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Der Anklage zweiter Teil. Die Gerichte in Sicilien

I. (1) Hoher Gerichtshof!

Notwendigerweise muß ich vieles beiseite lassen, um endlich einmal auf die Vorgänge kommen zu können, deren Darstellung meiner Sorge anvertraut worden ist. Ich habe die Sache Siciliens übernommen; die Provinz hat mich zu diesem Auftrag herangezogen. Wenn ich aber diese Last auf mich nahm und die Initiative Siciliens ergriff, so verfolgt' ich damit im Grunde meiner Seele noch ein höheres Ziel. Ich trat ein für den gesamten Senatorenstand, ja für das Wohl des Staates, weil ich erst dann einen gerechten Urteilsspruch für möglich hielt, wenn nicht nur ein wirklicher Bösewicht auf die Anklagebank geschleppt würde, sondern auch ein gewissenhafter und wohlgerüsteter Kläger vor den Schranken erschiene. (2) Um so eiliger muß ich auf die sicilianischen Angelegenheiten kommen und die übrigen Gauner- und Schurkenstreiche des Angeklagten übergehen, um mit möglichst frischen Kräften arbeiten und über genügende Zeit für meinen Vortrag verfügen zu können.

Bevor ich über Siciliens Leiden spreche, glaub' ich ein paar Worte über Alter, Wert und Bedeutung der Provinz vorausschicken zu müssen. Denn eure Pflicht, meine Herren, ist es, auf die Lage aller Bundesgenossen und Provinzen genauestens Rücksicht zu nehmen, namentlich aber auf Sicilien, und zwar aus zahlreichen triftigen Gründen, schon weil unter allen Ausländern die Sicilianer die ersten waren, die sich dem Schutz und der Freundschaft des römischen Volkes vertrauensvoll überantworteten. Dies klingt so, als hätten sich die sicilianischen Griechen aus freien Stücken dem römischen Reich überantwortet. Aber wenn man an die langwierige Belagerung von Syrakus durch Marcellus denkt, an die entsetzlichen Greuel, welche die Eroberung im Jahre 212 begleiteten, an das »Meer von Jammer und Elend«, das ihr folgte, so darf man wohl zum mindesten an die bekannte Freiwilligkeit erinnern, mit der ein Einjähriger sein Jahr abdient. Der Stolz unseres Reiches, der Name »Provinz« fand zu allererst auf Sicilien Anwendung, Sicilien hat unsere Ahnen belehrt, wie herrlich es ist, über Völker des Auslandes zu regieren; Sicilien allein hielt mit solcher Treue und Ergebenheit zum römischen Volke, daß die Gemeinden dieser Insel, welche sich einmal mit uns verbündet hatten, nie wieder abgefallen sind, die meisten und hervorragendsten aber uns jederzeit ihre freundschaftliche Gesinnung bewiesen. (3) So bedeutete diese Provinz für unsere Vorfahren die Schwelle zur Herrschaft über Afrika. Karthago mit seiner ungeheuren Macht wäre nicht sobald in Trümmer gesunken, wenn wir nicht an Sicilien ein unerschöpfliches Getreidemagazin für unsere Mannschaften und einen stets offenen Hafen für all' unsere Flotten besessen hätten. II. Darum hat denn auch Scipio Africanus nach der Zerstörung Karthagos die sicilianischen Städte mit den schönsten Statuen und Denkmälern geschmückt, um dort, wo er den größten Jubel über Roms Waffenerfolge bemerkte, die zahlreichsten Denkzeichen zur Erinnerung an diesen Sieg aufzustellen. Das heißt: er gab ihnen einige Statuen zurück, die von den Karthagern geraubt waren. (4) Endlich Marcus Marcellus, gerad' er, der in Sicilien seine Kraft an den Feinden, seine Milde an den Besiegten, seine Seelenreinheit an den übrigen Einwohnern bewährte – er hat in jenem Kriege nicht nur für unsere Verbündeten gesorgt, sondern auch unsere überwundenen Feinde verschont. Von dem Sieger Marcellus macht Cicero in den folgenden Reden ausgiebigen Gebrauch, und von seiner Milde weiß er viel zu erzählen. Nun kann man ja den Oberfeldherrn nicht für alle Zügellosigkeiten einer rohen Soldateska und auch nicht für die Gewohnheiten seiner Zeit verantwortlich machen; auch hatte man für Statuen damals in Rom keinen Sinn, so daß man wohl eine Menge einstweilen stehen ließ; aber recht vieles muß man doch auch der tendenziösen Färbung des Advokaten zu gute halten, der zudem wieder das Mittel anwendet, seinen Gegner durch den Vergleich mit einem berühmten Altrömer lächerlich erscheinen zu lassen. Daß Marcellus den Syrakusanern die Wohnsitze auf einem großen und wichtigen Teil ihrer Stadt verbot und ihr mit der politischen auch die kommerzielle Bedeutung nahm, ist bekannt; noch bekannter freilich die Anekdote vom Tode des Archimedes. Der geniale Mathematiker, der geistvolle Schriftsteller, der Freund der Könige, der unerschöpflich erfinderische Ingenieur, der als praktischer Artilleriekommandeur die Verteidigung seiner seit Dionysios großartig befestigten Vaterstadt zur Verzweiflung der Belagerer geleitet hatte und von der Wissenschaft zu allen Zeiten als einer ihrer größten Vertreter gefeiert wurde – er soll in seinem Hause von einem römischen Soldaten getötet worden sein, dem er zurief, er sollt' ihm doch nicht die mathematischen Figuren stören, die er gerade sinnend mit dem Stab auf den Boden zeichnete. Das heißt in nüchterne Prosa übersetzt: Archimedes wurde abgeschlachtet wie Hunderte von anderen friedlichen Bürgern auch; aber dieser Mord kam nachher doch selbst den Römern oder vielmehr einigen Ausnahmemenschen in Rom, gar zu arg vor, und sie suchten die unableugbare Thatsache durch eine Anekdote zu bemänteln, die ebenso plump, frech und geschmacklos erfunden ist wie die Legenden von den sieben Königen und die meisten übrigen römischen Geschichtsfälschungen. – Syrakus fiel bekanntlich durch Verrat; dies sagt Cicero nicht. Dagegen spricht er die Wahrheit, wenn er versichert, daß dort die Römer zuerst erfuhren, wie süß es schmeckt, über Ausländer zu herrschen und die civilisierten Fremden für sich arbeiten zu lassen. Die Folgen sieht man noch heute: die Römer und nur die Römer sind daran schuld, daß die blühende, kunstreiche, lebensfrische Millionenstadt, von der Cicero selbst später eine uns wahrhaft phantastisch anmutende Beschreibung giebt, bis auf einige Säulenstümpfe und Mauerzüge wie weggeblasen vom Erdboden erscheint und an ihrer Stelle eins der erbärmlichsten Nester des modernen Italien sein kümmerliches Dasein fristet. Als er die wunderschöne Stadt Syrakus, die durch Menschenhand aufs großartigste befestigt, Trotz aller Zerstörungen sind die erhaltenen Reste dieser Mauern so imposant, daß sie das sprechendste Bild von altsyrakusanischer Aktivität und vom Geiste des durch Cicero und Schiller zum Popanz gewordenen »Tyrannen« Dionysios geben. – Es verdient übrigens bekannt zu werden, daß, als Kaiser Wilhelm II. im April 1896 Syrakus besuchte, der vortragende Antiquitätendirektor den fremden Monarchen zwar zu den Münzen, Topfscherben und Terrakottasächelchen des kleinen städtischen Museums führte, die sich mit den gleichartigen »Schätzen« Neapels oder Berlins natürlich nicht im entferntesten vergleichen können, nicht aber zu jenen grandiosen Mauerzügen, die mit ihrer soliden Konstruktion, ihren Gräben, Verbindungsgängen, Ausfallthoren, Wachttürmen, Zinnen und Krönungen vom militärischen und ästhetischen Gesichtspunkte ebenso bedeutend erscheinen wie vom künstlerischen oder historischen. überdies durch ihre unvergleichliche Lage von Natur gegen Angriffe zu Wasser und zu Lande geschützt war, mit stürmender Hand und klugem Plan eroberte, da ließ er sie nicht nur unzerstört sondern mit so reichem Schmucke stehen, daß es ein Denkmal zugleich seines Sieges wie seiner Milde und Enthaltsamkeit war; die Menschheit sollte sehen, was er erobert, wen er verschont und was er unberührt gelassen. So hohe Ehre erwies er dem Lande Sicilien, daß er selbst eine feindliche Stadt nicht aus der Insel unserer Bündner vertilgt wissen wollte. (5) Infolgedessen stand uns diese Provinz für unsere Zwecke in einer Weise zur Verfügung, daß wir all' ihre Erzeugnisse nicht als in ihrem Schoß entstanden, sondern schon als in unserem Hause geborgen ansehen durften. Wann hätte sie je die schuldigen Kornlieferungen nicht pünktlich auf den Tag geleistet? wann hätte sie sich jemals einer Auflage widersetzt? hat sie nicht vielmehr alles, was sie für uns wünschenswert glaubte, stets freiwillig versprochen? Darum hat jener Marcus Cato, der den Beinamen des Weisen führte, Sicilien als die Kornkammer unseres Staates, als die Ernährerin von Roms Bevölkerung bezeichnet. Wir selbst aber machten in dem furchtbar langen und schweren italischen Kriege die Erfahrung, daß wir an Sicilien nicht allein eine Kornkammer, sondern eine im Sinne der Väter reichgefüllte Schatzkammer besaßen. Denn ohne uns irgend welche Kosten zu verursachen, bot sie uns jederzeit Leder, Kleidungsstücke und Getreide, kurz, ausreichendes Material, um unsere gewaltigen Heere zu bekleiden, zu ernähren und zu bewaffnen. III. (6) Ich bitt' euch, meine Herren, bedenket doch nur einmal die ganze Bedeutung solcher Umstände, von denen wir vielleicht unmittelbar gar nichts merken! Wir zählen nicht wenige begüterte Männer unter unseren Mitbürgern; sie alle haben eine nahegelegene, uns treu zugethane, von Natur mit Fruchtbarkeit gesegnete Provinz zu ihrer Verfügung, in die sie leicht hinüberfahren können, um nach Bequemlichkeit Geschäfte zu unternehmen; bald bietet ihnen das Land seine Waren und läßt sie mit reichem Gewinn davonziehen, bald behält es sie an der eigenen Erde zurück, so daß sie nach Belieben Ackerbau, Viehzucht und Handel treiben, ja schließlich eigene Wohnsitze aufschlagen und sich dauernd niederlassen können. Wahrlich, das ist kein kleiner Vorteil für einen Staat, wenn so viele seiner Bürger so nah an der Heimat so gute und fruchtbringende Beschäftigung finden. (7) Und da nun unsere Zolleinnahmen und Provinzen für das römische Volk gewissermaßen etwas wie ein Landgut bedeuten, so geht es dem Volke wie dem einzelnen Menschen: gerade wie ihr an euren nächsten Landsitzen die größte Freude habt, so ist dem römischen Volke die Lage dieser Provinz in der Nähe der Reichshauptstadt von Herzen angenehm.

Soviel über das Land; was nun die Leute selbst betrifft, die es bewohnen, so besitzen sie im höchsten Grade Geduld, Kraft und Mäßigkeit, so daß sie sich am meisten unserer römischen Art zu nähern scheinen, freilich jener alten strengen Art, die unseren Ahnen nachgerühmt wird, und nicht der ganz anderen, die jetzt modern geworden ist. Da findet ihr keinerlei Ähnlichkeit mit den übrigen Griechen, nichts von Trägheit oder Neigung zur Schwelgerei; im Gegenteil, die äußerste Arbeitsamkeit für private wie für öffentliche Angelegenheiten, überall die äußerste Sparsamkeit und Sorgfalt. Endlich hegen sie eine solche Liebe zu den Leuten unseres Stammes, daß man sagen kann, sie sind die einzigen, bei denen weder der Staatspächter noch der Handelsmann gehaßt wird. (8) Gar häufig hatten sie unter der rohen Faust unserer Beamten zu leiden; aber alle diese Unbilden ertrugen sie mit einer Geduld, die sich am besten darin zeigte, daß sie bis auf diesen Tag nicht ein einziges Mal auf Gemeindebeschluß zum Altar der Gesetze und zu eurem Schutz ihre Zuflucht nahmen. Hielten sie doch selbst die grenzenlose Herrschaft des Marcus Antonius aus, ebenso ein andermal das Jahr, das sie derartig mitnahm, daß ein Wiederaufkommen unmöglich gewesen wäre, Gemeint ist das Jahr 80, in welchem der Prätor Marcus Lepidus Sicilien verwüstete; er wurde später von zwei Brüdern Metellus angeklagt, aber – diesmal nicht mittels bestochener Richter, sondern wegen seiner Beliebtheit beim »Volke« – freigesprochen. Deshalb nennt auch Cicero seinen Namen nicht und geht überhaupt möglichst flüchtig über diese Episode hinweg, die ihm als ein Präzedenzfall für Verres hätte recht gefährlich werden können. Man sieht es: der Prozeß war in dieser Zeit weniger ein Rechtskampf als ein Hasardspiel. hätte ihnen nicht eine Fügung des Schicksals den Gaius Marcellus beschert, so daß Siciliens Rettung vor dem Untergange zweimal durch dieselbe Familie herbeigeführt wurde. So hatten es die Sicilianer von ihren Vorfahren gehört: Roms Wohlthaten gegen sie waren so groß gewesen, daß sie selbst ungerechte Behandlung seitens unserer Beamten ertragen zu müssen glaubten. Wie es in Wahrheit aussah, bezeugen die wiederholten, entsetzlich blutigen Revolutionen, deren Herd Sicilien war.

(9) Nie haben ihre Gemeinden bis auf unseren Fall gegen jemanden öffentlich Zeugnis abgelegt; auch unseren Angeklagten hätten sie schließlich noch verwinden können, wenn er nur auf menschliche Weise, nach dem Brauche seiner Vorgänger, kurz, wenn er auf irgend einem vereinzelten Gebiete gefrevelt hätte. Aber da seine Schwelgerei, Grausamkeit, Habgier und Ungerechtigkeit jedes Maß überstieg, da die Sicilianer all' ihre Vorteile, Rechte, alle Wohlthaten der römischen Reichsregierung durch die Zügellosigkeit eines einzigen Verbrechers eingebüßt hatten, so faßten sie den Entschluß, entweder die Missethaten dieses Menschen durch eure Anrufung zu rächen und zu strafen, oder aber, falls ihr sie eurer thatkräftigen Unterstützung für unwürdig befinden solltet, ihre Städte und Wohnsitze zu verlassen, wie sie ihre Äcker und Felder schon vorher unter der Geißel des Wüterichs verlassen hatten. IIII. (10) Nach solchem Entschlusse wandten sich Abgeordnete ihrer sämtlichen Gemeinden an Verres' Nachfolger Lucius Metellus mit der Bitte, seine Statthalterschaft doch recht bald anzutreten; in solcher Gesinnung klagten sie immer wieder bei den Schützern über ihre Not; von solchem Schmerz erfüllt übergaben sie den Konsuln ihre Forderungen, die nicht wie Forderungen, sondern wie vernichtende Belastungsmomente gegen Verres erschienen. Auch mich, dessen Zuverlässigkeit und Zurückhaltung sie kennen gelernt hatten, brachten sie durch ihre verzweifelten Klagen fast aus dem Gleichgewichte meines Lebensganges; sie setzten es durch, daß ich die Klage gegen diesen Menschen übernahm, was meiner Natur und Neigung im innersten widerwärtig war (obgleich ich in diesem Prozeß weit mehr als Verteidiger denn als Ankläger zu wirken glaube); (11) endlich kamen aus der ganzen Provinz die vornehmsten Leute teils im Auftrag ihrer Mitbürger, teils auf eigene Faust nach Rom, und die bedeutendsten Gemeinden verfolgten ihre Ansprüche mit der größten Heftigkeit.

Aber in welcher Weise sind sie nun hier aufgetreten? – Es kommt mir bereits vor, als müsse ich für die Sicilianer mit größerem Freimut sprechen als sie vielleicht selber wünschen; denn ich will nicht für ihre Absicht, sondern für ihre Rettung kämpfen. Niemals, denket euch, niemals und in keiner Provinz ist ein Angeklagter in seiner Abwesenheit mit solchen Mitteln und solchem Eifer gegen die Nachforschungen des Klägers in Schutz genommen worden. Die Quästoren, die dem Prätor Verres in beiden Teilen der Provinz beigegeben waren, traten mit allen Mitteln ihrer Amtswürde wider mich auf. (12) Als sie abgelöst wurden, gaben sich ihre Nachfolger die größte Mühe um ihn, wurden aus seiner Küche reichlich gemästet und zeigten sich gegen mich nicht minder bösartig als ihre Vorgänger. Da seht seine Macht: vier Quästoren in einer Provinz machten sich zu seinen eifrigsten Verteidigern und Vorkämpfern, dazu war ihm ein Prätor nebst seinem ganzen Gefolge derartig dienstergeben, daß man leicht einsehen konnte, ihre Provinz, auf deren Ertrag sie spekulierten, war in Wahrheit nicht die Insel Sicilien, die mit leeren Feldern ihren Angriffen zum Opfer fiel, sondern der Prätor Verres, der mit vollen Taschen das Weite suchte. Sie erhoben Drohungen gegen die Sicilianer, falls sie Abgeordnete zu Verres' Belastung nach Rom zu schicken beschlössen; sie drohten ihnen weiter für den Fall, daß die Abgeordneten die Reise anträten; anderseits wurden ihnen glänzende Versprechungen gemacht für den Fall, daß sie sich anerkennend über ihn äußerten; die gewichtigsten Zeugen für jene Vorgänge privater Natur, die ich nur in ihrer Gegenwart zur Anzeige bringen könnte, wurden mit Gewalt zurückgehalten und strenge bewacht.

V. (13) Trotz des Aufgebotes aller dieser Mittel hat nur eine einzige Gemeinde, die der Mamertiner Es ist dies die einzige lateinische Gemeinde in Sicilien: die griechische Bevölkerung Messanas war von den »Marsknechten« überfallen und ausgerottet worden. So erklärt sich ihre Sonderstellung leicht; von ihrem Verhältnisse zu Verres wird später in der Statuenrede ausführlich gesprochen. von Messana, eine Anerkennungsadresse für Verres amtlich durch Abgeordnete nach Rom geschickt. Nun hat aber der Vorsitzende dieser Gesandtschaft, der Edelmann Gaius Heius, vor euren Ohren eidlich ausgesagt, daß in Messana ein gewaltiges Transportschiff mit amtlich gedungenen Arbeitskräften für Verres gezimmert wurde; derselbe Mamertiner, abgeordnet von seiner Gemeinde zur Anerkennung des Verres, erzählte auch, daß dieser ihm nicht nur seinen sonstigen Besitz, sondern auch die Heiligtümer und die von den Voreltern ererbten Schutzgötter seines Herdes aus dem Hause gerissen hatte. Herrliche Lobrede das, wenn die Abgeordneten gleich zweierlei Aufgaben mit einem Male erledigen können, die Anerkennung und die Schuldklage! – Warum aber die Mamertinergemeinde als solche mit Verres in so gutem Einvernehmen steht, das hat seine bestimmten Gründe, die ich gelegenen Ortes vortragen werde. Als Resultat wird sich euch ergeben, daß die Motive, welche die Mamertiner zum Wohlwollen gegen ihn bestimmten, völlig ausreichen – zu seiner Verurteilung. Im übrigen hat ihm keine einzige Gemeinde amtlich ein anerkennendes Zeugnis ausgestellt. (14) Die ganze Macht jener höchsten Regierungsgewalt hat gerade so viel bei ein paar Menschen (nicht etwa bei ein paar Gemeinden!) vermocht, daß sich einige unbedeutende Personen aus ganz heruntergekommenen, verödeten Nestern fanden, die gegen den Willen ihrer Mitbürger und Behörden abreisten, oder daß anderseits die zu Verres' Belastung mit amtlichem Auftrag und offiziellen Zeugnissen abgesandten Persönlichkeiten durch Gewalt oder Drohungen zurückgehalten wurden. Daß dies Verfahren schließlich doch bei einigen Wenigen Erfolg hatte, bedauert' ich weiter nicht, weil auf diese Weise die übrigen an Zahl, Umfang und Wert so bedeutenden Gemeinden, überhaupt ganz Sicilien um so mehr Eindruck auf euch machen mußte; konntet ihr euch doch mit eigenen Augen davon überzeugen, daß keine Gewalt die Leute zurückhalten, keine Gefahr sie verhindern konnte, die Probe zu wagen, ob ihr ein Ohr hättet für die Beschwerden unserer ältesten und treuesten Bundesgenossen.

(15) Denn wenn vielleicht einer oder der andere unter euch gehört hat, auch die Gemeinde Syrakus habe sich amtlich anerkennend über Verres ausgesprochen, so hat euch ja beim ersten Termin der Zeuge Herakleios über den Charakter dieser Anerkennung belehrt; indes will ich euch auch noch bei späterer Gelegenheit darlegen, wie sich die ganze Sache mit der Gemeinde Syrakus verhält. Ihr werdet daraus ersehen, daß kein Mensch einem anderen jemals so verhaßt war oder ist wie Verres den Bewohnern von Syrakus.

VI. Vielleicht wendet man mir ein: »nur die Sicilianer verfolgen ihn, dagegen sind die römischen Bürger, die in Sicilien Handel treiben, ihm wohlgesinnt, verteidigen ihn, wünschen seine Rettung.« Erstlich, gesetzt auch, es wäre so: in diesem Falle, wo es sich um Erpressungen handelt und folglich ein eigens zum Schutze der Bündner eingerichtetes Verfahren mit besonderen für sie gegebenen Gesetzen zur Anwendung kommt, müßtet ihr durchaus die Klagen der Bündner anhören. (16) Aber es ist gar nicht wahr; bei unserem ersten Termine habt ihr es erlebt, daß eine Menge hochachtbarer Römer aus Sicilien über die wichtigsten Dinge Zeugnis ablegte: teils war ihnen selber schweres Unrecht geschehen, teils wußten sie, daß es anderen widerfahren war. Ihr könnt es mir aufs Wort glauben, meine Herren, und ich werd' es euch noch beweisen: ich glaube wohl den Sicilianern nach Wunsch zu handeln, indem ich mit eigener Mühe und Gefahr das ihnen widerfahrene Unrecht verfolge; aber ich weiß auch, daß ich in nicht geringerem Grade unseren eigenen Mitbürgern damit nach Wunsch handele, denn sie sind überzeugt, daß die Rettung ihrer Rechte und Freiheiten, ihres Besitzstandes und ihrer Erwerbsquellen gleichbedeutend ist mit der Verurteilung des Verres. (17) Deshalb hab' ich gar nichts dagegen, daß ihr meinen Bericht über seine Statthalterschaft in Sicilien von dem Grundsatz aus anhöret, den Angeklagten zu schonen, falls er jemandem Gutes erwiesen; wenn irgend eine Kategorie von Menschen (seien es Sicilianer oder unsere Mitbürger), wenn irgend ein Stand (seien es Ackerbauer oder Viehzüchter oder Kaufleute) ihm ihre Sympathie bekundet, wenn er nicht für sie alle der gemeinsame Feind und Halsabschneider gewesen ist, dann möget auch ihr ihn verschonen.

Sobald ihm durch das Los die Provinz Sicilien zugefallen war, fing er, noch bevor er sich einschiffte, gleich in Rom und dessen Umgegend an, bei sich selbst und in Beratungen mit seinen Freunden zu überlegen, auf welche Weise er in jener Provinz binnen eines Jahres möglichst viel Geld machen könnte. Er wollte nicht erst bei der Arbeit lernen, obgleich er wahrlich nicht als unerfahrener Anfänger in seine Provinz kam; vielmehr wünscht' er wohlausgerüstet mit überlegtem Plan an sein Räuberhandwerk zu gehen. (18) Vorzüglich paßte auf jene Provinz die Bemerkung des Volkes, das in fortwährenden Witzen und Redensarten die Vorbedeutung, die in seinem Namen lag, betonte und daraus aus seine bevorstehende Thätigkeit als Statthalter Schlüsse zog! Denn wer mit seiner Vergangenheit Bescheid wußte, seiner Desertion und Kassenunterschlagung in der Quästur, seiner Massenräuberei in den Tempeln und Städten des Ostens, seinen Gaunerstreichen in der hauptstädtischen Gerichtsbarkeit – wie konnte der an dem Verlaufe des vierten Abschnittes dieser Verbrecherlaufbahn zweifeln? VII. Und damit ihr sehet, daß er schon zu Rom nicht nur die Gebiete, sondern auch die Vorwände für seine Diebstähle suchte, so lasset euch einen unwiderleglich beweisenden Vorgang erzählen, der euch das Urteil über seine ganz beispiellose Unverschämtheit aufs beste erleichtern wird.

(19) Am Tage, wo er in Sicilien landete – jetzt sehet, ob er genügend vorbereitet in die Provinz kam, um aus jenen volkstümlichen Scherzen Ernst zu machen! – schickt er sofort aus Messana einen Brief nach Alaisa; dieser Brief (offenbar noch auf dem Festlande geschrieben, denn Verres gab ihn sogleich ab, sobald er das Boot verlassen) enthielt den Befehl, Dion von Alaisa sollte unverzüglich zu ihm kommen, er wünsche das Nähere über eine Erbschaft zu erfahren, die Dions Sohne von einem Verwandten Namens Apollodoros Laphyron zugefallen wäre. (20) Es handelte da sich um eine mächtige Summe, meine Herren. Hier steht jetzt der junge Dion, er, der neuerdings durch Quintus Metellus' Verwendung zum römischen Vollbürger geworden ist; seine Angelegenheit ist euch bei unserem ersten Termine durch die Aussagen vieler Zeugen ersten Ranges und durch zahlreiche Schriftstücke klargelegt worden: es ergab sich, daß er eine Million Sesterzen bezahlte, um bei Verres zu seinem Rechte zu gelangen und zwar in einer Sache, wo auch nicht der leiseste Zweifel obwalten konnte; es ergab sich außerdem, daß seine Herden edelster Rassepferde weggetrieben und alles, was sich an Silbergerät und kostbaren Teppichen in seinem Hause vorfand, geplündert wurde, daß also Quintus Caecilius Dio eine Million verlor, aus keinem anderen Grunde, als weil er eine Erbschaft gemacht hatte. (21) Und wer war Prätor, als dem jungen Dion diese Erbschaft zufiel? derselbe, unter welchem Annia, des Senatoren Annius Tochter, und ebenso der Senator Marcus Ligur in den gleichen Fall kam, nämlich Gaius Sacerdos. – So, und damals hatte niemand dem Dion Schwierigkeiten bereitet? – Nicht im geringsten, so wenig wie man den Ligur belästigte, so lange Sacerdos Prätor war. – Aber wer hat denn dem Verres die Sache angezeigt? – Niemand; wenn ihr nicht etwa denkt, daß ihm gleich an der Meerenge von Messana einige Prozeßschwindler entgegenkamen. VIII. Nein, noch während seines Aufenthaltes in Rom hatt' er gehört, einem gewissen Dion in Sicilien sei eine sehr große Erbschaft zugefallen, der Erbe sei angewiesen worden, einige Statuen auf dem Markte der Stadt errichten zu lassen, widrigenfalls er eine Geldstrafe an den Tempelschatz der Aphrodite auf dem Berge Eryx zu zahlen habe. Die Statuen wären zwar auf seine ausdrückliche Verfügung hin errichtet worden; indessen, so dachte Verres, da der Name der Göttin mit hineinspielt, so würd' er schon einen Vorwand zur Schikane finden. (22) So schiebt er einen Menschen vor, der im Namen der Aphrodite vom Eryx Anspruch auf die Erbschaft erheben sollte. Sonst war es in solchem Falle die Sache des Quästors, zu dessen Amtsbezirk der Berg Eryx gehört, derartige Ansprüche zu erheben; aber Verres kehrt sich nicht daran, für ihn besorgt es nicht der Quästor, sondern ein gewisser Naevius Turpio, sein Laufbursch und Agent, der erbärmlichste Professionsankläger unter allen Römern in Sicilien, ein Mensch, der zu Gaius Sacerdos' Zeit schon einmal wegen Betruges verurteilt worden war. Die Sache lag ja auch so, daß der Prätor selbst, der hier einen Schwindler suchte, einen einigermaßen anständig auftretenden Schwindler gar nicht auftreiben konnte. So kam es zum Prozesse, dessen weiteren Verlauf man kennt. Verres mußte den Dion freisprechen, aber das galt nur gegenüber der Göttin; für sich verurteilt er ihn. Offenbar wollt' er lieber Menschen als Götter sündigen lassen; er zog es vor, selber dem Dion wegzunehmen, was er nicht durfte, als daß der Aphrodite gespendet wurde, was man ihr nicht schuldig war.

(23) Wozu brauch' ich jetzt noch das Zeugnis des Sextus Pompeius Chloros vorlesen zu lassen? Er hat Dions Prozeß geführt, hat alles mit angesehen, verdient als Mensch die höchste Achtung, ist um seiner Verdienste willen schon lange mit dem römischen Bürgerrecht beschenkt worden, übrigens einer der vornehmsten Leute in ganz Sicilien. Ferner ist der ganze Vorgang mit Dions Geld bezeugt durch Quintus Caecilius Dio selbst, diesen edlen, bescheidenen Mann; ferner durch Lucius Caecilius, Lucius Ligur, Titus Manlius und Lucius Calēnus. Außerdem erklärte Marcus Lucullus, er habe zu Dion im Verhältnisse der Gastfreundschaft gestanden und durch diesen Verkehr seine Leiden schon früher erfahren. (24) So! also Lucullus, der sich damals in Makedonien aufhielt, lernte diese Vorgänge besser kennen als du, Hortensius, der du in Rom warest! Dabei hat sich Dion zu dir geflüchtet, und du hast dich über seine Leiden in deiner Korrespondenz mit Verres aufs bitterste beklagt. Ist dir das alles neu und unerwartet? vernehmen deine Ohren diese Klage jetzt zum erstenmal? hast du nichts von Dion selbst gehört, nichts von deiner Schwiegermutter, der verehrten Frau Servilia, die seit Jahren mit Dion verkehrte? Mußt du nicht zugeben, daß meine Zeugen vieles nicht wissen, was du weißt? und daß du im vorliegenden Fall mein Zeuge sein müßtest? Was dich daran verhindert, ist eben nicht die Unschuld des Angeklagten, sondern deine gesetzliche Ausnahmestellung. – Bitte die Aussagen der Zeugen Lucullus, Chloros und Dion vorzulesen.

[Es geschieht.]

VIIII. Was meint ihr, ist es Geld genug, das sich dieser Venusdiener, der direkt vom Busen der Chelidon in die Provinz gezogen war, unter dem Deckmantel der Liebesgöttin aneignete?

(25) Vernehmet jetzt einen anderen Fall, wo die Geldsumme kleiner, der Betrug aber nicht weniger unverschämt war. In Agýrion lebten die Brüder Sosippos und Philokrătes . Deren Vater ist vor nunmehr zweiundzwanzig Jahren gestorben; in seinem Testamente stand der Satz, daß, wenn an einem gewissen Platz ein gewisser Fall vorkäme, eine Geldsumme an den Tempelschatz der Aphrodite zu zahlen wäre. Zwanzig Jahre vergingen, während welcher doch so viele Prätoren, Quästoren und Betrüger in der Provinz lebten, da plötzlich wurde den Söhnen im Namen der Aphrodite die Erbschaft abgefordert. Verres nimmt Kenntnis von der Sache, und läßt sich durch Vermittlung des Volcatius Ein Vertrauensmann des Verres, in der Kornrede des näheren charakterisiert. ungefähr 400 000 Sesterzen von den beiden Brüdern auszahlen. Die zahlreichen Zeugen hierfür habt ihr bereits früher vernommen. Die beiden Brüder von Agyrion gewannen den Prozeß, doch elend und ausgesogen gingen sie von dannen.

X. (26) »Aber dieses Geld,« so wird man sagen, »ist nicht gerade an Verres gelangt.« – Was ist das für eine Verteidigung? will man hier mit sachlichem Ernste reden oder einen lächerlichen Versuch riskieren? so etwas ist noch nicht dagewesen. Verres schiebt die Scheinankläger vor, Verres läßt die Vorladung ergehen, Verres nimmt Notiz von dem Vorgefallenen, Verres fällt den Richterspruch; ungeheure Summen werden bezahlt, und der sie bezahlt, gewinnt den Prozeß: da willst du mir die Verteidigung entgegenhalten »Nicht an Verres ist dieses Geld ausbezahlt worden«? Gut, ich trete deiner Behauptung bei; auch meine Zeugen erklären dasselbe; an Volcatius, sagen sie, wurde das Geld abgeführt. Was hatte denn dieser Volcatius für so eine furchtbare Macht, daß er zwei Männern einfach 400 000 Sesterzen wegnehmen konnte? Wenn Volcatius auf eigene Faust gekommen wäre, hätte wohl irgend jemand auch nur einen Pfennig gegeben? Er soll nur jetzt einmal kommen, er soll es versuchen: kein Mensch läßt ihn über seine Schwelle. Ja, ich sage noch mehr: ich behaupte, du hast dir vierzig Millionen Sesterzen widerrechtlich angeeignet, ohne daß auch nur ein Groschen direkt an dich bar ausgezahlt wurde; aber da man das Geld wegen deiner Verfügungen, Erlasse, Amtsbefehle, Urteilssprüche u. s. w. hergab, so kommt es nicht darauf an, auf welchen Tisch die Summen eingezahlt wurden, sondern wer die unrechtmäßigen Zahlungen angeordnet hat. (27) Jene auserlesenen Personen deiner Umgebung waren deine Werkzeuge; jenes Gefolge von Bureauvorstehern, Sekretären, Subalternbeamten, Pfaffen, Quacksalbern und Ausrufern – das war deine rechte Hand; je näher dir jemand durch Verwandtschaft, Bekanntschaft oder sonst welches Verhältnis stand, desto mehr galt er als dein gefügiges Instrument; jene ganze Bande, die mehr Unheil über Sicilien gebracht hat als wenn hundert Banden entlaufener Sträflinge gehaust hätten – das war ohne Widerspruch deine rechte Hand. Alles was irgend einer von diesen an sich nahm, ist durchaus und unter allen Umständen nicht bloß als dir gegeben, sondern als in deine Hand ausbezahlt zu beurteilen. Wenn überhaupt der Gerichtshof den Einwand »er hat es nicht selbst empfangen« zur Verteidigung des Angeklagten zuläßt, so mag er gleich alle Erpressungsprozesse insgesamt von vornherein aufheben; kein Angeklagter wird jemals vorgeführt werden, mag er noch so bösartig und längst überführt sein, der nicht jenen Entschuldigungsgrund für sich geltend machen könnte; wenn schon Verres ihn geltend macht – wo wird denn in aller Zukunft ein Angeklagter erscheinen, der, mit Verres verglichen, nicht einen Mucius Scaevola an Selbstlosigkeit bedeutet? Offenbar wollen meine Gegner hier mit diesem Mittel den Verres auch gar nicht ernstlich verteidigen, sondern nur die allgemeine Möglichkeit eines Verteidigungsmittels an Verres ausprobieren.

(28) In dieser Hinsicht, meine Herren, müsset ihr die aufmerksamste Sorgfalt walten lassen; so etwas greift an die Grundfragen des Staatslebens, an das Prestige unseres Standes und an die Existenz der Bundesgenossen. Wenn wir für schuldlos gelten wollen, so müssen wir nicht nur für uns, sondern auch für unseren Umgang einstehen können. XI. Vor allen Dingen müssen wir uns Mühe gehen, nur solche Leute in unserer nächsten Umgebung zu zeigen, die von selbst für unseren Ruf und unser ganzes Dasein sorgen; sodann, wenn uns bei der Auswahl der Personen die Hoffnung auf Freundschaft einmal betrogen hat, müssen wir Vergeltung üben, den Unwürdigen wegschicken, stets aber so leben, als fühlten wir die Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen. Man erzählt ja folgenden Fall von Scipio Africanus – und das war doch gewiß ein freigebiger Mann, aber allerdings von jener allein lobenswerten Freigebigkeit, die niemals dem fleckenlosen Rufe ihres Besitzers schaden kann. (29) Scipio also wurde von einem alten Bekannten, der stets als intimer Freund mit ihm verkehrt hatte, gebeten, er möchte ihn als Beamten nach Afrika mitnehmen. Er ließ sich aber trotz inständiger Bitten nicht darauf ein, und als der Mann seinem Ärger darüber Ausdruck gab, erwiderte er: »Wundere dich nicht, wenn du so etwas bei mir nicht durchsetzest. Ich bitte schon seit geraumer Zeit einen Menschen, dem hoffentlich mein guter Ruf am Herzen liegen wird, er möge in jener Stellung mit mir abreisen; und bis jetzt kann ich das bei ihm nicht durchsetzen.«

In der That, wenn wir rein und makellos dastehen wollen, müssen wir die Sache so anfassen, daß die Menschen uns einen Gefallen erweisen, wenn sie mit uns in die Provinz ziehen, nicht daß wir ihnen damit eine Vergünstigung zukommen lassen. »In die Provinzen gehen,« das bedeutete eben für die meisten Römer »sich die Taschen füllen«. Du dagegen ludest deine Freunde in die Provinz wie zu einer fetten Beute ein, gingest selbst mit ihnen auf die Raubzüge und beschenktest sie vor versammeltem Volke mit goldenen Ringen – hast du dir dabei niemals überlegt, daß du nicht nur über dein eigenes Verhalten, sondern auch über das Treiben jener Leute würdest Rechenschaft ablegen müssen?

(30) Nachdem er sich diese üppigen, reich fließenden Einnahmequellen aus solchen eigens dazu hervorgerufenen Prozessen verschafft, in denen er selbst mit dem »Rate«, d. h. mit seiner Bande, den »Thatbestand konstatierte«, fand er ein unerschöpfliches Gebiet zum Einheimsen unermeßlicher Gelder. XII. Es ist für jedermann klar, daß aller Geldbesitz der Menschen einerseits von der Macht derjenigen abhängt, die die Gerichtshöfe einsetzen, und anderseits von denen, die im Prozesse das Urteil sprechen. Keiner von euch kann sein Haus, sein Landgut, sein väterliches Vermögen in festem Besitze behalten, wenn irgend ein anderer von euch darauf Anspruch erhebt und ein gewissenloser Prätor, gegen den niemand einschreiten kann, nach seinem Belieben einen Richter einsetzt, dieser Richter aber nichtswürdig und leichtfertig genug ist, sein Urteil nach dem Befehle des Prätors einzurichten.

(31) Wenn aber noch jener Umstand hinzukommt, daß der Prätor den Gerichtshof auf bestimmte Worte einsetzt, so daß selbst ein in Rechtskenntnis und Pflichtbewußtsein gleichermaßen bedeutender Mann wie Lucius Octavius Balbus als Richter nicht anders urteilen kann – wenn es z. B. heißt:

»Lucius Octavius soll Richter sein. Wenn es sich herausstellt, daß der Acker im Gebiete von Capena, um den der Prozeß sich dreht, nach altrömischem Rechte dem Publius Servilius zukommt, und derselbe dem Quintus Catulus nicht zurückerstattet wird« –

in diesem Falle muß der Richter Lucius Octavius entweder den Publius Servilius zwingen das Stück Landes an Quintus Catulus zurückzuerstatten, oder aber jemanden verurteilen, den er bei seiner Abhängigkeit vom Prätor nicht verurteilen darf. In dieser Weise war das ganze Verwaltungsrecht, das gesamte Gerichtswesen in Sicilien drei Jahre lang beschaffen, nämlich solange Verres Prätor war; seine Verfügungen lauteten etwa so:

»Wenn er nicht annimmt, was du ihm schuldig zu sein behauptest, so klag' ihn an; wenn er Ansprüche an dich stellt, laß ihn vorladen.«

Dieser letzte Fall traf dann z. B. auf Gaius Fuficius, Lucius Suecius und Lucius Racilius zu. Die Gerichtshöfe wurden dann in der Weise eingesetzt, daß römische Bürger Recht sprachen, wenn es sich um Angelegenheiten von Sicilianern handelte (nach dem dort geltenden Recht hätte nämlich in diesem Fall ein Sicilianer als Richter fungieren müssen) und umgekehrt. (32) Aber um dieses Verfahren in seiner Allgemeinheit zu überschauen, müsset ihr erst Siciliens herrschendes Recht, dann Verres' Erfindungen kennen lernen.

XIII. In Sicilien gelten folgende Grundsätze: wenn innerhalb einer Gemeinde Bürger gegen Bürger klagt, so soll der Prozeß sich daselbst nach den lokalen Gesetzen abwickeln; klagt ein Sicilianer gegen einen anderen aus einer anderen Gemeinde, so soll der Prätor die Richter durchs Los ernennen lassen nach einer durch Publius Rupilius in Gemeinschaft mit zehn Legaten erlassenen Verordnung, die man dort als die Rupiliusbill zu bezeichnen pflegt. Erhebt ein Einzelner Ansprüche gegenüber dem Volk oder das Volk gegenüber einem Einzelnen, so soll der gesamte Stadtrat irgend einer Gemeinde als Schiedsrichter fungieren, wobei beide Parteien das Recht haben, einmal gegenseitig den Richter zu verwerfen; erhebt ein römischer Bürger Ansprüche gegen einen Sicilianer, so muß der Schiedsrichter ein Sicilianer, im umgekehrten Fall ein römischer Bürger sein; für sonstige Fälle wurden in der Regel auserlesene Richter aus der dort befindlichen »Genossenschaft römischer Bürger« vorgeschlagen. Streitigkeiten zwischen Grundbesitzern und Steuerpächtern werden nach dem sogenannten Getreidegesetze des Hieron geschlichtet.

(33) Alle diese Rechte wurden durch den Prätor Verres nicht nur in Verwirrung gebracht, sondern den Sicilianern wie den römischen Bürgern überhaupt vollständig entrissen, und zwar zuerst die Gesetze für die Einheimischen. Sobald ein Bürger gegen seinen Mitbürger klagte, setzte Verres eine ihm bequeme Person zum Richter ein, z. B. einen seiner Ausrufer, Pfaffen oder Quacksalber; war ein Gerichtshof bereits nach den Gesetzen einberufen und die beiden streitenden Parteien vor den aus der Mitte ihrer Bürgerschaft gewählten Richter getreten, so durfte dieser nicht frei und unbehindert urteilen. Denn ihr müßt den Erlaß des Menschen kennen lernen, mittels dessen der alle Gerichte in seine persönliche Gewalt brachte:

»Wenn Einer ein verkehrtes Urteil fällt, werde ich von allem Notiz nehmen; nachdem dies geschehen, werde ich das Strafmaß bestimmen.«

Die Folgen hiervon waren aller Welt ohne weiteres klar: wenn ein Richter damit rechnen mußte, daß ein anderer über seinen Fall richten und er selbst darob möglicherweise in Lebensgefahr geraten würde, so dürft' er nur noch auf die Wünsche desjenigen schauen, den er als seinen Herrn über Tod und Leben kannte. (34) Daß auserlesene Richter aus der römischen Bürgergenossenschaft oder Kaufmannsgilde vorgeschlagen wurden, kam nie mehr vor; dafür gab es jene Fülle von Richtern, jene Bande des Verres, ein ganzes Regiment, aber nicht von der Art, wie das des Quintus Scaevola, der doch keinen der Seinigen einzusetzen pflegte. Wie glaubt ihr wohl, daß sich jenes Regiment unter diesem Obersten aufführte? – Sehet nur seine Verordnungen an; da heißt es:

»Wenn ein Stadtrat ein verkehrtes Urteil abgiebt« – –

Auch diese Behörden wurden also, wenn ihnen das Richteramt noch anvertraut ward, durch Verres zu Urteilssprüchen gegen ihre eigene Überzeugung gezwungen; den Nachweis im einzelnen werd' ich euch noch liefern. Eine Auslosung von Richtern nach der Rupiliusbill kam gar nicht mehr vor, außer wenn es Verres ganz gleichgültig war; die Entscheidungen nach dem sonst auf sehr viele Streitigkeiten anwendbaren Gesetze Hierons wurden mittels eines Federstrichs ein für allemal aufgehoben; mit den Richtern von der Genossenschaft römischer Kaufleute war es, wie gesagt, ebenfalls vorbei. Damit habt ihr einen Begriff von seiner Macht; nun höret, welchen Gebrauch er von ihr machte.

XIIII. (35) Herakleios von Syrakus, des Hieron Sohn, war einer der vornehmsten Leute in seiner Heimat und bis zum Amtsantritte des Verres einer der Begütertsten in ganz Syrakus. Jetzt ist er einer der Ärmsten; das Unheil, das ihn betroffen, bestand in nichts anderem als in der gewissenlosen Habsucht des Verres. Ihm war durch das Testament eines Verwandten Namens Herakleios eine Erbschaft von etwa drei Millionen Sesterzen zugefallen; dazu kam ein Haus voll von ciselierten Silbergefäßen feinster Arbeit, von kostbaren Teppichen und wertvollen Sklaven. Mit welcher Wut Verres auf Gegenstände dieser Art seine Gier zu richten pflegt, ist ja männiglich bekannt. Nun erzählten sich die Leute in der Stadt von Herakleios' ungeheurem Glück; er würde nicht nur ein reicher Mann, sondern bekäme außer dem Geld auch noch so glänzende Prachtstücke an Hausgerät, Silber, Stoffen, Sklaven u. dgl. (36) Das hört auch Verres, und zuerst versucht er dem Herakleios mit seinem gelinderen Kunstgriff beizukommen: er bittet die Sachen, die er nicht in seine Gewalt bekam, wenigstens ansehen zu dürfen. Darauf kommen aber zwei Syrakusaner zu ihm, Kleomenes und Aischrion, Männer, die ihm außerordentlich nahestanden, wenigstens ihre Frauen standen ihm niemals ferne – was diese unsaubere Wirtschaft für bedeutsame Folgen hatte, werdet ihr bei anderen Klagepunkten hören – kurz, diese beiden machen ihn darauf aufmerksam, daß sich da eine vortreffliche Gelegenheit biete: das Haus sei voll der herrlichsten Dinge, Herakleios selbst ein Mann von reifen Jahren und nicht sehr schlagfertig, außer der Familie Marcellus habe er niemand, an den er sich offiziell wenden oder dessen Schutz er anrufen könne; in dem Testamente, das ihn zum Erben einsetze, stehe die Klausel, daß er in der Turnschule einige Statuen errichten zu lassen verpflichtet sei. »So müssen wir es einrichten, daß die Schulvorsteher erklären, die Statuen seien nicht gesetzt worden, dann müssen sie auf die Erbschaft Anspruch erheben, weil sie für die Turnschule verwirkt war.« (37) Dieser Gedankengang gefiel dem Verres; er sah schon im Geiste voraus, wenn ein Streit um eine so gewaltige Erbschaft entstand und die Ansprüche vor Gericht ausgefochten werden sollten, dann durfte er selbst unmöglich ohne Beute davonziehen. So erteilt er dem Plane seine Zustimmung und veranlaßt, daß man ihn so bald als möglich ins Werk setze: der ruhige, allen Zänkereien im höchsten Grade abholde Mann soll mit möglichst stürmischer Wucht angefallen werden. Herakleios erhält eine Vorladung. XV. Zuerst wundert sich alles über die gewissenlose Schikane; dann kamen diejenigen, die Verres kannten, auf den Verdacht und bald zu der klaren Einsicht, daß man ein Auge auf die Erbschaft geworfen hatte. Inzwischen kam der Tag heran, an welchem dieser Herr verfassungsgemäß nach der Rupiliusbill in Syrakus die Richter auslosen zu wollen angekündigt hatte. Wohlausgerüstet war er zu dem vorliegenden Falle herbeigekommen. Da belehrt ihn Herakleios, daß an jenem Tage die Auslosung nicht stattfinden durfte, weil die Rupiliusbill eine Frist von dreißig Tagen zwischen der Vorladung und der Auslosung vorschreibt; dreißig Tage waren seit der Vorladung noch nicht verflossen. Herakleios hoffte, wenn er diesem Tag entgangen wäre, dann würde vor der nächsten Auslosung Verres' Nachfolger, Quintus Arrius, den die ganze Provinz bereits sehnsüchtig erwartete, in Sicilien eintreffen. (38) Verres aber schob die Termine aller anderen Prozesse auf und setzte dann einen Tag in der Weise fest, daß er die Auslosung für Herakleios richtig einen Monat nach ergangener Vorladung bewerkstelligen konnte. Als dieser Tag gekommen war, fing Verres an sich so zu stellen, als wollt' er wirklich das Los entscheiden lassen. Herakleios mit seinen Sachwaltern wendet sich an ihn und stellt die Forderung, es möge ihm gestattet werden, mit den Besitzern der Turnschule, d. h. also mit der Einwohnerschaft von Syrakus, nach Recht und Billigkeit zu streiten. Hierauf verlangten die Gegner, für den vorliegenden Fall sollten die Richter von denjenigen Gemeinden, die auf dem Markte von Syrakus vertreten waren, geliefert werden; die Auswahl der einzelnen hätte dann nach Verres' Belieben zu geschehen. Herakleios' Gegenforderung lautete: man besorge die Richter nach der Rupiliusbill, sonst verstößt man gegen die hergebrachte Verfassung, gegen die Würde der obersten Stadtbehörde, gegen das gesamte sicilianische Recht. – XVI (39) Muß ich euch denn noch beweisen, mit welch frevelhafter Willkür dieser Mensch bei der Rechtsprechung verfuhr? hat sie nicht jeder von euch schon bei seiner Thätigkeit in der Hauptstadt kennen gelernt? wer konnte unter seiner Prätur je ein Gesetz in Anwendung bringen, wenn die Chelidon etwas dagegen hatte? Er ist nicht, wie so viele andere, erst durch die Provinz verderbt worden, er blieb dort derselbe wie in Rom. – Herakleios sagte nur, was sich ganz von selbst verstand, nämlich daß die Sicilianer ein bestimmtes Recht für sich besäßen und danach ihre Streitigkeiten zu schlichten hätten, und zwar eben die Rupiliusbill, welche der Konsul Publius Rupilius in Gemeinschaft mit zehn Verwaltungsbeamten erlassen hatte; alle Konsuln und Prätoren in Sicilien hätten sie stets respektiert: aber Verres erwiderte, er würde die Richter nicht nach der Rupiliusbill auslosen lassen und ernannte fünf Personen nach eigenem Gutdünken zu Richtern. (40) Was soll man mit solch einem Kerl anfangen? wo fände man eine ausreichende Strafe für solch maßlose Verachtung des Gesetzes? – Du elender, unverschämter Mensch, du wagtest es, wo dir genau vorgeschrieben war, in welcher Weise du bei den Sicilianern die Justiz zu besorgen hattest, wo eines römischen Heerführers Autorität, dazu die Würde von zehn hochgestellten Verwaltungsbeamten, endlich ein Senatsbeschluß über dir stand, nach dessen Wortlaut Publius Rupilius in Übereinstimmung mit den zehn Legaten die Gesetze für Sicilien festgestellt hatte, wo diese Gesetze des Rupilius bis zu jenem Tag auf allen Gebieten und zumal dem der Justiz von jedermann aufs strengste befolgt worden waren – da wagtest du es, um deiner Beutesucht willen, alle jene unantastbaren Dinge, die dir heilig sein sollten, rein für nichts zu achten? für dich gab es kein Gesetz, kein Gewissen, kein Schamgefühl, keine Rücksicht auf deinen Ruf, keine Furcht vor dem Gericht? kein bedeutender Mensch durfte dir imponieren, keinen wolltest du dir zum Muster nehmen? – (41) Indessen, ich fing ja an zu erzählen. Fünf Richter waren ohne Gesetz, ohne Verfassungsparagraph, ohne die Möglichkeit einer Zurückweisung, ohne Los, nur nach der Willkür dieses Menschen ernannt worden, nicht um den Thatbestand kennen zu lernen, oder zu prüfen, sondern um nach Verres' Befehl das Urteil zu sprechen. An jenem Tage geschah weiter nichts; am nächsten Tage, hieß es, sollte man wiederkommen. XVII. Da erkannte Herakleios, daß der Prätor es mit allen erdenklichen Anschlägen auf sein Vermögen abgesehen hatte; er beriet sich mit seinen Freunden und Verwandten, faßte in Übereinstimmung mit ihnen den Entschluß, der Gerichtsverhandlung gar nicht beizuwohnen und entwich noch in derselben Nacht aus Syrakus. Am nächsten Morgen stand Verres sehr viel zeitiger auf als er sonst zu thun pflegt und ließ sofort die Richter herbeirufen. Sobald er hört, daß Herakleios nicht mehr da ist, fängt er an, auf die Richter loszuarbeiten, sie sollen den Mann in seiner Abwesenheit verurteilen. Die Leute machen ihn darauf aufmerksam, wenn ihm so etwas gut scheine, so mög' er doch nach eigener Verordnung verfahren, aber er möge sie nicht zwingen, innerhalb festgesetzter Gerichtsstunden über einen Abwesenden nach dem Vorschlag eines Anwesenden das Urteil zu sprechen; das setzen sie auch durch. (42) Nun wurde aber Verres verwirrt; er sowohl wie seine Freunde und Ratgeber fingen an sich über Herakleios' Flucht zu beunruhigen; sie dachten, die Verurteilung eines Abwesenden, noch dazu bei einem Objekte von so enormem Geldwerte, würde einen viel häßlicheren Eindruck hervorrufen, als wenn der Mann bei seiner Verurteilung zugegen gewesen wäre. Dazu kam, daß die Richter nicht nach der Rupiliusbill bestellt waren; so mußte der ganze Vorgang noch viel schimpflicher und unbilliger erscheinen. Daher suchte Verres diesem Übelstand Abhilfe zu schaffen und zeigte seine unredliche Gier nur noch deutlicher. Er erklärt plötzlich, von jenen fünf Richtern keinen Gebrauch machen zu wollen; dafür verlangt er, was er gleich zu Anfang hätte thun sollen, daß streng nach der Rupiliusbill verfahren werde: man solle Herakleios und seine Ankläger vorladen, er selbst würde dann für die gesetzliche Auslosung der Richter sorgen. Was Herakleios tags zuvor mit endlosen Bitten und Beschwörungen und Thränen bei ihm nicht hatte durchsetzen können, das kam ihm nun, einen Tag später, von selber in den Sinn, nämlich der Gedanke, die Auslosung nach der Rupiliusbill vorzunehmen. Drei Namen zieht er aus der Urne; die Richter sind da. Er befiehlt ihnen, den abwesenden Herakleios zu verurteilen, und sie thun es.

(43) Mensch, was war das für eine Sinnlosigkeit! hast du denn nicht einen Augenblick daran gedacht, daß du einst über deine Handlungen würdest Rechenschaft ablegen müssen? daß alle jene Vorgänge einmal diesen Männern hier zu Ohren kommen würden? – Eine Erbschaft, an die niemand Ansprüche hat, soll ohne alle Ursache dem Landvogte zur Beute fallen! Der Vorwand einer Verpflichtung gegen die Stadt muß vorgeschoben, ein niederträchtiges Subjekt von einem Verleumder der achtbarsten Gemeinde aufgedrängt werden! Damit nicht genug, nein, die Sache muß so geführt werden, daß auch nicht einmal der Anschein von irgendwie gerechter Behandlungsweise entstehen kann! Denn beim Himmel, was ist es denn für ein Unterschied, ob der Prätor jemanden durch Befehl und Gewalt zwingt alle seine Güter fahren zu lassen, oder ob er ein Gericht solcher Art einsetzt, unter dessen Machtspruch jeder Mensch sofort ohne Verhör um seinen gesamten Besitz gebracht werden muß? XVIII. (44) In der That kannst du es doch nicht leugnen, daß du die Auslosung der Richter nach der Rupiliusbill hättest vornehmen müssen, zumal da Herakleios ausdrücklich diese Forderung stellte. Willst du aber vorschützen, du seiest auf Herakleios' Wunsch vom Gesetz abgewichen, so behinderst du dich selbst, verfängst dich in deiner eigenen Ausrede. Denn erstlich, warum wollte der Mann nicht zugegen sein, wenn er die Richter seinem Wunsche gemäß bekommen sollte? und zweitens, warum ließest du nach seiner Flucht andere Richter auslosen, wenn du vorher solche eingesetzt hattest, die beide Parteien befriedigten? Endlich aber stellt es sich heraus, daß bei allen anderen Prozessen auf jenem Markte der Quästor Marcus Postumius die Auslosung vornahm und du nur dieses eine einzige Mal für ihn eintratest.

(45) »Also«, wird vielleicht jemand sagen, »hat er die Erbschaft der Bevölkerung von Syrakus geschenkt.« – Vor allen Dingen, wenn ich dies selbst zugeben wollte, so müßtet ihr ihn dennoch durchaus verurteilen; denn soweit sind wir bekanntlich nicht, daß man ungestraft ein Besitztum, das man Einem entrissen hat, einem anderen überweisen dürfte. Aber dem ist nicht so; wenn ihr genauer zusehet, so werdet ihr finden, daß Verres selbst an dieser Erbschaft für sich Beute machte und zwar ohne im allgemeinen seine Schritte zu verheimlichen; daß die Bürgerschaft von Syrakus sich überall verhaßt machte und dabei nur die Schande, nicht aber den Lohn für sich behielt; daß ferner einige wenige Syrakusaner, dieselben, die jetzt von Amts wegen zu seiner Belobigung nach Rom gereist zu sein vorgeben, damals ihren Anteil an der Beute erhielten und jetzt nicht wegen Verres' guter Veleumdung, sondern wegen des allgemeinen Schadenersatzes hergekommen sind. Nachdem der abwesende Herakleios verurteilt worden war, sollte nicht nur jene Erbschaft im Betrage von drei Millionen Sesterzen, die den Gegenstand des Streites bildete, sondern auch sein gesamter, vom eigenen Vater stammender Besitz, der ungefähr ebensoviel ausmachte, an die Turnschule von Syrakus, d. h. an die Bürgerschaft als Besitz überwiesen werden. (46) Was ist das für eine Amtsführung? das will ein Statthalter sein? Du entreißest einem Mann eine Erbschaft, die ihm von einem Verwandten nach dessen Testament und nach den Gesetzen zugefallen war; dieses Vermögen hatte der Verfasser des Testamentes geraume Zeit vor seinem Tode dem Herakleios zu freiem Gebrauch und endgültigem Besitze vermacht, und wär' er längere Zeit vor Beginn deiner Statthalterschaft gestorben, so wäre nie ein Streit über die Erbschaft entstanden, mit keiner Silbe hätte man sie erwähnt. XVIIII. Allein es sei; entreiße du die Erbschaft den Verwandten, gieb sie den Besitzern der Turnschule, verheere fremde Güter unter dem Vorwande der Schenkungen an die Bürgerschaft, wirf alle Gesetze, Testamente, Verfügungen der Toten und Rechte der Lebendigen über den Haufen; mußtest du den Herakleios auch aus seinem eigenen angestammten Besitze verjagen? Sobald er sich geflüchtet hatte, gute Götter! wie unverschämt, wie offenkundig, wie unbarmherzig wurden seine Güter verschlungen! Alle Welt sah darin ein Bild des Jammers, eine Katastrophe für Herakleios, einen Profit für Verres, eine Schande für Syrakus. Sofort wurde dafür Sorge getragen, daß alles, was sich an Silbergerät vorfand, zu Verres gebracht ward, ebenso alle korinthischen Prachtgefäße und alle Teppiche; das verstand sich von selbst, denn jedermann wußte, daß Gegenstände dieser Art nicht bloß in Herakleios' Haus mit Beschlag belegt, sondern aus der ganzen Provinz für Verres zusammengeschleppt werden mußten. Von den Sklaven behielt er, soviel ihm paßte, der Rest wurde verkauft; eine Versteigerung fand statt, bei der Verres' Meute unbezwingbar den Sieg davontrug. Aber eines ist ganz besonders schön. (47) Jene Syrakusaner, denen die Aufsicht anvertraut worden war, als Herakleios' Besitz angeblich inventarisiert, in Wahrheit verschleudert wurde, legten nachher in der Ratsversammlung Rechenschaft über dieses Geschäft ab. Da gaben sie denn an, daß so und soviel Paar Becher, so und soviel silberne Prachtkrüge, kunstvoll gewebte Teppiche, wertvolle Sklaven an Verres abgeführt wurden; sie fügten den Preis hinzu, der für jeden Gegenstand auf des Prätors Befehl gezahlt worden war. Ein Seufzer ging jedesmal durch die ganze Versammlung; aber da hieß es »aushalten«. Plötzlich wurde als ein einziger Posten verlesen: »Im Ganzen wurden dreimalhunderttausend Sesterzen im Auftrage des Prätors bezahlt.« Da erhebt sich rings ein fürchterliches Geschrei, nicht nur von den anständigen Leuten und von denen, die es immer empörend gefunden hatten, wenn Privatbesitz unter Vorschiebung des Namens der Bürgerschaft in ganz unrechtmäßiger Weise beschlagnahmt wurde, sondern auch die Urheber des Frevels selbst, die ihren gemessenen Anteil an Raub und Beute bekamen, fingen an zu schreien, er sollte die Erbschaft doch gleich für sich behalten. Der Lärm im Rathaussaal wurde so arg, daß das Volk herbeiströmte. XX. (48) Die Sache wird der ganzen Gesellschaft bekannt und schleunigst dem Verres in seinem Hause gemeldet. Der Mensch war böse über die Verlesung der Auktionsresultate und erbittert über das Geschrei: er brauste auf in wütendem Jähzorn, – aber er benahm sich diesmal in einer Weise, die ihm nicht ähnlich sieht. Ihr kennt ja sonst seine Frechheit, ihr wißt, mit welcher Stirn er seine Bubenstreiche ausführt. Diesmal aber setzte ihn der Lärm auf den Gassen, das Geschrei des Volkes und der offenbare Diebstahl einer so mächtigen Summe in Verwirrung. Sobald er sich gesammelt, berief er die Herren vom Stadtrat zu sich. Da er die Thatsache jener Bestechungen nicht ableugnen konnte, so sucht' er nicht etwa irgend jemand aus weiter Ferne (da wär' ihm auch nichts gelungen), sondern er nahm den, der ihm am nächsten stand und fast wie ein Sohn von ihm gehalten wurde; Gemeint ist Verres' Schwiegersohn, den Cicero stets als einen anständigen Menschen bezeichnet. der, sagt' er, habe das Geld davongetragen, er, Verres, würde ihn schon zwingen es zurückzuerstatten. Als der Angeschuldigte das hörte, benahm er sich, wie es seiner Würde, seinem Alter und seinem Range zukam; er hielt in der nächsten Ratsversammlung eine Ansprache, in der er betonte, daß ihn die ganze Sache nichts anginge; über Verres, wo jeder sich sein Teil dachte, drückte auch er sich nicht ganz undeutlich aus. Darum haben ihm später die Syrakusaner eine Statue errichtet; er selbst machte sich, sobald es ihm irgend möglich wurde, von Verres los und verließ die Provinz. (49) Und dennoch behauptet man, Verres pflege sich nicht mit Unrecht über das Mißgeschick zu beklagen, daß ihm nicht seine eigenen Sünden, sondern die seiner Nächsten zum Vorwurfe gemacht würden. Drei Jahre lang hieltest du die Provinz in deiner Gewalt; dein Schwiegersohn, dieser ungewöhnlich begabte junge Mann, hielt es ein Jahr bei dir aus; die tüchtigen Leute in deiner Umgebung, die gewissenhaften Hilfsbeamten verließen dich noch während des ersten Jahres, der einzige von ihnen, der zurückblieb, Publius Tadius, war nicht eben häufig in deiner Nähe; wär' er aber auch stets um dich gewesen, so hätt' er doch mit äußerster Sorgfalt deinen und ganz besonders seinen Ruf geschont. Wie kommst du dazu, andere anzuklagen? wie kommst du auf die Idee, deine Schuld auch nur mit jemand anders teilen, oder vollends gar aus jemand anders abwälzen zu wollen? – (50) Jene 300 000 Sesterzen werden an die Syrakusaner ausbezahlt. Auf welche Weise sie später vermittelst eines Hinterpförtchens zu Verres zurückwanderten, das werd' ich euch, meine Herren, durch Schriftstücke und Zeugenaussagen klarlegen.

XXI. So war einmal die Bahn betreten; durch Verres schamlose Ungerechtigkeit war aus dem Vermögen eines bestimmten Mannes allerlei Beute an verschiedene einzelne Syrakusaner gelangt (sehr gegen den Willen der Bürgerschaft und ihrer regierenden Behörde!), nun ging es weiter, nun wurden mit Hilfe des Theomnāstos und Aíschrion und Dionysodōros und Kleómenes zur allgemeinen Erbitterung die ungeheuersten Verbrechen ausgeführt. Da wurde vor allem die ganze Stadt als solche ausgeplündert – ich will dieses Kapitel an anderer Stelle ausführlicher erörtern –, da wurden durch Vermittelung der genannten Personen alle schönen Statuen, alle Elfenbeinschnitzereien aus den Gotteshäusern, alle Gemälde, die nur irgend auffielen, alle Götterbilder, die ihm beliebten, weggeschleppt; dann ward im Rathause von Syrakus, dem dort sogenannten Buleut ērion , dem Orte der Weihe und der öffentlichen Ordnung, neben der bronzenen Porträtstatue des Siegers Marcus Marcellus, der jenes Haus nach Kriegsrecht hätte zerstören können und es dafür zum Segen der Bürgerschaft in vollem Glanze erhielt – dort also ward eine vergoldete Statue des Verres und eine ebensolche seines Sohnes aufgestellt, auf daß, so lange das Andenken dieses Menschen dauerte, der Stadtrat von Syrakus nicht ohne Seufzer und Thränen seinen Sitzungssaal betreten könnte. (51) Vermittelst jener selben Gesellen, mit denen er die Diebstähle, Räubereien und – Frauen teilte, ließ er sodann durch einen Machtspruch das regelmäßig in Syrakus gefeierte Marcellusfest aufheben. Mehrere Nachkommen des Eroberers von Syrakus hatten sich in der That große Verdienste um die Provinz erworben, indem sie die Mißwirtschaft eines Lepidus u. a. nicht fortsetzten. Daher die übermenschlichen Ehren, die ihnen die verkommende Bevölkerung erwies. Das war ein herber, schwerer Schlag für die Bevölkerung; denn freudig begingen sie dieses Fest schon aus schuldiger Dankbarkeit gegen ihren neuen Wohlthäter Gaius Marcellus, freudig zollten sie diesen Tribut dem Geschlechte, dem Namen, der Familie Marcellus. Selbst Mithradates hat in Kleinasien, als er die ganze Provinz eroberte, das Muciusfest nicht aufgehoben. Er kam als Feind und er war sonst in jeder Hinsicht ein Feind von wahrhaft entsetzlicher, unmenschlicher Roheit; dennoch nahm er davon Abstand, die einem Menschen erwiesene, durch frommen Brauch geheiligte Ehrenbezeigung zu verletzen. Und du wolltest es den Syrakusanern verwehren, einen einzigen Tag dem Feste für das Haus Marcellus zu weihen, wo sie es diesem Hause zu verdanken haben, wenn sie alle anderen Feste überhaupt feiern können? (52) Dafür hast du ihnen freilich einen wunderbaren Ersatz geboten: du führtest das Verresfest ein, und bestimmtest, daß alles Nötige für die Opferverrichtungen und Festbankette gleich auf Jahre hinaus in Pacht gegeben würde! – Hier muß ich ein wenig nachlassen, ihm ein Stück von seiner Unverschämtheit schenken; es geht nicht, daß wir fortwährend streiten, fortwährend unseren Schmerz zum Ausdrucke bringen. Denn Zeit und Stimme und Kraft würde mir ausgehen, wollt' ich jetzt gerechte Klage darüber erheben, wie jammervoll und empörend es ist, daß auf seinen Namen ein Fest bei denjenigen gefeiert werden mußte, die ihm nichts als ihre radikale Vernichtung zu verdanken hatten. O, dieses herrliche Verresfest im ganzen Lande! Wo bist du überhaupt hingekommen, ohne gleich deinen Erinnerungstag einzuführen? Mit anderen Worten: welches Haus, welche Stadt, welchen Göttertempel hast du betreten, ohne ihn auszuleeren, ohne alles zu veröden? So mag denn das Verresfest seinen Namen mit Recht tragen; zum Andenken nicht an deinen Namen, sondern an deine Hände und an deinen Charakter ist es offenbar eingesetzt worden.

XXII. (53) Wie schnell die Sünde und die Gewohnheit, Unrecht zu thun, um sich frißt, wie schwer es ist, sie zu unterdrücken, davon möget ihr jetzt ein Beispiel vernehmen. Bidis heißt eine kleine Stadt nicht weit von Syrakus. Dort lebte als der weitaus erste Mann der Gemeinde ein gewisser Epikrates. Eine Frau aus dessen Familie war gestorben und hinterließ ihm ihr Vermögen von fünfmalhunderttausend Sesterzen; sie war ihm so nahe verwandt, daß, selbst wenn sie kein Testament hinterlassen hätte, auf alle Fälle die Erbschaft nach den Gesetzen jener Gemeinde hätte an Epikrates gelangen müssen. Noch war es nicht lange her, daß jener Skandal, den ich vorher beschrieb, mit dem Herakleios von Syrakus vorgefallen war, wo der Mann sein angestammtes Vermögen nicht verloren hätte, wenn ihm nicht eine Erbschaft zugefallen wäre. Nun machte, wie gesagt, auch dieser Epikrates eine Erbschaft. (54) Er hatte Feinde, und die kamen auf den Gedanken, unter einem solchen Landvogte wie Verres könnte ja der Mann ganz ebensogut aus seinem Besitze vertrieben werden wie kürzlich Herakleios. Im geheimen schmieden sie ihre Pläne, dann machen sie dem Verres durch seine Mittelmänner Anzeige. Die Sache wird so angelegt, daß wiederum die Turnschule herhalten muß; die Direktoren der Turnschule zu Bidis mußten gegenüber Epikrates in derselben Weise Anspruch auf die Erbschaft erheben wie ihre Kollegen in Syrakus gegenüber Herakleios. Ihr habt wohl noch nie einen so turnerfreundlichen Prätor gesehen: allen Eifer setzt er für die Turner und Ringer ein, und er selber wurde zwar nicht geölt wie ein Athlet, aber in anderer Weise »geschmiert«. Sofort befiehlt er, um eine Grundlage zu schaffen, daß seitens der Turnschule achtzigtausend Sesterzen bei einem seiner Freunde deponiert werden. (55) Die Sache ließ sich nicht ordentlich geheimhalten: durch eine der beteiligten Personen wird Epikrates benachrichtigt. Erst blieb er gleichgültig und dachte dem Gerede gar keine Beachtung zu schenken, weil absolut nichts vorlag, was zu irgend einer Meinungsverschiedenheit Anlaß geben könnte. Dann fiel ihm aber das Schicksal des Herakleios ein; er kannte Verres' gänzliche Unbekümmertheit um Recht und Gesetz und hielt es daher für das vorteilhafteste, heimlich die Provinz zu verlassen. Gedacht, gethan; er reiste nach Rhegion. XXIII. Als dies bekannt wurde, gerieten jene Leute, die das Geld eingezahlt hatten, in heftige Wallungen: sie vermeinten, in Epikrates' Abwesenheit nichts erreichen zu können; Herakleios war wenigstens zugegen gewesen, als zum erstenmal ein Richterkollegium eingesetzt ward, aber jetzt hatte die inkriminierte Person das Weite gesucht, ehe man vor Gericht gegangen, ehe auch nur die leiseste Erwähnung von einem bevorstehenden Rechtstreit gefallen war –: da, meinten sie, wäre nichts zu machen. Ein Versuch blieb ihnen übrig: sie reisen ebenfalls nach Rhegion. Dort suchen sie den Epikrates auf, reden auf ihn ein, weisen ihm nach, was er ohnehin schon wußte, nämlich daß sie 80 000 Sesterzen einbezahlt hatten; sie bitten ihn, er möge doch wenigstens die Sorge für diese von ihnen selbst angelegte Summe übernehmen, er möge Garantien bieten, welche er wolle, es handele sich immer nur um diese Summe; wegen seiner Erbschaft würde ihn kein Mensch je belästigen. (56) Epikrates nahm sie übel auf. Er sagte ihnen eine Menge Grobheiten und schickte sie weg; sie verlassen Rhegion und fahren nach Syrakus, reden dort mit vielen Menschen, beklagen sich, wie es ja zu geschehen pflegt: nie sei es ihnen passiert, 80 000 Sesterzen für nichts und wieder nichts auf den Tisch zu legen. Die Geschichte verbreitete sich und bildete bald den Gegenstand des allgemeinen Stadtklatsches. Nun griff Verres in den Gang der Handlung ein. Er brachte sein altes System von Syrakus in Anwendung, erklärte über die Angelegenheit mit den 80 000 Sesterzen eine Untersuchung anstellen zu müssen und ließ viele Personen citieren. Die Leute aus Bidis erklärten, daß das Geld an Volcatius gezahlt worden war, doch setzten sie nicht hinzu »auf Befehl des Statthalters«. Er läßt Volcatius rufen und befiehlt ihm das Geld zurückzuschicken. Volcatius läßt mit der größten Gemütsruhe das Geld holen – er wußte ja, daß er nichts verlieren würde – und erstattet es in Gegenwart vieler Zuschauer den Leuten zurück; die Leute aus Bidis streichen es ein und ziehen ab. (57) Nun wird man sagen: »Ja was hast du denn hier dem Verres vorzuwerfen? Er war nicht nur selber kein Dieb, sondern hat auch nicht geduldet, daß ein anderer stahl!« Höret nur zu; gleich werdet ihr sehen, wie dieses Geld, das eben zur einen Thür bei ihm hinauszugehen schien, zur anderen wieder einkehrte. Was mußte der Landvogt thun, wenn er bei einer amtlich geführten Untersuchung offiziell festgestellt hatte, daß ein Mann seiner nächsten Umgebung zur Bestechung eines Gerichtshofes und behufs Erlasses einer widerrechtlichen Verfügung Geld angenommen hatte (wobei es sich doch um die Ehre und das Prestige des Statthalters selbst handelte), und daß Leute aus Bidis zu einem Angriff auf des Statthalters Ruf und Stellung Geld gegeben? Mußt' er nicht über den Bestochenen wie über die Bestecher sofort Strafe verfügen? – Du, höre, du hattest ja Strafen über jeden Richter verhängt, der ein verkehrtes Urteil spräche, was doch häufig aus bloßer Unvorsichtigkeit vorkommt; nun lassest du diese Menschen ungestraft abziehen, die um deines Urteilsspruches willen Geld geben oder annehmen zu müssen glaubten? XXIIII. (58) Volcatius war nach diesem entehrenden Vorfall für dich derselbe Ritter Volcatius wie vorher; und was kann für einen Menschen von anständiger Herkunft schmachvoller und erniedrigender sein, als in Gegenwart zahlreicher Zeugen von der Behörde zur Wiedererstattung gestohlenen Gutes gezwungen zu werden? Hätte der Mensch den Anstand besessen, den nicht nur der römische Ritter, sondern überhaupt jeder freie Mann besitzen muß, er hätte dir nachher nicht mehr ins Angesicht blicken können; ja, er hätte nach einer solchen Beschämung dein unversöhnlicher Feind werden müssen – wenn er nicht mit dir gemeinsames Spiel getrieben und mehr für deinen Ruf gesorgt hätte als für seinen eigenen. So ist er vielmehr dein bester Freund geblieben, nicht nur während der ganzen Dauer eures gemeinsamen Aufenthaltes in der Provinz, sondern bis auf den heutigen Tag, wo dich deine übrigen Freunde längst verlassen haben; das weißt du selbst, und das können wir leicht kontrollieren. Ist denn dieser Skandal, daß Volcatius ihm nicht grollte und weder Volcatius noch die Leute aus Bidis bestraft wurden, der einzige Beweis für ihre Intimität? Er zeigt, daß Verres mit Volcatius unter einer Decke steckte; (59) es ist ein starkes Beweisstück, aber noch lange nicht das stärkste, sondern das stärkste kommt jetzt. Diesen Leuten aus Bidis, über die er hätte wütend sein müssen, von denen er offiziell erfuhr, daß, weil sich gegen Epikrates mit rechtlichen Mitteln nichts hätte ausrichten lassen, auch wenn er zugegen gewesen wäre, man seine Verfügung mit Geld erkaufen wollte –: diesen Leuten in eigener Person überwies er nicht nur die Erbschaft, die dem Epikrates zugefallen war, sondern er wiederholte hier, was er bei Herakleios in Syrakus gethan, nur mit noch fürchterlicherer Grausamkeit, weil Epikrates überhaupt nicht vorgeladen worden war. Er überwies ihnen den angestammten Besitz und das volle Vermögen des Epikrates. Er gab nämlich zu erkennen, daß, wenn jemand gegen einen Abwesenden Ansprüche erhübe, er ihm nach einem ganz neuen Prinzip Gehör schenken wollte. Daraufhin wenden sich die Leute an ihn und erheben Anspruch auf die Erbschaft; die Vertreter des Angegriffenen stellen dagegen die natürliche Forderung, man solle nach den Gemeindegesetzen entscheiden oder nach der Rupiliusbill einen Termin anberaumen. Die Gegner wagten nichts dagegen einzuwenden; es wollte sich gar kein Ausweg finden. Da ersinnen sie die Lüge, der Mann wäre in betrügerischer Absicht entwichen, und beantragen daraufhin die Einziehung seiner Güter. (60) Nun war Epikrates keinem Menschen einen Groschen schuldig; außerdem erklärten seine Freunde, wenn jemand eine Forderung an ihn hätte, würden sie sich einer gerichtlichen Prüfung des Materials unterwerfen und deren Resultat gemäß jeder Zahlungspflicht Genüge leisten. XXV. Da alle Anschläge versagten, griffen sie auf einen Wink des Verres zu einer neuen Unwahrheit: heuchlerisch bezichtigten sie den Epikrates der Fälschung öffentlicher Urkunden – natürlich hatte ihm nichts ferner gelegen als so ein Gedanke – und fordern daraufhin einen Prozeß. Die Freunde legten Verwahrung dagegen ein, daß in seiner Abwesenheit ein Gerichtshof einberufen oder auch nur eine Untersuchung angestellt würde, wo es sich um seine persönliche Ehre handelte; zugleich ließen sie auch von ihrer ersten Forderung nicht nach, nämlich daß man sie nach ihren eigenen gültigen Gesetzen richte.

(61) Da hatte Verres endlich ein offenes Feld für die Entwicklung seiner Bosheit gefunden. Sobald er sah, daß es ein Gebiet gab, auf dem Epikrates' Freunde den Abwesenden nicht verteidigen wollten, erklärt' er mit Bestimmtheit, er würde vor allen Dingen einen Prozeß über diesen Fall einleiten. Da nun alle erkannten, daß nicht nur die 80 000 Sesterzen, die zum Scheine das Haus des Verres verlassen hatten, zu ihm zurückgekehrt, sondern auch später noch ganz andere Summen von ihm gestohlen worden waren, so mußten Epikrates' Freunde sich entschließen, seine Verteidigung aufzugeben, und Verres verfügte, daß die Leute von Bidis seine Güter einziehen und für sich behalten sollten. So kamen zu jener Erbschaft von 500 000 Sesterzen noch seine eigenen ursprünglich vorhandenen Besitztümer in Höhe von anderthalb Millionen. Ist die Sache von Anfang an so eingeleitet oder erst ganz zum Schlusse so abgeleitet worden? Und ist die strittige Geldsumme so klein und Verres ein solcher Charakter, daß man ihm zutrauen dürfte, all das eben erzählte umsonst geleitet zu haben?

(62) Bei dieser Gelegenheit laßt euch einmal darauf aufmerksam machen, meine Herren, wie jammervoll es um die Sicilianer bestellt ist. Als jener Herakleios von Syrakus und dieser Epikrates von Bidis sich um all ihr Hab und Gut betrogen sahen, kamen sie beide nach Rom; in erbärmlichem Zustande, mit ungeschorenem Haar und Bart lebten sie in Rom fast zwei Jahre, bis Lucius Metellus als Statthalter in die Provinz zog. Da gingen sie mit guten Empfehlungen versehen zu Metellus und reisten in seiner Gesellschaft ab. Sobald Metellus in Syrakus angekommen war, kassiert' er sofort die beiden Verfügungen des Verres in Sachen des Epikrates und Herakleios. Beiden sollte ihr Besitz zurückgestellt werden; aber es fand sich nichts mehr zum Zurückstellen, weder bei dem einen noch bei dem anderen; alles, was nicht niet- und nagelfest, war verschwunden.

XXVI. (63) Metellus benahm sich darin unmittelbar nach seiner Ankunft ganz vortrefflich, daß er alle die Gewalttätigkeiten des Verres, bei denen es noch irgendwie möglich war, rückgängig zu machen suchte und daher seine Verfügungen einfach aufhob. Wenn er dem Herakleios zu seinem Besitze hatte wieder verhelfen wollen und seine in diesem Sinn erlassenen Befehle nicht vollzogen sah, so hieß er jedes durch Herakleios als schuldig bezeichnete Mitglied des Stadtrates von Syrakus ins Gefängnis werfen, und das geschah dann mit vielen. Epikrates immerhin wurde sofort wieder in sein Haus zurückgeführt. Andere Fälle dieser Art wiederholten sich in Lilybaion, sowie in Akrăgas und Panórmos. Die Einschätzungen, die unter dem Prätor Verres vorgenommen worden waren, beschloß Metellus nicht einzuhalten, das hat er von vornherein gezeigt; die Zehnten, welche Verres mit Verstoß gegen das Gesetz des Hieron verpachtet hatte, erklärte Metellus in strengem Anschluß an dieses Gesetz verpachten zu wollen. Alles, was Metellus that, erweckte durchaus den Eindruck, daß er nicht eigentlich seine Statthalterschaft antreten sondern die des Verres illusorisch machen wollte. Aber sobald ich nach Sicilien gekommen war, verändert' er sich. (64) Am Tage bevor ich eintraf, stellte sich bei ihm ein gewisser Laetilius ein, der sich mit Lesen und Schreiben beschäftigt hatte und daher von Verres stets als Briefträger verwendet wurde. Diesmal bracht' er Metellus mehrere Briefe, darunter einen von Hause, der den Menschen total umwandelte. Plötzlich fing er an zu behaupten, er unternehme alles nur in Verres' Interesse; mit ihm war' er durch freundschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen aufs engste verbunden. Alle Welt erstaunte, daß ihm dies erst jetzt einfiele, nachdem er seinen Vorgänger durch zahlreiche Amtshandlungen und Verfügungen rein abgeschlachtet hatte. Manche glaubten, Laetilius sei zu ihm als direkter Abgesandter von Verres gekommen, um alle jene Beziehungen aufzuwärmen und ihn an seine persönlichen Pflichten zu erinnern. Jedenfalls begann er von dieser Zeit an, die Gemeinden zu Anerkennungsadressen aufzufordern und die Belastungszeugen nicht nur durch Drohungen zurückzuschrecken, sondern auch mit Gewalt festzuhalten. Hätt' ich nicht durch mein Erscheinen seinem Versuche einigermaßen Abbruch gethan und bei den Sicilianern mit Glabrios statt mit Metellus' Autorisation gewirkt, ich hätte so viele Zeugen nicht hierher berufen können. XXVII. (65) Aber ich fing ja an, euch von der jammervollen Lage der Leute dort zu erzählen, also höret. Herakleios und Epikrates kamen mir mit all ihren Freunden und Verwandten in feierlichem Zuge weit entgegen, als ich mich nach Syrakus begab; unter Thränen versicherten sie mir ihre Dankbarkeit und sprachen den Wunsch aus, mich nach Rom zu begleiten. Da ich nun vorher noch verschiedene andere Städte zu besuchen hatte, verabredet' ich mit den Leuten einen Tag, an dem wir in Messana zusammentreffen sollten. Ich kam hin und – empfing von ihnen die Nachricht, der neue Landvogt lasse sie nicht fort. Also Menschen, die ich als Zeugen angemeldet hatte, deren Namen ich dem Metellus offiziell genannt, die sehnlichst hierher zu kommen wünschten und die schlimmsten Mißhandlungen erlitten hatten – sie sind bis auf diesen Tag noch nicht gekommen. So steht's um die Lage unserer Bundesgenossen, nicht einmal einen Klagelaut über ihre Leiden dürfen sie äußern.

(66) Bereits habt ihr die Aussage des Zeugen Herakleios von Kentoripa vernommen; der treffliche, vornehme Jüngling wies nach, daß man ihm mittels böswilliger Schikanen hunderttausend Sesterzen abzunehmen suchte. Verres sorgte vermittelst angedrohter Strafen und eingeschobener Kompromisse für eine Erpressung von viermalhunderttausend Sesterzen; den Gerichtshof, welcher auf Antrag des Herakleios verfassungsmäßig eingesetzt war, indem ein Bürger von Kentoripa den Streit zwischen zwei anderen schlichtete, hob Verres nach schon gesprochenem Urteil auf mit der Erklärung, der Richter hätte ein falsches Urteil gesprochen; dann verbot er diesem Richter, im Stadtrate zu erscheinen und irgendwelche Vorteile des öffentlichen Lebens zu genießen; er versprach in besonderer Verfügung, wenn ihm jemand mit Wort oder That zu nahe trete, so würd' er keine Beschwerde darüber anhören; was man auch immer von dem Manne beanspruchte, alles würde durch einen aus der Mitte des berüchtigten »Regimentes« zu wählenden Richter entschieden, dem Angegriffenen aber keine Erlaubnis zur Klageführung gegeben werden. (67) Vor Verres' Persönlichkeit hatte man nun derartigen Respekt, daß – niemand dem Richter mit Wort oder That zu nahe trat, obgleich der Landvogt in seiner Provinz es ausdrücklich gestattete, und daß kein Mensch wider ihn Ansprüche erhob, obgleich der Herr dort unter Hinweis auf seine Amtswürde den Leuten den Weg zum Schwindel gezeigt und dafür Straflosigkeit zugesichert hatte. Indessen lastete doch die schwere Kränkung auf dem anständigen Manne so lange, wie Verres in der Provinz blieb. So wußte dieser nach einem neuen durch keinerlei Vorgänger autorisierten Systeme die Richter zu schrecken; ist es unter solchen Umständen denkbar, daß die Prozesse in ganz Sicilien anders als nach Verres' Wink entschieden wurden? Sollt' er mit diesem Verfahren nur auf den einen, augenblicklichen Zweck hingearbeitet haben, den er immerhin erreichte, nämlich dem Herakleios sein Geld zu rauben, oder vielmehr auf den allgemeineren, der so reichen Ertrag versprach, nämlich, mit Hilfe der Gerichtshöfe den Besitz aller Menschen in seine alleinige Gewalt zu bringen? –

XXVIII. (68) Was nun seine Verwaltung des Kriminalrechts anbetrifft, so ist es mir geradezu unmöglich, jeden einzelnen Fall zu erzählen. Ich will aus der Masse ähnlicher Vorgänge einige auswählen, die seine Unredlichkeit vielleicht in besonders grellem Lichte zeigen werden.

Sópatros von Halikye war einer der reichsten und angesehensten Männer seiner Stadt. Seine persönlichen Feinde hatten bei dem Prätor Gaius Sacerdos einen Kriminalprozeß gegen ihn angestrengt, aber ohne Erfolg: mit Leichtigkeit erlangt' er damals seine Freisprechung. Nun kam Verres als Nachfolger des Sacerdos in die Provinz, und jetzt begannen dieselben Feinde des Sopatros ihr Spiel von neuem: sie wiederholten ihre Anklage auf dasselbe Motiv. Sopatros glaubte die Sache auf die leichte Achsel nehmen zu können, schon weil er unschuldig war, und dann, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß Verres seinen Vorgänger direkt Lügen strafen und dessen Urteil aufheben würde. Der Angeklagte wird vorgeladen, der Prozeß in Syrakus geführt; der Ankläger behandelt lauter Klagepunkte, die früher nicht nur durch die Verteidigung sondern auch durch den Urteilsspruch erledigt worden waren. (69) Sopatros' Anwalt war der römische Ritter Quintus Minucius, eine unserer glänzendsten, achtbarsten Persönlichkeiten, übrigens euch, meine Herren, nicht unbekannt. In der ganzen Angelegenheit gab es keinerlei Motiv zur Besorgnis oder auch nur zu einer Unklarheit. Da fand sich bei Sopatros ein gewisser Timárchides ein; dies war Verres' Freigelassener und Hilfsbeamter, ein Mensch, der, wie ihr am ersten Termin von vielen Zeugen erfuhret, bei allen solchen Geschichten als Vermittler und Kommissionär fungierte. Er macht den Sopatros darauf aufmerksam, daß er gut thue, auf Sacerdos' Urteil und auf seine gerechte Sache nicht allzuviel Vertrauen zu setzen; seine Ankläger und Widersacher hätten die Absicht, dem Statthalter Geld zu geben; dem Statthalter wär' es jedoch angenehmer, für eine Freisprechung Geld zu nehmen und zugleich, wenn es sich so einrichten ließe, eine schon erledigte Angelegenheit nicht in umgekehrtem Sinne zu entscheiden. Sopatros war ganz verblüfft, denn das alles kam ihm natürlich im höchsten Grad unerwartet. So wußt' er für den Augenblick gar nicht, was er dem Timarchides antworten sollte und sagte nur, er würde sich den Fall überlegen; zugleich wies er darauf hin, daß er sich augenblicklich in einer sehr unbequemen Finanzlage befände. Darauf beriet er sich mit seinen Freunden; sie redeten ihm dringend zu, sich seine Rettung zu erkaufen, und so begab er sich denn zu Timarchides. Er setzt ihm seine schwierige Lage auseinander, beredet den Menschen schließlich zu 80 000 Sesterzen und legt ihm diese Summe auf den Tisch. XXVIIII. (70) Als es dann zur gerichtlichen Verhandlung kam, da waren alle, die es mit Sopatros hielten, ohne Angst und Sorge. Begangen hatte er nichts, ein Urteil war schon gesprochen, Verres hatte Geld bekommen; wem konnten über den Ausgang des Prozesses Zweifel aufsteigen? – An jenem Tage wurde die Verhandlung noch nicht zu Ende geführt; der Gerichtshof löste sich einstweilen auf. Zum zweitenmal kommt Timarchides zu Sopatros; er erzählt ihm, seine Ankläger versprechen dem Statthalter eine viel größere Geldsumme als die war, die er bezahlt; wenn er also vernünftig wäre, sollte er weiter zusehen. Sopatros war zwar Sicilianer und Angeklagter, das heißt mit anderen Worten ohne alle Aussicht auf gerechte Behandlung; aber nun hielt er's doch nicht länger aus, er konnte den Timarchides nicht mehr anhören. »Thut, was euch beliebt«, so sprach er, »ich kann euch nicht mehr geben.« Seine Freunde und Verteidiger waren derselben Ansicht, und zwar um so entschiedener, da Verres, so infam er sich auch selbst in der ganzen Frage benahm, dennoch in seinem Rate einige ehrenfeste Männer aus der »Genossenschaft römischer Bürger zu Syrakus« hatte, die sich auch im Rate des Sacerdos befunden hatten, als derselbe Sopatros gegenüber derselben Anklage freigesprochen wurde. Sie sagten sich sehr einfach, es ginge doch unmöglich, daß Sopatros von den Leuten, die ihn das vorige Mal freigesprochen hätten, jetzt verurteilt würde, wo nicht nur die Klage, sondern auch die Zeugen identisch waren. Hierauf beruhte ihre ganze Hoffnung, und so zog man denn vor Gericht. (71) Zahlreich hatte sich daselbst das gewohnte Publikum eingefunden; der Rat war vollzählig versammelt, und auf dessen Ehrbarkeit sowie auf seine frühere Entscheidung stützte sich, wie gesagt, die ganze Hoffnung des Sopatros und seiner Fürsprecher. Aber nun sehet, wie Verres seine freche Unredlichkeit nicht nur rücksichtslos, sondern auch schamlos walten läßt. In seinem Rate befand sich der römische Ritter Marcus Petilius; zu diesem sagt er, er möge doch seinen Geschäften nachgehen – er hatte nämlich gerade als Geschworener in einem Privatprozeß zu fungieren. Petilius sagte nein, weil seine Freunde, die er neben sich im Rate zu haben wünschte, durch Verres in dessen eigenem Rate zurückgehalten würden. Aber Verres ist ein freigebiger Mann; er meint, er wolle niemanden zurückhalten, der dem Petilius zur Seite stehen könne. Infolgedessen treten sie alle ab, denn auch den anderen wurde bedeutet, man wolle sie nicht zurückhalten; sie erklärten dem einen oder dem anderen der beiden Römer, die eben jenen Gerichtstag halten sollten, zur Seite stehen zu müssen. So bleibt Verres allein mit seiner nichtswürdigen Bande zugegen. (72) Minucius, der Sachwalter des Sopatros, hielt es für natürlich, daß Verres, da er den Rat entlassen, an jenem Tage die Verhandlung nicht weiter führen würde; da wird er plötzlich aufgefordert, sein Plaidoyer zu beginnen. »Zu wem soll ich denn sprechen?« fragt er. – »Zu mir«, erwidert Verres, »wenn du mich für berechtigt hältst, über so ein sicilianisches Griechlein zu Gericht zu sitzen.« – »Gewiß thue ich das«, sagt Minucius, »aber ich wünschte dringend die Anwesenheit der Personen, die früher zugegen waren und um die ganze Angelegenheit Bescheid wissen.« – »Beginne nur«, so lautete die Antwort; »die Anwesenheit der Leute ist unmöglich.« – »Ja freilich«, bemerkt Minucius, »auch mich hat ja Petilius gebeten, an seinem Rate teilzunehmen«; (73) damit dreht er sich um und macht Miene, das Lokal zu verlassen. Nun gerät Verres in Zorn, fährt den Mann mit den heftigsten Worten an und gebraucht die schlimmsten Drohungen für den Fall, daß er gegen ihn einen solchen Sturm allgemeiner Entrüstung erregen würde. XXX. Minucius lebte nun zwar in Syrakus um Handel zu treiben, allein nie vergaß er seines Rechtes und seiner Würde; er wußte wohl, daß es seine Aufgabe war, in der Provinz seinen Besitzstand zu vermehren, allein anderseits auch, daß er nie seine Unabhängigkeit aufgeben dürfte. So gab er dem Menschen eine Antwort, wie sie ihm gut dünkte und wie sie den Zeitumständen angemessen war; er erklärte, wenn der Rat entlassen und fortgeschickt ist, kann er eine Verteidigung nicht übernehmen. Damit verließ er das Lokal, und ihm folgten ohne weiteres alle Freunde und Anhänger des Sopatros außer den Sicilianern. (74) Verres, mit all' seiner unglaublichen Dreistigkeit und Frechheit, geriet nun doch, als er sich so auf einmal allein und verlassen sah, in Angst und Verwirrung; er wußte nicht, was er beginnen, wohin er sich wenden sollte. Vertagt er jetzt die Verhandlung, bis die Leute, die er weggeschickt hatte, wieder am Rate teilnehmen könnten, so mußte, das sah er voraus, Sopatros freigesprochen werden; verurteilt er dagegen den unglücklichen, schuldlosen Menschen, noch dazu in einem Gericht, wo der Präsident ohne Rat, der Beklagte ohne Sachwalter und sonstigen Beistand geblieben war, und wo ein fertiges Urteil des Statthalters Sacerdos umgestürzt werden sollte: dann, das wüßt' er ebenfalls, würd' es mehr böses Blut geben, als er vertragen könnte. So wogten die Zweifel in ihm auf und nieder; bald hierhin, bald dorthin neigt' er sich nicht nur mit dem Verstande, sondern auch mit dem Körper, so daß alle Anwesenden bemerken konnten, wie Furcht und Habgier in seiner Seele kämpften. Zahlreich war die versammelte Menschenmenge, tiefes Stillschweigen herrschte, alles war aufs äußerste gespannt, wie denn seine Raubgier losbrechen würde; häufig neigte sich sein Helfershelfer Timarchides zu ihm ans Ohr. (75) Endlich, nach langer Pause, ruft er aus: »Los! verteidige dich!« – Der Angeklagte legt sich aufs Bitten und beschwört ihn, die Sache mit dem Rate zu prüfen. Statt aller Antwort läßt Verres schleunigst die Zeugen aufrufen; der eine oder andere kann sich in aller Kürze äußern, Fragen werden nicht gestellt, dann verkündet der Ausrufer: »die Verteidigung ist beendet.« Eiligst springt Verres von seinem Sessel auf, so eilig, als fürchtet' er, Petilius könnte seinen Privatprozeß beendigt oder verschoben haben und nun mit den übrigen zum Rate zurückkehren; der unschuldige Mann, den der Statthalter Sacerdos freigesprochen hatte, wird von ihm nach der Erkenntnis seines Rates, d. h. eines Schreibers, eines Quacksalbers und eines Pfaffen, verurteilt. – XXXI. (76) Ich bitt' euch, ich bitt' euch, meine Herren, behaltet diesen Menschen im Lande, lasset ihn nicht in die Verbannung ziehen, schonet und pfleget ihn, auf daß er mit euch zusammen künftig zu Gericht sitze und durch seine Stimme im Senat ohne jedweden persönlichen Egoismus über Krieg und Frieden mitentscheide. Allerdings über diesen letzten Punkt können wir uns noch beruhigen; darum brauchen wir und die Nation uns keine Sorgen zu machen, was er im Senate befürworten wird. Denn wer wird ihn beachten? wem kann er imponieren? wann wird er überhaupt den Mut oder auch nur die Fähigkeit zu einer eigenen Meinung haben? wann kann sich ein Mensch von derartiger Vergnügungssucht und Schlaffheit überhaupt für die Staatsgeschäfte interessieren außer im Monat Februar? Im Februar pflegten die Gesandten auswärtiger Regierungen vom Senate zur Verhandlung empfangen zu werden. Für bestechliche Senatoren war dies natürlich eine ergiebige Jahreszeit. Aber mag er immerhin kommen, mag er Krieg gegen Kreta erklären, die Stadt Byzanz befreien, dem Ptolemaios sein Königreich wiedergeben, mag er alle Vorschläge des Hortensius nachschwätzen und befürworten: das alles ist noch von verhältnismäßig geringer Bedeutung für uns, für die künftige Gestaltung unseres Lebens, für die Aussichten auf unsere materielle Existenz. (77) Nein, auf dem anderen Gebiete liegt die fürchterliche, entsetzliche, jeden anständigen Menschen bedrohende Gefahr: darin nämlich, daß dieser Verres, wenn er sich erst aus den Schlingen unseres Prozesses irgendwie gewaltsam herausgerissen hat, selber in den Richterkollegien figurieren muß: er wird über Tod und Leben des römischen Bürgers seine Stimme abgeben, er wird als Fahnenträger im Heere desjenigen dienen, der die Hand nach der Herrschaft über die Gerichte ausstreckt. Dies ist es, was das römische Volk nicht zulassen will und nicht ertragen kann; das Volk schreit euch zu: »ja, thut nur was ihr wollt; wenn euch solche Leute Vergnügen machen, wenn ihr mit dieser Sorte den Glanz eures Standes und die Herrlichkeit eurer Regierung herstellen wollet, gut, dann behaltet euch den Kerl im Senat, machet ihn auch nach Belieben zum Richter über euch; aber uns lasset in Ruhe; wir, die wir außerhalb eures Standes stehen und denen selbst die Zurückweisung der Richter bis auf drei durch Sullas herrliche Gesetze genommen ist, wir wollen und werden es nicht dulden, daß ein so grausamer, nichtswürdiger, abscheulicher Verbrecher über uns zu Gericht sitze.« XXXII. (78) In der That, wenn es ein Verbrechen ist (ich halt' es für entehrend und nichtswürdig), für ein zu fällendes Urteil Geld anzunehmen, sein Richtergewissen von barer Bezahlung abhängig zu machen, wieviel scheußlicher und gemeiner ist es dann erst, einen Menschen, von dem man sich das freisprechende Urteil abkaufen ließ, nachher zu verurteilen, so daß in Hinsicht auf Zuverlässigkeit der Gerichtspräsident nicht einmal das Niveau der Straßenräuber innehält! Es ist ein fluchwürdiges Verbrechen, sich von einem Angeklagten bestechen zu lassen; wieviel schlimmer vom Ankläger, und vollends von allen beiden! Wenn du in der Provinz deine Entschlüsse käuflich ausbotest, so galt dir natürlich derjenige am meisten, der den höchsten Preis zahlen wollte. Gut, es sei dies einmal zugegeben, vielleicht ist ja etwas der Art schon einmal irgendwo vorgekommen. Man beachte das Zugeständnis des Römers! Wenn du aber Treue und Gewissen bereits einem bestimmten Käufer zugeschlagen und das angebotene Kaufgeld eingestrichen hast, um nachher dieselben seinem Gegner für eine größere Summe zu überliefern, so willst du beide betrügen? willst dem doppelt Betrogenen nicht einmal sein Geld wiedergeben? (79) Was ist das für ein Bulbus oder Staienus? Bulbus und Staienus waren Richter in dem mehrfach erwähnten Giftmordprozesse des Cluentius und hatten sich dabei notorisch hin und her bestechen lassen. Übersteigt das nicht alles, was man je gesehen oder von ungeheuerlichen Fabelwesen gehört hat? Wo gab es je so ein Ungeheuer, das erst mit dem Beklagten feilscht, dann mit dem Ankläger handelseinig wird, die zuverlässigen Kenner der Verhältnisse wegschickt, den Rat auflöst, endlich allein gelassen den Beklagten nach schon voraufgegangener Freisprechung und empfangener Barzahlung verurteilt und das Geld nicht herausgiebt! Diesen Menschen sollen wir künftig unter unseren Richtern haben? er soll im Gericht eine Abteilung des Senates vertreten? er soll über ein freies Haupt urteilen? – Vertrauet ihm nur das Stimmtäfelchen des Richters an; er wird es nicht nur mit Wachs, sondern, wenn's ihm beliebt, auch mit Blut beschmieren.

XXXIII. (80) Aufs Leugnen wird er sich wohl diesmal nicht verlegen. Wie sollt' er auch? er müßte ja die Hauptsache ableugnen, nämlich den Empfang des Geldes. Gesetzt aber, er thäte das: da steht der römische Ritter, der den Sopatros verteidigte und mit allen seinen Verhältnissen und Plänen vertraut war, Quintus Minucius; er nahm es auf seinen Eid, daß die Bestechung erfolgt war und daß Timarchides ihm gesagt hatte, die Ankläger böten eine größere Summe, was bestätigt wurde durch zahlreiche Sicilianer, durch alle Zeugen aus Halikye, auch durch Sopatros' eben herangewachsenen Sohn, der durch die Grausamkeit dieses Menschen hier um seinen fleckenlosen Namen und um sein angestammtes Vermögen gebracht worden ist. (81) Aber wenn ich selbst die Thatsache der Bestechung nicht durch Zeugen festzustellen vermöchte, könntest du leugnen oder möchtest du jetzt leugnen, daß du deinen Rat auflöstest, die hochangesehenen Männer, die mit Gaius Sacerdos und bis dahin auch mit dir zu Gericht saßen, fortschicktest und nun über eine bereits erledigte Angelegenheit richtetest? daß du denselben Mann, welchen Sacerdos in Übereinstimmung mit dem Rat und nach Prüfung des Tatbestandes freisprach, deinerseits nach Entlassung des Rates und ohne jede Voruntersuchung verurteiltest? Wenn du dies erst zugestanden hast, was öffentlich auf dem Markte von Syrakus vor den Augen der ganzen Provinz handgreiflich geschehen ist, dann magst du meinetwegen den Empfang des Geldes ruhig leugnen; du wirst schon, glaub' ich, jemanden finden, der, auf den Anblick deiner öffentlich verübten Handlungen hin, die Frage aufwirft, was du denn im geheimen verübtest; vielleicht wird er dann im Zweifel sein, ob er lieber meinen Zeugen oder deinen Verteidigern Glauben schenken soll! –

(82) Schon früher hab' ich erklärt, nicht alle Verbrechen des Verres auf diesem Gebiete herzählen, sondern nur einige besonders hervorragende Fälle auswählen zu wollen. XXXIIII. So vernehmet denn jetzt von einer anderen seiner glänzendsten Leistungen, die an vielen Orten häufig erwähnt wurde und vermöge ihres besonderen Charakters alle Arten von Missethat in sich zu schließen scheint. Passet sorgfältig auf; was ihr finden werdet, ist eine Unthat, entsprossen aus Raubgier, erhöht durch Unzucht, abgeschlossen und vollendet durch Grausamkeit.

(83) Sthenios heißt der Mann aus Thermai, der hier neben uns sitzt, einst vielfach genannt wegen seines trefflichen Charakters und seiner vornehmen Abkunft, jetzt aller Welt bekannt wegen seines unseligen Geschickes und der durch Verres erlittenen Unbill. Verres hatte seine Gastfreundschaft erfahren und häufig bei ihm in Thermai gewohnt; zum Danke schleppt' er alles aus seinem Hause fort, was einigermaßen Sinn und Augen eines Menschen reizen konnte. Sthenios hatte nämlich seit seiner Jugend eifrig solche Dinge gesammelt, wie z. B. künstlerisch gearbeitete Bronzegefäße aus Delos und Korinth, ferner Gemälde, auch schön ciseliertes Silber – soweit die Verhältnisse eines Mannes aus Thermai es erlaubten – in relativ stattlicher Menge. Da er in seiner Jugend eine Zeitlang im griechischen Orient gelebt hatte, so konnt' er, wie gesagt, viel Eifer auf diese Sammlungen verwenden; er schaffte sich eine Menge an, weniger zu seinem persönlichen Vergnügen als um seinen Gästen sein Haus noch angenehmer zu gestalten, denn häufig empfing er Besuch von Leuten aus Rom, die mit ihm als Gastfreunde oder gute Bekannte verkehrten. (84) Alles dies wußte ihm Verres zu entwinden, teils durch Bitten, teils durch Verlangen, teils mit Gewalt; Sthenios ertrug es, so gut er konnte. Wohl setzt' es notwendigerweise seinem Herzen arg zu, daß sein prächtig eingerichtetes Haus durch Verres nun schon fast vollständig ausgeplündert und allen Schmuckes entblößt war; indessen behielt er doch seinen Schmerz für sich: er glaubte diese Schädigung ertragen zu müssen, mit Ruhe, weil sie ihm ein römischer Prätor, mit Entsagung, weil sie ihm ein Gastfreund angethan. (85) Aber Verres wurde von seiner bereits allbekannt gewordenen Raubgier noch weiter getrieben: er sah auf einem öffentlichen Platze von Thermai mehrere wunderschöne antike Statuen und verliebte sich in sie. Um sie in seine Gewalt zu bringen, stellt er an Sthenios das Ansinnen, bei ihrer Fortschaffung hilfreiche Hand zu leisten. Da sagte Sthenios nicht nur entschieden »Nein«, sondern wies ihm auch nach, daß es rein unmöglich war: die altehrwürdigen Statuen, die dort zum Andenken an Scipio Africanus standen, wegzuschleppen – das, sagt' er, ginge nicht an, solange die Stadt Thermai und das römische Reich bestehen würden.

XXXV. (86) Ihr müsset nämlich wissen, welch glänzendes Beispiel von Edelmut und Gerechtigkeit Scipio Africanus dort gegeben hatte. Die Stadt Hímera, Himera war eine Kolonie der Ionier, die westlichste, die dieser »Adel des Menschengeschlechtes« an Siciliens Nordküste gründete. Hier lebte schon im siebenten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, als Athen sich von seiner künftigen Kunstblüte noch nichts träumen ließ, der große Stesichoros, der durch seine Dichtungen und Kompositionen, sowie durch seine Art Chöre einzustudieren und aufzuführen für die gesamte Entwicklung der hellenischen Poesie, Musik und Mythenauffassung maßgebend wurde; bis in die attische Tragödie hinein, ja bis in die alexandrinische Kleinkunst und schließlich bis auf den zweiten Teil von Goethes »Faust« erstreckte sich, obgleich nur Fragmente von seinen Dichtungen erhalten sind, sein Einfluß. Auch als Politiker war er im edelsten Sinne thätig. – Bei Himera erfochten im Jahre der Schlacht von Salamis, 480, die Hellenen ihren glänzendsten Sieg über die Karthager; ein ungeheures Invasionsheer ward vernichtet. 71 Jahre später ging die Stadt für immer zu Grunde; die Bewohner konnten sie gegen die Übermacht der karthagischen Massen nicht mehr verteidigen, zogen fort, und die Zerstörung wurde so radikal durchgeführt, daß nie wieder an einen Aufbau zu denken war. eine der schönsten und berühmtesten von Sicilien, war einst von den Karthagern erobert und gänzlich zerstört worden. Scipio, der eine des römischen Namens würdige Handlung zu begehen glaubte, wenn nach Beendigung eines Krieges unsere Bundesgenossen durch unseren Sieg ihr Eigentum wieder erhielten, sorgte nach der Einnahme Karthagos dafür, daß den Sicilianern das Ihrige, so weit es möglich war, wieder zugestellt wurde. Als nun Himera zerstört worden war, zogen diejenigen Bürger, die den Greueln des Krieges entronnen waren, nach Thermai, und schlugen dort innerhalb des Gebietes ihrer Gemeinde und nicht weit von ihrer alten Stadt neue Wohnsitze auf. Dort hofften sie Vermögen und Stellung ihrer Väter wieder zu erobern, als jene Ehrenstücke aus den Zeiten ihrer Ahnen in ihrem Städtchen aufgestellt wurden. (87) Es waren mehrere Statuen aus Bronze; unter ihnen durch besondere Schönheit hervorragend die Himera selbst, eine weibliche Gewandstatue, die nach der Stadt und dem nahen Flusse benannt war. Da war auch die Porträtstatue des Dichters Stesichoros; er war als Greis dargestellt, etwas gebeugt, ein Buch in der Hand – alles, wie man erzählt, mit vollendeter Meisterschaft gearbeitet: war doch Stesichoros in Himera zu Hause, aber in ganz Griechenland stets, wie auch noch jetzt, als einer der genialsten Dichter verehrt. Auf diese Statuen hatte Verres ein Auge geworfen, und sein Verlangen stieg bald bis zu einer Art von Raserei. Da stand auch, was ich beinahe ausgelassen hätte, eine kleine Ziege, ein ganz wunderbares Stück, so daß selbst wir, die wir von diesen Dingen gar nichts verstehen, So oft Cicero auf Statuen zu sprechen kommt, betont er seine Nichtkennerschaft. Dies ist natürlich Pose; dem Altrömer galt die Beschäftigung mit solchem Tand als etwas Verächtliches, und wenn auch in Ciceros Zeit die verschiedensten Klassen der römischen Gesellschaft darüber anders zu denken anfingen, so kokettiert er doch gern mit dem traditionellen Römertum der guten alten individualitätslosen kunstfeindlichen Zeit. Dies wirkte namentlich beim »Volke«, das in den Erinnerungen an die alte, längst eingebüßte Ehre und ihre Grundsätze erzogen wurde, obgleich jeder dieser nach »Brotspenden und Cirkusspielen« schreienden Quiriten ganz gut wußte, daß seine Tempel am Forum erheblich angenehmer aussahen, seitdem sie mit geraubten Säulen und Statuen aus Griechenland geschmückt waren. (Die Marmorbrüche Italiens waren noch nicht im Betrieb, trotz der sogenannten »Kultur« der Etrusker; man plünderte damals Griechenland so wie die christlichen Römer des Mittelalters die Prachtbauten der antiken Kaiserzeit einrissen und plünderten.) Von einer wirklichen Kennerschaft im griechischen Sinne, von hohem Kunstverständnis und der Fähigkeit in den tiefen Geist eines Kunstwerkes einzudringen, das organische darin zu erkennen, das ethische auf sich wirken zu lassen und dem Künstler in seine wunderreiche Geisteswelt zu folgen – von diesem Kunstverständnis, dessen reichste Fülle wir bei Goethe sehen und das bei einigen Kritikern der neuesten Zeit vorhanden sein soll, kann weder bei Cicero noch bei seinen Stammesgenossen die Rede sein. Der Römer, und zwar nicht bloß der verkommene des sullanischen, sondern auch der in unserem Sinne »gebildete« des augusteischen Zeitalters nahm die Kunst gern entgegen als einen Luxus, einen angenehmen erheiternden Gegenstand; man sah die Kunstwerke rein äußerlich an und wollte lediglich unterhalten sein, genau wie die meisten heutzutage. Auch hierin steht die römische Anschauungsweise mit der modernen gegenüber der griechischen. die feine Naturbeobachtung und die reizende, künstlerische Arbeit bemerken konnten. Diese und andere Stücke hatte Scipio nicht etwa nachlässig beiseite geworfen, damit ein feiner Kenner wie Verres sie aufheben könnte, sondern er hatte sie den Bürgern von Thermai zurückerstattet; nicht als ob er keine Gärten oder Landsitze oder sonst günstigen Plätze für ihre Aufstellung besessen hätte, sondern er wußte, wenn er sie nach Hause mitnähme, würden sie nicht lange Scipios Eigentum heißen, vielmehr Eigentum derjenigen, die ihn nach seinem Tode beerben würden; nun wurden sie an einem solchen Platz aufgestellt, wo sie meiner Empfindung nach für alle Zeiten dem Scipio angehören und seinen Namen tragen.

XXXVI. (88) Als Verres diese Kunstwerke für sich forderte und die Sache im Stadtrate zur Sprache kam, leistete Sthenios den heftigsten Widerstand, und wie er denn im Kreise seiner Landsleute zu den redegewandtesten gehörte, wies er sie auf die ganze Ungehörigkeit des Vorhabens hin: eher müßten die Bürger von Thermai anständigerweise ihre Stadt verlassen als die Entführung jener Kunstwerke dulden; er erinnert sie an die Denkmäler der Vorfahren, die karthagische Kriegsbeute, die Wohlthaten des herrlichen Mannes, die Wahrzeichen der Freundschaft und Waffenbrüderschaft mit Rom. Alle waren tief ergriffen; kein einziger fand sich, der nicht den Tod dieser Schmach vorgezogen hätte. So fand denn Verres in diesem Städtchen einstweilen fast das einzige auf Erden, wo es ihm nicht gelang, der Bürgerschaft etwas von jener Art wegzunehmen; nichts wollte verfangen, nicht offene Gewalt noch heimlicher Diebstahl, kein Machtwort, keine Liebenswürdigkeit und keine Belohnung. Jedoch erst an anderer Stelle werd' ich seine Raubgelüste auf diesem Gebiet auseinandersetzen; jetzt will ich zu Sthenios zurückkehren. (89) Verres war aufs höchste gegen ihn erbittert; er kündigt' ihm die Gastfreundschaft und verließ sein Haus, oder vielmehr er kehrt' ihm für immer den Rücken, denn verlassen hatt' er es schon längst. Sogleich laden ihn Sthenios' erklärte Widersacher zu sich ein, um ihn durch böswillig erfundene Beschuldigungen noch mehr gegen den Mann in Harnisch zu bringen. Diese Widersacher waren ein Edelmann Namens Agathīnos und dessen Schwiegersohn Dorótheos; von dessen Frau, Agathinos' Tochter Kallidāma , hatte Verres gehört und so zog er es vor in das Haus des Schwiegersohnes überzusiedeln. Eine einzige Nacht war verstrichen, als er den Dorotheos bereits so innig liebte, daß man meinen mußte, sie besäßen alles gemeinsam; den Agathinos behandelt' er mit einer Aufmerksamkeit wie einen nahen Verwandten; ja er schien sogar die Statue der Himera bereits zu verachten, weil ihm die Formen und Wellenlinien seiner Wirtin erheblich mehr Vergnügen bereiteten. XXXVII. (90) Nun fing er an, die Menschen aufzustacheln, sie sollten doch dem Sthenios das Leben sauer machen und irgend etwas Klagbares gegen ihn erfinden. Sie antworteten, es wäre nicht leicht, denn augenblicklich läge kein Grund vor. Da versichert er ihnen ganz offen und bestimmt, sie könnten gegen Sthenios unternehmen, was sie wollten; unter allen Umständen wären sie seiner Unterstützung sicher. So gehen sie denn ohne Säumen ans Werk und reichen eine Denunziation gegen Sthenios ein; sie behaupten, er habe öffentliche Urkunden gefälscht. Sthenios stellt den Antrag:

»da seine Mitbürger wegen angeblicher Urkundenfälschung gerichtlich gegen ihn vorgehen und ein solcher Fall in der ›Verfassung für die Gemeinde Thermai‹ vorgesehen sei, da ferner die römische Reichsregierung den Bürgern von Thermai zum Lohne für ihre bewährte und zu allen Zeiten bewiesene treue Anhänglichkeit ihre Stadt, ihre Äcker und ihre Verfassung wiedergegeben habe, da endlich Publius Rupilius auf Grund eines Senatsbeschlusses und in Übereinstimmung mit dem Rate der Zehn die Verordnung für Sicilien erlassen, daß die Bürger einer Gemeinde ihre Streitigkeiten nach den Gesetzen ihrer Gemeinde schlichten sollen, und da auch der Prätor Verres diese Verordnung ausdrücklich als rechtskräftig anerkannt –

so möge man, in Anbetracht aller dieser Gründe, den Antragsteller für den vorliegenden Fall an die Landesgesetze verweisen.«

(91) Aber der gerechteste und uneigennützigste aller Menschen, dieser Herr da, giebt die Antwort, er werde den Fall prüfen; er setzt Tag und Stunde des Termines fest, an welchem der Beschuldigte sich verteidigen sollte. Die Absichten des nichtswürdigen Verräters waren niemand unklar: er selbst hatte nicht genügend für ihre Geheimhaltung gesorgt, und die Frauensperson hatte ihre Zunge auch nicht im Zaume halten können. Man erkannte, es lief darauf hinaus, den Sthenios ohne jeden Beweis seiner Schuld und ohne Zeugen zu verurteilen; danach wollte der Schändliche über seinen einstigen Gastfreund trotz seines Ranges und seiner Jahre die entsetzliche Strafe der Geißelung verhängen. Als hierüber kein Zweifel mehr aufkommen konnte, da faßte Sthenios in Übereinstimmung mit seinen Freunden und Gästen einen verzweifelten Entschluß: er entwich aus Thermai und schiffte sich nach Rom ein: lieber wollt' er sein Leben den Winterstürmen auf hoher See aussetzen, als die allgemeine Katastrophe, die über ganz Sicilien in Gestalt des Verres hereingebrochen war, über sich ergehen lassen. – XXXVIII. (92) Zur festgesetzten Stunde findet sich der pünktliche, gewissenhafte Statthalter zum Gerichtstermin ein; »man hole den Sthenios«, so befiehlt er. Aber Sthenios war nicht zu finden. Wie Verres das hört, braust er auf in wütendem Ärger, schickt verschiedene Aphrodite-Tempelsklaven ins Haus des Sthenios, läßt Reiter nach seinen Landhäusern jagen und seine Güter durchstreifen. So wartet er den ganzen Tag auf eine Nachricht; vergebens, es kommt die Dämmerung, es wird Abend, erst jetzt verläßt er den Gerichtsplatz. Am nächsten Tage kommt er früh morgens wieder; er läßt den Agathinos rufen und befiehlt ihm, gegen den abwesenden Sthenios wegen der Urkundenfälschung zu plädieren. Der Fall war der Art, daß der Denunziant selbst ohne Gegner und bei einem feindselig voreingenommenen Richter nichts finden konnte, was er hätte vortragen sollen; (93) so stellt er nur mit dürren Worten die Behauptung hin, Sthenios habe zur Zeit des Statthalters Sacerdos öffentliche Urkunden gefälscht. Kaum hat er diese Worte ausgesprochen, so verkündigt Verres auch schon:

»Wir erkennen den Sthenios für schuldig der Fälschung öffentlicher Urkunden«; und dazu fügte dieser Sklave der Liebesgöttin noch folgenden Satz nach einem von ihm selbst erfundenen Systeme:

»Aus diesem Grunde sollen fünfmalhunderttausend Sesterzen vom Vermögen des Sthenios eingezogen und im Tempelschatz der Aphrodite auf dem Berg Eryx hinterlegt werden.«

Er machte sich auch sogleich daran, die Grundstücke des Verurteilten versteigern zu lassen; und er hätte sie wirklich versteigert, wenn man auch nur einen Augenblick gezögert hätte, ihm jene halbe Million auf den Tisch zu legen. (94) Nachdem man sie ihm bezahlt hatte, war er noch nicht zufrieden; so viel Unbilligkeit genügt ihm nicht, und daher verkündet er denn feierlich von seinem Richterthron herab:

»Wenn jemand gegen den abwesenden Sthenios einen Kriminalprozeß auf Todesstrafe anhängig machen will, so werde ich die Anmeldung entgegennehmen;«

zugleich begann er auch seinen neuen Verwandten und Gastfreund Agathinos zu ermuntern, er möchte sich doch selber heranwagen und die Klage anmelden. Da erklärte der Mann mit lauter Stimme, so daß es alle hören konnten, das würde er niemals thun; so weit ginge seine Feindschaft gegen Sthenios nicht, daß er ihn eines Verbrechens beschuldigen könnte, auf dem die Todesstrafe stünde. Da plötzlich tritt ein gewisser Pacilius vor, ein kümmerliches, nichtiges Subjekt, und sagt, er wolle, wenn es gestattet sei, die Kriminalklage gegen den Abwesenden anmelden. Mit Freuden erwidert Verres, es sei sehr wohl gestattet und durchaus üblich, und er werde die Anmeldung entgegennehmen, die denn auch sofort geschieht; nun verordnet er ohne weiteres, am ersten Dezember des laufenden Jahres habe sich Sthenios in Syrakus einzustellen. (95) Dieser war inzwischen nach einer für die bereits vorgeschrittene Jahreszeit verhältnismäßig günstig abgelaufenen Überfahrt in Rom angelangt (alles war eben milder und menschlicher als das Herz seines Prätors und Gastfreundes); Das Original mußte hier umschrieben werden, da eine wörtliche Übersetzung etwa lauten würde » die See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen« und der Herausgeber sich nicht entschließen konnte, moderner Philologensitte folgend, den antiken Autor in der Übersetzung einen neueren Dichter citieren zu lassen. In hohem Grade charakteristisch ist aber dieses rein zufällige Zusammentreffen der beiden großen Rhetoren Cicero und Schiller. hier erzählt er den Vorfall seinen Bekannten, die sämtlich das Empörende und Furchtbare seiner Behandlung empfanden.

XXXVIIII. Sofort brachten denn auch die Konsuln Gnaeus Lentulus und Lucius Gellius im Senate den Vorschlag zur Sprache, die versammelten Väter möchten beschließen, daß in den Provinzen kein Mensch während seiner Abwesenheit auf Tod und Leben angeklagt werden dürfe; den ganzen Fall Sthenios mit Verres' grausamem und rechtswidrigem Benehmen tragen sie dem Senate vor. Nun war im Senate der Vater unseres Angeklagten zugegen; unter Thränen fleht' er jeden einzelnen Senator an, seinen Sohn zu schonen; doch richtet er nicht eben viel aus, denn der Senat war der Sache mit völliger Entschiedenheit zugeneigt. So wurde denn verschiedentlich der Antrag befürwortet:

»Im Hinblick auf den Fall Sthenios werde beschlossen, daß niemand, der seine Heimat verlassen, daselbst auf Tod und Leben angeklagt werden dürfe; alle bereits angesetzten Termine dieser Art seien rückgängig zu machen.«

(96) An jenem Tage konnte nichts erledigt werden, weil die Verhältnisse ungünstig lagen und jener Verres, der Vater unseres Angeklagten, einige Menschen gefunden hatte, die mit Reden die Zeit hinbrachten. Derselbe suchte dann sämtliche Anhänger und Gastfreunde des Sthenios auf und bat sie aufs inständigste, doch nicht über seinen Sohn herzufallen; wegen Sthenios sollten sie sich keinen Kummer machen, denn er, Verres, werde dafür sorgen – dies versichert er ihnen – daß dem Manne durch seinen Sohn kein Leides geschehe; er würde eigens zu diesem Zwecke zuverlässige Vermittler auf dem Land- wie auf dem Seewege nach Sicilien entsenden. Noch waren es etwa dreißig Tage hin bis zum ersten Dezember als dem Termin, an welchem sich Sthenios nach Verres' Verordnung in Syrakus stellen sollte. (97) Die Freunde lassen sich erweichen, in der Hoffnung, durch die Briefe und Vermittler des Vaters werde sich der Sohn von seiner Verfolgungswut abbringen lassen. Im Senate kam die Sache späterhin nicht mehr zur Sprache. Nun kamen bei Verres in Sicilien die Boten von Hause an und brachten die Briefe des Vaters; es war noch vor dem ersten Dezember und das ganze Verfahren gegen Sthenios noch nicht eröffnet; er hätte also in diesem Falle die Hände noch rein halten können, und zur selben Zeit erhielt er in diesem Sinne verschiedene Briefe von seinen Freunden und Verwandten. XXXX. Aber er, der vor Raubgier niemals auf Pflicht noch Gefahr geachtet, auch niemals eine menschliche Empfindung verspürt hatte, er gab weder der Autorität noch dem Willen des Vaters Gehör, kümmerte sich weder um seine Bitten noch um seine Mahnungen, sondern kannte nur seine niedrige Leidenschaft: am Morgen des ersten Dezember ließ er seiner Verordnung gemäß den Sthenios vorladen. – (98) Höre, Verres, hätte dein Vater dich um jenen Schritt etwa aus Rücksicht auf die Bitten irgend eines Freundes ersucht, also aus Gefälligkeit oder Streben, so hätte schon unter allen Umständen der Wille des Vaters mehr bei dir auswirken müssen als alles; nun wünscht' er ihn aber um deiner Ehre willen, bat dich darum durch eigens dazu abgesandte, achtungswerte Personen, die zur rechten Zeit bei dir eintrafen, als du dich noch in keiner Weise engagiert hattest: und selbst da konnte in dir keine Pietät aufkommen, konnte sogar der Gedanke an deine Rettung dich nicht auf den Weg der Pflicht und der Vernunft zurückbringen! – Er ruft den Angeklagten auf; keine Antwort. Er ruft den Kläger auf, und nun beachtet einmal, wie das Schicksal selbst sich gegen sein wahnwitziges Beginnen stemmte und wie zugleich der Zufall dem Sthenios aufzuhelfen suchte: der Ruf verhallte ohne Antwort, der Kläger Marcus Pacilius ließ sich nicht vernehmen, war, ich weiß nicht durch welchen Zufall, am Erscheinen verhindert. Man darf annehmen, daß die Freunde des Sthenios, die vorher die halbe Million für ihn ausgelegt hatten, den Pacilius rechtzeitig bestachen und somit die Scheinklage im Keim erstickten. (99) Wäre Sthenios zugegen gewesen, als man seinen Namen auf die Anklageliste setzte, wär' er dann durch zwingende Beweise des Verbrechens für schuldig erkannt gewesen, selbst dann hätt' er, sobald sich kein Ankläger stellte, nicht verurteilt werden dürfen. Denn wenn es anginge, daß ein Beklagter in Abwesenheit des Klägers verurteilt wird, so wär' ich wahrhaftig nicht von Vibo nach Velia Stationen an der Südwestküste von Unteritalien, beliebte Schlupfwinkel der Seeräuber, auch noch zu Goethes Zeit. auf einem kleinen Schiffchen mitten durch die Nachstellungen der Rebellen, der Piraten und deiner Schergen gesegelt: damals hatte meine ganze todesgefährliche Eile nur den einen Zweck, daß du nicht von der Liste der Beklagten abgesetzt würdest, was unfehlbar geschehen mußte, wenn ich nicht pünktlich auf den Tag zur Stelle war. Wenn es also bei deinem eigenen Prozeß dein höchster Wunsch war, daß ich auf den Aufruf des Gerichtspräsidenten nicht erschiene, warum ließest du dem Sthenios da nicht denselben Vorteil zu gute kommen, wo doch sein Ankläger thatsächlich nicht erschien? – So gab er denn der Sache einen Abschluß, der ihrem Anfang aufs genaueste entsprach: der Mann, der während seiner Abwesenheit verklagt worden war, wurde nun in Abwesenheit seines Anklägers verurteilt.

XXXXI. (100) Um jene Zeit wurde nun dem Verres gemeldet, was ihm privatim sein Vater in ausführlichem Berichte geschrieben hatte, daß die Sache im Senate durchgenommen worden war; daß ferner auch in einer Volksversammlung der Tribun Marcus Palicanus über den Fall Sthenios Beschwerde geführt; daß endlich ich selbst vor den versammelten römischen Volkstribunen, deren Verordnung ja einem in Kriminalsachen zum Tode Verurteilten den Aufenthalt in Rom nicht gestattet, die Verteidigung des Sthenios geführt hatte. Ich setzte dabei den ganzen Vorgang in derselben Weise auseinander wie eben vor euch, und legte dar, daß jenes Urteil nicht vollstreckt werden durfte, worauf die zehn Volkstribunen einstimmig erklärten und offiziell verkünden ließen, »daß Sthenios durch die Verordnung nicht gehindert würde, sich frei und unbelästigt in Rom zu bewegen.« (101) Als diese Thatsachen dem Verres hinterbracht wurden, geriet er denn doch in gewaltige Angst und Aufregung; er unterzog nun seine Amtsberichte einer durchgreifenden Umarbeitung, d. h. er verkehrte alles, was ihm beliebte, ins Gegenteil, wodurch er nur erreichte, daß er sich selber jede Stütze wegnahm. Nichts ließ er übrig, was ihm noch einen rettenden Ausweg eröffnet hätte. Denn wenn er sich folgendermaßen verteidigen wollte: »Man darf die Klage gegen einen Abwesenden entgegennehmen, in der Provinz wird dies durch kein Gesetz verboten,« so wär' es zwar eine schlechte und unredliche Verteidigung, aber doch immerhin etwas, ein Versuch, schließlich hätt' er auch zu dem letzten, ganz verzweifelten Aushilfsmittel seine Zuflucht nehmen können, nämlich zu sagen, er hätt' es aus Unkenntnis der Gesetze gethan, in der Vorstellung, es wäre erlaubt. Das wäre zwar nur eine ganz jämmerliche Ausrede gewesen, allein man hätte doch immerhin geglaubt, er sage etwas. So aber merzte er die Thatsachen aus den Rechenschaftsberichten aus und trug dafür ein, die Anmeldung wäre in Gegenwart des Beklagten erfolgt.

XXXXII. (102) Nun seht, in wie viele Schlingen er sich verstrickt hat; aus keiner einzigen wird er sich jemals loswickeln. Erstlich hatte er selbst in Sicilien häufig vor aller Welt von seinem Thron herab verkündigt und überdies in vielen Privatgesprächen ausgeführt, daß es gestattet sei, die Klage gegen einen Abwesenden entgegenzunehmen, er hab' es nach dem Beispiel anderer gethan. Daß er sich wiederholt in diesem Sinne geäußert, bestätigte in unserer ersten Verhandlung Sextus Pompeius Chloros, über dessen vortrefflichen Charakter ich bereits gesprochen habe; ferner Gnaeus Pompeius Theodoros, dessen bewährte Thätigkeit auf den verschiedensten und wichtigsten Gebieten unser großer Gnaeus Pompeius und neben ihm die öffentliche Meinung stets zu rühmen wußte; ferner Posides Makron aus Sol ūs, ein Mann von wahrem Adel der Geburt wie des Charakters und als solcher allgemein verehrt; endlich werden es in unserer jetzigen Verhandlung so Viele bekräftigen wie ihr wollt, lauter hochachtbare Personen unseres und anderer Stände, die es teils aus Verres' eigenem Munde vernommen hatten, teils auch zugegen waren, als die Klage wider den Abwesenden angenommen ward. Als dann die Sache im Senate zu Rom verhandelt wurde, suchten Verres' Vater und alle seine Freunde ihn mit der Ausrede zu verteidigen, so etwas sei erlaubt, sei häufig geschehen, Verres könnte sich auf bestimmte Präzedenzfälle berufen. (103) Außerdem haben wir das Zeugnis der gesamten Provinz Sicilien, die in gemeinsamen Anträgen aller Gemeinden den Konsuln anheim gab, den Senat aufs dringendste zu bitten, er möge doch beschließen, daß die Klage gegen Abwesende nicht angenommen werden dürfe. Darüber habt ihr unseren trefflichen jungen Gnaeus Lentulus, der den Ehrentitel eines Schützers von Sicilien führt, sprechen hören; als die Sicilianer, so erzählt er, ihm die Sache vortrugen, die er für sie im Senate führen sollte, da bejammerten sie das Verhängnis des Sthenios, und eben wegen der dem Sthenios zugefügten Unbill hätten sie beschlossen, die genannte Bitte an ihn zu richten. (104) Unter solchen Umständen gingst du in deiner Frechheit und Verrücktheit so weit, bei einer allbekannten, vielbezeugten, von dir selbst verbreiteten Angelegenheit öffentliche Urkunden zu fälschen! Und wie hast du die Fälschung angefangen? Fälschtest du nicht in einer Weise, daß, selbst wenn wir alle schwiegen, deine eigenen Urkunden dir von selbst das Verdammungsurteil sprächen? Man reiche mir das Aktenbündel; bitte es vorzuzeigen und herumzugeben. Seht ihr, wie da eine ganze Partie ausradiert ist? gerade an der Stelle, wo es heißt, die Klage sei in Gegenwart des Beklagten angenommen worden. Was stand früher an dieser Stelle geschrieben? welcher Fehler wurde durch diese Operation verbessert? – Erwartet ihr, meine Herren, von mir noch weitere Beweise für diese Schuld? Ich sage nichts mehr; vor aller Augen liegen die Akten mit ihrer offenkundigen Überarbeitung und Verfälschung: dies spricht von selbst. Im Original steht: »die Akten schreien, sie seien verfälscht,« ein Ausdruck, der sich wohl französisch wiedergeben ließe, im Deutschen aber statt des gewollten pathetischen vielmehr einen lächerlichen Eindruck machen würde und daher gemildert werden mußte. (105) Hoffst du noch dich aus dieser Enge zu befreien? Wir verfolgen dich ja nicht mit zweifelhaften Vermutungen, sondern auf deinen eigenen Spuren, diesen frisch eingedrückten Spuren, die du auf den Staatsurkunden zurückgelassen hast. – Der Mensch will mir den Sthenios wegen Fälschung öffentlicher Urkunden verurteilen, noch dazu ohne alle Prüfung der Thatsachen, wenn er sich selbst nicht gegen den Vorwurf verteidigen kann, gerade im Falle Sthenios öffentliche Urkunden gefälscht zu haben?!

XXXXIII. (106) Sehet nun weiter eine andere Thorheit des Angeklagten, wie er sich nur noch enger in seinem Netze fängt, während er sich zu befreien strebt. Zum Rechtsvertreter für den Sthenios bestimmt er – nun ratet, wen! Etwa einen Verwandten oder guten Bekannten? – Nein. – Also sonst irgend einen anständigen und vornehmen Bürger von Thermai? – Auch das nicht. – Nun, wenigstens irgend einen Sicilianer von einigem Rang und Charakter? – Kein Gedanke. – Also wen denn? – Einen Römer. Wer kann so etwas billigen? Sthenios war der vornehmste Mann in seiner Gemeinde, hatte eine weitverzweigte Familie, zahlreiche Freunde, außerdem durch seine achtunggebietende, beliebte Persönlichkeit die schönsten Verbindungen in ganz Sicilien; und er konnte keinen Sicilianer finden, der für ihn als Rechtsvertreter aufgestanden wäre? Das willst du uns glaubhaft machen? – Oder hat er sich etwa selbst einen Römer dazu gewünscht? So zeige mir doch in aller Welt den Sicilianer, der in seinem Prozeß einen römischen Vertreter hatte. Gehe die ganze Vorzeit durch; nimm die Dokumente aller früheren Statthalter, lege sie vor, erkläre sie; wenn du einen einzigen Präzedenzfall findest, so will ich dir zugeben, daß die Dinge so vor sich gingen, wie es in deinen Akten geschrieben steht. (107) Aber vielleicht hielt es Sthenios für eine Ehre, wenn er aus der Gesamtheit der römischen Bürger, aus der stattlichen Zahl seiner Freunde und Hausgäste einen auswählen durfte, um ihn als seinen Vertreter vor Gericht hinzustellen. Nun, wen hat er denn gewählt, wer steht in den Akten? – Gaius Claudius Palatina, des Gaius Claudius Sohn. – Ich frage nicht, wer denn dieser Claudius ist, wo denn seine Ehrentitel, sein Anstand, seine Befähigung stecken, oder wer durch seine imponierende Persönlichkeit den Sthenios dazu bewogen hat, von allem Brauche der Sicilianer abzuweichen und einen Römer als seinen Rechtsvertreter aufzustellen. Nach alledem frag' ich nicht, denn vielleicht brauchte Sthenios nicht eine glänzende Persönlichkeit, sondern einen intimen Freund. So? und wenn nun Sthenios unter allen Sterblichen keinen größeren Feind hatte als eben diesen Gaius Claudius? wenn dieser zu allen Zeiten und ganz besonders in jenen kritischen Tagen gegen Sthenios intriguierte, wenn er in der Fälschungsangelegenheit gegen ihn zu Felde zog, um mit allen erdenklichen Mitteln zu kämpfen? Sollen wir da annehmen, daß für Sthenios ein Feind als Rechtsvertreter eingesetzt wurde, oder lieber, daß du zu Sthenios' Schaden die Person seines Feindes verwertetest?

XXXXIIII. (108) Damit nun gar kein Zweifel darüber aufkomme, wie es sich denn mit diesem ganzen Geschäfte verhielt, so bitt' ich euch, obgleich sicherlich längst jedermann die Schurkerei des Verres durchschaut hat, noch um ein wenig Aufmerksamkeit. Sehet dort jenen Mann mit dem kurzen, krausen Haar, mit der dunklen Hautfarbe, der uns mit einer Miene anschaut, daß man merken kann, für wie schlau er sich selber hält, der Hefte vor sich hat, immer schreibt, immer zischelt, immer bei allem dabei ist. Dies ist Claudius. In Sicilien galt er als Verres' Agent, Dolmetscher, Kommissionär, beinah als ebenbürtiger Amtsbruder des Timarchides; jetzt nimmt er einen Posten ein, daß er kaum hinter jenem Apronius zurückzustehen scheint, der sich nicht für Timarchides', sondern gar für Verres' intimen Freund und Genossen erklärte. (109) Und nun bezweifelt noch, wenn ihr könnt, daß Verres gerade ihn aus der Menge vorhandener Personen auserlesen hat, um ihm die schändliche Maske eines falschen Rechtsvertreters aufzusetzen, wo er ihn kannte als seinen intimsten Freund und als des Angeklagten raffiniertesten Feind! Da wollt ihr es euch noch überlegen, meine Herren, ob ihr diese Masse von Frechheit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit bestrafen sollet? Keinen Augenblick dürfet ihr Bedenken tragen, dem Beispiele jener Richter zu folgen, die den Gnaeus Dolabella verurteilten und die Verurteilung des Philodamos von Opūs aufhoben, weil dieser verklagt worden war, nicht etwa in seiner Abwesenheit (diese Ungerechtigkeit ist gar zu empörend), sondern – nachdem ihm seine Mitbürger bereits eine Sendung nach Rom anvertraut hatten! Das Exempel, das jene Richter aus Rücksicht auf Recht und Billigkeit in einem sehr viel unbedeutenderen Falle statuierten, das solltet ihr nicht befolgen wollen, wo der Fall ernsthaftester Natur und der Weg euch bereits vorgezeichnet ist?!

XXXXV. (110) Aber was war es denn nun eigentlich für ein Mensch, den du, Gaius Verres, in so unerhörter Weise mißhandeltest? den du in seiner Abwesenheit, ohne tatsächliches Material, »wegen Urkundenfälschung« verurteiltest, dessen Namen du, nachdem er seine Heimat verlassen, auf die Liste der Verklagten setzen ließest, über den du, wiederum in seiner Abwesenheit, nicht nur ohne Schuld und ohne Zeugen, sondern auch ohne Ankläger das Verdammungsurteil sprachest – was war das für ein Mensch? Gute Götter, ich will gar nicht den hehren Namen der Freundschaft oder den geheiligten Namen der Gastfreundschaft aussprechen; denn nichts erwähn' ich an Sthenios so ungern, ja ich finde sogar an ihm nichts tadelnswert, als diesen einzigen Punkt, daß der durchaus anspruchslose und unbescholtene Mann dich, Verres, dich, den Verbrecher, den Räuber, den Bock in sein Haus einlud; daß er, der mit Gaius Marius, Gnaeus Pompeius, Gaius Marcellu, Lucius Sisenna (deinem Fürsprecher!) und anderen Männern ersten Ranges als Gastfreund verkehrt hatte und noch verkehrte, zu jenen erlauchten Namen auch den deinigen hinzufügte. (111) Darum verlier' ich kein Wort der Klage über das scheußliche Verbrechen der geschändeten Gastfreundschaft; ich spreche jetzt auch nicht zu denen, die den Sthenios kannten, also zu keinem, der jemals in Sicilien war (denn sie alle wissen, welch' glänzende Stellung er in seiner Gemeinde, welch' hohe Verehrung er in ganz Sicilien genoß); sondern ich spreche so, daß auch diejenigen, die nicht in dieser Provinz waren, es wissen sollen, an welch' einem Menschen du deine persönliche und sachliche Unbilligkeit in solch' unerhörtem, für jedes menschliche Gefühl unerträglichem Grade verübtest. XXXXVI. (112) Ist dies derselbe Sthenios, der in seiner Vaterstadt alle Ehrenämter aufs leichteste erlangte, sie dann aufs tüchtigste und glänzendste verwaltete, der seine nicht eben große Heimatstadt auf seine eigenen Kosten mit wahrhaft großen Anlagen und Bauten schmückte, dessen Verdienste um die Gemeinde Thermai wie um ganz Sicilien eine im Rathaussaale zu Thermai angebrachte Bronzetafel verkündet, auf der von Amts wegen seine Wohlthaten inschriftlich verewigt wurden! – Diese Tafel ward auf deinen Machtbefehl losgerissen, jetzt ist sie aber auf meine Veranlassung hierher geschafft worden, so daß jedermann mit eigenen Augen sehen kann, welche Achtung und Bedeutung Sthenios bei seinen Mitbürgern genoß. (113) Ja, es ist derselbe; es ist auch derselbe, dem einst sein Richter Gnaeus Pompeius öffentlich das glänzendste Zeugnis ausstellte. Er war vor diesem großen Manne verklagt worden, weil seine Feinde und Neider aus seinem herzlichen Verkehr mit seinem Gastfreund Gaius Marius den Vorwurf staatsfeindlicher Gesinnungen mit mehr Gehässigkeit als Wahrheitsliebe herleiteten; Gnaeus Pompeius sprach ihn nicht nur frei, sondern erklärte ihn in der Gerichtsverhandlung selbst für seinen eigenen, wertgeschätzten Gastfreund. Auch waren aus ganz Sicilien so viele Anerkennungsschreiben und Fürsprecher eingetroffen, daß Pompeius sich durch sein freisprechendes Urteil nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die gesamte Provinz zu tiefster Dankbarkeit zu verpflichten glaubte! – Ja, es ist derselbe Sthenios, der einen solch' hohen Gemeinsinn und solch' bedeutenden Einfluß auf seine Mitbürger besaß, daß er allein in Sicilien durchsetzte, was nicht nur kein anderer Sicilianer, sondern was ganz Sicilien unter deiner Statthalterschaft nicht durchzusetzen vermochte, nämlich daß du in der Stadt Thermai keine Statue und überhaupt kein Kunstwerk, weder in den Gotteshäusern noch auf den öffentlichen Plätzen, anrühren durftest, obgleich sich wahrlich viele vorzügliche dort befanden und du auf alle deine Begierde richtetest. (114) Und nun zum Schlusse sieh dir einmal den moralischen Unterschied zwischen euch beiden an. Auf der einen Seite stehst du, auf dessen Namen bei den Sicilianern Bankette veranstaltet und die berühmten Verresfeste gefeiert werden, dessen vergoldete Statuen, laut inschriftlichem Zeugnis von den Sicilianern auf gemeinsame Kosten gestiftet, in Rom prangen; auf der anderen Seite dieser Sicilianer, der von dir, dem Schützer Siciliens, verurteilt wurde. Ihn loben zahlreiche Gemeinden Siciliens durch freiwilliges Zeugnis und durch besondere, eigens zu dem Zweck amtlich herbeorderte Gesandtschaften; für dich, den Beschützer aller Sicilianer, wagt nur die eine einzige Mamertinergemeinde, die Genossin und Hehlerin deiner Räubereien, offiziell ein Wort einzulegen, und dieses Lob erklingt in einer bisher ganz unbekannten Tonart, indem die Gesandten dich kompromittieren und die Gesandtschaft dich lobt. Die übrigen Gemeinden schicken von Amts wegen Briefe, Zeugnisse und Abgeordnete her, um dich zu verklagen, zu belasten, sich über dich zu beschweren; deine Freisprechung halten sie für gleichbedeutend mit ihrem völligen Ruin.

XXXXVII. (115) So steht es um den Charakter des Sthenios; und zum Zeichen deines Triumphes über diesen Menschen hast du aus seinen Mitteln deiner schändlichen Grausamkeit noch auf dem Berg Eryx ein Denkmal gesetzt, an dem der Name des Sthenios von Thermai inschriftlich zu lesen steht. Ich hab' es gesehen; es ist eine silberne Statue des Liebesgottes mit einer Fackel. Wie kamst du dazu? was hatt' es für einen Sinn, gerade im Aphroditetempel das Zeichen deines Sieges über Sthenios zu hinterlassen? Sollte diese Trophäe deine Raubgier oder deine Achtung vor dem heiligen Bande der Gastfreundschaft oder deinen Geschlechtstrieb der Nachwelt verkünden? – Menschen von niedrigstem Charakter, die nicht nur an zügellosen Ausschweifungen, sondern sogar am Rufe ihrer eigenen Gemeinheit rechte Freude haben, pflegen ja gern an vielen Stellen die Denkzeichen ihrer Gemeinheit zurückzulassen. (116) Verres war ganz erfüllt von der Leidenschaft für seine neue Freundin, um derer willen er die Rechte der Gastfreundschaft verletzt hatte; dies wollt' er nicht nur für die damalige Gesellschaft, sondern auch für ewige Zeiten zur allgemeinen Kenntnis bringen; darum vermeint' er, auf jene That hin, die er mit Hilfe des Anklägers Agathinos vollführt hatte, gerade der Aphrodite Preis und Dank zollen zu müssen, da sie eigentlich zu der ganzen Anklage und Gerichtssitzung den Anlaß gegeben hatte. Ich würde dich für dankbar und gottesfürchtig halten, wenn du dieses Weihgeschenk an die Aphrodite nicht aus Sthenios' Mitteln, sondern aus deinen eigenen gestiftet hättest; und dies hättest du auch thun müssen, zumal da dir eben in jenem Jahre die Erbschaft von der Chelidon zugefallen war.

(117) So sag' ich es denn ganz offen: hätt' ich diesen Prozeß auch nicht auf Bitten aller Sicilianer übernommen, hätte mir nicht die ganze Provinz dieses Amt anvertraut, hätte mich nicht meine schrankenlose Liebe zu unserem Staat und der geschädigte Ruf unseres Standes wie der Gerichtshöfe zu diesem Schritte gezwungen, hätte nur dieser einzige Grund vorgelegen, nämlich dein schändlich grausames, frevelhaftes Vorgehen gegen meinen lieben Gastfreund Sthenios, den ich während meiner Quästur so außerordentlich hatte lieben und schätzen lernen, den ich anderseits als den eifrigsten und aufrichtigsten Vorkämpfer meiner Beliebtheit erprobt hatte, – selbst dann wär' es meiner Ansicht nach Grund genug für mich gewesen, die Feindschaft des niederträchtigen Menschen auf mich zu laden, um meines Gastfreundes Leben und Ehre zu verteidigen. (118) So handelten ja Viele zur Zeit unserer Vorfahren, so auch erst kürzlich der edle Gnaeus Domitius, der den Marcus Silanus, also einen Senator und ehemaligen Konsul, verklagte, weil er sich an Aegritomar, seinem Gastfreund in Gallien jenseits der Alpen, versündigt hatte. Ich würde mich ohne weiteres für berechtigt halten, diesen Beispielen von Edelmut und Pflichttreue zu folgen und meinen liebwerten Gastfreunden die Hoffnung auf ein unter meinem Schutze gesicherteres Dasein in Aussicht zu stellen; da aber in den gemeinsamen Leiden der ganzen Provinz auch der Fall Sthenios inbegriffen ist und gar viele Freunde und Hausgenossen zusammen von mir verteidigt werden, so brauch' ich wahrlich nicht zu befürchten, jemand könne diesen meinen Schritt aus einem anderen Motiv herleiten als aus dem unwiderstehlichen Drange der höchsten, aufrichtigsten Pflichttreue.

XXXXVIII. Um nun endlich einmal mit seinen Gerichtshöfen, Untersuchungen und Urteilssprüchen aufzuhören und, da seine Leistungen auf diesem Gebiete doch ins Unendliche gehen, unseren Klagen hierüber ein Ziel zu setzen, will ich diesen Abschnitt meines Vortrages jetzt schließen und einige Fälle aus anderen Gebieten vornehmen. (119) Ihr hörtet aus dem Munde des Quintus Varius, daß seine Rechtsvertreter dem Verres hundertunddreißigtausend Sesterzen gaben, um einen günstigen Urteilsspruch zu erhalten; ihr erinnert euch an Varius' Zeugnis und daß dieser ganze Vorgang durch das Zeugnis eines so hochstehenden Mannes wie Gaius Sacerdos bestätigt wurde. Ihr wisset auch, daß die beiden Ritter Gnaeus Sertius und Marcus Modius und überdies unzählige Römer und Sicilianer eidlich versicherten, sich Verres' Urteile mit Geld erkauft zu haben. Über diesen Punkt brauch' ich weiter nichts auseinanderzusetzen, da er ganz auf den Aussagen der Zeugen beruht; wozu sollt' ich auch weiter Beweise führen, wo an der Thatsache niemand zweifeln kann? Oder will irgend jemand in aller Welt bezweifeln, daß dieser Mensch das Gerichtswesen in Sicilien für Geld feil gehalten hat, wenn er in Rom seinen ganzen Prätorenerlaß und alle Verfügungen verkaufte? und daß er von den Sicilianern für neue Verfügungen Geld annahm, wenn er dem Marcus Octavius Ligur für einen Urteilsspruch Geld abverlangte? (120) Wo giebt es überhaupt ein Mittel, Geld einzuheimsen, das er nicht angewandt hätte? hat er nicht vielmehr noch neue dazu ersonnen, auf die kein Mensch jemals gekommen war? kam je bei den Gemeinden Siciliens ein Rechtsfall vor, bei dem es sich um eine Auszeichnung oder Macht oder Besorgung handelte, wo du nicht die Sache gleich zu deinem Profit und zur Aussaugung der Leute verkehrt hättest? XXXXVIIII. In unserer ersten Verhandlung wurden die Zeugnisse von Privatleuten wie von ganzen Gemeinden vernommen; die Abgeordneten von Kentoripa, Alaisa, Kátane und Panormos äußerten sich, ebenso die Vertreter vieler anderen Gemeinden, und gar unendlich viele Privatleute. Aus diesen Zeugnissen konntet ihr ersehen, daß in ganz Sicilien drei Jahre hindurch niemand in irgend einer Gemeinde umsonst Mitglied des Stadtrates wurde, niemand nach den Landesgesetzen durch Abstimmung, niemand überhaupt in anderer Weise als durch einen Machtspruch oder Empfehlungsbrief des Verres; bei der Wahl aller dieser Ratsherren gab es nicht nur keine Abstimmungen mehr, sondern auch die Klassen wurden nicht mehr berücksichtigt, aus denen allein man in jene Behörde gewählt werden durfte; keine Einschätzung galt, keine Altersgrenze, kein Paragraph der Verfassungen Siciliens; (121) wenn jemand in den Stadtrat kommen wollte, wer es auch immer war, mocht' er noch ein Knabe sein, oder ein ganz unwürdiger Mensch, oder einer unberechtigten Klasse angehören – sobald er nur Geld genug hinlegte, um die berechtigten und geeigneten Bewerber bei Verres auszustechen, so gelangte er stets zum Ziele. Nicht nur die eigenen Gesetze der Sicilianer blieben wirkungslos, sondern auch diejenigen, welche ihnen Roms Senat und Volk gegeben. Denn die Gesetze, welche ein vom römischen Volke mit höchster Amtsgewalt und vom römischen Senate mit legislatorischer Befugnis ausgestatteter Regierungsvertreter giebt, müssen durchaus gelten als gegeben von Roms Senat und Volk. (122) Die Gemeinde Alaisa hatte wegen der zahlreichen großen Verdienste ihrer früheren Generationen um unseren Staat die Vergünstigung erlangt, daß sie vor kurzem, im Konsulatsjahr des Lucius Licinius und Quintus Mucius, gelegentlich innerer Zwistigkeiten wegen der Zusammensetzung ihres Stadtrates, unseren Senat um besondere Gesetze hierfür bitten durfte. Der Senat verfügte in einem eigenen, ehrenden Beschlüsse, daß ihnen der Prätor Gaius Claudius Pulcher, des Appius Claudius Sohn, die Verordnungen betreffs der Zusammensetzung ihres Stadtrates abfassen sollte. Gaius Claudius zog alle Mitglieder der Familie Marcellus, die damals hier waren, zu Rat und gab nach ihren Vorschlägen die Gesetze für Alaisa; darin standen denn viele Paragraphen über das Lebensalter – niemand durfte unter dreißig Jahr alt sein – über einzelne Gewerbe, deren Inhaber nicht gewählt werden durften, über die Einschätzung u. a. m. Dies alles blieb, ehe Verres Statthalter wurde, in voller Geltung, unter Bestätigung durch unsere Beamten und zur größten Befriedigung der Einwohner von Alaisa. Verres kam, und nun kauft' ihm bald der erste beste Marktschreier die Berufung in jene Behörde ab, bald erstand sich den Posten ein Bursche von sechzehn oder siebzehn Jahren; und wenn die Bürger von Alaisa, unsere altbewährten treuen Freunde und Verbündeten, in Rom erreicht hatten, daß eine Wahl bei ihnen nicht einmal mehr durch Abstimmung vor sich gehen durfte, so setzte er es durch, daß sie fortan nach einem Tarif vor sich ging.

L. (123) Die Gemeinde Akrăgas besitzt für die Zusammensetzung ihres Stadtrates die alten Gesetze von Scipio her, in denen ebenfalls jene Bestimmungen getroffen sind und noch folgende dazu. Da sich die Bevölkerung von Akragas aus zwei Bestandteilen zusammensetzt, den »Alten« und den »Neuen«, d. h. der ursprünglich ansässigen Einwohnerschaft und den vom Prätor Titus Manlius nach Senatsbeschluß aus verschiedenen sicilianischen Städten dahin übergeführten Kolonisten, so traf Scipio in seinen Gesetzen dafür Sorge, daß im Stadtrate nicht mehr Neue als Alte erschienen, damit die Zugewanderten nicht stärker vertreten wären als die Eingeborenen. Verres, der alle Rechte gegen Barzahlung ausglich und jegliche Wahlbestimmung für Geld aufhob, rührte nicht nur alles, was Alter, Stand und Gewerbe betraf, durcheinander, sondern richtete auch unter den beiden Gattungen der Alt- und Neubürger Verwirrungen an. (124) Ein Ratsherr aus der Zahl der Alten war gestorben; da nun die Überlebenden zu gleichen Teilen aus Alten und Neuen bestanden, so mußte nach den Gesetzen jetzt ein Alter gewählt werden, damit ihre Majorität erhalten bliebe. So lagen die Umstände, da kamen verschiedene Leute zu Verres um sich die vakante Stelle zu kaufen; und unter diesen Bewerbern fanden sich neben den Alten auch mehrere Neue. Eine förmliche Versteigerung fand statt, und der Meistbietende, der alle anderen aus dem Felde schlug, war zufällig ein Neuer: der zog denn auch mit dem entsprechenden Schreiben des Statthalters ab. Er kommt nach Akragas, und sogleich schickt die Stadt eine Kommission an Verres, die ihn über die Gesetze belehren und auf das langjährige, feste Herkommen hinweisen sollte, damit er einsähe, er habe jenen Posten an einen Menschen verkauft, der nicht einmal Handel treiben durfte. Aber das alles machte ihm nicht den geringsten Eindruck: er hatte eben sein Geld bereits eingesteckt. (125) Ebenso verfuhr er in Herakleia. Auch dorthin waren, diesmal durch Publius Rupilius, Kolonisten geführt und für die Zusammensetzung des Stadtrates ähnliche Gesetze im Betreff der Alten und der Neuen gegeben worden. Verres ließ sich dort nicht nur bestechen, wie überall, sondern er mengte Alte und Neue ohne Rücksicht auf die Anzahl durcheinander. – LI. Man erwarte nicht, daß ich alle Gemeinden mit meiner Erzählung durchgehe; ich fasse dies alles in den einen Satz zusammen: Niemand konnte in jenen Zeiten Ratsherr werden, ohne zuvor den Statthalter bestochen zu haben.

(126) Dasselbe Prinzip kam bei anderen Stellungen zur Anwendung; was für den Stadtrat gilt, das gilt für die Geistlichkeit und alle kleineren Behörden. Verres kennt eben keine Scheu, ihm bedeutet der Kultus der unsterblichen Götter ebenso wenig wie die Rechte und Satzungen der Menschheit. In Syrakus besteht ein Gesetz für die Geistlichkeit, wonach alljährlich der Oberpriester des Zeus durchs Los gewählt werden muß; unter allen geistlichen Würden ist nämlich diese dort die höchste. (127) Erst werden durch Abstimmung aus drei Kategorien geeignete Persönlichkeiten gewählt; zwischen diesen dreien entscheidet dann das Los. Verres erließ einen Machtspruch, wonach unter Ausschluß der Abstimmung ein guter Freund von ihm, ein gewisser Theomnāstos , in jenen drei Kategorien ausgerufen wurde; bei der Auslosung, die sich nichts befehlen läßt, waren nun die Menschen gespannt, was er denn anstellen würde. Zunächst that er, was sehr bequem war: er verbot die Auslosung überhaupt, befahl die Ernennung des Theomnastos ohne Los. Die Syrakusaner erwidern ihm, das geht unter keinen Umständen, die Religion erlaubt es nicht, die heiligen Gesetze verbieten es, kurz es ist eine Sünde. Verres läßt sich nun das Gesetz vorlesen. Da hieß es denn: so viele Bewerber ausgerufen werden, so viele Lose sollen in einen Krug geworfen werden; wessen Los zuerst herauskommt, dem fällt die Priesterwürde zu. »Vorzüglich!« rief der geniale Schlaukopf aus, »also dies ist der Wortlaut: ›So viele Bewerber ausgerufen werden.‹ Nun, wie viele sind denn ausgerufen worden?« Antwort: »Drei«. – »Also werden jetzt drei Lose in einen Krug gethan und eines gezogen, damit ist die Sache erledigt, nicht wahr?« – »Allerdings.« – So läßt er denn drei Lose hineinthun, auf denen sämtlich der Name Theomnastos stand. Allgemeiner Lärm erhebt sich, denn alle fanden so etwas nichtswürdig und empörend, aber es half nichts: die hohe Würde eines Oberpriesters im Zeustempel gelangte auf diesem Wege an Theomnastos. – LII. (128) In Kephaloidion besteht ein Gesetz, wonach in einem bestimmten Monat der Hohepriester gewählt werden muß. Nach dieser Würde verlangte ein gewisser Artemon, genannt Klimachias, ein reicher Mann von guter Familie, aber dennoch war seine Wahl in einem Falle ausgeschlossen, nämlich wenn ein gewisser Heródotos zugegen war: diesem kam die besagte Würde für das damals gerade bevorstehende Jahr zu, und zwar war man sich hierüber so allgemein einig, daß selbst Klimachias nichts dawider sagte. Der Fall wird dem Verres hinterbracht und nach seiner Weise entschieden: zunächst werden gewisse Ciselierarbeiten von hohem Wert und allgemeinem Rufe abgeholt. Herodotos weilte gerade in Rom; er glaubte zeitig genug für die Wahlen zu kommen, wenn er am Tage vorher einträfe. Um nun einerseits die Wahlen nicht zu einer anderen Zeit als in dem kirchenrechtlich vorgeschriebenen Monat abhalten zu lassen, anderseits nicht in die Lage zu kommen, den persönlich anwesenden Herodotos um die Würde bringen zu müssen (darauf hatte es Verres nicht abgesehen, es lag durchaus nicht in Klimachias' Interesse), denkt sich Verres – ich hab' es ja längst gesagt, es giebt und gab auf der Welt keinen größeren Schlaukopf – denkt sich also Verres ein Mittel aus, um die Wahlen in jenem gesetzlich vorgeschriebenen Monat vor sich gehen zu lassen, aber dabei die Gegenwart des Herodotos zu verhindern. (129) Nun haben die Sicilianer wie alle Griechen die Neigung, ihren Kalender so einzurichten, daß die Tage und Monate mit dem Sonnen- und Mondumlaufe zusammenfallen; zuweilen, wenn es nicht genau stimmt, machen sie daher einen Monat um einen oder höchstens zwei Tage kürzer, die sie dann »Ausschaltetage« nennen; ebenso wird manchmal ein Monat um einen oder zwei Tage verlängert. Sobald Verres dies erfuhr, faßt' er schnell seinen Entschluß: als ein Astronom nach neuem System, der seinen Kalender nicht nach den Himmelslichtern, sondern nach den leuchtenden Schätzen dieser Erde einrichtet, befahl er, man solle nicht etwa einen Tag aus dem Monate, sondern einen ganzen und einen halben Monat aus dem Jahr ausschalten, so daß beispielsweise an dem Tage, auf den der fünfzehnte Januar fiel, plötzlich der erste März geschrieben würde. Unter allgemeinem erbittertem Protest wird diese Maßregel durchgeführt; der gesetzlich feststehende Wahltag ist da, und auf diese Weise erlangt Klimachias die Hohepriesterwürde. (130) Bald darauf kehrt Herodotos aus Rom zurück, in dem Glauben, es wären noch vierzehn Tage Zeit bis zu den Wahlen; statt dessen gerät er in den Monat, der auf den Wahlmonat folgt und muß erfahren, daß die Wahlen bereits seit dreißig Tagen vorüber sind. Darauf schoben die Bürger von Kephaloidion einen Schaltabschnitt in Länge von fünfunddreißig Tagen ein, um das Verhältnis der übrigen Monate wieder ins Gleiche zu bringen. Wäre so etwas in Rom möglich, wahrhaftig, der Herr da hätt' es auf irgend einem Wege durchgesetzt, daß die fünfunddreißig Tage zwischen den beiden Festspielperioden aus dem Kalender gestrichen würden, weil nur innerhalb dieser Zeit Prozesse geführt werden können!

LIII. (131) Weiter. Es ist interessant zu erfahren, in welcher Weise unter Verres' Regiment in Sicilien die Schatzmeister ernannt wurden. Dies ist nämlich bei den Sicilianern diejenige Behörde, bei deren Ernennung das Volk mit der allergrößten Gewissenhaftigkeit zu Werke geht, aus dem einfachen Grunde, weil alle Sicilianer alljährlich nach einer Schätzung ihre Steuern zahlen und bei der Abhaltung dieser Schätzung die ganze Macht, das Vermögen zu taxieren und das Facit zu ziehen, dem Schatzmeister überlassen wird. Infolgedessen wählt einerseits das Volk den Mann, dem es eine so außerordentliche Gewalt über seinen Besitz anvertraut, auch mit außerordentlicher Sorgfalt aus, anderseits ist der Posten eben wegen der großen Macht, die er gewährt, ein Ziel des angestrengtesten Strebens. (132) In diesem Punkte wollte Verres keine Zweideutigkeiten begehen, weder bei der Losung betrügen noch Tage aus dem Kalender ausstreichen. Keine Hinterlist oder Niederträchtigkeit wollt' er ins Werk setzen; um aber dem Strebertum und der ehrgeizigen Stellensucht, diesen für den Staat so höchst gefährlichen Faktoren, allenthalben ein Ende zu machen, ließ er merken, daß er selbst für sämtliche Gemeinden die Schatzmeister bestellen würde. (133) Das wirkte. Der Statthalter hatte einen großen Markt angekündigt und nun strömte von allen Seiten die Menschheit zu ihm nach Syrakus; die Landvogtei war wie von einem ungeheuren Brand ergriffen, so tobten und rasten die entfesselten Leidenschaften durch das ganze Haus: man denke doch, sämtliche Wahlversammlungen einer so stattlichen Anzahl von Gemeinden waren in einen einzigen Palast konzentriert, der Ehrgeiz einer ganzen Provinz in einen einzigen Salon eingeschlossen. Ganz offen wurden die Preise vereinbart, Versteigerungen angestellt und danach zwei Schatzmeister für jede Gemeinde eingesetzt; dies besorgte – Timarchides. Der Mann erreichte durch seine eigene Mühe und Arbeit bei der Beteiligung an diesem Geschäfte, daß ohne weitere Umständlichkeiten der größte Teil der Kaufsumme zu Verres gebracht wurde; wieviel Geld er selber bei diesen und anderen Gelegenheiten einsteckte, hab' ich bisher noch nicht näher ausgeführt, indessen konntet ihr in unserer ersten Verhandlung durch die zahlreichen Zeugenaussagen bereits einen Begriff von seinem schamlosen, schier unerschöpflichen Raubsystem bekommen. LIIII. (134) Damit ihr euch aber nicht wundert, wie es denn möglich war, daß dieser Freigelassene so viel Macht bei Verres besaß, will ich euch kurz auseinandersetzen, was für eine Sorte Mensch das ist; so könnet ihr eine Vorstellung gewinnen einerseits von der Nichtswürdigkeit des Angeklagten, der einen solchen Menschen in seiner Umgebung duldete und noch dazu in solcher Stellung, anderseits von dem jammervollen Geschick der Provinz.

Bei allen skandalösen Weibergeschichten und sonstigen Bethätigungen der gemeinen Sinnenlust fand ich, daß dieser Timarchides in ganz wunderbarer Weise zum Werkzeug für die schändlichen Ausschweifungen des Angeklagten geschaffen war; wo es sich darum handelte, ein Abenteuer aufzuspüren, die Personen anzureden, zu besuchen, zu verführen, alle die nötigen Kupplerkniffe und Geheimdienste recht schlau, recht dreist und unverschämt zu besorgen, da war Timarchides bei der Hand. Ebenso besaß er das Talent, ganz erstaunliche Arten von Raub zu erfinden; denn Verres selbst offenbarte nur eine stets zum Verschlingen bereite, gefahrdrohende Raubgier, dagegen keine Spur von Talent oder Geist: ihr habt es ja selbst in Rom mit angesehen, daß, wenn er nach eigenen Ideen vorging, er keinen eigentlichen Betrug sondern mehr gewaltsamen Raub vollführte. (135) Ganz anders Timarchides. Das ist ein Künstler in seiner Art, von einer wahrhaft erstaunlichen Verschlagenheit; mit der größten Schlauheit verstand er es, in der ganzen Provinz auszuschnüffeln und festzustellen, was jedem einzelnen zugestoßen war, was er nötig hatte, wer sein mehr oder weniger erbitterter Widersacher war; sodann diese Gegner aufzusuchen, ins Gespräch zu ziehen, auszuhorchen; nachher die beiderseitigen Absichten zu durchforschen und die zur Verfügung stehenden Mittel zu übersehen, demgemäß Aussichten zu eröffnen, je nach Bedürfnis Furcht einzujagen oder Hoffnungen wachzurufen; das ganze Gesindel von Professionsanklägern und Winkeladvokaten hielt er in seiner Gewalt; alle Unannehmlichkeiten, die er jemandem bereiten wollte, bracht' er mühelos zustande; mit sämtlichen Dokumenten des Statthalters Verres, Amtsbefehlen, Erlassen und Reskripten trieb er schlau und sachkundig einen einträglichen Handel. (136) So war er nicht bloß der Kommissionär für Verres' Gewalttaten, sondern auch sehr wohl auf sich selber bedacht, und er pflegte nicht nur die Geldstücke aufzuheben, die Verres etwa fallen ließ – sie brachten ihm ein stattliches Vermögen ein –, sondern auch die Überbleibsel seiner skandalösen Abenteuer sammelt' er gern für sich ein. Darum merkt es euch: nicht der Sklavenführer Athenion, der keine einzige Stadt eroberte, hat in Sicilien geherrscht, sondern der Sklave Timarchides, der über sämtliche Städte drei Jahre lang regieren durfte; in Timarchides' Hand lag das Wohl und Wehe unserer ältesten, liebsten Bundesgenossen, unter seiner Oberhoheit standen ihre Kinder, ihre Frauen, ihr Grund und Boden, all ihr Hab und Gut. Dieser Timarchides entsandte also, wie gesagt, nach empfangener Barzahlung Schatzmeister in sämtliche Gemeinden; Wahlversammlungen zum Zwecke der Ernennung dieser Beamten wurden, solange Verres am Ruder war, nicht einmal zum Schein abgehalten.

LV. (137) Nun hört einmal ein Stück von seiner Unverschämtheit. Ganz offiziell (gewiß war so etwas nach dem Wortlaute der Gesetze gestattet!) erhielten sämtliche Schatzmeister den Auftrag, pro Person dreihundert Denare für eine Statue des Statthalters beizusteuern. Hundertunddreißig Schatzmeister waren ernannt worden; erst hatten sie, um zu dieser Stellung zu gelangen, heimlich und in ungesetzlicher Weise Geld bezahlt, jetzt schossen sie vor den Augen der Welt und ohne den Gesetzen zu nahe zu treten 39 000 Denare für die Statue zusammen. – Vor allen Dingen frag' ich: wozu denn soviel Geld? – Und dann: warum steuerten dir denn gerade die Schatzmeister für die Statue bei? Bilden denn die Censoren einen Stand, eine Gilde oder eine abgesonderte Menschenklasse? Denn solche Ehrendienstleistungen entfallen entweder auf ganze Gemeinden als solche oder auf bestimmte Bürgerklassen, wie z. B. die Gutsbesitzer, die Kaufleute, die Schiffseigner; aber die Schatzmeister! Wie kommen sie denn eher dazu als etwa die Polizeipräfekten? Wegen einer erhaltenen Vergünstigung? Damit gestehst du ja zu, daß man dies alles bei dir erbeten hat (denn »gekauft« wirst du wohl nicht gerne sagen wollen); also hast du den Menschen diesen Posten nicht um des Staates, sondern um einer Vergünstigung willen überlassen? Wenn du dies einmal zugestehst, wird dann noch jemand daran zweifeln, daß du diese allgemeine Erbitterung und deine Unbeliebtheit bei sämtlichen Völkerschaften der Provinz nicht aus wohlwollender Rücksicht gegen ehrgeizige Bestrebungen auf dich ludest, sondern vielmehr lediglich um deinen Beutel zu füllen? – (138) So thaten denn nun jene Schatzmeister dasselbe, was in unserem Staate die Leute zu thun pflegen, die durch Bestechungen zu einem Amte gelangt sind: sie gaben sich alle Mühe, ihr Amt so zu führen, daß es ihnen möglich wurde, die entstandene Lücke in ihrem Vermögen wieder auszufüllen. So lange du die Provinz zu regieren hattest, wurde die Einschätzung in einer Weise bewerkstelligt, bei der nirgends ein geordneter Zustand im Gemeindevermögen auch nur anzustreben war; die Einschätzung stand immer im umgekehrten Verhältnisse zum Vermögen der Eingeschätzten, so daß jedesmal die Kapitalkräftigen viel zu niedrig, die Schwachen viel zu hoch angesetzt waren. Infolgedessen wurden bei der Steuererhebung dem Volke so schwere Lasten aufgebürdet, daß, auch wenn die Menschen geschwiegen hätten, die Verhältnisse an sich jenes Einschätzungssystem zerstören mußten; das zeigte denn auch folgende Thatsache: LVI. der Statthalter Lucius Metellus, der, als ich zum Zwecke der Materialsammlungen nach Sicilien kam, nach Lucius Laetilius' Besuch plötzlich zu Verres nicht nur in freundschaftliche sondern auch in verwandtschaftliche Beziehungen trat, dieser Metellus erkannte, daß es bei der bisherigen Einschätzungsmethode unmöglich bleiben konnte, und führte daher dasjenige System wieder ein, das unter dem energischen und ehrenhaften Statthalter Sextus Peducaeus gegolten hatte. Damals gelangten die Schatzmeister in gesetzlicher Weise zu ihrem Amte, nämlich durch Wahl von seiten der Gemeinden, deren Gesetze für jedes Vergehen des Schatzmeisters entsprechende Strafbestimmungen enthielten. (139) Wie sollte sich dagegen unter deiner Regierung der Schatzmeister vor einem Gesetze fürchten, das ihn gar nicht band, da er selbst nicht in gesetzlicher Form ernannt worden war, oder gar vor einer Bestrafung durch dich, wenn er verkaufte, was er dir abgekauft hatte? Jetzt mag Metellus ruhig meine Belastungszeugen festhalten, mag auch einzelne Leute zwingen, für dich zu sprechen, wie er es mit vielen versucht hat; mir genügt es, daß er thut, was er eben thut. Denn wo ist jemals ein Beamter von einem anderen dermaßen beschämt, dermaßen kompromittiert worden? Alle fünf Jahre wird ganz Sicilien eingeschätzt. Das letzte Mal war es unter dem Statthalter Peducaeus geschehen; das fünfte Jahr darauf fiel in deine Amtsperiode, und die Einschätzung wurde von neuem vollzogen. Ein Jahr darauf kommt Lucius Metellus und verbietet jede Erwähnung deiner Einschätzung; er wünsche, so erklärt er, eine Neuwahl der Schatzmeister und befehle inzwischen den Anschluß an die unter Peducaeus vollzogene Einschätzung. Hätte dies ein persönlicher Feind von dir gethan, so wäre doch immerhin sein Urteil für dich schwer belastend, da ihm die Provinz ihr Einverständnis zeigte. Nun that es aber dein neuester Freund, dein Verwandter aus eigener Wahl; er konnte ja nicht anders, wenn er die Provinz behalten, wenn er in der Provinz seiner eigenen Existenz sicher sein wollte. LVII.(140) Bist du nun noch im unklaren über das Urteil, das die Anwesenden fällen werden? Hätt' er dir in offizieller Form, nach Anfrage beim Volke dein Amt abgefordert, er hätte weniger Schande auf dich geladen als so, wo er deine Amtshandlungen aufhob und für ungültig erklärte. War dies doch nicht der einzige Punkt, auf dem er so gegen dich vorging; vielmehr zeigt' er sich vor meiner Ankunft in Sicilien ebenso bei den verschiedensten und wesentlichsten Fällen: da mußten deine berühmten Ringschuldirektoren in Syrakus dem Herakleios sein Vermögen wieder zustellen, ebenso erging es den Herren von Bidis mit Epikrates, dem Aulus Claudius mit dem Mündel in Drépanon, und, wäre nicht beizeiten Laetilius mit einem gewissen Briefe nach Sicilien gekommen, so hätte Metellus binnen weniger als dreißig Tagen deine ganze dreijährige Statthalterwirtschaft hinweggefegt.

(141) Da ich einmal von dem Gelde gesprochen habe, das dir die Schatzmeister für die Statue zusammenschossen, so glaub' ich auch jene Summen erschlichenen Geldes nicht übergehen zu dürfen, die du den verschiedenen Gemeinden unter dem Titel »Statuen« auspreßtest. Ich finde nämlich die Höhe dieser Summen recht bedeutend, im ganzen an zwei Millionen Sesterzen; soviel werden die Zeugnisse und Dokumente der Gemeinden ergeben. Und das gesteht der Angeklagte zu, er kann es nicht bestreiten. Was sollen wir uns da erst für eine Vorstellung von den Fällen machen, die er ableugnet, wenn er einen solchen Grad von Unredlichkeit bereits eingesteht? – Sage doch selbst, was möchtest du denn festgestellt sehen? etwa daß dieses ganze Geld wirklich auf Statuen verwendet wurde? Zugegeben selbst, dem wäre so; dann ist es immer noch empörend, unseren Bundesgenossen soviel Geld wegzunehmen, um in allen Gassen das Bildnis des niederträchtigsten Gaudiebes aufzustellen, den es je gegeben, auf daß man ja das Gefühl bekomme, man könne gar nicht sicher vorübergehen. LVIII. (142) Aber wo stehen denn in Wahrheit die Statuen, auf die eine solch' enorme Geldsumme verwendet wurde? – »Es soll erst noch geschehen,« wirst du sagen. Natürlich, wir sollen jenen gesetzlich festgestellten Zeitraum von fünf Jahren abwarten; ist inzwischen die Verwendung nicht erfolgt, dann, erst dann können wir das Anklageverfahren gegen ihn wegen Gelderpressungen unter dem Titel »Statuen« einleiten. Der Angeklagte ist wegen vieler und schwerer Anschuldigungen vor Gericht geladen; auf diesem einen Blatte stehen zwei Millionen, und wir sehen, er ist gefangen. Bist du erst einmal verurteilt, so wirst du dich, glaub' ich, weiter nicht darum bemühen, daß jene Gelder binnen fünf Jahren auf Statuen verwendet werden; wirst du aber freigesprochen – wer sollte dann noch so wahnsinnig sein, dich, wo du aus dem Netze dieser Massenanklage entschlüpft bist, nach Ablauf von fünf Jahren wegen der Statuengelder zu belangen? Also, wenn das Geld bisher nicht ordnungsgemäß verwendet worden ist und offenbar auch in Zukunft nicht in diesem Sinne verwendet werden soll, so können wir schon feststellen, hier ist ein Mittel erfunden, kraft dessen der Angeklagte sich unter einem einzigen Stichworte zwei Millionen Sesterzen verschaffte, und womit andere Beamte, falls ihr diesem euren Segen gebet, beliebig hohe Summen unter demselben Vorwand eintreiben können. Damit geben wir dann der Welt zu erkennen, daß wir nicht mehr die Menschen von unrechtmäßigem Gelderwerb abschrecken, sondern durch die offizielle Billigung gewisser Methoden der Gelderpressung nur anständige Namen auf ganz abscheuliche Geschäfte setzen wollen. (143) Denn, wenn Gaius Verres der Bürgerschaft beispielsweise von Kentoripa hunderttausend Sesterzen abgefordert und diese Summe wirklich eingesteckt hätte, so wär' es doch keinen Augenblick zweifelhaft, daß er, sobald der Thatbestand einmal aufgedeckt ist, unbedingt verurteilt werden müßte. Wenn er nun aber der genannten Gemeinde zweimalhunderttausend Sesterzen abverlangt und ausgepreßt und die Summe eingesteckt hat, soll er nun deswegen freigesprochen werden, weil da geschrieben steht, das Geld sei ihm unter dem Titel »Statuen« gegeben worden? Ich denke, mit nichten; außer wenn wir die Absicht bekunden wollen, nicht unsere Beamten vom Nehmen abzuhalten, sondern unsere Bundesgenossen zum Geben anzuregen und ihnen direkt die Vorwände dafür zu liefern. – Wenn etwa jemand an Statuen seine ganz besondere Freude hat oder sich von der hohen, ruhmvollen Bedeutung der Kunstwerke beeinflussen läßt, so ist es dennoch unter allen Umständen seine Pflicht, folgende Grundsätze festzuhalten: einmal dürfen keine Gemeindegelder in sein Privathaus abgeleitet werden, sodann muß auch das Statuensetzen mit einer gewissen Mäßigung geschehen, endlich darf man gerade solche Steuern wahrhaftig niemand gegen seinen Willen auspressen. Sehen wir uns die drei Punkte näher an.

LVIIII. (144) Was die Ableitung des Geldstromes anlangt, so frag' ich dich: pflegten die Gemeinden aus eigenem Entschlusse die Anfertigung deiner Statuen demjenigen zu verdingen, der ihnen dafür die annehmbarsten Bedingungen stellte, oder ernannten sie einen Bevollmächtigten zur Führung des ganzen Geschäftes oder aber pflegten sie dir, respektive deinem persönlich beauftragten Vertreter, das Geld bar auszuzahlen? – Wenn nämlich die Leute, die dir die Ehre eines solchen Denkmals erweisen wollten, dasselbe auch wirklich setzen ließen, so will ich mich gerne zufrieden geben; wenn aber Timarchides das Geld ausgezahlt erhielt, so höre doch gefälligst auf uns hier, wo wir dich auf einem eklatanten Fall von Diebstahl ertappt haben, noch vorzuflunkern, es wäre dir um monumentale Verewigung deines Ruhmes zu thun gewesen! Zweitens. Soll denn das Statuensetzen gar keine Grenzen haben? Ich denke, das versteht sich doch von selbst. (145) Seht euch einmal die Situation an. Ich nehme als Beispiel die Gemeinde Syrakus. Sie dekretierte ein Denkmal für Verres – das war eine Ehrenbezeigung –, ferner eines für Verres' Vater – das war eine schöne und gewinnbringende Vorspiegelung pietätvoller Gefühle –, endlich ein drittes für Verres' Sohn – das läßt sich hören, denn gegen diesen Knaben empfand man keinen Haß. Aber wie oft und unter wie vielen Vorwänden willst du denn den Syrakusanern noch Statuen abzwingen? Da verlangtest du eine Statue auf dem Markte, da befahlst du eine im Rathaussaal, da zwangst du sie zur Beisteuer für die Kosten deiner Statuen in Rom; da sollte man eine gewisse Summe im Namen der Gutsbesitzer hergeben, und man that es; da hieß es, man müsse seinen Anteil an der gemeinsamen Gabe Siciliens zahlen, und man that es. Wenn somit eine einzige Stadt unter den verschiedensten Vorwänden zum Geldgeben für den einen Zweck genötigt wurde und den übrigen Gemeinden ähnliches widerfuhr, kommt ihr da nicht ganz von selbst zu dem Gedanken: dieser Leidenschaft muß doch ein Ziel gesetzt werden? Endlich: wenn es nun keine Gemeinde aus freien Stücken that, sondern sich alle nur durch Machtbefehle, Drohungen, Schrecknisse oder Leiden bestimmen ließen, das angeblich für Statuen zu verwendende Geld herzugeben – ja um Gottes willen, da giebt doch hoffentlich jedermann zu: annehmen darf man vielleicht das Geld für die Statuen, aber gewaltsam rauben nimmermehr! (146) Zunächst will ich also hierfür ganz Sicilien anrufen: einstimmig wird mir das Land nachweisen, daß ihm unter dem Vorwande der Errichtung von Bildsäulen ungeheure Geldmassen mit Gewalt abgepreßt wurden. Sämtliche Bürgerschaftsvertretungen haben in ihren gemeinsamen, fast ausschließlich durch deine Grausamkeit provozierten Forderungen auch die aufgestellt, man solle niemand eine Statue versprechen, so lange er selbst die Provinz nicht verlassen hätte. LX. So viele Landvögte waren schon in Sicilien, so oft haben sich die Sicilianer in alter und neuer Zeit mit Bittgesuchen an unseren Senat gewandt, aber diese Forderung ist etwas Neues, diese Sorte hat euch erst der Prätor Verres eingebrockt. (147) In der That, unerhört ist nicht nur die Sache selbst, sondern schon die ganze Art von einer Forderung. Was sonst, durch deine Streiche veranlaßt, in jenen Forderungen steht, ist zwar auch neu, aber die Art, wie die Forderungen aufgestellt werden, bietet nichts Auffallendes. Die Sicilianer richten z. B. an den römischen Senat das dringende Gesuch, er möge verordnen, daß in Zukunft unsere Beamten den Getreidezehnten nach dem Gesetze Hierons verpachten. Du wärest der erste, der dieses Gesetz übertrat. Das läßt sich anhören. – Ein weiteres Gesuch: die Beamten sollen das Getreide, das ihnen persönlich geliefert wird, nicht in Geld abschätzen. Auch diese Forderung wird jetzt zum erstenmal aufgestellt, nämlich wegen deiner »drei Denare«, von denen später die Rede sein wird, aber immerhin ist die Gattung, der sie angehört, nicht neu. – Wieder ein anderes: gegen einen Abwesenden soll keine Gerichtsklage angenommen werden. Das war eine Folge der Unbill, die du dem armen Sthenios angethan. Weitere Beispiele will ich nicht anführen. Alle Forderungen der Sicilianer sind der Art, daß sie aussehen wie gesammelte Klagepunkte gegen einen Schuldigen, und der Schuldige bist du. Indessen weisen sie zwar alle auf unerhörte Verbrechen, doch in den herkömmlichen Formen der Forderung; (148) nur dieser Punkt mit den Statuen muß jedem komisch vorkommen, der den Sachverhalt und die versteckte Absicht nicht durchschaut. Sie verlangen nämlich – nicht etwa daß man sie zu der Errichtung nicht zwingen dürfe. Sondern, was denn? Daß sie selbst keine setzen dürfen. Was sind denn das für Verhältnisse? Du bittest mich, etwas, das in deiner Macht steht, nicht thun zu dürfen; bitte dir doch lieber aus, daß niemand dich zwingen dürfe, etwas gegen deinen Willen zu versprechen oder zu leisten. »Damit ist nichts gewonnen,« lautet die Antwort; »denn jeder wird behaupten, er habe mich gar nicht gezwungen; wenn du mir aufhelfen willst, so erteile deine Genehmigung dazu, daß ich das Versprechen überhaupt nicht geben darf.« – Deine Amtsführung, Verres, hat diese Forderung in die Welt gesetzt; wer sie aufstellt, deutet damit an oder giebt vielmehr offen zu erkennen, daß er das Geld zu deinen Statuen höchst ungern und nur unter dem Drucke schwerer Drohungen und Leiden hergab.

(149) Aber ich gehe noch weiter: selbst wenn die Leute dies nicht sagten, du müßtest es ja durchaus selber eingestehen! Ja, überlege dir nur recht, wie du dich verteidigen willst; gleich wirst du erkennen, daß du dies Bekenntnis hinsichtlich der Statuen machen mußt. LXI. Wie mir nämlich gemeldet wird, richten deine genialen Verteidiger auf deine ausdrücklichen Angaben hin die Führung des Prozesses so ein, daß, sobald nur irgend ein anständiger, achtungswerter Mann aus Sicilien ein schweres Belastungszeugnis gegen dich abgelegt hat (wie es in vielen Fällen seitens der vornehmsten Leute geschah), du jedesmal gleich deinen besagten Anwälten erklärst: »der Mann ist ein persönlicher Feind von mir, er ist nämlich ein Landwirt.« Demgemäß liegt es also in eurer Absicht, für das alles die eine einzige Kategorie der Landwirte verantwortlich zu machen; sie müssen nach eurer Angabe mit bösen, feindseligen Absichten hergekommen sein, weil Verres in Sachen der Getreidelieferungen etwas scharf vorging. Dann sind also sämtliche Landwirte deine ausgesprochenen Widersacher und keiner ist unter ihnen, der nicht deinen Untergang wünschte? Das ist an sich schon ein treffliches Zeugnis für dich, wenn derjenige Stand, dem wir unter allen Mensch entlassen die größte Achtung und Dankbarkeit schulden, der mehr als irgend ein anderer die Existenz des Staates und nun namentlich der Provinz Sicilien in Händen hält, – wenn dieser Stand dein größter Feind ist. (150) Aber nehmen wir es einmal an; auf die Gesinnungen der Landwirte und ihre Leiden komm' ich später zurück, jetzt quittier' ich, was du mir übergiebst, nämlich die Thatsache, daß sie deine größten Feinde sind. Den Grund fügst du selber hinzu: wegen der Getreidezehnten. Gut, ich geb' es zu, ich frage nicht, ob sie dich mit Recht oder Unrecht hassen. Aber sag' einmal, was haben denn da die vergoldeten Reiterstatuen zu bedeuten, die jedem Römerauge und -Herzen so ungemein wehe thun, du weißt doch, die neben dem Volcantempel? Da steht nämlich eine Inschrift zu lesen, die besagt, eine dieser Statuen haben die Landwirte gestiftet. Wenn sie dir damit eine Ehre erweisen wollten, so sind sie nicht deine Feinde; dann müssen wir also den Zeugen Glauben schenken: die Leute sorgten damals für deine Ehrung, jetzt für ihr Gewissen. Wenn sie aber durch Furcht zu der Stiftung gezwungen wurden, dann mußt du durchaus zugestehen, daß du in der Provinz unter dem Vorwande der Verwendung für Statuen gewaltsam Geld erpreßtest. Was dir besser gefällt, magst du entscheiden; du hast die Wahl!

LXII. (151) Ich meinesteils möchte schon gerne dieses Kapitel von den Statuen abbrechen, wenn du mir nur die eine Thatsache zugiebst, die so sehr zu deinen Gunsten sprechen würde, nämlich daß die Landwirte dir für deine Ehrendenkmäler aus eigener Überzeugung Geld vorgeschossen haben. Räume mir dies ein; dann hast du dir sofort den größten Teil deiner Verteidigung selbst abgeschnitten; denn nachher kannst du nicht mehr behaupten, die Landwirte wären deine erbitterten persönlichen Feinde gewesen. Sehet, welch' eigenartige Situation! welch' elende, erbärmliche Verteidigung! Ein Beklagter, und noch dazu ein ehemaliger Statthalter von Sicilien, will nicht annehmen, was ihm sein Ankläger darreicht, nämlich das Moment, daß ihm die Landwirte aus vollem Herzen eine Statue dekretierten, daß die Landwirte eine hohe Meinung von ihm haben, daß sie seine Freunde sind und seine Rettung wünschen! Er fürchtet, daß ihr zu dieser Ansicht gelangen könntet; er wird nämlich von den Zeugnissen der Landwirte rein erdrückt. (152) Ich will von dem gegebenen Worte Gebrauch machen. Auf alle Fälle müßt ihr doch auf dem Standpunkte stehen, daß die erbitterten Feinde des Angeklagten, die er selbst als solche angesehen wissen will, das Geld zu seinen Ehrendenkmälern aus voller freudiger Überzeugung nicht hergegeben haben. Damit dies alles vollkommen klargestellt werde, braucht er selber nur meine Zeugen zu befragen; sie alle, die aus Sicilien hergekommen sind um als meine Zeugen aufzutreten, mögen sie ihrer Herkunft nach Römer oder einheimische Griechen sein, stell' ich dir zur Verfügung; frage, wen du willst, meinetwegen denjenigen, der dir als dein grimmigster Feind erscheint und in dir seinen Blutsauger sieht, frag' ihn, ob er einen Beitrag für deine Statuen gezeichnet hat: keinen einzigen wirst du finden, der auf diese Frage »nein« antwortet; gezahlt haben sie alle. (153) Hältst du nun danach noch irgend jemanden für fähig zu bezweifeln, daß der Mensch, der notwendig dein erbittertster Feind sein muß, der von dir die empörendsten Mißhandlungen erlitt, das Geld für den Titel »Statuen« nur unter dem Drucke der rohen Herrschergewalt hergab, und nicht aus eigener artiger Gesinnung? Und bei diesem Gelde, meine Herren, bei dieser ungeheuren, den armen Leuten in der unverschämtesten Weise abgepreßten Summe berechnet' ich nicht und konnte auch nicht berechnen, wie viel den Grundbesitzern und wie viel den Industriellen, wie viel den Leuten in Syrakus, in Akragas, in Panormos, in Lilybaion abgezwackt worden war; ihr aber entnehmet jetzt auch aus dem eigenen Geständnis des Angeklagten, daß er sie gewaltsam eintrieb, unbarmherzig, zur Verzweiflung derer, die sie gaben.

LXIII. (154) Ich komme jetzt auf die Gemeinden Siciliens, über die sich hinsichtlich ihrer Gesinnung sehr leicht ein Urteil bilden läßt. Ich stelle mich für einen Augenblick auf den Standpunkt deiner Anwälte. Vielleicht haben auch die Sicilianer im ganzen ungern beigesteuert? Es ist nicht wahrscheinlich. Denn bekanntlich hat Verres seine Statthalterschaft von Sicilien in der Weise geführt, daß er, unfähig den beiden Parteien der einheimischen Sicilianer und der zugewanderten Römer zu genügen, höheren Wert auf die Artigkeit gegen unsere Bündner als auf die Rücksicht gegen unsere Mitbürger legte! So hat er denn, wie ich auf Inschriften in Syrakus gesehen habe, nicht bloß den Ehrentitel eines Schützers, sondern auch den eines Erlösers der Insel erhalten. Habet ihr eine Ahnung davon, was das bedeutet? Es bedeutet so viel, daß es sich in unserer Sprache mit einem einzigen Worte gar nicht bezeichnen läßt. Erlöser oder Heiland ist bekanntlich der, welcher der Menschheit das Heil bringt. Unter diesem Titel werden ihm auch Feste gefeiert, jene herrlichen Verresfeste, nicht in der Weise des Marcellusfestes, sondern an Stelle des Marcellusfestes, das die Sicilianer auf Verres' Befehl aufheben mußten; ein Verresbogen steht auf dem Markte von Syrakus, darinnen die Statue von Verres ausgezogenem Sohn, während er selber hoch zu Roß auf die ausgesogene Provinz herabschaut; seine Bildsäulen stehen an allen Orten, so daß sie einem den Gedanken nahelegen, er habe beinahe ebenso viele Statuen in Syrakus setzen lassen wie weggeschleppt; auch in Rom hat er Bildsäulen, auf deren Sockel wir in mächtigen Buchstaben die Inschrift lesen können: »gestiftet von der Gesamtheit der Gemeinden Siciliens.« (155) Wie willst du es nun irgend wem wahrscheinlich machen, solch' hohe Ehren hätten dir die Leute nur ungern erwiesen? LXIIII. Hier mußt du dich noch vielmehr als vorhin bei der Angelegenheit mit den Landwirten umsehen und vor deinen eigenen Ausreden in acht nehmen. Es kommt in der That viel darauf an, ob du die Sicilianer im öffentlichen und privaten Leben als deine Freunde oder Feinde gelten lassen willst. Willst du sie als deine Feinde angesehen wissen, was soll dann aus dir werden? wo winkt dir eine Zuflucht, worauf kannst du dich stützen? Soeben hast du die Landwirte, also die achtungswertesten und wohlhabendsten Leute unter den Sicilianern wie unter den römischen Bürgern, in Masse dir entfremdet; jetzt geht's an die Gemeinden Siciliens, und was willst du da thun? Willst du etwa die Sicilianer für deine Freunde erklären? wie kannst du das? Die Leute entschließen sich zu einem Schritt, den sie früher gegen niemand gethan, nämlich von Amtswegen in Rom Belastungszeugnis abzulegen, – und es waren doch schon mehrere gewesene Statthalter dieser Provinz angeklagt und verurteilt, nur zwei darunter freigesprochen worden! Jetzt kommen die Menschen mit Denkschriften, mit amtlichen Aufträgen, mit öffentlichen Zeugnissen. Würden sie dich offiziell herausstreichen, so müßte man sich doch sagen, daß sie es mehr um ihrer Gewohnheit als um deines Verdienstes willen thäten; nun aber, wo sie sich offiziell über deine Führung beschweren, zeigen sie doch ganz offen, deine Sünden gingen soweit, daß man lieber von alter Gewohnheit abweichen als von deinem Betragen stillschweigen wollte! – (156) So muß man denn notwendig eingestehen, die Sicilianer sind dir feindlich gesinnt; haben sie doch die bedenklichsten Forderungen gegen dich an die Konsuln eingereicht und mich beschworen, die Führung dieses Prozesses um der Rettung ihrer Existenz willen zu übernehmen; haben sie doch, trotz der hindernden Maßregeln des neuen Prätors und der nicht weniger als vier Quästoren, alle Drohungen und Gefahren für nichts geachtet im Verhältnis zu dem Gedanken an ihre Erlösung und endlich bei unserem ersten Termin mit heftigstem Tone so schwere Belastungszeugnisse abgelegt, daß Quintus Hortensius von dem Abgeordneten und amtlichen Zeugen der Gemeinde Kentoripa, einem gewissen Artemon, sagte: »das ist ja kein Zeuge, das ist ein Ankläger!« Der Mann war nämlich wegen seines vortrefflichen, makellosen Charakters zusammen mit seinem nicht minder zuverlässigen Sohn Andron hergeschickt worden; ein besonderer Grund für diese Wahl war noch seine Beredsamkeit, damit er euch ja die unzähligen Sünden des Angeklagten so recht klar und überzeugend auseinandersetzen könnte.

LXV. Sie haben gesprochen, die Abgeordneten von Alaisa, Katane, Týndaris, Enna, Hérbita, Agyrion, Nete, Egesta und wie sie sonst heißen mögen – es ist ja nicht nötig sie alle aufzuzählen. Ihr wißt, wie viele sich beim ersten Termin äußerten und wie viel sie äußerten: jetzt werden dieselben sprechen und die übrigen dazu. (157) Jedermann sieht also in dieser Angelegenheit klar ein, wie es um die Gesinnung der Sicilianer steht; die Leute sagen sich: »wenn über Verres keine Strafe verhängt wird, so müssen wir fort von Haus und Hof, ja, wir müssen Sizilien verlassen und in die Verbannung ziehen.« Und diese Leute, behauptest du, hätten zu deiner Ehre und Verherrlichung aus freien Stücken ungeheure Summen eingezahlt? Das willst du uns einreden? Gewiß, man wird es dir wohl glauben, daß die Leute, die dich in deinem Vaterlande vernichten wollen, in ihren eigenen Landen Denkmäler deiner Gestalt und deines Namens zu haben wünschten! Der weitere Verlauf wird klarlegen, wie sie sich die Dinge gewünscht haben. Schon lange kommt es mir nämlich vor, als geh' ich bei der Sammlung der Symptome sicilianischer Gesinnungen gegen dich mit viel zu großer Zurückhaltung zu Werke.

(158) Wo hat man je gehört, daß einem Menschen das Geschick zu teil geworden wäre, das dir thatsächlich zugestoßen ist, nämlich daß seine auf öffentlichen Plätzen, zum Teil sogar in Göttertempeln seiner Provinz errichteten Statuen von der vereinigten Volksmenge gewaltsam umgestürzt wurden? So viele gemeinschädliche Menschen waren schon in Kleinasien, in Afrika, in Spanien, in Gallien, in Sardinien, auch gerade in Sicilien gewesen; habt ihr von einem einzigen so etwas gehört? Es ist noch nicht dagewesen, meine Herren; Sicilien und überhaupt die ganze Griechenwelt kennt kein zweites solches Ungeheuer. Ich würde diese Geschichten von den Verresbildern gar nicht glauben, wenn ich nicht selber die losgerissenen Statuen hätte herumliegen sehen; bei allen Griechen herrscht nämlich die Vorstellung, wenn einem Menschen ein Denkmal gesetzt ist, so liegt ein göttlicher Wille in dieser Ehre: dem Kunstwerke gebührt Andacht. (159) Man denke z. B. an die Rhodier, die fast allein den ersten Krieg gegen König Mithradates führten und den wütenden Angriff seiner gesamten Truppenmacht gegen ihre Mauern, Flotten und Gestade aushalten mußten; dennoch haben sie, trotz einer nie ähnlich empfundenen Erbitterung des Hasses, die Bildsäule dieses Königs, die an einem der berühmtesten Punkte ihrer Hauptstadt aufgestellt war, selbst damals in den Tagen der schwersten Gefahr für diese Stadt, nicht angerührt. Vielleicht erscheint es unlogisch, daß man einen Menschen, dessen persönlichen Untergang man herbeiführen wollte, im Bild erhielt und sein Denkmal gar nicht antastete, aber ich selbst habe mich bei meinem Aufenthalt in Rhodos mit eigenen Augen davon überzeugt, daß hierbei ein Gefühl frommer Scheu mitspricht, welches den Leuten angeboren ist und seit vielen Generationen im Blute steckt; auch konnte man den Einwand hören, mit der Statue hätte man in vergangenen Zeiten zu rechnen gehabt, nämlich damals, als sie gesetzt wurde, dagegen mit dem Menschen jetzt, da er Krieg führte und als Feind heranzöge. LXVI. Da seht ihr das Herkommen und das fromme Gefühl der Griechen, wie sie selbst in Kriegszeiten die Denkmäler ihrer Feinde zu verteidigen pflegen; jetzt dagegen konnt' es mitten im Frieden den Statuen eines römischen Prätors keinen Schutz gewähren.

(160) In unserer Bundesstadt Tauromenion, wo die Bevölkerung sich durch ruhiges Temperament auszeichnet, auch von der Mißwirtschaft unserer Beamten am meisten entfernt und daher stets das Bündnis mit allem Eifer zu erhalten bestrebt ist, konnten die Leute sich's doch nicht versagen, Verres' Statue umzustürzen; ja, sie beschlossen, daß der Sockel auf dem Markte stehen bleiben sollte, selbst nachdem die Statue zu Boden geworfen war; es wird, so meinten sie, den Menschen noch schlimmer kompromittieren, wenn alle Welt weiß, daß die Bewohner von Tauromenion seine Statue niederwarfen, als wenn man denkt, sie hätten ihm überhaupt niemals eine gesetzt. In Tyndaris vollzog man auf dem Marktplatze dieselbe Prozedur und ließ aus dem gleichen Grunde das Pferd ohne Reiter stehen. In Leontīnoi , einem elenden, dünnbevölkerten Städtchen kam es doch so weit, daß man die Verresstatue in der Turnschule zu Boden schleuderte. Was soll ich erst von Syrakus erzählen? Was dort geschah, kommt ja nicht allein den Syrakusanern, sondern ebensosehr allen anderen dort versammelten Sicilianern und somit gewissermaßen der ganzen Provinz auf Rechnung. Welch ungeheure, imposante Menschenmenge muß sich damals dort eingefunden haben, als man die Verresstatuen von ihren Sockeln riß und zu Boden schleuderte! Und an welchem Platze! An dem berühmtesten, gefeiertsten Punkte der Stadt, dicht beim Gotte Serāpis , vorn am Eingange zur Vorhalle seines Tempels. Wäre hier nicht Metellus so energisch eingeschritten, hätt' er nicht weitere Zerstörungen kraft seiner Herrschermacht durch einen besonderen Erlaß untersagt, von allen Statuen des Verres wäre in ganz Sicilien keine Spur übrig geblieben!

(161) Ich brauche wohl nicht der Idee vorzubeugen, irgend etwas von diesen Vorgängen wäre auf meinen Antrieb hin geschehen oder stünde überhaupt mit meiner Ankunft in Beziehung. All das Erzählte geschah früher, vor meiner Landung in Sicilien, ja sogar vor Verres' Ankunft auf dem Festlande. Während meines Aufenthaltes auf der Insel wurde keine Statue umgestürzt; was später, nach meiner Abreise, geschah, sollt ihr jetzt hören. LXVII. In Kentoripa beschloß der Stadtrat mit ausdrücklicher Genehmigung durch das Volk: sämtliche vorhandenen Bildnisse des Gaius Verres, seines Vaters und seines Sohnes sollten seitens der Stadtverordneten einem Unternehmer zur Zerstörung überwiesen werden; bei dem Akte der Zerstörung in seiner ganzen Dauer sollten nicht weniger als dreißig Ratsherren zugegen sein. – Ihr seht, das ist eine Gemeinde von ernsten, würdigen Menschen; sie wollten erstens nicht solche Statuen in ihrer Stadt dulden, die sie nur unter dem Drucke der rohen Herrschergewalt bewilligt hatten, und dann keine Bildsäulen eines Menschen, gegen den sie selbst den bis dahin unerhörten Schritt gethan, von Amts wegen Abgeordnete mit dem speciellen Auftrage des schwersten Belastungszeugnisses nach Rom zu schicken. Sie glaubten ihrem Beschlusse noch größeren Nachdruck zu verleihen, wenn die Zerstörung durch einen offiziellen Amtsbefehl als wenn sie durch die Gewalt der empörten Volksmenge vollzogen würde. (162) Nachdem man nun in Kentoripa auf diesen Beschluß hin die Statuen weggenommen hatte, gelangte die Kunde davon zu Metellus; er ärgerte sich darob gewaltig, berief die zehn ältesten Ratsherren nebst verschiedenen anderen Beamten von Kentoripa zu sich und drohte mit schweren Strafen, falls sie die Statuen nicht auf ihren Standort zurückstellen ließen. Die Leute bringen diesen Bescheid vor den versammelten Stadtrat; die Statuen, die dem Angeklagten in seinem Prozesse doch nichts helfen konnten, werden wieder aufgerichtet, jedoch der in ihrem Betreff gefaßte Ratsbeschluß von Kentoripa nicht aufgehoben. – Hier muß ich nun sagen: ich gebe ja manches manchem zu, aber einem so vernünftigen Manne wie Metellus kann ich es absolut nicht verzeihen, wenn er eine Dummheit begeht. Also wirklich, er sah eine Gefahr für Verres' Person darin, wenn seine Statuen am Boden lagen? Ein Sturmwetter oder sonst irgend ein Zufall stößt ja oft eine Statue um! Hierin lag wahrhaftig kein Tadel oder Vorwurf irgend welcher Art gegen Verres. Worin lag also der Vorwurf, woraus entsteht eine Anklage? Aus dem Urteil und der Gesinnung der Menschen.

LXVIII. (163) Hätte Metellus die Bürger von Kentoripa nicht gezwungen, die Statuen wieder aufzurichten, so würd' ich etwa so sprechen: »Ihr seht, meine Herren, wie groß und herbe der Schmerz ist, den die Verbrechen des Angeklagten in das Gemüt unserer lieben Bundesgenossen gewissermaßen eingebrannt haben; wenn die treue, liebwerte Gemeinde Kentoripa, die dem römischen Volke so innig zugethan ist, daß sie stets nicht nur unseren Staat in seiner Gesamtheit, sondern auch an jedem beliebigen Privatmann den römischen Namen förderte und ehrte – wenn diese Gemeinde in offiziellem Ratsbeschluß erklärte, in ihrer Stadt keine Bildsäulen des Gaius Verres dulden zu wollen.« Ich würde die Verfügungen der Kentoripiner vorlesen, würde dieser Gemeinde Worte der Anerkennung widmen (was ich wahrhaftig mit gutem Gewissen thun könnte), würde erwähnen, daß sie zehntausend Vollbürger zählt, die zu unseren thatkräftigsten und gesinnungstüchtigsten Bundesgenossen zählen; »diese alle«, würd' ich hinzufügen, »erklärten einmütig, in ihrer Stadt darf kein Denkmal des Verres stehen.« (164) So würd' ich sprechen, wenn Metellus die Statuen nicht wieder aufgerichtet hätte. Jetzt möcht' ich den Metellus selber fragen, wo er denn durch seine Gewaltmaßregel diese meine Beweisführung eingeschränkt hat. Alles paßt gerade so gut, denk' ich, nach wie vor. Denn mögen die Statuen zehnmal umgestürzt worden sein, ich könnte sie euch doch nicht zeigen, wie sie am Boden daliegen; was ich verwenden kann, ist immer nur die Thatsache, daß eine so bedeutende Gemeinde wie Kentoripa die Zerstörung der Verresstatuen für notwendig erklärt hat. Dies konnte mir auch Metellus nicht rauben; im Gegenteil, er hat mir noch ein Moment mehr an die Hand gegeben, denn jetzt könnt' ich, wenn es mir paßte, darüber klagen, wie ungerecht unsere Freunde und Bündner regiert werden, wenn sie nicht einmal bei der Erweisung von Ehrenbezeigungen nach eigenem Ermessen handeln dürfen; auch könnt' ich euch auffordern, euch selber einen Begriff davon zu machen, wie sich wohl Metellus gegen mich in den Angelegenheiten benommen haben mag, wo er mir schaden konnte, wenn er hier, wo ihm das nicht gelang, eine so offenbare Parteilichkeit an den Tag legte. Indessen, ich bin auf Metellus nicht böse und will ihm keinesfalls den Ruf nehmen, den er allgemein genießt, nämlich den Ruf, niemals mit Absicht Böses zu thun.

LXVIIII. (165) Soweit sind wir nun: es ist bis zur völligen Unbestreitbarkeit klar, daß dir keine einzige Statue infolge freundlicher Gesinnungen errichtet und daß das Geld unter dem Titel »Statuen« lediglich mit brutaler Gewalt den Leuten abgezwackt wurde. Bei diesem Punkte möcht' ich nicht nur die Thatsache beachtet wissen, daß du für »Statuen« zwei Millionen Sesterzen eingetrieben hast, sondern noch viel mehr die weitere Thatsache betonen, die bei der Gelegenheit zur Evidenz gebracht wurde, daß du dir nämlich im höchsten Grade den Haß der Landwirte und überhaupt aller Sicilianer zuzogest. Was ihr hiergegen zur Verteidigung des Angeklagten vorbringen wollt, ist nach meinen Begriffen gar nicht abzusehen. (166) »Die Sicilianer hassen mich,« wird es heißen, »weil ich soviel für die eingewanderten Römer gethan habe.« – Aber gerade diese sind deine wütendsten, erbittertsten Feinde. – »Die römischen Bürger hab' ich mir zu Widersachern gemacht, weil ich die Rechte und Vorteile der Bündner verfocht.« – Aber gerade die Bündner beklagen sich, daß du sie wie Reichsfeinde behandeltest. – »Die Landwirte sind gegen mich wegen der Naturalsteuern.« – So, und jene, die das Privileg der unbegrenzten Steuerfreiheit für ihren Grund und Boden genießen, warum hassen dich die? warum verabscheut man dich in Alaisa, in Kentoripa, in Egesta, in Halikye? Wo könnt' ich eine Menschenklasse, einen Stand, eine Gruppe nennen, die dich nicht haßte, gleichviel ob Römer oder Sicilianer? Es geht so weit, daß ich, selbst wenn ich die Ursachen ihres Hasses nicht zu erzählen vermöchte, dennoch es für meine Pflicht halten würde, zu erklären: wen alle Menschen hassen, der muß auch euch ein Gegenstand des Abscheus sein. (167) Oder willst du dich zu der Behauptung erfrechen: ob die Landwirte und überhaupt die Sicilianer eine gute Meinung von dir haben oder was sie sonst denken, darauf komme gar nichts an? Dazu wirst du dich nicht unterstehen, und solltest du es doch thun wollen, so wird es dir nicht gelingen; denn das Wort wird dir geradezu abgeschnitten durch jene Reiterstatuen, die du selbst kurze Zeit vor deiner Ankunft in Rom errichten und mit Inschriften versehen ließest, um die Absichten aller deiner Gegner und Ankläger zu nichte zu machen. (168) Wer sollte dir denn auch beschwerlich fallen oder gar dich zur Rechenschaft zu ziehen wagen, wenn er Statuen sah, die dir von den Kaufleuten, von den Landwirten, von ganz Sicilien gesetzt waren? Was giebt es denn sonst noch für Berufsklassen in dieser Provinz? Keine. Folglich ward ihm von der gesamten Provinz und außerdem noch von den einzelnen Bestandteilen ihrer Einwohnerschaft nicht nur die innigste Liebe, sondern auch die höchste Auszeichnung dargebracht; wer sollte sich an einem solchen Manne vergreifen? – Kannst du da noch behaupten, die Zeugnisse der Handelsherren, der Grundbesitzer und der gesamten Sicilianer dürften dir nicht schaden, wenn du durch Berufung auf die Statueninschriften mit ihren Namen alle Mißgunst und all deine Schande ersticken zu können hoffst? Und wenn du anderseits durch den ehrlichen Namen dieser Leute auch deine Statuen in ein anständiges Licht zu setzen versuchtest, sollen mir da diese selben achtbaren Leute nicht dazu taugen, meine Anklage zu stützen?

(169) Doch halt! Vielleicht tröstet dich noch ein letzter Hoffnungsschimmer: du warest ja eine beliebte Persönlichkeit bei den Steuerpächtern. Daß dir diese Beliebtheit nichts nützen kann, das hab' ich durch meine Aufmerksamkeit erreicht; daß sie dir sogar schaden muß, dafür hast du durch deine Schlauheit gesorgt. Lasset euch, meine Herren, den ganzen Vorfall in Kürze erzählen.

LXX. Bei der Steuererhebung in Sicilien ist als stellvertretender Direktor ein gewisser Lucius Carpinatius angestellt, der sich teils, um selber gute Geschäfte zu machen, teils vielleicht auch aus Rücksicht für den Vorteil seiner Geschäftsgenossen recht fest in Verres' Umgebung einnistete. Stets war er ihm zur Seite, auf alle Märkte folgt' er ihm nach, und allmählich war er ihm so nahe getreten, hatt' er sich den Handel mit Verres' Erlassen und Rechtsentscheidungen sowie die Vermittelung seiner Operationen dermaßen zur Gewohnheit gemacht, daß er beinahe wie ein zweiter Timarchides angesehen wurde; (170) ja, infoferne spielt' er sogar eine noch bedeutendere Rolle, als er den Leuten, die bei Verres ihre Einkäufe machen wollten, Geld auf Zinsen vorschoß. Dieses Wuchergeschäft, meine Herren, ging nun in einer solchen Weise vor sich, daß selbst dieser Profit dem Herrn hier anheim fiel; die Kapitalien nämlich, die der Mann den mit ihm kontrahierenden Käufern in laufender Rechnung zur Last setzte, schrieb er dem Sekretär des Angeklagten oder dem Timarchides oder auch dem Verres selber gut. Außerdem pflegt' er mit außerordentlichen Kapitalien des Angeklagten in gewaltigem Umfange unter seinem eigenen Namen Wucher zu treiben. (171) Dieser Carpinatius hatte vor der Zeit, wo er in das intime Verhältnis zu Verres trat, zu wiederholten Malen Beschwerdebriefe über dessen Vergehen an den Verwaltungsrat gesandt; überdies hatte ein gewisser Canuleius, der bei der Verwaltung des Hafens von Syrakus angestellt war, zahlreiche Diebstähle des Verres mit detailliertem Bericht an den Verwaltungsrat gemeldet, zumal solche Fälle, wo Frachten aus Syrakus ohne Entrichtung des gesetzlichen Ausfuhrzolls expediert worden waren; Hafen- und Zolleinnahmen befanden sich aber durch Pacht in den Händen einer und derselben Gesellschaft. So ist es gekommen, daß wir über zahlreiche Vorfälle auf Grund der Geschäftsbücher dieser Gesellschaft einen authentischen und für Verres verhängnisvollen Bericht erstatten können. (172) Nun gestalteten sich aber die Verhältnisse so, daß Carpinatius dem Angeklagten durch immer intimeren Verkehr und überdies durch die Gemeinsamkeit ihrer praktischen Interessen näher und näher trat; infolgedessen schickte er fortan häufig Briefe an die Gesellschaft, die nur von den außerordentlichen Gefälligkeiten und Wohlthaten redeten, die Verres der gemeinsamen Sache erwiesen. Jetzt pflegte Verres alles zu thun, was Carpinatius wollte, und seine Erlasse ganz nach dessen Forderungen einzurichten; um so häufiger schrieb dieser an den Vorstand der Gesellschaft und zwar bat er darum, man möchte doch seine früheren, im entgegengesetzten Sinne gehaltenen Berichte womöglich ganz und gar vernichten. Schließlich, als Verres sich schon zur Abreise rüstete, richtete Carpinatius ein Schreiben folgenden Inhaltes an die Gesellschaft: man möchte doch dem Verres in stattlichem Zuge entgegengehen, ihm feierlich Dank sagen, ihm recht diensteifrig versprechen, alle seine Wünsche als Befehl zu betrachten. Die Gesellschaft ging darauf ein; nach altem Herkommen ihrer Zunft zogen die Steuerpächter dem Verres entgegen – nicht als ob sie ihn irgend einer Ehrenbezeigung für würdig gehalten hätten, sondern weil sie es für nützlich hielten, in den Ruf der Gesinnungstreue und Dankbarkeit zu kommen – und statteten ihm Dank ab unter Berufung auf die zahlreichen Berichte des Carpinatius über seine gefälligen Bemühungen. LXXI. (173) Verres antwortete, das alles hätt' er recht gerne gethan, drückte sich anerkennend über die dienstliche Tüchtigkeit des Carpinatius aus und gab hiernach einem seiner Freunde, der damals als Direktor bei der Gesellschaft arbeitete, den Auftrag, er sollte doch recht gewissenhafte Umschau halten und dafür sorgen, daß in den Papieren der Gesellschaft sich nichts befände, was für seine persönliche Sicherheit oder seinen allgemeinen Ruf von übler Bedeutung werden könnte. Der Mann beruft die Steuerpächter unter Ausschluß der übrigen Gesellschaftsmitglieder zu einer geheimen Sitzung und trägt ihnen die Sache vor. Man wird sich einig und beschließt, alle für den Ruf des Gaius Verres eventuell schädlichen Schriftstücke zu entfernen und dahin zu wirken, daß aus diesem Vorkommnis dem Gaius Verres keinerlei Unannehmlichkeit erwachsen könne. – (174) Hier muß ich eine Bemerkung einschalten. Wenn ich zeige, daß die Steuerpächter einen solchen Beschluß faßten, wenn ich den Beweis liefere, daß infolge dieses Beschlusses die kompromittierenden Schriftstücke entfernt wurden, was erwartet ihr noch weiter? kann ich ein eklatanteres Beispiel anführen von einem Fall, der für sich selber spricht, von einem Angeklagten, der bereits auf der Anklagebank verurteilt sitzt? Und welche Richter haben ihn verurteilt! Gerade diejenigen, welche nach der Ansicht unserer für strengere Gerichtshöfe agitierenden Parteien zum Richten berufen sind Die Steuerpächter waren meist begüterte Kaufleute, d. h. römische Ritter, und Cicero erinnert hier gerne daran, daß man damals für die Überweisung der Geschworenengerichte an den Ritterstand agitierte. ; sie sind es ja, deren Einsetzung in die Richterstellen das Volk jetzt verlangt; für ihre Berufung sehen wir jetzt ein Gesetz auf der Tagesordnung stehen, dessen Urheber nicht unserem Stande angehört, nicht von einer bloßen Richterfamilie herstammt, sondern ein echter Aristokrat ist Gemeint ist hier wiederum der tüchtige Prätor Lucius Aurelius Cotta, dessen Namen Cicero in diesen Reden so weislich wie konsequent verschweigt. : (175)  die Zehntpächter, d. h. also die vornehmsten und gewissermaßen die Senatoren unter den Steuerpächtern, glaubten das Verschwinden der Schriftstücke ins Werk setzen zu müssen. Ich habe Leute zur Verfügung, die dabei waren, die ich vorführen werde, denen ich diesen Punkt überlasse; vortreffliche Menschen von glänzendem Ruf und bedeutendem Vermögen, die selber den vornehmsten Familien des Ritterstandes angehören, und auf deren imponierende Persönlichkeit sich der Mann, der jenes Gesetz eingebracht hat, in seiner Rede und seiner Agitation ganz besonders stützt. Sie werden vortreten, sie werden erzählen, was sie damals beschlossen; wahrhaftig, wenn ich die Menschen recht kenne, werden sie nicht lügen; sie konnten wohl gesellschaftliche Schriftstücke, nimmermehr aber ihren persönlichen ehrenhaften Charakter aus der Welt schaffen. Also wünschten dich denn die römischen Ritter, die dich mit ihrer eigenen Stimme verdammten, durch den Spruch der Anwesenden nicht verurteilt zu sehen; ihr dagegen könnt euch jetzt überlegen, ob ihr euch lieber dem Urteil oder dem Wunsche der genannten Persönlichkeiten anschließen wollet.

LXXII. (176) Nun sieh, wozu dir der Eifer deiner Freunde, deine eigenen Pläne und die Wünsche jener Gesellschaft helfen. Ich will mich recht unverholen ausdrücken; ich brauche ja den Vorwurf, diesen Fall mit mehr Parteilichkeit als Offenherzigkeit vorgetragen zu haben, wohl von keiner Seite zu befürchten. Wenn jene Briefe nicht laut Beschluß der Zehntpächter durch die Beamten der Gesellschaft fortgeschafft worden wären, so könnt' ich nur so viel gegen dich vorbringen, wie ich eben in den Briefen vorgefunden hätte; jetzt liegen infolge jenes Beschlusses und der Fortschaffung der Briefe die Dinge derart, daß ich so viel sagen darf wie ich kann und daß der Richter so viel argwöhnen kann wie er will. Ich behaupte, daß du schwere Massen von Gold, Silber, Elfenbein, Purpur, zahllose Stücke von Malteser Webereien, Teppichen, delischem Prachtgeschirr, korinthischen Vasen, ferner ungeheure Quantitäten von Getreide und Honig aus Syrakus ausführtest, ohne dafür den gesetzlichen Hafenzoll zu bezahlen; über diese Thatsache erstattete der Hafeninspektor Lucius Canuleius amtlichen Bericht an die Gesellschaft. (177) Findet ihr das hinreichend stark? Ich sollte meinen, ein stärkeres Stück wäre undenkbar. Wie will Hortensius dies verteidigen? Wird er verlangen, ich solle den Bericht des Canuleius vorlegen? wird er behaupten, eine solche Anschuldigung sei ohne schriftliches Beweismaterial gegenstandslos? Dann bekommt er von mir die Antwort ins Gesicht: »die Schriftstücke sind ja fortgeschafft worden, ein Gesellschaftsbeschluß hat mich um das Beweismaterial gegen den Angeklagten und um die Denkzeichen seiner Diebereien gebracht!« – Entweder muß er den ganzen Vorgang einfach leugnen oder durchaus alle Hiebe auf seinem Schützling sitzen lassen. Willst du den Vorgang in Abrede stellen? Gut, diese Art von Verteidigung kommt mir sehr gelegen; ich steige von meinem hohen Standpunkt herab, denn nun kämpfen wir mit gleichen Waffen, da wollen wir uns auch auf gleichem Terrain bewegen. Da führ' ich Zeugen vor, und zwar mehrere Zeugen zu gleicher Zeit; da sie bei dem Vorgange selbst alle miteinander zugegen waren, so sollen sie auch hier alle miteinander vortreten; für das Verhör sollen sie nicht nur durch den Eidschwur und den Einsatz ihrer persönlichen Ehre, sondern auch durch ihr gemeinsames Gewissen gebunden sein. (178) Wenn auf diese Weise der Hergang der Sache, so wie ich ihn erzählt habe, definitiv klargestellt wird, kannst du dann noch behaupten, Hortensius, jene Schriftstücke hätten keinerlei Moment zu Verres' Ungunsten enthalten? Im Gegenteil, du mußt nicht nur auf diese Behauptung verzichten, sondern du darfst auch nicht einmal sagen, die Sache wäre nicht so schlimm gewesen wie ich sie darstelle. So habt ihr denn durch euer Manöver und eure Beliebtheit weiter nichts erreicht als daß, wie ich es eben bereits ausdrückte, mir unbegrenzte Freiheit für meine Anklage und dem Richter ein schrankenloses Feld für seinen Verdacht eingeräumt wird.

LXXIII. (179) Aber ich will mit dieser Lage der Dinge keinen Mißbrauch treiben und mir nichts ausdenken. Ich werde mir stets gegenwärtig halten, daß ich mir nicht ein Subjekt zur Anklage ausgesucht, sondern Persönlichkeiten zu verteidigen übernommen habe; daß ihr von mir nicht Dinge erfahren sollt, die ich aus mir selber hervorgebracht, sondern solche, die andere mir hinterbracht haben. Ich werde daran denken, daß ich meinen Verpflichtungen nachkomme – gegen die Sicilianer, wenn ich den Befund meiner Nachforschungen in Sicilien und den Inhalt ihrer Berichte sorgfältig auseinandersetze; – gegen das römische Volk, wenn ich mich von keiner Menschengewalt oder Übermacht einschüchtern lasse; – gegen euch, wenn ich euch durch meine Gewissenhaftigkeit die Gelegenheit zu einem aufrichtigen und ehrenhaften Urteilsspruche biete; – endlich gegen mich selbst, wenn ich von der Lebensbahn, wie ich sie mir vorgezeichnet habe und zu allen Zeiten einhielt, nicht einen Schritt weit abweiche. (180) Darum brauchst du nicht zu befürchten, daß ich irgend eine Erfindung gegen dich vorbringe; im Gegenteil, du hast sogar Ursache, dich zu freuen; denn viele deiner Sünden, die ich kenne, werd' ich auslassen, weil sie teils gar zu widerwärtig sind, teils ganz unglaublich klingen. Für jetzt will ich, damit du es weißt, nur den Vorfall mit der Gesellschaft erledigen. Ich werde die Frage stellen, ob der Beschluß gefaßt wurde. Hab' ich dies ergründet, so forsch' ich weiter nach, ob die Schriftstücke hinweggeschafft wurden. Ist auch diese Thatsache festgestellt, so werdet ihr, auch ohne daß es weiterer Worte meinerseits bedarf, euch schon von selber sagen: Wenn die Leute, die um Verres' willen einen solchen Beschluß faßten, also die römischen Ritter, jetzt hier über denselben Verres zu Gericht säßen, sie würden ohne Zweifel den Menschen verurteilen, über dessen Gaunerstreiche sie besonderen Bericht empfangen hatten; das Bewußtsein, diesen Bericht durch eigenen Beschluß aus der Welt geschafft zu haben, könnte sie darin nur bestärken. Wenn also Verres von den Leuten, die um seinetwillen alles mögliche wünschen und von ihm auf das gnädigste behandelt wurden, dennoch durchaus verurteilt werden müßte, giebt es da für euch, meine Herren, noch irgend eine Möglichkeit ihn freizusprechen?

(181) Damit ihr nun nicht denket, die fortgeschafften und unserer Kenntnis gewaltsam entzogenen Schriftstücke wären sämtlich so tief vor aller Welt versteckt geblieben, daß die sorgfältigen Bemühungen, die man mir hoffentlich zutraut, nichts davon hätten aufspüren, nichts erreichen können – so lasset es euch gesagt sein, meine Herren: was sich durch irgend welche Berechnungen oder sonstige Mittel auffinden ließ, das ward aufgefunden, und gleich werdet ihr sehen, daß der Mensch durch offenkundige Momente gefangen ist. Da ich mich nämlich mit den Angelegenheiten der Steuerpächter die längste Zeit meines Lebens beschäftige und diesen Stand von jeher aufs schärfste beobachte, so glaub' ich wohl sagen zu dürfen, ich habe mir von ihren Einrichtungen eine genügende Kenntnis durch die Praxis verschafft. LXXIIII. (182) Sobald ich daher von jener heimlichen Maßregel im Betreff der Schriftstücke etwas erfuhr, rechnet' ich zunächst genau aus, zu welcher Zeit Verres in Sicilien gewesen war; darauf forscht' ich nach – das war sehr leicht zu konstatieren – wer in jenen Jahren bei der Gesellschaft als Direktor fungiert hatte, und speciell, wem die Verwahrung der Schriftstücke oblag. Ich wußte nämlich, daß die mit dieser Aufgabe betrauten Direktoren gewöhnlich bei der Ablieferung der Schriftstücke an den jeweiligen Nachfolger es nicht ungern sahen, wenn Kopien in ihren Händen blieben. So begab ich mich denn zunächst zu dem Kaufmann Lucius Vibius, einem angesehenen Römer vom Ritterstand; ich hatte herausgefunden, daß er gerade in dem Jahr, auf das ich meine besondere Aufmerksamkeit zu richten hatte, Direktor gewesen war. Ich erschien dem Manne wie vom Himmel gefallen, so unerwartet kam ihm mein Besuch. Ich wühlte durch was ich konnte und ließ kein Blatt unbeachtet; doch fand ich nur zwei Heftchen, die Lucius Canuleius aus dem Hafen von Syrakus an die Gesellschaft geschickt hatte; sie enthielten die monatliche Aufstellung über allerlei Gegenstände, die für Rechnung des Verres ohne alle Zahlung abgeschickt worden waren. Natürlich versiegelt' ich diese Dokumente sofort. (183) Ihr Inhalt gehörte in jene Kategorie, für die ich in den Schriftstücken der Gesellschaft besonders viel Material zu finden wünschte; doch vor allen Dingen hatt' ich einen Fund gethan, den ich euch als ein Belegstück vorweisen konnte, und wie geringfügig im Verhältnis zum Ganzen der Inhalt dieser Stücke auch sein mag, welche Einzelheit er auch betreffe, immerhin haben sie das Gute, daß wir hier ein offenkundiges, unanfechtbares Exemplar in Händen halten – von den übrigen müsset ihr euch danach jetzt einen Begriff bilden. – Bitte uns gefälligst hier dieses Schriftstück und dann dieses zweite vorzulesen.

[Vorlesung der Berichte des Canuleius.]

Ich frage nicht, woher du die vierhundert Fässer Honig gehabt hast, und die ganzen Malteserstoffe und die fünfzig Eßzimmerdiwane und die Menge Kandelaber; woher du es nahmst, das geht uns jetzt nichts an, wohl aber möcht' ich wissen, wozu du diese Masse brauchtest. Vom Honig sprech' ich nicht weiter, aber Malteserstoffe waren es ja so viel, als wolltest du auch die Frauen deiner Freunde versorgen, und Diwane so viel, als wolltest du alle ihre Villen neu möblieren! LXXV. (184) Und da diese Heftchen nur für wenige Monate das Verzeichnis geben, so versucht euch einmal eine Vorstellung zu bilden, wieviel das für die ganzen drei Jahre seiner Amtsdauer ausmachen muß. Somit behaupt' ich: auf Grund dieser unscheinbaren, bei einem einzigen Direktor der Gesellschaft aufgefundenen Heftchen könnt ihr schon durch logische Schlußfolgerungen erkennen, was für eine Banditenthätigkeit dieser Mensch in seiner Provinz entfaltet hat, wie vielen und verschiedenartigen und schier unendlichen Begierden er gefrönt, welche Unsummen Geldes er nicht nur in bar sondern auch in Gestalt von solcherlei Wertobjekten eingeheimst hat; darüber werd' ich euch später eingehendere Erklärungen bieten. (185) Jetzt beachtet nur folgendes. Durch diese aus dem Berichte vorgelesenen Sendungen gingen, wie es daselbst weiter heißt, der Gesellschaft 60 000 Sesterzen an Hafenzoll der Stadt Syrakus verloren, als ein Zwanzigstel vom Werte der Ware. In den wenigen Monaten also wurden, nach Maßgabe dieser unscheinbaren verachteten Heftchen, vom Prätor gestohlene Waren im Werte von 1 200 000 Sesterzen aus einer einzigen Stadt ausgeführt. Nun überleget euch einmal – da es sich um Sicilien handelt, also eine Insel, die ringsum mit Ausfuhrhäfen bekränzt ist – wieviel er wohl von den übrigen Ausgangspunkten abgeschickt hat, z. B. von Akragas, von Lilybaion, von Panormos, von Thermai, von Alaisa, von Katane u. s. w., nun vollends von Messana Der moderne Leser mag sich an diesem Falle wie an der vorher beschriebenen Massenproduktion auf bildhauerischem Gebiete zu Gemüte führen, welch' üppig blühendes Leben selbst damals noch auf der gottbegnadeten Insel herrschte, die heute bis auf die Umgebung von Palermo und einen Strich an der Ostküste fast verödet liegt und nur noch Archäologen und Briganten etwas bietet. , dem Platze, den er für besonders sicher und zuverlässig hielt, wo er stets frei von Angst und Sorgen lebte, weil er sich die Mamertiner als seine Hehler ausgewählt hatte: zu ihnen ließ er ja alle Gegenstände schaffen, die einer besonders sorgsamen Aufbewahrung oder versteckten Ausfuhr bedurften. – Nachdem ich diese Dokumente aufgefunden hatte, wurden die übrigen beiseite geschafft und noch sorgfältiger versteckt; damit aber alle Beteiligten einsehen können, daß ich meine Sache ohne Gier führe, erklär' ich ganz offen: ich bin schon mit diesen beiden zufrieden.

LXXVI. (186) Jetzt wollen wir zu den Einnahme- und Ausgabebüchern der Gesellschaft, die man anständigerweise absolut nicht aus dem Wege schaffen konnte, und zu deinem Freunde Carpinatius zurückkehren. Wir nahmen zu Syrakus Einsicht in die von Carpinatius geführten Bücher der Gesellschaft, aus welchen an vielen Posten zu entnehmen war, daß Leute, die dem Verres Geld gegeben, zu dem Zwecke bei Carpinatius eine Anleihe aufgenommen hatten; das wird euch, meine Herren, klar wie der Tag einleuchten, sobald ich die Betreffenden persönlich vorführe. Dann werdet ihr nämlich sehen, daß der Zeitabschnitt, wo die Leute in Gefahr schwebten und sich durch Bestechung loskauften, genauestens auf die Angaben des Gesellschaftsbuches paßt; es stimmt nicht nur das Kalenderjahr, sondern auch jedesmal der Monat. (187) Als uns diese Erkenntnis deutlich aufging und wir die Gesellschaftsbücher bereits in Händen hielten, fielen uns plötzlich einige Stellen auf, an denen der Text korrigiert worden war; die ursprünglich geschriebenen Worte waren ausradiert und es sah aus, als hätte das Blatt einige frische Wunden. Sofort schöpften wir Verdacht und konzentrierten unsere Augen und Gedanken auf diese Stelle. Da fand sich nun eine Summe gutgeschrieben an einen gewissen Gaius Verrucius, und zwar konnte man deutlich sehen, daß alle Buchstaben bis zu dem zweiten r unverändert beibehalten worden waren, während die übrigen sämtlich auf der ausradierten Stelle standen; ein zweiter Posten fand sich mit genau derselben Änderung, dann ein dritter, ein vierter, schließlich eine ganze Menge. Damit war die Urkundenfälschung offenbar, das gemeine Verbrechen konstatiert, und so fingen wir an, den Carpinatius auszufragen, wer denn dieser Verrucius wäre, mit dem er in so lebhaftem Geschäftsverkehr stünde. Der Mann stockte, wurde rot, suchte nach einer ausweichenden Antwort. Nun enthält das Gesetz für die Rechnungsbücher der Steuerpächter den Ausnahmeparagraphen, demzufolge ihre Überführung nach Rom nicht zugegeben zu werden braucht; um daher die Sache ordentlich und vor vielen Zeugen klarzustellen, citier' ich den Carpinatius vor den Richterstuhl des Metellus und lasse die Rechnungsbücher der Gesellschaft auf den Markt bringen. Eine außerordentliche Menschenmenge fand sich ein, und da die intime Verbindung des Carpinatius mit dem Prätor Verres und ihre gemeinsamen Wuchergeschäfte bekannt waren, so war alles auf den Inhalt der Rechnungsbücher im höchsten Grade gespannt. LXXVII. (188) Ich trage die Sache dem Metellus vor, ich erzähle, wie ich die Geschäftsbücher der Gesellschaft durchprüfte; wie sich in diesen Büchern gar viele Posten für die Rechnung eines gewissen Gaius Verrucius fanden; wie ich mittels Verificierung der Daten erkannte, daß dieser Verrucius weder vor der Ankunft des Gaius Verres noch nach seiner Abreise in irgend welchem Geschäftsverkehr mit Carpinatius stand. Hierauf fordere ich, daß er mir Auskunft darüber gebe, wer denn dieser Verrucius sei, ein Handelsmann oder ein Großindustrieller oder ein Ackerbauer oder ein Viehzüchter, ferner ob er noch in Sicilien lebe oder außer Landes gegangen sei. Da ertönen viele Rufe aus der Versammlung: kein Mensch des Namens Verrucius sei jemals in Sicilien gewesen. Nun ließ ich erst recht nicht nach, sondern drängte, er sollte mir antworten, wer der Mensch wäre, wo er lebte, woher er stammte, und warum der Subalternbeamte, dem die Zusammenstellung der Zahlungslisten bei jener Gesellschaft oblag, sich jedesmal in dem Namen Verrucius von einem bestimmten Buchstaben ab geirrt hätte. (189) Diese Forderung stellt' ich, nicht weil ich etwa den Mann gegen seinen Willen zu einer Antwort auf meine Fragen wollte zwingen lassen, sondern um die Diebstähle des Verres, die Betrügereien seines Helfershelfers und die Frechheit beider ins rechte Licht zu setzen. Die Folge davon war, daß der Mensch aus Furcht vor dem Recht und im Bewußtsein seiner Schuld stumm blieb, bis er vor Angst die Besinnung verlor und halb ohnmächtig wurde. Nun ließ ich sofort, noch auf dem Markte selbst, die Rechnungsbücher in Gegenwart der ganzen Menschenmenge kopieren, wobei zum Abschreiben nur die bestbeleumdeten Männer aus der »Genossenschaft römischer Bürger zu Syrakus« herangezogen wurden; alle Buchstaben und Korrekturen des Originals wurden mit peinlicher Genauigkeit in die Kopie übertragen. (190) Sodann wurde dies alles auf das Sorgfältigste durchgesehen, die Abschrift nochmals mit der Vorlage verglichen und schließlich durch die maßgebenden Persönlichkeiten besiegelt. – Wenn Carpinatius mir damals nicht antworten wollte, so antworte du mir jetzt, Verres, wer wohl deiner Ansicht nach dieser Verrucius sein kann, der beinahe deinen Familiennamen trägt. Es ist schlechterdings unmöglich, daß ein Mann, der nachgewiesenermaßen zur Zeit deiner Statthalterschaft in Sicilien lebte und der nach dem bloßen Ausweis der Rechnungen über ein stattliches Vermögen verfügt haben muß, – daß der in deiner Provinz nicht deine persönliche Bekanntschaft gemacht haben soll. Oder nein, machen wir's doch kurz ab, damit keinem mehr in der Sache etwas unklar bleibe: Tretet vor, ihr Leute, gebet uns die amtliche Beschreibung und Kopie der Rechnungsbücher, auf daß jedermann die verworfene Habgier dieses Menschen da nicht mehr bloß an ihren Spuren, sondern geradezu in ihrem Neste beobachten könne. LXXVIII. (191) Seht ihr da den Verrucius? seht ihr, wie die ersten Buchstaben in Ordnung sind? seht ihr auch den letzten Teil des Namens auf der ausradierten Stelle, wo er dem Verres wie ein Schwanz angehängt ist und nun wie im Schmutze nachschleppt? So sieht das Original aus, meine Herren, so wie diese Kopie. Überzeugt euch mit eigenen Augen! Was erwartet ihr noch, was soll noch weiter kommen? Und du selbst, Verres, wozu sitzest du hier, was soll dir noch bevorstehen? Jetzt bleibt dir nichts als die zwingende Alternative, uns entweder den Verrucius vorzuzeigen oder einzugestehen, daß du selber der Verrucius bist. –

Die berühmten Redner der vorigen Generation So grob der folgende Schlußexkurs gegen Hortensius auch klingt, er ist in seinem Inhalte mehr eine Warnung, ja eine Entschuldigung als ein Angriff. Cicero verfolgt zunächst hier wie so oft das rhetorische Prinzip, dem Gegner die Möglichkeiten des Kampfes vorweg zu nehmen und alle Einwände abzuschneiden; nebenbei will er aber in den Schlußworten die Sachlage so darstellen, als habe Hortensius nicht aus sachlicher Überzeugung, sondern aus persönlicher Verpflichtung die Verteidigung des Verres übernommen. Damit wird der feindliche Advokat zwar eines schweren Fehlers bezichtigt, aber in anderer Hinsicht erhält er doch ein Kompliment; dem Feinde selbst aber, und dies ist der Hauptzweck, wird sein wesentlichster Helfer genommen. , Männer wie Crassus und Antonius, pflegen gepriesen zu werden, weil sie es so schön verstanden die Angeklagten rein zu waschen und erschöpfend gegen alle Vorwürfe zu verteidigen. Ach ja, die Leute hatten eben vor den heutigen Rechtsanwälten nicht nur das Genie, sondern auch die Gunst der Verhältnisse voraus. Damals versündigte sich kein Mensch so schwer, daß nicht die Verteidigung doch an einem Punkte hätte ansetzen können; keiner führte ein solches Dasein, daß nicht wenigstens irgend ein Teil seines Lebens von der widerlichsten Gemeinheit unberührt blieb; kein Mensch ward auf einem offenbaren Verbrechen ertappt, der die Schamlosigkeit seiner Handlungsweise durch die größere Schamlosigkeit des Leugnens hätte überbieten wollen. (192) Dagegen jetzt – was soll Hortensius anfangen? Soll er für die Raubgier des Angeklagten Verzeihung erwirken, etwa durch eine Lobrede auf seine Mäßigung? – Aber sein Schützling ist ja ein Ausbund von skandalöser, ausschweifender Nichtswürdigkeit. – Oder will er eure Gedanken von diesen schändlichen Eigenschaften ablenken und uns etwas von seiner energischen Thätigkeit erzählen? – Aber es giebt keinen zweiten Menschen von solcher Trägheit und Feigheit; kein zweiter ist so wie er ein Mann unter Weibern und eine schmutzige Weibsperson unter Männern. – »Aber er hat so angenehme Umgangsformen!« – Wo war ein Mensch derartig störrisch, unmanierlich und hochmütig? – »Aber damit thut er ja niemand ein Leides an!« – Wo kennt man ähnliche Beispiele von Härte, Hinterlist und Grausamkeit? Was hätten bei einem solchen Menschen und in einem solchen Prozeß alle Crassusse und Antoniusse der Welt machen können? Ich denke, mein lieber Hortensius, sie würden weiter nichts thun als – sich von dem Prozesse fernhalten und sich hüten, bei der Unanständigkeit eines Anderen den Ruf ihres eigenen Anstandes einzubüßen. Denn freien Sinnes und offenen Herzens traten sie an ihre Aufgaben heran, und nimmermehr hätten sie sich dazu hergegeben, eine schamlose Verteidigung erst zu übernehmen, dann aufzugeben und somit für undankbare Ausreißer zu gelten.


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