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Die zwei folgenden Stücke, die Zugabe zum Parnaß und die vorgebliche Tante, hat Cervantes nicht unter seine Sammlung von Novellen aufgenommen, welche unter dem Titel Musternovellen noch zu seinen Lebzeiten erschienen sind und auf welche allein die B. 8 S. 5-14 mitgetheilten Gedichte, Zueignung und Vorrede sich beziehen. A. K.
Als ich eines Morgens aus dem Kloster von Atocha trat, begegnete mir ein Jüngling, dem Anschein nach etwa vierundzwanzig Jahre alt, ganz niedlich, ganz zierlich, ganz krachend von ostindischer Seide, aber mit einem so großen gesteiften Halskragen, daß ich dachte, um ihn zu tragen, hätte er die Schultern eines zweiten Atlas nöthig gehabt. Die Söhne dieser Halskrause waren zwei stumpfe Handmanschetten, welche an den Handgelenken beginnend an den Rohren des Arms hinaufgiengen oder emporkletterten, so daß es aussah, als wollten sie einen Angriff auf den Bart ausführen. Nie habe ich einen Epheu mit solcher Begierde, vom Fuß der Mauer, an die er sich lehnt, bis an die Zinnen emporzukommen, gesehen, wie diese Manschetten bestrebt waren, den Ellbogen Ohrfeigen zu geben. Kurz die Halskrause und die Manschetten waren so ausschweifend und übermäßig, daß das Gesicht hinter der Halskrause und die Arme unter den Manschetten bedeckt und vergraben waren.
Dieser junge Mensch nun kam zu mir her und sagte zu mir mit ernster und gesetzter Stimme: Seid ihr vielleicht der Herr Miguel von Cervantes Saavedra, der vor wenigen Tagen vom Parnasse zurückkam?
Ich glaube ganz gewiß, daß ich bei dieser Frage die Gesichtsfarbe verlor, denn in demselben Augenblick dachte ich und sagte zu mir selbst: Ob das wohl einer der Poeten ist, die ich in meiner Reise auf den Parnaß angeführt oder weggelassen habe, der nun kommt, um mir den Lohn zu bezahlen, den er sich einbildet mir schuldig zu sein?
Schnell aber raffte ich meine schwachen Kräfte zusammen und antwortete ihm: Ich bin derselbe, von dem ihr sprecht, mein Herr! Was steht zu euren Diensten?
Als der junge Mann dieß hörte, breitete er seine Arme aus und schlang sie mir um den Hals, und er hätte mich gewiß auf die Stirn geküßt, wenn die Größe seiner Halskrause ihn nicht daran verhindert hätte. Sodann sagte er zu mir:
Herr Cervantes, ich bitte euch, mich für euern Diener und euern Freund zu halten, denn seit vielen Tagen fühle ich mich besonders zu euch hingezogen, theils durch eure Werke, teils durch den Ruf eures freundlichen Sinnes.
Als ich dieß hörte, schöpfte ich wieder Athem und mein anfänglich etwas bestürztes Gemüth beruhigte sich wieder. Auch ich umarmte ihn nun, hütete mich aber sehr, seine Halskrause zu zerknittern und sprach zu ihm:
Ich habe nicht die Ehre, Euer Wohlgeboren zu kennen, bin übrigens Euer gehorsamer Diener. Aus allen Merkmalen aber macht sich mir deutlich, daß Euer Wohlgeboren sehr geistreich und vornehm ist, Eigenschaften, welche einen jeden nöthigen, die Person hochzuschätzen, welche mit denselben begabt ist.
Wir wechselten hierauf noch einige Worte der Höflichkeit und die Artigkeiten kamen in schönen Schwung, bis er mir endlich sagte:
Euer Gnaden wird wissen, Herr Cervantes, daß ich von Apollos Gnaden ein Poet bin oder wenigstens einer zu sein wünsche, und mein Name ist Pancracio von Roncesvalles.
Cervantes.
Ich hätte es nie geglaubt, wenn Euer Gnaden es mir nicht mit eigenem Munde gesagt hatte.
Pancracio.
Und warum hättet ihr es nicht geglaubt?
Cervantes.
Weil es ein Wunder ist, Dichter so schön geputzt zu sehen, wie euch; und der Grund ist, daß, da sie so hochmüthig und geziert sind, sie eher auf das Geistige als auf das Körperliche achten.
Pancracio.
Ich, mein Herr, bin jung, reich und verliebt, und das sind Eigenschaften, welche in mir die Gleichgiltigkeit zerstören, welche mir die Poesie einflößt; durch die Jugend habe ich Kühnheit, durch den Reichthum die Mittel mich zu zeigen und durch die Liebe bin ich veranlaßt, nicht als verwahrlost zu erscheinen.
Cervantes.
Da habt ihr drei Viertheile des Wegs, um ein guter Dichter zu werden, zurückgelegt.
Pancracio.
Welche sind dieß?
Cervantes.
Ihr seid reich und verliebt, denn die Geburten des Geistes von reichen und verliebten Leuten sind der Schrecken des Geizes und der Sporn der Freigebigkeit; bei einem armen Poeten aber geht die Hälfte seiner göttlichen Geburten und Gedanken in den Sorgen für seinen täglichen Lebensunterhalt zu Grunde. Aber sagt mir, ich bitte euch um Gottes willen, welche Gattung von poetischer Suppe genießt oder vertheilt Euer Gnaden am meisten?
Pancracio.
Ich verstehe nicht, was poetische Suppe heißen soll.
Cervantes.
Ich meine, zu welcher Art von Poesie ihr euch am meisten hingezogen fühlt; zum Lyrischen, Heroischen oder Komischen?
Pancracio.
Ich übe mich in allen Stücken, doch beschäftige ich mich am meisten mit dem Komischen.
Cervantes.
So habt ihr wohl schon einige Schauspiele angefertigt?
Pancracio.
Viele, aber nur ein einziges wurde aufgeführt.
Cervantes.
Hat es gefallen?
Pancracio.
Dem Publicum nicht.
Cervantes.
Aber den Kunstkennern?
Pancracio.
Auch nicht.
Cervantes.
Und warum?
Pancracio.
Darum, weil man ihm vorwarf, es sei zu breit in den Reden, die Verse seien nicht ganz rein und die Erfindung sei schwach.
Cervantes.
Das sind freilich Fehler, bei denen man die Stücke des Plautus selbst schlecht finden müßte.
Pancracio.
Uebrigens konnte man das Stück gar nicht beurtheilen, denn man ließ es nicht zu Ende spielen, so sehr schrie alles zusammen. Demungeachtet setzte es der Director wieder auf den folgenden Tag an; aber was half die Beharrlichkeit? Es kamen kaum fünf Personen.
Cervantes.
Glaubt mir, die Schauspiele haben ihre Tage, wie manche schöne Frauen, und ihr Erfolg hängt eben so vom Glück, als vom Talent des Dichters ab. Ich habe ein Schauspiel gesehen, das man in Madrid gesteinigt und in Toledo mit dem Lorbeer geschmückt hat. Daher rathe ich Euer Gnaden, sich nicht wegen dieses ersten Unglücks abhalten zu lassen, fernerhin Schauspiele zu schreiben, denn es könnte wohl geschehen, daß ihr, wenn ihr am wenigsten daran denkt, mit einem Glück macht, das euch Namen und Geld verschafft.
Pancracio.
Aus dem Gelde mache ich mir nichts, aber der Ruhm geht mir über alles, denn es ist doch eine gar schöne Sache, und von großer Wichtigkeit, wenn man viele Leute aus dem Schauspiel gehen sieht, die alle zufrieden sind, und wenn dann der Dichter, welcher dasselbe verfaßt hat, an der Thüre des Theaters steht und sich von allen Glück wünschen läßt.
Cervantes.
Diese Freuden haben auch ihre Leiden, denn oft ist auch das Schauspiel so über die Maaßen schlecht, daß kein einziger dem Dichter einen Blick zuwirft und er es nicht wagt, auf die Entfernung von vier Straßen an dem Theater vorbei zu gehen; und auch die Schauspieler wenden sich von ihm ab, weil sie sich schämen und ärgerlich sind, sich in ihm geteuscht und das Stück für gut angenommen zu haben.
Pancracio.
Seid ihr, Herr Cervantes, vielleicht ein Freund von der dramatischen Kunst? Habt ihr schon ein Schauspiel geschrieben?
Cervantes.
Ja, viele, und wenn sie nicht von mir wären, würde ich sie preiswürdig finden, wie z. B. der Aufenthalt in Algier, Numancia, die große Türkin, die Seeschlacht, Jerusalem, die Amaranta oder das Maikind, der Liebeshain, die einzige und großmüthige Arsinda, und noch viele andere, deren ich mich nicht erinnere. Das Stück aber, auf das ich am meisten halte, und das mir das beste deuchte und noch deucht, ist die Beschämte, welche, mit Vergunst aller Mantel- und Degenstücke, die bis auf den heutigen Tag gegeben worden, sei es gesagt! wohl einen guten Platz unter den besten ansprechen darf.
Pancracio.
Und habt ihr jetzt welche fertig?
Cervantes.
Sechs, und überdies sechs Zwischenspiele.
Pancracio.
Nun, und warum gibt man sie nicht?
Cervantes.
Weil weder die Verfasser mich aufsuchen, noch ich sie aufsuchen mag.
Pancracio.
Sie werden aber nicht wissen, daß Euer Gnaden Stücke bereit liegen hat.
Cervantes.
O ja, sie wissen es wohl; aber sie haben ihre gewissen Poeten in Kost und Lohn; dabei befinden sie sich gut und darum gelüstet sie nicht nach Besserem. Indessen denke ich meine Schauspiele drucken zu lassen, damit ein jeder mit Muße sehen kann, was bei der Darstellung flüchtig vorübergeht und versteckt oder nicht verstanden wird; denn die Schauspiele haben ihre Zeiten und Perioden wie die Sänger.
Bis dahin waren wir in unserer Unterredung gekommen, als Pancracio die Hand in den Busen steckte und einen Brief in einem Cuvert hervorzog, den er küßte und sodann mir einhändigte. Ich las die Ueberschrift, welche also lautete: An Miguel von Cervantes Saavedra, in der Gartenstraße, gegenüber von dem Hause, in welchem der Fürst von Marruecos zu wohnen pflegte, in Madrid. Porto: ein halber Real, sage siebzehn Maravedis.
Ich ärgerte mich über den Trägerlohn und über die Erklärung: ein halber Real, sage siebzehn Maravedis.
Daher gab ich ihm den Brief zurück und sagte zu ihm: Als ich in Valladolid war, brachte man einen Brief an mich ins Haus, der einen Real kosten sollte. Eine Nichte von mir nahm ihn in Empfang und bezahlte das Porto. O hätte sie es nie bezahlt! Sie entschuldigte sich aber damit, daß sie mich oft habe sagen hören, bei drei Dingen dürfe man das Geld nicht sparen, beim Almosengeben, bei der Bezahlung eines guten Arztes und bei dem Trägerlohn für Briefe, seien sie von Freunden oder von Feinden; denn die der Freunde seien belehrend und aus denen der Feinde könne man einigermaßen auf ihre Gedanken schließen. Man übergab mir ihn und es stand darin ein schlechtes Sonnett, ärmlich, ohne Duft noch Spitze, welches über Don Quixote schmähte. Was mir dabei nur leid that, war der Real, und ich faßte von dem Augenblicke an den Entschluß, keinen Brief anzunehmen, der Porto koste. Wenn Euer Gnaden also für diesen solches in Anspruch nimmt, so mögt ihr ihn zurückgeben, denn ich weiß gewiß, daß der Brief mir nicht so viel Werth haben kann, als der halbe Real, den er kostet.
Der Herr Roncesvalles fieng an, recht herzlich zu lachen und sagte zu mir: Wenn ich auch ein Poet bin, so bin ich doch nicht so ärmlich, daß ich an siebzehn Maravedis hängen bleiben sollte. Beachtet doch, theuerster Herr Cervantes, dieser Brief kommt zum Mindesten von Apollo selber. Er schrieb ihn vor noch nicht drei Wochen auf dem Parnaß und übergab mir ihn mit dem Auftrag, ihn euch einzuhändigen. Lest ihn, denn ich bin überzeugt er wird euch Freude machen.
Ich werde thun, was ihr mir befehlt, antwortete ich. Ehe ich ihn aber lese, bitte ich Euer Gnaden mir gefälligst zu sagen, wie, wann und zu welchem Zweck ihr auf dem Parnaß gewesen seid?
Er antwortete: Wie ich dorthin gekommen bin? Zur See, auf einer Fregatte, welche ich mit zehn andern Poeten in Barcelona miethete. Wann? Es war sechs Tage nach der Schlacht zwischen den guten und schlechten Dichtern. Zu welchem Zwecke? Nun ich gieng hin, um an dieser Schlacht Theil zu nehmen, wozu mein Beruf mich verpflichtete.
Cervantes.
Ganz gewiß seid ihr Herren vom Herrn Apollo gut aufgenommen worden?
Pancracio.
Allerdings, wiewohl wir ihn und die Fräulein Pieriden In der griech. Mythologie die Töchter des Pieros, und damit: die Musen. ( Anm.d.Hrsg.) sehr beschäftigt fanden, denn sie pflügten das ganze Feld, auf welchem die Schlacht Statt gefunden hatte, um und säeten Salz darein.
Ich fragte ihn, warum dieß geschehen sei; und er antwortete mir, gerade wie aus den Drachenzähnen des Cadmus Nach dem Gründungsmythos der antiken Stadt Theben ist der phönizische Held Kadmos ausgesandt, seine Schwester Europa zu suchen. Nachdem er einen Drachen besiegt hatte, befahl ihm Athena, die Zähne des Drachen zu säen, aus denen weitere Krieger hervorwuchsen, mit denen Theben gegründet wurde. ( Anm.d.Hrsg.) gewaffnete Männer emporgewachsen seien, und aus jedem abgeschnittenen Kopfe der Hydra, welche Hercules umbrachte, sieben andere, und aus den Blutstropfen vom Haupte der Medusa sich ganz Lybien mit Schlangen gefüllt habe, auf dieselbe Art seien aus dem faulen Blut der schlechten Dichter, welche auf jenem Schlachtfelde gefallen seien, allmählig erst nur in der Größe von Ratzen andere kriechende Dichterlinge entstanden, welche sich eben angeschickt haben, die ganze Erde mit ihrem bösen Saamen zu überziehen; deswegen also werde jenes Feld gepflügt und Salz darauf gesäet, als wäre es die Wohnstätte von Verräthern. Als ich dieß hörte, öffnete ich sogleich den Brief und fand folgenden Inhalt:
Apollo der Delphier
an
Miguel von Cervantes Saavedra.
Gruß zuvor!
Der Herr Pancracio von Roncesvalles, Ueberbringer dieses, wird euch sagen, mein edler Herr Miguel von Cervantes, über welcher Beschäftigung er mich angetroffen hat, als er mit seinen Freunden kam, mich zu besuchen. Ich sage euch, daß ich mich sehr zu beklagen habe über die Unhöflichkeit, die ihr gegen mich begangen, indem ihr von diesem Berge weggegangen seid, ohne von mir oder von meinen Töchtern Abschied zu nehmen, da ihr doch wußtet, wie sehr ich euch zugethan bin und die Musen folglich gleichfalls.
Bringt ihr freilich die Entschuldigung vor, ihr habt so sehr geeilt aus Verlangen, euren Mäcenas, den großen Grafen von Lemos bei den berühmten Festen von Neapel zu sehen, so muß ich dieß annehmen und euch verzeihen.
Seit ihr von hier abgegangen seid, ist mir viel Unheil widerfahren, und ich befand mich in großen Nöthen, namentlich um die Poeten zu zerstören und mit ihnen fertig zu werden, welche aus dem Blut der hier verstorbenen schlechten Dichter entstanden, wiewohl jetzt, Dank dem Himmel und meiner Thätigkeit, diesem Schaden abgeholfen ist.
Ich weiß nicht, ob es von dem Lerm der Schlacht herkommt, oder von dem Dampf, den die Erde aushauchte, als sie von dem Blute der Feinde getränkt war, kurz ich leide an Schwindel und Kopfschmerz, so daß ich wie blödsinnig bin und nichts Erquickliches und Erkleckliches zu schreiben im Stande bin. Wenn ich deshalb bei euch unten bemerkt, daß manche Dichter, selbst solche, die zu den berühmtesten gehören, zuweilen ungereimtes und nutzloses Zeug schreiben und verfassen, so dürft ihr sie darum nicht beschuldigen und geringschätzen, sondern ihr müßt ihnen gegenüber nicht thun, als ob ihr etwas bemerktet; denn wenn ich, der Vater und Erfinder der Poesie, zuweilen unsinnig und des Verstandes beraubt scheine, so ist es kein Wunder, wenn sie solche Anfälle bekommen.
Ich sende Euer Gnaden etliche Freiheiten, Befehle und Verordnungen, die Poeten betreffend. Sorgt, daß selbige buchstäblich gehandhabt und erfüllt werden, denn ich gebe euch zu dem allem meine Vollmacht, wie dieß Recht und Gesetz erfordert.
Unter den Dichtern, welche mit dem Herrn Pancracio von Roncesvalles hierher gekommen sind, haben sich einige darüber beklagt, daß sie nicht auf der Liste derjenigen stehen, welche Mercur nach Spanien brachte, und daß darum Euer Gnaden ihrer nicht in eurer Reise erwähnt. Ich sagte zu ihnen, die Schuld liege an mir und nicht an euch, das beste Mittel aber gegen dieses Versehen bestehe darin, daß sie dafür sorgen, durch ihre Werke berühmt zu werden, denn diese werden ihnen von selbst Ruhm und einen glänzenden Namen verschaffen, ohne daß sie um Freundes Lob betteln müssen.
Ich werde euch von Zeit zu Zeit, so bald sich mir Botengelegenheit darbietet, noch weitere Freiheiten zusenden, und euch davon Nachricht geben, was auf diesem Berge vorgeht. Macht es ebenso und benachrichtiget mich von eurem und aller Freunde Befinden!
Dem berühmten Vicente Espinel Vicente Gómez Martínez-Espinel (1550-1624), spanischer Schriftsteller, Übersetzer, Komponist, Musiker, Gitarrist, Priester. Bevor er 1589 zum Priester geweiht wurde, führte er ein recht abenteuerliches Leben; so geriet er 1572/73 auch in algerische Sklaverei (auch Cervantes war dies 1575/80 geschehen). Zu seiner Zeit war Espinel ein viel bewunderter Dichter; zu seinen Verehrern zählten u.a. Lope de Vega und Miguel de Cervantes. ( Anm.d.Hrsg.) überbringet meine Empfehlungen als einem meiner ältesten und wahrhaftesten Freunde.
Wenn Don Francisco von Quevedo Quevedo (1580-1645) war ein spanischer Schriftsteller und Satiriker des Barocks; er gehörte zu den Meistern des sogenannten Schelmenromans. ( Anm.d.Hrsg.) noch nicht seine Reise nach Sicilien angetreten hat, wo man ihn erwartet, so drückt ihm die Hand und sagt ihm, er möge nicht unterlassen, mich zu besuchen, da er so in meine Nähe kommt; denn als er hier war, verhinderte mich seine plötzliche Abreise, mit ihm zu sprechen.
Trefft ihr etwa bei euch einen von den zwanzig Ueberläufern, die zum Heere der Gegner übergegangen sind, so sagt ihnen nichts und thut ihnen auch nichts zu Leide; denn sie sind unglücklich genug, da es ihnen geht, wie den Teufeln, die ihre Strafe und Schmach immer bei sich tragen, wohin sie sich auch wenden.
Sorgt für eure Gesundheit, wacht über euch und hütet euch vor mir In Apolls Eigenschaft als Sonnengott nämlich. ( Anm.d.Hrsg.), namentlich in den Hundstagen! Denn so sehr ich auch euer Freund bin, in diesen Tage kenne ich mich selbst nicht, ich achte weder auf Verbindlichkeiten, noch auf Freundschaften.
Den Herrn Pancracio von Roncesvalles betrachtet als Freund und geht mit ihm um! Da er reich ist, kommt nicht so viel darauf an, ob er ein schlechter Dichter ist. Hiermit mag euch Gott beschützen nach seiner Allmacht und nach meinen Wünschen.
Gegeben auf dem Parnaß am 22. Julius, an dem Tage, wo ich mir die Sporen umschnalle, um auf den Hundsstern zu reiten. 1614.
Euer Gnaden Diener
Apollo der Leuchtende.Nachdem ich den Brief gelesen hatte, fand ich ein besonderes Blatt, auf welchem Folgendes stand:
Freiheiten, Befehle und Verordnungen,
welche Apollo den spanischen Dichtern schickt.
Das erste Gesetz ist, daß Dichter eben so durch die Nachläßigkeit in ihrem Aufzug, als durch den Ruhm ihrer Verse sich bemerklich machen sollen.
Item, wenn ein Dichter sagt, er sei arm, so soll man's ihm alsbald aufs Wort glauben ohne allen weiteren Schwur oder sonstige Bekräftigung.
Es wird verordnet, daß jeder Dichter von weichem und angenehmem Charakter sei und nicht zu wunderlich mit dem Ehrenpunct sein solle, wenn ihm auch ein Paar Maschen an den Strümpfen aufgehen.
Item, wenn ein Dichter in das Haus eines seiner Freunde oder Bekannten kommt, der sich eben zu Tisch setzt und ihn einladet, so soll man, wenn er auch schwört, er habe schon gegessen, ihm auf keine Weise glauben, sondern ihn zum Essen nöthigen, denn in diesem Falle wird man ihm gewiß nicht zu viel Gewalt anthun.
Item, der ärmste Dichter von der Welt, wenn es nicht gerade ein Adam oder Methusala ist, soll sagen können, er sei verliebt, wenn er es auch nicht ist, und soll seiner Dame einen Namen beizulegen befugt sein, wie er ihm am meisten ansteht, indem er sie Amarili, oder Anarda, oder Clori, oder Filis, oder Filida oder gar Juana Tellez nennt oder wie es ihm sonst beliebt, ohne daß ihn dafür jemand zur Rechenschaft ziehen kann noch wird.
Item wird verordnet, daß jeder Dichter, von welchem Stand und Eigenschaft er sei, für einen Edelmann gehalten werden soll in Anbetracht des edlen Berufs, den er ausübt, gleich wie die sogenannten Findelkinder für alte Christen gehalten werden.
Item wird vorgeschrieben, daß kein Dichter es wagen soll, Verse zum Lobe von Fürsten und Herren zu verfertigen, da es meine Absicht und ausgesprochener Wille ist, daß Schmeichelei und Wohldienerei nicht über die Schwelle meines Hauses kommen soll.
Item, soll jeder dramatische Dichter, der mit Glück drei Stücke auf die Bühne gebracht hat, unentgeltlich Zutritt in den Theatern haben, mit Ausnahme des Almosens an der zweiten Thüre, und auch dieß soll ihm wo möglich erlassen sein.
Item ist zu bemerken, wenn ein Dichter ein Buch, das er geschrieben hat, unter die Presse geben will, so muß man nicht glauben, daß man das Buch deswegen zu schätzen hat, weil er es irgend einem Monarchen widmet; denn wenn es nicht gut ist, so macht es die Zueignung um kein Haar besser, und wäre sie auch an den Prior von Guadalupe gerichtet.
Item wird verordnet, daß kein Dichter sich schämen soll, zu gestehen, daß er einer ist; denn ist er ein guter Dichter, so ist er des Lobes werth, ist er ein schlechter, so wird es nicht an Leuten fehlen, die ihn loben, denn
Wenn im Walde Besen wachsen u. s. w.
Item, ein jeder guter Dichter soll über mich und über alles, was im Himmel ist, nach Wohlgefallen verfügen, das heißt die Strahlen meines Haupthaars kann er übertragen und anwenden auf die Haare seiner Dame und zwei Sonnen aus ihren Augen machen, so daß es mit mir drei gibt und die Welt um so besser erleuchtet wird. Auch der Sterne, Sternbilder und Planeten mag er sich so bedienen, daß er, ehe man sichs versieht, eine ganze Himmelskugel fertig hat.
Item, ein jeder Dichter, den seine Verse auf die Ansicht gebracht haben, daß er einer ist, soll sich selbst schätzen und hochachten und an das Sprichwort denken: Wer sich für einen Wicht hält, der sei ein Wicht.
Item wird verordnet, daß kein ernster Dichter auf der Straße an die Klatschecken hinstehe und seine Verse vorlesen soll. Die guten sollte man in den Schulen von Athen vorlesen und nicht auf öffentlichen Plätzen.
Item wird besonders empfohlen, wenn eine Mutter kleine Jungen hat, die unartig sind und viel heulen, so soll sie ihnen mit dem Popanz drohen und sie damit erschrecken, indem sie sagt: Gebt Acht, Kinder, es kommt der Dichter so und so, der euch mit seinen schlechten Versen in den Abgrund von Cabra Dieser auch im »Don Quixotte« erwähnte Abgrund bezieht sich auf den andalusischen Berg Cabra. ( Anm.d.Hrsg.) oder in den Brunnen Airon Airón war eine prärömische Gottheit, die auf der Iberischen Halbinsel und in Teilen Galliens verehrt wurde. Airón war verbunden mit Quelltöpfen und Brunnen und wurde insofern als Gott des Lebens verehrt. Gleichzeitig galt er aber auch als Gott der Unterwelt und des Todes. ( Anm.d.Hrsg.) stürzt.
Item, an Fasttagen soll man nicht annehmen, der Poet habe das Fasten gebrochen, wenn er sich des Morgens über dem Versemachen die Nagel abgebissen hat.
Item wird befohlen, daß jeder Dichter, der sich zum Raufer, Händelsucher und Eisenfresser hergibt, eben wegen solcher schlechten Tapferkeit den Ruf verlieren und zu Wasser werden sehen soll, den er durch seine guten Verse erlangen konnte.
Item wird verordnet, daß man den Dichter nicht für einen Dieb ansehen soll, der einen fremden Vers gestohlen und unter die seinigen verwoben hat, wofern es nur nicht die ganze Anlage und eine ganze Strophe ist; denn in diesem Fall soll er für einen Dieb gelten gleich Cacus In der römischen Mythologie ein riesenhafter mörderischer Räuber. ( Anm.d.Hrsg.).
Item, jeder gute Dichter, wenn er auch kein heroisches Gedicht verfaßt, noch große Werke auf den Schauplatz der Welt gebracht hat, soll durch ein jedes dieser Art, wenn es auch nicht viele sind, den Namen der göttliche erlangen können, wie Garcilaso von la Vega Garcilaso de la Vega (1498/1503-1536), spanischer Renaissance-Dichter, der die Lyrik seines Landes so nachhaltig prägte, dass er bisweilen als der Begründer der neuzeitlichen Dichtung in Spanien oder als »Dichterfürst spanischer Sprache« angesehen wird. ( Anm.d.Hrsg.), Francisco von Figueroa Francisco de Figueroa (1530-1588), spanischer Dichter des Goldenen Zeitalters; sein Freund Miguel de Cervantes nahm ihn als Charakter in seinen Roman ›La Galatea‹ auf. ( Anm.d.Hrsg.) und Fernando von Herrera Fernando de Herrera, genannt el divino – ›der Göttliche‹ (um 1534- 1597), einer der bedeutendsten spanischen Lyriker; von seinem Leben ist nicht viel bekannt. ( Anm.d.Hrsg.).
Item wird gerathen, wenn ein Dichter von einem Fürsten begünstigt wird, so soll er ihn nicht oft besuchen, noch um etwas bitten, sondern sich gänzlich dem Strome seines Schicksals überlassen: denn der, dessen Vorsehung die Würmer in der Erde und die Muschelthierchen im Wasser erhält, wird auch einen Dichter zu ernähren im Stande sein, und wenn er auch noch so ein armer Wurm ist.
Dieß waren im Ganzen die Freiheiten, Verordnungen und Befehle, welche mir Apollo überschickte und der Herr Pancracio von Roncesvalles brachte, mit welchem ich ein enges Freundschaftsbündnis schloß. Wir beide aber kamen darin überein, einen besondern Boten mit unserer Antwort und mit Neuigkeiten aus der Residenz an den Herrn Apollo abzufertigen. Wir werden den Tag näher bekannt machen, an welchem der Bote abgeht, damit ihm alle seine Anhänger zugleich schreiben können.