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In Siena waren zwei Geschlechter, die Vanni und die Strozzi, zwischen denen war seit langem Feindschaft, und es war Gefahr, daß die edlen Familien ganz ausstarben und nur noch Frauen übrig blieben, denn die Blutrache forderte in endloser Kette das Leben der Männer und keiner erreichte sein dreißigstes Jahr oder starb eines natürlichen Todes. Da ging eines Tages eine Mutter aus dem Hause der Strozzi zu der heiligen Catharina und bat sie, ihr Haus und ihre Söhne zu retten.
»Die Knaben und Männer gehorchen Euch, ehrwürdige Mutter«, sagte sie und warf sich vor ihr auf die Knie; »redet Francesco Vanni zu, daß er meine Söhne verschont, er ist der wildeste, unerbittlichste und rachsüchtigste des Geschlechts. Fürsten. Bischöfe und Päpste folgen Eurem Wort. Wenn ein Mensch die Macht hat, hier zu helfen und Frieden zu stiften, so seid Ihr es.«
»Fürsten, Bischöfe und Päpste hören leichter auf das Wort der Klugheit, Vernunft und Gerechtigkeit als leidenschaftliche Jünglinge«, sagte Catharina und lächelte fein. »Aber ich will es versuchen und vielleicht gibt Gott mir Gnade.«
»Wir wollen gern alles Unrecht unsrer Familie sühnen, nur nicht mit Blut, das ist genug geflossen.« Damit ging die gebeugte Mutter getröstet von der Heiligen und wußte ihre Sache in guten Händen.
Nun ließ die heilige Catharina den Francesco Vanni zu sich bitten, und der Jüngling folgte auch sofort dem Rufe. Etwas befangen stand er vor der Ehrfurcht gebietenden Gestalt der Jungfrau, die eine geborene Herrscherin war. Er beugte die starren Knie vor ihrer Hoheit und erwartete dann gesenkten Hauptes, vor ihr stehend, ihre Anrede.
»Blick mich an, Francesco Vanni sagte sie freundlich. Und der junge Ritter hob die trotzigen dunkeln Augen. Sein Gesicht war nicht unedel gebildet, die kühn vorspringende Nase zeigte Wagemut, das starke Kinn Willenskraft, die vollen roten Lippen heißen Lebensdurst. Nur in den Augen lag eine flackernde Unruhe.
»Eine Mutter aus dem Hause der Strozzi ist bei mir gewesen«, begann die Heilige, »um mich zu bitten, daß ich Fürsprache einlege bei Euch für das Leben ihrer Söhne …«
»Sie hat Euch vergeblich bemüht, ehrwürdige Mutter«, fiel Vanni ihr in die Rede. »Ich würde ausspeien vor mir, und meine gemordeten Brüder und Ahnen alle auch, wenn ich die Taten der Strozzi ungerächt ließe.«
»Für was heischst du Rache, mein Kind?« fragte die Jungfrau ruhig.
»Um vier Dinge: sie sind alle noch ungerächt, und kein Gott und keine Heilige werden mich abhalten, meiner Ehre genug zu tun.«
»Nenne mir die vier Dinge.«
»Das will ich. Ich hatte ein edles Pferd, das mir lieb und teuer war wie ein Freund. Es hatte mich in die Schlacht getragen, es hatte mein Leben von dem Feind gerettet, es fraß das Brot aus meiner Hand und litt keinen auf seinem Rücken als mich. Eines Tages ritt ich an dem Hause der Strozzi vorüber, da warf ein junger Knabe aus dem Fenster einen scharfen Stein nach mir. Er traf das Tier am Auge und verletzte es so schwer, daß es starb. Nun soll einer aus diesem teuflischen Geschlecht sein Auge dafür lassen zur Strafe. Auge um Auge, Zahn um Zahn.«
»Ein Mensch für ein Tier?« fragte die Jungfrau.
»Ja, ein Tier, das mir freund war, gegen einen Menschen, der mir feind ist.«
»Weiter«, erwiderte Catharina, »sage mir deine zweite Feindschaft.«
»Ich hatte einen Knecht, der mir treu ergeben war. Er kam aus edlem französischen Geschlecht und trug mir die Lanze in der Schlacht. Er war mir lieb, obgleich er unfrei war und sein Leben in meiner Hand stand. Ihn haben die Strozzi verführt mit großen Versprechungen, kostbarem Gewand, und er ward mir untreu und dient nun meinem Feinde.«
»Und was forderst du zur Sühne?«
»Das Leben des Verführers und des Verführten.«
»Du bist ein harter Richter, Francesco Vanni«, sagte Catharina traurig. »Aber sprich weiter.«
»Bei meiner dritten Feindschaft handelt es sich um ein Landgut in den Bergen, wo ich im heißen Sommer wohnte, und wo meine Mutter besonders gern weilte. Die Strozzi haben einen Prozeß darum geführt und vor dem Richter mit meineidigem Zeugnis das Gut an sich gebracht.«
»Und was wirst du tun?«
»Ich werde in einer Sommernacht hinausreiten, den Wächter niederstechen und das Haus anzünden. Und ob Menschen darinnen ersticken und die Kinder der Feinde darin umkommen, soll mich nicht kümmern.«
»Deine vierte Feindschaft?« Catharinas Angesicht hatte einen gequälten Ausdruck.
Francesco erblaßte in grimmiger Wut, als er dieser vierten Feindschaft gedachte, und er konnte erst nicht sprechen. Aber die Heilige blickte ihn fragend an. »Ich hatte ein unschuldiges Mädchen lieb«, stieß er kurz hervor, »und gewann ihre Gegenliebe, sie ward mein. Ein Mann aus dem Hause Strozzi entführte sie, als sie lustwandelnd am Abend zwischen den Gärten ging. Geschändet kehrte sie zu mir zurück.« Er konnte nicht weiter reden, sondern deckte die Hand über die Augen. Auch Catharina war erblaßt und schwieg.
Endlich raffte sich Francesco auf; er richtete die leidenschaftlichen Augen, in denen schmerzliche Zornesflammen loderten auf die Heilige und schrie: »Mit diesem Schänder will ich Brust an Brust kämpfen, Auge in Auge; meine Hände sollen seine Kehle würgen, sein Stöhnen wird meinem Ohr Musik sein, sein Blut will ich trinken zu köstlicher Labe, und du, Jungfrau, wirst mich nicht hindern diesen zu treffen.«
Catharina erbebte und kehrte sich ab, der Wand zu, wo in einer Mauernische ein Kruzifix befestigt war. In stillem Gebet verharrte sie so, indes der Ritter stumm dabei stand und sich nicht rührte. Nach einer Meile drehte sie sich wieder zu ihm und Vanni wunderte sich, wie ihr Gesicht so anders aussah, so zusammengerafft und so lichtvoll.
»Setze dich zu mir, Francesco Vanni«, sagte sie leicht und deutete auf den Lehnstuhl, »ich habe dir eine Geschichte zu erzählen.«
Verwundert gehorchte der Ritter. Er stützte seine Hände auf sein Schwert und legte die Stirne darauf; so lauschte er der Erzählung der Heiligen und verlor kein Wort davon. Und sie begann mit ihrer lieblichen Frauenstimme:
»Ein sienesischer Ritter war gestorben und begehrte Einlaß in den Himmel, indem er ungeduldig mit dem Schwert an das goldne Tor pochte. Man öffnete ihm und führte ihn vor Gott, daß er das Urteil über ihn spreche. Er ging erhobenen Hauptes seinem Führer nach und ließ sich auch nicht einschüchtern durch all den Glanz der Heiligen, die den Herrn umgaben. Als er vor Gott stand, beugte er ein wenig das Knie, nicht allzusehr, und wiederholte sein Begehren.
Der Herr sah ihn an und blickte dann über ihn hinweg zu seinen Dienern, den Engeln, die wie weiße Säulen mit gefalteten Fittigen an der Pforte standen und strenge auf den Eindringling sahen.
»Wer hat eine Klage gegen diesen?« fragte der Herr, »die ihn ausschlösse von meinem Angesicht?«
»Einem wunden Ritter, der am Weg lag, hat er das Roß genommen, es zu dem seinen gemacht und den Verwundeten, der nicht sein Feind war, hilflos liegen lassen«, sagte der Engel mit dem Schwert.
»Einen jungen Knaben edler Geburt hat er trotz seines Flehens im Krieg geraubt und zu seinem Knecht gemacht«, sagte der Engel, der eine Feuerflamme in Händen hielt.
»Ein Landgut hat er im Würfelspiel an sich gebracht und den Besitzer heimatlos und landflüchtig gemacht«, sagte der Engel mit der Leuchte in den Händen.
Der Ritter blickte trotzig nach dem Verkläger. »Es war ehrlich Spiel«, verteidigte er sich.
»Er hat ein unschuldig Mägdlein zur Liebe verführt, ihr die Ehe geraubt und sie dann nicht zu seinem Weibe gemacht«, sagte der Engel, der einen goldnen Kelch in den Händen hielt.
Und dann klagten alle vier und ihre Stimmen hallten mächtig wie zorniger Donner durch den Himmel. »Sich hat er alles vergeben, aber niemals hat er einem Feind verziehen.«
»Wes ist er schuldig?« fragte der Herr.
»Der ewigen Verdammnis, da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht.«
Der Ritter senkte sein Haupt und wurde sehr blaß. Er wartete, daß die vier Engel ihn hinausstoßen würden, denn in seinem Herzen mußte er ihnen recht geben. Da hörte er eine klare Menschenstimme, die bisher noch nicht gesprochen hatte.
»Vergib ihm, mein Vater, daß er danach möge Buße tun.«
»Erst kommt die Buße, mein Sohn, danach die Vergebung«, antwortete ernst die Stimme des Herrn.
»Wem viel vergeben ist, der liebt viel! Vergib dem Ritter, so wird er Buße tun und ein Liebender werden.«
Und Gott hörte auf die Stimme seines Sohnes und vergab ihm. Was aber der Ritter dann tat, das sollst du, Francesco Vanni, mir sagen.«
Der Sienese schrak empor und blickte unsicher auf. Da begegneten ihm die Augen der Heiligen mit zwingender Gewalt, und er vermeinte eine Stimme zu hören, die sprach: »Du bist der Mann.«
Da litt es ihn nicht länger auf seinem prächtigen Armsessel, er glitt herunter und fiel der Heiligen zu Füßen. »Liebe Jungfrau«, sagte er, »Ihr gebt Euch solche Mühe um mich bösen Menschen: Euch zu Liebe will ich eine meiner Feindschaften aufgeben und dem Übeltäter verzeihen. Der mir das Pferd tötete, soll frei ausgehen.«
»Gott zu Liebe, nicht mir zu Liebe«, wehrte Catharina. »Gott nimmt dein Opfer an, Francesco, aber du sollst ihm die tiefste Feindschaft opfern. Wer wagt es, Gott etwas Kleines zum Opfer anzubieten? Dem Höchsten allemal das beste.«
»Ich kann nicht, liebe Jungfrau«, stöhnte der Ritter.
Da legte sie ihm leise die Hand auf den Kopf und sprach: »Wem viel vergeben wurde, der liebt viel.«
Der Knieende senkte das Haupt noch tiefer, dann sagte er schluchzend, und die Worte blieben ihm zwischen den Zähnen stecken: »Ihr seid mir zu mächtig, Catharina, Euer Wille geschehe. Der Schänder meiner Geliebten sei frei.«
»Ich danke dir, Francesco«, sagte Catharina und erhob sich. »Du aber fühle die süße Lust der göttlichen Gnade.«
Als sie aber das gesagt hatte, da strömte solch ein übermächtiges Wonnegefühl in des Ritters Herz, daß er sich nicht rühren konnte und wie erstarrt in seiner Stellung verharrte. Er war wie entrückt von dieser Erde und fühlte die Lust des Himmels und der göttlichen Liebe so gewaltig sein Inneres erfüllen, daß ihm das Herz zu zerspringen drohte.
»Ach«, rief er, »heilige Mutter, ist das so? Was kann ich Gott geben für solche Liebe und solche unverdiente Gnade?«
Die Jungfrau lächelte ihn selig an und streckte ihm die Hände hin. Da legte er die seinen hinein und sagte: »In diese Hände lege ich alle meine Feindschaften. Nun Gott mich die Lust des Verzeihens gelehrt und die Wonne seiner Liebe mir geschenkt hat, kann ich keinen Feind mehr haben. Alle vier Feindschaften opfere ich ihm.«
»Noch eins bleibt dir zu tun, Francesco Vanni.«
»Ja, noch eins.« Er errötete, was wunderlich zu dem kriegerischen Gesichte paßte. »Die vier Feindschaften habe ich Gott geschenkt, auch für Euch, liebe Jungfrau, habe ich eine Gabe, die Ihr als Weib wohl schätzen werdet. Noch heute wird die, die mir bis jetzt Geliebte war, mein ehelich Weib, denn, wem Gott Gnade gibt, der kann kein Anrecht mehr tun.«
»Wissen Sie, was ich vorhin bei Catharinas Liebe gedacht habe?« sagte Eva, »und was mir diese Erzählung bestätigt? Im Grunde ist jede große Liebe Liebe zu Gott. Was wir am heißesten am andern lieben, ist es nicht der Abglanz Gottes, seine Verkörperung im Du?«
»Und man könnte es auch umdrehen«, ergänzte der Priester. »Jede große Liebe zu Gott wird sich in Liebe zu den Menschen äußern.«
»Sünder der Liebe fanden immer leichter den Weg zu Gott als andere Sünder«, sagte die Mutter.
»Ja, denken Sie an den heiligen Augustin, Franziskus, Magdalena«, bestätigte der Priester.
»Und warum verfahrt ihr trotzdem mit ihnen am härtesten?« brach der Graf plötzlich sein Schweigen. »Warum behandelt ihr sie wie Aussätzige, und wenn ihr von Sünde sprecht, denkt ihr immer nur an die eine?«
Man fand keine Antwort und sah sich etwas beschämt an.
»Vielleicht, weil wir uns alle hier mitschuldig fühlen«, gab endlich der Psychiater zu.
»Um so schlimmer! Also nicht nur Pharisäer, sondern auch Heuchler«, sagte der Graf schroff, und um seine Erregung zu verbergen, begann er wieder seine Nägel zu polieren.
»Hier liegt eine große Schuld des Christentums und der Kirche«, sagte der Student bitter; »aber lassen wir es, ein unerquickliches Thema, und ich werde zornig davon.«
»Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen, die auch von diesem Problem handelt«, sagte Gabriele sanft. »Ich nenne sie: