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Da den Vril-ya jeder Anblick der Himmelskörper versagt ist und sie keinen anderen Unterschied zwischen Tag und Nacht kennen, als den, den sie selbst machen, haben sie natürlich eine andere Zeiteinteilung als wir; aber ich konnte mit Hülfe meiner Uhr, die ich glücklicherweise bei mir hatte, sehr leicht ihre Zeit genau berechnen. Alle Einzelheiten über die Art derselben behalte ich mir für ein späteres Werk über Literatur und Wissenschaft der Vril-ya vor, wenn ich so lange lebe um es zu vollenden, und begnüge mich jetzt damit zu sagen, daß ihr Jahr in Bezug auf die Dauer nur wenig von dem unseren abweicht, aber daß die Einteilung ihres Jahres keineswegs dieselbe ist. Ihr Tag (was wir Nacht nennen, mitinbegriffen) besteht aus zwanzig Stunden unserer Zeit, anstatt aus vierundzwanzig. Ihr Jahr hat dadurch eine dem entsprechende Anzahl von Tagen mehr.
Die zwanzig Stunden ihres Tages teilen sie folgendermaßen: acht Stunden, genannt: die stillen Stunden, sind der Ruhe gewidmet; acht Stunden, genannt: die ernste Zeit, den verschiedenen Beschäftigungen ihres Berufes, und vier Stunden, die leichte Zeit, mit der sie ihren Tag gewissermaßen beschließen, sind der Erholung, der Unterhaltung, dem Scherze, den Festlichkeiten – je nach Geschmack und Neigung – gewidmet. Außerhalb der Häuser gibt es keine Nacht. Sowohl in den Straßen, wie in der Umgebung der Stadt bis an die Grenzen ihres Gebietes, herrscht immer dieselbe Helligkeit. Nur in den Häusern dämpfen sie sie während der stillen Stunden zu einem milden Dämmerlicht.
Sie hegen großen Widerwillen gegen völlige Dunkelheit und löschen ihre Lichter nie ganz aus. Bei festlichen Gelegenheiten bleibt zwar volle Helligkeit, aber doch beobachten sie durch mechanische Erfindungen, unseren Glocken und Uhren entsprechend, einen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Für Musik sind sie sehr eingenommen, und durch Musik verkünden diese Chronometer die Hauptabteilungen ihrer Zeit. Die Töne, die zu jeder Stunde von allen Uhren ihrer öffentlichen Gebäude erschallen und sich mit denen vermischen, die aus den Häusern und Hütten dringen, die außerhalb der Stadt gelegen sind, haben eine seltsam sanfte und doch wunderbare feierliche Wirkung. Während der stillen Stunden sind diese Töne so gedämpft, daß nur ein waches Ohr sie vernehmen kann. Sie haben keinen Wechsel der Jahreszeiten, und es schien mir – wenigstens bei diesem Stamme – die Atmosphäre immer dieselbe zu sein, warm wie ein italienischer Sommer und mehr feucht als trocken. Des Vormittags ist die Luft gewöhnlich sehr ruhig, doch zuweilen kommen starke Winde von den Felsen, die die Grenze ihres Besitztumes bilden. Die Zeit zum Säen und Ernten ist bei ihnen dieselbe, wie auf den goldenen Inseln antiker Dichter. Man sieht zu gleicher Zeit jüngere Pflanzen keimen und blühen, während die älteren schon reif sind und Früchte tragen. Alle fruchtbringenden Pflanzen verdorren jedoch nach der Ernte, oder ihr Laub wechselt wenigstens die Farbe. Was mich beim Berechnen ihrer Zeiteinteilung am meisten interessierte, war die Regel ihrer durchschnittlichen Lebensdauer. Bei genauer Nachfrage fand ich, daß sie die Zeit, die uns auf der Oberwelt vergönnt ist, bedeutend übertrifft. Was uns siebzig Jahre sind, sind ihnen hundert; und das ist nicht der einzige Vorteil, den sie in Bezug auf langes Leben vor uns voraus haben; denn während bei uns wenige ein Alter von siebzig Jahren erreichen, sterben bei ihnen nur wenige vor dem hundertsten, und sie erfreuen sich einer Kraft und Gesundheit, die ihnen das Leben bis zuletzt segensvoll sein läßt. Verschiedene Ursachen tragen hierzu bei: Enthaltsamkeit von allen geistigen Getränken, Mäßigkeit im Essen, am meisten vielleicht eine Heiterkeit des Gemütes, die durch keine anstrengenden Beschäftigungen und heftigen Leidenschaften getrübt wird. Unser Ehrgeiz und unsere Habsucht quälen sie nicht, selbst für Ruhm scheinen sie völlig gleichgültig zu sein. Sie sind starker Liebe fähig, sie zeigt sich aber in einem sanften, heiteren Wohlwollen und scheint sie immer glücklich zu machen und nur sehr selten Kummer zu bereiten. Da die Gy sicher ist, daß sie sich nur dem vermählt, auf den ihre eigene Wahl gefallen ist, und wie oberhalb der Erde, so auch hier, die Frau es ist, von der das häusliche Glück abhängt, so ist die Gy, wenn sie den gewählt hat, den sie allen Anderen vorzieht, nachsichtig gegen seine Fehler, richtet sich nach seiner Stimmung und tut alles um sich seine Liebe zu erhalten. Der Tod eines Geliebten verursacht natürlich, wie uns, so auch ihnen Kummer. Der Tod ist aber vor dem Alter, wo er eine Erlösung ist, bei ihnen sehr selten und wenn er eintritt, finden die Zurückbleibenden viel mehr Trost als, wie ich fürchte, die Mehrzahl von uns, in der Gewißheit einer Wiedervereinigung in einem anderen, noch glücklicheren Leben.
Alle diese Ursachen tragen zu ihrem gesunden und heiteren langen Leben bei obgleich sie es zum großen Teile auch dem ererbten Organismus verdanken. So weit sie sich dessen erinnern können, war ihre Lebenszeit damals, als ihre Gemeinden mehr den unsrigen ähnelten, und sie durch heftige Leidenschaften beunruhigt wurden, bedeutend kürzer, und ihre Krankheiten häufiger und ernsterer Art.
Sie selbst sagen, daß die Lebensdauer seit der Entdeckung der stärkenden und medizinischen Eigenschaften des Vril, zu heilsamen Zwecken angewendet, sich vergrößert habe und noch im Steigen begriffen sei. Nur wenige von ihnen sind Ärzte von Beruf, und diese wenige sind meistens Gy-ei, die, besonders wenn sie verwittwet und kinderlos sind, große Freude an der Heilkunst finden und selbst ärztliche Operationen unternehmen, wo sie durch einen Unfall oder, was noch seltener, durch Krankheit nötig werden.
Sie haben ihre Zerstreuungen und Unterhaltungen und während der leichten Zeit pflegen sie sich in großer Anzahl zu den Vergnügungen in der Luft, die ich schon beschrieben habe, zusammenzufinden. Sie haben auch öffentliche Musiksäle, sogar Theater, in denen sie Stücke aufführen, die, wie mir schien, an die Aufführungen der Chinesen erinnerten, Dramen, deren Inhalt und Personen in längst vergangene Zeiten zurückversetzen, die alles Klassische schändlich entweihen, in denen der Held in dem einen Akte ein Kind, im nächsten ein alter Mann ist – und so fort. Diese Stücke rühren aus alter Zeit her. Im Allgemeinen machten sie einen sehr trübseligen Eindruck auf mich, der aber durch überraschende Maschinerien und einzelne Stellen die, voll Kraft und Mark, hochpoetisch gesprochen wurden, nur etwas mit Metaphern und Tropen überladen waren, wieder verwischt wurde. Im Ganzen machten sie einen ähnlichen Eindruck auf mich, wie Shakespeares Stücke auf einen Pariser zur Zeit Ludwigs XV. oder auf einen Engländer unter der Regierung Karls II.
Die Zuhörerschaft, die größtenteils aus Gy-ei bestand, schien großes Vergnügen an der Vorstellung dieser Dramen zu haben, was mich bei diesen ruhigen, stolzen Frauen überraschte, bis ich bemerkte, daß die Mitwirkenden alle noch nicht erwachsen waren, und ich hatte Recht in meiner Vermutung, daß die Mütter und Schwestern nur kamen, um ihren Kindern und Geschwistern eine Freude zu machen.
Wie ich schon sagte, sind es sehr alte Dramen. Es scheint, als sei schon seit mehreren Generationen kein neues Stück, ja kein Werk der Phantasie geschrieben worden, das wichtig genug gewesen wäre, den nächsten Tag zu erleben. Obgleich es an neuen Publikationen nicht fehlt, sie haben sogar das was wir Zeitungen nennen, doch sind das meist Werke über mechanische Wissenschaft, Berichte über neue Erfindungen, Ankündigungen, verschiedene geschäftliche Einzelheiten betreffend, kurz, praktische Angelegenheiten. Zuweilen schreibt ein Kind ein kleines Abenteuer oder eine junge Gy gibt ihrer Liebes-Furcht oder Hoffnung in Versen Ausdruck. Diese Ergüsse haben aber nur geringen Wert und werden außer von Kindern und jungen Gy-ei selten gelesen. Die interessantesten Werke von rein literarischem Charakter sind die über Forschungen und Reisen in andere Regionen dieser unteren Welt; diese werden meist von jungen Auswanderern geschrieben und mit großem Interesse von den zurückbleibenden Verwandten und Freunden gelesen.
Ich konnte nicht umhin, gegen Aph-Lin meine Überraschung darüber zu äußern, daß ein Staat, der in der mechanischen Wissenschaft so wunderbar vorgeschritten war und dadurch gezeigt hatte, was er in geistiger Beziehung vermochte, der das zum Glücke seines Volkes erreicht hatte, was die politischen Philosophen der Oberwelt nach jahrelangem Streite ziemlich einstimmig als unerreichbare Visionen betrachteten, trotzdem ohne alle Literatur der Gegenwart sein sollte, bei der Vollkommenheit, zu der die Kultur eine reiche und zugleich einfache, kräftige und wohlklingende Sprache gebracht hatte.
Mein Wirt erwiderte: »Sehen Sie nicht, daß eine Literatur, wie Sie sie meinen, sich durchaus nicht mit der sozialen oder politischen Glückseligkeit verträgt, die wir, wie Sie die Güte haben zu glauben, erreicht haben? Endlich, nach Jahrhunderte lang währenden Kämpfen, haben wir eine Regierungsform erlangt, mit der wir zufrieden sind und in der, da wir keinen Unterschied im Rang zulassen, und den Verwaltern keine Ehren erteilt werden, die sie vor Anderen auszeichneten, es keine Anregung zu persönlichem Ehrgeize gibt. Niemand würde Werke lesen, die Theorien verteidigen, die irgend einen politischen oder socialen Wechsel einschlössen, und deshalb schreibt sie keiner. Wenn hin und wieder ein An unzufrieden mit unserer ruhigen Lebensweise ist, so greift er sie nicht an, sondern wandert aus. Daher ist der Zweig der Literatur, der speculative Theorien über die Gesellschaft enthält, gänzlich erloschen, obgleich er – nach den alten Büchern unserer öffentlichen Bibliotheken zu urteilen – einst ein sehr großer war. Früher wurde auch viel über die Eigenschaften und das Wesen des ALLGÜTIGEN und das Für und Wider eines Lebens im Jenseits geschrieben. Jetzt erkennen wir aber alle zwei Tatsachen an: daß es eine Gottheit und daß es eine Fortdauer des Lebens gibt, und wir sind alle darin einig, daß es nutzlos ist, sich die Finger zu zerschreiben um das Dunkel, das über der Natur und dem Zustande jener Fortdauer schwebt, oder um das Wesen GOTTES vollständig erfassen zu können. Dadurch ist ein anderer Zweig der Literatur unnütz geworden, zum Glück für unser Geschlecht; denn zu der Zeit, wo so viel über Gegenstände, die nicht zu entscheiden waren, geschrieben wurde, scheint das Volk in ewigem Zank und Streit gelebt zu haben. So besteht auch ein großer Teil unserer alten Literatur aus geschichtlichen Erinnerungen an Kriege und Revolutionen aus der Zeit, wo die Ana große, aufrührerische Gesellschaften bildeten, in denen sich ein Jeder auf Kosten des Anderen zu bereichern suchte. Wie Sie unsere Lebensweise jetzt finden, so ist sie seit Jahrhunderten gewesen. Es gibt keine Ereignisse in die Chronik einzutragen. Was könnte mehr von uns gesagt werden, als: sie wurden geboren, sie waren glücklich, sie starben? Nun kommt jener Teil der Literatur, der mehr der Einbildung unterworfen ist, den wir Glaubsila oder kurzweg Glaubs nennen und den Sie mit Poesie bezeichnen. Die Gründe ihres Verfalles bei uns sind nur zu einfach.
Wir finden, daß die großen Meisterwerke in diesem Teile der Literatur, die wir alle noch mit Vergnügen lesen, aber deren Nachahmung keiner dulden würde, in der Portraitierung von Leidenschaften bestehen, die wir nicht mehr kennen, wie Ehrgeiz, Rache, ruchlose Liebe, Durst nach Kriegsruhm und dergleichen mehr. Die alten Dichter lebten in einer mit diesen Leidenschaften geschwängerten Luft, sie fühlten lebhaft, was sie in so glühende Worte kleideten. Jetzt kann niemand solche Leidenschaften ausdrücken, denn niemand kann sie empfinden, und selbst dann würde er bei seinen Lesern nicht auf Sympathie stoßen. Ein Hauptelement dieser alten Poesie ist die Zergliederung jener verwickelten Geheimnisse des menschlichen Charakters, die zu außergewöhnlichen Lastern und Verbrechen oder zu hervorragenden Tugenden führen.
Ohne durch heftige Leidenschaften, große Verbrechen heroischer Größen genährt zu werden, ist die Poesie, wenn nicht gerade dem Hungertode verfallen, doch auf eine sehr magere Kost gesetzt.
Noch bleibt die Poesie der Beschreibung übrig, Beschreibung von Felsen, Bäumen, Gewässern und einfachem häuslichen Leben. Diese abgeschmackte Dichtungsweise weben unsere jungen Gy-ei viel in ihre Liebeslieder ein.
»Solche Poesie kann sehr reizend sein,« entgegnete ich; »einzelne unserer Kritiken stellen sie höher als die, die menschliche Verbrechen und Leidenschaften schildert. Jedenfalls hat jene abgeschmackte Dichtungsweise, wie Sie sie nennen, heutzutage mehr Leser unter dem Volke, das ich auf der Oberwelt zurückgelassen habe, als jede andere Art der Poesie.«
»Möglich; aber vermutlich macht die Sprache den Dichtern dabei große Mühe; sie müssen die Worte und den Rhythmus mit großer Kunst glätten?«
»Gewiß tun sie das – das müssen alle großen Dichter. Obgleich die Gabe zur Dichtkunst angeboren sein mag, erfordert eine Anwendung doch ebenso große Sorgfalt, als die Bearbeitung eines Stückes Metall, das für eine Ihrer Maschinen bestimmt ist.«
»Und ohne Zweifel treibt etwas Besonders Ihre Dichter dazu, so viel Mühe auf derartige wortreiche Machwerke zu verwenden?«
»Nun ich glaube, ihr Instinkt zum Gesang würde sie singen lassen wie die Vögel, die Liebe zum Ruhm, und dann und wann vielleicht der Mangel an Geld lassen sie den Gesang zu wortreichen oder kunstvollen Poesien umbilden.«
»Ganz recht. Wir aber suchen Ruhm nicht in etwas, was der Mensch in dem kurzen Augenblicke, den man Leben nennt, ausführen kann. Sehr bald würden wir diese Gleichheit, die hauptsächlich das Glück unseres Daseins ausmacht, verlieren, wenn wir einem Einzelnen besonderes Lob erteilen. Besonderes Lob würde besondere Macht verleihen, und in demselben Augenblicke würden böse Leidenschaften, die jetzt schlummern, erwachen. Es würde auch andere sofort nach besonderem Lobe gelüsten. Es würde Neid entstehen, durch Neid – Haß und durch Haß – Verleumdung und Verfolgung. Unsere Geschichte erzählt uns, daß der größte Teil der Dichter und Schriftsteller, denen in alten Zeiten das höchste Lob gespendet wurde, mit Schmähungen überhäuft wurden und teils durch die Angriffe eifersüchtiger Nebenbuhler, teils durch eine krankhafte geistige Veranlagung, die leicht große Empfänglichkeit für Lob und Tadel erzeugt, sehr unglücklich wurden. Und was den Mangel an Geld anbelangt, so kennt erstens keiner von unserer Gemeinde den Stachel der Armut, und zweitens würde selbst dann jede andere Beschäftigung einträglicher sein als Schreiben.
Unsere öffentlichen Bibliotheken enthalten alle Bücher der Vergangenheit, die die Zeit uns bewahrt hat. Sie sind aus schon erwähnten Gründen unvergleichlich besser, als man sie heute schreiben kann; jeder kann sie kostenlos lesen. Wir sind nicht so töricht, das Lesen minderwertiger Bücher zu bezahlen, wenn wir bessere umsonst lesen können.«
»Bei uns hat das Neue eine besondere Anziehungskraft. Während ein neues Buch, selbst wenn es schlecht ist, gelesen wird, vernachlässigt man ein altes, obgleich es gut ist.«
»Ohne Zweifel liegt bei rohen Völkern, die verzweiflungsvoll nach etwas Besserem ringen, eine gewisse Anziehungskraft in allem Neuen, die uns versagt ist, wir fügen uns dem weisheitsvollen Wirken des EINEN GESETZES und sehen keinen Vorteil in etwas Neuem, das wir von uns aus anstreben. Einer unserer großen Schriftsteller, der vor viertausend Jahren lebte, sagte auch, daß, wer alte Bücher studiert, immer etwas Neues darin finden wird, und wer neue Bücher liest, immer etwas Altes darin findet. Aber um auf die von Ihnen aufgeworfene Frage zurückzukommen, es spornt uns nichts zu mühevoller Arbeit an, weder Begehr nach Ruhm, noch die Not drängt uns dazu, die, die ein poetisches Gemüt haben, werden ohne Zweifel dem Drange folgen, indem sie singen, wie Sie sagen, wie die Vögel; aber da es bei uns keine künstliche Ausbildung gibt, so fehlt die Zuhörerschaft, dadurch verliert sich der Trieb von selbst inmitten der alltäglichen Hindernisse des Lebens.«
»Aber wie kommt es, daß, wo es keine Aufmunterung zur Ausbildung der Literatur gibt, die Wissenschaft doch blühen kann?«
»Ihre Frage setzt mich in Erstaunen. Das Motiv zur Wissenschaft ist die Liebe zur Wahrheit, fern von allem Begehr nach Ruhm: und bei uns ist die Wissenschaft fast ausschließlich praktischen Vorteilen, hauptsächlich der Erhaltung unserer sozialen Verhältnisse und den Bequemlichkeiten des alltäglichen Lebens gewidmet. Der Erfinder fragt nicht nach Ruhm, und es wird ihm keiner verliehen. Er hat Freude an einer seinem Geschmacke entsprechenden Beschäftigung, ohne irgend eine Anregung von außen. Des Menschen Geist bedarf der Tätigkeit ebenso wie des Menschen Körper und eine fortwährende Tätigkeit ist beiden zuträglicher als eine aufregende. Unsere weisesten Verbesserer der Wissenschaft leben in der Regel am längsten und völlig frei von allen Krankheiten. Viele finden Vergnügen am Malen, aber die Kunst selbst ist nicht mehr, was sie früher war, als die großen Maler unserer verschiedenen Gemeinden miteinander um den Preis einer goldenen Krone rangen, die ihnen in der Gesellschaft, in der sie lebten, einen fast Königlichen Rang verlieh. Ohne Zweifel werden Sie in unserer archäologischen Abteilung bemerkt haben, daß die Bilder, die vor einigen tausend Jahren geschaffen wurden, größeren Kunstwert haben. Von allem Künsten ist die Musik die, die am meisten bei uns blüht. Das kommt vielleicht daher, daß sie sich mehr der Wissenschaft als der Poesie zuneigt. Doch auch in der Musik hat das Nichtvorhandensein eines Spornes zu Lob und Ruhm dazu gedient, die Überlegenheit eines Einzelnen zu verhindern. Wir zeichnen uns mehr durch Kirchenmusik aus, die wir mit Hilfe unserer großen mechanischen Instrumente hervorbringen, bei denen wir viel WasserkraftDas erinnert den Gelehrten an Neros Erfindung eines Musikwerkes, wobei Wasser die Stelle des Orchesters vertrat und mit dem er eben beschäftigt war, als die Verschwörung gegen ihn ausbrach. anwenden, als durch einfache Melodien. Seit mehreren Jahrhunderten haben wir kaum einen Originalkomponisten gehabt. Unsere beliebtesten Lieder sind in ihren Hauptthemas sehr alt und sind später von weniger begabten Musikern bearbeitet worden.«
»Gibt es unter den Ana keine Vereine, die von dergleichen Liebhabereien beseelt werden, die Sünden, wie Kunst und Poesie, huldigen, und in denen sich Verschiedenheiten der Stände, des Geistes und der Moralität zeigen, die Ihr Stamm, oder vielmehr die Vril-ya im Allgemeinen bei ihrem Vorwärtsschreiten zur Vollkommenheit hinter sich gelassen haben? Und wenn das der Fall ist, können in derartigen Gesellschaften die Poesie und ihre Schwester, die Kunst, nicht noch gehegt und gepflegt werden?«
»In entlegenen Regionen gibt es noch solche Vereine, aber innerhalb zivilisierter Gemeinden gestatten wir sie nicht; kaum, daß wir ihnen noch den Namen Ana geben, aber Vril-ya sicherlich nicht. Es sind rohe Völker, die größtenteils auf der niedrigen Bildungsstufe Koom-Posh stehen und notwendigerweise ihre Auflösung in Glek-Nas entgegengehen. Sie bringen ihr elendes Dasein in fortwährendem Streite und Wechsel zu. Wenn sie nicht mit ihren Nachbarn kämpfen, so kämpfen sie unter sich selbst. Sie sind in verschiedene Klassen geteilt, die einander schmähen, plündern und zuweilen morden, oft um der unbedeutendsten Differenzen willen. Es wäre uns das unbegreiflich, wenn wir nicht in der Weltgeschichte gelesen und gesehen hätten, daß auch wir einst diesen Zustand der Unwissenheit und Rohheit durchgemacht haben. Die geringste Kleinigkeit genügt, daß sie sich feindlich gegenübertreten. Sie behaupten, einander alle gleich zu sein, und je mehr sie durch Entfernung alter Unterschiede, die sich von neuem zeigen, darnach ringen, es wirklich zu sein, um so auffallender und unerträglicher wird die Ungleichheit, weil nichts in den erblichen Neigungen und Verbindungen zurückgeblieben ist, den schroffen Unterschied zwischen den Vielen, die nichts, und den Wenigen, die viel haben, zu mildern. Natürlich hassen die Vielen die Wenigen, und können doch ohne sie nicht leben. Die Vielen greifen stets die Wenigen an, richten sie zuweilen auch zugrunde; aber sobald das geschehen ist, erheben sich aus den Vielen neue Wenige, mit denen schwerer zu verkehren ist als mit den ersten. Denn wo die Gemeinden groß sind, und der Anspruch auf Besitz vollständig zur Manie wird, da müssen immer viele Verlierende und wenig Gewinnende sein. Kurz, das Volk, von dem ich hier spreche, sind Wilde, die ihren Weg im Finsteren tappen und nach einem Lichtschimmer suchen. Sie würden unser Mitleid für ihre Gebrechen anrufen, wenn sie nicht, wie alle Wilden, durch ihren Dünkel und ihre Grausamkeit ihre eigene Zerstörung verursachten. Können Sie sich denken, daß Geschöpfe dieser Art, nur mit elenden Waffen versehen, wie Sie sie in unserem Altertumsmuseum sehen können, plumpe eiserne Rohre, mit Salpeter geladen, daß solche Geschöpfe mehr wie einmal einen Stamm der Vril-ya, der ihnen am nächsten wohnt, mit Zerstörung gedroht haben, da sie, wie sie sagen, eine Bevölkerung von 30 Millionen Einwohnern hätten, während dieser Stamm ungefähr nur fünfzigtausend Köpfe zählt. Sie drohten mit Zerstörung, wenn man nicht auf einige Handelsbedingungen eingehen wolle, die sie die Unverschämtheit haben, als Gesetze der Zivilisation zu bezeichnen?«
»Aber dreißig Millionen sind eine furchtbare Übermacht gegen fünfzig Tausend!«
Verwundert schaute mein Wirt mich an. »Fremdling«, sagte er. »Sie müssen überhört haben, daß ich sagte, dieser bedrohte Stamm gehöre den Vril-ya an. Er wartet nur, daß diese Wilden den Krieg erklären, um einem halben Dutzend kleiner Kinder den Auftrag zu geben, die ganze Bevölkerung fortzutreiben.« Bei diesen Worten durchrieselte mich ein Schauer des Entsetzens; ich empfand viel mehr Sympathien mit den »Wilden« als mit den Vril-ya, als ich mich all dessen erinnerte, was ich zum Lobe der großartigen amerikanischen Einrichtungen gesagt hatte, und daß Aph-Lin diese als Koom-Posh bezeichnet hatte.
Als ich meine Selbstbeherrschung wiedergefunden hatte, fragte ich, ob es nicht eine Art von sicherer Überfahrt gäbe, sodaß ich dieses entfernte, verwegene Volk besuchen könne.
»Mit der Kraft des Vril können Sie sicher durch alle mit uns verbundenen und verwandten Stämme reisen, sowohl zu Lande als durch die Lüfte, aber bei den wilden Stämmen, deren Gesetze von den unserigen abweichen, die so blind sind, daß ein großer Teil von ihnen tatsächlich von dem lebt, was er dem andern gestohlen hat, wo man selbst während der stillen Stunden die Türen des eigenen Hauses nicht offen lassen kann, da kann ich nicht für Ihre Sicherheit bürgen.«
Hier wurde unsere Unterhaltung durch das Eintreten Taë's unterbrochen, der kam, um uns zu benachrichtigen, daß er abgesandt worden war, das scheußliche Ungetüm, das ich gleich nach meiner Ankunft gesehen hatte, zu töten. Seit seinem Besuche bei mir hatte er es aufgelauert und hatte schließlich vermutet, daß meine Augen mich getäuscht hätten oder das Ungeheuer seinen Weg durch die Felsschluchten nach den wilden Regionen genommen hätte, in denen eine ihm verwandte Gattung lebte. Doch an der Verheerung des Grases am Rande des Sees hatte er bemerkt, daß es noch in der Nähe sein müsse. »Und ich bin sicher«, sagte Taë, »daß es sich jetzt in diesem See verbirgt. Ich glaubte«, wandte er sich zu mir, »es würde Ihnen Vergnügen machen, mich zu begleiten und zu sehen, auf welche Weise wir solche unliebsame Gäste beseitigen.« Als ich diesem Knaben ins Gesicht blickte und mich der Größe des Ungetümes erinnerte, das er im Begriffe stand, zu töten, da erfaßte mich ein Schauer. Ich fürchtete für ihn und vielleicht auch für mich selbst, wenn ich ihn zu einer solchen Jagd begleitete. Aber meine Neugier, Zeuge der Zerstörungskraft dieses berühmten Vril zu sein, und die Scham, mich dadurch in den Augen eines Kindes zu erniedrigen, daß ich Furcht für meine eigene Person verriete, siegten über mein erstes Gefühl. Ich dankte Taë für die Liebenswürdigkeit, so an mein Vergnügen gedacht zu haben, und war bereit, mich mit ihm zu einem so ergötzlichen Unternehmen auf den Weg zu machen.