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Die Weiber

Deutsch von Korfiz Holm

 

Im Dorfe Raibusch steht gerade gegenüber der Kirche ein zweistöckiges Haus. Das Fundament ist aus Stein, und das Dach mit Eisenblech gedeckt. In der unteren Etage wohnt der Besitzer, Filipp Iwanow Kaschin, mit dem Beinamen Djudja. Im Oberstock, wo es im Sommer sehr heiß und im Winter sehr kalt ist, hat er ein Absteigequartier für durchreisende Beamte, Kaufleute und Gutsbesitzer. Djudja pachtet Landanteile, betreibt die Schenke an der großen Heerstraße, handelt mit Teer, Honig, Vieh und hat sich schon achttausend erspart, die in der Stadt bei der Bank liegen.

Sein ältester Sohn Fjodor, der als Obermechaniker auf der Fabrik lebt, ist, wie die Bauern sagen, so hoch auf den Berg geklettert, daß man ihn nicht mehr mit der Hand erreicht; Fjodors Frau, ein häßliches, kränkliches Frauenzimmer, lebt zu Hause beim Schwiegervater, sie weint in einem fort und fährt jeden Sonntag ins Krankenhaus, um sich was verschreiben zu lassen. Djudjas zweiter Sohn, der bucklige Aljoschka, lebt zu Hause bei seinem Vater. Vor kurzem hat der Alte ihn mit Warwara verheiratet, die aus einer armen Familie stammt; sie ist ein junges, hübsches, gesundes und putzsüchtiges Frauenzimmer. Wenn Kaufleute oder Beamte einkehren, verlangen sie immer, daß unbedingt Warwara ihnen den Samowar bringt oder die Betten macht.

Eines schönen Juniabends, als die Sonne unterging und in der Luft ein Geruch von Heu, warmem Dünger und kuhwarmer Milch lag, bog in Djudjas Hof ein einfaches Fuhrwerk ein, auf dem drei Leute saßen: ein Mann von vielleicht dreißig Jahren in einem Anzug von ungebleichtem Leinen, neben ihm ein Knabe von sieben, acht Jahren in einem langen, schwarzen Kittel mit großen Knochenknöpfen und ein junger Bursch mit rotem Hemd als Kutscher.

Der Bursch spannte die Pferde aus und gängelte sie draußen auf der Straße, der Reisende wusch sich, bekreuzigte sich nach der Richtung, wo die Kirche stand, dann breitete er neben dem Wagen ein Tischtuch aus und setzte sich mit dem Knaben zum Abendessen; er aß ohne Hast, gemächlich, und Djudja, der in seinem Leben schon viele Reisende hatte durchkommen sehen, erkannte in diesem nach seinen Manieren den Geschäftsmann, den ernsten Menschen, der sich seines Wertes bewußt ist.

Djudja saß in Hemdsärmeln und ohne Mütze auf der Treppe und wartete, bis der Fremde zu sprechen anfangen würde. Er war es gewöhnt, daß die Reisenden am Abend vor dem Schlafengehen alle möglichen Geschichten erzählten, und liebte das. Seine Alte, die Afanaßjewna, und seine Schwiegertochter Ssofja molken unter dem Wetterdach die Kühe; die andere Schwiegertochter, Warwara, saß an einem offenen Fenster des Oberstockes und aß Sonnenblumenkerne.

»Der Junge da wird wohl dein Sohn sein, was?« fragte Djudja den Fremden.

»Nein, angenommen. Eine Waise. Ich hab' ihn zu mir genommen, um mir eine Staffel in den Himmel zu bauen.«

Sie kamen ins Gespräch. Der Fremde erwies sich als ein redseliger und beredter Mann, und Djudja erfuhr in der Unterhaltung, daß er ein Bürger und Hausbesitzer aus der Stadt war, namens Matwej Ssawwitsch, daß er jetzt Gärten besichtigen fuhr, die er von den deutschen Kolonisten gepachtet hatte, und daß der Junge Kusjka hieß. Der Abend war drückend schwül, niemand hatte Lust, schlafen zu gehen. Als es dunkel wurde und hie und da ein bleicher Stern vom Himmel zu blinzeln begann, fing Matwej Ssawwitsch zu erzählen an, wie er zu Kusjka gekommen war. Die Afanaßjewna und Ssofja standen von fern und hörten zu. Kusjka ging vors Tor hinaus.

»Ja, mein Lieber, das ist eine furchtbar lange Geschichte,« begann Matwej Ssawwitsch, »und wollte ich dir alles erzählen, wie es war, dann würde die ganze Nacht nicht reichen. Zehn Jahre sind's jetzt, da wohnte in meiner Straße, gerade neben mir, in dem kleinen Haus, wo jetzt die Lichtzieherei und Oelmühle ist, eine alte Witwe, namens Marfa Simonowna Kaplunzowa, und die hatte zwei Söhne: der eine war Kondukteur an der Eisenbahn, und der andere, Waßja, mein Altersgenosse, lebte zu Hause bei der Mutter. Der alte Kaplunzow selig hatte Pferde gehalten, fünf Paar, und Lastwagen vermietet; die Witwe blieb bei dem Geschäft und kommandierte die Fuhrleute nicht schlechter, als der Selige, so daß sie manchen Tag fünf Rubel rein verdiente. Und der Sohn hatte auch so seine Einnahmen. Er zog Rassetauben und verkaufte sie an Liebhaber; ich seh ihn noch auf dem Dach sitzen, mit dem Besen scheuchend und pfeifend, seine Tümmler sind direkt unter den Wolken, aber ihm ist das nicht genug, immer höher sollen sie. Dann fing er Zeisige und Stare und schnitzelte Vogelbauer ... Das ist ja alles Unsinn, aber eins zwei drei verdiente er sich mit solchem Struntzeug zehn Rubel im Monat. Na, im Laufe der Zeit wurden der Alten die Beine schwach, und sie mußte sich ins Bett legen. Aus diesem Grunde war das Haus ohne Frau, und das ist gerade so, wie ein Mensch ohne Augen. Die Alte überlegte sich diese Sache und beschloß, ihren Waßja zu verheiraten. Sofort wurde die Ehestifterin gerufen, Hals über Kopf, dann Verhandlungen zwischen den Frauenzimmern, und unser Waßja ging auf die Brautschau. Er freite um Maschenjka, die Tochter der Witwe Samochwalicha. Ohne viel Ueberlegung gab sie ihren Segen, und in einer Woche war die ganze Sache erledigt. Das Mädel war jung, siebzehn Jahre, klein, aber im Gesicht weiß und nett, mit allen Eigenschaften, wie eine Dame; und die Mitgift nicht so übel: fünfhundert Rubel bar, eine Kuh, das Bett ... Die Alte aber, hatte ihr Herz es geahnt? ging am dritten Tag nach der Hochzeit in das himmlische Jerusalem hinüber, darinnen es nicht Krankheiten gibt, noch Seufzer. Die jungen Leute ließen eine Seelenmesse lesen und richteten ihren Hausstand ein. So lebten sie ein halbes Jährchen herrlich und in Freuden, und auf einmal: ein neuer Kummer. Klopft das Unglück, dann heißt's: mach' die Tür auf. Waßja mußte aufs Bezirkskommando, zur Losung. Er wurde zum Militär genommen, ohne die geringste Vergünstigung. Sie kleideten ihn ein und schleppten ihn ins Königreich Polen. Gottes Wille, was soll man machen. Als er sich auf dem Hof von der Frau verabschiedete – nichts, aber als er zum letztenmal nach dem Heuboden schaute, zu den Tauben, strömten ihm die Tränen nur so. Er tat einem ordentlich leid. Für die erste Zeit nahm Maschenjka ihre Mutter zu sich, weil sie sich allein so langweilte; die wohnte bis zu den Wochen bei ihr, damals nämlich, als der Junge da, der Kusjka geboren wurde, dann fuhr sie nach Obojanj zu ihrer anderen Tochter, die auch verheiratet war, und Maschenjka blieb mit dem Kind allein. Fünf Lastfuhrleute, ein gemeines, ewig besoffenes Volk; die Pferde, die Deichseln, dann ist mal der Zaun eingebrochen, oder der Ruß im Schornstein gerät in Brand – da reicht eben ein Weiberverstand nicht, und sie fing an, weil ich der Nachbar war, sich wegen jeder Kleinigkeit an mich zu wenden. Na, man geht hin, trifft seine Anordnungen, gibt ihr einen Rat ... Und das kennt man ja, ohne das geht's nie ab, man geht auch ins Haus zu ihr, trinkt ein Glas Tee, unterhält sich. Ein junger Kerl war ich auch, und gescheit, und liebte es, von allerlei Sachen zu sprechen, und sie war auch gebildet und höflich. Sie zog sich sauber an und trug im Sommer einen Sonnenschirm. Also, mal redete ich von heiligen Dingen, mal von der Politik, und ihr war das schmeichelhaft, sie bewirtete mich mit Tee und Fruchtsaft ... Mit einem Wort, um lange Reden zu sparen, ich sage dir, mein Lieber, noch kein Jahr verging, als mich auch der Böse berückte, der Feind des Menschengeschlechts. Allmählich merkte ich, daß mir gar nicht extra war, wenn ich mal einen Tag nicht zu ihr ging, ich langweilte mich. Und ich suchte immer nach Gründen, um zu ihr zu können. ›Es ist Zeit,‹ sag' ich, ›die Doppelfenster einzusetzen‹ und bin den ganzen Tag bei ihr und erkälte mich beim Fenstereinhängen, und lasse noch extra zwei Fenster für morgen übrig. ›Wir müssen mal Wassjas Tauben zählen, ob sich keine verflogen hat.‹ Und lauter solche Geschichten. Ich unterhielt mich immer über den Zaun weg mit ihr, und schließlich machte ich eine kleine Tür in den Zaun, um's näher zu haben. Viel Böses und allerlei Unheil kommt in dieser Welt vom weiblichen Geschlecht. Nicht nur wir armen Sünder, auch heilige Männer sind schon gefallen. Maschenjka stieß mich nicht zurück. Statt an ihren Mann zu denken und auf sich zu achten, verliebte sie sich in mich. Ich merkte bald, daß sie sich auch langweilte und immer am Zaun herumstrich und durch die Ritzen in meinen Hof guckte.

Das Gehirn in meinem Kopf fing an, sich zu drehen von lauter Phantasien. Am Donnerstag in der Osterwoche geh' ich an ihrem Hoftor vorbei, aber der Böse ist überall; ich schau hinein – ihre Pforte hatte oben ein Gitter – da steht sie mitten im Hof, schon auf, und füttert die Enten. Ich kann mich nicht halten und ruf sie an. Sie kommt ans Gitter und schaut heraus. Das weiße Gesichtchen, die freundlichen, verschlafenen Augen ... Sie gefiel mir ungeheuer, und ich fange an, ihr Komplimente zu sagen, als ständen wir nicht am Tor, sondern wären auf ihrem Geburtstag. Und sie wird rot, lacht und sieht mir immer grade in die Augen, ohne zu zwinkern ... Da verlor ich den Verstand und fing an, ihr meine verliebten Gefühle zu gestehen ... Sie machte die Pforte auf und ließ mich ein, und von dem Morgen lebten wir zusammen, wie Mann und Frau.«

Von der Straße kam jetzt der bucklige Aljoschka aus den Hof und rannte atemlos, ohne jemand anzusehen, ins Haus; nach einer Minute kam er mit der Harmonika herausgelaufen. Kupfergeld klingelte in seiner Tasche, er knackte im Lauf Sonnenblumenkerne und verschwand durch das Tor.

»Was habt Ihr denn da für einen?« fragte Matwej Ssawwitsch.

»Unser Sohn Alexej,« erwiderte Djudja, »bummeln geht er, der Schlingel. Gott hat ihm den Buckel aufgehängt, da sind wir nicht gar so streng.«

»Immer und immer treibt er sich mit den Burschen herum, immer und immer bummelt er,« seufzte die Afanassjewna, »vor Fastnacht haben wir ihn verheiratet, wir dachten: vielleicht wird es besser, aber mit ihm ist's eher schlechter geworden.«

»Was haben wir davon! Ganz umsonst haben wir ein fremdes Mädel glücklich gemacht,« sagte Djudja.

Irgendwo hinter der Kirche wurde ein schönes, trauriges Lied angestimmt. Die Worte konnte man nicht unterscheiden, nur die Stimmen hörte man: zwei Tenore und einen Baß. Alle lauschten, und auf dem Hofe wurde es ganz, ganz still ... Zwei der Stimmen brachen auf einmal den Gesang ab und ließen ein ausgelassenes Gelächter ertönen, die dritte aber, ein Tenor, sang weiter und nahm eine so hohe Note, daß alle unwillkürlich hinaufschauten, als reichte die Stimme in ihrer Höhe schon bis an den Himmel. Warwara kam aus dem Hause und spähte nach der Kirche hinüber, die Augen mit der Hand geschützt, als schiene die Sonne.

»Das sind die Popensöhne und der Lehrer,« sagte sie.

Wieder begannen alle drei Stimmen ein Lied. Matwej Ssawwitsch seufzte und fuhr fort:

»So also, mein Bester, liefen die Sachen ... Da bekamen wir nach zwei Jahren einen Brief von Waßja aus Warschau. Er schrieb also, er würde zur Erholung nach Hause geschickt. Er war nicht gesund. Damals hatte ich mir die Dummheiten schon aus dem Kopf geschlagen, eine gute Partie war schon fest abgemacht, ich wußte nur nicht, wie ich mein Liebchen vom Hals kriegen sollte. Jeden geschlagenen Tag wollte ich mit Maschenjka reden, aber ich wußte nicht, von welcher Seite ich sie anfassen sollte, denn viel Frauenzimmergewinsel wollte ich auch nicht haben. Der Brief band mir die Hände los. Ich las ihn mit ihr zusammen, sie wird weiß, wie der Schnee, ich aber sage zu ihr: ›Gott sei Dank‹ sag ich, ›jetzt wirst du wieder eine richtige verheiratete Frau sein‹ – Sie aber sagt: ›Ich will nicht mit ihm leben‹ – ›Aber, er ist doch dein Mann,‹ sag' ich. – ›Und wenn schon ... Ich hab' ihn nie geliebt und hab' ihn wider Willen geheiratet. Die Mutter hat mich gezwungen‹ – ›Du,‹ sag' ich, ›mach' du keine Flausen, du dummes Frauenzimmer, sag' mal: bist du mit ihm in der Kirche getraut worden oder nicht?‹ – ›Getraut bin ich mit ihm,‹ sagt sie, ›aber dich liebe ich und mit dir werd' ich leben, bis zum Tode. Die Leute sollen nur lachen ... Mir ist's egal ...‹ – ›Du‹, sag' ich, ›gehst in die Kirche, und du hast die Schrift gelesen. Wie stehet dort geschrieben?‹«

»Wenn eine eines Mannes Weib ist, soll sie auch mit dem Manne leben,« sagte Djudja.

»Mann und Weib sollen ein Fleisch sein. ›Versündigt haben wir uns,‹ sag ich, ›wir zwei. Laß uns auf die Stimme des Gewissens hören und Gottes Zorn fürchten. Bekennen wir alles vor Waßja‹ sag' ich, ›er ist ein guter Kerl, und so schüchtern. Er schlägt uns nicht tot. Und besser ist's,‹ sag' ich, ›in dieser Welt Qual zu leiden von seinem gesetzlichen Mann, als zu Heulen und Zähneklappern verdammt zu werden beim jüngsten Gericht.‹ Aber das Frauenzimmer hörte ja nicht, sie bestand auf ihrem Kopf, ich konnte sagen, was ich wollte. – ›Ich liebe dich,‹ – und weiter nichts. Am Pfingstsonnabend, frühmorgens, kam Waßja an. Ich konnte durch den Zaun alles sehen: er lief ins Haus, nach einer Minute schon kam er wieder heraus, mit Kusjka auf dem Arm, und lachte und weinte und küßte den Kusjka und guckte zum Heuboden hinauf – er wollte Kusjka nicht hinsetzen und wollte doch gern zu den Tauben. Er war ein zärtlicher Mensch, und so gefühlvoll. Der Tag ging gut vorbei, still und vernünftig. Als zur Messe geläutet wird, denk' ich mir: ›Morgen ist Pfingsten, warum machen sie kein Grün an das Tor und den Zaun? Die Sache‹, denk' ich, ›ist nicht in Ordnung.‹ So ging ich denn hin. Ich sehe, er sitzt mitten im Zimmer auf der Diele und starrt um sich, wie ein Besoffener, die Tränen laufen ihm die Backen herunter, und seine Hände zittern; er nimmt aus seinem Reisebündel Kringel und Perlenschnüre und Pfefferkuchen und allerlei, was man so von der Reise mitbringt, und schmeißt es im Zimmer herum. Kusjka – der war damals drei Jahre – kriecht herum und lutscht an den Pfefferkuchen, und Maschenjka steht am Ofen, bleich, am ganzen Leib zitternd, und mault: ›Ich bin deine Frau nicht, ich will nicht mit dir leben,‹ – und allerlei so dummes Zeug. Ich kniete nieder vor Waßja und sage: ›Wir sind schuldig vor dir, Wassilij Maximytsch, verzeih uns um Christi willen.‹ Und dann stand ich auf und sprach zu Maschenjka diese Worte: ›Sie, Marja Ssemjonowna, müssen von nun ab Wassilij Maximytsch die Füße waschen. Seien Sie ihm ein gehorsames Eheweib, und für mich beten Sie zu Gott, daß er, der Allbarmherzige, mir meinen Sündenfall vergebe.‹ Als hätte ich eine Eingebung erhalten von einem Engel des Himmels, so redete ich und ermahnte sie und sprach so eindringlich und gefühlvoll, daß ich selbst die Tränen nicht mehr halten konnte. Also, nach zwei Tagen kommt Waßja zu mir. ›Ich verzeih' euch,‹ sagt er, ›dir und meiner Frau. Was soll man machen? Sie ist eine Soldatenfrau, ein Frauenzimmer, und jung dazu. Da ist's nicht so leicht, auf sich acht zu geben. Sie ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein. Nur darum‹, sagt er, ›bitt' ich dich, tu so, als wäre mit euch nichts gewesen, zeig' es mit keiner Miene, und ich‹, sagt er, ›will mir Mühe geben, ihr in allem zu Gefallen zu sein, damit sie mich wieder lieb gewinnt.‹ Er schüttelte mir die Hand, trank ein Glas Tee bei mir und ging vergnügt davon. Na, denk ich mir, Gott sei Dank, und wurde ganz vergnügt, weil alles so gut abgegangen war. Aber kaum war Waßja vom Hof, da kam Maschenjka. Das reinste Strafgericht! Sie hängt sich mir an den Hals, heult und jammert: ›Um Gotteswillen, verstoß mich nicht, ich kann ohne dich nicht leben.‹«

»So ein schlechtes Luder,« seufzte Djudja.

»Ich schrie sie an, trampelte mit den Füßen, schleppte sie auf den Flur und riegelte die Tür zu. ›Geh zu deinem Mann,‹ schrie ich. ›Blamier mich nicht vor den Leuten, fürchte dich vor Gottes Strafe!‹ Und jeden Tag solche Geschichten. Eines schönen Morgens steh ich auf meinem Hof beim Pferdestall und bring einen Zaum in Ordnung. Auf einmal seh ich, kommt sie durchs Pförtchen in meinen Hof gerannt, halbnackt, nur im Unterrock, und direkt auf mich los; sie packt den Zaum und macht sich ganz voll Teer und zittert und heult ... ›Ich kann nicht mit ihm zusammen leben, er ist mir widerlich; es geht mir über die Kräfte! Wenn du mich nicht liebst, schlag mich lieber tot.‹. Ich wurde wütend und schlug ihr zwei mit dem Zaum über, aber da kommt Waßja durch das Pförtchen gelaufen und schreit ganz verzweifelt: ›Nicht schlagen! Nicht schlagen!‹ Aber er selbst kam heran und wurde förmlich toll, er holte aus und drosch aus aller Kraft mit den Fäusten auf sie los, dann schmiß er sie auf die Erde und gab ihr Fußtritte; ich wollte ihn abwehren, aber er packte die Leine, und jetzt mit der Leine drauf los. Er prügelte sie und winselte dabei in einem fort wie ein Fohlen: hi-hi-hi!«

»Man sollte mal eine Leine und dich so ...« flüsterte Warwara und ging fort. »Unsere Schwester habt ihr gemordet ...«

»Halt du deinen Mund!« schrie Djudja ihr nach. »Du Stute, du!«

»Hi-Hi-Hi,« fuhr Matwej Ssawwitsch fort. »Na, aus seinem Hofe kam ein Fuhrknecht gelaufen, ich rief einen Tagelöhner, und zu dritt nahmen wir ihm die Maschenjka weg, faßten sie unter die Arme und brachten sie nach Hause. Der Skandal! Am selben Abend ging ich mal nachschauen. Sie liegt im Bett, ganz eingewickelt, lauter Verbände, nur die Augen und die Nase heraus, und schaut an die Decke. Ich sage:

›Guten Abend, Marja Ssemjonowna.‹

Sie schweigt.

Und Waßja sitzt im anderen Zimmer, die Hände vor dem Gesicht und schluchzt:

›Ich Bösewicht! Mein Leben hab' ich zerstört! Lieber Gott, laß mich sterben!‹

Ich setzte mich eine halbe Stunde vor Maschenjkas Bett und ermahnte sie. Ich drohte ihr.

›Die Gerechten‹, sag ich, ›kommen in jenem Leben ins Paradies, aber du kommst in die brennende Hölle, mit allen Huren zusammen ... Widersetze dich deinem Mann nicht, geh' hin und küß ihm die Füße.‹

Aber sie sagt kein Wort, sie zwinkert nicht mal mit den Augen, als ob man mit einem Zaunspfahl spräche.

Am nächsten Tage wurde Waßja krank, so eine Art Cholera, und am Abend hör' ich, er ist gestorben. Na, er wurde begraben. Maschenjka war nicht auf dem Kirchhof. Sie wollte den Leuten nicht ihr schamloses Gesicht und die blauen Vergißmeinnichts darin zeigen. Und es dauerte gar nicht lange, da wurde schon in der Bürgerschaft gesprochen, Waßja wäre keines natürlichen Todes gestorben, Maschenjka hätte ihn ermordet. Das kam bis zur Obrigkeit, Waßja wurde ausgegraben und aufgeschnitten. In seinem Bauch fand man Arsenik. Die Sache war klar wie dicke Tinte. Die Polizei kam und holte Maschenjka und mit ihr Kusjka. Sie wurde eingesperrt. Das Frauenzimmer hatte sich versündigt, Gott hat sie gestraft ... Acht Monate später war die Verhandlung. Ich seh' sie noch auf der Anklagebank sitzen, das weiße Tuch auf dem Kopf, im grauen Arrestantenkittel, abgemagert, bleich, mit großen Augen, traurig anzusehen. Und hinter ihr ein Soldat mit dem Gewehr. Sie hat nicht gestanden. Die einen vom Gericht sagten, sie hätte den Mann vergiftet, die anderen bewiesen, der Mann hätte sich selbst vergiftet, aus Kummer. Ich war auch Zeuge. Als ich gefragt wurde, erzählte ich alles nach bestem Gewissen. ›Sie ist schon schuld,‹ sag' ich, ›da gibt's nichts zu verheimlichen, sie hat ihren Mann nicht geliebt und war furchtbar aufsässig‹ ... Die Verhandlung fing am frühen Morgen an, und als es Nacht war, wurde das Urteil verlesen: Zuchthaus, Sibirien, dreizehn Jahre. Nachher saß Maschenjka noch drei Monate in unserm Gefängnis. Ich ging manchmal hin und brachte ihr aus Barmherzigkeit ein bißchen Tee und Zucker. Aber wenn sie mich nur sah, fing sie am ganzen Leibe zu zittern an und schlug mit den Armen um sich und knurrte: ›Geh weg! geh weg!‹ Und dann drückte sie Kusjka an sich, beinah als ob sie Angst hätte, ich könnte ihn ihr wegnehmen. – Ich aber sprach zu ihr: ›Siehst du,‹ sag' ich, ›wohin es mit dir gekommen ist! Ach, Mascha, Mascha, du verlorene Seele! Du wolltest ja nicht hören, als ich dir Vernunft predigte, jetzt weine nur. Du selbst bist schuld,‹ sag' ich, ›klag dich nur selbst an.‹ So ermahne ich sie, aber sie sagt nichts, als: ›Geh weg! geh weg!‹ und drückt sich mit Kusjka an die Wand und zittert. Als sie dann in die Kreishauptstadt abgeschoben wurde, ging ich bis zum Bahnhof mit und steckte ihr heimlich ein Rubelchen in ihr Bündel, um mir eine Staffel ins Himmelreich zu bauen. Aber sie kam nicht bis nach Sibirien ... In der Kreisstadt kriegte sie das Fieber und starb im Gefängnis.«

»Was ein Vieh ist, muß auch verrecken wie ein Vieh,« sagte Djudja.

»Kusjka wurde wieder heimgeschickt ... Ich hab's mir überlegt und überlegt, schließlich nahm ich ihn zu mir. Du lieber Gott! Und ist es auch Arrestantenbrut, es ist doch eine lebendige Seele und ein getaufter Christ ... Man hat doch auch ein Herz. Ich will einen Ladendiener aus ihm machen, und wenn ich selbst keine Kinder kriege, soll er sogar Kaufmann werden. Wenn ich wohin fahre, nehm ich ihn immer mit. Macht er die Augen auf, so kann er was lernen.«

Während Matwej Ssawwitsch erzählte, saß Kusjka die ganze Zeit auf einem Stein vor der Pforte und schaute, den Kopf in die Hände gestemmt, zum Himmel hinauf; von weitem gesehen, glich er so in der Dämmerung einem Baumstumpf.

»Kusjka, schlafen gehen!« rief Matwej Ssawwitsch.

»Ja, es wird Zeit,« sagte Djudja und stand auf; er gähnte geräuschvoll und fügte hinzu: »Sie sind nur drauf aus, nach ihrem Verstand zu leben, und hören nicht, was man ihnen sagt, na, da geht denn auch nach ihrer Weise.«

Ueber dem Hofe schwamm am Himmel schon der Mond; er lief eilend nach der einen Seite, und die Wolken unter ihm nach der anderen; die Wolken zogen weiter, er aber blieb immer über dem Hofe. Matwej Ssawwitsch bekreuzigte sich in der Richtung nach der Kirche, sagte gute Nacht und legte sich neben dem Wagen auf die Erde. Kusjka bekreuzigte sich auch, kroch in den Wagen, und deckte sich mit seinem Kittelchen zu. Um's gemütlicher zu haben, wühlte er sich eine Grube ins Heu und kroch in sich zusammen, daß seine Ellenbogen die Knie berührten. Vom Hofe konnte man sehen, wie Djudja im Erdgeschoß ein Licht anzündete, die Brille aufsetzte und sich mit seinem Gebetbüchlein in die Ecke stellte. Er betete lange und bekreuzigte sich oft dabei.

Die Fremden waren eingeschlafen. Die Afanaßjewna und Ssofja gingen zum Wagen und sahen sich Kusjka an.

»Da schläft er, so eine arme Waise,« sagte die Alte. »Dürr und mager, nur Haut und Knochen. Eine leibliche Mutter hat er nicht, und unterwegs kann keiner für ihn sorgen.«

»Mein Grischutka wird vielleicht zwei Jahre älter sein,« sagte Ssofja, »auf der Fabrik muß er leben, wie ein Sklave, ohne Mutter. Sein Herr haut ihn tüchtig, sicher. Wie ich heute den armen Jungen da sah, hab' ich an meinen Grischutka denken müssen, und mein Herz hat mir geblutet.«

Eine Minute ging im Schweigen.

»Er weiß wohl auch nichts mehr von seiner Mutter,« sagte die Alte.

»Nein, sicherlich nicht!«

Und große Tränen rollten aus Ssofjas Augen.

»Wie ein Kringel hat er sich zusammengerollt,« sagte sie, aufschluchzend und lachend vor Rührung und Mitleid. »Du Waisenkind, du armes.«

Kusjka schauderte zusammen und machte die Augen auf. Er sah über sich ein häßliches, faltiges, verweintes Gesicht, daneben ein anderes, greisenhaftes, zahnloses, mit spitzem Kinn und höckeriger Nase, und darüber den bodenlosen Himmel mit den laufenden Wolken und dem Mond, und er schrie erschrocken auf. Auch Ssofja schrie auf; ihnen beiden antwortete das Echo, und in der schwülen Luft zitterte eine Unruhe; nebenan klopfte der Wächter die Stunde ab, ein Hund fing zu bellen an. Matwej Ssawwitsch murmelte etwas im Schlafe und drehte sich auf die andere Seite.

Spät am Abend, als Djudja und die Alte und auch der Wächter in der Nachbarschaft schon schliefen, ging Ssofja vor die Pforte hinaus und setzte sich aufs Bänkchen. Ihr war so heiß, und vom Weinen schmerzte ihr der Kopf. Die Straße war breit und lang: rechts zwei Werst, links ebensoviel, und kein Ende zu sehen. Der Mond stand nicht mehr über dem Hof, er war hinter der Kirche. Die eine Seite der Straße war vom Mondlicht übergossen, die andere lag in schwarzem Schatten; die langen Schatten der Pappeln reckten sich über die ganze Straße, und der Schatten der Kirche, schwarz und grausig, lag breit da und verschlang Djudjas Hoftor und das halbe Haus. Alles menschenleer und still. Vom Ende der Straße her klangen bisweilen abgerissene Töne einer kaum hörbaren Musik; es war wohl Aljoschka, der dort auf seiner Harmonika spielte. Im Schatten bei der Kirchenmauer rührte sich etwas, man konnte nicht unterscheiden, war's ein Mensch oder eine Kuh, oder vielleicht war's auch keins von beiden, und nur ein großer Vogel raschelte in den Zweigen. Aber da trat eine Gestalt aus dem Schatten, blieb stehen und sagte etwas mit einer Männerstimme, dann verschwand sie in der Seitengasse neben der Kirche. Bald darauf erschien in der Nähe der Pforte noch eine Gestalt; sie kam von der Kirche gerade auf die Pforte zu und blieb stehen, als sie Ssofja auf der Bank erblickte.

»Warwara, du? Bist du's wirklich?« fragte Ssofja.

»Und wenn schon!«

Es war Warwara. Sie stand einen Augenblick da, dann kam sie heran und setzte sich auf die Bank.

»Wo warst du denn?« fragte Ssofja.

Warwara antwortete nicht.

»Du wirst so lange machen, bis es dir mal schlecht geht, du Kindskopf,« sagte Ssofja, »hast du gehört, wie's bei Maschenjka war, mit den Füßen und mit der Leine? Sieh dich vor, daß dir nicht auch mal so was passiert.«

»Ach geh!«

Warwara lachte in den Zipfel ihres Kopftuches hinein und sagte flüsternd:

»Grad hab' ich mich mit dem Popensohn amüsiert.«

»Dummes Geschwätz!«

»Bei Gott.«

»Die Sünde,« zischelte Ssofja.

»Ach geh ... Warum nicht? Ist's Sünde, soll's nur Sünde sein. Besser, der Blitz erschlägt einen, als so ein Leben. Ich bin jung und gesund, und einen Mann hab' ich, der ist bucklig und ekelhaft und wütend, schlimmer als der gottverfluchte Djudja. Als Magd hab' ich gedient, nicht satt zu essen gehabt hab' ich, halb nackt bin ich herumgelaufen, und ich wollte aus all dem Elend heraus, ich bildete mir Wunder was ein mit Aljoschkas Reichtum und bin in die Sklaverei gegangen, wie ein Fisch ins Netz. Lieber möcht' ich mit einer Otter schlafen, als mit dem scheußlichen Aljoschka. Und dein Leben? Ich mag nicht hinsehen. Dein Fjodor hat dich von der Fabrik zu seinem Alten gejagt, und er hat sich eine andere zugelegt; deinen Jungen hat er dir weggenommen und ihn wie einen Sklaven verkauft. Arbeiten tust du wie ein Pferd und hörst kein gutes Wort ... Lieber sich das ganze Leben als Magd abplacken, lieber sich von den Popensöhnen einen halben Rubel verdienen, oder betteln gehn, lieber kopfüber in den Brunnen ...«

»Die Sünde,« flüsterte Ssofja wieder.

»Ach geh!«

Irgendwo hinter der Kirche stimmten dieselben drei Stimmen, die zwei Tenore und der Baß, wieder ein melancholisches Lied an. Und wieder konnte man die Worte nicht verstehen.

»Diese Nachtvögel ...« lachte Warwara.

Und dann fing sie flüsternd zu erzählen an, wie sie sich nachts mit dem Popensohn amüsierte, und was er ihr alles sagte, und von seinen Freunden, und wie sie sich mit den durchreisenden Kaufleuten und Beamten amüsiert hatte. Aus dem melancholischen Lied stieg es, wie ein Hauch von freiem Leben. Ssofja begann zu lachen, es kam ihr sündhaft vor und schrecklich und doch süß, so zuzuhören, und sie wurde neidisch und es tat ihr leid, daß sie selbst nicht gesündigt hatte, als sie jung war und hübsch.

Es schlug zwölf.

»Schlafenszeit,« sagte Ssofja und stand auf, »sonst erwischt uns Djudja noch.«

Beide schlichen leise in den Hof.

»Ich ging weg und habe nicht gehört, was er nachher noch von Maschenjka erzählt hat,« sagt Warwara, während sie sich unterhalb des Fensters ihr Lager zurechtmachte.

»Tot, hat er gesagt, im Zuchthaus gestorben. Sie hatte ihren Mann vergiftet.«

Warwara legte sich neben Ssofja, dachte einen Augenblick nach und sagte leise:

»Ich könnte meinen Aljoschka umbringen und es würde mir nicht leid tun.«

»Dummes Geschwätz! Gott behüte uns!«

Als Ssofja gerade einschlafen wollte, drückte sich Warwara an sie und wisperte ihr ins Ohr:

»Du, wollen wir Djudja und Aljoschka umbringen?«

Ssofja fing zu zittern an und sagte nichts, dann machte sie die Augen auf und sah lange, ohne zu zwinkern, in den Himmel.

»Es wird herauskommen,« sagte sie.

»Es kommt nicht heraus. Djudja ist schon alt, für ihn ist's Zeit, zu sterben, und Aljoschka, da wird man sagen, er ist am Suff verreckt.«

»Schrecklich ... Gottes Strafe!«

»Ach geh!«

Beide konnten sie nicht schlafen und grübelten schweigend vor sich hin.

»Kalt ist's,« sagte Ssofja und begann am ganzen Leibe zu zittern, »es muß bald Morgen sein. Schläfst du?«

»Nein ... Hör' nicht drauf, was ich sage, Herzchen,« flüsterte Warwara, »ich bin wütend auf die verfluchten Kerle und weiß selbst nicht, was ich rede ... Schlaf, es wird gleich hell ... Schlaf ...«

Beide verstummten, sie wurden ruhiger und schliefen bald ein.

Vor allen anderen war die Alte wieder munter. Sie weckte Ssofja, und die beiden gingen unter das Wetterdach, um die Kühe zu melken. Dann kam der bucklige Aljoschka, vollständig betrunken, ohne Harmonika; seine Brust und seine Knie waren voll Staub und Stroh – er war wahrscheinlich unterwegs hingefallen. Taumelnd ging er unter das Wetterdach, wälzte sich, ohne sich auszukleiden, in den Schlitten und fing sofort zu schnarchen an. Als von der aufgehenden Sonne die Kreuze auf der Kirche in heller Flamme entbrannten, und dann die Fenster, und im Hofe sich die Schatten der Bäume und des Brunnenbaumes über das tauige Gras legten, sprang Matwej Ssawwitsch auf und hatte es sehr eilig.

»Kusjka, aufstehen!« schrie er, »anspannen! Es ist Zeit! Fix!«

Der Wirrwarr des Morgens fing an. Ein junges Judenweib in braunem Kleide mit Falbelbesatz führte ein Pferd zur Tränke auf den Hof. Jämmerlich ächzte der Brunnenbaum, der Eimer klapperte an der Brunnenwand ... Kusjka saß verschlafen, matt und feucht vom Tau auf dem Wagen, zog sich träge sein Kittelchen an und horchte, wie im Brunnen das Wasser aus dem Eimer plätscherte, und wand sich vor Kälte.

»Alte,« schrie Matwej Ssawwitsch zu Ssofja hinüber, »klopf meinen Kutscher heraus, er soll anspannen.«

Und gleichzeitig schrie Djudja aus dem Fenster:

»Ssofja, die Jüdin muß eine Kopeke für die Tränke zahlen! Das gewöhnen sich die Luder einfach an.«

Auf der Straße liefen Schafe hin und her und meckerten; die Frauenzimmer schimpften auf den Hirten, und er spielte auf seiner Flöte, knallte mit der Peitsche oder antwortete ihnen in seinem rauhen heiseren Baß. Drei Schafe hatten sich in den Hof verirrt und konnten den Ausgang nicht finden und stießen sich am Zaun herum. Von dem Spektakel wachte Warwara auf, nahm ihr Pfühl zusammen und ging nach dem Hause zu.

»Du hättest auch die Schafe hinausjagen können,« schrie ihr die Alte zu, »du gnädiges Fräulein!«

»Das fehlte mir grade! Ich werde für euch Hunde arbeiten,« knurrte Warwara und ging ins Haus.

Der Wagen wurde geschmiert und die Pferde eingespannt. Aus dem Hause kam Djudja mit dem Rechenbrett in der Hand, er setzte sich auf die Treppe und fing zusammenzurechnen an, wieviel der Fremde für Nachtlager, Hafer und Tränke schuldig war.

»Für den Hafer knallst du aber tüchtig auf die Rechnung, Alter,« sagte Matwej Ssawwitsch.

»Wenn er dir zu teuer ist, mußt du ihn nicht nehmen. Ganz wie es dir paßt, Herr Kaufmann.«

Als die Reisenden zum Wagen gingen, um einzusteigen, hielt sie ein Umstand noch eine Minute auf. Kusjkas Mütze war verloren gegangen.

»Wo hast du sie denn gelassen, du Ferkel?« schrie Matwej Ssawwitsch wütend. »Wo ist sie nun?«

Kusjkas Gesicht wurde vor Schreck ganz schief, er suchte beim Wagen herum, und als er sie da nicht fand, lief er zur Pforte, dann unter das Wetterdach. Die Alte und Ssofja halfen ihm suchen.

»Ich reiß' dir die Ohren herunter,« schrie Matwej Ssawwitsch, »so ein Dreckfink!«

Die Mütze fand sich auf dem Boden des Wagens. Kusjka wischte mit dem Aermel das Heu herunter, setzte sie auf und kletterte ängstlich in den Wagen, immer noch den Schreck im Gesicht, als fürchte er, von hinten einen Schlag zu bekommen. Matwej Ssawwitsch bekreuzigte sich, der junge Kutscher zog die Leine an, und der Wagen setzte sich in Bewegung und schwankte zum Tor hinaus.


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