Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere

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Gotlieb. (Mit einem tiefen Seufzer) Ach Gottlob! daß das vorbei ist! Der arme Robinson! und die armen Lama's!

Lotte. Mir ist recht angst gewesen!

Frizchen. Wovon kömt denn das Erdbeben?

Johannes. Das hat uns Vater schon längst erklärt, da du noch nicht hier warst.

Vater. Sage es ihm doch, Johannes!

Johannes. In der Erde sind viele grosse und weite Löcher, wie Keller; die sind nun vol Luft und Dünste. Denn sind auch allerlei brenbare Dinge in der Erde, als Schwefel, Pech, Harz und so was. Diese fangen zuweilen an sich zu erhizen und zu brennen, wenn eine Feuchtigkeit dazu kömt.

Gotlieb. Eine Feuchtigkeit? Kan denn das, was naß ist, wohl etwas heiß machen?

Johannes. Ja wohl! Hast du nicht gesehen, wenn die Mauerleute kaltes Wasser auf Kalchsteine giessen, wie es denn gleich anfängt zu kochen, als wenn es über dem Feuer stünde; und ist doch kein Feuer da. – Na, so entzünden sich also auch die Dinge in der Erde, wenn das Wasser hinein dringt; und wenn die denn brennen: so dehnt sich die Luft, die in den grossen Höhlen ist, so gewaltig aus, daß sie keinen Plaz mehr darin hat. Denn wil sie mit Gewalt herausfahren und erschüttert also die Erde, bis sie sich endlich irgendwo ein Loch macht. Aus diesem Loche fährt sie denn, wie ein Sturmwind, hinaus und reißt eine Menge von den brennenden und schon geschmolzenen Materien mit sich fort.

Vater. Und diese Materie, die aus geschmolzenen Steinen, Metallen, Harzen u. s. w. besteht, ist es, die man die Lava nent. Ich habe einmahl irgendwo gelesen, daß man selbst einen kleinen Feuerspeienden Berg nachmachen kan; wenn ihr Lust habt, so wollen wir einmahl den Versuch machen.

Alle. O ja! O ja! lieber Vater!

Johannes. Und wie wird denn das gemacht?

Vater. Man braucht nur Schwefel und Eisenfeilstaub an einem feuchten Orte in die Erde zu graben: so erhizt und entzündet sich diese Masse von selbst, und denn hat man im Kleinen, was ein feuerspeiender Berg im Großen ist. Nächstens wollen wir den Versuch davon machen.

Indem Robinson von dem Baume, auf den er sich geflüchtet hatte, herabstieg, war seine Sele über alle das Unglük, was ihn jezt von neuem betroffen hatte, so betrübt, daß es ihm gar nicht einfiel, für seine abermalige Errettung dem zu danken, der die sichtbarste Todesgefahr von ihm abgewandt hatte. In der That war sein Zustand jezt wieder so kläglich, als jemahls. Seine Höhle, der einzige sichere Aufenthalt, den er bisher gefunden hatte, war vermuthlich verschüttet; seine lieben treuen Lamas waren fortgeschwemt; alle seine bisherigen Arbeiten zerstört; alle seine schönen Anschläge für die Zukunft dahin! Der Berg hatte zwar aufgehört, Feuer auszuwerfen; aber noch stieg aus dem ofnen Schlunde desselben ein dikker schwarzer Dampf empor, und es war möglich, daß er von nun an immer ein Feuerspeiender Berg bliebe. Und blieb er das, wie konte Robinson einen Augenblik ruhig sein? Mußte er nicht an jedem Tage ein neues Erdbeben, einen neuen Feuerauswurf besorgen?

Diese traurigen Gedanken drükten ihn vollends nieder. Er unterlag der Last seines Kummers, und, anstat daß er sich zu der einzigen wahren Quelle des Trostes, zu Gott, hätte wenden sollen, waren seine Augen blos auf das Elend seines künftigen Zustandes gerichtet, welches sich ihm unaussprechlich groß und ohn' Ende darstellte.

Von Angst und Beklemmung ermattet lehnt' er sich an den Baum, von dem er herabgestiegen war; und seiner gepresten Brust entfuhren ohn' Unterlaß Seufzer, die mehr Schrei, als Seufzer, waren. In dieser trostlosen Stellung verblieb er, bis die Morgenröthe den neuen Tag verkündigte.

Gotlieb. zu Fr. R. Nun sehe ich, daß Vater doch recht hatte.

Fr. R. Worin?

Gotlieb. Ja, ich meinte neulich, daß Robinson nun schon ganz gebessert wäre, und daß ihn der liebe Gott nun wohl von seiner Insel erlösen könte. Da sagte Vater, daß wüßte der liebe Gott selbst am Besten, und daß wir das nicht beurtheilen könten.

Fr. R. Und nun?

Gotlieb. Ja, nun sehe ich wohl, daß er doch noch nicht so viel Vertrauen zu Gott hat, als er haben solte; und daß der liebe Gott recht that, daß er ihn noch nicht erlösete.

Nikolas. Das habe ich auch schon gedacht; und nun bin ich ihm auch gar nicht mehr so gut.

Vater. Eure Bemerkung, Kinder, ist vollkommen richtig. Wir sehen freilig wohl, daß Robinson lange noch nicht das feste, unwandelbare kindliche Vertrauen zu Gott hatte, welches er, nach so vielen Beweisen seiner Güte und Weisheit, die er selbst erfahren hatte, billig hätte haben müssen. Aber ehe wir ihn deswegen verdammen: wollen wir uns erst einen Augenblik an seine Stelle sezen, und unser eigenes Herz fragen, ob wir, an seinem Plaze, es auch wohl besser würden gemacht haben? Was dünkt dich, Nikolas, würdest du, wenn du Robinson gewesen wärest, wohl getroster gewesen sein?

Nikolas. (Mit leiser, zweifelhafter Stimme.) Ich weiß nicht.

Vater. Erinnere dich einmahl an die Zeit, da dir, deiner Augen wegen, eine spanische Fliege gelegt werden mußte, die dir einige Schmerzen verursachte. Weißt du noch, wie kleinmüthig du da zuweilen wurdest? Und das war doch nur ein kleines vorübergehendes Leiden, welches nur zwei Tage dauerte! Ich weiß, jezt würdest du bei einer ähnlichen Gelegenheit dich viel standhafter bezeigen: aber ob du auch schon stark genug sein würdest, alles das, was Robinson leiden mußte, mit frommen kindlichem Sin zu ertragen – was meinst du, Lieber, sol ich daran auch nicht zweifeln? –

Dein Stilschweigen ist die rechte Antwort auf diese Frage. Du kanst es selbst nicht recht wissen, wie du dich in diesem Falle betragen würdest, weil du noch nie darin gewesen bist. Alles also, was wir jezt thun können, ist dieses, daß wir bei den kleinen unbedeutenden Uebeln, die wir etwa zu erleben Gelegenheit haben mögten, uns gewöhnen, unsere Augen immer auf Gott zu richten und immer geduldig, immer getrost zu sein. Dan wird unser Herz von Tage zu Tage stärker werden, auch grössere Leiden zu ertragen, wenn es Gott einst gefallen wird, uns deren aufzulegen.

Der neue Tag brach an, und das aufgehende Freudeverbreitende Licht des Tages fand den armen Robinson in der trostlosen Lage, worin er sich an den Baum gelehnt hatte. In seine Augen war kein Schlaf, und in seine Sele kein anderer Gedanke gekommen, als die einzige schwarze, schwermüthige Frage: was sol nun aus mir werden?

Endlich machte er sich auf und schwankte, wie ein Träumender, nach seiner verwüsteten Wohnung hin. Wie groß war aber nicht das freudige Schrekken, welches ihn überfiel, da ihm nahe bei seinem Hofplaze auf einmahl seine – was meint ihr? – seine geliebten Lama's gesund und wohlbehalten entgegen sprangen! Anfangs traute er seinen eigenen Augen nicht, aber jeder Zweifel wurde ihm bald benommen. Sie kamen herzugerant, lekten ihm die Hände und drükten ihre Freude, ihn wieder zusehen, durch Hüpfen und Blöken aus.

In diesem Augenblik erwachte Robinsons Herz, welches bis dahin ganz erstorben zu sein schien. Er blikte auf seine Lama's, dan zum Himmel, und eine Träne der Freude, des Danks und der Reue über seine Kleinmüthigkeit benezte seine Wangen. Dan überhäufte er seine ihm wiedergeschenkten Freunde mit freudigen Liebkosungen; und von ihnen begleitet ging er nun hin, zu sehen, was aus seiner Wohnung geworden sei?

Diderich. Wie mogten sich denn die Lama's gerettet haben?

Vater. Vermuthlich hatte die Wasserfluth sie nach einem kleinen Hügel fortgerissen, wo ihre Füße wieder Grund fassen konten; und weil das Wasser eben so schnel wieder sich verlief, als es aus der Luft herunter gestürzt war, so gingen sie vermuthlich nach ihrer Wohnung zurük.

Robinson stand jezt vor seiner Höhle, und fand zu seiner abermahligen Beschämung, daß auch hier der Schade bei weitem nicht so groß sei, als er ihn in seiner Kleinmüthigkeit sich vorgestellt hatte. Zwar war die Dekke, die aus einem Felsenstükke bestanden hatte, eingestürzt, und hatte das nächste Erdreich mit sich herabgerissen: aber es schien doch nicht unmöglich zu sein, alle diese Ruinen aus der Höhle wieder hinaus zu schaffen, und dan war seine Wohnung noch einmahl so geräumlich und bequem, als sie vorher gewesen war.

Hierzu kam noch etwas, welches ganz offenbahr bewies, daß die götliche Vorsehung das, was vorgefallen war, nicht um Robinson zu züchtigen, sondern vielmehr aus milder Fürsorge für ihn veranstaltet habe. Da er nemlich die Stelle, wo das Felsenstük gehangen hatte, genauer besichtigte, fand er zu seinem Erstaunen, daß es überal mit lokkerer Erde umgeben gewesen war, und also ganz und gar keine feste Haltung gehabt hatte. Nichts war also wahrscheinlicher, als daß es über kurz oder lang von selbst würde eingestürzt sein. Das sahe nun Gott nach seiner Alwissenheit vorher, und vermuthlich auch, daß dies Felsenstük grade zu einer Zeit einstürzen wurde, da Robinson eben in der Höhle wäre. Da nun aber seine weise Güte diesem Menschen ein längeres Leben bestimte: so hatte er der Erde, von Anbegin der Welt her, eine solche Einrichtung gegeben, daß grade um diese Zeit auf dieser Insel ein solches Erdbeben entstehen mußte. Selbst das unterirdische Krachen und das Heulen des Sturmwindes, so schreklich es auch in Robinsons Ohren klingen mogte, hatte zu seiner Errettung dienen müssen. Denn wenn das Erdbeben ohne alles Getöse entstanden wäre: so würde Robinson vermuthlich nicht davon erwacht sein; und dan hätte der einstürzende Felsen seinem Leben sicherlich ein Ende gemacht.

Seht, Kinder, so hatte Gott abermahls für ihn gesorgt zu einer Zeit, da er sich von ihm verlassen wähnte; und er hatte grade durch diejenigen fürchterlichen Begebenheiten für ihn gesorgt, die Robinson als sein größtes Unglük betrachtete.

Und diese seelige Erfahrung, werdet ihr selbst, meine Lieben, in eurem künftigen Leben oft zu machen Gelegenheit haben. Wenn ihr nur auf die Wege der götlichen Vorsehung, die sie mit euch gehen wird, recht merken wolt: so werdet ihr bei allen den traurigen Vorfällen des Lebens, die eurer in der Zukunft warten, zweierlei immer wahr befinden, nemlich:

Erstlich, daß die Menschen sich das Unglük, welches ihnen begegnet, immer grösser vorstellen, als es in der That ist und dan

Zweitens, daß alles unser Leiden uns von Gott aus weisen und gütigen Ursachen zugeschikt werde, und also am Ende immer zu unserm wahren Besten gereiche.

Ja, Kinder, – o freut euch dieser tröstenden Wahrheit! – es lebt

Es lebt ein Gott, der seine Menschen liebt!
Wir sehn's, wohin wir blikken,
Am Nebel, der den Himmel trübt,
Wie an den reinsten Sonnenblikken.
Wir sehn's, wenn Donnerwolken glühn,
Und Berg' und Wald bewegen;
Und sehn's, wenn sie vorüber ziehn,
Am sanften lieben Regen.
Jezt sehn wir sie bei stetem Glük
In tausend, tausend Freuden;
Einst sieht sie unser nasser Blik
In kleinen kurzen Leiden.

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