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Müllers rüsteten allmählich zu Mauds Hochzeit. Nur noch einige Wochen, dann kam John, um seine Braut zu holen; erst wollten sie eine schöne Hochzeitsreise durch Europa machen und sich dann in San Francisko niederlassen.

Irma nahm an diesen festlichen Vorbereitungen nicht teil. Als Gustav und Flora sowie Reichers – denn auch Hans war eingeladen – ihre baldige Ankunft meldeten und Herr und Frau von Holten gleichfalls schrieben, daß sie kommen würden, bat sie unter Tränen Großmama Ilse, ob es nicht möglich sei, sie für diese Zeit fortzuschicken. Sie fühle sich außer stande, all die Festlichkeiten mitzumachen; sie würde zu viel an ihren eigenen Herzenskummer denken müssen und schwer darunter leiden.

Ilse schüttelte den Kopf:

»Hör' mal, Kindchen,« sagte sie fest, »es wird Zeit, daß wir ein ernstes Wörtchen miteinander reden. Du mußt doch endlich einsehen, daß du dich deinem Schmerz nicht ausschließlich hingeben darfst. Hochstein ist für dich verloren, davon mußt du doch überzeugt sein.«

»Das bin ich ja,« entgegnete Irma, »aber eben deshalb hat mein Leben keinen Wert mehr für mich.«

»Unsinn, du mußt einsehen lernen, daß der Mensch gar nicht wert ist, daß du so um ihn trauerst. Kommst du nicht auf Mauds Hochzeit, so weiß jeder, weshalb. Was ich dir jetzt sagen muß, Irma, ist hart, aber ein energisches Mittel ist bei dir wirklich nötig. Ein Mädchen, dem so mitgespielt wurde wie dir, findet wohl Teilnahme. Zeigt sie aber jedem, daß sie sich um solch unwürdigen Gecken grämt, so lacht man schließlich über ihre Rührseligkeit und Überspanntheit. Kannst du deine Enttäuschung noch nicht verwinden, so trage deinen Kummer wenigstens still und heimlich, damit du den Leuten nicht das Recht gibst, sich über dich lustig zu machen.«

Irma richtete sich auf; dunkle Röte färbte ihre Wangen; Großmutters Worte trafen sie wie Peitschenhiebe, und unwillkürlich zog sie ihre Hand zurück, als die alte Dame sie zärtlich streicheln wollte; aber sie weinte nicht mehr, und in der stillen Hoffnung, daß ihre Worte doch ihren Zweck erfüllen würden, zog sich Ilse zurück.

»Ich muß der Großmama beipflichten,« sagte Agnes an demselben Nachmittag, als Irma ihr von dieser Unterredung erzählte, »es ist gerade so, als ob du keinen Stolz mehr besäßest.«

Wie gewöhnlich lag Irma auf ihrer Ruhebank, sie zeigte sich aber nicht mehr ganz so teilnahmlos und gleichgültig wie sonst, wenn sie auch nicht zugeben wollte, daß die Großmama recht hätte.

»Du verstehst mich nicht, Agnes,« erwiderte sie. »Du bist verlobt und behauptest Ludwig zu lieben, aber du bist viel zu nüchtern und praktisch, um zu fühlen, was wahre Liebe ist.«

Agnes lachte. »Wenn wahre Liebe darin besteht, sich mit Füßen treten zu lassen und jemand nachzuträumen, der deutlich zeigte, daß er nur mit dir gespielt hat, dann – ja dann habe ich keinen Schimmer davon, denn so etwas ließe ich mir nicht bieten.«

»Agnes!« rief Irma, im höchsten Grade erzürnt, »wenn Großmama mir solche Dinge sagt, mag das noch hingehen, von dir vertrage ich das nicht.«

»Und doch ist es die Wahrheit,« fuhr die andere eifrig fort. »Komm' mal her,« sie zog ihre widerstrebende Cousine vor den Spiegel, »schau dich mal an. Ist's nicht jammerschade, daß ein Mädchen wie du, so schön, mit solcher Gestalt, solchem Haar und solchen Augen, sich um dieses Menschen willen so häßlich macht! Du bist wirklich in letzter Zeit nicht hübscher geworden.«

»Was liegt mir daran?« versetzte Irma. Aber sie schaute doch in den Spiegel, und ihr wurde angst, daß Agnes am Ende wohl recht haben könne.

Diese bemerkte ihren Vorteil und fuhr mit gesteigerter Wärme und Innigkeit fort:

»Liebstes Kind, du kannst für den einen hundert andere bekommen. Wäre ich so schön wie du, wahrlich ich würde ihm das Vergnügen nicht gönnen, mit spöttischem Mitleid über mich die Achseln zu zucken.«

»Das Vergnügen soll ihm nicht zu teil werden,« rief Irma; »er braucht doch nicht zu wissen, daß ich mich um ihn gräme.«

»Als ob ihm das nicht zu Ohren kommen würde! Machst du Mauds Hochzeit nicht mit, so erfährt er das sicher. Es kommen mehrere Studenten und Offiziere, die ihn kennen. Soll er denn denken, daß du ohne ihn nicht leben kannst? Weißt du, was du tun müßtest?«

»Nein.«

»Auf die Hochzeit gehen, dich so schön wie möglich machen und so lustig sein, daß keine Seele etwas merkt. Glaube mir, ich kenne die Welt besser als du; wenn Hochstein denken muß, daß du dir's nicht zu Herzen nimmst, wird er sich ärgern, und das ist doch wohl die kleinste Strafe, die er verdient.«

Der matte, gleichgültige Ausdruck in Irmas Augen verschwand, ihre Wangen röteten sich, und mit einem schwachen, selbstzufriedenen Lächeln nickte sie ihrem Spiegelbilde zu.

»Vielleicht hast du recht,« sagte sie, »ich will mich bemühen, deinem Rat zu folgen. Versprich mir nur eins – nie mehr über Otto zu reden.«

»An mir wird es nicht liegen, wenn's doch geschieht,« entgegnete Agnes munter, »denn ein angenehmer Gesprächsstoff ist er für mich wirklich nie gewesen.«

Von nun an änderte sich Irma. Als ihre Eltern kamen, und Ruth, die von ihrer Mutter in alles eingeweiht wurde, sie schweigend, mit vielsagender Innigkeit umarmte, setzte ihr Töchterlein sie in Erstaunen, indem es lachend rief:

»Hör' mal, Mamachen, wenn du glaubst, mich bemitleiden zu müssen, bist du auf dem Holzwege. Großmama hätte dir die kindische Geschichte mit Baron Hochstein nicht zu erzählen brauchen. Ich habe sie längst vergessen.«

»Aber Kind, ich glaubte dich ganz niedergebeugt und traurig zu finden. Ich dachte, du liebest ihn.«

»Ach wo denn, ich bildete mir das nur ein. Jetzt weiß ich, daß es so ganz gut ist und habe es völlig überwunden.«

»Um so besser, mein Liebling,« sagte Ruth erfreut. Aber als sie der Großmutter Irmas Worte wiederholte, schüttelte diese das alte, graue Haupt.

»Mamachen, du bist doch nie zufrieden,« meinte Ruth etwas ärgerlich. »Was willst du denn mehr? Wir können doch wirklich froh sein, daß die Kleine die Geschichte so verständig auffaßt.«

»Liebe Ruth,« versetzte Ilse nachdenklich. »Der Übergang ist mir zu schroff. Wir mußten Irma aus ihrer Teilnahmlosigkeit förmlich aufrütteln, indem wir ihren Stolz und ihre Eigenliebe zu Hilfe riefen, nun aber fürchte ich, daß ihre Eitelkeit den Sieg davontragen und sie zu irgend einem dummen Streich verleiten wird.«

Ungläubig schaute Ruth die Mutter an.

»Zum Beispiel,« fuhr Großmutter leise fort, »aus Trotz den ersten besten Mann zu nehmen.«

Frau von Holten schwieg; an solch eine Möglichkeit hatte sie noch nicht gedacht.

»Ich glaube, du übertreibst, Mama,« sagte sie endlich. »Irma ist in jeder Hinsicht noch das reine Kind.«

»Eben darum,« behauptete Ilse, aber da ihre Enkelin gerade ins Zimmer trat, wurde das Gespräch nicht fortgesetzt. –

Der Bräutigam, John Forster, war angekommen und machte seinen neuen Verwandten einen sehr angenehmen Eindruck. Er war ein großer, stattlicher junger Mann, blond und breitschultrig, mit energischem Ausdruck in den stahlblauen Augen und großer Ruhe und Gelassenheit in seinem Auftreten. Er und Maud bildeten ein sehr gesetztes Paar; Flora, die mit ihrem Manne bei Großmutter Gontrau wohnte, wunderte sich im stillen, daß Braut und Bräutigam nach so langer Trennung einen ganzen Abend beisammen sein, sich mit jedem gemütlich unterhalten konnten, und nicht einzig und allein für einander Ohren und Augen hatten.

Als Flora schüchtern bemerkte, daß John und Maud nicht den Eindruck eines verliebten Paares machten, lachte die junge Braut so heiter und herzlich, und aus ihren hübschen, ernsten Augen strahlte ein so sonniges Glück, daß niemand an ihrer innigsten Liebe und Zuneigung für einander zweifeln konnte. –

Onkel Heinz, der mit Hilfe eines Stockes wieder umherhumpelte, setzte die ganze Familie, die ihn noch ans Zimmer gebunden glaubte, in Erstaunen, als er plötzlich eines Abends in ihrem Kreise erschien. Er unterhielt sich viel mit dem jungen Amerikaner; aber als Hans Reicher ankam, hätte der Professor leicht in den Verdacht der Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit kommen können, denn nun zog er die Gesellschaft des jungen Gutsbesitzers jeder anderen vor und vertiefte sich mit ihm in alle möglichen Fragen des Ackerbaus und der Viehzucht. Hans verweilte gern bei dem alten Sonderling; Onkel Heinz hatte sich sofort angeboten, ihn als Logiergast aufzunehmen, und da bei Müllers wie bei Ilse Gontrau das Haus besetzt war, nahm Hans dies Anerbieten dankend an.

Große Hochzeitsfeierlichkeiten sollten nicht stattfinden, die Abende aber, die der heiligen Handlung vorangingen, verbrachte die Familie stets gemeinsam. Es wurde viel musiziert, mitunter auch getanzt, und das Zusammensein mit einem gemütlichen Abendessen beschlossen. Irma nahm so heiter an allem teil, daß jeder sich darüber wunderte. Als sie am ersten Abend erschien, anmutiger denn je, in einem hellgrünen, duftigen Kleide, schelmisch und ausgelassen wie früher mit der Jugend Unsinn trieb, die älteren Herren durch ihr Geplauder bezauberte, so daß sie bald wieder der Mittelpunkt war, um den sich alles drehte, schüttelte Maud ernst den Kopf und flüsterte ihrer Schwester zu:

»Die Irma ist doch wirklich eine arge Kokette; von ihr kann man auch sagen: Viel Lärm um Nichts!«

Agnes schwieg und schaute bekümmert nach Irma, die gerade auf dem Sofa saß. Vor ihr stand Hans Reicher und hörte mit ernster Miene ihrem Geplauder zu. Das Mädchen war bildschön, wenn möglich noch schöner als früher, aber ihrem Benehmen fehlte das reizend Kindliche, das sie so unwiderstehlich gemacht hatte. Mit ausgesprochener Gefallsucht streckte sie den kleinen Fuß vor, um dessen tadellose Form zur Geltung zu bringen; sie bemühte sich, während sie saß, die anmutigste Haltung anzunehmen, lehnte ihr blondlockiges Köpfchen an den Sessel, weil sie wußte, daß es sich von dem roten Plüsch besonders vorteilhaft abhob; sie lachte, um ihre Perlzähnchen zu zeigen, schlug die großen Vergißmeinnichtaugen bald schüchtern, bald wieder übermütig auf und bemerkte mit einem häßlichen Triumphgefühl befriedigter Eitelkeit, wie sie den guten Hans in Verwirrung brachte und bezauberte.

»Ob Hans weiß, was Irma durchgemacht hat?« fragte Maud plötzlich ihre Schwester.

»Nein, wer sollte ihm das erzählt haben?«

»Ich dachte, du oder Ludwig.«

»Ich werde mich hüten. Wir haben das Recht nicht, Irmas Geheimnis an die große Glocke zu hängen – das wäre garstig.«

»Allerdings,« gab Maud zu, »aber ich glaube, der arme Hans hat wieder Feuer gefangen, und siehst du denn nicht, wie furchtbar sie mit ihm kokettiert?«

»Gewiß, aber weil sie so stark aufträgt, wird er's wohl merken, und tut er das nicht, so ist er ein Schaf,« entgegnete Agnes unwillig.

Hans Reicher war der Einladung zu Mauds Hochzeit mit schwerem Herzen gefolgt. Ihm bangte vor dem Wiedersehen mit Irma. Fern von ihr, in Anspruch genommen durch seinen Beruf und seine vielen Geschäfte, hatte er die Kraft besessen, seinen Kummer zu beherrschen, das Unvermeidliche zu ertragen, ohne sich in Sehnsucht zu verzehren nach einem Glück, das ihm unerreichbar dünkte. In den ersten Wochen nach Gustavs und Floras Hochzeit hatte er täglich die Anzeige von Irmas Verlobung mit Hochstein erwartet, und als diese nicht kam, schließlich Ludwig ausgeforscht.

Aber der Bruder, der von seiner Braut nicht in Irmas Herzensgeheimnisse eingeweiht war, hatte nichts gewußt, und Hans, zu stolz, um sich bedauern zu lassen, hatte nicht weiter geforscht und nicht widersprochen, als Ludwig eine Anspielung machte, daß seine Zuneigung für das schöne Mädchen rasch verflogen zu sein schiene.

Trotz aller Vernunftgründe, die dafür sprachen, die Einladung abzulehnen und Irma nicht wiederzusehen, um seine teuer erkaufte Ruhe nicht von neuem aufs Spiel zu setzen, war er doch zur Hochzeit gekommen, getrieben von seiner Sehnsucht nach der Geliebten. Er hatte sich aber fest vorgenommen, ihr kühl gegenüber zu treten und ja nie den unglücklich Liebenden zu spielen, um nicht ausgelacht zu werden.

Irma begrüßte ihn mit unerwarteter Herzlichkeit. Sie sprach so freundlich mit ihm, bewies plötzlich so viel Teilnahme an allem, was ihn betraf, schaute ihn so merkwürdig an, daß der arme Hans seine guten Vorsätze vergaß und seine Hoffnung, Irma dereinst doch die seine zu nennen, sich auf Riesenschwingen emporhob. Von Hochstein hörte er nichts, also war das doch nur ein vorübergehender Flirt gewesen. Seine Klugheit verließ ihn vollständig; er war wie mit Blindheit geschlagen, merkte die Gefallsucht des schönen Mädchens nicht, sondern sah dieses in dem Lichte, in dem er es sehen wollte, und so kam er zu dem Entschluß, nicht eher heimzukehren, als bis er Gewißheit hätte.

An dem Abend, an welchem Maud ihre Schwester auf Irmas leichtfertiges Betragen aufmerksam machte, fühlte Hans sich im siebenten Himmel. Er erzählte von seinem Schaffen und Streben, von den Verbesserungen, die er in den letzten Jahren eingeführt habe, und sie tat, als lauschte sie aufmerksam, klappte dabei ihren Fächer auf und zu, hielt ihn aber zum öftern vors Gesicht, um ihr unterdrücktes Gähnen zu verbergen, und sagte endlich:

»Trotz alledem ist's doch wohl ein bißchen langweilig, immer auf dem Lande zu sitzen, Hans, wie? Möchten Sie nicht lieber in einer großen Stadt wohnen?«

»Bisher habe ich mich noch nie danach gesehnt. Ich fühlte mich in meiner Umgebung und bei meiner Arbeit vollkommen glücklich.«

»Sie sprechen von ›bisher‹, ist es denn jetzt nicht mehr so?«

»Jetzt bin ich nahe daran, mir einen Beruf zu wünschen, der mich mehr unter Menschen und in das Leben und Treiben der Großstadt führt.«

»Wie ist das möglich?« fragte Irma mit der unschuldigsten Miene von der Welt. »Warum denn?«

Hans beugte sich zu ihr herab. Er sah bleich aus, und seine Lippen bebten als er ihr zuflüsterte:

»Weil ich es dann eher wagen würde, eine Bitte auszusprechen, deren Erfüllung mich zum glücklichsten aller Sterblichen machen würde. Verstehen Sie mich, Irma?«

»Hans!« ertönte plötzlich die barsche Stimme von Professor Fuchs, »wir brauchen einen vierten Mann zum Whist. Von Ludwig kann natürlich keine Rede sein; als Bräutigam ist er verliebt und also nicht normal; kommen Sie nur mit, mein Junge.«

»Aber Onkel Heinz,« schmollte Irma, »da ist doch noch Gustav und Papa.«

Der alte Herr fing an zu lachen. »Mit den beiden spiele ich nicht; ich glaube nicht, daß sie einen Buben von einem König unterscheiden können.«

»Ich habe keine Lust, meine Dame im Stich zu lassen, Herr Professor,« wehrte sich Hans, »ich mache mir nichts aus Whist.«

»Der Mensch kann nicht immer tun, was er am liebsten mag; wenn ich den ganzen Abend das Getue und Geschwätz der Leute hier sehen und anhören muß, kriege ich einen neuen Gichtanfall. Also erbarmen Sie sich des alten Brummbären.«

Hans schaute Irma an; sie lachte ihm mit solch lieblichem Erröten und solcher Verheißung in den strahlenden Augen zu, daß ihm vor seliger Erwartung schwindelte. Er ergriff ihr Händchen, drückte es so kräftig und lange, bis es ihr förmlich weh tat, und folgte Onkel Heinz.

Irma seufzte und lächelte doch zugleich. Ihr gegenüber hing ein großer Spiegel; sie schaute hinein und dachte gerade, wie wunderhübsch sie doch eigentlich sei, als sie im Glase dem ernsten Blick der Großmama begegnete, welche sie ruhig und streng ansah. Das Mädchen wandte sich ab und wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Aber sie befand sich in übermütiger Laune. Der Kummer, den sie erlitten, hatte sie zuerst fast zerschmettert; dann hatte die arge Niederlage ihrer Eitelkeit den Schmerz verdrängt, und das Gefühl des Unglücks und der Trauer hatte sich in Bitterkeit umgewandelt. Sie war an ihrem wundesten Punkt getroffen worden, nun raste sie weiter auf dem Wege, den sie einmal eingeschlagen hatte – und als Hans ihr an diesem Abend das Geleite gab und ihr beim Einsteigen in den Wagen zuflüsterte:

»Darf ich Ihnen morgen weitererzählen, Irma, was ich erbitten möchte, und was mich so unendlich glücklich machen würde?« neigte sie ihr Köpfchen, zog die Hand zurück und lispelte kokett:

»Ich habe wirklich gar keine Ahnung, was das sein kann, aber wenn Sie mich zu Ihrer Vertrauten machen wollen, ist mir's recht.«

Nun stand sie in ihrem Schlafzimmer im weißen Unterröckchen vor dem Spiegel und bürstete ihr Goldhaar. Sie nahm die seidenen Locken in die Hände und streichelte sie liebkosend, wobei ihr einfiel, womit Otto von Hochstein sie so oft verglichen hatte: mit Kornähren, auf welche die Sonne schien, mit gesponnenen Sonnenstrahlen und flüssigem Gold. In einer bitteren Aufwallung wand sie ihre Locken plötzlich in einer dicken Flechte um den Kopf und tat dies so heftig und mit so harter Hand, daß verschiedene von den spinnwebenfeinen Goldfäden an ihren spitzen Fingerchen hängen blieben.

Da öffnete sich die Tür ihres Zimmers, und Ilse, bereits im Nachtgewand, das weiße Haar unter einer Haube verborgen, trat ein.

»Ist etwas geschehen, Großmama?« fragte Irma erschreckt. »Ist dir nicht wohl?«

»Ich wollte noch mit dir sprechen, Kind.«

Irma schaute der Großmama in das feine Antlitz, das einen sehr strengen Ausdruck zeigte; und als ahne sie den Zweck dieser Unterredung, unterdrückte sie ein Gähnen, blickte nach der Wanduhr und sagte:

»Es ist schon so spät.«

»Das tut nichts. Ich finde keine Ruhe, bevor ich dich nicht gefragt habe, ob du die Absicht hast, Hans Reicher zu nehmen, wenn er sich um dich bewirbt?«

Irma wurde glühend rot.

»Ja,« sagte sie, und fügte spottend hinzu:

»Findest du das nicht herrlich, solch guten Mann, auf den ihr alle so große Stücke haltet? Diesmal kannst du doch nichts gegen meine Wahl einwenden?«

»Liebst du Hans?« fragte Ilse streng.

»Ich glaube. Und es ist schon sechs Wochen her, seit Hochstein seine Verlobung anzeigte. Da wird es hohe Zeit, daß er von mir Ähnliches hört.«

»Du willst Hans heiraten, ohne ihn zu lieben, nur aus Trotz und gekränkter Eitelkeit?«

»Warum nicht, Großmama? Du hast selbst gesagt, ich müsse meinen Kummer überwinden, ich würde für rührselig und verschroben gehalten werden, wenn ich fortführe zu trauern. Nun wird wenigstens keiner mehr über mich lachen.«

»Du solltest meine Worte nicht absichtlich verkehrt auslegen,« erwiderte die Großmama, und ihre dunklen Augen schauten Irma so strafend an, daß sie die ihren niederschlug. »Du weißt ganz gut, was ich meinte. Du bist im Begriff, eine große Dummheit zu begehen, und eine Schlechtigkeit obendrein. Wem nützt es etwas, wenn du dich und Hans unglücklich machst? Glaubst du, daß Otto von Hochstein sich das zu Herzen nehmen würde?«

»Es wird ihn wenigstens ärgern, wenn er sieht, daß ich ihn so rasch vergessen habe.«

»Und um eines so armseligen Triumphes willen, dessen du überdies noch nicht einmal sicher bist, willst du dich erniedrigen, indem du einen Mann heiratest, den du nicht liebst! Das verbiete ich dir, Irma. Ich warne dich, ich will das nicht.«

»Aber ich will!« rief Irma auffahrend und in einem Tone, den sie ihrer Großmutter gegenüber noch nie angeschlagen hatte. »Wenn Hans um mich anhält, nehme ich ihn; ich will doch sehen, wer mir das verbieten kann.«

Mit flammenden Augen stand sie vor der alten Dame.

Ilse blickte sie an und erkannte sich selbst in dem aufgeregten, überreizten Kinde wieder, das jedem Vernunftgrunde unzugänglich war und alles opfern wollte, um seinem trotzigen Sinne zu folgen. Die alte Frau fühlte ihren Zorn schwinden; sie begriff, daß der Kummer und die Enttäuschung, die Irma erfahren hatte, schlecht auf ihren Charakter wirkten, anstatt sie demütig und geduldig zu machen, den Geist des Widerstandes und gekränkten Stolzes in ihr weckten. Sie sah ein, daß mit Gewalt und Strenge hier nichts auszurichten war.

»Wirst du Hans sagen, was du erlebt hast?« fragte sie ruhig.

»Nein, natürlich nicht.«

»So hast du also die Absicht, ihn zu betrügen?«

»Otto hat mich auch betrogen.«

»Ist das ein Grund? Mußt du ebenso schlecht sein wie er?«

»Das ist mir ganz egal,« rief Irma heftig. »Du kannst stundenlang reden, Großmama. Ich will der Welt zeigen, daß Irma von Holten um einen neuen Anbeter nicht verlegen ist, wenn der alte sie im Stich gelassen hat.«

»Denke darüber nach, Kind, ich warne dich zum letzten Male.«

Aber Irma wandte sich ab und gab keine Antwort mehr.

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