Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
I. (1) Hoher Gerichtshof, verehrte Anwesende!
Mancher von euch wird sich vielleicht wundern, daß ich nach einer so langjährigen, in Staats- und Privatprozessen ausschließlich auf Verteidigung gerichteten Thätigkeit jetzt plötzlich die Richtung wechsele und mich auf eine Anklage einlasse. Mit Recht; denn stets lag es mir fern, jemandem zu nahe treten zu wollen. Wer aber in dem vorliegenden Falle die Beweggründe meines Auftretens kennt, wird ohne Weiteres meinen Schritt billigen und zugleich einsehen, daß hier niemand neben mir als Kläger in Frage kommen kann.
(2) Als meine Quästur in Sicilien Im Jahre 75 v. Chr. hatte Cicero unter dem Statthalter Sextus Peducäus, den er im Verlaufe der Verhandlung öfters erwähnt, in Sicilien als Quästor, d. h. Oberfinanzrat, gedient und sich dabei diejenige Lokalkenntnis erworben, die ihn jetzt zur Übernahme des Prozesses so gut qualifizierte. Daß die Sicilianer sich gerade an ihn wandten, beweist am besten, daß er wie sein Chef sich wirklich human benommen hatten. Überhaupt ist es beherzigenswert, daß, so viele Vorwürfe auch in alter und neuer Zeit gegen Cicero erhoben worden sind, niemand ihm die mindeste Unehrlichkeit nachgesagt hat. Alle die schönen Villen, die er in Mittel- und Unteritalien besaß, hatte er sich als Advokat und Geschäftsmann in durchaus rechtschaffener Weise erworben. zu Ende war, verließ ich die Provinz mit dem Bewußtsein, daß alle Sicilianer meiner Amtsführung und Persönlichkeit ein dauerndes liebevolles Andenken bewahren würden; sie konnten darauf rechnen, neben den berühmten Familien, die seit Generationen das Patronat Wie der einzelne Klient, so hatte auch eine ganze Provinz einen »Patronus«, d. h. einen Schützer (bisweilen mehrere) unter den vornehmen Römern, der es als eine Ehrenpflicht ansah, die Interessen der Provinz wahrzunehmen und dafür unter ihren Einwohnern eine ganz besondere Verehrung genoß. Das Amt eines solchen Schützers galt als heilig und vererbte sich innerhalb der Geschlechter; gewöhnlich führt es der Eroberer, der dem Reiche die Provinz einverleibt und deshalb selbst ein Interesse daran hat, ihren Wert ungeschmälert zu erhalten; häufig auch Männer, die aus eigenem Antrieb etwas für sie gethan. Schützer Siciliens war also Marcellus mit seinem Hause und ferner Scipio Africanus, der Zerstörer Karthagos, von dessen Verdiensten um Sicilien Cicero später ausführlich spricht. der Insel übernommen haben, auch an mir eine Stütze für ihre berechtigten Ansprüche zu besitzen. Jetzt, wo man sie gepeinigt und ausgesogen hat, wenden sie sich alle an mich; ganz offiziell, einmal über das andere flehen sie mich an, für ihre Interessen einzutreten; sie erinnern mich an mein oft gegebenes, oft gehaltenes Versprechen, sie nie im Stiche zu lassen, wenn sie mich brauchen. (3) Jetzt sei der Moment gekommen, wo ich nicht irgend welche vereinzelten Interessen, sondern die Existenz der ganzen Provinz schützen müsse; sie könnten ja nicht einmal zu den Göttern mehr ihre Zuflucht nehmen, denn sie hätten gar keine Götter mehr in ihren Städten, seitdem Gaius Verres die heiligen Bilder aus den Stätten der Andacht weggerissen: was überhaupt je die menschliche Grausamkeit, Habsucht, Prasserei und Herrschsucht an Schandthaten zu leisten vermöchte, das alles hätten sie drei Jahre lang unter diesem einen Landvogte durchgemacht – nun sollt ich sie doch nicht umsonst flehen lassen, wo ich eigentlich dafür verantwortlich wäre, daß sie überhaupt niemanden anzuflehen brauchten.
II. (4) Glaubet mir, meine Herren, es war mir ein herber Schmerz, diese Alternative, entweder den braven Leuten ihre Bitte um Hilfe abschlagen oder plötzlich meinen Beruf wechseln zu müssen: von Jugend auf hatt' ich immer verteidigt, nun sollt ich anklagen! – Ich nannte ihnen den Quintus Caecilius und berief mich auf seine Amtsthätigkeit in ihrer Provinz. Aber dies Argument, das mir zu Hilfe kommen sollte, entwaffnete mich vielmehr vollständig: viel eher hätten sie mir das peinliche Geschäft erlassen, wenn sie den Caecilius nicht gekannt oder doch nicht als Beamten in ihrem Lande gehabt hätten. Wenn Cicero so thut, als hätte er sich nur mit Widerstreben zur Übernahme dieses Ruhm und Geld einbringenden Monstreprozesses entschlossen, so kommt hier nicht nur das schauspielerische Element im antiken Redner besonders deutlich zur Geltung, vielmehr war sein Hinweis darauf, daß er selbst den bedrängten Sicilianern einen Anwalt wie Caecilius vorschlug, die wirksamste Blamage für diesen, und daraus folgte das sachliche Hauptmotiv: nur der darf eine Person vor Gericht vertreten, der von ihr dazu aufgefordert ist. (5) Schließlich bestimmten mich moralische Verpflichtung, gegebenes Versprechen, mitleidiges Empfinden, viele bedeutende Vorbilder, alte Beziehungen und die Regeln unserer Ahnen, diese Last zu übernehmen; wahrlich nicht meiner Neigung, sondern meinen Nächsten zuliebe. Nur Eines tröstet mich: diese meine scheinbare Anklage ist in Wahrheit vielmehr eine Verteidigung. Ich verteidige viele Menschen, viele Gemeinden, ja die ganze Provinz Sicilien. Dagegen verklage ich nur einen Menschen; so kann ich meinem Grundsatz, immer nur helfend und lindernd für die Menschheit einzutreten, beinahe treu bleiben. (6) Angenommen, dem wäre nicht so und der Fall nicht von so ganz besonderer Bedeutung; angenommen, die Sicilianer hätten mich nicht aufgefordert und ich wäre ihnen nicht so eng verbunden: hätte ich dann denselben Schritt rein im Staatsinteresse unternommen – wer könnte mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich einen so beispiellos schamlosen Räuber vor Gericht ziehe? einen Menschen, der nicht bloß in Sicilien, sondern in Griechenland, Kleinasien, Kilikien, Pamphylien, ja schließlich am ärgsten hier in Rom selber vor unsern Augen gefrevelt hat!
III. (7) Wahrhaftig, unter heutigen Umständen kann ich dem Staate gar keinen größeren Dienst erweisen; der römischen Nation ist es willkommen, den Alliierten und Ausländern erwünscht, schließlich für alle vom größten materiellen und moralischen Werte. Die Provinzen sind nach langer entsetzlicher Schinderei endlich ruiniert, unsere Bündner und Steuerzahler dermaßen in Elend und Verzweiflung gestürzt, daß sie schon gar nicht mehr auf Rettung hoffen, sondern nur noch an einen Trost für ihr Unglück denken. (8) Wer die Gerichte dem Senatorenstand erhalten wissen will, muß den Mangel an fähigen Klägern erfahren; wer die Fähigkeit dazu besitzt, vermißt bei den Gerichtshöfen die nötige Strenge; indessen braucht das schwergeprüfte Rom nichts so dringend, wie die alte Würde und Bedeutung seiner Gerichte. Den Gerichten zuliebe will man die Amtsgewalt der Volkstribunen im alten Umfange wieder herstellen Die Volkstribunen, diese Vertreter des demokratischen Elementes, die so oft in den Gang der Staatsmaschine segensreich eingegriffen hatten, waren durch die reaktionären Gesetze des Diktators Sulla ihrer meisten Amtsbefugnisse beraubt worden. Der so geschaffene Zustand erwies sich als unhaltbar (»Die Konservativen haben die Republik zu Tode konserviert«, sagt Mommsen), und schon acht Jahre nach Sullas Tode, bald nach dem Prozesse des Verres, erhielten die Tribunen wieder ihre frühere Macht, somit das Recht, direkt mit dem Volke zu verhandeln und gerichtlich Strafanträge gegen gewissenlose Beamte zu stellen. ; um dem Richteramte wieder aufzuhelfen, will man zu seiner Ausübung jetzt den Ritterstand heranziehen; das jämmerliche Benehmen vieler Richter ist daran schuld, daß sogar der strenge Name »Censor« Dem Censor (Schätzer) lag nicht nur die Kontrolle über die Vermögensumstände der Bürger, die Verpachtung der Staatsgefälle und überhaupt die oberste Aufsicht über die Finanzen ob, sondern auch eine Art von Sittenrichteramt, kraft dessen er Ritter und sogar Senatoren aus ihrem Amte stoßen konnte. Man wählte zu Censoren stets Männer von absoluter, strenger Unbescholtenheit, die daher von allen Parteien respektiert wurden und dem Volke selbst in Zeiten erregtester Mißstimmung imponierten. Bekannt ist der alte Cato als Typus des römischen Censors. vor dem Volke nicht mehr so herbe klingt wie früher, sondern man einen Censor verlangt, dem man nach Belieben Gunst und Beifall erteilt. (9) So zerrüttet sind die Verhältnisse: charakterlose Menschen geben all ihrer Willkür Spielraum, das Volk murrt täglich lauter, die Gerichtshöfe sind bestochen, der ganze Stand in der öffentlichen Achtung gesunken – da sah ich die einzige Abhilfe für so viel Übelstände in dem selbständigen Eintreten fähiger, unbescholtener Persönlichkeiten für Gesetz und Recht. Um der Nation im ganzen aufzuhelfen, versuche ich den Staat an seiner wundesten Stelle zu behandeln.
(10) Soviel über die Veranlassung zu meinem Schritte; nun zum Gegenstand unseres Streites, damit ihr für die Auswahl des Klägers die rechten Gesichtspunkte gewinnet. Meine Grundanschauung ist folgende. Wenn bei einem Prozesse wegen Erpressung mehrere sich zur Übernahme der Anklage melden, so muß man zweierlei herauszubekommen suchen: erstens, wen der geschädigte Teil am meisten und zweitens, wen der Urheber des Schadens am wenigsten wünscht. IIII. (11) Im vorliegenden Falle, find ich, ist beides sehr klar; dennoch muß ich mich über beides verbreiten und zwar zuerst über das wichtigste: die Gesinnung der Geschädigten, um derentwillen dieser Erpressungsprozeß geführt werden soll. Gaius Verres, so heißt es, hat drei Jahre lang die Provinz Sicilien verwüstet, die Gemeinden ruiniert, die Häuser ausgeraubt, die Tempel geplündert. Aus ganz Sicilien sind die Kläger erschienen; sie kennen mich als einen zuverlässigen Menschen und wenden sich Hilfe suchend durch meine Vermittelung an euch und an Roms Gesetze; ich soll ihnen zu ihrem Rechte verhelfen, ihnen Genugtuung verschaffen, sie bei den Behörden vertreten, mit einem Worte: die ganze Sache führen. So lange ein Statthalter im Amte war, mußten sich die unglücklichen Provinzialen alles von ihm gefallen lassen; die starre römische Disciplin gestattete keine Beschwerde. Erst nach Ablauf seines Amtsjahres (Verres hatte man drei Jahre im Amte belassen, da sein designierter Nachfolger wegen plötzlich eingetretener kriegerischer Verwicklungen anderweitig gebraucht wurde) war die Klage erlaubt; aber da die Provinzialen nicht römische Vollbürger waren, durften sie nicht direkt, sondern nur mit Hilfe eines römischen Vertreters vorgehen. (12) Was will nun Caecilius vorbringen? daß ich ohne Aufforderung seitens der Sicilianer auftrete, oder daß der ausdrückliche Wunsch unserer treuesten Bündner wirkungslos bleiben soll? Wenn du zu behaupten wagst, was sich dein angeblicher Feind Verres am meisten wünscht, nämlich, daß die Sicilianer mich nicht aufgefordert hätten, so besserst du die Lage dieses deines angeblichen Feindes bedeutend; eigentlich ist er nämlich von der öffentlichen Meinung bereits gerichtet, seitdem der Entschluß fast sämtlicher Sicilianer, überhaupt einen Kläger gegen ihn aufzustellen, bekannt geworden ist. (13) Wenn du nun als sein »Feind« diese Thatsache leugnest, die er selber, so peinlich sie ihm auch ist, dennoch nicht abzuleugnen wagt, so nimm dich in acht; man könnte dir vorwerfen, du zeigest dich etwas zu gemütlich in der Ausübung deiner Feindseligkeiten. Außerdem habe ich meine Zeugen unter den ersten Männern unserer Stadt; alle brauche ich gar nicht aufzuzählen, ich nenne nur einige hier anwesende, sämtlich Leute, vor denen eine Unwahrheit zu sagen mir schlecht bekommen würde. Da ist Gaius Marcellus, Mitglied des Gerichtshofes; da ist Gnaeus Lentulus Marcellinus; auf beide stützen sich die Sicilianer angelegentlich, wie denn die ganze Provinz von jeher dem Namen Marcellus innig verbunden ist. (14) Diese Männer wissen, wie ich nicht nur aufgefordert, sondern so heftig gedrängt wurde, daß ich entweder die Führung übernehmen oder alle meine Beziehungen zu den Leuten abbrechen mußte. Aber wozu führe ich überhaupt Zeugen an, als ob die Sache irgendwie zweifelhaft wäre? Aus der ganzen Provinz sind die vornehmsten Persönlichkeiten hergekommen; sie sind hier zugegen und beschwören den Gerichtshof, doch ja bei der Auswahl ihres Rechtsvertreters nicht anders zu verfahren, als ihr eigener Vorschlag es empfiehlt. Sämtliche Gemeinden von ganz Sicilien haben ihre Abgeordneten geschickt bis auf zwei Verres sah seine Anklage voraus, suchte sich beizeiten zu decken und bewog daher die Mamertiner (in Messana) und Syrakusaner durch Konzessionen, Drohungen und andere Manöver zu besonderen Lobdekreten über sein Verhalten. Was es damit auf sich hat, setzt Cicero im vierten Teile der Anklagerede launig auseinander; hier begnügt er sich mit der beißenden Andeutung, daß diese Lobadressen der beiden genannten Gemeinden dem Verres mehr schadeten, als ihr Einstimmen in die allgemeine Klage hätte thun können. ; hätten diese zwei es auch gethan, so würden zwei wichtige Klagepunkte wegfallen, in deren Objekt Verres mit ihnen gemeinsame Sache gemacht hat. (15) Warum man sich nun gerade an mich wandte?– Ja, bestünde ein Zweifel, ob man es that oder nicht, so würde ich erklären, warum man es that; da aber alles so klar liegt, daß ihr es mit eigenen Augen sehen könnt, so weiß ich nicht, warum man aus der Wahl, die diese Leute trafen, einen Vorwurf gegen mich ableiten sollte. (16) Natürlich nehme ich mir nicht heraus – weder verliere ich ein Wort darüber, noch möchte ich auch nur irgend eine solche Vorstellung erwecken – daß sie mich all ihren sonstigen Schützern in Rom vorgezogen hätten. Davon ist keine Rede; sondern man zog bei jedem die Zeit, die Gesundheit, die juristische Geübtheit in Betracht. Mein Grundsatz für Theorie und Praxis war hierbei immer: jeder irgend Geeignete übernehme die Sache eher als ich; aber besser ich als niemand.
V. (17) Somit steht es fest, daß die Sicilianer mich mit der Führung ihrer Klage betraut haben; es erwächst nun die Frage, ob diese Thatsache für den Gerichtshof etwas zu bedeuten hat, ob den Bündnern Roms, die jetzt als Bittsteller zu euch kommen, auch Beachtung geschenkt werden soll, wenn sie zu ihrem Rechte gelangen wollen. Darüber brauche ich nun nicht viel zu reden, wir wissen ja alle, daß das ganze Erpressungsgesetz nur um der Bündner willen gegeben worden ist. (18) Wird ein römischer Bürger beraubt, so erhebt er Civilklage nach Privatrecht; jenes Gesetz ist für die Bündner da, es bildet den Rechtsschutz der Ausländer, es ist für sie eine feste Burg, weniger fest freilich als früher, aber immerhin der einzige Trost, auf den sie noch ihre Hoffnung setzen können: für dieses Gesetz braucht Rom so gut wie die fernsten Völker jederzeit gewissenhafte Hüter. (19) So versteht es sich denn von selbst, daß man das Gesetz nach dem Vorschlage derjenigen anwendet, zu deren Schutze man es gegeben hat. Wenn ganz Sicilien wie ein Mensch reden könnte, es würde sagen: »Alles Gold und Silber, das ich besessen, aller Schmuck meiner Städte, Landsitze und Tempel, alles Recht, das mir Roms Senat und Volk gewährt – alles das hast du, Gaius Verres, mir geraubt. Darum verklage ich dich nach dem Wortlaute des Gesetzes auf einen Schadenersatz von hundert Millionen Sesterzen.« So würde die ganze Provinz reden, wenn sie, wie gesagt, eine Stimme besäße; da sie das nicht kann, so hat sie ihren Sprecher in Gestalt des ihr geeignet scheinenden Vertreters selbst gewählt. (20) Und bei einem solchen Gegenstande sollte jemand unverschämt genug sein, sich in eine ganz fremde Angelegenheit zu mischen, sich gegen den Wunsch der beteiligten Persönlichkeiten der Sache auch nur zu nähern!
VI. Wenn die Sicilianer zu dir, Caecilius, sagten, »wir kennen dich nicht, wir wissen nicht, wer du bist, wir haben dich noch nie gesehen; laß uns unsere Existenz durch den Mann verteidigen, der sich uns bewährt hat« – würden sie damit nicht die allernatürlichste, annehmbarste Forderung erheben? Nun sagen sie aber, sie kennen beide; den einen möchten sie gern, den andern um keinen Preis als Anwalt haben. (21) Warum sie ihn nicht wollen, das wäre klar, auch wenn sie schwiegen; nun schweigen sie aber nicht: dennoch willst du dich ihnen durchaus aufdrängen? Willst in einer Sache reden, die dich nichts angeht, willst Leute verteidigen, die lieber von aller Welt verlassen, als von dir verteidigt sein wollen? Willst deine Hilfe denen versprechen, die weder von deinem guten Willen, noch, wenn du ihn hättest, von deinem Können überzeugt sind? Warum willst du ihnen das bißchen Hoffnung auf einen Rest von Besitz, das ihnen Gesetz und Recht übrig lassen, auch noch gewaltsam austreiben? Das Gesetz will ihnen helfen und du stellst dich plötzlich dazwischen! In ihrem Lande hast du dich um sie nicht gerade verdient gemacht, und jetzt willst du ihnen allen Boden unter den Füßen entziehen! Willst ihnen alle Gelegenheit benehmen, nicht etwa bloß die, auf ihr Recht zu dringen, nein, auch die, ihr Verhängnis zu beklagen! Wozu das alles? (22) Denn wenn du redest, erscheint ja keiner von ihnen; weißt du doch sehr wohl, daß sie um alles in der Welt nicht durch deine Vermittlung an jemand anders, sondern durch jede andere Vermittelung an dir Rache nehmen möchten!
VII. Aber vielleicht steht nur dieses Eine fest, daß die Sicilianer mich gern als Rechtsvertreter haben wollen; der andere Punkt ist vielleicht weniger klar, nämlich wen Verres möglichst ausgeschlossen zu sehen wünschte. Nun hat wohl kein Mensch jemals öffentlich so verzweifelt um sein moralisches Dasein gekämpft, wie Verres und seine Freunde um die Vergebung dieser Anklage. Verres weiß, wie grundverschieden Caecilius und ich der Sache gegenüberstehen; worin diese Verschiedenheit besteht, werde ich bald erklären, (23) jetzt bemerke ich nur, was du, Caecilius, mir ja im stillen zugiebst, daß er von mir alles fürchtet, von dir nichts. Aus diesem Grunde kommt sein Freund, der große Advokat, Quintus Hortensius Ortalus , der damals berühmteste Redner Roms, der reiche Aristokrat, der gediegene Schriftsteller und Freund des genialen Dichters Catullus, hatte die Verteidigung des Verres übernommen. Man beachte, daß Cicero ihn in dem ganzen Prozesse niemals höhnisch oder bitter oder geringschätzig behandelt; er äußert stets den schuldigen Respekt vor dem berühmten Manne, doch klingt überall eine leise Ironie hindurch, weil der vornehme Herr sich für Geld und Standescoterienprinzip zu so einer niedrigen Sache wie Verres' Schutz hergiebt und namentlich, weil Cicero sich als der jungaufstrebende Vertreter einer neuen litterarischen Kraft im stillen wohl bewußt ist, den älteren Herrn von seiner Souveränität im Reiche der Zungenhelden zu verdrängen. Diese leise Ironie bedeutet in anständigem Gewande die größte Frechheit, die unwiderstehliche Frechheit des lebendigen siegesbewußten Revolutionärs gegenüber dem erstarrenden, kampfunfähigen »Alten«. Persönlich standen die beiden Advokaten im ganzen gut; die offiziellen Gegensätze hatten auf das Privatleben gar keinen Einfluß, und gelegentliche Differenzen wirkten nicht lange nach. Als Hortensius im Jahre 50 v. Chr. gestorben war, setzte ihm Cicero in seinem »Brutus«, einer Schrift über die großen Redner Roms, ein schönes, bleibendes Denkmal; seine Worte klingen nicht wie ein offizieller Nekrolog, sondern wie der warme Ausdruck eines edlen, tiefen Empfindens. dir zu Hilfe; er arbeitet gegen mich, er verlangt ganz offen, daß man dich mir vorziehen soll, und er behauptet, dies in der besten Absicht zu thun, ohne die mindeste Gefahr für den Ruf des Gerichtshofes. Er spricht so zu den Richtern: »Ich verlange ja nicht, was ich bei einigermaßen energischem Bemühen stets durchzusetzen pflege, nämlich die Freisprechung des Verklagten; ich verlange nur, daß statt des einen Juristen der andere die Anklage übernehme. Thut mir dies zu Gefallen, entschließet euch, es ist ja so einfach, es ist so in der Ordnung, so ungefährlich; ist es einmal geschehen, dann könnt ihr, ohne euch irgend zu kompromittieren, einen Schritt weiter gehen und meinen Schützling freisprechen.« (24) Um nun in die Liebenswürdigkeit ein bißchen bittere Drohung zu mischen, fügt er hinzu, im Richterkollegium säßen einige Vertrauensmänner Das heißt natürlich bestochene Richter, die mit dem Advokaten alles nötige verabredet hatten. Jeder Richter hatte seinen Entscheid, diesmal also den Namen des Caecilius oder Cicero auf ein Wachstäfelchen zu schreiben; die Drohung des Hortensius bestünde also nach Cicero darin, daß seine Vertrauensmänner die übrigen kontrollieren und eventuell bloßstellen würden. , denen die Stimmtäfelchen gezeigt werden müßten; die Kontrolle wäre sehr leicht, da sie ja diesmal nicht einzeln, sondern alle zusammen ihre Stimmen abgeben; jeder bekäme ein Wachstäfelchen, und zwar mit dem richtigen offiziellen Wachs, nicht mit jenem betrügerisch gefärbten, das kürzlich einen solchen Skandal hervorgerufen. Thatsächlich hatten in einem anderen Erpressungsprozeß, in dem Hortensius seinen Vetter Terentius Varro verteidigte, die bestochenen Richter Täfelchen von eigen gefärbtem Wachs erhalten, so daß man leicht konstatieren konnte, ob sie auch ihr Wort gehalten hatten oder nicht – denn zuweilen betrügen sich die Camorristen gegenseitig. Im vorliegenden Falle sei nun, so soll Hortensius meinen, jene besondere Vorsichtsmaßregel, die natürlich herauskam und ihre Opfer entehrte, nicht notwendig, da alle Richter mit ihren Tafeln zusammen an die Urne gingen und sich bei dieser Gelegenheit leicht beobachten konnten. So müht der große Advokat sich ab, schließlich nicht so sehr um des Verres willen, sondern weil die ganze Geschichte ihm selber höchst ungelegen kommt. Bis jetzt wird nämlich das Anklagen in der Regel von vornehmen Bengeln besorgt, mit denen er natürlich leicht fertig wird, oder von bestechlichen Winkelrednern, die er zu verachten alle Ursache hatte; wenn nun an deren Stelle jetzt Männer von Ansehen mit der nötigen Energie auftreten, dann sieht er das Ende seiner unumschränkten Gerichtsherrlichkeit gekommen. VIII. (25) Eines sag ich ihm im voraus: wenn mir diese Anklage überlassen wird, so muß er in Zukunft sein ganzes Verteidigungssystem umändern; auf einer besseren, anständigeren Grundlage als er selber will, muß er seine Nachahmung berühmter Redner der vorigen Generation durchführen, denn Männer wie Lucius Crassus und Marcus Antonius, die er noch mit erlebt hat, glaubten zu den Prozessen ihrer Freunde nichts als ihren vorzüglichen Geist und Charakter mitbringen zu sollen. Crassus und Antonius waren in der That die berühmtesten Redner Roms in der Epoche zwischen Gaius Gracchus und Hortensius; beide sind in Ciceros theoretischen Schriften aufs glänzendste verherrlicht, beide waren als Charaktere ebenso hochgeachtet, wie als Fachleute, und der eine von ihnen, Marcus Antonius, ist denn auch bei den Metzeleien des vertierten Gaius Marius, im Jahre 87, umgekommen. Er soll sich nicht einbilden, daß ich Bestechungsversuche zulasse; sie würden so manchem schlecht bekommen. (26) Ich habe in diesem Prozesse für Sicilien zugleich die Initiative Roms ergriffen; ich will nicht einen gemeinen Menschen unterdrücken – das wünschen die Sicilianer – sondern die Gemeinheit überhaupt ausrotten: das verlangt Rom. Und es ist hohe Zeit! Wie weit freilich meine Kräfte dazu ausreichen, das mögen andere beurteilen; ich habe mich darüber nicht zu äußern.
(27) Und deine Kräfte, Caecilius, wie weit reichen sie? Wo hast du jemals auf diesem Gebiet etwas geleistet oder auch nur riskiert? Weißt du nicht, was es bedeutet, einen öffentlichen Prozeß zu führen, ein ganzes Menschenleben zu analysieren? Es nicht nur den Richtern, sondern der Öffentlichkeit so vorzuführen, daß jeder es bis in seine Einzelheiten hinein übersehen kann! Du willst das Geschick der Bündner, die Ruhe der Provinzen, die Herrschaft der Gesetze, die Würde des Gerichtes beschützen? – VIIII. Laß dir von mir erzählen (du hast hier zum erstenmal Gelegenheit, es zu lernen), was ein Ankläger für Eigenschaften haben muß; wenn du nur eine einzige davon in dir entdecken kannst, so will ich dir freiwillig deinen Wunsch erfüllen und diesen Platz gern einräumen.
Das erste ist eine völlige persönliche Unbescholtenheit. Nichts ist so unzulässig, als wenn einer von anderen Menschen Rechenschaft über ihr Leben verlangt und sie selbst über das seinige nicht zu geben vermag. (28) Da brauche ich nun über dich nicht viel Worte zu verlieren: jeder weiß ja, daß nur die Sicilianer bisher Gelegenheit hatten, dich kennen zu lernen Nur in Sicilien, meint Cicero, konnte man die Unbescholtenheit des Caecilius erproben – weil er nur dort ein Amt bekleidet hatte. Es ist überhaupt bezeichnend für antike Auffassung, daß der Mensch zu einer gebietenden Stellung, zu einer Macht gelangen muß, um seinen Charakter zu zeigen; der obskure Mensch bleibt im allgemeinen gleichgültig, weil er eben unter anderer Macht steht, also seine Individualität nicht entwickeln, geschweige denn zeigen kann. – und die Sicilianer mit all ihrer Erbitterung gegen deinen angeblichen Feind erklären, gar nicht vor Gericht erscheinen zu wollen, wenn du diesen Feind verklagst. Warum sie das erklären? Von mir bekommst du darüber nichts zu hören; mögen die Anwesenden sich selber ihre Gedanken machen. Die Menschen sind ja nun einmal so schrecklich spitzfindig und argwöhnisch; so vermuten die Sicilianer, daß du nicht Zeugnisse gegen Verres von Sicilien zum Gerichtstag herschaffen, sondern vielmehr Schriftstücke, in denen deine Finanzwirtschaft zusammen mit Verres' Statthalterschaft urkundlich charakterisiert war, aus Sicilien fortschaffen lassen wolltest.
(29) Zweitens muß ein Ankläger rücksichtslos aufrichtig sein. Das könntest du aber nicht, selbst wenn du es wolltest. Ich will mich gar nicht auf jene immerhin unleugbaren Thatsachen berufen: wie du dich vor deinem Abschied von Sicilien mit Verres aussöhntest; wie Verres dann deinen Freund und Sekretär Potamon bei sich in der Provinz behielt; wie dein Bruder Marcus Caecilius, ein ganz prächtiger junger Mensch, nicht nur diesem Prozeß ferne bleibt, sondern als intimster Freund des Verres dauernd bei ihm lebt. Solche und ähnliche Charakteristika eines falschen Anklägers stehen massenweise zur Verfügung; aber wie gesagt, ich mache keinen Gebrauch davon; dagegen betone ich, daß du ein wahrer Ankläger beim besten Willen nicht sein könntest. (30) Es liegen nämlich eine Menge Klagepunkte vor, die dich und Verres gemeinsam betreffen, so daß du sie als Kläger gar nicht berühren dürftest. X. Zum Beispiel: Ganz Sicilien klagt, Verres hätte sich bei den Getreidelieferungen für seinen Hausbedarf, deren Wert seitens der Besitzer in barem Gelde entrichtet wurde, zu einer Zeit, wo der Scheffel zu zwei Sesterzen stand, für jeden Scheffel zwölf Sesterzen zahlen lassen. So etwas ist empörend, ist ungeheuerlich, ist ein frecher Raub kolossaler Geldsummen; schon auf diesen Punkt allein hin müßte ich den Menschen verurteilen lassen: und du, Caecilius? (31) Wirst du es ihm vorwerfen oder lieber totschweigen? Wenn du davon sprichst, so wirfst du ihm eine Schuld vor, die du zur selben Zeit in derselben Provinz gleichfalls begangen hast, erhebst also eine Anklage, die logischer Weise deine eigene Verurteilung nach sich ziehen müßte; bist du aber still – ja was bleibt dann noch an deiner Anklage, wenn du aus Furcht vor eigener Gefahr einen so bedeutenden Klagepunkt nicht einmal berührst? – (32) Oder ein anderes Beispiel! Nach Beschluß des Senates wird den Sicilianern vermittelst des Statthalters Verres Getreide für die Bedürfnisse der Reichshauptstadt abgekauft; die Kaufsumme, die ihm dafür angewiesen wurde, ist bei weitem nicht vollständig ausbezahlt worden. Ein schlimmer Vorwurf für Verres – aber nur wenn ich rede; für dich, Caecilius, fällt er weg. Denn du warst Leiter des Finanzwesens, du hattest die Staatskasse in Händen und warst für ihre ordentliche Führung, nötigenfalls selbst gegen des Statthalters Willen, so gut wie allein verantwortlich. Auch dieser Punkt würde also in deiner Anklage mit keinem Wort erwähnt, sondern in dem ganzen Prozeß würden Verres ärgste und bekannteste Diebereien mit dem Mantel tiefen Schweigens zugedeckt werden. Glaube mir, Caecilius, man kann nicht ernstlich als Kläger für die Bündner wirken, wenn man mit dem Angeklagten zusammen bei ihnen gesündigt hat. (33) Die Getreidepächter haben von den Gemeinden statt des Getreides unerlaubterweise Geld eingetrieben. War daran etwa nur der Statthalter schuld? Nein, auch dessen Finanzrat Caecilius; was folgt daraus? Willst du ihm vorwerfen, was du selber verhindern konntest und mußtest, oder ziehst du es vor, dich wiederum in Stillschweigen zu hüllen? Offenbar soll Verres in seinem Prozeß die Dinge gar nicht zu hören bekommen, die er ohne die Aussicht auf eine eventuelle Rechtfertigung beging. XI. Ich erwähne nur diese naheliegenden, offenbaren Momente; andere sind mehr versteckt, die hat er in aller Güte mit seinem Finanzrat ausgemacht, um dessen leidenschaftliche Angriffswut etwas zu mäßigen. (34) Du weißt, daß ich über das alles informiert bin; wollt ich mehr davon erzählen, so wäre bald allen klar, daß ihr euch unter einander nicht nur in euren Absichten vereinigtet, sondern, daß sogar die Beute bis jetzt noch ungeteilt ist. Wenn du also die Erlaubnis zur Anzeige eurer gemeinsamen Leistungen, unter Zusicherung der Straflosigkeit für dich, bei den Behörden einholen willst, so hab ich nichts dagegen, vorausgesetzt, daß das Gesetz es erlaubt; sobald sich's aber um eine gerichtliche Klage handelt, mußt du schon denen Platz machen, die durch keine eigene Sünden verhindert werden, fremde Sünden aufzudecken. (35) Beachte wohl diesen Unterschied zwischen meiner und deiner Anklage: ich werfe dem Verres auch das vor, was du ohne ihn begangen hast, da er dich kraft seiner Amtsgewalt hätte verhindern müssen; du würdest ihm nicht einmal seine eigenen Verbrechen vorhalten, um nicht als daran beteiligt zu erscheinen.
Weiter! Zur Führung eines Prozesses, und namentlich eines so großen Prozesses, gehören notwendig noch einige Dinge, die du doch nicht allzu gering anschlagen solltest: ein wenig juristische Praxis, einige Redegewandtheit, etwas Übung auf dem Forum Das Forum, der Marktplatz, ist das eigentliche Centrum des Gerichtslebens; auch Ciceros Reden muß man sich meist nicht in einem geschlossenen Raume, sondern unter freiem Himmel gehalten denken, so daß sie jeder römische Bürger auch ohne Legitimationskarte anhören konnte. , ein bißchen Kenntnis von Gesetz und Recht. (36) Ich merke, ich bewege mich auf einem gefährlichen Boden; Arroganz wirkt immer abstoßend und ganz besonders auf einem geistigen Gebiete, wie dem der Beredsamkeit. Ich spreche also nicht von meiner Fähigkeit; da giebt's eben nichts zu sagen, und gäb es etwas, ich thät es doch nicht. Entweder genügt mir mein Ruf, oder, wenn nicht, so könnt ich ihn durch Selbstlob nicht verbessern. XII. (37) Was aber dich betrifft, Caecilius – nun, laß mich einen Augenblick von unserer Sache abschweifen und ganz vertraulich mit dir reden. Überlege dir doch einmal, was du selber von dir hältst; überleg es dir von neuem, sieh dich ordentlich an, mach einen Überschlag und ziehe dann die Summe deines Wesens und deines Könnens. Der moderne Begriff der »Arroganz« und ihr Seitenstück, die falsche Bescheidenheit, waren nicht nur dem Altertum, sondern auch der Renaissance unbekannt. In Zeiten großer Thätigkeit freut man sich an der That, am meisten an der eigenen. Es wäre kleinlich, den Horaz eingebildet zu schelten, weil er sich die bekannten poetischen Denkmäler gesetzt hat; die Nachwelt hat ja dahin entschieden, daß er nicht mehr von sich sagte als er durfte. An unserer Stelle will Cicero sich nicht herausstreichen, sondern ein Programm aufstellen; folglich erschwert er sich die Aufgabe, indem er die Erwartungen hoch spannt. Aber er thut dies mit einem so ruhigen Behagen, daß man sieht, er war seiner Fähigkeiten sicher, seiner Aufgabe gewachsen; darum durft er sich auch mit dem Konkurrenten vergleichen, ohne sich den Vorwurf des Selbstlobes oder gar der Verblendung zuzuziehen. Du willst dich an so mächtige und gefährliche Probleme wagen, wie den Prozeß der Bündner und das Schicksal einer Provinz, Roms Recht und die Würde seiner Gesetze und Gerichte: glaubst du wirklich eine solche Masse der verschiedenartigsten und kompliziertesten Objekte verarbeiten, disponieren, im Sinne behalten und auseinandersetzen zu können? (38) Hältst du dich wirklich für fähig, die ganzen Verbrechen eines Verres, alles was er in den verschiedenen Phasen seiner Beamtenlaufbahn in Rom, in Italien, in Griechenland, in Kleinasien, in Pamphylien angerichtet hat – dies alles zu übersehen, nach chronologischem und lokalem Gesichtspunkte zu ordnen, nach Gesetzesparagraphen zu verteilen und schließlich zu beleuchten? – Bei einem Menschen wie Verres müssen alle Äußerungen seiner Nichtswürdigkeit, Wollust und Grausamkeit vom Ankläger so lebendig dargestellt werden, daß die Hörer sie mit gleicher Empörung vernehmen wie die Opfer sie empfanden. Meinst du diese sehr wesentliche Forderung erfüllen zu können? Obgleich diese Rede direkt nur gegen Caecilius geht, fällt doch auch gelegentlich für Verres einiges ab; zwar in gemessenen Pausen, aber so, daß jeder Hörer auf den ungeheuren Skandal gespannt wird und dabei das Gefühl bekommen muß, seine Schuld ist festgestellt, seine Verurteilung über allen Zweifel erhaben. Hier wird der Hörer, ohne daß er es merkt, in dieser Weise bearbeitet. (39) Glaube mir, so etwas ist ernst, das darf man nicht auf die leichte Achsel nehmen. Alles will erzählt, bewiesen, verwertet, der Gegenstand nicht nur vorgeführt, sondern ausgiebig und sorgfältig durchgeführt sein. Willst du etwas durchsetzen, so mußt du es dahin bringen, daß man dich nicht nur anhört, sondern dir gern und aufmerksam zuhört. Besäßest du dafür ein natürliches Talent, hättest du seit deiner Kindheit emsig auf den vornehmsten Gebieten des Wissens gearbeitet und dich ausgebildet, hättest du Griechisch in Athen statt in Lilybaion Lilybaion ist das westlichste Kap von Sicilien; dorthin drang naturgemäß das hellenische Element am schwersten, während die barbarischen Semiten von Afrika das leichteste Spiel hatten, wie heute die Tunesier in Marsala. So war die Bevölkerung am schlimmsten gemischt – ohnehin beruhte der Wert des Ortes auf seinem Hafen, und man kennt aus modernen Analogien die Bevölkerung der Hafenstädte und ihre Sprechweise. Die von Lilybaion galt als halbbarbarisch. , Latein in Rom statt in Sicilien gelernt – es wäre immer noch eine Aufgabe, sich in eine so mächtige, allgemein mit Spannung verfolgte Sache hineinzuarbeiten, dann alles auswendig zu behalten, künstlerisch zu formen, endlich kräftig und schön vorzutragen. (40) Vielleicht sagst du: »Und du? Kannst du das alles?« – Könnt ich's doch! Aber immerhin hab ich seit meiner frühesten Jugend all mein Streben darauf gerichtet, es so weit zu bringen. Wenn ich also wirklich die ungeheure Aufgabe nicht bewältige, obgleich ich in meinem Leben auf nichts anderes hingearbeitet habe, wie weit mußt du dann davon entfernt sein, der du früher nie daran gedacht hast und selbst jetzt, wo du dich daran machst, von ihrem Umfang und Inhalt keine Ahnung hast! XIII. (41) Ich habe mich notorisch dermaßen mit gerichtlicher Praxis beschäftigt, daß ich sagen kann, niemand oder wenige haben in meinem Alter so viele Prozesse geführt; alle Zeit, die mir die Geschäfte meiner Freunde lassen, verwende ich auf diese Studien, um mich weiter für die Thätigkeit vor Gericht zu vervollkommnen; und dennoch kann ich's bei allen Göttern versichern: wenn ich mir den Moment vorstelle, wo der Tag der Verhandlung da ist, wo ich vor die Schranken treten und Klage erheben muß, da packt mich nicht allein innere Aufregung, sondern ein Schauder überläuft mich vom Wirbel bis zur Zehe.
(42) Schon jetzt kann ich mir vorstellen, wie sich das Publikum zu der Verhandlung drängt, welche Erregung es mitbringt, wie gespannt es dem Verlaufe folgt, wie es meiner Rede lauscht – handelt sich's doch um die Schamlosigkeit eines Verres! Wenn ich daran denke, bin ich fast ratlos, wie ich der Empörung seiner Feinde, der allgemeinen Erwartung, der Bedeutung des Gegenstandes entsprechende Worte finden soll. (43) Dich schreckt dies alles nicht, du denkst nicht daran, sondern ersparst dir die Mühe. Wenn du dir den Anfang irgend einer alten Rede nach klassischem Rezept, etwa »Zeus, du größter und höchster« oder »Ich wollte, wenn es möglich wäre« oder sonst etwas in diesem Stile einstudiert hast, dann glaubst du dich wohl trefflich vorbereitet zu haben! (44) Selbst wenn dir niemand antwortete, könntest du sicherlich nichts zur Evidenz bringen; nun vergißt du aber, daß du einen vorzüglich gerüsteten Gegner von glänzender Beredsamkeit vor dir hast, mit dem du dich erst scharf auseinandersetzen, dann auf jede Weise herumschlagen mußt. Diese Komplimente für Hortensius dienen natürlich dazu, das Treiben der Camorra lächerlich und somit für Cicero Stimmung zu machen. Da es Komplimente sind, konnte der Gegner sie nicht einmal abwehren! Ich meinerseits erkenne seinen Geist an, ohne mich von ihm einschüchtern zu lassen; ich schätz ihn, aber ich glaube, daß er mich eher amüsieren, als hinters Licht führen kann. XIIII. Nie wird er mich mit seinen Schlauheiten unterkriegen, nie mit seinen Rednerkunststücken aus dem Konzepte treiben, nie wird er versuchen, mich durch seinen Witz zu Falle zu bringen oder zu entkräften. Ich kenne all seine Angriffs- und Redemanieren; oft standen wir vor Gericht zusammen, oft einander gegenüber. Er ist ein geistreicher Mann; allein er wird von seinem Geist eine Probe ablegen, indem er gerade mir gegenüber keinen all zu spitzfindigen Gebrauch davon macht.
(45) Dagegen du, Caecilius! Wie wird er dich zurichten! Ich höre ihn schon, wie er mit dir spielt, wie er dich auf jede Weise in die Enge treibt, wie er dich einmal übers andere zwischen die Kneifzange seiner Alternative nimmt, so daß du nach eigener Wahl erklären kannst, ob eine Angabe wahr oder falsch sei, und, was du auch erklären magst, immer eingezwängt wirst. Armer Mensch, was steht dir an Angst und Aufregung bevor! Ein Fehltritt nach dem andern, ein wahrer Taumel! Und dabei bist du im Grunde ein guter Kerl. – Wenn er dann erst deine Anklage zergliedert und die einzelnen Teile des Prozesses zwischen die Finger nimmt, um jeden einzelnen gründlich zu behandeln und prompt zu erledigen! Du selber wirst schließlich fürchten, einen Unschuldigen in Gefahr gebracht zu haben. (46) Dann weiter: er fängt an zu jammern, er macht das Mitleid für seinen Schützling rege und sucht etwas von dessen bösem Ruf auf dich abzuwälzen; er redet von dem innigen Verhältnis zwischen dem Statthalter und seinem obersten Beamten, wie sie durch die Sitte der Ahnen und die Heiligkeit des Loses besteht – willst du alle die Mißgunst, die er auf dich herabredet, aushalten? überleg es dir nur, gehe ernsthaft mit dir zu Rate. Ich fürchte nämlich, daß es überhaupt gar nicht seiner Worte bedarf, um dich zu zerschmettern, sondern daß sein bloßes Mienenspiel, seine Haltung und Bewegung genügen werden, um deiner Schlauheit die Spitze abzubrechen und dir dein ganzes Programm auszutreiben. (47) Davon werden wir ja bald eine Probe bekommen. Denn wenn du mir heute Rede stehen kannst, wenn du von deinem Manuskripte, das dir irgend ein Schulmeister aus fremden Reden zusammengestoppelt hat, mit einem Wort abweichen kannst, so will ich annehmen, du kannst auch dem andern gegenüber deine Fassung bewahren und deine Sache ordentlich führen; bist du aber schon hier bei dieser einleitenden Plänkelei ohnmächtig, wie sollst du dich da im vollen Gefecht mit einem scharfen Gegner halten? –
XV. »Gut,« wird man mir erwidern, »er selbst ist nichts und kann nichts; aber er kommt mit gewandten Subskriptoren.« Subskriptoren, »Unterzeichner«, hießen Leute, die ihren Namen nächst dem Hauptankläger unter das Schriftstück setzten, in welchem die Klage bei der zuständigen Behörde angemeldet wurde; sie verpflichteten sich damit, einen Teil der Anklage persönlich durchzuführen. Da es im modernen Leben keine auch nur annähernde Einrichtung giebt, so ist auch kein deutsches Wort an die Stelle des Originals gesetzt worden. Das ist immerhin etwas, wenn auch nicht genug: denn überall muß der Führer eines Unternehmens am besten unterrichtet und am stärksten gerüstet sein. Indes da seh ich als ersten Subskriptor den Lucius Appuleius; das ist ein Anfänger, zwar nicht an Jahren, aber wohl an Gerichtspraxis. (48) Dann hat er einen gewissen Alienus; der kennt allerdings die Schranken. Ob er reden kann, hab ich zwar nie beachtet, aber im Schreien ist er robust; darin hat er's weit gebracht. Auf den also setzest du deine einzige Hoffnung, der soll für dich den ganzen Prozeß durchführen! Aber selbst er darf sich ja nicht in seiner ganzen Größe zeigen, sondern er muß dich in ein möglichst glänzendes Licht zu rücken suchen, folglich seiner eigenen Beredsamkeit noch Zügel anlegen, damit du wenigstens nach etwas aussiehst. Etwas ähnliches erleben wir ja zuweilen im griechischen Theater: es kommt vor, daß der zweite oder dritte Schauspieler viel glänzender deklamieren könnte als der Held, daß sie sich aber absichtlich zurückhalten, um den an sich unvollkommenen Künstler seiner Hauptrolle entsprechend hervortreten zu lassen. So muß Alienus sich anstellen: er muß dir als Folie dienen, sich selbst in den Schatten stellen, seiner Beredsamkeit Zügel anlegen, kurz, erheblich weniger leisten, als er vermag.
(49) Nun überlege man sich, wie sich diese Ankläger gegenüber der Bedeutung des Prozesses ausnehmen werden, wenn ein Alienus seine Leistungen noch unter das Maß seiner Fähigkeiten reduziert und Caecilius sich erst dann sicher fühlt, wenn Alienus sich einschränkt und ihm die erste Rolle überläßt. Wer der vierte im Bunde sein soll, kann man sich gar nicht vorstellen; höchstens vielleicht irgend ein Subjekt aus der Masse der Lückenbüßer, die sich bei jedem Kläger zur Unterschrift drängen. (50) Es sind Menschen, die mit dir und der Sache nichts zu thun haben; aber mit ihnen mußt du dich in Verbindung setzen, um einen von ihnen an deiner Seite aufzunehmen; so steht's um deinen Anhang. Natürlich thue ich ihnen nicht die Ehre an, auf ihre Aussagen Punkt für Punkt und mit besonderer Rücksicht auf jeden einzelnen zu antworten; da ich sie jetzt einmal zufällig, ganz ohne jede Absicht, erwähnt habe, will ich sie im Vorübergehen alle miteinander abfertigen. XVI. Meint ihr, ich hätte so wenig Freunde, daß ich mir Unterschriften nicht von Leuten meines Standes, sondern aus den niederen Bevölkerungsklassen holen müßte? Und ihr – findet ihr so wenig Straßenräuber und Taschendiebe, daß ihr mir einen Prozeß wegschnappen möchtet, anstatt euch bei Maenius' Schandsäule An der nach Maenius benannten Säule, beim Eingange zum Forum, wurden gemeine Verbrechen des niedrigsten Gesindels gerichtet und bestraft. Prozeßkandidaten eures Standes zu suchen? (51) Nun rief einer: »Laßt mich bei Cicero unterzeichnen, damit ich ihn beaufsichtigen kann!« – Allerdings braucht ich eine Menge Aufseher, wenn ich dich einmal in mein Bureau lassen sollte; denn du wärest imstande, nicht bloß etwas auszuplaudern, sondern sogar etwas zu entführen. Aber gegenüber der zudringlichen »Aufsicht« durch diese Herren erklär ich einfach: Der Gerichtshof wird nicht zulassen, daß bei diesem außerordentlichen, auf meinen besonderen Wunsch mir anvertrauten Prozeß irgend jemand mir zum Trotz meine Klage unterzeichnen dürfe. Einen Aufpasser brauch ich nicht, dazu bin ich zu ehrlich; und einen Spion fürcht ich nicht, dazu bin ich zu wachsam.
(52) Doch kommen wir auf dich zurück, Caecilius. Was dir fehlt, siehst du nun wohl ein; du merkst aber auch, wie erwünscht es dem Schuldigen käme, von dir verklagt zu werden. Was läßt sich hiergegen einwenden? – Wohl gemerkt, ich frage nicht, was du einwenden magst; denn ich sehe, daß an deiner Stelle das Manuskript deines Beraters antworten würde; sein bester Rat für dich wäre freilich, nach Hause zu gehen und mir überhaupt nicht zu antworten. Denn was wolltest du auch sagen? Immer wieder, daß Verres dich geschädigt hat? Das glaub ich wohl, denn da er sich an ganz Sicilien vergriffen, war es unwahrscheinlich, daß er zu deinen Gunsten allein eine Ausnahme gemacht hätte. (53) Nun haben die übrigen Sicilianer einen Rächer gefunden; du dagegen bist unfähig dir selbst zum Rechte zu verhelfen und willst deshalb auch andere ungerecht leiden sehen; überdies vergißt du, daß man bei einem Rächer nicht bloß nach der Verpflichtung, sondern auch nach der Fähigkeit, erfolgreich einzugreifen, fragt: wer dazu verpflichtet und fähig ist, hat den Vorrang; wer nur das eine oder das andere für sich anzuführen vermag, der wird nicht nach seinem Wollen, sondern nach seinem Können beurteilt. (54) Meinst du nun etwa, daß der den Verres anklagen soll, der von ihm am meisten ausgestanden hat, so frag ich den Gerichtshof: Was ist wohl schlimmer, eine persönliche Beleidigung des Quintus Caecilius oder der qualvolle Ruin der Provinz Sicilien? Der Ausdruck klingt übertrieben; aber ob er zutrifft oder nicht, jedenfalls hat es Cicero mittels der folgenden Reden wirklich verstanden, in alter und neuer Zeit den Eindruck hervorzurufen, als ob das ganze blühende Land nur durch Verres in einen Schutthaufen verwandelt worden wäre. Damit hat der Advokat sein Ziel erreicht, wenn auch der exakte Historiker vielleicht einigen Widerspruch erheben dürfte; aber Cicero wollte eben keine historische »Quelle«, sondern ein rednerisches Meisterwerk liefern, und das ist ihm, wie man selbst an den Erzählungen moderner Historiker sieht, gelungen. Ich denke, die Antwort kann niemand zweifelhaft sein – dir auch nicht. Also gestatte, daß man dir die Provinz vorzieht; denn sie ist es, die Klage erhebt, wenn der von ihr erwählte, ausdrücklich zum Schutz ihrer Interessen berufene Anwalt den Prozeß in die Hand nimmt.
XVII. (55) Du wendest mir vielleicht ein, Verres habe dir einmal in einer Weise geschadet, die auch andere betraf und infolge dessen wirken müsse. Durchaus nicht. Es gehört ja wohl zur Sache, auch jenen Vorgang und damit den angeblichen Grund eures Zerwürfnisses kennen zu lernen; gut, so vernehmet die Geschichte von mir – denn er wird sich wohl hüten sie zu erzählen, wenn er sich nicht ganz lächerlich machen will.
In Lilybaion wohnte eine gewisse Agonis, ehemals Tempelsklavin der Aphrodite auf dem Berg Eryx, Auf dem Berg Eryx, dem heutigen Monte San Giuliano, stand seit uralten Zeiten, seit Daidalos und Aineias, ein Tempel der Aphrodite, den nicht nur alle Sicilianer, sondern alle Hellenen überhaupt als eines der höchsten Heiligtümer der Welt verehrten. Auf einsamer weithinblickender Höhe thronte die »Allherrscherin«, ähnlich wie auf der Felskuppe von Ankona oder von Korinth, wo ebenfalls ihr prächtiger Tempel auf zwei Meeresbuchten herniederschaut. Einige Vertreter der modernen Wissenschaft, die wissen, was kein antiker Schriftsteller weiß und kein Stein uns meldet, wollen diesen Kultus als eine Gründung der karthagischen Phönikier ausgeben – als ob die Griechen sich ihre »goldene, meerentstiegene Göttin« nicht aus ihrer eigenen, unerschöpflich fruchtbaren Phantasie, sondern von jenen menschenopfernden, molochanbetenden Semiten geholt hätten, die sie nicht etwa wie einen ebenbürtigen Feind haßten, sondern wie ein widriges Ungeziefer verabscheuten. In Wahrheit haben die Karthager, von denen Sicilien gereinigt zu haben das größte Verdienst der Römer um Europa ist, zwar zahllose griechische Tempel zerstört, oft auch den begonnenen Bauarbeiten durch räuberische Überfälle für immer ein Ende gemacht, wie sie denn die blühendsten Städte zerstörten ohne irgend etwas von Kultur an ihre Stelle zu setzen, aber nie haben sie den Griechen ein Muster gegeben, nie auf irgend eine religiöse Vorstellung der Hellenen anregend oder gar befruchtend eingewirkt. Jene Vertreter der modernen Wissenschaft sind dieselben, die z. B. die sicilische Stadt Selīnus für eine semitische Gründung halten, weil Selinus griechisch »Eppich« bedeutet, und weil der Fluß, an dem die Stadt liegt und von dem sie benamst ist, denselben Namen trägt wie viele Flüsse im eigentlichen Hellas, so in der Peloponnes und in Euboia, wo niemals ein Semit sich niederließ, dagegen zahlreiche Auswanderer nach Sicilien sich einschifften. – Auf dem Eryx suchten sich die karthagischen Kulte erst einzunisten, als die hellenischen ihn schon lange innehatten; erbittert war der Kampf zwischen Aphrodite und Baal-Moloch, aber die Göttin siegte, vertrug sich auch gut mit der römischen Venus, und erst die Gelehrten des neunzehnten Jahrhunderts haben dem Baal wieder Hilfe gebracht. Die Frömmigkeit der Hellenen vergrößerte den irdischen Besitz der Göttin in enormer Weise; materiell überflügelte sie die religiös nicht minder mächtige Beherrscherin des Landbodens, die Demeter von Enna, und ihre Einkünfte blieben gewiß nicht weit hinter denen des olympischen Zeus oder des delphischen Apollon zurück. Ihre Tempelschätze wurden zwar häufiger von orientalischen und gallischen Barbarenhorden geplündert, doch erholte sie sich rasch von allen Schlägen; ihr weit ausgedehnter, vortrefflich verwalteter Grundbesitz verlieh ihr unabsehbare Macht, und selbst die kritische Periode des Verres überstand sie glücklich. Verres hielt es wohl für opportun, sich mit der mächtigen, solid fundierten Göttin von Anfang an gut zu stellen, während er die Demeter in Enna aufs gröbste insultierte; durch seinen Bund mit Aphrodite bekam er die Priesterschaft auf seine Seite und damit ungemessene kaufmännische Vorteile, wie denn die stete Neigung der Griechen zu Zwistigkeiten untereinander (einer der vielen Züge, die sie mit den Germanen gemein haben) die Hauptursache zu ihrem Untergange war. Aber auch außer den Pfaffen diente der Göttin, schon zur ordentlichen Verwaltung ihrer Häuser und Güter, ein zahlreiches Personal; diese Leute, rechtlich unfrei, besaßen für ihre Stellung die nötige Bildung und Intelligenz, und durch ihre Stellung bedeutenden Einfluß, oft auch so viel Vermögen, daß sie sich selbst ein üppiges Hauswesen mit zahlreichem Dienstpersonal (den »Vicarii«, Sklaven der Sklaven) halten konnten. Verres hatte sie alle zur Verfügung und verwendete sie, wie man sehen wird, oft zu raffinierten merkantilischen Operationen. – Die »musikalischen Sklaven« gehören zum niederen Personal; der freie Hellene bildete mit allen Kräften auch sein Musiktalent harmonisch aus, allein das Instrumental virtuosentum, zumal auf den Blasinstrumenten, blieb wie alle lediglich unterhaltenden oder aushelfenden Künste den gewandten Sklaven beiderlei Geschlechts überlassen. Bläserkapellen mit tüchtigen Solisten brauchte der wohlhabende Privatmann für seine Tafelmusiken und Abendunterhaltungen, der Klub junger Leute für seine Umzüge und sonstigen Feste, endlich jede Genossenschaft und namentlich der Staat für militärische und religiöse Zwecke; zu jenen gehörte die Verwendung auf den Schiffen, wo die sämtlichen Ruderknechte ihre Bewegungen gleichmäßig nach dem Takte der Musik ausführten. – In Rom vollends war auch der höhere Musiker wie der Schauspieler ein Sklave, d. h. ein gefangener Grieche; Aristophanes hat seine Wunderchöre selbst komponiert, dagegen in den Lustspielen des Terenz mußte für die ärmlichen musikalischen Episoden ein Sklave zu Hilfe genommen werden. dann freigelassen. Diese Frau lebte vor der Amtsperiode des Caecilius in sehr guten, ja glänzenden Verhältnissen. Eines Tages erscheint in ihrem Hause ein Schiffskapitän vom Geschwader des Antonius Marcus Antonius war ein römischer Admiral, der sich im Krieg aufs ärgste blamierte, aber seine Taschen zu füllen verstand. Sein Sohn ist der aus Shakespeare bekannte Schüler Julius Caesars, der im Jahre 43 den Cicero ermorden ließ. und versucht ihr sechs musikalische Sklaven wegzunehmen, angeblich zur dienstlichen Verwendung auf der Flotte. Die Frau protestiert im Namen der Göttin – wie sich in Sicilien alles Gesinde dieser Göttin auch nach erfolgter Auslösung auf sie zu berufen pflegt – und erklärt dem Kapitän unter Anrufung seines Gewissens, sie und ihr Eigentum gehöre der Aphrodite.
(56) Sobald der edle Finanzrat Caecilius davon hört, läßt er als gerechter Staatsbeamter die Agonis kommen und spricht ohne weiteres sein Urteil: »Wenn sie sich und ihr Eigentum tatsächlich als Besitz der Göttin erklärt hat, so ist danach zu verfahren.« Die zu diesem Zweck einberufenen Obmänner fällen den nötigen Richterspruch; denn gesagt hatte sie's, das stand fest. Caecilius übernimmt den Grundbesitz der Frau, erklärt sie selber wieder als Sklavin der Aphrodite; dann verkauft er den Grundbesitz und zieht das Geld dafür ein. Die Frau hatte also durch ihre Berufung auf die Aphrodite ein paar Sklaven retten wollen, und statt dessen ihr ganzes Vermögen nebst ihrer persönlichen Freiheit durch Caecilius' Unfug verloren. Darauf kommt Verres nach Lilybaion; er erfährt den Vorgang, desavouiert seinen Vertreter und läßt ihn das aus dem Verkauf jener Grundstücke gewonnene Geld wieder vollständig an die Agonis auszahlen. – (57) Ich sehe euer Erstaunen: das ist ja kein Verres mehr, das ist ja ein reiner Mucius Scaevola! Mit Mucius Scaevola meint Cicero nicht den legendarischen »Linkhand« aus König Porsennas Zeit, an den man in Italien noch heute glaubt, sondern den berühmten Rechtsgelehrten aus der Zeit der Redner Crassus und Antonius. Er war als Mensch, Jurist, Bürger und Statthalter von allen in gleicher Weise verehrt; am glänzendsten bethätigt er sein Talent und seinen Charakter in der Verwaltung von Kleinasien. Er fiel im Jahre 82 als ein Opfer der Partei des Marius. Wie gewandt hat er sich benommen, wie geschickt im Interesse seines Rufes, wie rührend gut gegen die arme mißhandelte Frau, wie streng gegen den wilden Finanzrat! Dafür giebt's nur ein Wort der lebhaftesten Anerkennung. Aber siehe da: Plötzlich, wie durch einen Zaubertrank der Kirke, wird aus dem Menschen ein Eber; »Verres« bedeutet lateinisch den »Eber«; Cicero durfte sich das Wortspiel nicht entgehen lassen, ist aber taktvoll genug, es selten und nicht zu dick aufzutragen. Verres wird wieder er selbst. Sein Charakter bricht durch: das Geld fließt zum größten Teil in seine Taschen, die Frau bekommt nur eine Kleinigkeit zurück.
XVIII. (58) Willst du nun dieses Benehmen des Verres dir gegenüber als eine persönliche Kränkung bezeichnen, so geb ich's dir gerne zu; aber ist es auch eine Verletzung deines Rechtes? Nimmermehr. Schließlich müßte ja über eine dir zugefügte Rechtsverletzung niemand strenger urteilen als du, der Verletzte selbst. Du hast dich aber später mit Verres versöhnt, hast in seinem Hause verkehrt, ihn zum Abendessen eingeladen, folglich bist du entweder ein Verräter oder ein Klopffechter! Ein falscher Freund oder ein falscher Feind! Was ziehst du vor? Eines von beiden ergiebt sich notwendig, und über die Wahl will ich weiter nicht mit dir streiten.
(59) Wenn nun die angebliche Verletzung wegfällt, wie kannst du da noch beanspruchen, irgend jemand, wer es auch sei – von mir red ich gar nicht – vorgezogen zu werden? Vielleicht weil du ein Amt in Sicilien bekleidetest; denn darauf willst du dich natürlich berufen. Diese Thatsache wäre von großer Bedeutung, wenn wir darum stritten, wer mit Verres intimer befreundet ist; wir streiten aber nicht um den Grad der Freundschaft, sondern um den der Feindschaft, und da ist es lächerlich, eine enge Verbindung als Beweismittel verwerten zu wollen. (60) Denn hättest du von Verres auch Kränkungen in Masse erfahren, du würdest mehr Ehre damit einlegen sie hinzunehmen, als dich dafür zu rächen; nun hat er sich aber in seinem ganzen Leben nie wieder so korrekt benommen wie bei dieser sogenannten Verletzung, und darauf hin soll dich der Gerichtshof als berechtigt ansehen, das feste Band, das jeden Minister mit seinem Kabinettchef verknüpft, zu zerreißen? Nie giebt ein Gerichtshof das zu, erwarte für dich keine Ausnahme. Selbst wenn dir die schlimmste Behandlung zu teil geworden wäre, könntest du, als sein gewesener Quästor, nicht ganz ohne öffentliches Mißfallen sein Ankläger werden; wenn aber gar keine Verletzung vorliegt, ist die Anklage geradezu ein Verbrechen. Steht es nun um die Verletzung zweifelhaft, so wird jeder Richter, das siehst du doch wohl selbst ein, dich lieber ohne Mißfallen als mit einem Verbrechen abziehen lassen! –
XVIIII. (61) Beachte nun die gänzliche Verschiedenheit unserer Standpunkte. Du hältst deine Amtsthätigkeit für das einzige Moment, das du vor mir voraus hast; ich würde, selbst wenn du sonst in jeder Hinsicht den Vorzug verdientest (das Gegenteil ist der Fall), dieses Motiv allein für ausreichend halten, damit dir die Anklage entzogen werde. Denn so haben unsere Vorfahren uns gelehrt: der Prätor soll seinem Quästor ein zweiter Vater sein; nie gehören zwei Menschen so eng zusammen, als wenn das heilige Los und der Wille des Staates sie zur gemeinsamen Führung des Amtes in einer Provinz verbinden. (62) Hättest du also juristisch einen Grund, Verres zu verklagen, so dürftest du es doch moralisch nicht; nun willst du ohne jeden Rechtsgrund deinen Vorgesetzten in Gefahr bringen – gesteh es, du unternimmst einen nach menschlicher und göttlicher Satzung gleich ungerechten Krieg. Bedenke: du darfst nicht auf dein ehemaliges Amt hin die Erlaubnis zur Klage fordern, sondern mußt dich rechtfertigen, daß du trotz dieses Amtes Klage erhebst! Noch nie ist auch ein derartiger Klageversuch seitens eines Quästors gemacht worden, ohne zu scheitern. (63) Der Fall lag vor bei Lucius Philo gegen Gaius Servilius, bei Marcus Aurelius Scaurus gegen Lucius Flaccus, bei Gnaeus Pompeius Strabo gegen Titus Albucius; alle wurden zurückgewiesen und zwar nicht wegen persönlicher Unbrauchbarkeit, sondern nur weil der Gerichtshof einer willkürlichen Verletzung jener Pflichten prinzipiell vorbeugen wollte. Der zuletzt genannte Fall ist dem unsrigen ganz analog; Gnaeus Pompeius stand gegen Gaius Julius wie du gegen mich; er war bei Albucius Quästor gewesen wie du bei Verres; Gaius Julius hatte den gerechten Anspruch, weil ihn die sardinischen Abgeordneten um die Führung des Prozesses ersucht hatten, wie mich die von Sicilien. Dieses Moment hat zu allen Zeiten am meisten Gewicht gehabt; es ist der ehrenvollste Anlaß zur Klage, wenn man zum Schutz einer Provinz, einer verbündeten Nation seine Arbeitskraft, sein Wollen und Können, ja seine ganze eigene Sicherheit einsetzt. (64) Schon wer auf persönliche Mißhandlung hin klagt, also doch nur aus eigenem Leide, nicht aus Interesse für den Staat, ist in seinem guten Recht; wer sich gar ohne irgend ein eigenes Rachegefühl allein von den Leiden unserer politischen Freunde bewegen läßt, also die bei weitem vornehmere Aufgabe übernimmt, der verdient nicht nur Zustimmung, sondern allgemeinen Dank. Als kürzlich im Prozesse des Publius Gabinius unser trefflicher Lucius Piso die Anklage übernehmen wollte, meldete sich ein gewisser Caecilius und verlangte sie für sich: aber Piso wirkte nicht nur durch seinen Namen und Charakter, sondern hauptsächlich als der erkorene Schutzherr von Achaia. (65) Es versteht sich ja auch von selbst, daß, wo das ganze Erpressungsgesetz eben zum Schutz unserer Bündner da ist, der von ihnen gewählte Vertreter ihrer Interessen am kräftigsten für Gesetz und Recht kämpfen wird. Oder soll man sich auf einen Ehrentitel berufen, aber nie versuchen dürfen, mit seiner Hilfe etwas durchzusetzen? Welcher Ehrentitel ist nun glänzender: »Ich klage wider meinen nächsten direkten Vorgesetzten, mit dem ich als Beamter nach Sitte und Recht, Schicksal und Gewissen zusammen gehöre« oder »ich klage auf Bitten unserer Freunde und Bündner, gewählt von der ganzen Provinz, ihr zu Recht und Billigkeit zu verhelfen!« Der eine Quästor klagt im Interesse der Leute, bei denen er sein Amt verrichtete, der andere klagt gegen seinen Prätor; welcher benimmt sich anständiger? –
(66) In Roms besten Tagen haben unsere erlauchtesten Männer ihren Stolz und ihre Ehre darein gesetzt, auswärtige Freunde und ebenso die ausländischen, dem Schutze Roms überlassenen Nationen vor Unbill zu schützen und in ihrem Wohlstande zu erhalten. Kein Geringerer als der weise Cato hat sich mit einer Menge einflußreicher Personen überworfen, um den Spaniern, die er von seinem Konsulat her kannte, vor Gericht Hilfe zu leisten. (67) Noch ist es nicht lange her, da zog Gnaeus Domitius den Marcus Silanus zur Rechenschaft, weil er einen einzigen Menschen aus befreundeter Familie, einen gewissen Aegritomar infam behandelt hatte. XXI. Nichts kann nun einen rechten Unheilstifter mehr erbittern, als daß wir jetzt diese schöne Sitte früherer Generationen nach langer Pause wieder in Aufnahme bringen; wenn die Bündner sich beschweren, werden sie nicht mehr an den ersten besten, der nicht zu reden versteht, gewiesen, sondern von einem zuverlässigen und sorgfältigen Anwalte verteidigt. (68) Das macht den Menschen Angst; da wühlen sie nun dagegen, daß nur ja dieser Brauch nicht aufkomme oder vielmehr nicht wiederkehre. Sie fürchten, wenn er erst zur Regel wird, dann wird die gesamte Rechtspflege anständig und energisch ausgeübt, nicht mehr von grünen Jungen oder Winkelkonsulenten. (69) Unsere Väter bedauerten den Brauch durchaus nicht, als Publius Lentulus, damals der erste in der Senatorenliste, im Verein mit Gaius Rutilius Rufus den Manius Aquilius verklagte, oder als der unvergleichliche Scipio Africanus, der schon zweimal Konsul und Censor gewesen war, den Lucius Cotta vor Gericht lud. Damals genoß die römische Rechtspflege den höchsten Ruhm, man hielt aller Orten das Recht für die gewaltigste Stütze unseres Staates. Gewiß wird niemand bei dem großen Africanus einen Schritt wunderlich finden, über den man sich jetzt bei meiner Wenigkeit – angeblich wundert, in Wahrheit ärgert. (70) »Was fällt ihm ein,« rufen sie, »will der Verteidiger jetzt plötzlich zum Kläger werden? Und noch dazu in diesem Alter? Er bewirbt sich ja schon um das Polizeipräsidium!« Cicero erhielt dieses Amt noch in demselben Jahre. – Man beachte, daß der Schluß der Rede, nach Erledigung der Beispiele aus der Vergangenheit, auf den Anfang zurückgreift, nämlich auf das Motiv, daß der nur an Verteidigungen gewöhnte Advokat sich zu seinem Bedauern gezwungen sieht, Kläger zu werden. Diese formelle Abrundung der Rede erhöht ihren momentanen Effekt wie ihren Kunstwert innerhalb des Genres außerordentlich. – Ich finde dagegen, daß man in meinem oder auch in sehr viel höherem Alter und in jeder amtlichen Stellung die Gemeinheit verfolgen und das Elend lindern kann. Einem schwerkranken, nahezu aufgegebenen Staatsorganismus hilft dies Heilmittel oder keines; wo die Gerichtshöfe bestochen und durch die Nichtswürdigkeit einzelner Schurken entehrt werden konnten, müssen nur die anständigsten, bewährtesten Juristen die Rechtspflege in die Hand nehmen, sonst ist alles verloren. (71) Anderseits ist es ein Zeichen gesunder Verhältnisse, wenn der Kläger jedesmal seine moralische Existenz aufs Spiel setzen muß, wie der Beklagte sein materielles Dasein; die tüchtigsten Ankläger waren ja auch immer diejenigen, die das Gefühl hatten, es handle sich um ihren eigenen guten Ruf. Bei der Bedeutung der Eloquenz für das antike Leben setzte der Redner in jedem Prozesse viel mehr ein als jetzt; er setzte buchstäblich seine Persönlichkeit ein und durfte sich daher wirklich wie ein Offizier in der Schlacht vorkommen; es ist wichtig, daß Cicero dies Verhältnis klar erkannte.
XXII. Aus alledem muß der Gerichtshof die Folgerung ziehen: Quintus Caecilius, über den sich bisher überhaupt noch keine öffentliche Meinung gebildet hat und der auch in der bevorstehenden Verhandlung keinerlei Interesse erregen kann, der weder einen guten Ruf zu erhalten, noch irgend eine Hoffnung auf seine Zukunft zu bestärken hat – der wird einen solchen Prozeß wahrlich nicht mit der nötigen Schärfe, Energie und Gewissenhaftigkeit führen. Er hat im Fall einer Blamage nichts zu verlieren; sollt er mit Schimpf und Schande abziehen, so braucht er nichts zurückzuerobern. (72) Von mir dagegen hält Rom so manches moralische Pfand in Händen und ich muß all meine Kraft einsetzen, um es mit Ehren einzulösen. Ein solches Pfand ist die Bewerbung um ein hohes städtisches Amt; oder die Hoffnung auf meine weitere Entwicklung; oder ein mit saurer Arbeit bei Tag und Nacht mühsam erworbener Ruf. Dies alles wird Rom mir sicher erhalten und fördern, wenn ich im vorliegenden Prozesse mein Wollen und Können bewähre; passiert mir dagegen nur das kleinste Mißgeschick, der unscheinbarste Fehltritt, so ist es vorbei, und alles, was langsam Stück für Stück gesammelt war, ist mit einem Schlage für immer verloren. (73) Ihr, meine Herren, möget nach eigener Wahl entscheiden, wer zu diesem mächtigen Prozeß die nötige Einsicht, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Stellung mitbringt. Zieht ihr mir den Caecilius vor, so kann ich doch nicht annehmen, daß er mir an Wert überlegen sei; Rom aber – dürfte in diesem Falle annehmen, daß eine so ehrenhafte und sachgemäße Anklage euch und eurem ganzen Stande nicht eben erwünscht kommt; danach möget ihr euch einrichten.