Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere

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Den noch übrigen Theil des Tages widmete Robinson einem Geschäfte, welches ihm jezt das dringendste zu sein schien. Er zitterte nemlich vor dem Gedanken, daß ein starker Regen einfallen, und seinen größten Schaz, das Schießpulver, unbrauchbar machen könte. Um diese Gefahr abzuwenden, beschloß er, noch an eben diesem Tage, aus einem großen mitgebrachten Segeltuche ein ordentliches Zelt zu machen, worunter sein ganzer Reichthum vor dem Regen sicher läge.

Da er Scheere, Nadeln und Zwirn hatte, so ging ihm diese Arbeit geschwind von Händen, und Freitag lernte ihm bald so viel davon ab, daß er ihm dabei helfen konte. Dieser konte die unschäzbare Erfindung einer Nadel und einer Scheere nicht genug bewundern und gestand zu wiederhohlten mahlen, daß er und seine Landesleute, mit den künstlichen Europäern verglichen, doch nur recht arme Schelme wären.

Sie wurden noch vor Abend mit dieser Arbeit fertig; und da machte Robinson sich noch die Freude, seinem Freitag die erstaunliche Wirkung einer Kanone zu zeigen. Er lud sie mit einer Kugel, stelte sie darauf so, daß der Schuß die Oberfläche des Wassers streifen muste, damit Freitag recht deutlich sehen könte, wie weit die Kugel fortgeschnelt werden würde. Jezt brant' er sie ab, und ohngeachtet Freitag schon durch die beiden Flintenschüsse auf dieses Schauspiel vorbereitet war: so erschrak er doch von neuem über den noch weit heftigern Knal der Kanone so sehr, daß ihm alle Glieder zitterten. Die Kugel tanzte auf der Oberfläche des Meeres hin und verlohr sich in einer unabsehlichen Entfernung. Freitag versicherte darauf, daß es nur eines einzigen solchen Schusses bedürfen würde, um alle seine Landsleute, wenn sie auch bei Tausenden herbei kämen, plözlich in die Flucht zu jagen, weil sie den, der diesen Donner machte, gewiß für den Toupan halten würden.

Da es finster geworden war, stekte Robinson seine Laterne an, um die am Schiffe mitgebrachten Schriften durchzusehen, ob er vielleicht daraus erfahren mögte, wem das Schif zugehört habe, und welches die Bestimmung desselben gewesen sei? Aber zum Unglük waren diese Schriften, so wie die Bücher, die er mitgenommen hatte, in einer Sprache abgefaßt, die er nicht verstand. Wie sehr bedauerte er hierbei abermahls, daß er in seiner Jugend nicht mehr Fleiß auf Erlernung der Sprachen gewandt habe! Aber diese Reue kam jezt zu spät.

Indeß gab ihm ein doppelter Umstand, den er bemerkte, einiges Licht über den Lauf des Schiffes und über die Absicht desselben. Er fand nemlich unter andern ein Paar Briefe, die nach Barbados gerichtet waren, einer Insel bei Amerika, auf welcher ein starker Sklavenhandel getrieben wird.

Frizchen. Sklavenhandel?

Vater. Ich wil dir sagen, was das ist. In Afrika – du weißt doch noch, wo das liegt?

Frizchen. O ja; dorthin, über die grüne Brükke und die Gänseweide! – Nu nur zu!

Vater. In Afrika also, wo die Mohren wohnen, sind die meisten Menschen noch so roh und ungesittet, wie das liebe Vieh. Ihre Anführer oder Könige, die selbst nicht viel klüger sind, gehen dan auch mit ihnen um, als wenn sie wirkliches Vieh wären. Wenn nun die Europäer dahin kommen, so bietet man ihnen ganze Heerden solcher schwarzen Menschen zum Verkauf an, recht so wie man hier die Ochsen zu Markte bringt. Viele Väter führen auch wohl ihre eigene Kinder herbei, um sie für eine Kleinigkeit los zu werden; und da kaufen denn die Europäer alle Jahr eine Menge derselben und führen sie nach Amerika, wo sie die härteste Arbeit verrichten müssen und dabei recht jämmerlich gehalten werden. Ein solcher Sklav (so nent man sie) ist dan recht schlim daran, und wünschte oft lieber zu sterben, als so zu leben.

Gotlieb. Das ist doch aber auch gar nicht recht, daß man so mit Menschen umgeht!

Vater. Freilich ist es unrecht; auch steht zu hoffen, daß dieser abscheuliche Sklavenhandel mit der Zeit ganz werde abgeschaft werden. –

Ferner fand Robinson eine Rechnung, aus der er ungefähr so viel abnehmen konte, daß auf dem Schiffe hundert solcher Sklaven gewesen sein müsten, die man nach Barbados habe bringen wollen. Er machte von allem diesem seinem Freitag eine Beschreibung, und sezte hinzu: wer weiß, ob nicht diese Unglüklichen dem Sturme, der das Schif auf die Felsen trieb, vielleicht ihre Erlösung zu verdanken haben? Ob sie nicht vielleicht durch Hülfe der Böte sich gerettet und irgend eine Insel erreicht haben, auf der ihre Tirannen ihnen nun nicht mehr befehlen dürfen, und wo sie, nach ihrer Art, ein recht glükliches und zufriedenes Leben führen?

Freitag fand dies gar nicht unwahrscheinlich.

Wohl dan, lieber Freitag! sezte Robinson hinzu, indem sein Gesicht zu glühen anfing; hättest du also nun noch wohl das Herz, deine neuliche Frage zu wiederhohlen?

Freitag. Welche?

Robinson. Die: was der Sturm, der uns unsern Kahn entführte, wohl für Nuzen gehabt haben könne?

Freitag ward beschämt und schlug reuevoll die Augen nieder.

»O Freitag! rief hierauf Robinson mit frommem Eifer aus; erkenne die Hand des almächtigen und alweisen Gottes, die hier abermahls so sichtbarlich im Spiel gewesen ist! Siehe wie viel der Sturm uns wiedergeben muste, für das Wenige, was er uns zu nehmen Befehl hatte! Sieh ihn an, diesen ganzen Vorrath von Hülfsmitteln zu einem bequemen und glüklichen Leben – würden wir ihn haben, wenn der Sturm nicht gekommen wäre? Zwar ist es traurig, sein Glük dem Unglükke anderer Menschen verdanken zu müssen: aber wie? wenn nun auch die Meisten von denen, die auf dem gestrandeten Schiffe waren, jezt viel glüklicher lebten, als vormahls? Und daß dies wirklich der Fal sei, ist doch gar nicht unwahrscheinlich! Was dünket dich nun von der götlichen Weltregierung?«

»Daß sie unbeschreiblich weise und gut sei, und daß ich ein Nar war!« erwiederte Freitag, indem er die Hände faltete und zum Himmel blikte, um Gott die Sünde abzubitten, die er aus Unverstand begangen hatte.

Robinson verwahrte alle die durchgesuchten Papiere eben so sorgfältig, als das Gold und die Edelgesteine; um, fals er jemahls wieder nach Europa kommen solte, durch Hülfe derselben, zu erfahren, an wen er diese geretteten Schäze zurük geben müsse.

Noch sechs Tage hinter einander fuhren sie fort, des Tages zwei bis dreimahl nach dem Wrak zu fahren und Alles, was sie bewegen konten, ans Land zu bringen. Tausend Kleinigkeiten waren ihnen wichtig und wurden als solche von ihnen mitgenommen, die uns kaum des Aufhebens werth scheinen würden, weil wir den Mangel derselben noch nie empfunden haben. Ein Theil der Schifsladung bestand aus Elefantenzähnen; diese liessen sie liegen, weil sie keinen Gebrauch davon machen konten. Ein Gleiches thaten sie mit einigen Tonnen vol Kaffebohnen, welche Robinson gleichfalls verschmähte, weil er nicht gesonnen war, sich jemahls wieder zu überflüßigen und schädlichen Lekkereien zu verwöhnen. Dafür aber suchten sie so viel Bretter loszubrechen und mitzunehmen, als sie nur immer konten, weil ihnen diese einen grössern Nuzen und also auch einen grössern innern Werth zu haben schienen. Sogar die noch übrigen fünf Kanonen brachten sie ans Land, so wie alles Eisenwerk, welches sie nur finden oder vom Schiffe losmachen konten.

Nachdem sie nun schon achtzehn mahl hin und her gefahren und mit ihrer jedesmahligen Ladung immer glüklich an Ort und Stelle angekommen waren; bemerkten sie, da sie sich abermahls an Bord des Wraks befanden, daß ein Ungewitter heran nahe. Sie eilten daher, so sehr sie konten, das Aufladen zu beschleunigen und fuhren in der Hofnung ab, daß sie, noch vor dem Ausbruche des Gewitters den Strand erreichen würden. Aber ihre Bemühung war umsonst. Noch ehe sie die Hälfte der Fahrt zurükgelegt hatten, erhob sich ein so gewaltiger Sturm mit Donner, Bliz und Regen begleitet, daß die Wellen über das Flößholz wegrolten und die darauf befindlichen Sachen in den Abgrund warfen. Sie selbst klammerten sich eine Zeitlang so fest an, daß die schäumenden Wogen sie nicht wegspülen konten, ohngeachtet sie ihnen von Zeit zu Zeit fast einer Elle hoch über dem Kopfe weggingen.

Aber endlich konte das schwache Gebäude des Flößholzes der Wuth der Wellen nicht länger widerstehen. Die Bande, wodurch die Balken zusammen gehalten, löseten sich auf; die ganze Flöße fiel aus einander.

Lotte. O weh der arme Robinson!

Alle. O stille! stille!

Vater. Freitag versuchte sich durch Schwimmen zu retten, Robinson hingegen ergrif einen Balken, mit dem er bald in den Abgrund hinabgeworfen, bald wieder hoch empor gehoben wurde. Er war dabei öfter unter, als über dem Wasser, war ganz betäubt, und konte weder hören noch sehen. Jezt verliessen ihn seine Kräfte, und mit ihnen seine Besonnenheit. Er that noch einen lauten Schrei, und verschwand darauf in einer ungeheuern Welle, die von dem Balken ihn losriß.

Zum Glük war sein treuer Freitag ihm immer zur Seite geblieben, ohngeachtet er, wenn er gewolt hätte, sich weit geschwinder hätte retten können. Da dieser nun seinen Herrn vor seinen Augen versinken sahe, besan er sich keinen Augenblik, sondern tauchte unter, ergrif ihn mit der linken Hand, und arbeitete mit der rechten sich wieder empor. Und nun verdoppelte er seine Bemühung mit so unerhörter Anstrengung, daß er in einigen Minuten zusamt dem Leichname seines lieben Herrn am Strande war.

Alle. (Ganz erschrokken) Ach! – ach! dem Leichnam?

Vater. So nenne ich ihn, weil in der That kein Fünkchen von Leben mehr in ihm zu sein schien.

Freitag trug den Erblaßten völlig ans Land, warf sich verzweiflungsvol über ihn hin, rief ihm zu, rüttelte, rieb ihn am ganzen Leibe, und drükte zehnmahl die Lippen auf seinen Mund um ihm Athem einzublasen. Endlich hatt' er die unaussprechliche Freude, wieder einige Merkmahle des Lebens wahrzunehmen; er fuhr in seinen Bemühungen fort und Robinson fing an, sich seiner wieder bewust zu sein.

»Wo bin ich?« fragt' er mit schwacher zitternder Stimme, indem er die Augen wieder aufschlug. »In meinen Armen, lieber Herr!« antwortete Freitag, dem die Tränen aus den Augen stürzten. – Und nun gab es eine rührende Scene, indem Robinson seinem Erretter dankte, und dieser nicht wuste, was er vor Freuden über die Wiederkehr seines geliebten Herrn ins Leben alles vornehmen solte. 

Und, Kinder, mit etwas Besserem können wir die Erzählung dieses Tages wohl nicht endigen; also genug für heute!


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