Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere
Robinson der Jüngere

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vater. Er stürzte also hervor, das Beil in der Hand: aber – wie erstaunt' er nicht, da er Freitag ganz allein, wie einen Unsinnigen mit unaufhörlichen Geschrei herumtanzen und die allerseltsamsten Gebehrden machen sahe. Lange stand er, wie verduzt, und wuste nicht, was er davon denken solte? Endlich kam es zu Erklärungen, und da erfuhr er denn durch Zeichen, daß das ganze Unheil nur darin bestehe, daß Freitag sich die Hand ein wenig verbrant habe.

Diesen zu beruhigen, kostete ihm nicht wenig Mühe. Damit ihr aber begreifen möget, (was Robinson erst ein Jahr nachher, da Freitag mit ihm reden konte, begrif) warum er, um einer solchen Kleinigkeit willen, einen so entsezlichen Lerm machte und sich so wunderlich gebehrdete: so muß ich euch erst sagen, was unwissende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete Menschen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas begegnet, wovon sie die Ursache nicht einzusehen vermögen.

Diese armen einfältigen Menschen gerathen nemlich alsdan fast immer auf den Gedanken, daß irgend ein unsichtbares Wesen, ein Geist, die Ursache von demjenigen sei, was sie nicht begreifen können; und sie meinen, daß dieser Geist eine solche Wirkung auf Befehl irgend eines Menschen thue, dem er dienstbar geworden sei. Einen solchen Menschen, dem sie diese Herschaft über einen oder mehrere Geister zutrauen, nennen sie dan einen Zauberer oder Hexenmeister, und wenn's ein Frauenzimmer ist, eine Zauberin oder Hexe.

Wenn zum Beispiel einem armen unwissenden Landmann plözlich ein Pferd oder eine Kuh krank wird, ohne daß ihm die Ursache dieser Krankheit bekant ist: so geräth er leicht auf den dummen Gedanken, daß irgend ein Hexenmeister oder eine Hexe im Dorfe sei, die sein Pferd oder seine Kuh bezaubert, das heißt, durch Hülfe eines unsichtbaren bösen Geistes krank gemacht hätten. Da giebt's denn gemeiniglich auch einen listigen und boshaften Betrüger, der sich der Unwissenheit und des Aberglaubens dieser armen Leute zu Nuze macht, um Geld von ihnen zu ziehen. Ein solcher Betrüger bestärkt sie darauf in ihrem Aberglauben; weiß sich eine wichtige Miene zu geben; sagt, sie hätten ganz recht, das Thier wäre wirklich behext; aber, wenn sie ihm nur so oder so viel Geld geben wolten, so wäre er im Stande, das Thier wieder zu entzaubern, oder den Zauberer und den bösen Geist zu zwingen, davon abzulassen. Das thun denn diese einfältigen Leute, und der Teufelsbanner (so nennen sie den Betrüger) macht dafür allerlei närrische Gaukeleien. Wird das Vieh dan etwa zufälliger Weise wieder gesund: so schwören sie darauf, daß es wirklich behext gewesen, aber von dem klugen Manne (so pflegen sie den Betrüger auch wohl zu nennen) wieder entzaubert worden sei. Stirbt das Vieh aber doch; nun so hat der kluge Man tausend Ausreden, wodurch er dem Volke begreiflich zu machen weiß, warum seine Bannung ohne seine Schuld fruchtlos geblieben sei.

Je dummer die Menschen sind, desto mehr sind sie diesem schädlichen Aberglauben ergeben. Ihr könt also denken, daß er vornemlich unter den Wilden im Schwange gehen muß. Alles, was diese mit ihrem einfältigen Verstande nicht begreifen können, das schreiben sie den Wirkungen böser Geister zu; und dies war der Fal worin sich unser Freitag jezt befand.

Nie hatt' er gehört oder erfahren, daß man Wasser heiß machen könne; nie hatt' er auch gefühlt, wie es thut, wenn man die Hand in kochendes Wasser stekt: er konte also auch schlechterdings nicht begreifen, woher die so sehr schmerzhafte Empfindung komme, die ihn plözlich überfiel, so bald das kochende Wasser seine Hand berührte. Er glaubte also steif und fest, daß es mit Zauberei zugehe und daß sein Herr ein Hexenmeister sei.

Nun, Kinder, – macht euch nur darauf gefaßt, – es wird euch künftig auch wohl einmahl eins und das Andere vorkommen, dessen Ursache ihr nicht werdet begreifen können. Ihr werdet Taschenspieler und Gaukler sehen, die wunderseltsame Dinge machen können, die z. B. dem Scheine nach, einen Vogel in eine Maus verwandeln, einen geköpften Vogel wieder lebendig machen können u. s. w. ohne, daß ihr bei der größten Aufmerksamkeit im Stande seid, die Gaukelei zu entdekken; wenn euch denn auch etwa der Gedanke anwandeln solte: das geht nicht mit rechten Dingen zu; das muß ein Hexenmeister sein! so erinnert euch unsers Freitags und seid versichert, daß es euch eben so, wie ihm geht, daß ihr nemlich aus Unwissenheit etwas für uebernatürlich haltet, was im Grunde sehr natürlich zu geht. Um euch noch mehr darauf vorzubereiten, wollen wir euch gelegentlich einige solcher Taschenspielerkünste erklären, damit ihr von diesen auf andere schliessen könt.

Es kostete, wie gesagt, viele Mühe, den armen Freitag zu beruhigen und ihn zu bewegen, sich wieder zu dem Braten zu sezen, um ihn zu wenden. Zwar that er dies endlich, aber den Topf sah er noch immer mit Grausen und seinen Herrn, den er nun für ein unmenschliches Wesen hielt, mit furchtsamer Ehrerbietung an. In diesem Glauben bestärkte ihn die europäische weisse Gesichtsfarbe und der lange Bart desselben, wodurch er ein ganz anderes Ansehen erhielt, als Freitag nebst seinen schwarzbraunen und unbärtigen Landsleuten hatten.

Nikolas. Haben denn die Wilden in Amerika keinen Bart?

Vater. Nein! man hat daher fast durchgängig geglaubt, daß die Natur den Amerikanischen Männern den Bart versagt habe: jezt aber wil man bemerkt haben, daß sie ihn blos deswegen nicht haben, weil sie die Haare des Kinnes, so bald sie hervorwachsen, sorgfältig auszuraufen pflegen.

Suppe, Kartoffeln und Braten waren jezt gar. Da es an Löffeln fehlte, so goß Robinson zwei Porzionen Suppe in zwei andere Töpfe, um sie aus diesen zu trinken. Aber Freitag war durchaus nicht zu bewegen, einen derselben anzunehmen, weil er die Suppe für einen Zaubertrank hielt; und es schauderte ihn, da er Robinson ansezen, und die bezauberte Brühe trinken sahe. Von dem Braten hingegen und von den Kartoffeln aß auch er mit großem Wohlgefallen.

Wie sehr der Genuß warmer und nahrhafter Speisen unsern Robinson erfreuen muste, könt ihr euch vorstellen. Er vergaß darüber aller ausgestandnen Mühseeligkeiten der verflossenen kümmerlichen Jahre, vergaß, daß er noch immer auf seiner Insel sei, glaubte in ein ander Land, glaubte wieder mitten in Europa versezt zu sein. So weiß die gütige Vorsehung die Wunden unsers Herzens, die sie zu unserm Besten schlug, und die wir in der Empfindung des Schmerzens für unheilbar hielten, oft in einem einzigen Augenblikke durch den Balsam unverhofter Freuden gänzlich wieder zu heilen! Ob übrigens Robinson im Genuß dieser neuen Gottesgaben auch an den Geber derselben mit Lieb' und Dankbarkeit gedacht habe, brauch ich euch wohl nicht erst zu sagen.

Nach der Mahlzeit lagert' er sich in seinem Gedankenwinkel, um über die glükliche Veränderung seines Zustandes ernsthafte Betrachtungen anzustellen. Alles hatte nun eine andere, viel angenehmere Gestalt für ihn gewonnen. Sein Leben war nun nicht mehr einsam; er hatte einen Geselschafter, mit dem er jezt zwar noch nicht reden konte, aber dessen bloße Geselschaft ihm doch schon jezt zum Troste und zur Hülfe gereichte; er hatte wieder Feuer und der wohlschmekkenden und gesunden Nahrungsmittel genug, um die Bedürfnisse des Gaums und des Magens hinlänglich befriedigen zu können. »Was kan dich, dacht' er, nun noch hindern, vergnügt und unbekümmert zu leben? Geneuß also der mannigfaltigen Wohlthaten des Himmels; iß und trink von deiner Heerde und von den Früchten des Landes das Beste, (denn du hast ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun durch Ruhe und gutes Essen und Trinken schadlos für die ausgestandnen Mühseeligkeiten und den Mangel der verflossenen Jahre! Dein Freitag mag für dich arbeiten; er ist jung und stark und du hast es ja um ihn verdient, daß er dein Knecht sei.« Hier stokten seine Gedanken; denn es kam ihnen eine andere Betrachtung in die Queer.

»Aber wie? dacht' er, wenn deine ganze gegenwärtige Glükseeligkeit einmahl wieder ein Ende nähme? Wenn Freitag stürbe? Wenn dein Feuer abermahls erlöschte?« Ein kalter Schauder lief ihm bei diesem Gedanken durch alle Glieder.

»Und dacht' er weiter, wenn du durch ein weichliches und wollüstiges Leben dich dan so verwöhnt hättest, daß es dir unmöglich fiele, zu der Härte und Armseeligkeit deiner vorigen Lebensart zurük zu kehren? Und wenn du dennoch, dazu zurük zu kehren, gezwungen würdest?« Er stieß einen tiefen Seufzer aus.

Dan dacht' er weiter: »Wem hast denn du es vornemlich zu zuschreiben, daß du durch Gottes Hülfe manche Schwachheit und Untugend abgelegt hast, die dir vorher eigen waren? Nicht wahr, lediglich der arbeitsamen und mäßigen Lebensart, die du bisher zu führen gezwungen warest? Und du wolltest nun durch Müßiggang und sinliches Wohlleben dich in Gefahr sezen, der Gesundheit des Leibes und des Geistes, welche Mäßigkeit und Arbeitsamkeit dir verliehen haben, wieder verlustig zu werden? da sei Gott vor!« dacht' er, sprang von seinem Lager auf und ging mit hastigen Schritten in seinem Hofraume auf und nieder. Freitag trug unterdeß die übrig gebliebenen Speisen in den Keller und ging, auf Robinsons Befehl, die Lama's zu melken.

Robinson fuhr in seiner Betrachtung also fort: »Und, dacht' er, wenn du von nun an ein ruhiges und schwelgerisches Leben führtest, wie lange würd' es dauern, daß du aller überstandenen Noth, und der väterlichen Hülfe, die dein lieber Gott bis hieher dir geleistet hat, vergessen würdest? Wie bald würdest du übermüthig, trozig, gottvergessen werden? Schreklich! schreklich!« rief er aus und fiel auf seine Knie, um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja vor diesem abscheulichen Undanke bewahren mögte.

Noch stand er einige Minuten im tiefen Nachdenken; dan faßte seine Sele folgende mänliche und wahrhaftig heilsame Entschliessung:

»Ich wil, dacht' er, der neuen götlichen Wohlthaten zwar geniessen; aber immer mit der größten Mäßigkeit. Die einfachsten Speisen sollen auch künftig meine Nahrung sein, so groß und mannigfaltig mein Vorrath auch immer sein mag. Meine Arbeiten will ich eben so unverdrossen und eben so ununterbrochen fortsezen, als bisher, ohngeachtet sie nicht mehr eben so nothwendig sein werden. An einem Tage einer jeden Woche, und dies sei der Sonnabend, wil ich von eben den rohen Speisen leben, die mich bis hieher ernährt haben, und den lezten Tag eines jeden Monats wil ich eben so einsam hinbringen, als ich die ganze verflossene Zeit meines hiesigen Aufenthalts habe hinbringen müssen. Freitag sol dan jedesmahl einen Tag und eine Nacht sich fern von mir in meinem Sommerpallast aufhalten.«

Er empfand, nachdem er diese tugendhaften Vorsäze gefaßt hatte, die reine himlische Freude, welche jedes Bestreben unsers Geistes nach grösserer Volkommenheit allemahl zu begleiten pflegt. Seine Stirn glühete, sein Herz empfand schon zum voraus die seeligen Folgen dieser freiwilligen Aufopferungen und schlug lebhafter; es war ihm unaussprechlich wohl zu Muthe. Aber er kante nun schon die Wankelmüthigkeit des menschlichen Herzens, auch seines Herzens, und sahe daher voraus, wie leicht es möglich sei, daß er dieser seiner guten Vorsäze wieder vergessen könte. Er glaubte daher, daß es nicht undienlich sein werde, wenn er sich irgend ein sinliches Merkzeichen machte, bei dessen Anblik er sich täglich wieder daran erinnern könte. In dieser Absicht ergrif er sein Beil und hieb in die Felsenwand über dem Eingange zu seiner Höhle die beiden Worte ein: Arbeitsamkeit und Mäßigkeit.

Nun Kinder, ich geb' euch bis Morgen Zeit, über diesen lehrreichen Umstand in unsers Freundes Leben nachzudenken, ob vielleicht etwas darin sei, welches ihr zu eurem Besten nachmachen köntet. Wenn wir wieder zusammen kommen, solt ihr mir eure Gedanken darüber mittheilen, so wie ich euch die Meinigen sagen werde.


 << zurück weiter >>