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Pen'yllan hatte in Nacheiferung des ihm von den Misses Tregarthyn gegebenen Beispiels, sein bestes Kleid angelegt zur würdigen Feier des Anlasses, den ihm die Ankunft seiner Sommergäste bot.
Als sie an der kleinen Bahnstation ausstiegen, war Lisbeth der Meinung, als hätte sie die See niemals so blau und kalt und funkelnd gesehen, die Sanddünen niemals so silberweiß und das Dörfchen niemals so malerisch.
Thatsächlich verhielt es sich so, daß der Anblick sie überwältigte und in eine Stimmung versetzte, wie sie sie in gleicher Weichheit und Menschenfreundlichkeit noch nicht an sich gekannt hatte.
»Ich wußte gar nicht, daß es hier so allerliebst ist,« sagte sie. »Ich glaube, wir werden uns recht gut amüsieren, Georgy!«
Georgy war hingerissen vor Entzücken. Alles und jedes gefiel ihr – gefiel ihr über die Maßen.
Die See, die Bucht, der Himmel, die wunderlichen weißen Landhäuschen, die barfüßigen Kinder, die alten welschen Frauen in ihren hohen, steifen Hüten und wollenen Unterröcken.
Die hügeligen Straßen des Dorfes waren köstlich; das kleine Schmuckkästchen von Eisenbahnhaltestelle war unvergleichlich.
Sie war während der Fahrt ziemlich blaß und abgespannt geworden, aber sobald sie die Füße auf den Bahnsteig von Pen'yllan setzte, da verschwand ihre Blässe ebenso rasch wie ihre Abgespanntheit.
Die frische Brise von der See herüber färbte ihr die Wangen mit frischer Röte und machte ihre Augen blitzen; und sie befand sich thatsächlich in der allerbesten Stimmung.
»Ich habe solch ein liebes trautes Plätzchen im ganzen Leben noch nicht gesehen,« sagte sie voll Wonne. »Ob wir uns amüsieren werden, Lisbeth? Na, weißt Du, mir ist's ganz so ums Herz, als ob wir allesamt Kinder wären und mit Mama und den Kindermädchen an den Strand hinaus gingen und uns Höhlen im Sande grüben, mit hölzernen Spaten uns Festungen bauten und Muscheln suchten. Ich werde mich rasch mit diesen kleinen Schlingeln am Strande befreunden, morgen schon, und werde sie bitten, sich mit mir zu tummeln und mit mir zu spielen.«
O, wie das Haus, das die Damen Tregarthyn bewohnten, herausgeputzt war in seinen allerschönsten Glanz und Staat, als die Kutsche am Gartenthor vorfuhr!
O, wie die Dienstmädchen drall und schmuck aussahen, die hellen, blauäugigen Dinger! und was für nette kleine Pagen in Bereitschaft standen, die Koffer zu nehmen und ins Haus zu tragen – und wie sie voll überströmender Bewunderung die jungen Damen angafften!
O, wie die drei Damen Tregarthyn in den elegantesten ihrer Gesellschaftsroben und in einer Gemütsverfassung voll liebevoller Zärtlichkeit und heftiger Aufregung heraustraten und ihnen entgegeneilten, und wie sie ihre liebe gute Lisbeth in wunderbarer Übereinstimmung auf die Nasenspitze küßten, anstatt ihre Lippen mit dieser zärtlichsten aller Liebkosungen zu bedenken.
»Wir sind so überglücklich, Sie bei uns zu sehen,« sagte Miß Clarissa, Georgy warm und kräftig die Hand drückend, als sie das Mädchen nach dem Salon führte – »unserer lieben guten Lisbeth beste Freundin! Sie sind doch hoffentlich nicht müde und haben doch Ihre Mama und Ihren Papa im besten Wohlsein zurückgelassen? Unsere liebe liebe Lisbeth hängt mit so großer Zärtlichkeit an Ihrer Mama und Ihrem Papa, daß wir, wenn uns so etwas möglich wäre, schier eifersüchtig werden könnten.«
»Mama und Papa hängen ganz ebenso sehr an ihr, diese Versicherung kann ich Ihnen geben,« antwortete Georgy in ihrer netten, ernsten Weise. »Ja wir alle, Miß Clarissa. Ein jeder hat Lisbeth lieb!«
Und durch solche Rede ward ihre Stellung als herzlich geliebter Gast im Nu gesichert.
Sie fand wirklich den Weg zu den Herzen der drei alten Jungfern in einer schier unglaublich kurzen Spanne Zeit.
Miß Millicent und Miß Hetty und Miß Clarissa waren von ihr bezaubert.
Ihr hübsches Gesicht und ihre hübsche Gestalt, ihre mädchenhafte Fröhlichkeit, ihre Bereitwilligkeit, alles zu bewundern und sich an allem zu freuen, waren Gegenstände der Anziehungskraft genug, um jedes Altjungfernterzett in Begeisterung zu versetzen, auch wenn Georgy den noch größeren Zauber, Lisbeths beste Freundin zu sein, nicht besessen hätte.
Die beiden Mädchen bezogen zusammen Lisbeths altes Zimmer, ein frisches kühles Nestchen mit weißen Vorhängen und seltsamem Zierrat und allen den Schätzen, die Lisbeth als Kind besessen und die dem Lande entstammten und dem Meere und noch immer an den Plätzen sich befanden, wo sie vor Jahren sich befunden hatten.
»Es sieht alles noch ganz genau so aus wie damals, als ich mit Mrs. Despard fortreiste,« sagte Lisbeth, den Blick in der Runde schweifen lassend, mit einem Seufzer, über dessen Bedeutung sie kaum hätte Bescheid geben können. »Das Seegras hier habe ich gepflückt, als ich vierzehn Jahre alt war, und mit den Köchinnen lag ich immer in Zank und Streit, weil ich mehr Muscheln nach Hause bringen wollte als ich brauchte, und ganze Berge davon in der Küche liegen ließ. Tante Clarissa schickte eine Aufwartefrau weg, weil wir uns zusammen gerauft hatten, und weil sie sagte: ›ich wär' e unverschämte kleene Jöhre, die mit ihr'n Krimskrams den ganzen Platz verschandelte.‹ Wie mich die lieben alten Herzen verhätschelt haben! Wenn ich einen Walfisch in die Wohnstube hinein geschleppt hätte, so würden sie's bedauert, aber niemals ein Wort dawider gesagt haben. Mir wurde oft mein Wille gelassen, wo man mich tüchtig bei den Ohren hätte nehmen sollen.«
»Du mußt sehr glücklich gewesen sein, daß sie Dich so liebten,« sagte Georgy, die einen niedrigen, harten Rohrstuhl ins offene Fenster geschoben hatte und sich über den Anblick des Mondscheines und der See freute.
»Du, ja, – Du würdest glücklich gewesen sein!« erwiderte Lisbeth, einen Stuhl Nummer Zwei heranrückend. »Und würdest Dich besser aufgeführt haben als ich! Ich war auch zu jener Zeit schon eine übelveranlagte junge Person.«
Eine Weile lang nach dieser Unterhaltung schwiegen sie beide.
Es war ein lieblicher Anblick vom Fenster aus, und alles war so still und so ruhig, daß keines von den beiden Mädchen sich ein paar Augenblicke lang zu rühren getraute. Dann zog das Sinnen, das auf Georgys Gesicht stand, Lisbeths Aufmerksamkeit auf sich.
»Ich möchte doch gar zu gern wissen,« sagte sie, »woran Du denkst?«
Das Mädchen stieß einen leisen Seufzer thatsächlich schwärmerischer Begeisterung aus.
»Ich dachte eben, wie mild und friedlich alles aussähe,« sagte sie harmlos – »und um wie vieles glücklicher ich mich fühle.«
»Glücklicher?« rief Lisbeth aus. »Wann waren wir denn unglücklich, Georgy?«
Das Erstaunen in ihrem Tone führte Georgy zu der Erkenntnis dessen, was unbewußt in ihren Worten gelegen hatte.
Sie merkte, daß sie rot wurde und sich über ihre eigene Einfalt verwunderte.
Sie hatte nicht die Absicht gehabt, so viel zu sagen. Sie konnte nicht verstehen, warum sie überhaupt etwas derartiges gesagt hatte.
»Es ist sonderbar genug, zu hören, daß Du glücklicher gemacht werden könntest, als Du es immer zu sein scheinst,« sagte Lisbeth. »Du sprichst, als wenn –« Und als sie hierauf mit ihren raschen Blicken das Beben wahrnahm, das des Mädchens Leib erschütterte, brach sie kurz ab. »Du hast wohl niemals ein Herzeleid kennen gelernt, Georgy?« setzte sie hinzu mit einer Stimme, die nur sehr wenigen Freundinnen bekannt gewesen sein dürfte – so weich und mild klang sie.
»Nein,« sagte Georgy. »O nein, Lisbeth! Ein Herzeleid genau genommen nicht; ein Herzeleid thatsächlich ganz und gar nicht; bloß –« Und plötzlich drehte sie ihre hellen, flehentlich bittenden Augen nach Lisbeths Gesicht hin. »Ich weiß nicht, weshalb ich so geredet habe,« sagte sie. »Es war nichts von wirklicher Bedeutung, Lisbeth, sonst würdest Du es doch ganz gewiß gewußt haben. Aber es – nun, ein Herzeleid hätte ich am Ende schon haben können, und es ist mir erspart geblieben, und ich bin recht, recht froh darüber und – dem lieben Gott auch von Herzen dafür dankbar.«
Und zu Miß Crespignys Erstaunen neigte sie sich vorwärts und küßte sie sanft auf die Wangen.
Lisbeth stellte keine Fragen an sie. Es lag ihr nicht viel am Fragen; sie war eine junge Person von feinem Geschmack und von Takt, wenn sie in zärtlicher Stimmung war.
Sie war zu sehr für Georgy eingenommen, als daß sie sie hätte zur Erzählung ihrer kleinen Geheimnisse zwingen wollen.
Aber ein gewisser Gedanke blitzte ihr durch das Gehirn, während sie so dasaß und die Augen auf das Meer gerichtet hielt.
»Sie ist eins von jenen Mädchen,« sprach sie herb zu sich selbst, »das lieber kein Herzeleid, als ein Herzeleid aus Liebe tragen möchte. Wer hat ihr seine Liebe erklärt, oder vielmehr: wer wäre unter allen ihren Verehrern dazu angethan, ihr Herz zu rühren?«
Aber dieses Verstandes-Problem war durchaus nicht leicht zu lösen.
Es gab der Männer so viele, die Georgy Esmond bewunderten, und ein so großer Teil von ihnen waren Männer, denen ein jedes Mädchen ihre Liebe hätte schenken können.
Es war eines von den Dingen, worüber Lisbeth sich ganz besonders wunderte, daß Georgy, die doch so weichen Herzens war und ihre Zuneigung so schnell verschenkte, mit ihrer Liebe so lange zurückhielt einer so liebenswürdigen Schar von Verehrern gegenüber.
Gewiß! wenn sie irgend einen kleinen Roman hinter sich gehabt hätte, dann würde sie ihr Geheimnis sicher und gut bewahrt haben.
Sie sah nicht aus wie eine liebesmüde junge Dame, als sie am anderen Morgen, frisch und rosig und vorbereitet, Pen'yllan von A-Z zu erforschen, herunter kam.
Es war thatsächlich ein Anblick, über dem einen das Herz aufging; und die drei Damen Tregarthyn waren geradezu grenzenlos entzückt.
Sie machte eine Wanderung durch die Hälfte der bergauf und bergab gehenden kleinen Straßen im Dorf, und vor dem Essen hatte sie es so einzurichten gewußt, daß sie Lisbeth ein halbes Stündchen lang am Strande entlang führte, einer scharfen Brise entgegen, die ihr das lange, lose Haar um das Haupt wehte und auf ihre Wangen eine flammende Röte führte.
Lisbeth folgte ihr in einer Art von heiterer Verwunderung über die Schwärmerei ihrer Freundin, in die sich eine gewisse Unzufriedenheit über ihre eigene Gleichgültigkeit mischte.
An ihr war es doch, in Freude zu schwelgen, und dennoch sie war hiervon weit, gar weit entfernt. Hatte sie denn keinerlei natürliches Empfinden?
Jedes andere Weib würde doch eine empfindsame Zärtlichkeit für die Stätte im Herzen getragen haben, die ihre früheste Heimat gewesen.
Sie hatten ein behagliches Eckchen hinter einem Gewirr überhängender Felsen gefunden und saßen zusammen auf dem Sande, als Lisbeth zu diesem Gedankengange gelangte.
Der Platz war ein alter Lieblingsplatz gewesen; Hektor Anstruthers war ihr oft hierher gefolgt, in den Tagen, als sie noch Kinder waren; und der Anblick des ihr so vertrauten Streifens See, mit Sand durchsetzt, versetzte sie in eine gewisse Aufregung.
Sie hob eine Muschel auf und schnellte sie mit ungeduldiger Gebärde über das Wasser hin.
»Georgy,« sagte sie, »ich möchte doch gar zu gerne wissen, was Dir denn Pen'yllan in so hohem Maße angenehm und lieb macht?«
»Alles,« sagte Georgy, »alles! und dann, ich weiß nicht wie – ich scheine es ja zu wissen. Ich meine nämlich: was es mir in so hohem Grade anziehend macht, ist der Umstand, daß Du so lange hier gelebt hast.«
Lisbeth hob eine andere Muschel auf und schnellte sie hinter der anderen her über die Wasserfläche.
»Was Du doch für ein Mädchen bist!« sagte sie. »Immer sind's Deine Liebe und Dein Herz, die gerührt werden. Du bist ganz und gar Herz. Du liebst die Menschheit, liebst alles, was zu ihr gehört und mit ihr in Beziehung steht, ihr Heim, ihre Empfindungen, ihre Verwandtschaft. Nicht so verhält sich's mit mir; bei mir war das nie der Fall. Du bist ganz so wie Hektor Anstruthers war, als ich ihn zum erstenmal kennen lernte. Bah!« und bei diesem Worte zuckte sie mit den Achseln. »In welcher Liebe hing der alberne Mensch an Tante Hetty und Tante Millicent und Tante Clarissa!«
Ihre Zunge war lose gewesen, ganz so, wie Georgys Zunge am Abend zuvor.
Für den Augenblick vergaß sie sich vollständig und erinnerte sich nur jener alten sentimentalen Liebe ihres knabenhaften Verehrers: jener Liebe zu den altjüngferlichen Verwandten, die ihr in vergangenen Tagen den Eindruck gemacht hatte, als sei sie nicht bloß recht lästig und beschwerlich, sondern auch dumm und albern.