehm und erfreulich für die Nation. Und endlich, wenn ihr etwa glaubt, ich wollte hier – was ich nicht im entferntesten beabsichtigte – mich selbst auf Kosten des einen Verres in die Höhe lancieren, so bemerk' ich: falls Verres freigesprochen wird, kann es ja nur durch unrechtmäßige Handlungen Vieler geschehen; dann steig' ich also auf Kosten Vieler.

LXVIII. Aber wahrlich, um des Staates und um Euretwillen, meine Herren, wünscht' ich in diesem erlesenen Rate nicht einen so furchtbaren Fehltritt begangen zu sehen; ich wünsche nicht, daß die Richter, die ich als kompetent anerkannt und daher gewissermaßen selbst mitgewählt habe, sich durch Freisprechung des Verres in die Situation bringen, ewig mit einem Makel in dieser Stadt herumzulaufen. (174) Aus diesem Grunde möcht' ich, wenn an solcher Stelle der Platz für eine Mahnung ist, auch dich, Hortensius, recht eindringlich ermahnen: gehe in dich, überleg' es dir wieder und wieder, sieh ja zu, was du vorhast, was für ein Werk du unternehmen willst, welchen Menschen du, und mit welchen Mitteln, zu verteidigen gedenkst. Keineswegs will ich dir in jenem Punkt eine Beschränkung auferlegen, daß du nicht mit den Waffen des Geistes und aller Kraft der Beredsamkeit gegen mich kämpfen solltest; das sei ferne; aber wenn du auf anderen Wegen, etwa im geheimen, außerhalb des Gerichtshofes Dinge durchsetzen zu können glaubst, die nur den Gerichtshof angehen, wenn du durch Machinationen, Intriguen, Einfluß, persönliche Verbindungen oder durch Verres' materielle Mittel etwas zu erreichen denkst, so rat' ich dir ernstlich: verzichte. Jene dunklen Pfade, die schon Verres selber aufsuchte und betrat, die ich dann aufspürte und beleuchtete – ich empfehle dir: lasse sie und mache diesem unwürdigen Treiben ein Ende. Wenn dieser Gerichtshof eine Sünde begeht, so bringt es dir die größte Gefahr, schlimmer als du ahnest. (175) Wohl wähnst du dich über jede Anfechtung deines Rufes erhaben, denkst an die bereits verwalteten Ehrenämter, an das bevorstehende Konsulat; aber glaube mir, alle Auszeichnungen beweisen nur, daß es ebensoviel Mühe macht, sich die Gunst des römischen Volkes zu erhalten wie sie sich zu erwerben. Freilich hat diese Bürgerschaft, so lange sie konnte, so lange sie dazu gezwungen wurde, eure souveräne Herrschermacht in den Gerichtshöfen wie in der ganzen Staatsleitung ausgehalten; ja, aber an dem Tage, wo den Römern ihr Volkstribunat wieder hergestellt ward, da ward euch, daß ihr's nur wißt, all eure Macht für immer entrissen. Jetzt, gerade unter diesen Umständen, sind aller Augen auf uns gewendet; gespannt beobachtet man, mit welcher Aufrichtigkeit ich anklage, mit welchem Gewissen die Richter entscheiden, mit welchen Mitteln du verteidigen wirst.

(176) So hat ein jeder von uns seine Pflicht; wenn einer von uns nur um eine Idee vom rechten Wege abweicht, so wird unmittelbar nicht etwa jene stumme, versteckte Beurteilung, die ihr früher zu verachten pflegtet, sondern die entschiedene und scharfe Kritik des römischen Volkes fessellos nachfolgen. Du, mein bester Hortensius, stehst mit dem Menschen da in keinerlei verwandtschaftlichen oder sonst engen Beziehungen; die Entschuldigungen, mit denen du gelegentlich eines früheren Prozesses deine allzu lebhafte Parteinahme zu rechtfertigen versuchtest, können hier bei diesem Angeklagten unmöglich wieder auftreten. Was Verres in der Provinz vor aller Welt zu betonen liebte, nämlich er thäte alles, was er thäte, im Vertrauen auf dich: dies nicht zur Wahrheit werden zu lassen muß deine allerdringendste Sorge sein. LXVIIII. (177) Ich meinerseits hege das Vertrauen, daß die Rechnung meiner Pflichten nach allen Seiten hin abgetragen ist; in den wenigen Stunden unserer ersten Verhandlung hab' ich die Verurteilung des Angeklagten durch alle, die überhaupt eines Urteils fähig sind, bewirkt. Im übrigen handelt es sich in diesem Gerichte fortan nicht um meine Aufrichtigkeit, die nunmehr bewährt, auch nicht um Verres' Leben, das bereits verdammt ist, sondern nur noch um die Richter und, die Wahrheit zu sagen, um dich. Und wann wird dieses Urteil gefällt? unter welchen Umständen? Hierüber muß man hauptsächlich nachdenken, denn wie in allen Dingen, so kommt namentlich in politischen Angelegenheiten ganz besonders viel auf die Verhältnisse und Stimmung der Zeit an. Wann also soll es geschehen? In dem Momente, wo das römische Volk eine andere Menschenklasse und einen anderen Stand zur Ausübung des Richteramtes heranziehen will, wo eben das Gesetz über die Gerichtshöfe und die neuen Richter angekündigt ist. Dieses Gesetz ist nicht von dem Mann angekündigt, unter dessen Namen ihr es öffentlich angeschlagen seht, sondern von – dem Angeklagten hier; jawohl, Verres hat auf Grund seiner Hoffnungen und seiner Meinung über euch das Gesetz abfassen und ankündigen lassen. (178) Als wir daher am ersten Termin unseren Prozeß begannen, war das Gesetz noch nicht angekündigt; während Verres, beunruhigt durch euer strenges Auftreten, gar viele Anzeichen gab, aus denen man schließen konnte, er wolle überhaupt nicht antworten, da war von dem Gesetze keine Rede: später, als er sich einigermaßen aufgerichtet und neu gestärkt zu haben schien, wurde sofort das Gesetz angekündigt. Nun ist dies ein Gesetz, das einerseits eurer persönlichen Würde schnurstracks zuwiderläuft, während es anderseits den unbegründeten Hoffnungen des Verres sowie seiner exemplarischen Unverschämtheit durchaus gelegen kommt. Wenn hier irgend einer von euch einen verdammenswürdigen Schritt zu thun wagt, so wird entweder das römische Volk über den Mann richten, den es schon vorher des Richterstuhles unwürdig fand, oder aber diejenigen werden es thun, die wegen der Heruntergekommenheit unserer Gerichtshöfe nunmehr durch das neue Gesetz als neue Richter über die alten zu richten berufen sind. LXX. (179) Und vollends ich – auch wenn ich selbst es gar nicht sagen würde, welcher Mensch wüßte nicht im Augenblick, wie ich mich verhalten und wie weit ich gehen muß? Dürft' ich denn schweigen, Hortensius? Wenn unser Staat einen derartigen Schlag bekommt, Provinzen ausgesogen, die Bündner bis aufs Blut gepeinigt, die Tempel der Unsterblichen ausgeplündert, römische Bürger gefoltert und gemordet werden, und das alles ungestraft hingeht, obgleich ich in aller Form Rechtens geklagt hatte – das sollte ich ruhig mit ansehen? Dürft' ich mich denn damit begnügen, diese ungeheure Last entweder jetzt vor diesem Gerichtshof abzulegen und ruhig, als wäre die Arbeit erledigt, wegzugehen, oder gar sie schweigend auf meinen Schultern liegen zu lassen? Müßt' ich nicht vielmehr eine mächtige Agitation in Scene setzen? Lärm schlagen und die Sache an die große Öffentlichkeit bringen? Müßt' ich nicht das Ehrgefühl des römischen Volkes anrufen und dann Alle, die sich so schmählich kompromittiert haben entweder sich gegen ihr eigenes Gewissen bestechen zu lassen oder ihrerseits den Gerichtshof zu bestechen, von neuem vor dem Volk oder vor Gericht verklagen? – (180) Hier wird mir vielleicht jemand einwenden: »aber damit übernimmst du ja eine ungeheure Arbeit, und machst dir eine Menge Menschen zu erbitterten Feinden!« – Freilich, nach persönlichem Interesse oder irgendwelchen Privatneigungen geht es für mich nicht; ich darf mir nicht dasselbe erlauben wie die Herren aus vornehmer Familie, denen alle Beförderungen seitens unseres Volkes im Schlafe zu teil werden: nein, nach ganz anderen Grundsätzen muß ich mir unter diesen politischen Verhältnissen und bei meinem Stande das Leben einrichten. Mir fällt dabei der weise Cato ein, der unermüdliche Mann: er glaubte sich dem römischen Volke durch Leistungen, nicht durch seinen Familiennamen empfehlen zu sollen, er wollte selber ein Geschlecht gründen, dessen weithin reichender Name einst auf ihn als Ahnherrn wiese; so macht' er sich ruhig die mächtigsten Männer zu Feinden und lebte unter unendlicher Mühe und Arbeit bis ins höchste Greisenalter mit dem höchsten Ruhm. (181) Oder ein Fall aus späterer Zeit: Quintus Pompeius stammte aus ganz bescheidener, unbekannter Familie; unter einem Heer von persönlichen Widersachern, unter unsäglichen Mühen und Gefahren erlangt' er dennoch die ersten Stellen in unserem Staate. Erst neuerdings sahen wir Männer wie Gaius Fimbria, Gaius Marius, Gaius Caelius mit den größten Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten kämpfen, ehe sie zu jenen Stellungen durchdrangen, zu denen ihr spielend in größter Behaglichkeit gelangt seid. Dies ist ganz genau die Richtung und Bahn unserer Vorsätze; diesen Vorbildern wollen wir in Denk- und Handlungsweise nachstreben. LXXI. Wir sehen ja, wie manche Herren vom Adel in der Entfaltung von Mißgunst und Intrigue gegen die Leute, welche sich selbst emporgearbeitet haben, eine ganz außerordentliche Energie und Beständigkeit an den Tag legen; wenden wir nur einen Augenblick den Rücken, gleich fällt man uns hinterrücks an; geben wir dem Vorwurf oder Verdacht auch nur den kleinsten Angriffspunkt frei, gleich werden wir geschlagen: stets müssen wir aufpassen, stets uns zusammennehmen. (182) Hat man einen Widersacher, so erwarte man seinen Angriff; giebt es eine Erschwerung des Daseins, so nehme man sie auf sich: die stillen und versteckten Feindschaften sind ja mehr zu fürchten als die offenen, angesagten. Es ist so gut wie unmöglich, daß die Leute vom Adel unser Streben mit freundlichen Augen ansehen; wir können leisten so viel wir wollen, nie werden wir ihr Wohlwollen auf uns lenken: als ob Natur und Herkunft sie von uns trennte, so fern steht uns ihr Denken und ihre Gesinnung. Wie könnt' uns also ihre Feindschaft plötzlich Gefahr bringen, wo wir sie lange, eh' es zu einem Ausbruch der Zwistigkeiten kam, von vornherein als unsere Feinde und Neider kannten? – (183) Darum, meine Herren, ist es mein aufrichtiger Wunsch, daß die Anklage gegen diesen Menschen hiermit ein Ende nehme, da dem römischen Volke Genugthuung geleistet und das Versprechen, das ich meinen Schutzbefohlenen, den Sicilianern, gegeben habe, eingelöst ist; so viel aber steht fest: wenn der Ausgang dieses Prozesses mich in meiner Meinung über euch erschüttert, so verfolg' ich unnachsichtlich nicht nur die, welche die Schuld der Richterbestechung, sondern nicht minder jene, die der Makel der Mitwisserschaft treffen wird. Wenn es daher Leute giebt, die zu Gunsten dieses Angeklagten den Gerichtshof durch Einfluß oder Eigenmächtigkeit oder Intriguen bestechen wollen, so mögen sie darauf gefaßt sein, vor den Schranken des römischen Volkes ihre Sache mit mir auszufechten; und wenn sie finden, daß ich bei diesem mir von den Sicilianern aufgestellten Gegner genügende Vehemenz, Ausdauer und Wachsamkeit bewiesen habe, so mögen sie sich darauf vorbereiten, daß ich gegen Leute, deren Haß ich mir im Interesse des Volkswohles zugezogen habe, noch erheblich schärfer und wuchtiger vorgehen werde.

LXXII.(184) Jetzt Mit dem hier folgenden Abschlusse krönt Cicero sein Werk. Inhaltlich giebt er ein Gebet an die Götter und eine gedrängte zusammenfassende Übersicht des Gesamtinhaltes der vorangehenden Reden; die Hauptsache aber ist die stilistische Leistung. Die Neigung der Römer zu langen, kunstvoll gebauten Perioden feiert hier ihren höchsten Triumph: der ganze Schluß, von hier an bis zum letzten Worte der Rede, ist im Original ein Satz. Im Deutschen ist so ein Ungeheuer nicht nachzubilden, der Übersetzer glaubt in dieser Hinsicht schon bei einigen früheren Fällen ähnlicher, wenn auch verhältnismäßig bescheidener Art die Grenzen des Erlaubten berührt zu haben, wenn dadurch ein charakteristischer Zug des Originals angedeutet werden konnte, während sonst diese stilistischen Rattenkönige, Babeltürme und Labyrinthe nach Möglichkeit aufgelöst wurden. Ähnlich mußte auch hier verfahren werden, da kein Moderner stilistisch so empfindet wie die Alten; freilich bleibt so nur ein Schatten von der Riesenschlange übrig, die sich hier auf den römischen Hörer mit wonnig zermalmender Sprachwucht herniederwälzte. fleh' ich zu dir, Jupiter, du Höchster und Größter, dem einst ein Königsgeschenk, würdig des Kapitols und dieser Burg aller Völker, würdig einer königlichen Gabe, von Königen für dich bereitet, bestimmt und geweiht, durch Verres' ruchlosen Frevel unterschlagen und den königlichen Händen entrissen wurde; dessen heiliges wunderschönes Kultbild in Syrakus er entführte; – zu dir, Juno Königin, der er zwei Tempel auf zwei Inseln unserer Bündner, in Melite und Samos, beides uralte Heiligtümer, all ihrer Schätze und Zierden beraubte; – zu dir, Minerva, der er ebenfalls zwei hochberühmte Tempel ausraubte, in Athen, wo er eine schwere Masse Goldes stahl, und in Syrakus, wo er nur Dach und Wände übrigließ; Stellen wie diese lehren in höchst charakteristischer Weise, daß es den Römern beim Tempel nur auf die Gegenstände ankam, die ihn erfüllten, nicht auf das architektonische Werk an sich. Im Tempel wohnt der Gott, er muß behaglich und stattlich eingerichtet werden, wie ein Fürst, der bequem leben, aber zugleich repräsentieren muß. Diese Empfindung teilt der moderne Italiener mit dem ihm sonst so durchaus unähnlichen antiken Römer; dem unvergleichlich begabten, sinnlich-feinfühligen Volke konnte seine echt heidnische Gottesanschauung selbst durch Bischöfe und Päpste nicht ausgetrieben werden. Dagegen hatte der Bau an sich für den Römer nur einen rein physischen, materiellen Zweck; er gab Dach und Fach her, hatte nebenbei durch seine Fassade das Auge zu erfreuen – von Sinn für Architektur war ebensowenig die Rede wie von Kunstsinn überhaupt. Es ist wahrscheinlich, daß bei römischen Tempeln wie bei altchristlichen Basiliken die inneren Formen des Baues für die Besucher selten zur Geltung kamen; die Tempel hätten nicht so oft durch Brände vernichtet werden können, hätten sie nicht außer heiligen Lampen etc. auch eine Unmenge brennbarer Stoffe enthalten, namentlich Teppiche und Vorhänge, die den Raum nach allen Richtungen hin zerteilten. Das alles ist recht ungriechisch, recht unorganisch, wie die gleichfalls römische Erfindung der Kapellen, welche die sonst einheitlich fortlaufenden Seitenwände zerstückeln. Wir wären heutzutage glücklich, wenn wir das, was Cicero hier so wegwerfend »Dach und Wände« nennt, von einem einzigen antiken Tempel vollständig hätten, nämlich das gesamte Werk des Baumeisters; selbst bei den Wundertempeln von Poseidonia und Akragas fehlen die Thüren und ein großer Teil des Gebälkes; der besterhaltene Tempel des italischen Festlandes, Agrippas Pantheon in Rom, erlitt nach anderen römischen »Vandalismen« die schlimmsten im Jahre 1633, als Papst Urban VIII. aus dem berühmten Bronzegebälk das berüchtigte, unglaublich geschmacklose Tabernakel von St. Peter gießen ließ, und 1745, als man die innere Ausschmückung der Riesenkuppel aus bunten Marmorarten abnahm und durch einen häßlichen gelbgrauen Anstrich ersetzte. So etwas hätte Verres nie gethan! – (185) zu dir, Latona, die du mit deinen Kindern Apollo und Diana nach dem Glauben frommer Menschen zu Delos deinen ältesten Sitz, dein göttliches Haus in jenem Tempel hast, an dem sich Verres bei Nacht mit fluchwürdigem Überfall versündigte; – zu dir, Apollo, den er von Chios entführte; – zu dir vollends, Diana, die er in Perga ausplünderte, um dann in Egesta dein herrliches, doppelt heiliges, weil erst von den gläubigen Egestanern und dann vom siegreichen Scipio Africanus nochmals geweihtes Kultbild loszureißen und wegzuschleppen; – zu dir, Merkur, den Verres auf dem Turnplatz irgend eines Privathauses unterbrachte, nachdem ihn Scipio Africanus in einer Hauptstadt unserer Bündner, in der Schule von Tyndaris als Hort und Schirmherrn der Jugend aufgestellt wissen wollte; – (186) zu dir, Herkules, den er zu Akragas in tiefer Nacht mittels bewaffneten Gesindels vom Sockel zerren und wegtragen lassen wollte; – zu dir, hochheilige Mutter vom Ida, die er zu Engyon in ihrem erhabensten Heiligtume dermaßen zurichtete, daß jetzt nur noch der Name Africanus und die Spuren des geschändeten Gottesdienstes an Ort und Stelle zu sehen, dagegen die Siegestrophäen und Tempelzierden bis aufs letzte verschwunden sind; – zu euch, ihr Hüter und Zeugen alles öffentlichen Lebens, aller großen Beschlüsse, aller Gesetze und Gerichte, die ihr am belebtesten Punkte Roms aufgestellt seid, Castor und Pollux, deren Tempel dieser Mensch in der nichtswürdigsten Weise zu seinen Räubereien und Unterschlagungen ausnutzte; – zu euch, ihr Götter alle, die ihr an den Tagen der Spiele feierlich auf Prozessionswagen zum Feste fahret, und deren Straße er im Dienste seines schnöden Erwerbes, nicht aber im Dienste religiöser Würde bearbeiten ließ; – (187) zu euch, Ceres und Libera, deren Kultus, wie der Glaube frommer Menschen uns lehrt, auf den erhabensten und tiefsten Mysterien beruht, die ihr die Elemente für Leben und Nahrung, Sitte und Gesetz, Milde und Edelmut bei Menschen und Völkern verteilt und ausgebreitet habt, deren Dienst die römische Nation von den Hellenen herübernahm, aber nun im Bürgerhause wie von Staats wegen mit so tiefer Andacht verrichtet, als wär' er nicht zu uns vom Auslande gekommen, sondern von uns über die Erde verbreitet worden; zu euch, die dieser eine Mensch so schamlos entweihte, indem er eine Kultstatue der Ceres, die nach heiligem Brauch kein Mann berühren, ja kein Mann erblicken durfte, aus ihrem geheimnisvollen Gemach zu Katane wegreißen und dann eine andere Statue zu Enna von ihrem Standort im Tempel wegschleppen ließ, eine Statue, bei deren Anblick die Menschen entweder die Ceres selbst oder doch ein nicht von Menschenhand verfertigtes, sondern vom Himmel herniedergesandtes Bild zu sehen glaubten; – (188) zu euch fleh' ich unablässig aus tiefstem Herzensgrunde, ihr hehren Göttinnen, die ihr um Ennas Hain und Quellen wohnet und ganz Sicilien, das ich jetzt verteidigen soll, beschützet; zu euch, die ihr die Früchte des Feldes schufet und durch ihre Spende alle Völker des Erdkreises eurem Kultus dienstbar machtet; – an euch wie an alle anderen Götter und Göttinnen, mit deren Kultstätten und Heiligtümern dieser maßlos tolle Bilderstürmer ununterbrochen einen tempelschänderischen Ketzerkrieg führte, richt' ich mein brünstiges, flehentliches Gebet: wenn in diesem Prozeß und vor diesem Beklagten all mein Dichten und Trachten auf das Wohl unserer Bündner, auf die Würde des römischen Volkes, auf die Reinheit meines Gewissens gerichtet war, wenn all meine Sorgen, Gedanken, Arbeiten bei Tag und Nacht auf nichts anderes hinstrebten als auf die Erfüllung meiner Pflicht im Dienste der Wahrheit – so lasset mein aufrichtiges, strenges Bemühen gekrönt werden durch ein ebenso aufrichtiges, strenges Urteil. (189) Und wenn Gaius Verres sich der Welt in seinen Thaten als ein Ausbund zeigte von Frevelsinn, Maßlosigkeit, Untreue, Wollust, Habgier und Grausamkeit, so gebet, daß kraft richterlichen Urteils ein dieser Lebens- und Handlungsweise würdiger Ausgang ihn ereile; endlich aber gebet, daß der Staat und mein Gewissen sich mit dieser einen Anklage von mir begnüge, und daß es mir in Zukunft beschieden sei, nie mehr böse Menschen zu verklagen, sondern nur noch gute zu verteidigen. Dieser Wunsch ist Cicero insofern erfüllt worden, als er keine gerichtliche Anklage mehr geführt hat; die politischen Angriffe auf Catilina und Antonius im Senate gingen die Gerichte nichts an.

Ende.


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