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Cipion.
Freund Berganza, lassen wir heute Nacht das Hospital unter der Obhut des Vertrauens und ziehen uns zurück in diese Einsamkeit und zwischen diese Schilfmatten, wo wir, ohne gehört zu werden, uns die unerhörte Gnade zu Nutz machen können, welche der Himmel uns beiden zugleich verliehen hat.
Berganza.
Bruder Cipion, ich höre dich sprechen und weiß daß ich mit dir spreche, und kann es doch nicht glauben, denn es kommt mir vor, wenn wir sprechen, überschreiten wir die Grenzmarken der Natur.
Cipion.
Das ist wahr, Berganza, und das Wunder wird dadurch noch größer, daß wir nicht nur sprechen, sondern einander Red und Antwort geben, wie wenn wir vernünftige Wesen wären, da wir doch keine Vernunft besitzen; denn das ist ja gerade der Unterschied zwischen dem Thier und dem Menschen, daß der Mensch ein vernünftiges Wesen und das Thier ein unvernünftiges ist.
Berganza.
Alles, was du sprichst, Cipion, verstehe ich; und daß du es sagst und daß ich es verstehe, erregt mir immer neue Bewunderung und neues Staunen; indessen ist es doch wahr, daß ich im Verlauf meines Lebens oft und verschiedentlich gehört habe, daß wir große Vorrechte genießen; und dieß ging so weit, daß es scheint, es wollen einige bemerkt haben, daß wir einen natürlichen Instinct besitzen, der in vielen Dingen so lebendig und so scharf sich äußere, daß daraus auf das Bestimmteste und Klarste abzunehmen sei, es fehle nicht viel, so könne man von uns beweisen, wir haben ein gewisses Etwas, das wie Verstand aussehe und fähig sei Vernunftschlüsse zu ziehen.
Cipion.
Was ich an uns habe loben und besonders hoch anschlagen hören, ist unser gutes Gedächtniß, unsere Dankbarkeit und unverbrüchliche Treue, so daß man uns als Symbol der Freundschaft zu malen pflegt. Auch wirst du schon gesehen haben, wenn du je darauf aufmerksam gewesen bist, daß auf Grabsteinen von Alabaster, wo gewöhnlich die Bilder der Beerdigten ausgehauen sind, wenn dieß Mann und Frau ist, beiden unter die Füße ein Hund eingehauen wird, zum Zeichen, daß sie im Leben gegen einander unverletzliche Freundschaft und Treue bewiesen haben.
Berganza.
Ich weiß wohl, daß es Hunde gegeben hat, welche so dankbar gewesen sind, daß sie sich mit den Leichen ihrer Herren zugleich ins Grab gestürzt haben; andere haben sich auf die Gräber ihrer Herren gelegt, ohne sich davon zu entfernen und ohne Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie selbst das Leben darüber verloren haben. Auch weiß ich, daß nächst dem Elephanten der Hund am meisten den Anschein bat, als ob er Verstand besäße; hierauf kommt gleich das Pferd und zuletzt der Affe.
Cipion.
So ist es. Du wirst aber wohl zugeben, daß du nie gesehen oder gehört hast, daß irgend ein Elephant, Hund, Pferd oder Affe gesprochen habe; und hieraus ersehe ich, daß unser so unerwartet eingetretenes Sprachvermögen zur Zahl jener Dinge gehört, die man Wunderzeichen nennt, und welche, wenn sie sich zeigen und erscheinen, wie es die Erfahrung bestätigt hat, dem Menschengeschlecht mit irgend einem großen Unglück drohen.
Berganza.
Sonach werde ich ohne Umstände auch das für ein Zeichen böser Vorbedeutung nehmen, was ich früher einmal von einem Studenten hörte, wie ich durch Alcala von Henares gieng.
Cipion.
Was hast du von ihm gehört?
Berganza.
Daß von fünftausend Studenten, die dasselbe Jahr die Universität besuchten, zweitausend der Arzneikunde sich beflissen.
Cipion.
Nun was folgerst du daraus?
Berganza.
Ich folgere, daß diese zweitausend Aerzte entweder Kranke zu behandeln haben, und das wäre ein großes Unglück und Mißgeschick, oder daß sie selbst Hungers sterben müssen.
Cipion.
Doch dem sei wie ihm wolle! Wir sprechen, sei es nun von böser Vorbedeutung oder nicht; denn was der Himmel bestimmt hat, daß es sich ereignen solle, das kann keine menschliche Vorsicht oder Klugheit abwenden. Wir brauchen darum auch nicht weiter mit einander darüber zu streiten, wie oder warum wir sprechen. Besser ists, wir machen Gebrauch von diesem guten Tage oder dieser guten Nacht; und da wir uns auf diesen Matten so wohl befinden und nicht wissen, wie lange dieses unser Glück dauern wird, so wollen wir es doch wenigstens zu benutzen wissen und diese ganze Nacht plaudern, ohne uns von dem Schlaf dieses Vergnügen stören zu lassen, nach welchem ich mich schon so lange gesehnt habe.
Berganza.
Und ich gleichfalls; denn seit ich die Kraft habe, einen Knochen abzunagen, hatte ich Lust zu sprechen, um Dinge zu sagen, die ich in meinem Gedächtnisse niedergelegt, und die aus Alter oder wegen ihrer Menge verrosteten oder mir entfielen. Jetzt aber, da ich ohne daran zu denken mich mit dem göttlichen Geschenke der Sprache begabt sehe, gedenke ich mich desselben zu erfreuen und es zu benützen so gut ich kann, indem ich mich beeile, alles zu sagen, was mir in den Kopf kommt, wäre es auch etwas bunt und verwirrt durcheinander; denn ich weiß nicht, wann man mir dieses Gut wieder abfordern wird, das mir nur geliehen ist.
Cipion.
Ich will dir sagen, Freund Berganza, wie wir es anfangen. Heute Nacht erzählst du mir dein Leben und was du alles durchgemacht hast, bis du die Stufe erreicht hast, auf welcher du dich jetzt befindest; und wenn wir morgen Nacht noch sprechen können, so will ich dir das meinige erzählen; denn es ist besser, man wendet seine Zeit dazu an, sein eigenes Leben zu erzählen, als zu dem Bestreben, ein fremdes kennen zu lernen.
Berganza.
Immer, Cipion, habe ich dich für einen klugen und freundlich gesinnten Gesellen gehalten, jetzt aber mehr als je, weil du als ein treuer Freund mir deine Schicksale erzählen und die meinigen hören willst, und mit klugem Sinn die Zeit, wo wir dieß ausführen können, vertheilt hast. Aber sieh doch vorher zu, ob uns niemand hört!
Cipion.
Niemand, wie ich glaube; freilich ist hier ein Soldat, der Schwitzbäder nimmt; allein zu dieser Stunde wird er eher schlafen, als irgend jemand zuhören wollen.
Berganza.
Gut; wenn ich mit dieser Sicherheit sprechen kann, so höre zu! Sobald dir aber meine Erzählung lange Weile verursacht, so tadle mich darüber oder gebiete mir Schweigen!
Cipion.
Rede bis der Tag kommt, oder bis uns jemand sprechen hört! Ich will dir recht gern zuhören, ohne dich zu unterbrechen, außer wenn es mir nöthig scheint, etwas dazwischen reden.
Berganza.
Mir scheint, das erstemal, als ich die Sonne erblickte, war es in Sevilla, und zwar im Schlachthause, welches vor dem Fleischthore steht: daher könnte ich mir einbilden, wenn nicht das wäre, was ich nachher sagen werde, daß meine Eltern Hetzhunde gewesen sind und zwar von der Rasse, welche von jenen schmutzigen Leuten aufgezogen werden, die man Metzgerknechte nennt. Der erste, den ich als meinen Herrn erkannte, hieß Nicolas mit der Stumpfnase, ein rüstiger, untersetzter und jähzorniger Bursche, wie es alle diejenigen sind, welche das Fleischerhandwerk treiben. Dieser Nicolas lehrte mich und noch andere junge Hunde, wie wir in Gesellschaft alter Bullenbeißer die Stiere anfallen und bei den Ohren fassen sollten, und bald wurde ich ein wahrer Adler, mit solcher Leichtigkeit lernte ich dieß ausführen.
Cipion.
Darüber wundere ich mich nicht, Berganza, denn weil das Böse von selbst keimt, lernt man es auch leicht ausüben.
Berganza.
Was soll ich dir aber nun, Bruder Cipion, von dem sagen, was ich in jenem Schlachthause sah, und von den erschrecklichen Dingen, welche dort vorgehen? Zuerst mußt du annehmen, daß alle, welche dort arbeiten, vom kleinsten bis zum größten fühllose Leute von weitem Gewissen sind und weder den König noch seine Obrigkeit fürchten. Die meisten haben Buhldirnen und sind fleischfressende Raubvögel, welche sich und ihre Freundinnen von ihrem Diebstahl ernähren.
Alle Morgen, wenn Fleischtage sind, finden sich, schon ehe es Tag wird, im Schlachthanse eine große Menge von Mädchen und Burschen ein, welche alle leere Säcke mitbringen, dieselben aber voll von Stücken Fleisch wieder wegnehmen; die Mägde bekommen die Hoden und oft halbe Lenden. Es wird kein Stück Vieh geschlachtet, wovon diese Leute nicht ihren Zehenden und ihre Erstlinge aus dem Schmackhaftesten und Besten wegtrügen, und da in Sevilla keine Fleischsteuer entrichtet wird, so kann ein jeder hinbringen, was er will; und was zuerst geschlachtet wird, ist entweder das beste oder das wohlfeilste; bei dieser Anordnung ist auch immer großer Ueberfluß vorhanden.
Die Eigenthümer geben diesem saubern Gesindel, von dem ich erzählt habe, gute Worte, nicht etwa, daß sie das Stehlen ganz unterlassen sollen, denn das ist unmöglich, sondern damit sie sich etwas mäßigen im Beschnitzeln und Zerfetzen des geschlachteten Viehs, denn sie beschneiden es und putzen es aus, als wenn es Weiden oder Weinstöcke wären.
Aber nichts hat mich mehr Wunder genommen, und mir mehr mißfallen, als wenn ich sah, daß diese Fleischer eben so kaltblütig einen Menschen wie eine Kuh abstechen. Sie stoßen einem meiner Treu mir nichts dir nichts das Schlachtmesser in den Leib, als wenn sie einen Stier abschlachteten. Es ist ein Wunder, wenn es einen Tag ohne Händel und Blutvergießen abgeht, und zuweilen fällt auch Mord und Todschlag vor.
Alle thun sich auf ihre Tapferkeit etwas zu gut, und verstehen sich auf die Kuppelei. Es gibt keinen unter ihnen, der nicht seinen Schutzengel Diener der Gerechtigkeit. ( Anm.d.Hrsg.) auf dem Platz San Francisco hätte, der durch Lendenbraten und Ochsenzungen gewonnen ist. Kurz ich hörte einen verständigen Mann sagen, der König habe noch drei Dinge in Sevilla zu erobern, die Jagdstraße, die Costanilla Stadtviertel mit zweifelhafter Bevölkerung. ( Anm.d.Hrsg.) und das Schlachthaus.
Cipion.
Wenn du bei der Charakterschilderung deiner Herren und bei dem Bericht über die Fehler ihrer Berufsarten dich immer so lang aufhältst, so werden wir den Himmel bitten müssen, uns die Redefähigkeit wenigstens auf ein Jahr zu verleihen; ja ich fürchte, du möchtest bei dem Schritte, den du einschlägst, nicht zur Hälfte mit deiner Geschichte fertig werden.
Ich will dich auf einen Punkt aufmerksam machen, den du erfahren wirst, wenn ich dir die Begebnisse meines Lebens erzähle; es gibt nämlich Erzählungen, welche ihre Anmuth in sich selbst haben und einschließen, bei andern besteht sie in der Art der Darstellung; d. h. es gibt manche, die Vergnügen machen, wenn sie auch ohne lange Einleitung und ohne Wortschmuck vorgetragen werden, andere dagegen muß man mit Worten bekleiden, mit dem Mienenspiel des Gesichts, der Bewegung der Hände, Veränderung der Stimme, wo dann aus nichts etwas wird und aus einem Faden kraftlosen Stoffes etwas Anmuthiges und Geschmackvolles! Vergiß nicht diesen Wink, um ihn für den Rest deiner Erzählung dir zu Nutze zu machen.
Berganza.
Ich will womöglich diese Regel befolgen, vorausgesetzt, daß das große Vergnügen, welches ich am Sprechen finde, mich nicht in Versuchung führt. Ich glaube aber, es wird mir sehr schwer fallen, mich in gehörigen Schranken zu halten.
Cipion.
Halte deine Zunge im Zaum, denn sie ist die Anstifterin des größten Unglücks im menschlichen Leben.
Berganza.
Um fortzufahren, sage ich nun, daß mein Herr mich lehrte, einen Korb im Munde zu tragen und ihn gegen jedermann zu vertheidigen, der mir ihn nehmen wollte. Zugleich zeigte er mir das Haus seiner Geliebten, wodurch es überflüssig wurde, daß ihr Dienstmädchen nach dem Schlachthaus kam, denn ich brachte ihr mit Tagesanbruch alles, was er die Nacht über gestohlen hatte.
Eines Tags, als ich gerade mit der Morgendämmerung mit großer Vorsicht ihre Porzion trug, hörte ich aus einem Fenster nach meinem Namen rufen; ich blickte empor und sah ein Mädchen, das außerordentlich schön war. Da blieb ich ein wenig stehen und sie kam an die Hausthüre herunter und rief mich wieder beim Namen. Ich trat auf sie zu, als wollte ich sehen, was sie von mir begehre. Dieß war nun nichts anders, als daß sie mir das Fleisch, das sie im Korbe hatte, nahm und statt dessen einen alten Pantoffel hineinsteckte, worüber ich bei mir selbst dachte: Das Fleisch ist eben zum Fleische gegangen.
Das Mädchen aber sagte zu mir, indem sie mir das Fleisch genommen hatte: Geht, Gavilan, oder wie ihr heißen mögt, und sagt dem Nicolas mit der Stumpfnase eurem Herrn, er solle sich nicht auf Thiere verlassen. Uebrigens vom Wolfe das Fell und dieß aus dem Korbe!
Ich hätte es ihr freilich wieder abnehmen können, was sie mir genommen hatte, aber ich mochte nicht, um nicht mit meiner schmutzigen Fleischerschnauze ihre reinen weißen Hände zu berühren.
Cipion.
Daran thatest du sehr wohl, denn es ist ein Vorrecht der Schönheit, daß man sie immer achten muß.
Berganza.
Das that ich auch und kehrte deßhalb ohne das Fleisch und mit dem Pantoffel zu meinem Herrn zurück. Diesem schien es, ich komme sehr bald zurück; er erblickte den Ueberschuh, stellte sich sogleich den Possen vor, den man ihn gespielt hatte, zog ein Messer und führte einen Stich nach mir, daß du, wenn ich nicht auf die Seite gesprungen wäre, weder diese Geschichte hören würdest, noch viele andere, die ich dir noch zu erzählen gedenke. Ich ergriff die Flucht, nahm den Weg unter die Füße und unter die Hände, eilte hinter San Bernardo ins freie Feld und gieng nun, wohin das Schicksal mich führen wollte.
Ich schlief selbige Nacht unter freiem Himmel, den andern Tag aber führte mir das Schicksal einen Schlachthaufen oder eine Heerde Schaafe und Hämmel entgegen. So wie ich sie erblickte, glaubte ich hierin den Mittelpunkt der Ruhe gefunden zu haben, denn ich hielt es für ein den Hunden eigenthümliches angeborenes Geschäft, Heerden zu bewachen, indem es eine Obliegenheit ist, die eine große Tugend in sich enthält, die Demüthigen und Unmächtigen gegen Gewaltige und Uebermüthige zu schützen und zu vertheidigen. Kaum hatte mich einer von den drei Hirten, welche bei der Heerde waren, erblickt, als er mich rief und sagte: Toto!
Und da ich das eben wünschte, näherte ich mich ihm mit gesenktem Haupte und wedelndem Schwanze. Er streichelte mir den Rücken, öffnete mir den Rachen, spuckte hinein, nahm die Spitzzähne in Augenschein, sah wie alt ich war, und sagte zu dem andern Hirten, ich habe alle Merkmale eines Hunds von guter Art an mir. In diesem Augenblick kam der Herr der Heerde auf einer grauen Stute mit kurzen Steigbügeln und mit Lanze und Tartsche, so daß er eher ein Küstenbewahrer als der Besitzer einer Heerde zu sein schien.
Was ist das für ein Hund? fragte er den Hirten. Dem Anschein nach ist er gut.
Das könnt ihr glauben, Herr, antwortete der Hirt, denn ich habe ihn genau untersucht, und alle Kennzeichen, die ich an ihm finde, lassen erwarten, daß er ein trefflicher Hund werden wird. Er ist eben jetzt zugelaufen, und ich weiß nicht, wem er gehört, wohl aber weiß ich, daß er zu keiner Heerde hier in der Nähe gehört.
Wenn dem so ist, antwortete der Herr, so lege ihm sogleich das Halsband des Löwchens um, des Hundes, der kürzlich verreckt ist, und füttere ihn wie die andern Hunde und halte ihn aufs Beste, damit er Anhänglichkeit zur Heerde bekomme und von nun an dabei bleibe.
Hierauf entfernte er sich und der Hirt legte mir sogleich ein stachelichtes Halsband um, nachdem er mir zuvor in einem Troge eine tüchtige Masse Milchschlampe vorgeschüttet hatte. Zugleich gab er mir einen Namen und hieß mich Barcino. Ich war ganz zufrieden mit meinem zweiten Herrn und meinem neuen Berufe. Ich zeigte mich bekümmert D. h. »eifrig«: ich ›kümmerte‹ mich. ( Anm.d.Hrsg.) und sorgfältig in der Hut meiner Heerde, ohne mich von ihr zu entfernen, außer in den Mittagsstunden, die ich allein entweder unter dem Schatten eines Baumes oder eines Abhangs oder Felsen oder eines Gesträuchs oder am Rande eines der vielen Bäche zubrachte, welche dort floßen.
Aber auch diese Stunden der Rast brachte ich nicht müßig hin, denn ich beschäftigte in demselben mein Gedächtniß mit der Rückerinnerung an viele Dinge, namentlich aus meinem Leben im Schlachthaus und aus dem Leben, das mein Herr und alle diejenigen führen, die wie er die unziemlichen Launen ihrer Freundinnen erfüllen müssen. O wie Vieles könnte ich dir jetzt erzählen, was ich in der Schule jener Fleischerin, der Dame meines Herrn, gelernt habe! Aber es ist besser, ich verschweige es, daß du mich nicht für einen Schwätzer oder Lästerer hältst.
Cipion.
Ich habe sagen hören, daß ein großer Dichter des Alterthums den Ausspruch gethan habe, es sei eine schwierige Sache keine Satiren zu schreiben, und deßhalb gebe ich zu, daß du ein bischen schimpfen kannst, aber nur für den äußern Glanz und nicht bis aufs Blut. Ich will damit sagen, du sollst die Sachen bezeichnen, aber nicht verwunden und bei der bezeichneten Sache niemand todtschlagen; denn das Lästern taugt nichts, wenn es auch viel Lachen erregt; wenn du jedoch ohne dieß dich ergötzen kannst, so werde ich dich für sehr weise halten.
Berganza.
Ich will deinen Rath befolgen und erwarte mit großem Verlangen die Zeit, wo du mir deine Abenteuer erzählen wirst; denn von einem, der so gut die Fehler, die ich in Erzählung der meinen begehe, zu beurtheilen und zu verbessern weiß, läßt sich wohl erwarten, er werde seine eigene Geschichte auf eine Weise vortragen, daß sie zugleich ergetzt und unterrichtet.
Indem ich nun aber den abgerissenen Faden meiner Erzählung wieder aufnehme, bemerke ich, daß ich in der Stille und Einsamkeit meiner Mittagsstunden unter andern Dingen die Bemerkung machte, das, was ich früher von dem Leben der Hirten habe erzählen hören, könne nicht wahr sein, wenigstens das nicht, was die Dame meines Herrn in einigen Büchern las, wenn ich in ihr Haus kam; denn alle handeln von Hirten und Hirtinnen, von welchen es heißt, sie bringen ihr ganzes Leben mit Gesang und Musik zu, indem sie auf Sackpfeifen, Schalmeien, Querflöten blasen und Stockgeigen nebst andern außergewöhnlichen Instrumenten spielen.
Oft hörte ich ihrer Lektüre zu und da kam, wie der Hirte Anfriso trefflich, ja göttlich das Lob der unvergleichlichen Belisarda sang und wie auf allen Bergen Arkadiens nicht ein Baum gewesen sei, in dessen Schatten er sich nicht gesetzt habe, um zu singen, von dem Augenblicke an, da die Sonne sich den Armen Auroras entwand, um in die der Thetis zu sinken. Ja selbst nachdem die schwarze Nacht über das Angesicht der Erde ihre düstern dunkeln Flügel breitete, hielt er nicht ein, seine Klagen zu singen oder noch besser zu weinen.
Sie vergaß auch nicht den Schäfer Elicio, der mehr verliebt als verwegen war, und von welchem man behauptet, daß er weder auf seine Liebschaften noch auf seine Heerden achtete, und sich nur um fremde Angelegenheiten bekümmerte. Ferner sagte sie, der berühmte Schäfer Filidas, sei mehr vermessen als glücklich gewesen. Von den Ohnmachten Sirenos und der Reue Dianas sagte sie, sie danke Gott und der weisen Felicia, die mit ihrem verzauberten Wasser alle diese Verwirrungen gelöst und dieses Labyrinth von Schwierigkeiten erhellt habe. Cervantes spielt hier auf Figuren und Begebnisse in dem Schäferroman »Los siete libros de la Diana« (1559) von Jorge de Montemayor an. ( Anm.d.Hrsg.) Ich erinnerte mich noch vieler anderer Bücher dieser Art, die ich sie hatte lesen hören, allein sie waren nicht werth, sie im Gedächtniß zu behalten.
Cipion.
Du benützest meinen Rath, Berganza. Spotte, stichle, tadle, doch sei deine Absicht rein, wenn auch deine Zunge es nicht zu sein scheint!
Berganza.
In diesen Dingen strauchelt die Zunge nie, wenn nicht zuvor die Absicht zu Falle kommt. Sollte ich jedoch entweder absichtslos oder mit Willen spotten, so würde ich dem, der mich darüber zu Rede stellte, das antworten, was Mauleon, der närrische Dichter und lustiges Mitglied der Akademie der Nachahmer, einem zur Antwort gab, der ihn fragte, was deum de deo heiße. Er versetzte: Der Donner das! Im span. Original: »Dé donde diere«: ›Es treffe, wen es wolle.‹ ( Anm.d.Hrsg.)
Cipion.
Das war die Antwort eines Narren; doch wenn du klug bist oder sein willst, so darfst du nie etwas sagen, was einer Entschuldigung bedarf. Fahre fort!
Berganza.
Zu allen diesen angeführten und noch andern Betrachtungen also fand ich mich veranlaßt durch das verschiedene Thun und Treiben meiner Schäfer und aller andern an jener Küste; denn wenn die meinigen sangen, so waren es nicht wohltönende und künstlich gedichtete Lieder sondern etwa
Hab Acht auf den Wolf!
oder
Wohin geht Juanica?
oder dergleichen Dinge, und zwar nicht etwa unter der Begleitung von Schalmeien, Zithern oder Flöten, sondern bei dem Ton, den ein paar Schäferstäbe aneinander hervorbrachten, oder zu ein paar Scherben, die sie zwischen die Finger nahmen. Auch wurden sie nicht von sanften wohlklingenden und bewundernswürdigen Stimmen gesungen, sondern von rauhen, die einzeln oder zusammen nicht zu singen, sondern zu kreischen oder zu grunzen schienen.
Den größten Theil des Tags brachten sie damit zu, sich die Flöhe zu fangen oder ihre groben Schuhe zu flicken. Man hörte unter ihnen nicht die Namen Amarilis, Filida, Galatea und Diana, auch gab es keinen Lisardo, Lauso, Jacinto noch Riselo, sondern es waren lauter Anton Domingo Pablo und Llorente. Daraus merkte ich, was wohl alle glauben werden, daß alle diese Bücher lauter erträumte aber schön geschriebene Dinge enthalten zum Zeitvertreib für müßige Leute, dagegen keine wahre Wirklichkeit. Denn sonst wäre doch unter meinen Schäfern wenigstens noch irgend ein Rest jenes glückseligen Lebens zu sehen gewesen, noch etwas von jenen anmuthigen Wiesen, geräumigen Wäldern, heiligen Bergen, schönen Gärten, klaren Bächen und krystallnen Quellen, etwas von jenen eben so sittsamen als wohlgesetzten Liebeserklärungen, von jenem Ohnmächtigwerden bald dieses Schäfers, bald jener Schäferin, und hier von dem Laute des Dudelsacks, dort von dem einer Schalmei.
Cipion.
Genug, Berganza, kehre zu deinem Thema zurück und schreite auf deinem Wege fort!
Berganza.
Ich danke dir, Freund Cipion! denn wenn du mich nicht aufmerksam darauf gemacht hättest, so hätte ich mir die Zunge so in die Hitze geschwatzt, daß ich gar nicht fertig geworden wäre, bis ich dir ein ganzes Buch abgeschildert hätte von denen, die mich so sehr betrogen. Allein es wird eine Zeit kommen, in der ich dieß alles auf bessere Weise aussprechen und in besserem Zusammenhange vortragen werde, als jetzt.
Cipion.
Schau auf deine Füße und du wirst dein Pfauenrad bald zusammenlegen, Berganza! Ich will damit sagen, du sollst nur immer daran denken, daß du ein Thier bist, das keine Vernunft hat; und wenn du jetzt auch beweisest, daß du einige besitzest, so haben wir schon beide gefunden, daß dieß eine übernatürliche und unerhörte Sache ist.
Berganza.
Dem wäre also, wenn ich noch in meiner früheren Unwissenheit verharrte. Aber nun, da mir Dinge ins Gedächtniß kommen, die ich dir am Anfang unseres Gesprächs eigentlich hätte sagen sollen, wundere ich mich nicht nur nicht darüber, daß ich spreche, sondern noch weit mehr darüber wie ich es oft unterlassen kann zu sprechen.
Cipion.
Wohlan kannst du jetzt nicht alles das sagen, dessen du dich erinnerst?
Berganza.
Es ist eine Geschichte, welche mir mit einer großen Hexenmeisterin, einer Schülerin der Camacha von Montilla begegnet ist.
Cipion.
Nun so erzähle sie mir doch, ehe du in der Erzählung deines Lebens weiter gehst!
Berganza.
Das werde ich gewiß nicht eher thun, als zu seiner Zeit. Habe Geduld und höre meine Begebenheiten nach der Ordnung, denn so werden sie dir mehr Vergnügen machen, wenn dich nicht etwa der Wunsch plagt, das Mittel eher zu erfahren als den Anfang.
Cipion.
Fasse dich kurz und erzähle, was du willst und wie du willst!
Berganza.
Gut also! Ich befand mich wohl in meinem Berufe, die Heerde zu bewachen, da ich überzeugt war, daß ich mein Brod auf diese Art im Schweiße meines Angesichts esse und der Müßiggang, die Wurzel und Mutter aller Laster, keine Gewalt über mich hatte; denn wenn ich mich auch am Tage pflegte, so konnte ich doch die Nacht nicht schlafen, indem die Wölfe uns beständig überfielen und zur Gegenwehr riefen. Kaum hatten die Hirten zu mir gesagt: Der Wolf, Barcino! so war ich der erste von allen Hunden und sprang nach der Seite zu, an der sie mir anzeigten, daß der Wolf sich befinde. Ich durchlief die Thäler, erklomm die Berge, durchstreifte die Wälder, sprang über Gräben, hüpfte über Wege, und kam am Morgen, ohne einen Wolf oder auch nur eine Spur von einem gesehen zu haben, zur Heerde zurück, keuchend, ermattet, von Dornen zerrissen und mit wunden Füßen, und fand bei der Heerde ein todtes Schaf oder einen vom Wolf erwürgten und halb gefressenen Hammel. Ich wollte von Sinnen kommen wenn ich sah, daß meine Sorgfalt und Wachsamkeit so wenig half. Der Herr der Heerde kam, die Schäfer giengen ihm mit dem Fell des erwürgten Stücks entgegen, er schalt die Nachläßigkeit der Hirten und befahl die Hunde für ihre Faulheit abzustrafen. Es regnete Prügel auf uns und Vorwürfe auf jene.
Wie ich nun auch eines Tags unschuldigerweise gezüchtigt ward und sah, daß meine Wachsamkeit, Schnelligkeit und Unerschrockenheit nichts fruchtete, um den Wolf zu erhaschen, so beschloß ich einen andern Weg einzuschlagen, und ihn nicht mehr so weit von der Heerde aufzusuchen, wie ich es bisher gethan hatte, sondern in der Nähe zu bleiben, weil der Wolf auch immer hierher kam und also hier auch am sichersten zu fangen sein mochte.
Jede Woche hetzte man uns einmal, doch in einer stockfinstern Nacht sah ich noch genug, um Wölfe zu entdecken, gegen welche es unmöglich war, die Heerde zu schützen. Ich duckte mich hinter einen Strauch, die andern Hunde, meine Kameraden liefen vorbei und von meiner Lauer aus beobachtete ich, wie zwei Schäfer einen der besten Hammel von der Heerde packten und dergestalt umbrachten, daß man am andern Morgen wirklich glaubte, der Wolf sei sein Henker gewesen.
Ich war betreten und erstaunt zu sehen, daß die Schäfer selbst die Wölfe waren und daß die, welche die Heerden hüten sollten, sie zu Grunde richteten. Sie machten sogleich ihrem Herrn die Anzeige von dem Raube des Wolfs, übergaben ihm das Fell und einen Theil des Fleisches, den größern und bessern aber aßen sie selbst. Der Herr schalt sie von Neuem und die Bestrafung der Hunde begann ebenfalls von Neuem. Wölfe waren keine da und doch verminderte sich die Heerde. Gern hätte ich den Betrug entdeckt, aber ich war stumm. Dieß alles erfüllte mich mit Staunen und Aerger.
Gott steh mir bei, sagte ich bei mir selber, wer kann dieser Schlechtigkeit abhelfen? Wer hat die Macht, zu zeigen, daß die Vertheidiger angreifen, die Wachen schlafen, das Vertrauen raubt D. h. dass man das geschenkte Vertrauen zum Stehlen missbraucht. ( Anm.d.Hrsg.) und der, der euch hütet, euch umbringt?
Cipion.
Und du hast wohl gesprochen; denn es gibt keinen größern und verschlagenern Dieb als den Hausdieb, und darum sterben viel mehr der Vertrauenden als der Vorsichtigen; aber das Schlimme ist, daß die Leute auf der Welt unmöglich ohne Trauen und Vertrauen auskommen können. Doch lassen wir dieß bei Seite! denn es wäre nicht schön, wenn wir uns wie Prediger ausnähmen. Mach fort!
Berganza.
Ich mache fort und sage, daß ich beschloß, dieses Handwerk zu verlassen, ob es gleich seine recht guten Seiten hatte, und ein anderes zu wählen, bei welchem ich in Erfüllung meiner Pflicht, sollte ich auch keine besondere Belohnung erhalten, doch nicht gezüchtigt würde. Daher ging ich nach Sevilla zurück und trat bei einem sehr reichen Kaufmann in Dienste.
Cipion.
Wie hast du es denn angefangen, um wieder einen Herrn zu bekommen? Denn nach dem gewöhnlichen Weltlauf ist es heutzutage sehr schwierig, einen Dienst bei einem ordentlichen Herrn zu erhalten. Die Herren der Erde sind sehr verschieden von dem Herrn des Himmels. Wenn diese einen Diener anstellen wollen, so untersuchen sie vorher seinen Stammbaum, prüfen seine Fähigkeit, sehen auf seinen Anstand und wollen sogar wissen, was für Kleider er hat. Um aber in den Dienst Gottes zu treten ist der ärmste der reichste, der demüthigste der vornehmste, und wer nur mit Reinheit des Herzens in seinen Dienst treten will, den läßt er sogleich in das Buch seiner Diener einzeichnen und weist ihm einen so herrlichen Sold zu, daß er in seiner Menge und Größe alle seine Wünsche übertreffen muß.
Berganza.
Das alles aber heißt predigen, Freund Cipion.
Cipion.
So kommt es mir auch vor, und darum schweige ich.
Berganza.
Du fragtest mich, auf welche Art ich zu einem Herrn gekommen sei, Nun du weißt ja wohl, daß Demuth die Base und die Grundlage aller Tugenden ist und daß keine derselben ohne sie bestehen kann; sie überwindet Hindernisse, besiegt Schwierigkeiten und ist ein Mittel, welches uns immer zu einem rühmlichen Ziele führt. Aus Feinden macht sie Freunde, besänftigt die Wuth der Erzürnten, verringert den Hochmuth der Stolzen, ist die Mutter der Bescheidenheit und die Schwester der Mäßigung. Kurz das Laster kann sich keines erklecklichen Sieges über sie rühmen, denn an ihrer Sanftmuth und Güte stumpfen die Pfeile der Sünde sich ab und verlieren ihre Spitze.
Diese Tugend nun wendete ich an, wenn ich in irgend einem Hause in Dienste gehen wollte, und wenn ich vorher bedacht und sehr genau untersucht hatte, ob es auch ein Haus sei, welches einen großen Hund erhalten und wo derselbe ein Unterkommen finden könne, legte ich mich sogleich an die Thüre; gieng dann jemand hinein, der mir fremd darin zu sein schien, so bellte ich ihn an; wenn aber der Herr kam, beugte ich den Kopf nieder, wedelte mit dem Schwanze, gieng auf ihn zu und leckte ihm die Füße. Jagte man mich mit Prügeln fort, so duldete ich es, und schmeichelte dem von Neuem, der mich geschlagen hatte, mit derselben Sanftmuth, und das brauchte ich nie zum zweitenmal zu thun, da man meine Beharrlichkeit und meine Gutmüthigkeit sah.
Auf diese Art kam ich bei dem dritten Versuche immer in das Haus, ich diente ehrlich, man gewann mich bald lieb und niemand schickte mich fort, wenn ich nicht selbst meinen Abschied nahm oder besser gesagt heimlich entwich; und ich habe manchen Herrn gefunden, bei welchem ich heute noch sein würde, wenn mein widriges Schicksal mich nicht verfolgt hätte.
Cipion.
Auf dieselbe Weise, wie du erzählt hast, bin ich auch bei meinen Herren angekommen, und es scheint, als haben wir gegenseitig unsere Gedanken gelesen.
Berganza.
So haben wir auch, wenn ich nicht irre, uns in andern Dingen begegnet, wie ich dir seiner Zeit meinem Versprechen gemäß sagen will. Jetzt höre, was mir geschah, nachdem ich die Heerde in den Händen jener Schurken gelassen.
Ich kehrte, wie gesagt, nach Sevilla zurück, das den Armen Schutz und den Verstoßenen Zuflucht gewährt, und das bei seiner Größe nicht blos Raum für die Kleinen hat, sondern auch die Großen nicht bemerkt werden läßt. Ich legte mich an die Thüre eines großen Kaufmannshauses, wandte meine gewöhnlichen Künste an und kam bald daselbst in Dienste. Man nahm mich auf, um mich hinter der Thüre zu behalten, bei Tag an der Kette, bei Nacht losgebunden; ich versah meinen Dienst sehr treu und ordentlich, bellte die Fremden an und knurrte bei solchen, die nicht sehr bekannt waren. Des Nachts schlief ich nicht, sondern durchsuchte die Höfe, stieg auf die Terrassen und bewachte nicht blos mein Haus sondern auch die ganze Nachbarschaft.
Mein Herr war so zufrieden mit meinen guten Diensten, daß er befahl, mich gut zu behandeln und mir eine Porzion Brod und Knochen zu geben, die von seinem Tische abgetragen oder weggeworfen werden, nebst den Ueberbleibseln der Küche. Ich bezeugte dafür meinen Dank, indem ich unzählige Sprünge machte, so oft ich meinen Herrn sah, besonders wenn er von auswärts kam, und die Freudenäußerungen, die ich that, waren so groß, meiner Sprünge so viele, daß mein Herr befahl, mich loszubinden und mich bei Tag und bei Nacht frei umhergehen zu lassen.
So wie ich mich in Freiheit sah, lief ich zu ihm, sprang um ihn her, ohne jedoch zu wagen, ihm mit meinen Pfoten zu nahe zu kommen, indem ich mich der Fabel des Aesop erinnerte, wo jener Esel in seiner Dummheit seinem Herrn dieselben Liebkosungen machen wollte, wie eine Lieblingshündin von ihm, was ihm eine Tracht Prügel zuzog. Es schien mir, in dieser Fabel sei die Lehre für uns enthalten, daß, was bei dem einen anmuthig und artig scheint, einem andern nicht wohl ansteht. Der Gaukler mag spotten, der Possenreißer mit den Händen spielen und sich drehen, der Schalk yanen D. h. wie ein Esel »I-A« schreien. ( Anm.d.Hrsg.), der Tagdieb, der es gelernt hat, den Gesang der Vögel nachahmen und die verschiedenen Geberden und Handlungen der Thiere und Menschen; aber ein Mann von Bedeutung soll nicht das gleiche thun, dem eine solche Fertigkeit weder Gewicht noch ehrenvollen Namen machen kann.
Cipion.
Genug, Berganza, und weiter im Text! Man versteht dich schon.
Berganza.
O möchten doch alle, auf die es geht, mich so verstehen, wie du! Ich weiß nicht, ob dieß von einem guten Naturell kommt, allein es macht mich unendlich mißmuthig, wenn ich sehen muß, daß ein Ritter den Possenreißer spielt und sich damit rühmt, daß er den Würfelbecher zu handhaben verstehe, Taschenspielerkünste wisse und daß niemand wie er die Chacona zu tanzen verstehe. Ich kenne einen Ritter, der sich rühmt, er habe auf die Bitten eines Küsters zweiunddreißig Blumen aus Papier ausgeschnitten, um sie bei einem heiligen Grab auf die schwarzen Tücher zu legen; und auf diese ausgeschnittenen Blumen war er so stolz, daß er seine Freunde hinführte, um sie zu sehen, als ob er ihnen Fahnen und Beutestücke von Feinden zu zeigen hätte, die auf dem Grab seiner Väter und Ahnen lägen.
Dieser Kaufmann nun hatte zwei Söhne, von denen der eine zwölf und der andere vierzehn Jahre alt war, und sie studierten Grammatik in der Schule der Gesellschaft Jesu D. h. in einer Jesuitenschule. ( Anm.d.Hrsg.). Sie giengen prächtig einher und hatten einen Hofmeister bei sich und Edelknaben, welche ihnen die Bücher nachtrugen und das sogenannte Vademecum Hier im Sinne eines Kollegienheftes. ( Anm.d.Hrsg.). Wie ich sie nun in diesem Aufzuge sah, in Tragsesseln, wenn die Sonne schien, und in einer Kutsche, wenn es regnete, erwog und betrachtete ich die große Schlichtheit, womit der Vater nach der Börse gieng, um seine Geschäfte zu betreiben, denn er nahm keinen andern Diener mit, als einen Neger, und zuweilen gieng er etwa so weit, daß er auf einem kleinen nicht einmal mit schönem Geschirr versehenen Maulthiere ritt.
Cipion.
Du mußt wissen, Berganza, daß es Sitte und Brauch ist bei den Kaufleuten in Sevilla und auch in andern Städten, ihr Ansehen und ihren Reichthum nicht an sich selbst, sondern an ihren Kindern zu zeigen; denn die Kaufleute sind größer in ihrem Schatten, als in sich selbst; und da sie nur durch ein Wunder dazu können gebracht werden, an etwas anderes zu denken, als an ihre Handelsgeschäfte und Verträge, so sind sie auch bescheiden in ihrem Benehmen. Ehrgeiz und Reichthum aber können nicht bestehen, ohne sich kund zu thun, und so gehen sie auf die Kinder über, welche nun behandelt und in Glanz gesetzt werden, als wenn sie Fürstenkinder wären; ja es gibt selbst Kaufleute, welche ihren Söhnen hohe Titel und jenes Zeichen auf der Brust zu verschaffen streben, welches den vornehmen Mann so sehr vom Volke unterscheidet.
Berganza.
Es ist Ehrgeiz, aber ein Ehrgeiz edler Art, wenn man seinen Stand ohne Beeinträchtigung eines dritten zu verbessern strebt.
Cipion.
Selten oder nie wird der Ehrgeiz ohne Nachtheil eines dritten befriedigt.
Berganza.
Wir sind bereits übereingekommen, nicht zu lästern.
Cipion.
Ja, ich lästere auch über niemand.
Berganza.
Jetzt sehe ich recht deutlich, wie wahr es ist, was ich oft habe sagen hören. Ein giftiges Lästermaul schmäht auf zehn Familien und verläumdet zwanzig rechtliche Leute, und wenn ihn jemand darüber zu Rede stellt, was er gesagt hat, so gibt er zur Antwort, er habe nichts gesagt, oder wenn er etwas gesagt habe, so sei es nicht so bös gemeint gewesen, und hätte er denken sollen, es könne es jemand übel nehmen, so würde er es nicht gesagt haben.
Wahrlich, Cipion, der muß viel wissen und sich fest in den Bügeln halten, der ein zweistündiges Gespräch führen will, ohne ins Lästern zu gerathen; denn das sehe ich an mir, der ich doch nur ein Thier bin, daß, wenn ich nur zu sprechen anfange, mir Worte auf die Zunge kommen, wie die Fliegen in den Wein, und alle sind boshaft und lästernd.
Darum wiederhole ich, was ich schon einmal gesagt habe, daß wir böse Handlungen und böse Reden von unsern ersten Eltern erben und mit der Muttermilch einsaugen. Das sieht man deutlich daran, daß ein Knabe kaum sein Aermchen aus den Windeln streckt, so hebt er schon die Hand auf und macht Miene, sich an demjenigen rächen zu wollen, der ihn seiner Meinung nach beleidigt hat; und beinahe das erste verständliche Wort, das er vorbringt ist, daß er seine Amme oder seine Mutter eine Hure nennt.
Cipion.
Du hast Recht; ich gestehe meinen Fehler und bitte dich, mir ihn zu verzeihen, denn ich habe dir schon so viel verziehen. Werfen wir den Zankapfel ins Meer, wie die Knaben sagen, und lästern wir künftig nicht mehr! Setze nun deine Erzählung fort! Du hast sie unterbrochen bei der prachtvollen Weise, womit die Söhne des Kaufmanns deines Herrn nach der Schule der Gesellschaft Jesu giengen.
Berganza.
Ihm befehle ich mich in all meinem Ergehen; und wiewohl es mich schwer deucht, das Lästern zu lassen, so gedenke ich doch mich eines Mittels zu bedienen, das, wie ich höre, ein großer Schwörer anwandte, welcher aus Reue über seine schlechte Gewohnheit so oft er nach seiner Bekehrung fluchte, sich zur Strafe seines Vergehens in den Arm kneipte oder die Erde küßte; aber freilich fluchte er demungeachtet. So will ich nun auch, so oft ich deiner Vorschrift nicht zu lästern und meiner eigenen Absicht nicht zu lästern zuwider handle, mich in die Zungenspitze beißen, so daß sie mir wehe thut und dadurch an meine Schuld erinnert, damit ich nicht wieder darein verfalle.
Cipion.
Dieses Mittel ist der Art, daß ich glaube, wenn du es ausführen willst, mußt du dich so oft beißen, daß du am Ende gar keine Zunge mehr hast: und dann wird es dir allerdings unmöglich werden, zu lästern.
Berganza.
Wenigstens will ich, so viel an mir ist, alles anwenden und der Himmel mag das Fehlende ersetzen.
Die Söhne meines Herrn also verloren eines Tags eine Mappe in dem Hofe, wo ich gerade war; und da ich gelernt hatte, den Fleischkorb meines frühern Herrn des Fleischers zu tragen, ergriff ich das Vademecum und gieng hinter ihnen drein, in der Absicht es nicht loszulassen bis sie an die Schule kämen. Alles geschah nun, wie ich es wünschte, und meine Herren sahen mich nicht so bald mit dem Vademecum im Mund, das ich ganz säuberlich am Bande hielt, als sie einen Edelknaben abschickten, um es mir zu nehmen; ich ließ mir aber dieß nicht gefallen und gab es nicht früher her, als bis ich in den Hörsaal getreten war, was bei allen Studenten großes Gelächter erregte. Nun trat ich zu dem älteren meiner Herren hin und gab ihm nach meinem Bedünken mit großer Höflichkeit die Mappe in die Hand; sodann aber setzte ich mich bei der Thüre des Hörsaals auf die Hinterbeine und schaute dem Lehrer, der auf dem Katheder las, unverwandten Blickes ins Gesicht.
Ich weiß nicht, welche besondere Eigenthümlichkeit die Tugend hat, denn ob ich sie gleich sehr wenig oder gar nicht kenne, so empfand ich doch augenblicklich sehr großes Vergnügen, als ich die Liebe, das gesetzte Benehmen, den Eifer und den Fleiß bemerkte, womit jene frommen Väter und Lehrer jene Knaben unterwiesen und die zarten jugendlichen Stämmchen emporrichteten, damit sie sich nicht krümmten, noch einen Abweg einschlügen von dem Pfade der Tugend, in welcher sie sie ebenso wie in der Wissenschaft unterwiesen. Ich erwog, wie sie sie mit Sanftmuth tadelten, mit Barmherzigkeit straften, durch Beispiele ermunterten, durch Belohnungen reizten, durch Klugheit unterstützten, und wie sie ihnen endlich die Häßlichkeit und den Abscheu des Lasters schilderten und die Schönheit der Tugend vormalten, damit sie jenes verabscheuen, diese aber lieben sollten, um so den Zweck zu erfüllen, für welchen sie erzogen wurden.
Cipion.
Du hast ganz Recht, Berganza, denn ich habe von diesen frommen Leuten sagen hören, daß es für die Staaten der Welt keine so klugen Bürger auf ihrem ganzen Umkreis gibt, und zu Führern und Leitern auf dem Wege des Himmels wenige, die ihnen gleichkommen. Es sind Spiegel für die Sittsamkeit, die katholische Lehre, die ausgezeichnete Klugheit und endlich die tiefste Demuth, den Grund, auf welchem sich das Gebäude der Glückseligkeit erhebt.
Berganza.
Alles ist so, wie du sagst. Um aber in meiner Erzählung fortzufahren, so fanden meine Herren ihren Gefallen daran, daß ich ihnen immer das Vademecum nachtragen mußte, was ich sehr gerne that; und dabei führte ich ein Leben wie ein König, ja noch ein besseres, denn es gewährte allerlei Unterhaltung, weil die Studenten mit mir Kurzweil trieben und ich so zahm gegen sie wurde, daß sie mir die Hand in die Schnauze steckten, und die kleinsten auf mir ritten. Sie warfen ihre Mützen oder Hüte hin und ich brachte sie ihnen reinlich und mit großen Freudenbezeugungen zurück.
Sie gaben mir zu fressen, so viel sie nur konnten, und fanden ihren Spaß daran, wenn sie sahen, wie ich Nüsse oder Eicheln, die sie mir gaben, aufknackte wie ein Affe, die Schaalen liegen ließ und den Kern verzehrte. So brachte man mir, um meine Geschicklichkeit auf die Probe zu stellen, eine Menge Salat in einem Schnupftuche mit und ich verzehrte ihn, wie wenn ich ein Mensch wäre. Es war Winterszeit, wo in Sevilla Bretzeln und Buttersemmeln an der Tagesordnung sind, und ich ward so reichlich damit versorgt, daß mehr als zwei Antonio versetzt oder verkauft wurden, um mir Frühstück beizuschaffen.
Mit einem Wort ich führte ein Leben wie ein Student, ohne Hunger und ohne Krätze, und kräftiger kann ich mich nicht ausdrücken, um zu versichern, daß es ein gutes Leben war; denn wenn Krätze und Hunger nicht so sehr eins wäre mit einem Studenten, so könnte es kein angenehmeres und kurzweiligeres Leben geben; denn Tugend und Vergnügen gebt dabei gleichen Schrittes und die Jugend wird zugebracht unter Lernen und Freude.
Aus dieser Seligkeit und Ruhe riß mich eine Frau, welche sie wie mich deucht die Staatsvernunft nennen, denn wenn man sich nach ihr richtet, so muß es sich erst aus mancherlei sonstiger Vernunft zeigen. Jene Herren Lehrer glaubten nämlich, die Schüler benützen die halbe Stunde, die zwischen zwei Lektionen ausfällt D. h. die sie zwischen zwei Lektionen frei hatten. ( Anm.d.Hrsg.), nicht sowohl zur Wiederholung der Lektionen, als zur Unterhaltung mit mir, und daher befahlen sie meinen Herren, mich nicht mehr mit in die Schule zu bringen. Sie gehorchten, nahmen mich nach Hause und legten mich wie früher an die Thür, um diese zu hüten, und ohne daß sich der alte Herr der Erlaubniß erinnerte, die er mir ertheilt hatte, Tag und Nacht frei umhergehen zu dürfen, mußte ich meinen Hals wieder der Kette schmiegen und meinen Leib auf eine kleine Matte legen, die man mir hinter die Thüre gebreitet hatte.
Ach Freund Cipion, wenn du wüßtest, wie hart es ist, von einem glücklichen Zustand den Uebergang zu einem unglücklichen zu machen! Sieh, wenn das Elend und Unglück in einem breiten Strom auf uns zukommt, und immer während sich gleich ist, so endet es entweder schnell mit dem Tode, oder wenn es dauernd auf uns einwirkt, so gewöhnen wir uns nach und nach daran, es zu ertragen, und diese Gewohnheit gereicht in der größten Härte des Leidens noch zum Troste. Wenn wir aber plötzlich und unvermuthet aus einem unglücklichen und wehevollen Schicksal zum Genusse eines glücklichen, frohen und begünstigten Looses gelangen und alsdann kurz darauf in die ersten Verhältnisse, die früheren Leiden und Mühsale zurückgeworfen werden, das ist ein Schmerz, der so schwer zu ertragen ist, daß er wo nicht das Leben endet, es nur erhält, um uns weitern Qualen preiszugeben.
Kurz ich kehrte zu meinem hündischen Futter zurück und zu den Knochen, welche eine Negerin, die im Hause lebt, mir zuwarf; und selbst diese wurden mir durch zwei römische Kater verzehrt, welche als freie und flinke Thiere mir mit leichter Mühe das entrissen, was ausserhalb des Bereichs meiner Kette fiel. Jetzt, Bruder Cipion, bitte ich dich bei allem Guten, das du wünschest und das dir der Himmel schenken möge, werde nicht überdrüssig und laß mich jetzt ein wenig philosophiren! Denn wenn ich alle Dinge zu erzählen unterließe, die mir in diesem Augenblicke noch von denen einfallen, die mir damals in den Sinn kamen, so deucht mich, als ob meine Geschichte weder vollständig noch von irgend einem Nutzen sein könne.
Cipion.
Hüte dich, Berganza, daß diese Lust zu philosophiren, welche dir, wie du sagst, eben ankommt, nicht eine Versuchung des Teufels sei, denn die Lästerung kann gar keinen bessern Schleier umnehmen, um ihre zügellose Bosheit zu beschönigen und zu verhüllen, als wenn der Lästerer sich einbildet, als ob alle seine Reden Sprüche von Philosophen seien und die Verläumdung wohlgemeinter Tadel und die Aufdeckung der Fehler Anderer löblicher Eifer; und doch gibt es keinen Lästerer, dessen Lebenslauf du nicht, wenn du ihn betrachtest und untersuchst, voll von Lastern und Unverschämtheiten finden wirst. Unter der Voraussetzung, daß dir dieß bekannt sei, philosophire nun, so viel Du willst!
Berganza.
Du kannst dich darauf verlassen, Cipion, das ich nicht mehr lästern werde, denn ich habe es mir einmal so vorgenommen.
Da ich nun den ganzen Tag müßig war, und der Müßiggang vielerlei Gedanken erzeugt, so wiederholte ich mir in meinem Gedächtniß einige lateinische Brocken, die mir darin übrig geblieben waren von den vielen, die ich gehört hatte, als ich mit meinen Herren in die Schule ging. Ich glaubte, meinen Verstand durch sie gar sehr verbessert zu haben, und beschloß, als wenn ich reden könnte, sie bei vorkommenden Gelegenheiten zu benützen, jedoch auf eine andere Art, als dieß manche Dummköpfe zu thun pflegen. Es gibt Spanier, welche in ihren Gesprächen zuweilen einen kurz gedrängten lateinischen Satz hören lassen, und dadurch diejenigen, welche das nicht verstehen, zu dem Glauben bewegen, sie seien große Lateiner, ob sie gleich kaum ein Nomen zu declinieren oder ein Verbum zu conjugieren verstehen.
Cipion.
Das halte ich nicht für so schlimm, als wenn andere, welche wirklich Latein verstehen, zum Theil so unverständig sind, daß sie auch im Gespräch mit einem Schuster oder Schneider lateinische Brocken von sich geben, wie Wasser.
Berganza.
Daraus können wir den Schluß ziehen, daß der, welcher Latein spricht, gegen diejenigen, die es nicht verstehen, eben so sehr fehlt, als der, welcher es sprechen will, ohne es selbst zu verstehen.
Cipion.
Außerdem könntest du auch noch bemerken, daß es Leute giebt, die darum, weil sie Lateiner sind, nicht aufhören, Esel zu sein.
Berganza.
Wer bezweifelt das? Der Grund ist klar; denn da zur Zeit der Römer alle das Latein als ihre Muttersprache redeten, so wird es wohl auch manchen Pinsel unter ihnen gegeben haben, welchen sein Lateinsprechen nicht von seiner Dummheit befreite.
Cipion.
Um zu wissen, wann man auf spanisch schweigen, und auf lateinisch reden muß, braucht man Klugheit, Bruder Berganza.
Berganza.
Allerdings, denn man kann eben sowohl lateinisch, als spanisch eine Abgeschmacktbeit sagen; ich habe dumme Gelehrte und schwerfällige Grammatiker gesehen und Spanischredende, die ihre Worte mit Streifen Latein durchwirkten, die gar leicht die Welt nicht nur einmal sondern oft langweilen können.
Cipion.
Lassen wir das, und fange an deine Philosophie aufzutischen!
Berganza.
Ich bin schon damit fertig, denn es ist das, was ich soeben ausgesprochen habe.
Cipion.
Was denn?
Berganza.
Das über Latein und Spanisch, was ich anfieng und du zu Ende sagtest.
Cipion.
Das Lästern nennst du Philosophiren? So geht es. Sprich immer die verwünschte Plage der Lästersucht heilig, Berganza, und gib ihr einen Namen, welchen du willst! Sie, wird uns dagegen den Namen der Cyniker beilegen, das heißt lästernde Hunde. ›Kyniker‹ bezeichnet ursprünglich eine antike Philosophenschule, für die unter anderem Bedürfnislosigkeit und ethischer Skeptizismus zentral war; der Name (griech. êõíéêïò, ›hündisch, bedürfnislos wie Hunde‹) verweist auf diese Haltung. Seit dem 16. Jh. bezeichnet »zynisch« einen ›spöttischen, bissigen, ehrfurchtslosen Menschen‹. ( Anm.d.Hrsg.) Bei deinem Leben, schweige nun und fahre fort in deiner Geschichte!
Berganza.
Wie kann ich denn fortfahren, wenn ich schweigen soll?
Cipion.
Ich will damit sagen, du sollst deine Erzählung glatt und eben verfolgen, daß sie nicht aussieht wie ein Polyp, wenn du einen Arm um den andern anhängst.
Berganza.
Sprich wie sich's gehört! Man sagt im Spanischen nicht Arme der Polypen, sondern Schwänze.
Cipion.
Dieß ist derselbe Irrthum, in welchen derjenige verfiel, welcher sagte, es sei weder ein Fehler noch eine Verkehrtheit, alle Dinge mit ihren eigenthümlichen Namen zu benennen, wie wenn es nicht besser wäre, wenn man sie ja benennen muß, sie durch Umschreibungen und Umwege in der Rede zu bezeichnen, so daß das unangenehme Gefühl gemildert wird, welches beim Anhören der eigentlichen Worte jeder empfindet; denn der anständige Ausdruck ist ein Zeichen des Anstands desjenigen, der sie ausspricht oder schreibt.
Berganza.
Da will ich dir glauben und kehre nun zu meiner Geschichte zurück.
Mein unglückliches Schicksal begnügte sich nicht damit, mich den Studien zu entreißen und dem erheiternden und behaglichen Leben, das ich dabei führte, und ebensowenig damit, mich hinter die Thüre an die Kette gebannt zu haben, wo ich unter dem armseligen Geize der kargen Negerin mich schmerzlich an die Freigebigkeit der Studenten erinnern mußte, sondern verfügte über mich, daß ich aus diesem Zustande der Ruhe und des Friedens noch aufgeschreckt wurde.
Sieh, Cipion, du kannst mir glauben und versichert sein, wie ich es auch bin, daß das Unglück den Unglücklichen sucht und findet, und wenn er sich auch am Ende der Welt verbergen könnte. Ich sage dieß, weil die erwähnte Negerin in einen Neger verliebt war, der sich ebenfalls als Sklave im Hause befand und in der Hausflur schlief, das heißt zwischen der Thüre nach der Straße zu und zwischen der innern, hinter welcher ich lag. Sie konnten nur bei Nacht zusammenkommen und hatten deshalb die Schlüssel entwendet oder nachgemacht, und so kam nun die Negerin fast alle Nächte herunter, stopfte mir das Maul mit einem Stück Fleisch oder Käse und ließ den Neger ein und machte sich mit ihm gute Zeit, was mein Stillschweigen erleichterte, welches die Negerin mit vielen gestohlenen Dingen erkauft hatte.
Einige Zeit beschwichtigten die Geschenke der Negerin mein Gewissen, denn ich fürchtete, meine Seiten möchten ohne sie zusammenfallen und würde dann aus einem Bullenbeißer ein Windhund werden. Endlich aber trieb mein redliches Gemüth mich an, das zu thun, was ich meinem Herrn schuldig war, dessen Lohn ich bekam und dessen Brod ich aß. wie es nicht allein ehrliche Hunde thun müssen, welche den Ruhm der Dankbarkeit haben wollen, sondern alle diejenigen, welche dienen.
Cipion.
Dieß will ich für Philosophie gelten lassen, Berganza, denn es sind wahre und verständige Worte. Doch fahre fort und hänge kein Seil an deine Erzählung, um nicht zu sagen Schwanz.
Berganza.
Vorher aber will ich dich bitten, mir zu sagen, wenn du es weißt, was das Wort Philosophie bedeutet, denn ich brauche zwar das Wort, allein ich weiß doch nicht, was es ist, sondern ich vermuthe blos, das es etwas Gutes ist.
Cipion.
Das will ich dir kurz erklären. Dieses Wort ist aus zwei griechischen Wörtern zusammengesetzt, nämlich öéëïò und óoöéá öéëïò heißt Liebe und óïöéá die Wissenschaft; folglich bedeutet öéëïóïöéá Liebe zur Wissenschaft und Philosoph einen Freund der Wissenschaft.
Berganza.
Du weißt viel, Cipion. Wer zum Teufel hat dich denn griechische Worte gelehrt?
Cipion.
Du bist wahrlich einfältig, Berganza, wenn du davon viel Aufhebens machst; denn das sind Dinge, welche die kleinsten Schulknaben verstehen; doch gibt es ebenfalls Leute, welche sich einbilden, griechisch zu verstehen, ohne daß es der Fall ist, wie andere Latein verstehen wollen, die nichts davon wissen.
Berganza.
Das sage ich auch, und ich wünschte, daß man diese Leute unter eine Presse brächte, so daß man durch fortwährendes Umdrehen ihnen den Saft von dem, was sie wissen, auspreßt, damit sie nicht mit dem Flittergold ihrer verhunzten griechischen und falschen lateinischen Brocken die Welt teuschen, gerade wie es die Portugiesen mit den Negern von Guinea machen.
Cipion.
Jetzt, Berganza, darfst du dir auf die Zunge beißen, und ich will die meinige auch zerfleischen, denn alles, was wir sagen, ist Lästerung.
Berganza.
Ja, aber ich bin nicht verpflichtet, das zu thun, was, wie ich sagen hörte, ein gewisser Corondas aus Tyrus that, welcher ein Gesetz gab, durch das jedermann verboten wurde, mit Waffen in die Gemeindeversammlung der Stadt zu kommen, bei Strafe des Todes. Er vergaß es und kam den Tag darauf in den Rath, mit dem Schwert umgürtet. Man machte ihn darauf aufmerksam, er erinnerte sich der von ihm selbst gesetzten Strafe, zückte augenblicklich sein Schwert und stach es sich durch die Brust, so daß er der erste war, welcher das Gesetz gab, übertrat und dafür bestraft wurde.
Was ich sagte, war nicht ein Gesetzgeben, sondern ein Versprechen, mir auf die Zunge zu beißen, wenn ich lästern würde. Jetzt aber werden die Sachen nicht mit der unnachsichtlichen Strenge behandelt, wie im Alterthum; heute gibt man ein Gesetz, morgen übertritt man es, und vielleicht soll es nicht anders sein; jetzt verspricht einer, seine Fehler abzulegen, und im nächsten Augenblick verfällt er in andere noch größere. Es ist etwas anderes die gesetzliche Ordnung loben, etwas anderes sich darein fügen. Kurz
Zwischen Sagen und Thun
Gilts nicht, viel zu ruhn.
Der Teufel mag sich in die Zunge beißen, ich mag es nicht und will nicht hinter dieser Matte den Tugendhaften spielen, wo mich niemand sieht, der meinen ehrenhaften Entschluß loben könnte.
Cipion.
Nach diesen Aeußerungen zu schließen, Berganza, wärest du, wenn du ein Mensch wärest, ein Heuchler, und alle Handlungen, die du verrichtetest, wären nur zum Schein, erlogen und falsch, bedeckt mit dem Mantel der Tugend, nur damit du Lob ernten möchtest, wie alle Heuchler thun.
Berganza.
Ich weiß nicht, was ich alsdann thun würde, das aber weiß ich wohl, was ich jetzt thun will, nämlich mich nicht beißen, weil ich noch eine Menge Dinge zu sagen habe, von denen ich nicht weiß, wie und wann ich damit zu Ende kommen soll. Ueberdem fürchte ich mich noch immer, daß wir beim Sonnenaufgang ins Dunkle kommen werden, indem uns die Sprache fehlt.
Cipion.
Der Himmel wird es gewiß besser machen. Setze nur deine Erzählung fort und entferne dich nicht vom geraden Wege mit vorwitzigen Abweichungen; denn dieser mag dann so lang sein, wie er will, so wirst du ihn doch bald beendigen.
Berganza.
Nun, als ich die Unverschämtheit, die Spitzbüberei und die Sittenlosigkeit der beiden Neger sah, beschloß ich als ein guter Diener, der Sache nach meinen besten Kräften Einhalt zu thun, und dieß gelang mir auch ganz nach Wunsch. Die Negerin kam, wie du gehört hast, herunter, um sich mit dem Neger zu kurzweilen, und hoffte dabei, die Stücke Fleisch, Brod oder Käse, die sie mir hinwarf, werden mich stumm machen. Geschenke vermögen viel, Cipion.
Cipion.
Sehr viel! Schweife aber nur nicht ab, sondern fahre fort!
Berganza.
Ich erinnere mich, daß ich, als ich noch studierte, von einem Lehrer eines von jenen lateinischen Sprichwörtern gehört habe, welche man Adagien nennt, und welches heißt: Habet bovem in lingua.
Cipion.
O jetzt habt ihr euer Latein wahrlich schlecht angewandt. Hast du so schnell vergessen, was wir soeben über diejenigen geurtheilt haben, welche lateinische Brocken in ihr Gespräch mischen?
Berganza.
Das Latein paßt hierher wie gegossen, denn du mußt wissen, daß die Athenienser unter anderen eine Münze hatten, worauf ein Ochs geprägt war, und wenn ein Richter nicht sagte oder that, was recht und gesetzlich war, weil er sich hatte bestechen lassen, so hieß es: Er hat den Ochsen auf der Zunge.
Cipion.
Die Anwendung fehlt.
Berganza.
Ist diese nicht einleuchtend, da die Geschenke der Negerin mich mehrere Tage so stumm machten, daß ich weder Muth noch Lust hatte, zu bellen, wenn die Negerin herabkam, um ihren verliebten Reger zu besuchen? Darum sage ich noch einmal, Geschenke vermögen viel.
Cipion.
Ich habe dir bereits darin Recht gegeben, daß sie viel vermögen, und wenn ich nicht eine weitläufige Abschweifung meiden wollte, so könnte ich durch tausend Beispiele nachweisen, wie viel Geschenke vermögen. Doch vielleicht thue ich es künftig, wenn mir der Himmel Zeit, Gelegenheit und Sprache bescheert, um dir mein Leben zu erzählen.
Berganza.
Gott erfülle deinen Wunsch! Höre weiter!
Zuletzt siegten meine guten Grundsätze über die bösen Gedanken der Negerin, und wie sie einst in einer sehr dunkeln Nacht zu ihrem gewohnten Zeitvertreibe herunter kam, fiel ich sie an, ohne zu bellen, weil ich die Ruhe der Hausgenossen nicht stören wollte, zerfetzte ihr in einem Augenblicke das ganze Hemd und riß ihr ein Stück aus den Lenden. Dieser Spaß nöthigte sie länger als acht Tage das Bett im Ernste zu hüten, indem sie bei ihrer Herrschaft was weiß ich welche Krankheit vorschützte.
Sie genas und kam die nächste Nacht wieder, und ich kam auch wieder zum Kampf mit meiner Hündin. Ohne sie zu beißen zerkratzte ich ihr den ganzen Leib, als wäre sie kartätscht worden, wie eine Decke. Unsere Kämpfe wurden ganz stumm geführt und ich blieb wieder Sieger und die Negerin übel zugerichtet und noch übler befriedigt. Ihr Aerger aber zeigte sich deutlich an meinem Haar und an meiner Gesundheit; denn sie theilte mir mein Futter und die Knochen so spärlich zu, daß man an den meinigen allmählich jeden Wirbel im Rückgrat unterscheiden konnte. Trotz dem aber, wenn sie mir auch das Fressen nahmen, konnten sie mir doch das Bellen nicht nehmen.
Die Negerin jedoch, um auf einmal mit mir fertig zu werden, brachte mir einen in Fett gebackenen Schwamm. Ich merkte die Bosheit und sah ein, daß dieß noch schlimmer wäre, als Ratzengift, denn wer es frißt, dem bläht es den Magen auf und es geht nicht wieder von einem, ohne das Leben mitzunehmen. Da es mir nun unmöglich schien, mich gegen die Fallstricke so erbitterter Feinde zu verwahren, so beschloß ich, mich von ihnen zu entfernen und das freie Feld zu suchen.
Eines Tags, als ich losgelassen wurde, gieng ich, ohne jemand im Hause Lebewohl zu sagen, auf die Straße, und zufälligerweise stieß ich, nachdem ich kaum hundert Schritte weggegangen war, auf jenen Alguacil, von dem ich am Anfang meiner Geschichte gesagt habe, daß er ein großer Freund meines Herrn Nicolas mit der Stumpfnase war. Kaum hatte dieser mich gesehen, als er mich erkannte und beim Namen rief; auch ich erkannte ihn und ging, wie er mich rief, mit den gewöhnlichen Ceremonien und Schmeicheleien auf ihn zu, er ergriff mich beim Halse und sagte zu seinen Häschern: Das ist ein ausgezeichneter Hetzhund, der früher einem genauen Freunde von mir gehörte. Wir wollen ihn mit nach Hause nehmen.
Die Häscher freuten sich darüber und sagten, wenn er wachsam sei, so könne er ihnen allen von Nutzen sein. Hierauf wollten sie mich packen, um mich fortzuführen, mein Herr aber sagte zu ihnen, es sei nicht nöthig mich zu packen; ich werde frei mit ihm gehen, denn er kenne mich.
Ich habe vergessen dir zu sagen, daß das Halsband mit Metallstacheln, welches ich trug, als ich von der Heerde losriß und entwich, mir von einem Zigeuner in einem Wirthshause abgenommen wurde, und in Sevilla gieng ich in bloßem Halse; aber der Alguacil gab mir ein Halsband, das ganz mit kupfernen Nägeln beschlagen war. Denke nun, Cipion, wie wechselnd das Rad meines Geschicks dahinrollte; gestern war ich Student und heute bin ich ein Häscher geworden.
Cipion.
Das ist nun so der Lauf der Welt und du hast gar nicht nöthig, dich weitläuftig über den Wankelmuth des Geschicks auszusprechen, als wenn es so ein großer Unterschied wäre zwischen dem Beiläufer eines Fleischers und dem eines Häschers.
Ich kann durchaus die Klagen mancher Menschen über das Schicksal nicht in Geduld anhören und hinnehmen, denn das höchste, was viele hatten, ist doch am Ende nichts weiter, als daß sie Ansprüche und Hoffnungen hegen, einst Stallknechte zu werden. Und wie viele Verwünschungen häufen sie nun auf das Geschick, mit welchen Schmähungen belasten sie es! Und warum thun sie das? Aus keinem weitern Grund, als damit diejenigen, die es hören, denken sollen, sie seien aus einer erhabenen, günstigen und trefflichen Lage in die unglückliche und niedrige versetzt worden, in welcher man sie eben erblickt.
Berganza.
Du hast Recht; höre aber weiter!
Dieser Gerichtsdiener lebte mit einem Schreiber in vertrauter Freundschaft, mit welchem er häufig zu thun hatte. Sie lebten in einer wilden Ehe mit zwei Weibsbildern, die nicht nur einen zweideutigen Ruf hatten, sondern noch weniger als das. Sie waren zwar nicht übel von Gesicht, aber sehr frech und von hurischer Unbefangenheit. Diese dienten ihnen als Netz und Angel um folgendergestalt im Trocknen zu fischen: sie kleideten sich so, daß man den Vogel an der Farbe erkennen und auf Armbrustschußweite erkennen konnte, daß es Damen von freier Lebensart waren.
Nun machten sie immer Jagd auf die Fremden, und wenn der Jahrmarkt in Cadiz oder Sevilla kam, so eröffnete sich ihnen eine Fundgrube des Gewinns. Da war kein Britannier, den sie nicht umgarnten, und wenn nun so ein fetter Bursche einer dieser Saubern in die Hände gerieth, so gaben sie dem Gerichtsdiener und dem Schreiber Nachricht, wohin und in welche Schenke sie giengen, und wenn sie nun zusammen waren, so wurden sie überfallen und als liederliche Menschen festgenommen; sie führten sie aber niemals in das Gefängniß, weil die Fremden sich immer mit Geld von der Plackerei loskauften.
Einmal nun fischte die Colindres, denn so hieß die Freundin des Polizeidieners, einen recht fetten Britannier, und nahm mit ihm Abrede, mit ihm über Tisch und über Nacht in seiner Herberge zu sein. Sie steckte es ihrem Liebhaber, und kaum hatte sie sich entkleidet, so kam der Polizeidiener, der Schreiber, zwei Häscher und ich ihnen über den Hals. Die Liebenden geriethen in Bestürzung, der Polizeidiener schalt auf das Unwesen und befahl ihnen, sich unverzüglich anzukleiden, um ihnen nach dem Gefängnisse zu folgen. Dem Britannier war es nicht wohl dabei zu Muthe; der Schreiber schlug sich aus Erbarmen ins Mittel und brachte es durch viele Bitten dahin, daß die Strafe auf hundert Realen ermäßigt wurde. Der Britannier verlangte seine ledernen Hosen, die er auf einen Stuhl am Fußende des Betts gelegt hatte und worin das Geld sein sollte, das er zur Erkaufung seiner Freiheit brauchte; doch die Hosen fanden sich nicht und konnten sich auch nicht finden, denn sowie ich ins Zimmer kam, duftete mir ein Speckgeruch entgegen, der mich für alles tröstete. Ich spürte ihm nach und fand den Speck in einer Tasche der Hosen; ich fand nämlich darin ein Stück trefflichen Schinken, und um es ungestört herausnehmen und verzehren zu können, schleppte ich die Hosen auf die Straße, wo ich mir den Schinken herrlich schmecken ließ.
Wie ich wieder in das Zimmer kam, hörte ich den Britannier in seinem geradbrechten Kauderwelsch rufen, das man kaum verstand, man solle ihm seine Beinkleider zurückgeben, denn er habe funfzig Goldscudi in Gold darin. Der Notar bildete sich ein, entweder die Colindres oder die Häscher haben sie ihm gestohlen, und der Polizeidiener glaubte es ebenfalls. Er rief sie bei Seite, aber niemand bekannte, sondern sie verschworen sich alle zum Teufel. Wie ich sah, was vorgieng, lief ich auf die Straße zurück, wo ich die Hosen gelassen hatte, um sie zurück zu bringen, da mir das Geld nichts half; allein ich fand sie nicht, weil sie ein Glücklicher, der vorbeigegangen war, mitgenommen hatte.
Wie der Polizeidiener sah, daß der Britannier kein Geld zum Bestechen hatte, ärgerte er sich und wollte nun der Wirthin abnehmen, was der Britannier nicht hatte. Er rief sie; sie kam halb angekleidet, und wie sie das Geschrei und die Klagen des Britanniers hörte und das Geheul der nackten Colindres, den Alguacil im Zorn, den Notar aufgebracht und die Häscher zusammenraffend, was sie im Zimmer vorfanden, gefiel es ihr nicht zum Besten. Der Polizeidiener befahl ihr, sich anzukleiden, weil sie in ihrem Hause Männer und Weiber von schlechter Aufführung dulde.
Nun gieng es erst anders; nun wurde erst der Lärm recht arg, die Verwirrung nahm zu und die Wirthin sagte zu ihnen: Herr Alguacil und Herr Notar, bleibt mir mit euren Kniffen vom Leibe, denn ich merke wohl, wie dieß angezettelt ist! Bei mir kommt ihr mit eurem Drohen und Prahlen nicht an. Haltet das Maul und geht mit Gott! Oder ich bringe beim Himmel die ganze Pastete zu Markt und verkünde den ganzen Betrug auf der Straße. Ich kenne die Jungfer Colindres wohl und weiß, daß seit mehreren Monaten der Herr Alguacil ihr Deckmantel ist. Macht nicht, daß ich noch deutlicher sprechen muß, sondern gebt diesem Herrn sein Geld zurück und dann wollen wir alle gut Freund bleiben. Ich bin ein ehrliches Weib und mein Mann hat Gott Lob seinen Adelsbrief mit dem ad perpennam rei de memoria und mit den gehörigen Anhängseln von Blei; ich besorge meinen Beruf säuberlich und ohne jemand in Schaden zu bringen. Ich habe meine Preisliste angeschlagen, so daß jedermann sie sehen kann; und nun weiter kein Geschwätz, denn bei Gott ich weiß mir schon den Staub abzuschütteln. Das stände mir an, daß mit meinem Willen Weiber mit den Gästen ins Haus kommen sollten! Sie haben die Schlüssel in ihre Zimmer; und ich bin kein Luchs, um durch sieben Wände durchsehen zu können.
Meine Herren waren wie vom Donner gerührt, als sie die Wirthin so sprechen hörten und sahen, daß sie ihnen ihre eigene Lebensgeschichte vortrug. Da sie aber sahen, daß hier niemand war, dem sie Geld abnehmen konnten, als sie, so bestanden sie darauf, sie nach dem Gefängnisse zu nehmen. Sie beklagte sich bei dem Himmel über die Unbild und Ungerechtigkeit, sie während der Abwesenheit ihres Mannes, der doch ein vornehmer Junker sei, verhaften zu wollen. Der Britannier brummte wegen seiner funfzig Scudi. Die Häscher vermaßen sich hoch und theuer, sie haben die Hosen nicht gesehen, Gott solle sie bewahren.
Der Schreiber gab dem Alguacil heimlich den Rath, die Kleider der Colindres zu untersuchen; er hatte noch immer den Verdacht, sie habe die funfzig Scudi, und es sei immer ihre Gewohnheit, die Säcke und Taschen aller derer zu beaugenscheinigen, die sich mit ihr einlassen. Sie behauptete aber, der Britannier sei betrunken und seine Angabe über das Geld müsse erlogen sein. Kurz am Ende war alles in Verwirrung, es war ein Geschrei und ein Fluchen, und sie vermochten auf keine Weise sich zufrieden zu stellen.
Sicher wäre auch nimmermehr Frieden gestiftet worden, wenn nicht in diesem Augenblicke der Amtsverweser des Assistenten D. h. der (Polizei-)Leutnant des Corregidors. ( Anm.d.Hrsg.) in das Zimmer getreten wäre, welcher gekommen war, diese Herberge zu untersuchen und durch den Lerm dahin gerufen wurde, wo das Geschrei herkam. Er erkundigte sich nach der Ursache dieses Lerms und die Wirthin beeilte sich, ihm alles haarklein zu erzählen. Sie sagte, wer die Nymphe Colindres sei, die sich indessen angekleidet hatte, und erklärte ihm ihre stadtkundige Freundschaft mit dem Alguacil, entdeckte alle seine Kniffe und die Art, wie er die Leute auszog, sich selbst aber wußte sie aus der Schuld zu ziehen, indem sie versicherte, nie sei ein Weib von zweideutigem Rufe mit ihrem Wissen und Willen in ihr Haus gekommen; sich selbst stellte sie als eine Heilige und ihren Mann als einen Engel hin und rief einer Dienerin zu, sie solle eilends aus einem Schrank den Adelsbrief ihres Gatten herbeibringen, damit ihn der Herr Amtsverweser sehen könne; denn daraus könne er alsdann abnehmen, daß die Frau eines so hochgeehrten Gatten nicht verruchtes vollbringen könne; denn wenn sie einige Betten vermiethe, so geschehe dieß nur, weil sie nicht anders könne, denn Gott wisse, wie leid es ihr thue und wie viel lieber es ihr wäre, wenn sie durch Renten oder sonst wie ihr tägliches Brod bekämen, als daß sie mit diesem Geschäft ihren Lebensunterhalt herausschlagen müssen.
Der Amtsverweser, geärgert durch ihr vieles Geschwätz und das Pochen mit einem Adelsbrief, sagte zu ihr: Schwester Zimmerverleiherin, ich will gern glauben, daß euer Gatte einen Adelsbrief besitzt, da ihr selbst eingesteht daß er Junker Gastgeber ist.
Ja, und auf recht ehrenvolle Weise, antwortete die Wirthin. Und sagt mir nur, wo gibt es einen Stammbaum in der Welt, so gut er auch sein mag, dem man nicht irgend etwas anhängt oder nachschwätzt?
Ich habe auch weiter nichts zu sagen, Schwester, als daß ihr euch ankleiden mögt, denn ihr müßt in das Gefängniß.
Bei diesen Worten stürzte sie zu Boden, zerkratzte ihr Gesicht und schrie fürchterlich. Trotz dem aber nahm sie der Amtsverweser, der äußerst streng war, allesammt ins Gefängniß, nämlich den Britannier, die Colindres und die Wirthin. Ich habe nach der Hand erfahren, daß der Britannier seine funfzig Scudi einboß D. h. »einbüßte«. ( Anm.d.Hrsg.) und noch überdieß sollen sie ihn in die Kosten verurtheilt haben; die Wirthin bezahlte eben so viel, die Colindres aber gieng frei aus, und an demselben Tag, wo sie sie losließen, fischte sie einen Matrosen auf, welcher durch denselben Kunstgriff dazu gezwungen, für den Britannier bezahlen mußte. Du siehst hieraus, Cipion, wie viele und bedeutende Widerwärtigkeiten aus meiner Naschhaftigkeit entstanden.
Cipion.
Du thätest besser, wenn du sagtest, durch die Spitzbüberei deines Herrn.
Berganza.
Nun höre nur, wie man die Sache noch weiter trieb, ob es mir gleich unangenehm ist, von den Gerichtsdienern und Notaren Böses zu reden.
Cipion.
Ei, wenn man von dem einen Böses redet, so betrifft ja dieses nicht alle. Es gibt viele, ja sehr viele Notare, die gut, ehrlich und rechtlich sind und gern Gefälligkeiten erzeigen, ohne dem dritten zu schaden; nicht alle stiften Streit und verrathen beide Parteien, nicht alle lassen sich mehr bezahlen als ihre Gebühr, nicht alle machen die Spione und Spürhunde von der Lebensart anderer Leute, um ihnen bei der Obrigkeit einen Klebelappen anzuhängen, und nicht alle werfen beim Richter die Wurst nach der Speckseite D. h. mit geringerem Einsatz Höherwertiges zu erreichen suchen. ( Anm.d.Hrsg.); nicht alle Gerichtsdiener sind im Einverständnisse mit den Herumstreifern und Beutelschneidern, noch haben alle zu ihren Betrügereien solche Freundinnen an der Hand, wie die deines Herrn, viele, sehr viele sind nicht nur Edelleute von Geburt, sondern auch Edelleute von Gesinnung, viele sind nicht unverschämt, frech, ungezogen und niederträchtig, wie die, welche in den Schenken umherlaufen und die Degen der Fremden messen, und wenn sie sie um ein Haar breit länger finden, als sie sein sollen, ihre Besitzer unglücklich machen; ja, nicht alle nehmen gefangen und lassen los und sind Richter und Vertheidiger nach eigener Willkühr.
Berganza.
Mein Herr wollte noch höher hinaus und schlug noch einen andern Weg ein. Er wollte den Heldenmüthigen spielen und bedeutende Verhaftungen vornehmen. Er behauptete auch den Ruf der Tapferkeit ohne Gefahr für seine Person, wohl aber auf Kosten seines Beutels.
Eines Tags griff er vor dem Jerezthore sechs verrufene Kuppler allein an, ohne daß ich ihm irgend hätte beistehen können, weil mein Maul durch einen Beißkorb gehemmt war, den ich den Tag über trug und den man mir bei Nacht abnahm. Ich wunderte mich über seine Verwegenheit, seinen Trotz und seine Gewandtheit, denn er fuhr unter den sechs Klingen seiner Gegner umher, als wenn es Weidengerten wären. Es war ein wahres Wunder zu sehen, wie behend er angriff, die Stöße, die er führte, die Paraden, seine Berechnung, sein flinkes Auge, um sich den Rücken frei zu halten; kurz ich und alle, die dem Handgemenge zusahen und davon hörten, hielten ihn für einen neuen Radamonte Rodomonte (oder Rodamonte) ist eine Hauptfigur in den italienischen Versepen »Orlando innamorato« von Matteo Maria Boiardo und »Orlando furioso« von Ludovico Ariosto. Er ist der König von Sarza und Algier und Anführer der sarazenischen Armee, die Karl den Großen in Paris belagert. Rodomontes Stärke und Mut wird nur durch seine Arroganz und Prahlerei übertroffen. ( Anm.d.Hrsg.), weil er seine Feinde vom Jerezthor bis zu dem Portal des Collegiums des Meister Rodrigo trieb, eine Strecke von mehr als 100 Schritten. Dort ließ er sie eingeschlossen und kehrte zurück, um die Trophäen des Kampfs zu sammeln; es waren drei Scheiden, mit denen er sogleich zum Assistenten S.o.: Corregidor. ( Anm.d.Hrsg.) gieng um sie zu zeigen, welches damals, wenn ich mich recht erinnere, der Licenciat Sarmiento von Valladares war, berühmt durch die Zerstörung der Sauceda Eine alte Promenade in Sevilla. ( Anm.d.Hrsg.). Man beschaute meinen Herrn in den Straßen, durch welche er gieng, und zeigte ihn mit dem Finger, als wollte man sagen: Dieß ist der Tapfere, der es wagte, allein mit der Blüte der Banditen Andaluciens zu fechten.
Mit Umhergehen in der Stadt, um sich sehen zu lassen, vergieng der Rest des Tags; die Nacht fand uns in Triana in einer Straße neben der Pulvermühle. Nachdem mein Herr gehörig visirt hatte, wie man in der Gaunersprache sagt, ob ihn niemand bemerke, trat er in ein Haus und ich hinter ihm; hier fanden wir in einem Hof alle die Riesen jenes Kampfs ohne Mäntel und Degen und ohne alle Rüstung. Einer von ihnen, welcher der Wirth sein mußte, hielt einen großen Krug Wein in einer Hand und in der andern einen großen Wirthshausbecher, den er mit edeln schäumenden Wein füllte und der ganzen Gesellschaft zutrank. Kaum hatten sie meinen Herrn erblickt, als ihm alle mit offenen Armen entgegen kamen. Sie brachten alle seine Gesundheit aus und er that allen Bescheid und hätte es doppelt so vielen gethan, wenn etwas darauf angekommen wäre, denn er war gar leutselig und mochte um so geringfügiger Dinge willen niemand beleidigen.
Nun könnte ich dir alles erzählen, was hier vorgieng, was sie zu Nacht speisten, von welchen Händeln sie sprachen, was für Diebstähle sie sich erzählten, von den Damen, welche für tauglich zu ihren Zwecken erklärt wurden, und von denen, die sie nicht anerkannten, von den Lobsprüchen, welche sie einander ertheilten, die abwesenden Gauner, deren Namen sie nannten, die Geschicklichkeit, die sie zeigten, indem sie mitten unter dem Essen aufstanden, und die Kunstgriffe, zu denen sich Gelegenheit bot, in Anwendung zu bringen, indem sie mit den Händen fochten, die ausgesuchten Wörter, deren sie sich bedienten, und endlich die Gestalt und die Persönlichkeit des Wirthes, der von allen wie ihr Herr und Vater geehrt wurde; aber mit allen diesen Schilderungen käme ich in ein Labyrinth, aus dem ich mit dem besten Willen nicht wieder herauszukommen vermöchte.
Kurz ich überzeugte mich auf das bestimmteste, daß der Herr dieses Hauses, welchen sie Monipodio nannten, ein Diebshehler und ein Beschützer von Kupplern, und daß der heftige Kampf meines Herrn vorher mit ihnen verabredet gewesen war, sammt allen Umständen des Rückzugs und des Hinterlassens der Scheiden, welche mein Herr nun dort sogleich baar bezahlte, nebst allem, was Monipodio für das Nachtessen anrechnete, welches gegen Morgen sich beschloß unter großem Vergnügen aller Anwesenden.
Zum Nachtisch gaben sie meinem Herrn Nachricht von einem fremdem Kuppler, der ganz kürzlich nagelneu in die Stadt gekommen sei. Er war ohne Zweifel tapferer als sie, und aus Neid gaben sie ihn an. Mein Herr nahm ihn in der folgenden Nacht fest, als er nackt im Bette lag; denn wäre er angekleidet gewesen, so hätte er sich gewiß nicht so ohne Weiteres gefangen nehmen lassen; das war aus seinem Wuchse zu entnehmen.
Diese Gefangennehmung, die unmittelbar auf jenen Kampf folgte, erhöhte gar sehr den Ruf meines feigen Herrn, der furchtsamer war als ein Hase, und er erhielt sich den Ruhm eines Tapfern durch eine Menge Mahlzeiten und Trinkgelage, so daß alles, was sein Amt und seine geheimen Einverständnisse ihm trugen, wieder durch den Kanal seiner Tapferkeit weggieng und abfloß.
Nun aber habe Geduld und höre noch eine Geschichte an, die ihm begegnete. Ich werde dabei die Wahrheit nicht um ein Komma vermehren oder vermindern. Zwei Diebe stahlen in Antequera ein sehr gutes Pferd, brachten es nach Sevilla und bedienten sich, um es ohne Gefahr zu verkaufen, eines Kunstgriffs, der meiner Meinung nach Scharfsinn und Klugheit verräth. Sie begaben sich in zwei verschiedene Schenken; der eine wendete sich darauf an die Obrigkeit und klagte, daß Pedro von Losada ihm vier hundert Realen geliehenes Geld schuldig sei, was er auch durch einen mit seiner Namensunterschrift versehenen Schuldschein bewies, den er vorzeigte.
Der Polizeileutnant befahl, den Losada den Schuldschein anerkennen zu lassen D. h. Losada zu zwingen, den Schuldschein an zuerkennen. ( Anm.d.Hrsg.), und wenn er ihn anerkenne, ihn entweder auszupfänden oder ins Gefängniß zu setzen. Dieses Geschäft fiel meinem Herrn und seinem Freunde dem Schreiber anheim. Der Dieb führte sie nach dem Quartier des andern, der augenblicklich seine Handschrift anerkannte, die Schuld richtig fand und ihnen das Pferd bezeichnete, das sie als Pfand nehmen sollten. Sobald mein Herr es sah, stach es ihm in die Augen, und er beschloß, wenn es verkauft würde, es nicht wegzulassen. Der Dieb ließ die gesetzlichen Fristen verstreichen, das Pferd wurde öffentlich versteigert und einem Unterhändler für fünf hundert Realen zugeschlagen, den mein Herr beauftragt hatte, es für ihn zu erstehen.
Das Pferd war anderthalbmal so viel werth, als sie dafür bezahlt hatten; doch da es dem Verkäufer darauf ankam, den Handel möglichst zu beschleunigen, so gab er seine Waare für das erste Gebot hin. Der eine Dieb empfieng das Geld, das ihm niemand schuldig war, und der andere die Quittung, die er nicht brauchte, und mein Herr behielt das Pferd, das ihm schädlicher ward, als das des Sejanus Nach Gellius (III, 9) stammte das Pferd eines gewissen Cn. Sejus von den Pferden des Diomedes ab, die Herkules, nachdem er diesen getötet hatte, aus Thrakien mit nach Argos brachte. Es sei ein großes, mutiges und besonders schönes Tier von vortreffliche Farbe gewesen. Allerdings hätten alle seine Besitzer Unglück erlitten: Sejus selbst sei von dem dem Triumvirn Antonius zu grausamem Tod verurteilt worden; Dolabella, der das Ross hierauf für 100 000 Sesterzen erworben habe, wurde in Laodicea belagert und beendete sein Leben durch Suizid. Danach sei es in den Besitz von Cassius gelangt, schließlich in den des Antonius, die beide ebenfalls im Freitod starben. – Daraus leitete sich das Sprichwort ab: ›er hat das Sejanische Pferd bekommen‹, wenn jemandem ein Unglück zustieß. ( Anm.d.Hrsg.) seinem Herrn.
Die Diebe räumten sogleich das Feld und zwei Tage darauf, nachdem mein Herr an dem Geschirr des Pferdes und wo sonst etwas fehlte, alles ausgebessert hatte, zeigte er sich mitten auf dem Platze San Francisco, stolzer und stattlicher als ein Bauer in Festkleidern. Man sagte ihm tausend Artigkeiten über seinen vortheilhaften Kauf und versicherte ihn, das Pferd sei hundert fünfzig Ducaten werth, wie ein Ei einen Maravedi; er aber machte allerhand Schwenkungen und Wendungen mit seinem Pferde und spielte so seine Tragödie auf dem Theater des besagten Platzes weiter.
Während er nun so seine Sätze und Sprünge machte, kamen zwei Männer von gutem Aussehen und noch besserer Kleidung hinzu, und einer derselben sagte: So wahr Gott lebt, dieß ist mein Pferd Eisenfuß, das man mir vor einigen Tagen in Antequera gestohlen hat.
Alle, die mit ihm giengen, und dieß waren vier Bediente, sagten, es sei ganz richtig, es sei der Eisenfuß, das Pferd, das man ihnen gestohlen habe.
Mein Herr war höchst betroffen, der frühere Besitzer beschwerte sie D. h. reichte Klage ein. ( Anm.d.Hrsg.), man führte Beweise und er konnte so schlagende beibringen, daß das Urtheil zu seinen Gunsten ausfiel und daß mein Herr das Pferd abtreten mußte. Der Spaß und die List der zwei Diebe, welche durch die Hand und Vermittlung der Obrigkeit selbst ihre Beute verkauft hatten, wurde allgemein bekannt und fast alle freuten sich, daß die Habsucht meinem Herrn ein Loch in den eigenen Beutel gerissen habe.
Aber sein Unglück hörte damit noch nicht auf. Noch in derselben Nacht gieng der Assistent selbst aus, um die Runde zu machen, weil er Kunde erhalten hatte, daß sich in dem Quartier San Julian Diebe zeigen. Da sah man auf einmal in eine Seitenstraße eilig einen Mann hineinlaufen, und der Assistent rief alsbald, indem er mich beim Kragen faßte und mich hetzte: Auf den Dieb, Gavilan! Wohlan, Sohn Gavilan, pack den Dieb!
Ich, der ich bereits bis zum Ueberdruß die Schurkerei meines Herrn angesehen hatte, strauchelte nicht im Geringsten, den Befehl des Herrn Assistenten zu vollführen, stürzte auf meinen eigenen Herrn los, und warf ihn, ohne daß er sich wehren konnte, zu Boden, und wenn sie mich nicht von ihm weggerissen hätten, so hätte ich mehr als vier an ihm gerächt.
Sie machten mich endlich von ihm los, zu unserem beiderseitigen Schmerz. Die Häscher wollten mich bestrafen, ja zu todt prügeln, und sie hätten es auch gethan, wenn der Assistent nicht zu ihnen gesagt hätte: Berühre ihn keiner, denn der Hund hat gethan, was ich ihm befohlen habe!
Die Schlechtigkeit meines Herrn war nun offenkundig, ich aber sprang, ohne von einem Menschen Abschied zu nehmen, durch ein Loch der Stadtmauer hinaus ins freie Feld und lief noch vor Tages Anbruch nach Mayrena, einem Flecken vier Meilen von Sevilla. Hier wollte mein guter Stern, daß ich mit einer Compannie Soldaten zusammentraf, die nach dem, was ich sie sagen hörte, im Begriffe standen, sich nach Cartagena einzuschiffen.
Dabei befanden sich vier Kuppler, die einst Freunde meines Herrn gewesen waren, und der Trommler war ein ehemaliger Häscher und großer Possenreißer, wie die Trommler meist zu sein pflegen. Alle kannten mich, alle sprachen mit mir und fragten mich nach meinem Herrn, als ob ich ihnen Rede und Antwort geben könnte. Am meisten Zuneigung schien aber der Trommler zu mir zu haben und daher beschloß ich, mich mit ihm zu verständigen, wenn es ihm Recht wäre, und wollte ihm auf dem ganzen Feldzuge folgen, ob er mich nun nach Italien oder nach Flandern nähme, denn ich bin der Meinung und du mußt auch dieselbe Ansicht haben, daß trotz dem Sprichwort
Es geht ein Gagack übers Meer
Und kommt als Gagack wieder her
das Reisen in fremden Ländern und der Umgang mit fremden Völkern den Verstand schärft.
Cipion.
Das ist gewiß wahr, denn ich besinne mich gehört zu haben, wie ein sehr geistreicher Mann sagte, daß man dem berühmten Griechen Namens Ulysses blos deswegen den Namen des klugen beigelegt habe, weil er durch viele Länder gereist sei und mit verschiedenen Menschen und Völkern Verkehr getrieben habe; und deshalb lobe ich den Vorsatz, den du faßtest, hinzugehen, wohin man dich führte.
Berganza.
Nun begab es sich, daß der Trommelschläger, um seine Possenreißereien in einem noch höhern Lichte zu zeigen, auf den Einfall gerieth, mich nach dem Tacte seiner Trommel tanzen zu lehren und andere Affenstreiche mit mir zu treiben, welche durchaus kein anderer Hund, als ich, hätte lernen können, wie du auch hören wirst, wenn ich sie dir erzähle.
Da nun unser Marsch bald zu Ende gieng, übereilten wir uns nicht; wir hatten keinen Commissär, der uns Vorschriften machte; der Hauptmann war noch jung, aber ein recht wackerer Ritter und guter Christ; der Fähndrich hatte erst seit wenigen Monaten den Hof und das Gesellschaftszimmer verlassen; der Feldwebel war geldgierig und pfiffig und ein großer Compannientreiber von dem Werbeort an bis zum Einschiffungsplatz.
Bei der Compannie war viel loses Gesindel, das in den Ortschaften, durch welche wir kamen, manchen Frevel verübte, worüber derjenige verwünscht ward, der es nicht verdiente, das Unglück manches guten Fürsten, daß die Schuld seiner Unterthanen ihm beigemessen wird, weil die einen die Henker der andern sind ohne die Schuld des Landesherrn, der bei dem besten Willen und Eifer diese Uebel nicht abwenden kann, weil alles oder doch das meiste, was zum Kriege gehört, Strenge, Härte und Plackerei mit sich führt.
Kurz in weniger als vierzehn Tagen lernte ich bei meinem guten Kopf und bei der Mühe, die sich derjenige mit mir gab, den ich zu meinem Beschützer erwählt hatte, für den König von Frankreich tanzen und für die schlechte Marketenderin den Schwanz einziehen. Er richtete mich ab, Schwenkungen zu machen, wie ein neapolitanisches Pferd, im Kreise herum zu gehen, wie ein Maulthier in der Drehmühle, nebst andern Dingen, die es hätten zweifelhaft machen können, ob ich nicht am Ende ein Teufel in Hundegestalt sei, daß ich solche Künste verstehe, wofern ich nicht darauf bedacht gewesen wäre, sie nicht zu weit zu treiben.
Mein Herr legte mir den Namen der weise Hund bei, und wir waren kaum am Ziele unseres Tagemarsches angelangt, als der Trommler seine Trommel schlug und durch den ganzen Ort verkündete, wer die wundervollen Späße und Geschicklichkeiten des weisen Hundes sehen wolle, solle sich in dieß und dieß Haus oder in einen gewissen Hospital begeben, den er angab, und für acht oder vier Maravedis, je nachdem der Ort groß oder arm schien, können sie ihn sehen. Bei seinen Anpreisungen blieb niemand in dem ganzen Orte, der nicht gekommen wäre, mich zu sehen, und niemand gieng ohne Verwunderung und Zufriedenheit mit dem Schauspiel hinweg.
Mein Herr triumphirte über seine reichliche Einnahme und unterhielt sechs Kameraden wie Könige. Habsucht und Neid erweckten in den Kupplern die Lust, mich zu stehlen und sie suchten nach einer Gelegenheit dazu, denn die Möglichkeit seinen Unterhalt zu gewinnen mit bloßer Ergetzlichkeit hat viele Liebhaber, die daran Geschmack finden; darum sieht man auch so viele Puppenspieler in Spanien, so viele, welche Bilder vorzeigen, so viele, welche Stecknadeln und Lieder verkaufen. Ihr ganzer Vorrath, wenn sie ihn auch auf einmal verkauften, reicht nicht für den Unterhalt eines einzigen Tags, und doch verlassen diese Leute das ganze Jahr nicht die Schenken und Kneipen. Dieß bringt mich auf die Vermuthung, daß sie die Mittel zu ihrem Schlemmen anders woher nehmen müssen als von ihrem Gewerbe. Es ist lauter landstreicherisches, unnützes und unbrauchbares Gesindel, Weinschwämme und Brodfresser.
Cipion.
Genug, Berganza, laß uns nicht in unsere frühere Fehler zurückfallen! Fahre fort! Die Nacht geht vorbei, und ich möchte nicht, daß uns der Aufgang der Sonne in den Schatten des Stillschweigens zurückwürfe.
Berganza.
Schweig und höre! Da es eine leichte Sache ist, zu einer Erfindung noch eine Verbesserung hinzu zu fügen, so machte mir mein Herr, welcher sah, wie gut ich die napolitanischen Renner nachmachen konnte, eine Schabracke von vergoldetem Leder und einen kleinen Sattel, den er mir auf den Rücken schnallte. Auf diesen setzte er eine leichte männliche Puppe, mit einer Lanze zum Ringelrennen, und lehrte mich nun genau unter einem Ringe wegzuspringen, der zwischen zwei Pfählen aufgehängt war. An dem Tage, wo dieses Ringelrennen ausgeführt werden konnte, kündigte er an, heute werde der weise Hund ein Ringelrennen halten, und andere neue und unerhörte Kunststücke ausführen, welche ich denn auch mit all meiner Geschicklichkeit vollbrachte, um meinen Herrn nicht Lügen zu strafen.
Wir kamen nun auf unsern kleinen Tagmärschen auch nach Montilla, einem Orte, welcher dem berühmten und altchristlichen Markgrafen von Priego gehört, dem Stammältesten des Hauses Aguilar und Montilla. Man quartirte meinen Herrn, weil er es darauf anlegte, in ein Spital ein; er erließ sogleich seine gewöhnliche Bekanntmachung und da der Ruf von den Geschicklichkeiten und Kunststücken des weisen Hundes schon vor uns hergeeilt war, so füllte sich der Hof in weniger als einer Stunde mit Menschen. Mein Herr freute sich, als er die reiche Ernte erblickte, und zeigte an diesem Tage seine Possenreißerei im höchsten Grade.
Die Sache begann damit, daß ich durch einen Siebring sprang, der wie ein Faßreif aussah; mein Herr beschwor mich mit den gewöhnlichen Fragen, und wenn er eine Weidenruthe, die er in der Hand hielt, niedersinken ließ, so war dieß das Zeichen, daß ich springen sollte; hielt er sie aber empor, so mußte ich still stehen. Der erste Befehl, den er mir an diesem Tage, dem merkwürdigsten meines Lebens, ertheilte, war:
Auf, Freund Gavilan, springe für den grünen Alten, den du kennst, der seinen Bart marinirt D. h. »färbt«. ( Anm.d.Hrsg.)! Oder willst du nicht, so springe für die Pracht und den Schmuck der Donna Pimpinela von Plafagonia, der Gefährtin der jungen Gallizierin, welche in Valdeastillas diente. Steht dir dieß nicht an, Sohn Gavilan? Nun so springe für den Baccalaureus Pasillas, der sich Licenciat unterschreibt, ohne irgend einen Grad zu haben. O du bist recht faul, warum springst du denn nicht? Doch ich merke und errathe schon deine Schelmerei. Jetzt springe für den Rebensaft von Esquivias Dies war der Geburtsort von Cervantes' Gattin. ( Anm.d.Hrsg.), der eben so trefflich ist, wie der von Ciudadreal, San Martin und Ribadavia.
Er senkte die Gerte und ich sprang und zeigte damit seine bösen Gedanken. Er wandte sich darauf an das Publicum und rief laut:
Denkt ja nicht, hochansehnlicher Senat, daß das, was dieser Hund weiß, nur Narrenspossen sind. Vierundzwanzig Stücke habe ich ihn gelehrt, und das geringste davon ist so, daß ein Sperber darnach stoßen würde; ich meine damit, man reist wohl dreißig Meilen weit, um es zu sehen. Er kann die Zarabanda und die Chacona besser tanzen, als ihre Erfinderin selbst; er trinkt ein Stübchen Wein, ohne einen Tropfen übrig zu lassen; er singt sein sol fa mi ra trotz einem Küster. Alle diese Dinge und viele andere, die ich noch anführen könnte, sollen meine verehrten Herrschaften zu sehen bekommen, während die Compannie hier ihr Standquartier hat. Jetzt wird unser weiser Hund noch einen andern Sprung thun, und dann soll's gleich an die Hauptvorstellung gehen.
Die Zuhörerschaft, die er einen hochansehnlichen Senat genannt hatte, wurde durch diese Versprechungen nur um so gespannter, und ihr Wunsch, alle meine Geschicklichkeit zu sehen, entflammte sich immer mehr. Mein Herr wandte sich darauf an mich und sagte:
Kommt her, Sohn Gavilan, und macht mit anständiger Gewandtheit und Geschicklichkeit die Sprünge, die ihr gemacht habt, wieder rückwärts; aber es muß zu Ehren der berühmten Hexe geschehen, die hier im Orte gelebt haben soll.
Kaum hatte er dieß gesagt, als die Spitalmutter, eine alte Frau, dem Anschein nach von mehr als sechzig Jahren, ihre Stimme erhob und rief:
Schurk, Marktschreier, Lügenmaul und Hurensohn, hier ist gar keine Hexe. Wenn ihr die Camacha meint, so hat die schon ihre Sünde gebüßt und ist jetzt Gott weiß wo. Meint ihr mich, Hanswurst, so bin ich keine Hexe und bin auch mein Lebtage keine gewesen, und wenn ich im Rufe gestanden bin, eine zu sein, so kam das von den falschen Zungen und dem Recht der Willkür und dem unbesonnenen und übelberichteten Richter; jetzt aber weiß alle Welt, welches bußfertige Leben ich führe, nicht zwar wegen der Hexereien, die ich nicht verübt, wohl aber wegen vieler andern Sünden, die ich als eine Sünderin begangen habe. Darum packt euch nur fort aus dem Hospital, ihr Pickelhäring, Hundetrommler, oder so wahr ich lebe, ich mache, daß ihr geschwinder, als im Schritt, hinaus kommt!
Dabei fieng sie an, so laut zu schreien und meinen Herrn mit einem solchen Hagel derber Schimpfreden zu bedienen, daß sie ihn ganz in Verwirrung und Bestürzung brachte. Kurz sie ließ die Vorstellung durchaus nicht weiter gehen. Mein Herr konnte die Störung verschmerzen, denn er hatte sein Geld und er beraumte einen andern Tag und anderes Spital an zur Nachholung dessen, was bis jetzt noch fehlte. Die Zuschauer aber giengen unter Fluchen auf die Alte weg und fügten dem Namen Hexe noch andere Titel, als Teufelsbannerin und bärtige Vettel bei.
Trotz alle dem blieben wir noch die Nacht darauf im Hospital. Da begegnete mir, als ich in dem Hofe allein war, die Alte und sagte zu mir: Bist du Montiel, mein Sohn? Bist du es, mein Sohn?
Ich erhob den Kopf und sah sie lange an; als sie dieß bemerkte, kam sie mit Thränen in den Augen auf mich zu, umarmte mich und hätte mich auf den Mund geküßt, wenn ich es geduldet hätte; allein es eckelte mir und ich gab es nicht zu.
Cipion.
Daran thatest du wohl, denn es ist kein Vergnügen, sondern eine Qual, eine alte Frau zu küssen, oder sich von ihr küssen zu lassen.
Berganza.
Was ich dir jetzt erzählen will, hätte ich dir gleich zu Anfang meiner Geschichte sagen sollen; dann würden wir uns nicht so sehr über unser Sprachvermögen gewundert haben; denn du mußt wissen, daß die Alte zu mir sagte:
Sohn Montiel, komm mir nach, damit du siehst, wo meine Stube ist. Diese Nacht aber richte es so ein, daß wir uns dort allein sehen können! Ich will die Thüre offen lassen. Wisse ich habe dir vielerlei Dinge über dein Leben mitzutheilen, die zu deinem Vortheil gereichen werden.
Ich neigte den Kopf zum Zeichen, daß ich ihr gehorchen wolle, wodurch sie, wie sie mir später sagte, vollkommen in der Meinung bestärkt wurde, daß ich der Hund Montiel sei, den sie suchte. Ich erwartete den Abend voll Staunen und Verwirrung, begierig zu erfahren, wo es mit diesem Geheimniß oder Wunder hinaus wolle, daß die Alte mich angeredet hatte; und weil ich sie eine Hexe hatte nennen hören, so versprach ich mir von diesem Besuch und der Unterredung mit ihr große Dinge.
Endlich kam der Augenblick, wo ich mich mit ihr auf ihrem Zimmer befand, einem düstern, engen und niedrigen Gemach, das blos durch den schwachen Schimmer einer irdenen Lampe erhellt war, welche darin stand. Die Alte putzte die Schnuppe, setzte sich auf ein Kästchen, zog mich zu sich und umarmte mich von Neuem, ohne ein Wort zu sagen; ich aber sah mich wieder vor, daß sie mich nicht küßte.
Ihre ersten Worte waren: Ich hoffte allerdings, mein Sohn, daß der Himmel mir noch einmal deinen Anblick gewähren werde, ehe diese meine Augen sich zum letzten Schlafe verschlössen. Nun, da ich dich gesehen habe, mag der Tod immerhin kommen und mich aus diesem mühseligen Leben wegnehmen. Du mußt wissen, mein Sohn, daß in diesem Städtchen die berühmteste Zauberin lebte, die es je auf der Welt gegeben hat und welche man die Camacha von Montilla nannte. Sie war so einzig in ihrer Kunst, daß Erichtho, Circe, Medea und alle von denen ich sagen hörte, daß die Geschichten voll seien, ihr nicht gleich kamen.
Sie zog Wolken zusammen, wann es ihr beliebte, und verwandelte, wann es ihr gefiel, den heitern Himmel in den trübsten. Sie zog die Menschen in einem Augenblick aus fernen Landen herbei; sie wußte auf eine wunderbare Art den Jungfrauen zu helfen, die in Bewahrung ihrer Unschuld eine Unachtsamkeit begangen hatten; sie setzte die Wittwen in den Stand, in allen Ehren ein zügelloses Leben zu führen; sie trennte und stiftete Ehen, wie es ihr beliebte; im December hatte sie frische Rosen in ihrem Garten und im Januar schnitt sie Waizen; in einem Backtroge Kresse wachsen zu lassen, war nur eines von ihren geringsten Kunststücken, so wie in einem Spiegel oder auf dem Nagel eines Kindes die Lebendigen oder die Todten zu zeigen, die man nur verlangte.
Sie stand in dem Rufe, daß sie die Menschen in Thiere verwandle, und sie habe sich sechs Jahre lang eines Küsters in Gestalt eines Esels bedient, ganz in der That und Wahrheit, wovon ich nie begreifen konnte, wie es geschah; denn wenn man von jenen alten Zauberinnen sagt, daß sie die Menschen in Thiere verwandelt haben, so sagen die, welche sich auf die Sache verstehen, es sei weiter nichts gewesen, als daß sie durch ihre große Schönheit und durch ihre Liebkosungen die Männer auf eine Weise angezogen, daß sie sie lieben mußten, wobei sie sich dieselben alsdann ganz dienstbar machten und sie zu allem, was sie wollten, gebrauchten, als wären es Thiere.
An dir aber, mein Sohn, zeigt mir die Erfahrung das Gegentheil, denn ich weiß, daß du ein vernünftiges Wesen bist und sehe dich doch in Gestalt eines Hundes; dieß kann nur durch die Wissenschaft geschehen, die man Tropelia Das spanische tropelía bedeutet ›Übergriff, Missbrauch, Gewalttat‹. ( Anm.d.Hrsg.) nennt, und welche ein Ding für das andere erscheinen läßt. Dem sei nun, wie es wolle, das macht mir den meisten Kummer, daß weder ich noch deine Mutter, die wir Schülerinnen der guten Camacha gewesen sind, jemals so weit in der Wissenschaft gelangten, wie sie, und zwar nicht aus Mangel an Scharfsinn, Geschicklichkeit oder Muth, denn in dieser Hinsicht waren wir ihr eher überlegen, als daß wir hinter ihr zurückstanden; sondern ihre ungemeine Bosheit war daran Schuld, vermöge deren sie uns niemals in den größeren Künsten unterrichten wollte, weil sie diese nur für sich selbst behielt.
Deine Mutter, mein Sohn, hieß Montiela, die nach der Camacha die berühmteste war. Ich heiße Cannizares, und wenn ich nicht so weit in der Kunst bin, wie jene beiden waren, so ist doch wenigstens meine Absicht eben so gut, als die von irgend einer dieser beiden. Es ist wahr, daß deine Mutter den Muth hatte, eine ganze Legion Teufel in einen Kreis zu bannen und selbst hinzuzutreten, so daß sie die Camacha selbst nicht übertraf.
Ich dagegen war immer etwas furchtsamer Natur und begnügte mich damit, eine halbe Legion herbei zu beschwören; aber mit aller Achtung von beiden sei es gesagt, in der Kunst jene Salben zu bereiten, mit welchen wir Hexen uns salben, darin gab ich keiner im geringsten den Vorrang und werde ihn auch keiner von allen gestatten, welche heut zu Tage unsern Regeln folgen und sie beobachten. Du mußt aber wissen, mein Sohn, als ich sah, wie ich jetzt deutlich sehe, daß mein Leben auf den leichten Schwingen der Zeit seinem Ende zueilt, bestrebte ich mich, alle Laster der Zauberei, in die ich seit vielen Jahren versunken war, abzulegen, und dabei blieb mir nur noch aus Neugierde die Sucht, eine Hexe zu sein, ein Fehler, der außerordentlich schwer abzulegen ist.
Deine Mutter that dasselbe, sie reinigte sich von vielen Lastern und that in diesem Leben viele gute Werke; am Ende aber starb sie als Hexe. Sie starb aber an keiner Krankheit, sondern aus Schmerz, den ihr die Camacha, ihre Lehrmeisterin, verursachte aus Neid, den sie gegen sie hegte, weil sie ihr in der Wissenschaft gleich kommen wollte, oder aus einer andern kleinlichen Eifersucht, denn darüber konnte ich nie aufs Klare kommen.
Deine Mutter war schwanger, und als die Stunde der Geburt herannahte, leistete ihr die Camacha Hebammendienste und empfing mit ihren Händen das, was deine Mutter gebar. Sie zeigte ihr nun, daß sie zwei junge Hunde geboren habe. Sobald sie sie aber sah, rief sie aus:
Hier ist Verrath, hier ist Spitzbüberei im Spiele! Aber, Schwester Montiela, ich bin deine Freundin und werde diese Niederkunft verheimlichen. Sieh nur zu, daß du wieder gesund werdest, und rechne darauf, daß dieses dein Unglück ins tiefste Stillschweigen soll vergraben werden! Mache dir keinen Kummer über diesen Vorfall, denn du weißt ja, was auch mir bekannt ist, daß du seit langer Zeit mit sonst niemand Verkehr gehabt hast, als mit deinem Liebhaber, dem Tagelöhner Rodriguez. Deßhalb muß diese Hundegeburt irgend etwas anderes zum Grunde haben und irgend ein Geheimniß enthalten.
Deine Mutter und ich, denn ich war bei dem ganzen seltsamen Vorfalle zugegen, waren ganz erstaunt. Die Camacha gieng fort und nahm die Hündchen mit; ich blieb bei deiner Mutter, um ihr in ihren Wochen beizustehen, und diese konnte noch immer nicht begreifen, was ihr begegnet war. Camachas Sterbestunde kam, und wie sie in den letzten Zügen lag, ließ sie deine Mutter rufen und gestand ihr, daß sie ihre Kinder aus Zorn gegen sie in Hunde verwandelt habe; sie solle sich indeß keinen Kummer darüber machen, denn sie werden einmal in ihre frühere Gestalt zurückkehren, wo sie es am wenigsten vermuthen; doch könne dieß nicht früher geschehen, als bis sie das Folgende mit eigenen Augen gesehen haben:
Die vorige Gestalt wird ihnen wieder,
Wenn sie bemerken, wie mit regem Eifer
Die Stolzen, die da stehen, niederstürzen
Und aus dem Staub Demüthige sich erbeben
Durch eine Hand, die es vermag zu wenden.
Dieß sagte die Camacha zu deiner Mutter bei ihrem Tode, wie ich dir schon gesagt habe. Deine Mutter schrieb es sich auf und lernte es auswendig und ich prägte es ebenfalls meinem Gedächtnisse ein, um es einem von euch wieder sagen zu können, wenn sich einmal Gelegenheit dazu finden sollte.
Um euch zu erkennen, rufe ich alle Hunde von deiner Farbe, die ich sehe, und nenne den Namen deiner Mutter, nicht als dächte ich, die Hunde kennen diesen Namen, sondern um zu sehen, ob sie auf den Ruf eines Namens hören, der von dem anderer Hunde so verschieden ist.
Wie ich nun diesen Abend sah, daß du so viele Kunststücke machtest, und daß man dich den weisen Hund nannte, und daß du den Kopf emporrichtetest, um mich anzuschauen, wie ich dir auf dem Hofe rief, da hielt ich dich für einen Sohn der Montiela, und ich gebe dir mit dem größten Vergnügen Nachricht über deine Schicksale und über die Art und Weise, wie du deine ursprüngliche Gestalt wieder erlangen kannst. Ich wünschte nur, dieß gienge so leicht, wie es vom Apulejus im goldenen Esel erzählt wird, daß er nur eine Rose zu fressen brauchte; aber diese deine Verwandlung beruht auf Handlungen anderer und nicht auf deinem eigenen Bemühen.
Was du zu thun hast, mein Sohn, ist, daß du dich Gott empfiehlst in deinem Herzen und erwartest, daß dasjenige, was ich nicht Prophezeiungen, sondern Ahnungen nennen will, bald und glücklich in Erfüllung gehe; denn da die brave Camacha sie ausgesprochen bat, werden sie auch ganz sicher sich erfüllen, und du und dein Bruder, wenn er noch lebt, ihr werdet euch in einem Zustande sehen, wie ihr ihn nur wünschen könnt.
Was mir leid thut, ist nur, daß ich mich meinem Ende so nahe fühle und nicht mehr Zeit haben werde, es zu sehen. Oft wollte ich meinen Bock fragen, was denn eure Geschichte für ein Ende nehmen werde, aber ich wagte es nicht, weil er nie geradezu auf unsere Fragen antwortet, sondern immer in verdrehten und vieldeutigen Reden; darum kann man diesen unsern Herrn und Meister nicht fragen, denn er mischt in eine Wahrheit tausend Lügen und nach dem, was ich aus seinen Antworten schließe, weiß er über die Zukunft nichts Gewisses, sondern hat nur Vermuthungen.
Trotz alle dem hat er uns Hexen so im Bann, daß wir nicht von ihm lassen können, wenn er uns auch tausend schlimme Streiche spielt. Zuweilen besuchen wir ihn auf einem großen ebenen Felde weit von hier, und dort versammelt sich eine unendliche Schaar von Leuten, Hexenmeistern und Hexen. Er gibt uns dort eine unschmackhafte Mahlzeit und es gehen noch andere Dinge vor, die in Wahrheit bei Gott und meiner Seele so unflätig und schmutzig sind, daß ich sie nicht zu erzählen wage, weil ich deine keuschen Ohren nicht beleidigen will.
Es gibt Leute, welche glauben, wir gehen zu diesen Gastmahlen nur mit der Phantasie, wo uns der Teufel die Bilder von allen jenen Gegenständen vorspiegelt, welche wir alsdann als wirklich erlebte Begegnisse erzählen; andere wieder sagen das Gegentheil und behaupten, wir seien wirklich mit Leib und Seele dabei; ich aber bin der Ansicht, daß beide Meinungen wahr sind, denn wir wissen es nie genau, wann wir auf die eine oder die andere Weise hingehen; aber alles, was in unserer Phantasie vorgeht, hat so sehr den Anschein des Wesenhaften, daß wir keinen Unterschied darin machen können, ob wir wirklich mit Leib und Seele dabei sind oder nicht. Einige Erfahrungen über diesen Gegenstand haben die Herren Inquisitoren gemacht bei einigen von uns, welche verhaftet waren, und ich denke, sie könnten die Wahrheit dessen, was ich sage, bekräftigen.
Ich wünschte, mein Sohn, diese Sünde abzuthun, und habe mir deshalb schon viele Mühe gegeben; ich bin Hospitalswärterin geworden, und verpflege die Armen; einige davon sterben und erhalten mir das Leben durch das, was sie mir vermachen oder was in ihren Lumpen bleibt, da ich mit der größten Sorgfalt ihre Kleider durchsuche. Ich bete wenig, aber öffentlich; ich lästere viel, aber geheim, denn es steht mir besser an, eine Heuchlerin zu sein, als eine offenbare Sünderin, und der Schein meiner gegenwärtigen guten Werke verlöscht in dem Gedächtniß derer, die mich kennen, das Andenken an die vergangenen bösen Handlungen.
In der That schadet verstellte Heiligkeit niemanden, als dem der sie ausübt. Befolge, mein Sohn Montiel, diesen meinen Rath! Sei so gut, als du kannst, und wenn du doch schlecht sein mußt, so suche es so viel du kannst, im Verborgenen zu sein. Ich bin eine Hexe, das leugne ich nicht; deine Mutter war Hexe und Zauberin, auch das kann ich dir nicht leugnen; allein der gute Schein, den wir beide zu behaupten wußten, erhielt unsern Ruf vor der ganzen Welt.
Drei Tage vor ihrem Tode waren wir beide noch zusammen in einem Thale des Pyrenäengebirgs bei einem großen Hexenmahle, und demungeachtet starb sie so ruhig und sanft, daß sie, einige Fratzen ausgenommen, die sie noch eine Viertelstunde vor ihrem Verscheiden schnitt, auf ihrem Sterbelager aussah, als ob sie auf einem mit Blumen bestreuten Brautbett ruhte. Ihre beiden Söhne lagen ihr noch sehr am Herzen und selbst im Augenblicke des Todes wollte sie der Camacha nicht verzeihen, so fest und bestimmt war sie in allen ihren Angelegenheiten.
Ich drückte ihr die Augen zu und begleitete sie zu Grabe. Dort verließ ich sie, um sie nie wiederzusehen, wiewohl ich jetzt doch nicht alle Hoffnung aufgegeben habe, sie vor meinem Ende noch einmal zu setzen; denn man erzählt sich im Flecken, daß sie einige Leute auf den Kirchhöfen und Kreuzwegen in verschiedenen Gestalten haben umgehen sehen, und vielleicht treffe ich sie auch noch einmal an und frage sie, ob sie mir zur Beruhigung ihres Gewissens etwas aufzutragen habe.
Jeder dieser Lobsprüche, welche die Alte meiner angeblichen Mutter ertheilte, war mir ein Dolchstich ins Herz; ich hätte sie packen und in Stücke zerreißen mögen, und wenn ich es unterließ, so geschah es nur, um sie nicht in diesem heillosen Zustande sterben zu sehen. Zuletzt sagte sie mir, sie gedenke, sich diesen Abend zu salben, um an einem ihrer gewöhnlichen Gastmäler Theil zu nehmen und dort gedenke sie an ihren Herrn einige Fragen darüber zu thun, was mir noch begegnen werde.
Ich hätte mich gern erkundigt, was das für Salbe sei, wovon sie rede; es schien aber sie sah mir meine Neugier an und antwortete auf meine Absicht, wie wenn ich sie gefragt hätte, und sagte sodann:
Diese Salbe, mit welcher wir Hexen uns bestreichen, ist aus Säften eiskalter Kräuter zusammengesetzt, und nicht, wie der gemeine Mann denkt, aus dem Blute der Kinder bereitet, die wir erwürgen. Du könntest mich hier vielleicht auch fragen: Welches Vergnügen oder welchen Vortheil zieht der Teufel daraus, daß er uns zarte Kinder umbringen macht, da er doch weiß, daß sie getauft sind und als unschuldig und sündlos in den Himmel kommen, während er doch über jede Christenseele sich besonders ärgert, die ihm entwischt? Darauf kann ich dir nichts anders erwidern, als was das Sprichwort sagt: Mancher reißt sich zwei Augen aus, damit sein Feind sich eines ausreiße.
Auch thut er es wegen des Kummers, den er den Eltern verursacht, deren Kinder er umbringt, denn einen größern Kummer kann man sich nicht vorstellen; und es ist ihm an nichts so sehr gelegen, als daß wir jeden Augenblick eine so grausame ruchlose Sünde begehen. Dieß alles erlaubt Gott um unserer Sünden willen, denn ohne seine Erlaubniß, das habe ich in meiner eigenen Erfahrung beobachtet, kann der Teufel keiner Ameise etwas zu Leide thun. Dieß ist so wahr, daß, als ich ihn eines Tags bat, den Weinberg eines meiner Feinde zu zerstören, er mir antwortete, er könne auch nicht ein Blatt darin berühren, da Gott es nicht wolle.
Daraus kannst du abnehmen, wann du ein Mensch bist, daß alles Unglück, das über Völker, Königreiche, Städte und Dörfer kommt, plötzlicher Tod, Schiffbruch, Untergang, kurz alles Uebel, das man Unheil nennt, aus der Hand des Höchsten kommt, und mit seiner Genehmigung geschieht; das Unheil und Uebel aber, das man Schuld nennt, kommt und wird veranlaßt von uns selbst. Gott ist sündlos; daher kommt es, daß wir allein die Urheber der Sünde sind, indem wir sie im Willen, in Wort und That, zum Dasein bringen, was alles Gott erlaubte um unserer Sünden willen, wie ich schon gesagt habe.
Du wirst nun, wenn du mich verstehst, sagen, wer mich denn zu einer Theologin gemacht habe; ja du wirst vielleicht in deinem Herzen ausrufen: Hole der Teufel die alte Hure! Warum hört sie nicht auf, eine Hexe zu sein, da sie doch so viel weiß, und warum wendet sie sich nicht zu Gott, da sie weiß, daß er geneigter ist, Sünden zu vergeben, als sie zuzulassen?
Darauf erwidere ich dir, wie wenn du mich gefragt hättest: Die Gewohnheit zu sündigen wird zur andern Natur und die Gewohnheit eine Hexe zu sein geht ins Fleisch und Blut über, und mitten in der Hitze des Blutes, die ungeheuer ist, entsteht ein Fieberfrost, der auf die Seele selbst, wenn sie gläubig sein will, schaudernd und erstarrend einwirkt. Hieraus entsteht ein Vergessen seiner selbst, so daß es uns unmöglich wird, an die Schrecknisse zu denken, mit denen uns Gott droht, und uns an die Seeligkeit zu erinnern, zu der er uns einladet. Und in Wahrheit, da dieß eine Sünde des Fleisches und der Sinnlichkeit ist, muß diese Sucht all unser Bewußtsein abtödten, in Verzückung versetzen und betäuben, so daß wir nicht mehr im Stande sind, von unsern Fähigkeiten Gebrauch zu machen, wie wir sollten. Dadurch wird die Seele unnütz, schwach und schlaff und ist durchaus unvermögend, die Betrachtung zu einem tugendhaften Gedanken zu erheben. Also versunken in den tiefen Abgrund ihres eigenen Elends bat sie nicht die Willenskraft, ihre Hand zu Gott zu erheben, der ihr die seinige aus seiner Barmherzigkeit entgegenstreckt, damit sie aufstehe. Auch meine Seele gehört zu denen, die ich dir beschrieben habe; ich sehe alles und begreife alles; da aber die sinnliche Lust meinem Geiste Fesseln angelegt hat, so bin ich immer ruchlos gewesen und werde es auch bleiben.
Lassen wir das aber und kommen wieder auf die Salben zurück! Diese sind so kalt, daß sie uns, wenn wir uns damit reiben, aller Sinne berauben; wir liegen nackt auf dem Fußboden hingestreckt, und dann sagt man, gehen in unserer Einbildung alle diejenigen Dinge mit uns vor, die wir dann wirklich erlebt zu haben glauben. Manchmal, wenn wir uns gesalbt haben, scheint es uns auch, als wenn wir unsere Gestalt veränderten und in Hähne, Eulen oder Raben verwandelt uns nach dem Orte begäben, wo unser Meister uns erwartet, dort aber unsere frühere Gestalt wieder annähmen, und dann solche Vergnügungen genößen, die ich dir zu erzählen unterlasse, weil sie von der Art sind, daß das Gedächtniß sich davor entsetzt, wenn es sich ihrer erinnert, und die Zunge den Dienst versagt, wenn sie davon berichten soll.
Demungeachtet bin ich eine Hexe, bedecke aber alle meine vielen Fehler mit dem Mantel der Heuchelei. Wenn mich nun auch wirklich einige schätzen und als rechtschaffen ehren, so fehlt es doch auch nicht an Vielen, welche in meine Ohren hinein den Ehrennamen sagen, mit welchem uns die Wuth eines jähzornigen Richters gebrandmarkt bat. Er hatte in früheren Zeiten mit mir und mit deiner Mutter zu thun und legte daher seinen Zorn in die Hände seines Büttels, welcher, da er nicht bestochen war, seine ganze Gewalt und Strenge an unseren Rücken ausließ. Das ist indeß nun vorbei und alle Dinge sind vergänglich, die Erinnerung verschwindet, das Leben kehrt nicht um, die Zungen werden müde, und neue Begebenheiten machen die alten vergessen.
Ich bin Hospitalwärterin, führe mich scheinbar gut auf, meine Salbe verschafft mir gute Augenblicke, und ich bin nicht so alt, daß ich nicht noch ein Jahr leben könnte, ob ich gleich schon fünf und sechzig auf dem Rücken habe. Wegen meines Alters kann ich nicht mehr fasten, nicht beten wegen Schwindels, nicht wallfahrten wegen der Schwäche meiner Beine, keine Almosen geben, weil ich arm bin, noch gute Gedanken hegen, da ich eine Freundin der Lästerung bin; und wer etwas Gutes thun will, muß es vorher auch denken; darum werden meine Gedanken immer böse sein.
Demungeachtet weiß ich, daß Gott gnädig und barmherzig ist, und daß er weiß, was aus mir werden soll, und das ist mir genug. Ich schließe aber hier meine Rede, denn wahrlich sie macht mich traurig. Komm, mein Sohn, und sieh zu, wie ich mich salbe! Denn
Leicht sind die Schmerzen
Bei Brod zu vergessen.
Du mußt dem guten Tag nicht die Thüre verschließen, und während man lacht, weint man nicht. Ich will damit sagen, wenn uns die Freuden, die uns der Teufel verschafft, nur Schein und Blendwerk sind, so dünken sie uns doch Freuden zu sein, und die Wollust ist in der Einbildung immer weit größer, als im wirklichen Genusse, obgleich bei wahren Freuden das Gegentheil stattfinden muß.
Nach dieser langen Rede stand sie auf, nahm die Lampe und gieng in ein anderes noch engeres Kämmerchen. Ich folgte ihr, von tausenderlei Gedanken bestürmt und verwundert über das, was ich gehört hatte und sehen sollte. Die Cannizares hängte die Lampe an die Wand, entkleidete sich hurtig bis auf das Hemd, holte aus einem Winkel eine gläserne Büchse, steckte die Hand hinein, und salbte sich von der Fußsohle bis an den unbehaubten Scheitel ein, wobei sie etwas zwischen den Zähnen murmelte. Ehe sie mit dem Salben fertig war, bat sie mich nicht zu erschrecken, wenn ihr Leib entweder empfindungslos in dieser Kammer liegen bleibe, oder daraus verschwinde, und ich möchte nicht ermangeln, bis zum Morgen hier zu bleiben, weil ich Nachricht erhalten werde über das, was mir noch bevorstehe, bis ich ein Mensch werde. Ich antwortete ihr durch Kopfnicken, ich werde es thun. Darauf vollendete sie ihre Salbung und streckte sich wie todt auf dem Boden aus. Ich näherte meinen Mund dem ihrigen und bemerkte, daß sie nicht im mindesten athmete.
Eines muß ich dir nun bekennen, Freund Cipion, daß ich mich sehr fürchtete, als ich mich in dem engen Gemache eingeschlossen sah mit dieser Gestalt vor mir, die ich dir nun schildern will, so gut ich kann. Sie war über sieben Fuß lang, ein wahres Knochenskelett mit einer schwarzen, haarigen und runzlichten Haut überzogen. Mit dem Bauche, der aus gegerbtem Schaafleder schien, bedeckte sie die Schaamtheile, ja er hieng ihr noch über die Hälfte der Schenkel hinunter. Die Zitzen glichen zwei dürren zusammengeschrumpften Ochsenblasen. Die Lippen waren schwärzlicht, die Zähne abgenützt, die Nase krumm und eingedrückt, die Augen verzerrt, das Haar zerzaust, die Wangen eingefallen, der Hals schmächtig, die Brust platt. Kurz ihre ganze Gestalt war hager und teuflisch. Ich betrachtete sie genau, bald aber bemächtigte sich meiner die Angst, indem ich den garstigen Anblick ihres Körpers und die noch garstigere Beschäftigung ihrer Seele erwog.
Ich wollte sie beißen, um zu sehen, ob sie dann zu sich komme, fand aber an ihrem ganzen Leibe keine Stelle, wo es der Eckel mir zugelassen hätte. Demungeachtet packte ich sie endlich an einer Ferse und schleppte sie in den Hof; aber auch dabei gab sie kein Zeichen von Bewußtsein. Dort machte der Anblick des freien Himmels und das Gefühl, in einem weiten Raum zu sein, daß meine Furcht mich verließ oder sich doch wenigstens in soweit milderte, daß ich den Muth hatte, abzuwarten, worauf die Reise und Zurückkunft dieses bösen Weibes hinauslaufe, und das anzuhören, was sie mir von meinen Schicksalen erzählen würde.
Während dieser Zeit stellte ich an mich selbst folgende Fragen: Was machte diese böse Alte so klug und so schlecht? Woher weiß sie, was Uebel des Unheils und Uebel der Schuld sind? Woher versteht und spricht sie so viel von Gott und handelt doch dem Teufel gemäß? Warum sündigt sie so viel aus Bosheit und entschuldigt sich nicht durch Unwissenheit?
Während dieser Betrachtungen entschwand die Nacht, der Tag kam und fand uns beide mitten im Hofe; sie verharrte in ihrer Ohnmacht und ich saß neben ihr auf den Hinterbeinen, indem ich aufmerksam ihre eben so abstoßenden als häßlichen Züge betrachtete. Nun liefen die Bewohner des Hospitals zusammen, und als sie dieses Schaustück sahen, riefen die einen:
Seht doch, die gebenedeite Cannizares ist gestorben! Schaut wie eingefallen und hager sie die Buße gemacht hat!
Andere mehr besonnene fühlten ihr den Puls, und als sie fanden, daß er noch schlug und daß sie noch nicht gestorben sei, meinten sie, sie sei in Ekstase und in den Himmel entzückt vor lauter Frömmigkeit.
Andere aber waren da, welche sagten: Die alte Hure ist ganz gewiß eine Teufelsbannerin und hat sich gesalbt; denn die Heiligen verfallen nie in so schändliche Verzückungen, und bis auf diesen Tag steht sie unter denen, die sie näher kennen, wie wir, mehr im Rufe einer Hexe, als einer Heiligen.
Nun gab es auch Neugierige, welche herzukamen und ihr Nadeln in das Fleisch stachen, von unten bis oben; die Schläferin erwachte aber dadurch nicht und kam nicht zu sich bis sieben Uhr des Morgens. Und wie sie sich von Stecknadeln zerstochen fühlte und an den Fersen zerbissen und ganz zerschunden durch das Herausschleppen aus ihrem Zimmer, und als sie sich den Blicken so vieler Zuschauer ausgesetzt sah, kam sie sogleich auf den allerdings richtigen Gedanken, daß ich der Urheber ihrer Schmach gewesen sei.
Sie fiel deshalb über mich her, faßte mich mit beiden Fäusten an der Gurgel, wobei sie mich zu erwürgen drohte und rief:
Du Schurke, undankbarer, dummer, boshafter Wicht, ist das der Lohn, welchen die Wohlthaten verdienen, die ich deiner Mutter gethan und die ich dir zu thun gedachte?
Da ich mich in Gefahr sah, unter den Krallen dieser schrecklichen Harpyen das Leben zu verlieren, sträubte ich mich gewaltsam, packte sie bei der langen Schleppe ihres Bauchs und zerrte und schleifte sie im ganzen Hofe umher; sie aber schrie, man solle sie doch aus den Zähnen dieses bösen Geists befreien.
Auf diese Worte der bösen Alten glaubten die meisten Gegenwärtigen, daß ich einer von jenen Teufeln sein müsse, welche beständigen Haß gegen gute Christen hegen. Einige kamen herzu und besprengten mich mit Weihwasser; andere wagten sich nicht in meine Nähe um mich loszureißen; noch andere schrieen, man solle mich beschwören; die Alte grunzte, ich biß die Zähne zusammen, die Verwirrung wuchs, und mein Herr, welcher auf den Lerm bereits herbei gekommen war, wollte verzweifeln, als er sagen hörte, ich sei ein Teufel; andere, welche sich auf Beschwörungen nicht verstanden, liefen mit drei oder vier Knitteln herzu und fiengen an, mir die Lenden damit einzusegnen.
Der Spaß behagte mir nicht, ich ließ die Alte los, war mit drei Sprüngen auf der Straße und brauchte nicht viel mehr, um aus der Stadt zu kommen, wobei ich von einer Menge Jungen verfolgt wurde, welche mit lauter Stimme riefen: Geht auf die Seite! Der weise Hund ist wüthend.
Andere riefen: Er ist nicht wüthend, sondern es ist ein Teufel in Hundsgestalt.
Mit dieser Prügelsuppe verließ ich wie unter Sturmgeläute das Dorf und viele von denen, die mir nachliefen, hielten mich im Ernst für einen Teufel, sowohl wegen der Künste, die sie mich hatten machen sehen, als wegen der Worte, welche die Alte gesprochen, als sie aus ihrem verwünschten Schlafe erwachte. Ich beeilte mich so sehr, zu fliehen und mich ihren Augen zu entziehen, daß sie glaubten, ich sei wie ein Teufel verschwunden.
In sechs Stunden legte ich zwölf Meilen zurück und kam zu einer Horde Zigeuner, die sich auf einem Felde in der Nähe von Granada gelagert hatten. Dort erholte ich mich ein wenig, denn einige der Zigeuner erkannten mich als den weisen Hund, nahmen mich mit nicht geringer Freude auf und verbargen mich in einer Höhle, damit man mich nicht fände, wenn man mich suchte, in der Absicht, wie ich nachher merkte, mit mir Geld zu verdienen, wie mein Herr der Trommler es gemacht hatte. Zwanzig Tage blieb ich bei ihnen und während dieser Zeit konnte ich ihre Lebensweise und Sitten kennen lernen und beobachten, und da sie merkwürdig sind, muß ich dir auch davon erzählen.
Cipion.
Ehe du fortfährst, Berganza, müssen wir dabei stillstehen, was dir die Hexe sagte, und untersuchen, ob die große Lüge, welcher du Glauben schenkst, wahr sein kann. Bedenke, Berganza, es wäre der größte Unsinn, zu glauben, daß die Camacha Menschen in Thiere verwandeln konnte und daß der Küster ihr in Gestalt eines Esels die ganze Zeit über diente, die er ihr gedient haben soll. Alle diese und ähnliche Dinge sind Trügereien, Lügen oder Blendwerk des Teufels, und wenn es uns jetzt scheint, wir haben Verstand und Vernunft, da wir sprechen und doch in Wahrheit Hunde sind, oder doch ihre Gestalt haben, so haben wir schon gesagt, daß dieß ein wunderbarer und unerhörter Fall ist, und daß, wenn wir ihn auch mit Händen greifen, wir ihm doch keinen Glauben beimessen dürfen, bis der Ausgang uns zeigt, was wir zu glauben haben.
Willst du dich noch deutlicher davon überzeugen, so betrachte nur, auf was für eiteln Dingen und auf welch' albernen Bedingungen nach der Behauptung der Camacha unsere Wiederverwandlung beruhen soll, und was dir als eine Prophezeiung erscheint, ist nichts anders als hohle Vertröstungen und Altweibergeschwätz, wie die Mährchen vom Pferd ohne Kopf und von der Wünschelruthe, mit welchen man sich am Feuer an den langen Winterabenden unterhält; denn hätten diese Worte einen höheren Werth, so wären sie bereits in Erfüllung gegangen, vorausgesetzt, daß man ihre Worte nicht in einem gewissen Sinn nehmen muß, den man, wie ich sagen hörte, den allegorischen nennt, welcher Sinn nicht das bedeutet, was die Buchstaben besagen, sondern etwas anderes, was, obgleich davon verschieden, diesen ähnlich ist. Der Spruch also
Die vorige Gestalt wird ihnen wieder,
Wenn sie bemerken, wie mit regem Eifer
Die Stolzen, die da stehen, niederstürzen
Und aus dem Staub Demüthige sich erheben
Durch eine Hand, die es vermag zu wenden,
wenn man ihn in der angegebenen Bedeutung faßt, scheint mir eigentlich Folgendes sagen zu wollen: Wir werden unsere wahre Gestalt wieder erhalten, wenn wir sehen, daß die, welche gestern auf der Spitze des Glücksrades schwebten, heute zu den Füßen des Unglücks niedergeworfen sich am Boden krümmen, und von denen nun verachtet werden, die sie früher hochschätzten. Ebenso, wenn wir sehen werden, daß andere, welche vor nicht zwei Stunden in dieser Welt nichts anders zu thun hatten, als die Zahl des großen Haufens zu vermehren, nun auf einmal vom Glücke so hoch getragen werden, daß wir sie gänzlich aus dem Gesichte verlieren, so daß, wenn wir sie vorher wegen ihrer Kleinheit und Geringfügigkeit nicht erkennen konnten, wir sie nun wegen ihrer Größe und Erhabenheit nicht zu erreichen vermögen.
Läge es nun blos daran, unsere Gestalt, von der du sagst, wieder zu bekommen, so haben wir ja dieß schon gesehen und sehen es jeden Augenblick, woraus ich schließe, daß die Verse der Camacha nicht in dem allegorischen, sondern in dem buchstäblichen Sinne zu nehmen sind. Allein auch hierin kann unsere Rettung nicht bestehen, denn wir haben das, was sie enthalten, vielmal gesehen, und sind doch, wie du wohl siehst, immer noch Hunde; und deshalb war die Camacha eine falsche Possenreißerin und Cannizares eine Betrügerin und Montiela thöricht, boshaft und spitzbübisch; doch mag das Gesagte mir verziehen werden, wenn sie etwa unser beider Mutter ist, oder die deinige, denn ich mag sie nicht zur Mutter haben.
Der wahre Sinn liegt, wie ich glaube, im Kegelspiel, wo man mit regem Eifer diejenigen, die da stehen, niederstürzt und die Gefallenen erhebt und zwar durch eine Hand, die solches zu wenden vermag. Nun bedenke, ob wir nicht im Verlaufe unseres Lebens oftmals haben Kegel spielen sehen und dennoch dadurch nicht wieder in Menschen umgewandelt worden sind, wenn wir es je einst werden.
Berganza.
Du hast Recht, Bruder Cipion, und bist gescheidter, als ich dachte. Was du gesagt hast, bringt mich auf den Gedanken und den Glauben, daß alles, was bisher mit uns vorgegangen ist und noch vorgeht, ein Traum ist und daß wir Hunde sind. Doch das soll uns nicht abhalten, von der Gabe der Sprache, die uns zu Theil ward, und dem großen Vorzug, daß wir menschliche Vernunft besitzen, Gebrauch zu machen, so lange wir können. Laß dichs darum nicht verdrießen, mir jetzt zuzuhören, wenn ich dir erzähle, was mir bei den Zigeunern widerfuhr, die mich in der Höhle verbargen.
Cipion.
Ich höre dir mit dem größten Vergnügen zu, um dich zu verpflichten, mich auch anzuhören, wenn ich dir, so Gott will, die Begegnisse meines Lebens mittheilen werde.
Berganza.
Das Leben, das ich bei den Zigeunern führte, bestand darin, daß ich die ganze Zeit über ihre vielfachen Schelmstücke und Ränke betrachtete, und die Diebstähle, in welchen sie sich üben, sowohl die Zigeunerinnen als die Zigeuner, von dem Augenblicke an, wo sie kaum den Windeln entwachsen sind und gehen können. Bedenke, was für eine Menge dieser Leute in Spanien zerstreut lebt! Und doch kennen sie sich alle und haben von einander Kunde, und sie stecken und schleppen sich einander gegenseitig das zu, was sie gestohlen haben.
Mehr als einem Könige gehorchen sie einem, den sie Graf nennen und der mit allen seinen Nachfolgern den Namen Maldonado führt, nicht zwar als stammten sie wirklich von diesem edeln Geschlechte ab, sondern weil ein Edelknabe eines Ritters dieses Namens sich in eine Zigeunerin verliebte, die unter keiner andern Bedingung seine Liebe erwiedern wollte, als wenn er ein Zigeuner würde und sie heirathete. Dieß that der Edelknabe und setzte sich bei den übrigen Zigeunern so in Gunst, daß sie ihn zu ihrem Oberhaupte machten und ihm Gehorsam leisteten. Als ein Zeichen ihrer Unterwürfigkeit gaben sie ihm einen Theil von dem ab, was sie stehlen, wenn es von einigem Belang ist.
Sie beschäftigen sich, um ihre Faulenzerei zu bemänteln, mit Arbeiten in Eisen und machen so Werkzeuge, womit sie sich das Stehlen erleichtern. So wirst du sie immer Zangen, Bohrer, Hämmer auf den Straßen zum Verkauf umhertragen sehen und die Weiber Dreifüße und Schaufeln. Die Weiber sind alle Hebammen und haben hierin einen Vorzug vor den unsrigen, daß sie ohne Kosten und Aufwand ihre Kinder zur Welt bringen, und sie baden dieselben gleich nach der Geburt mit kaltem Wasser. Von der Geburt bis zum Tode härten sie sich ab und gewöhnen sich, die Ungunst und Strenge der Witterung zu ertragen. Auch wirst du sehen, daß alle gewandte Springer, Läufer und Tänzer sind.
Sie verheirathen sich immer unter sich, damit ihre bösen Sitten nicht bei andern bekannt werden. Die Weiber beobachten den Anstand gegen ihre Männer und wenige beleidigen sie durch Umgang mit andern Männern, die nicht zu ihrem Volke gehören. Wenn sie um Almosen bitten, so wissen sie diese eher mit Kniffen und Possenreißerei zu erlangen, als mit Gebeten; unter dem Vorwande aber, daß ihnen kein Mensch Vertrauen schenke, treten sie nicht in Dienst, und geben sich dem Müßiggange hin.
Selten oder niemals sah ich, wenn ich mich recht erinnere, daß eine Zigeunerin am Fuße des Altars communicirt hätte, ob ich gleich oft in die Kirchen gegangen bin. Ihre Gedanken drehen sich um nichts, als darauf zu sinnen, wie sie betrügen und wo sie stehlen wollen. Sie theilen sich ihre Diebstähle mit und die Art, wie es ihnen gelang sie auszuführen.
So erzählte eines Tags ein Zigeuner in meiner Gegenwart seinen Genossen, wie er einst einen Bauern betrogen und bestohlen habe. Der Zigeuner hatte nämlich einen Esel, dem der Schwanz abgeschnitten war; diesem hatte er an den Schweifstumpf, der ohne Haare war, einen künstlichen Schweif befestigt, welcher ganz wie natürlich aussah. So brachte er ihn zu Markte und ein Bauer kaufte ihm ihn ab um zehn Ducaten. Nachdem er den Esel verkauft und das Geld erhalten hatte, fragte er den Bauer, ob er nicht Lust habe, noch einen Esel zu kaufen, welcher der Bruder von diesem sei; er sei eben so gut als der, den er gekauft habe, und er wolle ihn noch billiger hergeben. Der Bauer antwortete ihm, er möge hingehen und ihm den Esel bringen; er wolle ihn kaufen, und bis er zurückkomme, wolle er den soeben gekauften nach seiner Herberge bringen.
Der Bauer gieng fort, der Zigeuner folgte ihm und fand, wie er es nun auch mag angegriffen haben, Gelegenheit, dem Bauer den Esel zu stehlen, welchen er an ihn verkauft hatte, zugleich zog er ihm den falschen Schwanz ab, so daß er blos seinen haarlosen Stumpf behielt, legte ihm einen andern Saumsattel und eine andere Halfter an und war so dreist, den Bauer aufzusuchen, damit er ihm den Esel abkaufe. Er fand ihn auch noch, ehe er seinen ersten Esel vermißt hatte, und er kaufte nach kurzem Handel den zweiten.
Er gieng nach der Herberge, um ihn zu bezahlen, und da vermißte denn ein Esel den andern. Allein ob er gleich ein tüchtiger Esel war, so hatte er doch den Zigeuner im Verdacht, er habe ihn bestohlen, und wollte ihn nicht bezahlen. Der Zigeuner lief nach Zeugen und brachte diejenigen herbei, denen er die Abgaben für den ersten Esel eingehändigt hatte, und diese schwuren, der Zigeuner habe dem Bauer einen Esel mit einem ganz langen und von dem des zweiten verkauften Esels ganz verschiedenen Schwanz verkauft. Bei dem ganzen Handel war ein Gerichtsdiener gegenwärtig, welcher so ernstlich die Partei des Zigeuners ergriff, daß der Bauer den Esel zweimal bezahlen mußte.
So erzählten sie noch viele andere Diebstähle und alle oder die meisten waren Viehdiebstähle, denn hierin sind sie Meister und üben sich auch am meisten darin. Kurz es ist ein ganz schlechtes Volk und obgleich viele und sehr geschickte Richter gegen sie aufgetreten sind, so lassen sie sich dadurch doch nicht bessern.
Nach zwanzig Tagen wollten sie mich mit nach Murcia nehmen. Ich kam durch Granada, wo bereits der Hauptmann sich befand, unter dem mein Herr als Trommelschläger stand. Wie das die Zigeuner erfuhren, sperrten sie mich in ein Zimmer des Wirthshauses ein, wo sie lebten. Ich hörte sie den Grund sagen. Die Reise, die sie vorhatten, stand mir nicht an, und ich beschloß daher, mich in Freiheit zu setzen, was ich auch bewerkstelligte.
Wie ich Granada verließ, kam ich in den Garten eines Morisken Morisken, spanisch Moriscos (von spanisch morisco: ›maurisch‹), waren zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime (›christianisierte Mauren‹). ( Anm.d.Hrsg.), der mich sehr gern aufnahm, und bei dem ich noch lieber blieb, weil ich glaubte, er wolle mich zu nichts anderem, als zur Bewachung des Gartens brauchen, was nach meiner Meinung ein minder beschwerliches Geschäft war, als die Heerde zu hüten, und da wir nicht über den Lohn einig zu werden brauchten, so war es dem Morisken leicht, an mir einen Diener, und mir, an ihm einen Herrn zu finden.
Ich blieb über einen Monat bei ihm, nicht als hätte mir das Leben, das ich hier führte, sehr behagt, sondern um die Lebensweise meines Herrn und aller Morisken in Spanien kennen zu lernen. Cervantes schrieb diese Novelle vor der allgemeinen Vertreibung der Morisken aus Spanien, die 1610 bis 1614 erfolgte. ( Anm.d.Hrsg.) O was könnte ich dir nicht alles für Dinge von diesem Moriskengesindel erzählen, Freund Cipion, wenn ich nicht fürchten müßte, in ein paar Wochen damit nicht fertig zu werden! Ja, wollte ich ins Einzelne gehen, so reichten ein paar Monate nicht dazu hin. Aber etwas muß ich dir doch davon sagen, und so vernimm im Allgemeinen, was ich im Einzelnen bei diesem saubern Volke sah und bemerkte.
Es wäre ein Wunder, wenn man unter so vielen Morisken auch nur einen einzigen aufrichtigen Anhänger des heiligen Christenglaubens fände. Ihr ganzes Bestreben ist Geld zu münzen und gemünztes zu bewahren, und um zu diesem Zweck zu gelangen, arbeiten sie und essen nicht. Sobald ein Real in ihre Gewalt kommt, wofern es nur kein einfacher ist, verurtheilen sie ihn zu ewigem Gefängniß und unaufhörlicher Verborgenheit, so daß dadurch, daß sie beständig erwerben und nie etwas ausgeben, sie allmählig die größte Masse Geldes in Spanien zusammenscharren. Sie sind die Sparbüchse, die Motte, die Elstern und Wiesel dieses Landes; sie häufen alles auf, verbergen und verschlingen es.
Man betrachte, wie zahlreich sie sind, wie sie jeden Tag mehr oder weniger erwerben und verbergen und daß ein schleichendes Fieber eben so gut dem Leben ein Ende macht, wie ein hitziges. Und da ihre Zahl unaufhörlich wächst, so vermehren sich auch die Sparer, welche ins Unendliche wachsen und wachsen werden, wie die Erfahrung lehrt.
Unter ihnen herrscht keine Keuschheit und weder Männer noch Frauen treten in ein Kloster. Alle verheirathen sich, alle vermehren sich, denn ihre nüchterne Lebensweise vermehrt die Veranlassungen der Zeugung. Der Krieg zehrt sie nicht auf, noch eine Beschäftigung, die allzu anstrengend wäre. Sie berauben uns in aller Sicherheit und mit der Frucht unseres Erbes, das sie an uns wieder verkaufen, machen sie sich reich.
Sie haben keine Diener, denn sie dienen sich alle selbst. Sie verschwenden nichts mit ihren Söhnen, indem sie sie studieren lassen, denn ihre ganze Wissenschaft besteht darin, uns zu berauben. Von den zwölf Söhnen Jakobs, die, wie ich gehört habe, nach Aegypten kamen, stammten, als Moses sie aus dieser Gefangenschaft befreite, sechsmal hundert tausend Männer ohne die Kinder und Weiber. Daraus kann man schließen, wie sich die Weiber von jenen vermehren werden, deren Zahl ohne allen Vergleich größer ist.
Cipion.
Für alle die Uebel, die du mir in groben Umrissen gezeichnet und geschildert hast, hat man ein Heilmittel ausgesucht; ich weiß aber sehr gut, daß die, welche du verschweigst, noch größer und häufiger sind, als die, von welchen du gesprochen hast. Und gegen diese hat man bis jetzt noch kein wirksames Mittel gefunden. Unser Staat hat aber manche kluge Späher, welche in Erwägung, daß Spanien in seinem Busen eben so viele Vipern als Morisken nährt und hegt, mit Gottes Hilfe ein sicheres, schnelles und gewisses Auskunftsmittel finden werden. Fahre fort!
Berganza.
Da mein Herr, wie alle seiner Kaste, ein Filz war, fütterte er mich mit Hirsenbrod und einigen Ueberbleibseln von Maisbrei, seiner gewöhnlichen Mahlzeit; aber dieses Elend war mir behilflich, auf eine so außerordentliche Weise, wie du nun hören wirst, den Himmel zu erwerben.
Jeden Tag fast in aller Frühe erschien mit der Morgenröthe am Fuß eines Granatbaums, deren es viele in dem Garten hatte, ein Jüngling, dem Anschein nach ein Student, in Flanell gekleidet, welcher weder so schwarz noch so langhaarig war, daß er nicht das Ansehen eines braungrauen abgeschabten Rocks gehabt hätte. Er beschäftigte sich damit, in ein Heft zu schreiben, zuweilen schlug er sich auch mit der flachen Hand an die Stirn, kaute an den Nägeln und blickte dann wieder zum Himmel empor. Zuweilen war er so in Gedanken versunken, daß er weder Hand noch Fuß regte, ja nicht einmal die Augenwimper rührte, so groß war seine Verzückung.
Einmal gieng ich dicht zu ihm hin, ohne daß er mich bemerkte. Ich hörte ihn zwischen den Zähnen murmeln und nach Verfluß einer geraumen Zeit rief er mit lauter Stimme aus: So wahr der Herr lebt, dieß ist die beste Octave Die Stanze, auch: Oktave, ist eine aus Italien stammende Strophenform. Eine Stanze besteht aus acht Elfsilblern mit dem Reimschema abababcc., die ich in meinem ganzen Leben gemacht habe!
Nun schrieb er mit großer Eile in sein Heft und ließ in seinen Mienen die größte Zufriedenheit blicken. Aus alle dem sah ich, daß der unglückliche ein Dichter war. Ich machte ihm meine gewöhnlichen Liebkosungen, um ihn von meiner Sanftmuth zu überzeugen und legte mich dann zu seinen Füßen; er aber fuhr in seinen Gedanken fort, kratzte sich wieder auf dem Kopfe, gerieth von Neuem in Entzücken und schrieb nieder, was er ausgesonnen hatte.
Indem kam ein anderer hübscher und wohlgekleideter Jüngling in den Garten, hatte einige Papiere in der Hand, in welchen er von Zeit zu Zeit las, näherte sich sodann dem ersten und sagte zu demselben: Habt ihr den ersten Aufzug fertig?
Soeben habe ich ihn zu Ende gebracht, antwortete der Dichter, und zwar so prächtig, wie man sich es nur denken kann.
In wiefern denn? fragte der andere.
So, antwortete der erste: Seine Heiligkeit der Pabst tritt nämlich auf in päbstlichem Schmucke mit zwölf Cardinälen, die alle violett gekleidet sind, denn das Ereigniß, welches den Inhalt meiner Komödie ausmacht, fällt in die Zeit der mutatio caparum, Der Wechsel der Capa Magna, d. h. des offiziellen Messgewandes, das Erzbischöfe und Bischöfe tragen; zu Zeiten des Advents und der Auferstehungsfeier werden die gewöhnlichen scharlachroten Messgewänder mit purpurfarbenen vertauschten. – Im »Don Quixote« (I, Kap. 21) vollzieht Sancho an seinem Esel eine mutatio caparum. ( Anm.d.Hrsg.) wo die Cardinäle sich nicht roth, sondern violett kleiden. Um daher das Costüm zu beobachten, müßen meine Cardinale durchaus in Violett auftreten. Dieß ist ein Punct, der bei einem Schauspiele gar sehr in Betracht kommt. Gewiß manche hätten daran nicht gedacht, und darum machen sie jeden Augenblick tausend Ungereimtheiten und Thorheiten. Ich konnte mich hierin nicht irren, denn ich habe das ganze römische Ceremoniell gelesen, um nur diese Kleidung richtig zu treffen.
Nun woher soll denn, versetzte der andere, mein Director die violetten Kleider für zwölf Cardinäle hernehmen?
Wenn er ein einziges wegläßt, antwortete der Dichter, so überlasse ich ihm mein Stück so wenig, als ich fliege. Sapperment, eine so großartige Scene soll verloren geben? Stellt euch nur einmal vor, wie sich ein Pabst auf der Bühne ausnehmen muß mit zwölf ehrwürdigen Cardinälen und andern Beamten seines Gefolges, die er durchaus bei sich haben muß! Beim Himmel, das muß einen der glänzendsten und erhabensten Auftritte geben, die man je auf der Bühne gesehen hat, selbst Darajas Blumenstrauß mit inbegriffen!
Jetzt überzeugte ich mich vollends, daß der eine Dichter, der andere Schauspieler war. Der Schauspieler rieth dem Dichter, etwas von den Cardinälen wegzuschneiden, wenn er den Director nicht in die Unmöglichkeit versetzen wolle, das Stück aufzuführen. Darauf antwortete der Dichter, sie sollten ihm danken, daß er nicht das ganze Conclave Versammlung sämtlicher wahlberechtigten Kardinäle der römisch-katholischen Kirche (zur Wahl des Bischofs von Rom, der als Papst das Oberhaupt der Kirche ist). ( Anm.d.Hrsg.) hineingebracht habe, welches bei dem merkwürdigen Act versammelt gewesen sei, den er durch seine glückliche Komödie den Leuten ins Gedächtniß rufen wolle.
Der Komödiant lachte und überließ den andern seiner Beschäftigung, um an die seinige zu gehen, welche darin bestand, eine Rolle aus einem neuen Stücke zu studieren. Nachdem der Dichter einige Strophen zu seinem prachtvollen Schauspiel geschrieben hatte, zog er mit großer Ruhe und Gemächlichkeit einige Brodkrummen aus der Tasche und etwa zwanzig trockene Traubenbeeren, denn mich deucht ich habe sie ihm nachgezählt; ja, ich bin sogar im Zweifel, ob es nur so viele waren, denn mit ihnen waren etliche Brosamen in einem Knäuel zusammen geklebt, welche mit herauskamen. Er blies darauf um die Brosamen abzusondern, und aß sofort die Weintrauben eine um die andere sammt den Körnern, denn ich sah ihn gar nichts wegwerfen. Er half dabei nach mit den Brodkrumen, welche durch das Futter der Tasche violett gefärbt wie schimmlicht aussahen; sie waren jedoch so harter Natur, daß trotz aller seiner Bestrebungen, sie zu erweichen, indem er sie mehrmals im Munde umherwarf, es ihm nicht gelang sie aus ihrer Starrheit zu bringen. Dieß alles schlug zu meinem Vortheil aus, denn er warf sie mir zu und rief: To, to, nimm! Wohl bekomm's!
Laßt sehen, sprach ich bei mir selbst, was für Nektar oder Ambrosia mir dieser Dichter reicht, und was das für Speisen sind, von welchen sie behaupten, daß die Götter und ihr Apoll im Himmel sich davon ernähren!
Kurz ich fand, daß meist das Elend der Dichter groß ist; noch größer aber war meine Noth, da sie mich zwang, das zu fressen, was er verschmähte. So lange er mit der Abfassung seines Stücks beschäftigt war, hörte er nicht auf, nach dem Garten zu kommen und dann fehlte es mir nicht an Brodkrusten, denn er theilte sie mit mir mit großer Freigebigkeit. Darauf giengen wir denn immer nach dem Ziehbrunnen, wo wir, ich mit Schlappen und er aus einer Schaale, unsern Durst stillten wie Monarchen.
Endlich aber blieb der Dichter aus und mich übermannte der Hunger dergestalt, daß ich beschloß, den Morisken zu verlassen und auf Abenteuer nach der Stadt zu gehen, und solche findet der immer, der seinen Wohnsitz verläßt. Als ich in der Stadt eintrat, sah ich meinen Poeten aus dem berühmten Kloster San Geronimo herauskommen. Kaum hatte er mich erblickt, so kam er mit offenen Armen auf mich zu und ich gieng ihm entgegen mit neuen Zeichen von Freude, daß ich ihn gefunden habe.
Nun begann er sogleich Brodstücke auszupacken, die zarter waren, als diejenigen, die er in den Garten zu bringen pflegte, und überließ sie meinen Zähnen, ohne vorher die seinigen daran geübt zu haben, eine Gnade, wodurch ich mit größerem Appetit meinen Hunger stillen konnte. Die weichen Stücke Brod, und der Umstand, daß ich meinen Dichter aus dem erwähnten Kloster hatte kommen sehen, brachten mich auf den Gedanken, daß seine Muse zu den verschämten gehören müsse.
Er schlug den Weg nach der Stadt ein, und ich folgte ihm mit dem Entschlusse, ihn zu meinem Herrn zu machen, wenn er damit zufrieden wäre, weil ich mir einbildete, daß das, was in seinem Schlosse abfalle, meine Hütte ernähren könne, denn es gibt keinen bessern und größern Geldbeutel, als den der Barmherzigkeit, deren freigebige Hände niemals arm sind; und aus diesem Grunde ist mir das Sprichwort zuwider, welches sagt:
Mehr giebt der Harte,
Als giebt der Nackte;
als ob der Harte und Geizige nur überhaupt etwas gäbe, wie der freigebige Armgekleidete, denn dieser gibt am Ende doch, wenn er sonst nichts hat, seinen guten Willen.
Nach und nach kamen wir in das Haus eines Schauspieldirectors, welcher, wenn ich mich recht erinnere, Angulo der böse hieß, zum Unterschied von einem andern Angulo, welcher nicht Director, sondern Schauspieler war und zwar der beste Komiker, den das Schauspiel damals und jetzt besessen. Die ganze Gesellschaft kam zusammen, um das Schauspiel meines Herrn vorlesen zu hören, denn dafür hielt ich ihn bereits. Allein schon in der Mitte des ersten Acts giengen sie alle, erst einer um den andern, dann zwei und zwei, hinweg, und ich und der Director blieben die einzigen Zuhörer.
Das Schauspiel war übrigens so beschaffen, wiewohl ich auf den Punct der Poesie ein Esel bin, daß es mir schien, der Satan selber habe es abgefaßt zum völligen Unglück und Verderben des Dichters, der schon anfieng, Speichel zu schlucken, als er sah, wie ihn seine Zuhörer allein ließen. Und das wäre kein Wunder gewesen, wenn seine ahnende Seele ihm in seinem Innern das Unglück verkündet hätte, welches ihm drohte; denn alle Schauspieler, über ein Dutzend an der Zahl, kamen zurück, packten, ohne ein Wort zu sprechen, meinen Dichter, und wenn der Director sich nicht mit Bitten und Drohungen ins Mittel geschlagen und sein Ansehen geltend gemacht hätte, so würden sie ihn sicherlich noch geprellt haben.
Der Auftritt machte mich betroffen, den Director unwillig, die Schauspieler aufgeräumt und den Dichter verdrießlich. Er nahm mit viel Fassung sein Schauspiel, wiewohl er das Gesicht etwas verzog, steckte es in den Busen, und murmelte zwischen den Zähnen: Man soll die Perlen nicht vor die Säue werfen.
Damit gieng er ganz gelassen weg. Ich konnte und wollte ihm vor Beschämung nicht folgen, und ich traf es; denn der Director begegnete mir mit so viel Liebkosungen, daß ich dadurch mich bewogen fand, bei ihm zu bleiben; und in weniger als einem Monat war ich ein großer Zwischenspieler und ein trefflicher Komödiant in stummen Rollen. Man legte mir einen Zaum von Tuchenden an, und richtete mich ab, auf dem Theater diejenigen anzugreifen, die man wollte, so daß die Zwischenspiele, welche sonst meist mit Prügeln zu endigen pflegen, bei der Truppe meines Herrn mit Hundhetzen endigten, worauf ich denn alle umwarf und zu Boden rannte, was alle Dummköpfe lachen machte und meinem Herrn viel Geld eintrug.
O Cipion, wer könnte dir erzählen, was ich alles bei dieser und bei zwei andern Schauspielertruppen sah, unter welchen ich diente! Doch da es unmöglich ist, es in eine kurze bündige Schilderung zusammen zu drangen, werde ich es auf einen andern Tag aufsparen müssen, wenn überhaupt ein anderer Tag kommt, an welchem wir uns unterhalten können.
Siehst du, wie lang mein Geschwätz gedauert hat! Siehst du, wie viele und verschiedene Abenteuer ich durchmachte! Bedenke alle meine Reisen und meine vielen Herren! Nun, alles dieß ist aber nichts im Vergleich mit dem, was ich dir darüber erzählen könnte, was ich bei diesen Leuten bemerkte, erforschte und sah! Ihr Verfahren, ihr Leben, ihre Sitten, ihre Beschäftigungen, ihre Arbeit, ihr Müßiggang, ihre Unwissenheit und ihr Scharfsinn sowie unzählige andere Dinge, die man sich theils ins Ohr sagen, theils öffentlich ausrufen sollte, die man aber sammt und sonders wohl im Andenken behalten dürfte, zur Entteuschung von so vielen, welche ersonnene Gestalten und künstliche vermummte Schönheiten abgöttisch verehren.
Cipion.
Ich sehe deutlich, Berganza, welch ein weites Feld sich vor dir ausbreitet, auf welchem du deine Worte ergehen lassen könntest, bin aber der Meinung, du möchtest dieß für eine besondere Erzählung und eine ruhige ungestörte Stimmung aufsparen.
Berganza.
So sei es! Und nun höre zu! Mit einer Schauspielertruppe gelangte ich nach dieser Stadt Valladolid, wo ich in einem Zwischenspiele eine Wunde erhielt, die mir beinahe das Leben gekostet hätte. Ich konnte mich nicht rächen, weil ich gerade damals das Halfter an hatte, und nachher bei kaltem Blute mochte ich es nicht thun, denn überlegte Rache ist ein Beweis von Grausamkeit und bösem Willen.
Ich wurde so dieses Treibens überdrüssig, nicht weil es mir zu anstrengend war, sondern weil ich darin Dinge vorgehen sah, die zugleich Verbesserung und Strafe verdienten. Da ich aber mehr in der Lage war, dieß zu fühlen, als dem Uebel abzuhelfen, so beschloß ich, dieß gar nicht mehr ansehen zu wollen; daher flüchtete ich an einen heiligen Ort, wie diejenigen, welche dann ihrem Laster entsagen, wenn sie nicht mehr im Stande sind, sie auszuüben; doch ist's ja immer besser, spät, als nie.
Da sah ich dich nun einmal bei Nacht dem guten Christen Mahudes die Laterne vortragen, und bildete mir ein, du müssest zufrieden und auf eine gerechte und heilige Weise beschäftigt sein. Von löblichem Neid erfüllt beschloß ich, deinen Fußstapfen zu folgen und gieng mit diesem preiswürdigen Entschluß vor Mahudes, der mich sogleich zu deinem Genossen erwählte und mich nach diesem Hospital brachte.
Was mir nun hier begegnet ist, ist nicht so unbedeutend, daß nicht Zeit dazu gehörte, um es zu erzählen. Vorzüglich merkwürdig aber ist das, was ich vier Kranke habe reden hören, welche Schicksal und Nothwendigkeit in dieses Hospital und zwar in vier nebeneinander stehende Betten geführt hatte. Verzeih mir, denn die Geschichte ist kurz und ich kann sie nicht verschieben, da sie hier ganz am Orte ist.
Cipion.
Gern verzeihe ich dir. Komm aber zum Schlusse, denn ich glaube, der Tag ist nicht mehr fern!
Berganza.
In den vier Betten also, welche am Ende dieses Krankenzimmers stehen, lagen in dem einen ein Alchimist, in dem andern ein Dichter, in dem dritten ein Mathematiker und in dem vierten ein sogenannter Projectmacher Im span. Original: arbitrista, d. h. jemand, der Vorschläge zur Verbesserung der Staatseinkünfte machte. ( Anm.d.Hrsg.).
Cipion.
Ich besinne mich jetzt, diese guten Leute gesehen zu haben.
Berganza.
Während einer Nachmittagsruhe im vorigen Sommer nun, während die Fensterläden verschlossen waren, und ich mich, um der Kühlung zu genießen, unter eines der erwähnten Betten gelegt hatte, fieng der Dichter an, bitterlich über sein Schicksal zu klagen. Der Mathematiker fragte ihn, worüber er sich denn eigentlich beschwere. Er antwortete, über sein Unglück.
Wie, und sollte ich nicht dazu berechtigt sein, mich zu beklagen, fuhr er fort. Ich habe die Vorschrift befolgt, welche Horaz in seiner Poetik gibt, daß man ein Werk nicht eher herausgeben soll, als bis zehn Jahre nach der Ausarbeitung verstrichen sind, und ich habe eines, das mich zwanzig Jahre Arbeit gekostet und das zwölf Jahre gelegen hat. Der Gegenstand ist erhaben, die Erfindung neu und bewunderungswürdig, das Versmaaß edel, die Episoden unterhaltend, die Eintheilung musterhaft, denn der Anfang stimmt so trefflich zu Mitte und Ende, daß das Ganze eine erhabene, volltönende, heroische, liebliche und gehaltvolle Dichtung bildet; und dennoch finde ich keinen Fürsten, dem ich es zueignen könnte, nämlich einen, der ein Kenner und dabei freigebig und großmüthig wäre. Ach wie armselig und verderbt ist doch unser Zeitalter!
Wovon handelt denn das Buch? fragte der Alchymist.
Es handelt von dem, antwortete der Dichter, was der Erzbischof Turpin unterlassen hat über den König Artus von England zu berichten, nebst einem andern Nachtrag zur Geschichte von der Aufsuchung des heiligen Grials Der heilige Gral ist jenes Gefäß, in dem Joseph von Arimathäa das Blut Jesu Christi auffing, als man ihn vom Kreuz nahm. Die Auffindung und Eroberung dieses Gefäßes durch König Artus und die Ritter der Tafelrunde ist das Thema eines Ritterromans, der im 12. Jh. in lateinischer Sprache verfasst wurde und der später auch in spanischer Übersetzung erschien. ( Anm.d.Hrsg.), und zwar alles in heroischen Versen, theils in Octaven, theils in freien Versen und zwar hören alle mit Daktylen auf, oder genauer in daktylischen Substantiven, denn ein Verbum ist nirgends zugelassen.
Ich verstehe wenig von der Dichtkunst, antwortete der Alchymist, und kann darum das Unglück nicht beurtheilen, worüber ihr Klage führt. Allein wenn es auch noch größer wäre, so käme es doch dem meinigen nicht gleich, denn blos darum, weil es mir an Werkzeugen fehlt, oder an einem Fürsten, der mir unter die Arme greifen und das Erforderliche, was die Wissenschaft der Alchymie erheischt, hergeben könnte, schwämme ich jetzt nicht in Gold und in größeren Reichthümern, als ein Midas, Crassus und Crösus.
Ist es Euer Wohlgeboren, Herr Alchymist, fiel hier der Mathematiker ein, gelungen, das Silber aus andern Metallen zu ziehen?
Bis jetzt, antwortete der Alchymist, habe ich es noch nicht ausgeführt, aber ich weiß gewiß, daß man es kann, und ich brauche keine zwei Monate mehr, um vollends den Stein der Weisen zu finden, wodurch man Gold und Silber aus den Steinen machen kann.
Ihr habt beide, meine Herren, eine traurige Schilderung von eurem Unglück gemacht, versetzte hier der Mathematiker; aber doch hat der eine von euch ein Buch zu dedicieren und der andere ist demnächst im Stande, den Stein der Weisen zu finden. Was soll aber ich von meinem Unglück sagen, das so einzig ist, daß es mit gar nichts verglichen werden kann. Seit zweiundzwanzig Jahren forsche ich dem festen Puncte nach; dort lasse ich ihn fahren, hier nehme ich ihn wieder auf, und wenn ich eben meine, ich habe ihn jetzt erfaßt und er könne mir auf keine Weise mehr entwischen, so finde ich mich unversehens wieder so weit davon entfernt, daß ich ganz verwundert bin. Dasselbe begegnet mir mit der Quadratur des Zirkels, mit deren Auffindung ich so nahe zum Ziel gekommen bin, daß ich gar nicht weiß noch mir einbilden kann, wie es zugehe, daß ich die Lösung nicht schon in der Tasche habe. So ist meine Pein der Qual des Tantalus gleich, der die Frucht vor Augen sieht und Hungers stirbt, der das Wasser neben sich hat und vor Durst verschmachtet. Auf Augenblicke glaube ich die Wahrheit ganz erfaßt zu haben und nach ein paar Minuten bin ich wieder so weit von ihr weg, daß ich den Berg wieder erklimmen muß, den ich soeben mit meiner Last auf dem Rücken herabgieng, gleich einem neuen Sisyphus.
Bis dahin hatte der Projectmacher in Schweigen verharrt; nun brach er es und sagte: Vier Leute, die sich beklagen, wie sie sich nur immer über den Großtürken beklagen könnten, hat die Armuth in dieses Hospital gebracht; ich will aber nichts von Beschäftigungen und Arbeiten, welche diejenigen, welche sie ausüben, weder unterhalten noch ernähren. Ich, meine Herren, bin Projectmacher und habe seiner Majestät zu verschiedenen Zeiten viele und verschiedene Rathschläge gegeben, welche alle ohne Schaden des Reichs zu des Königs Nutzen ausgeschlagen wären. Darum habe ich eine Bittschrift gemacht, in welcher ich unterthänig bat, mir eine Person zu bezeichnen, mit welcher ich über einen neuen Plan, den ich ausgedacht habe, sprechen könnte. Dieser Plan begreift die völlige Wiederherstellung der Finanzen. Aber aus dem Erfolg der früheren Eingaben fürchte ich fast, sie werde auch wieder in den Winkel geworfen werden. Damit ihr mich aber nicht für einen Narren haltet, so will ich, obgleich mein Plan von diesem Augenblicke an öffentlich werden wird, euch doch sagen, daß er in Folgendem besteht. Es muß von den Cortes Ständeversammlungen, die von Zeit zu Zeit einberufen wurden. (Anm.d.Hrsg.) verlangt werden, daß alle Unterthanen Seiner Majestät vom vierzehnten bis ins sechzigste Jahr verpflichtet sein sollen, einmal im Monat bei Wasser und Brod zu fasten, und zwar an einem nach Belieben auszuwählenden und zu bestimmenden Tage. Der ganze Aufwand aber, der sonst an Speisen, an Früchten, Fleisch, Fischen, Wein, Eiern und Gemüse an diesem Tage verbraucht worden wäre, soll zu Geld angeschlagen und Seiner Majestät unter Verpflichtung zu einem Eide abgeliefert werben, ohne daß ein Heller veruntreut werde. Auf diese Weise wird er in Zeit von zwanzig Jahren frei und ledig von Schulden; denn wenn man berechnet, wie ich es gethan habe, giebt es wohl in Spanien mehr als drei Millionen Personen von dem bezeichneten Alter mit Ausnahme der Kranken, der ältern und jüngern, und im Durchschnitt wird, wenn man die geringste Summe annimmt, keiner von ihnen weniger, als anderthalb Realen des Tags verzehren. Ich will aber nicht mehr setzen, als eine Real, denn weniger kann es nicht sein und wenn er Heu fräße. Meint ihr nun, es sei eine Kleinigkeit, jeden Monat drei Millionen Realen zu bekommen, als wenn sie vom Himmel fielen? Und für die Fastenden wäre dieß überdieß noch eher ein Gewinn, als ein Schaden; denn sie würden durch ihr Fasten den Himmel erwerben und ihrem König dienen, und manchem könnte das Fasten auch zuträglich für seine Gesundheit sein. Dieß ist mein schlichtes einfaches Project. Die Einsammlung könnte nach Kirchspielen geschehen, ohne daß man Einnehmer zu besolden brauchte, welche den Staat zu Grunde richten.
Die andern alle lachten über das Project und den Projectmacher und er selber lachte mit über seinen Unsinn, ich aber wunderte mich über ihre Reden und die Bemerkung, daß die meisten dergleichen Leute in den Spitälern sterben.
Cipion.
Du hast Recht, Berganza. Ueberlege, ob du noch etwas zu sagen hast!
Berganza.
Blos noch zweierlei, womit ich meine Erzählung beschließen will, denn es scheint mir bereits tagen zu wollen. Wie mein Herr eines Abends bei dem Corregidor dieser Stadt, einem wackern Ritter und guten Christen, Almosen sammelte, fanden wir ihn allein, und ich glaubte, diese Gelegenheit benützen zu müssen, um ihm in der Stille einige Rathschläge mitzutheilen, die ich von einem kranken Greise hier im Hospital gehört hatte, wie man nämlich dem weltkundigen Verderbnisse der liederlichen Dirnen abhelfen könnte, die, um nicht arbeiten zu müssen, ein ausschweifendes Leben führen, und zwar in dem Maaße, daß sie alle Spitäler mit den Wüstlingen anfüllen, die sich mit ihnen abgeben, eine unerträgliche Landplage, die schleunige und wirksame Gegenmittel erheischt.
Um ihm dieß zu sagen, erhob ich meine Stimme, in der Meinung, ich habe die Gabe der Sprache; aber statt zusammenhängende Worte vorzubringen, bellte ich so heftig und so laut, daß der Corregidor unwillig wurde und seinen Dienern rief, sie sollen mich mit Prügeln aus dem Saale treiben. Ein Lakai, welcher auf das Rufen seines Herrn herbeieilte (es wäre besser gewesen, wenn er damals taub gewesen wäre) packte ein kupfernes Gefäß, das ihm gerade in die Hand kam, und gab mir damit solche Schläge auf den Rücken, daß ich noch bis auf diesen Augenblick die Spuren davon an mir trage.
Cipion.
Und du klagst darüber, Berganza?
Berganza.
Soll ich mich nicht beklagen, wenn es mir noch weh thut, wie ich gesagt habe, und wenn mir scheint, meine gute Absicht habe eine solche Züchtigung nicht verdient?
Cipion.
Sieh, Berganza, niemand soll sich mit etwas befassen, wozu er nicht berufen ist, noch ein Amt bekleiden wollen, das ihn in keiner Weise angeht. Bedenke außerdem, daß der Rath des Armen, so gut er auch sein mag, niemals angenommen wird, und der niedrige Arme soll nicht die Anmaßung haben, den Großen und denjenigen zu rathen, welche alles zu wissen meinen. Auf der Weisheit des Armen ruht ein dichtes Dunkel; die Noth und das Elend sind Schatten und Wolken, die sie verdüstern, und wenn sie sich zufällig enthüllt, hält man sie für Dummheit und behandelt sie mit Geringschätzung.
Berganza.
Du hast Recht, Cipion, und da ich durch meinen eigenen Schaden gewitzigt worden bin, so will ich in Zukunft deinen Rath befolgen.
In einer andern Nacht kam ich auch in das Haus einer vornehmen Frau, welche in den Armen ein Hündchen hielt, von denen, die man Schooßhunde heißt. Es war so klein, daß sie es hätte im Busen verstecken können. Als es mich aber sah, sprang es vom Arme seiner Frau herunter, stürzte mit Gebell auf mich los und war so wüthig, daß es nicht abließ, bis es mich in ein Bein gebissen hatte. Ich sah es nochmals mit grimmigen und achtunggebietenden Blicken an und sagte bei mir selbst: Wenn ich euch, gemeines Lumpenhündchen, auf der Straße hätte, so würde ich euch entweder gar nicht beachten oder mit den Zähnen in Stücke reißen.
Daraus machte ich die Betrachtung, daß selbst die Feiglinge und Muthlosen kühn und unverschämt sind, sobald sie unter hohem Schutze stehen, und sich dann erfrechen, andere, die mehr sind, als sie, zu beleidigen.
Cipion.
Einen Beweis und eine Bekräftigung dieser Wahrheit, welche du soeben ausgesprochen hast, liefern uns einige kleine Leute, die unter dem Schatten und Schirm ihrer Herren sich unterstehen, unverschämt zu sein. Wenn aber zufälligerweise der Tod oder ein anderer Glückswechsel den Baum fällt, in dessen Schatten sie sich gelegt haben, dann zeigt und offenbart sich ihr wahrer Werth, denn ihre Kleinode haben keinen andern Gehalt, als den, welchen ihnen ihre Herren und Beschützer verleihen. Die Tugend und der richtige Verstand bleibt sich immer gleich, nackt oder in Kleidern, allein oder in Begleitung. Wiewohl es wahr ist, daß beide in der Meinung der Leute herabgedrückt werden können, aber niemals kann der wahre Werth ihres Verdiensts und Gehaltes verdunkelt werden. Damit aber wollen wir dieses Gespräch schließen, denn das Licht, das bereits durch diese Ritzen eindringt, zeigt uns, daß der Tag schon sehr vorgerückt ist; und wenn in der künftigen Nacht die große Wohlthat des Sprachvermögens noch nicht von uns gewichen ist, so wird die Reihe an mir sein, dir meinen Lebenslauf zu erzählen.
Berganza.
So mag es sein, und siehe du zu, daß du wieder auf demselben Platz dich einfindest.
In demselben Augenblicke, in welchem der Licenciat das Gespräch zu Ende gelesen hatte, erwachte auch der Fähndrich, und der Licenciat sagte:
Wenn auch dieses Gespräch erdichtet und niemals vorgefallen ist, so scheint es mir doch so trefflich abgefaßt zu sein, daß ihr, Herr Fähndrich, wohl ein zweites folgen lassen dürft.
Dieser Meinung zufolge, antwortete der Fähndrich, werde ich Muth fassen, und mich anschicken, es niederzuschreiben, ohne mich weiter in Streit mit euch darüber einzulassen, ob die Hunde gesprochen haben, oder nicht.
Herr Fähndrich, sagte darauf der Licenciat, wir wollen diesen Streit nicht fortsetzen. Ich erkenne den Zweck des Gesprächs und der Dichtung, und das reicht hin. Jetzt wollen wir nach dem Espolon Eine Promenade in Valladolid an den Ufern des Arlanzon. ( Anm.d.Hrsg.), um die Augen des Leibs zu erquicken, nachdem ich die Augen des Geists ergetzt habe.
Gehen wir, sagte der Fähndrich.
Und sie giengen.