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Auf dem dunklen Flur des ersten Stockwerks war eine Holländeruhr mit blankem Zifferblatt, auf dem Mond, Sonne und Sterne sich bewegten. Darüber gingen die verschnörkelten Zeiger ihren Gang. Mit dumpfem und tiefdrohendem Ton schwang das Pendel hin und her, wumm – wumm. Nach jeder Viertelstunde ließ das Schlagwerk wie aus weiter Ferne seinen Dreiton hören: Gling-glang-glong. Nach Ablauf jeder Stunde kündeten Glockenschläge ihre Zahl. Dann öffnete sich oberhalb des Zifferblattes eine Türe, und aus ihr glitt ein kleiner brauner Hahn, der mit ächzendem Geräusch die hölzernen Flügel bewegte. Seine Stimme war verlorengegangen. Immer nahm ihn eine unsichtbare Kraft zurück und schloß das Türchen wieder. Um die Mittagsstunde erschien jedoch statt des Hahnes ein Engel aus Porzellan mit blauem, goldgerändertem Gewande und hob in drei steifen Rucken einen grünen Palmzweig.
Des Nachts um zwölf Uhr jedoch sollte ein Tödlein an Stelle des Engleins erscheinen. So erzählte man uns Kindern, als die Aglaja noch lebte.
Auf diesem Flur stand ich eines Nachts. Es roch nach Äpfeln und nach den fremden Hölzern der breiten Wäscheschränke an der Wand. Aus Holz geschnitzte Hirschhäupter hingen da. Sie hielten weiße Rüben im Äser und trugen Geweihe, die der Vater und der Großvater erbeutet hatten. Gewiß hundert solcher Hirschhäupter waren im ganzen Hause verteilt. Einer von den Hirschen war zahm im Gatter gehalten und dann freigelassen worden. Später hatte er einen Futterknecht zu Tode geforkelt, und die Mägde sagten, daß das Blut des Knechtes noch am Geweih klebe. Von den Augäpfeln des Holzkopfes war die Farbe abgeblättert, und so sah er schauerlich weißen und blinden Blickes auf mich herunter.
Die alte Margaret, die mit ihrem Stock durch die Gänge schlurfte und das Gnadenbrot genoß, hatte mir gesagt, daß um die Mitternachtsstunde des Sterbetages die Toten in dem Hause umgingen, in dem sie bei Lebzeiten gerne gewesen seien. Ich hielt in meiner Hand einen Leuchter mit einem der Wachslichter, die vor einem Jahre an Aglajas Sarg gebrannt hatten, und wartete, daß sie käme.
Die Schränke knackten, es pochte in der Wand, dann war es wie ein Seufzen. Der Wind ging übers Dach, daß die Schindeln rasselten. Da hob die Uhr an –
Als der Stundenschlag beginnen sollte, klappte die Tür über dem Zifferblatt auf, und wirklich kam ein kleines Tödlein mit Sanduhr und Hippe hervor, drehte sein Gerippe einmal rechts und einmal links und hob die winzige Sense zum Hieb. »Wumm – wumm –«, machte das Pendel in den Pausen des heiseren Glockenschlages.
»Aglaja« rief ich leise und spähte den Gang hinunter.
Da öffnete sich lautlos die Türe des Schrankes, an dem ich gerade stand, und im unsicheren Lichte der Kerze glaubte ich eine uralte Frau mit ganz verrunzeltem, braunem Gesicht und einer großen weißen Haube zu sehen. Ich taumelte an die Wand, aber als ich mich mit allem Mut zwang, noch einmal hinzublicken, konnte ich nichts wahrnehmen als die geschlossene Türe.
Dann hüstelte es, und Schritte schlurften. Etwas Graues und Gebücktes. Der Leuchter klirrte in meiner Hand.
Aber es war nur die alte Margaret, die Angst um mich hatte und nachsehen kam, ob ich wirklich heroben sei. Wie ein Kind hielt ich mich an ihrem Ärmel fest und erzählte ihr, was mir begegnet war. Sie kicherte und nickte.
»Die alte Frau war's –. Die Urgroßmutter von der Aglaja – die Aglaja Starke, die Tochter vom Bürgermeister, die ihnen den Stammbaum verungeniert hat – die Krämerische. Hast schon recht gesehen, mein Melchior, schon recht. Ist halt sie gekommen, statt der Jungen.« Sie faßte mich am Rock.
Ich riß mich los und stolperte die Stiegen hinunter.