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Ich spielte im Garten mit meiner kleinen Base Aglaja, die ich sehr lieb hatte. Aus schwarzen, glänzenden Kugelbeeren hatte ich einen Kranz geflochten, den setzte ich wie eine dunkle Krone auf ihr kupferfarbenes Haar, das golden in der Sonne leuchtete. Sie war die Königstochter, verzaubert in Dornenhecken, und ich schickte mich an, sie zu erlösen. Den Drachen, der sie bewachte, mußte die schwarze Diana spielen. Mit klugen Augen wartete der Hund auf das neue Spiel
Da kam in Begleitung einer Magd eilig der Bader mit dem Messingbecken durch den Garten, und in der Haustüre erschien ein Diener, es war der Stephan, der rief ihm zu, er möge sich beeilen.
Aglaja warf ihren Beerenkranz zur Erde, und beide liefen wir hinterdrein, bis in das Zimmer des Großvaters, das wir sonst nur mit seiner besonderen Erlaubnis betreten durften. Solche Besuche waren immer sehr feierlich und fanden nur an den großen Festtagen des Jahres oder an Geburtstagen statt, wobei wir kleine Gedichte aufsagen mußten und dafür Näschereien erhielten.
Es erschien uns beiden als ein großes Wagnis, ungebeten in das Zimmer des strengen alten Herrn einzutreten, aber die Neugierde trieb uns vorwärts.
Der Großvater saß ganz ruhig in seinem Schlafstuhl. Er trug wie immer eine grauseidene Ärmelweste mit gestickten Rosensträußchen, schwarze Hosen, weiße Strümpfe und Schuhe mit breiten Silberschnallen. An seiner Uhrkette hing ein Bündel von goldenen, farbigen und glitzernden Dingen, geschliffenen Steinen, Korallen und Siegeln, mit denen ich manchmal hatte spielen dürfen.
Vor ihm stand mit gesenktem Haupt mein Vater, und er bemerkte uns Kinder gar nicht. Als der hagere, in einen geflickten Rock gekleidete Bader näher trat, faßte er ihn am Arm, ward rot im Gesicht und sagte halblaut: »Das nächstemal lauf Er schneller, verdammter Kujon, wenn man Ihm die Ehre erweist!«
Der armselige Bader stotterte etwas, packte mit fliegenden Händen seine roten Binden und Springmesser aus, schob Großvaters Ärmel in die Höhe, berührte mit dem Finger die Lider der verdrehten Augen, tat dann am Arm herum, wobei er das Becken unterhielt. So wartete er eine Weile, dann sagte er schüchtern: »Es nützet nichts, freiherrliche Gnaden – das Blut will nimmermehr fließen!« Da wandte sich der Vater um und blieb mit zur Wand gekehrtem Gesicht stehen.
Der Stephan schob Aglaja und mich sanft zur Türe hinaus und flüsterte: »Seine Gnaden sind zu dero Vätern eingegangen.« Und als wir ihn fragend anblickten, da wir dies nicht zu verstehen vermochten, sagte er: »Der Herr Großvater ist tot.«
Wir gingen wieder in den Garten und lauschten dem Rumoren, das alsbald im Hause anhub. Rechts im Flur war eine geräumige Kammer, in der ich als ganz kleines Kind, wie ich mich wohl entsann, meine Mutter zwischen vielen Lichtern hatte liegen sehen. Diese Kammer, in der sonst allerlei Gerät stand, räumten sie nun aus und schleppten große Ballen schwarzen Tuches herbei, das häßlich roch.
Die Aglaja hatte der Großvater lieber gehabt als mich und ihr öfter Leckereien und Zuckerzeug gegeben als mir. Diese guten Sachen hatte er in einer Schildkrotdose verwahrt, die nach Zimt und Muskat duftete. Sie weinte ein wenig, die Aglaja, weil sie daran dachte, daß das nun vorüber sei, wenn der Großvater fortkäme. Dann aber erinnerten wir uns beide an die andere Dose, die er hatte und die uns nur höchst selten zu beschauen verstattet war. Das war seine goldene Schnupftabakdose, die ihm der Herzog von Braunschweig geschenkt hatte. Aber auf dieser schönen, funkelnden Dose, auf ihrem Deckel, war noch ein zweites Deckelchen, und wenn dieses aufsprang, erschien ein ganz kleines Vögelein, blitzend von grünen, roten und violetten Steinen, das wippte mit den Flügeln und flötete trillernd wie eine Nachtigall. Wir konnten uns an ihm kaum satt sehen und hören, aber der Großvater schob es in die Tasche, sobald nach einer kurzen Weile das Deckelchen von selbst zuklappte, und hieß uns zufrieden sein.
Ich sagte zur Aglaja, nun könnten wir wohl das Vögelchen genau betrachten und sogar befühlen, da der Großvater ja tot sei. Sie fürchtete sich anfangs, hinaufzugehen, aber ich faßte sie an der Hand und zog sie hinter mir her.
Niemand war auf dem Gange, und auch das Zimmer war leer. Leer stand der breite Lehnstuhl da, in dem der Großvater zuletzt auch die Nächte verbracht hatte. Auf dem Tischchen daneben standen noch die Flaschen mit den langen Zetteln.
Wir wußten, daß der Großvater die Dose immer aus der mittleren Lade eines Schubkästchens geholt hatte. Dieser Kasten war aus bunten Hölzern, mit Schiffen, Städten und Kriegsleuten aus alter Zeit verziert und auf der Lade, die wir öffnen wollten, waren zwei dicke Holländer zu sehen, die Pfeife rauchten und von knienden Mohren bedient wurden. Ich zog an den Ringen; aber erst, als mir die Aglaja half, gelang es uns, die Lade aufzuziehen.
Da lagen Großvaters Spitzenjabots und Tüchlein, eine Rolle Golddukaten, eine große, mit Gold eingelegte Pistole, viele Briefe in Bündeln, Schuhschnallen und Rasiermesser und auch das Döschen mit dem Vogel.
Ich nahm es heraus, und wir versuchten, das Deckelchen springen zu lassen. Aber es gelang uns nicht. Bei dem Herumarbeiten aber ging der große Deckel auf, und von diesem löste sich eine dünne Platte nach innen, die für gewöhnlich etwas verbarg. Es war ein kleines Bild, das in feinen Schmelzfarben gemalt war. Ein Bild, aus dem wir nicht klug wurden und das uns das Vöglein ganz vergessen ließ.
Auf einem kleinen Sofa lag eine Dame mit ganz emporgeschobenen Röcken, und ganz bei ihr war ein Herr mit Degen und Perücke, dessen Kleider ebenfalls in seltsamer Unordnung waren. Sie taten etwas, was uns ebenso komisch wie unheimlich vorkam. Zudem ging auf den Mann ein kleines, geflecktes Hündchen los, worüber die liegende Dame zu lachen schien. Auch wir lachten. Aber dann stritten wir sehr aufgeregt, was dies sei.
»Sie sind verheiratet«, sagte Aglaja und wurde ganz rot.
»Woher weißt du das?« fragte ich, und mein Herz klopfte sehr stark.
»Ich glaube, es sind Götter...«, flüsterte Aglaja. »Ich habe ein Bild gesehen, da tun die Götter so. Aber sie hatten keine Kleider an.«
Auf einmal war uns, als ob im Nebenzimmer, in dem der tote Großvater lag, die Diele knarre. Wir fuhren zusammen, und Aglaja schrie auf. Da warf ich die Dose rasch in die Lade, drückte diese zu und zog meine Base aus dem Zimmer. Wir schlichen in den Garten.
»Aglaja...«, sagte ich und faßte nach ihrer Hand. »Wollen wir auch so heiraten...?«
Da sah sie mich erschrocken an, riß sich los und lief ins Haus zurück. Betreten und verwirrt ging ich zum Stephan, der Rosen von den Stöcken schnitt und sie in einem Korb sammelte.
»Ja, junger Herr!« sagte er. »So geht es mit uns allen dahin!«