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Großmutter Gontrau verbrachte eine schlaflose Nacht, und als sie andern Tages am Frühstückstisch erschien, sah sie so angegriffen aus, daß es allen auffiel. Auf die Frage, was ihr fehle, erwiderte sie, daß sie nur ein wenig Kopfweh habe; sie sehne sich nach frischer Luft und wolle einen kleinen Spaziergang machen. Ruth erbot sich, die Mutter zu begleiten, doch Ilse wünschte allein zu gehen, dann brauche sie nicht zu reden. Irma und Flora sollten den Morgen benützen, um ihre Toiletten für das große Ereignis, die Hochzeit, in Ordnung zu bringen, auch die andern hätten gewiß noch manches zu besorgen, und sie wolle niemand stören.

Großmutter Ilse ging nicht weit. Das Gartentor von Müllers Villa stand offen, und in der Laube saßen Maud und John.

»Was, liebe Großmama, du hast dich so früh schon aufgemacht?«

»Ja, liebes Bräutchen, ich hatte ein paar Besorgungen zu machen und wollte mich hier ein Weilchen ausruhen. Du brauchst Mama nicht zu rufen, ich weiß, wieviel sie zu tun hat. Wo sind die jungen Leute?«

»Ludwig und Agnes sind spazieren gegangen. Natürlich, wenn die mal auskneifen können, tun sie's mehr wie gern. Hans war eben hier, jetzt ist er mit Papa hinten im Garten.«

»So will ich ihn aufsuchen, ich muß ihm etwas sagen. Nein, liebes Kind, nicht neugierig sein. Du weißt, in den Hochzeitstagen hat die Familie eine Menge Geheimnisse, von denen das Brautpaar nichts wissen darf.«

»O, ich bin nicht neugierig,« erwiderte Maud und setzte sich ruhig wieder neben John, der ihr aus einer englischen Zeitung vorlas, während sie mit einer Handarbeit beschäftigt war.

Hans kam gerade um die Ecke und zeigte sich sehr erfreut, Ilse zu sehen.

»Schon so früh hier, gnädige Frau? Ich will Frau Müller rufen.«

»Nein,« versetzte die alte Dame, »das ist nicht nötig. Eigentlich kam ich zu Ihnen, Reicher, denn ich erwartete Sie hier zu finden.«

»Zu mir, gnädige Frau? Kann ich etwas für Sie tun?«

»Ja,« sagte Ilse. »Wollen Sie mich nach Hause begleiten?«

»Sehr gern. Ich stehe ganz zu Ihren Diensten.«

Sie verließen zusammen die Villa und plauderten einige Augenblicke über gleichgültige Dinge. Dann schlug Großmutter Gontrau einen Seitenweg ein, der durch einen kleinen Park nach ihrer Wohnung führte. Hier war es sehr still. Hans, der noch immer nicht wußte, was sie mit ihm zu besprechen hatte, schaute sie verwundert von der Seite an.

»Darf ich Ihnen eine unbescheidene Frage vorlegen, Reicher?«

Hans nickte ein wenig beklommen, er wußte selbst nicht warum.

»Lieben Sie meine Enkelin Irma?«

»Ja, gnädige Frau,« sagte er schlicht, aber das genügte. Der ernste Ausdruck seiner grauen Augen, der tiefe, volle Klang seiner Stimme machten alle weiteren Beteuerungen überflüssig.

Ilse reichte ihm die Hand.

»Das freut mich,« erwiderte sie, »ich glaube nicht, daß es auf der ganzen weiten Welt einen Mann gibt, dem ich sie lieber anvertrauen würde.«

»O, wie innig danke ich Ihnen, gnädige Frau,« stammelte Hans entzückt.

»Und doch muß ich Ihnen abraten, ihr jetzt schon die große Frage zu stellen. Warten Sie noch.«

»Weshalb raten Sie mir das, gnädige Frau?«

»Irma ist noch so jung …« entgegnete Ilse zögernd, »so unbesonnen.«

»Ach, gnädige Frau, wenn das der einzige Grund ist, dann glaube ich, daß eine Liebe wie die meine, so warm, so treu und gut gemeint, sie reifer machen wird.«

»Es gibt noch einen andern Grund.«

»Und wenn es hundert gäbe, Frau Gontrau,« rief Hans ungeduldig, weil die alte Dame nur in halben Andeutungen sprach, »ich kann nicht warten; gestern habe ich Irma gegenüber bereits angedeutet, daß ich heute diese wichtige Frage stellen werde. Warum sind Sie dagegen?«

»Weil Irma Sie zur Zeit noch nicht liebt, und wenn sie Ihren Antrag annimmt, es aus Trotz tut, aus gekränkter Eitelkeit, weil ein anderer mit ihr sein Spiel getrieben hat.«

Hans Reicher wurde totenbleich und schaute Ilse Gontrau entsetzt an. Über sein offenes, ehrliches Antlitz legte sich ein Ausdruck so tiefen Kummers, daß sie fühlte, wie ihre Augen feucht wurden. Ganz in der Nähe stand eine Bank unter einem Platanenbaum, der sie den Blicken Vorübergehender entzog. Sie nahm seine Hand und zwang ihn, sich neben sie zu setzen.

Dann erzählte sie ihm alles.

Er hörte ihr zu, gesenkten Hauptes und mit fest zusammengepreßten Lippen. Ilse hatte wohl einen Ausruf der Entrüstung, des Schmerzes erwartet, aber er schwieg.

»Reicher,« begann sie endlich wieder, »Sie müssen doch einsehen, daß ich Ihnen das alles gesagt habe, weil es meine Pflicht ist, weil ich nicht anders konnte. Ich habe Irma gewarnt, doch sie hat nicht hören wollen. Möglich, daß ich zu schwach gegen sie war, aber ich habe sie so über alle Maßen lieb! Jetzt muß ich sie gegen ihr eigenes Ich zu schützen suchen. Sie braucht eine harte Lehre. Ist Ihre Liebe groß genug, um ihr diese zu erteilen?«

»Ja, gnädige Frau.«

»Für den Augenblick ist sie entschlossen. Ihnen ihr Jawort zu geben. Ist Ihre Liebe stark genug, um dasselbe jetzt nicht anzunehmen und sie zu hindern, daß sie etwas tut, was schlecht und ihrer nicht würdig ist?«

»Ja, gnädige Frau.«

Bewundernd drückte Ilse ihm die Hand.

»Ich wußte wohl, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe. Alles, was wir gesprochen haben, bleibt ein Geheimnis zwischen uns beiden. Es wird eine Zeit kommen, in der Irma ihr Unrecht einsieht.«

»Das glaube ich nicht, gnädige Frau, wage auch nicht, darauf zu hoffen. Ich werde Irma ewig lieben, weil ich nicht anders kann, weil ich gleich beim ersten Mal, als ich sie sah, fühlte, diese oder keine. Aber liebe ich sie auch noch so unendlich, mit mir spielen lasse ich nicht.«

Großmutter Gontrau zog sich, so bald sie wieder nach Hause gekommen war, ungesehen auf ihr Zimmer zurück. –

Zum Abend hatte Onkel Heinz die ganze Familie zu sich eingeladen; er wollte doch auch das Brautpaar durch eine Festlichkeit ehren. Schon seit Tagen hatte er mit Hansens Hilfe seine Zimmer ausgeräumt und die Leute, bei denen er wohnte, in Wut versetzt, weil er das ganze Haus von unterst zu oberst kehrte. In seinem Studierzimmer stand die große Tafel zum Abendessen gedeckt. Solche Unmengen hatte er von allem bestellt, daß seine Hauswirtin seufzend erklärte, es würde hinreichen, ein ganzes Regiment zu bewirten. Aber der alte Herr hatte sich nicht raten lassen.

Kalter Lendenbraten, zierlich geschnitten, mit Sülze belegt und von Petersilie eingefaßt, war zwischen Schüsseln mit Hühnern und Koteletts aufgestellt, die Beinchen und Knochen sauber in Papiermanschetten gesteckt; der polnische Salat wetteiferte in kunstreicher Anordnung und Farbenpracht mit den schönen gelben und rosa Torten. Knall-Bonbons in vergoldeten Hülsen, Schalen mit eingemachten Früchten, Puddings und Cremes spiegelten sich wieder im Grün und Goldgelb der Rheinwein- und Champagnergläser. Das Allerschönste und Kunstvollste aber war das Mittelstück, ein hoher, aus Mandelteig gebackener, von einer sinnbildlichen Darstellung aus Zucker gekrönter Tempel.

Am Kamin stand, wie Soldaten in Reih und Glied, eine Batterie Flaschen, allerhand feine Marken. Die Sektflaschen mit ihren goldenen und silbernen Hälsen stellten die Offiziere inmitten der Gemeinen vor. Onkel Heinz' Schlafstube, der größte Raum der ganzen Wohnung, war in einen Tanzsaal verwandelt; alle Möbel waren entfernt und der Himmel weiß in welche Ecken und Winkel des Hauses gestopft worden. Er und Hans hatten schon die Nacht vorher in der guten Stube der Wirtsleute geschlafen. Um den Tanzsaal würdig auszustatten, hatte er Bänke und Diwans gemietet und längs den Wänden aufgestellt. Auch ein Klavier war herbeigeschafft worden, und da keiner der Gäste sich mit dem Ableiern der Tanzmusik abmühen sollte, erschien ein dünnes Menschlein, das für fünfzehn Mark den ganzen Abend aufspielen und schon während des Soupers etwas zum Besten geben sollte. Doch bevor sich dieser Künstler ans Klavier setzte, hatte der Professor ihn so mit allerhand guten Dingen vollgestopft und ihm so viel Burgunder zu trinken gegeben, daß es sehr fraglich war, ob er seine Aufgabe zur Zufriedenheit lösen würde.

Das Wohnzimmer diente zum Empfang der Gäste. Riesige Blumengruppen standen in den Ecken, die Türe war ausgehoben und an ihrer Stelle eine Art Ehrenpforte entstanden, unter der Maud und John durchgehen mußten. Aber als das Brautpaar mit seinem Gefolge eingetreten war, als der unglückliche Jüngling am Piano den Hochzeitsmarsch in rasendem Tempo abgespielt hatte, und jeder seiner Bewunderung und Freude über diesen festlichen Empfang Ausdruck gab, blieb es doch nicht ganz verborgen, daß es an der guten Laune des Gastgebers haperte, so sehr er sich auch bemühte, es nicht durchblicken zu lassen. Endlich gestand er, daß er wütend sei, weil Hans an diesem Nachmittag einen dringenden Brief von Hause erhalten habe, der seine schleunige Heimkehr nötig machte; schon am folgenden Tage müsse er abreisen. Ausrufe des Bedauerns, der Verwunderung und Neugier folgten. Blieb Hans denn nicht wenigstens bis zur Hochzeit? War seine Anwesenheit daheim so dringend erforderlich, daß er sie nicht um ein paar Tage verschieben konnte? Was mochte vorgefallen sein?

Freundlich, aber mit großer Entschiedenheit erklärte Reicher, daß sein Entschluß unwiderruflich feststehe; er könne nicht genau auseinandersetzen, warum seine Abreise so dringend nötig sei, denn es wäre kein Thema, das er auf einem Feste erörtern möchte. Die Freude und das Vergnügen dürfe dadurch in keiner Weise gestört werden. Alle schauten einander erstaunt an, wagten aber nicht weiter zu fragen; das Klügste, das fühlte jeder heraus, war, den Gegenstand fallen zu lassen. So taten denn alle ihr Bestes, die Störung vergessen zu machen, und bald ließ die Stimmung, was Fröhlichkeit und Ausgelassenheit betraf, nichts zu wünschen übrig.

Onkel Heinz jedoch konnte es noch immer nicht verwinden, und als das Fest in vollem Gange war, winkte er Irma, führte sie in ein abgelegenes Winkelchen und fragte ohne jede Einleitung ziemlich schroff:

»Nun sollst du mir mal ehrlich beichten, kleine Kröte, welchen Anteil du an Hans' plötzlicher Abreise hast?«

Irma war über diese Neuigkeit ebenso erstaunt gewesen wie die andern und hatte geglaubt, Hans würde zu ihr kommen und ihr sein bitteres Leid klagen, daß seine Pflicht ihn plötzlich abriefe. Nichts von alledem! Es schien, als vermeide der junge Mann, auch nur einen Augenblick mit ihr allein zu sein und vertraulich mit ihr zu reden.

Als sie wie alle andern ihrem Bedauern, daß er fort müsse, Ausdruck gab, hatte er sie einen Moment flüchtig angeschaut und dann lächelnd versichert, solches Interesse sei zu viel Ehre für ihn. Während des ganzen Abends fand sie bei ihm die kühle Höflichkeit und Gleichgültigkeit wieder, die er ihr auf Floras und Gustavs Hochzeitsfest erwiesen hatte, und nichts von der großen Liebe, den ehrerbietigen und doch so auffallenden Huldigungen der letzten Tage. Zuerst war Irma sehr erstaunt – Hans zeigte sich so heiter, so gut aufgelegt, so ruhig und absolut nicht reizbar oder erregt, daß sie diese plötzliche Umwandlung nicht begriff – dann wurde sie wütend. Was bildete er sich denn ein? Wagte auch er es, mit ihr zu spielen? Sie wollte ihn haben, um sich an Hochstein zu rächen; vereitelte er diesen Plan, so sollte er dafür büßen. Sie hätte vor Zorn weinen mögen und durfte sich doch nichts merken lassen, sondern mußte tun, als unterhielte sie sich herrlich. Sie hatte über den einfältigen Hans die Achseln gezuckt, der sich so rasch wieder einfangen ließ, der aufs neue ihr gehorsamer Sklave war, als sie ihn durch ihr gefallsüchtiges Betragen anlockte. Jetzt hätte sie ihn so gern ausgelacht, sich über ihn lustig gemacht, ihn zur Zielscheibe ihres Spottes gewählt, aber sie konnte nicht; es lag etwas in seiner Haltung, seinem Benehmen, was sie hinderte. Suchte sie ihn dennoch aufzuziehen, so ging niemand darauf ein – sie machte sich nur selbst lächerlich und hatte die größte Mühe, ihren Ärger zu unterdrücken.

Kein Wunder, daß sie nun auf Onkel Heinz' Frage auch heftig und böse antwortete:

»Ich habe nichts zu beichten. Ob Hans fortgeht oder bleibt, ist mir vollständig einerlei.«

»Ich glaubte doch …« nahm der Professor wieder das Wort, Irma aber, gereizt durch alle Vorfälle der letzten Zeit, fiel ihm mit der ganzen Frechheit eines verzogenen Kindes in die Rede:

»Du brauchst nichts zu glauben, Onkel Heinz. Zwischen dem Bauern und mir gibt's nichts. Ich will gar nichts mit ihm zu schaffen haben.«

Onkel Heinz wurde nicht böse.

»Dann ist's ja gut,« sagte er ruhig, »denk' nur an das Märchen vom Schweinehirten, Kind.«

Tränen der Entrüstung und Wut in den Augen, wandte Irma sich ab. –

Das Fest war zu Ende, und die Wagen fuhren vor. Beim Abschiednehmen kam Flora von Holten auf den Einfall, daß es himmlisch sein müsse, nach Hause zu gehen. Es war Vollmond und die Luft so lind, daß es als wahre Erquickung erschien, nach der Hitze und dem Trubel des Festmahls eine Viertelstunde in der erfrischenden Nachtluft zu verbringen. Der Vorschlag der jungen Frau fand allgemeinen Beifall bei der Jugend. Der Weg führte durch den Park, der die Stadt mit dem Villenviertel, wo Onkel Heinz wohnte, verband, und bot daher für die Goldleder- und Lackschuhe der jungen Damen keine Schwierigkeit. Ilse und die älteren Herrschaften schüttelten über diesen tollen Einfall die Köpfe, aber unter lautem Jubel wurden sie in die Wagen befördert, und das junge Volk machte sich zu Fuß auf den Weg.

Ein schmucker Leutnant, ein Freund Ludwigs, wollte Irma gerade den Arm bieten, als Hans ihm zuvorkam mit den Worten:

»Ich darf Sie wohl nach Hause bringen, Irma.«

Der Ton seiner Stimme glich mehr einem Befehl als einer Bitte. Schon wollte Irma herausfordernd den Kopf in den Nacken werfen, und ohne etwas zu erwidern, den Arm des jungen Offiziers nehmen, als Hans sie ernst und streng anschaute. Ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, fühlte sie unwillkürlich seine Überlegenheit. Sie zürnte sich selbst, daß sie gehorchte, und nahm widerstrebend die Begleitung von Hans an.

Einige Minuten schritten sie schweigend neben einander her. Irma mit vor Erwartung und ein wenig auch vor Schuldbewußtsein klopfendem Herzen, denn sie fühlte heraus, daß nun die Erklärung für sein sonderbares Benehmen kommen werde; Hans mit dem Antrieb kämpfend, sie in seine Arme zu nehmen und ihr liebe zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern. Denn sie sah im Mondenschein, mit einem seidenen Shawl um das goldgelockte Köpfchen, so entzückend aus, daß es ihm schwer wurde, ihr die harten, strengen Worte zu sagen, die er sich vorgenommen hatte. Doch der Gedanke, daß er, wenn er jetzt seinem Gefühl nachgäbe, sein ganzes künftiges Glück aufs Spiel setzen würde, stählte ihn. Er überwand alle Weichheit und begann:

»Irma, erinnern Sie sich noch, um was ich Sie bat, als ich das letzte Mal Abschied von Ihnen nahm?«

»Nein,« versetzte sie, das Köpfchen abwendend.

»Ich sagte, ich wolle mich darein ergeben, daß Sie mich nicht zu lieben vermöchten, und bat Sie, eingedenk zu sein, daß Sie an mir einen treuen Freund hätten, der alles opfern würde, um Sie glücklich zu machen.«

»Und was soll das nun?«

»Ich habe Ihnen also meine Liebe nicht aufgedrängt und als einziges Recht von Ihnen gefordert, daß Sie mich als Freund betrachten.«

»Aber ich weiß nicht …« stammelte Irma, die nicht begriff, wohin er zielte und der gar nicht behaglich zu Mute war.

»Als ich jetzt wieder herkam, hatte ich nicht die geringste Hoffnung, daß Ihre Gefühle für mich eine Wandlung erfahren hätten. Meine Liebe zu Ihnen war unverändert geblieben, aber ich hatte gelernt, das Unvermeidliche mit Fassung zu tragen. Haben Sie nun wirklich angenommen, ich würde mich dazu gebrauchen lassen, der Welt zu zeigen, daß Sie um einen Mann nicht in Verlegenheit wären, nachdem der Baron von Hochstein Ihnen bewiesen hatte, daß er es mit Ihnen nicht ehrlich meinte?«

»Hans!« rief Irma totenbleich und entrüstet. »Wie dürfen Sie sich herausnehmen, darauf anzuspielen? Wer hat Ihnen das erzählt?«

»Das gehört nicht zur Sache; hätte ich es jetzt nicht erfahren, so würde das später geschehen sein, und ich danke dem Himmel, daß ich noch zur rechten Zeit gewarnt wurde. Hören Sie, Irma. Sie haben mich schmachvoll behandelt, ich glaubte Ihnen, glaubte, daß Sie mich wirklich gern hätten, und Sie können es nicht begreifen, wie glücklich mich das machte. Jetzt weiß ich, daß Sie mich zum Narren hielten, daß Sie Komödie spielten und mit der großen, echten, ehrlichen Liebe eines Mannes Spott trieben. Wenn das alles ist, was Ihre eigene Liebe und die bittere Enttäuschung Sie gelehrt hat, dann kann ich nicht glauben, daß Sie sich je etwas aus diesem Hochstein gemacht haben.«

Irma schluchzte, und Hans bedurfte seiner ganzen Selbstbeherrschung, um gleich streng fortzufahren.

»Hätte ich Sie heute gebeten, meine Frau zu werden, so würden Sie ja gesagt und damit etwas Gemeines getan haben, denn es ist gemein von einem Mädchen, einen Mann zu heiraten, den es absolut nicht liebt, und nicht wahr, Sie lieben mich ganz und gar nicht?«

Er ergriff ihre Hand mit Gewalt und zwang sie, ihn anzusehen. Der Mond schien so hell, als ob es Tag wäre. Stolz aufgerichtet stand Hans da, nicht wie ein Bittender, nicht wie ihr Anbeter, sondern wie ihr Richter. Auf seinem klugen, energischen Antlitz, das sie stets für häßlich gehalten hatte, las sie plötzlich tiefen Ernst und männlichen Stolz. Was sie trotz aller Verliebtheit für Hochstein nie gefühlt hatte, Achtung vor seinem Charakter und die Erkenntnis seiner Überlegenheit, das empfand sie in diesem Augenblick für Hans. Sie schaute ihn unverwandt an, gab aber keine Antwort.

»Nicht wahr?« wiederholte Reicher, »Sie machen sich nichts aus mir?«

Gewaltsam entriß sie sich dem Eindruck seiner Rede. Es ging doch nicht, einem Manne, der es wagte, ihr so den Text zu lesen, der so gegen sie auftrat, etwas anderes als nein zu sagen. Ihre Eitelkeit kam ihr zu Hilfe. Sie entzog ihm heftig ihre Hand.

»Nein,« versetzte sie, »ganz und gar nichts.«

»Das wußte ich,« fuhr er traurig fort, »und damit fällen Sie Ihr eigenes Urteil. Wie ich schon sagte, Irma, ich hatte mich darein ergeben, daß Sie nie die Meine werden könnten. Ich bin nicht gewöhnt zu betteln, und werde auch nie um die Liebe eines Weibes flehen. Aber Sie haben mir unsagbar großen Kummer bereitet, und wenn Sie an Ihr eigenes Leid denken, werden Sie das vielleicht verstehen. Wenn Sie mit dem elenden Baron oder mit einem andern verlobt wären, würde ich das besser ertragen haben, als die Erkenntnis, daß Sie eine ganz oberflächliche Kokette sind, die sich und mich, nur um Ihrer nichtswürdigen Eitelkeit willen, unglücklich machen wollte.«

»Sind Sie noch nicht zu Ende?« rief das Mädchen, vor Zorn und Scham bebend. »In jedem Falle lasse ich mich nicht länger von Ihnen beleidigen.«

»Noch nicht,« entgegnete Hans und hielt sie mit eisernem Griff fest, als sie sich entfernen wollte. »Ich habe noch etwas zu sagen. In gewisser Hinsicht bin ich ein sehr dummer Kerl, denn trotz alledem liebe ich Sie, noch immer, Irma, und werde Sie ewig lieben; dies Gefühl kann ich nicht mit der Wurzel ausreißen, es ist stärker als mein Verstand, aber nicht stärker als mein Wille. Wenn Sie mich jetzt auch auf den Knieen anflehten, Sie zum Weibe zu nehmen, ich würde es nicht tun. Nur wenn Sie je zu der Einsicht gelangen sollten, wie tief Sie mich gekränkt haben; wenn Sie aus eigenem Antrieb zu mir kämen, um mir zu sagen, daß Sie mich über alles lieben und sich kein Glück ohne mich denken können, wäre ich im stande, zu vergessen und zu vergeben, und würde Ihnen die Hand fürs Leben reichen.«

»Da können Sie lange warten!« rief das junge Mädchen außer sich vor Zorn. »Lieber sterben!«

»Da sei Gott vor!« nahm Hans ernst das Wort. »Und nun sind Sie gleich zu Hause, Irma, leben Sie wohl. Wir beide haben uns für den Augenblick nichts mehr zu sagen.«

Sie beschleunigten ihre Schritte, um die andern einzuholen. Vor Ilses Wohnung wurde Abschied genommen. Hans reichte Irma die Land; wider Willen blickte sie ihn noch einmal an, ein tief schmerzlicher Ausdruck lag in seinen Augen, aber die kalten Finger, welche die ihren nur leicht berührten, bebten nicht.

Ohne mit irgend jemand ein Wort zu wechseln, eilte Irma auf ihr Zimmer und warf die Tür heftig ins Schloß. Bald darauf klopfte es.

»Wer ist da?« rief das Mädchen unwillig. »Ich bin müde und mag mit niemand mehr sprechen.«

»Ich bin es, Kind,« erklang die Stimme der Großmutter. »Was bedeutet es, daß du dich einschließt? Laß mich herein.«

Irma gehorchte. Mit einem blassen Gesichtchen, aus dem die sonst so sanften, kindlichen Augen unnatürlich groß heraus starrten, stand sie vor der alten Dame, die sie ernst und doch freundlich anschaute. Irma war, als ob sie den Blick nicht ertragen könnte.

»Großmutter,« sagte sie gepreßt, »hast du Hans erzählt, was zwischen mir und Otto von Hochstein vorgefallen ist?«

»Ja, Irma.«

»Wie konntest du?« rief das Mädchen, alle Ehrerbietung und den Altersunterschied vergessend. »Wer gab dir das Recht dazu?«

»Meine große Liebe für dich, mein Kind.«

Irma lachte grell auf und warf den Kopf in den Nacken.

»Ja, meine Liebe zu dir,« wiederholte Ilse sanft, denn wie bitter weh es ihr auch tat, daß die Enkelin so lieblos gegen sie aufzutreten wagte, böse wollte sie mit ihr nicht sein. »Ich habe dich viel zu lieb, um ruhig mit ansehen zu können, daß du etwas tust, was du dein Leben lang bereuen würdest. Ich habe dich gegen dein eigenes Selbst in Schutz genommen – das konnte kein anderer tun.«

»Es war schändlich,« brach Irma los, »du hast mein Vertrauen mißbraucht, und dazu hattest du kein Recht.«

»Und du durftest einen Mann nicht betrügen, der dir nie im Leben etwas zu leide getan hat; du hättest ihn und dich selbst unglücklich gemacht.«

»Wer sagt dir, daß er unglücklich geworden wäre, wenn er nichts erfahren hätte?«

»Trotzdem hättest du ihn betrogen. Wenn ein Mädchen einen Mann heiratet, den es nicht liebt, handelt es schlecht und macht den Mann, den es auf diese Weise belügt, unglücklich. Vor diesem Fürchterlichen habe ich dich bewahrt.«

Irma fing an, leidenschaftlich zu schluchzen. »Und nun hast du mich von diesem Elenden, diesem Bauern, beleidigen lassen. Du weißt nicht, was er mir alles zu sagen wagte. Ich hasse ihn.«

»Ich weiß, daß du dich in deinen eigenen Augen erniedrigt und gedemütigt fühlst, Kind. Aber darüber wirst du hinwegkommen. Glaube mir, es ist besser, als dein ganzes Leben lang etwas bereuen, das du nicht mehr ungeschehen machen kannst.«

Ilse, die mit dem unglücklichen, verwöhnten Kinde innigstes Mitleid empfand, wollte es zärtlich in ihre Arme schließen, aber ungestüm wandte Irma sich ab.

»Ich fühle mich nicht gedemütigt,« bäumte sie sich trotzig auf und hatte Mühe, ihre Tränen zurückzudrängen. »Geh du nur, ich habe dich nicht mehr lieb, ich will fort von hier.«

»Irma!« rief die Großmutter in traurigem Tone.

Das junge Mädchen aber war zu sehr überreizt, um zu begreifen, wie weh sie der alten Frau tat, und wiederholte heftig:

»Ja, ich will fort; ich will Mama bitten, mich mitzunehmen.«

Da ging die Großmutter stumm hinaus.

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