Edward Bulwer
Das Geschlecht der Zukunft
Edward Bulwer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

An heißt Mann. Das Wort Ana – breit ausgesprochen wie Arna – ist gleichbedeutend mit unserem Plural Männer. Das Wort für Frau ist Gy, hart ausgesprochen wie Gei; im Plural verwandelt es sich in Gy-ei; da wird das G weich, wie Jy-ei ausgesprochen.

Sie haben ein Sprichwort, das beweist, daß dieser Unterschied in der Aussprache symbolisch ist; denn so leicht wie es ist, mit einer größeren Anzahl des weiblichen Geschlechtes zu verkehren, so schwer ist der Umgang mit einer Einzelnen. Die Gy-ei genießen gleiche Rechte wie die Männer, wofür auch auf der Erde gewisse Philosophen kämpfen.

In ihrer Kindheit verrichten sie dieselbe Arbeit wie die Knaben, ja, in den Jahren, die der Vernichtung durchaus schädlicher Tiere gewidmet sind, werden die Mädchen meistens vorgezogen, weil sie von Natur unter dem Einflusse der Furcht und des Hasses grausamer und unbarmherziger sind. In der Zeit zwischen den Kinderjahren und dem heiratsfähigen Alter hört jeder vertraute Verkehr zwischen den Geschlechtern auf. Sobald sie das bestimmte Alter erreicht haben, wird derselbe wieder erneuert und führt nie zu schlimmeren Folgen, als sie eine Ehe begleiten. Jede Kunst und jeder Beruf, der dem einen Geschlechte offen ist, steht auch dem andern frei. Die Gy-ei selbst maßen sich eine Überlegenheit in allen jenen verborgenen und geheimnisvollen Vernunftschlüssen an, wofür, wie sie sagen, der weniger rege Geist der Ana, sowie deren Gewandheit bei körperlichen Beschäftigungen nicht passen. Sie gleichen darin den jungen Damen unserer eigenen Welt, die sich in subtilen Punkten religiöser Erfahrung für Autoritäten halten, da wenig Männer bei ihrer weltlichen Beschäftigung hierin genügende Kenntnisse und gute Intuitionen haben.

Die Gy-ei sind infolge der frühzeitigen gymnastischen Übungen oder infolge ihrer ursprünglichen Organisation den Ana gewöhnlich an Körperkräften überlegen – ein wichtiger Punkt bei Betrachtung und Aufrechterhaltung der Frauenrechte. Sie sind größer von Wuchs und ihre abgerundeteren Formen bergen kräftigere Sehnen und Muskeln als die des männlichen Geschlechtes. Ja, sie behaupten, daß sie nach den urprünglichen Gesetzen der Natur bestimmt wären, die Männer an Körpergröße zu überragen. Sie halten dieses Dogma aufrecht, indem sie sich auf die ersten Lehren über das Leben der Insekten und der ältesten Gattung der Vertebrata, wie zum Beispiel der Fische, stützen, bei denen die Weibchen meistens groß genug sind, um ihre Genossen nach Belieben verspeisen zu können. Vor allem haben die Gy-ei eine konzentriertere und tätigere Macht über das geheimnisvolle Fluidum, das das Mittel zur Vernichtung enthält, und einen mehr zur Verstellung geneigten Scharfsinn. Daher konnten sie sich nicht nur gegen jeden Angriff der Männer schützen, sie vermochten sogar dem Dasein eines lästigen Gatten in jedem Augenblicke ein Ende zu machen, wenn er sich dessen am wenigsten versah.

Den Gy-ei zum Lobe muß bemerkt werden, daß seit mehreren Menschenaltern kein Fall eines solchen Mißbrauches dieser furchtbaren Überlegenheit vorgekommen ist. Der letzte derartige Fall scheint in der Gemeinde, von der ich spreche, ihren Chroniken nach, vor ungefähr zweitausend Jahren vorgekommen zu sein. Damals erschlug eine Gy in einem Anfall von Eifersucht ihren Gatten. Diese furchtbare Tat flößte den Männern ein solches Entsetzen ein, daß sie allesamt auswanderten und die Gy-ei sich selbst überließen. Die Geschichte sagt, daß die verlassenen Gy-ei, zur Verzweiflung getrieben, die Mörderin im Schlafe, als sie unbewaffnet war, überfielen, sie töteten und dann einander feierlich gelobten, ihrer Übermacht in der Ehe zu entsagen und ihren Töchtern dieselbe Verbindlichkeit für ewig einschärfen zu wollen. Eine Deputation wurde mit diesem versöhnlichen Vorsatze an die flüchtigen Gatten abgesandt. Viele ließen sich zur Rückkehr bewegen. Allerdings waren es meist nur die alten. Die jüngeren wiesen jedes Entgegenkommen zurück; entweder aus Zweifel an ihren Gattinnen oder wegen einer zu hohen Meinung ihrer eigenen Verdienste. Sie blieben in anderen Gemeinden und verbanden sich hier mit anderen Frauen, mit denen sie wohl kaum glücklicher lebten. Aber der Verlust so vieler junger Männer war eine heilbringende Warnung für die Gy-ei und befestigte sie in dem frommen Vorsatze, den sie gefaßt hatten.

Dadurch daß sie von ihrer Macht keinen Gebrauch mehr machen, ist es gekommen, daß man jetzt allgemein annimmt, die Gy-ei haben die Überlegenheit im Angriffe wie in der Verteidigung, die sie einst über die Ana besaßen, verloren. Man nimmt an daß, wie bei geringeren Tieren auf der Erde, viele Eigentümlichkeiten ihrer ursprünglichen Bildung, die die Natur ihnen zu ihrem Schutze verliehen hatte, nach und nach verschwinden oder in Untätigkeit geraten, wenn sie nicht bei besonderen Umständen notwendig werden. Es täte mir jedoch ein jeder An leid, der sich mit einer Gy messen würde, wer von ihnen der Stärkere sei.

Seit jenem Vorfalle wurden verschiedene Gebräuche in der Ehe geändert, so daß den Männern Vorteil daraus erwuchs. Jetzt binden sie sich bei einer Ehe nur auf drei Jahre; nach Ablauf des dritten Jahres steht es jedem Teil frei, sich von dem andern zu trennen und sich wieder zu verheiraten. Nach zehn Jahren hat der An das Recht, sich eine zweite Gattin zu nehmen und der ersten zu erlauben, sich auf ihren Wunsch zurückzuziehen. Diese Regeln sind für die meisten tote Worte. Ehescheidungen und Vielweiberei sind außerordentlich selten und die Ehen unter diesem wunderlichen Volke anscheinend ungewöhnlich glücklich und heiter. Die Gy-ei sind trotz ihrer großen Überlegenheit an körperlicher Kraft und geistiger Geschicklichkeit aus Furcht vor Trennung oder einer zweiten Frau immer artig und zuvorkommend, und die Ana sind große Gewohnheitsmenschen und außer bei ganz dringendem Anlasse nicht geneigt, bekannte Gesichter und Gewohnheiten auf gut Glück mit neuen zu vertauschen. Ein Privilegium wahren sich die Gy-ei sorgfältig. Es ist möglich, daß das Verlangen danach der geheime Beweggrund ist, der die meisten unserer Damen für die Frauenrechte stimmen läßt. Sie haben das Vorrecht, das sich auf der Oberwelt die Männer angemaßt haben, ihre Liebe zu erklären und um den Mann zu werben, mit anderen Worten, der werbende Teil zu sein. Das Phänomen einer alten Jungfer gibt es unter den Gy-ei nicht. Es geschieht sogar nur sehr selten, daß eine Gy nicht den zum Gatten erhält, den ihr Herz erwählt, wenn er nicht anderwärts gefesselt ist. So spröde, zurückhaltend und vorsichtig der Mann, dem sie den Hof macht, anfangs auch sein mag, so sicher ist es, daß sie ihn durch ihre Ausdauer, ihre Liebe, ihre überzeugende Macht schließlich dahin bringt, daß er seinen Nacken dem »verhängnisvollen Joche« beugt. Die Beweise die für die Beziehungen der beiden Geschlechter sprechen, die denen, die die blinde Tyrannei des Mannes auf der Oberfläche der Erde geschaffen hat, gerade entgegengesetzt sind, erscheinen überzeugend und sind mit einer Freimütigkeit geführt, die wohl einer unparteiischen Betrachtung wert wäre. Man sagt, daß die Frau von Natur ein viel zärtlicheres Gemüt habe als der Mann, daß die Liebe ihre Gedanken viel mehr beschäftige und viel notwendiger zu ihrem Glücke sei und daß sie deshalb der werbende Teil sein müsse; daß andererseits der Mann ein schüchternes, schwankendes Geschöpf sei, daß er oft eine besondere Vorliebe für den ledigen Stand habe, oft vorgebe, zärtliche Blicke und feine Winke mißzuverstehen, kurz, daß er hartnäckig verfolgt und gefesselt werden müsse. Ja, sie behaupten, daß, wenn die Gy nicht den Mann ihrer Wahl zum Gatten erhält, sondern einen, den sie sich selbst nie gewählt hätte, sie nicht nur weniger glücklich, sondern auch weniger gut sei, da dann die Eigenschaften ihres Herzens sich nicht genügend entwickeln. Der An konzentriert seine Neigungen weniger beständig auf einen Gegenstand. Wenn er nicht die Gy zur Ehe haben kann, die er den andern vorzieht, tröstet er sich leicht mit einer anderen. Wenn eine Gy ihn liebt und sich um ihn bemüht, ist es weniger notwendig zu seinem Glücke daß er ebenso innig wieder liebe, als er geliebt wird, weil er befriedigt ist, wenn er seine Bequemlichkeiten hat und seinen Gedanken ungestört folgen kann.

Was auch hierüber gesagt werden kann, diese Einrichtung begünstigt den Mann. Hat er die Gewißheit, daß er wahr und innig geliebt wird, und daß, je spröder und zurückhaltender er sich zeigt, der Entschluß, sich seiner zu versichern, um so fester wird, so geht er gewöhnlich darauf aus, seine Einwilligung von Bedingungen abhängig zu machen, die ihm, seiner Meinung nach, wenn nicht ein segensreiches, so doch ein friedliches Leben sichern. Jeder An hat sein Steckenpferd, seine eigenen Wege, seine eigenen Neigungen, und wie sie auch sein mögen, er fordert das Versprechen, daß er ihnen völlig und ungehindert willfahren kann. Das verspricht die Gy bereitwillig; und da dieses außergewöhnliche Volk Verehrer unbedingter Wahrheit ist, und selbst die flatterhafteste Gy ihr einmal gegebenes Wort niemals bricht, so werden die einmal festgesetzten Bedingungen heilig gehalten. Die Gy-ei sind in der Tat, ungeachtet ihrer abstrakten Macht und ihrer Rechte, die liebenswürdigsten, versöhnlichsten und ergebensten Gattinnen, wie ich sie selbst im glücklichsten Heime der Oberwelt nie gesehen habe. Es herrscht der Lehrsatz unter ihnen: »Wo eine Gy liebt, ist es ihr Vergnügen zu gehorchen«. Man wird bemerkt haben, daß ich bei den gegenseitigen Beziehungen der beiden Geschlechter nur von der Ehe gesprochen habe; denn die moralische Vollkommenheit, zu der sich diese Gemeinde emporgeschwungen hat, macht eine unerlaubte Verbindung so unmöglich, wie bei einem Hänflingspaare zur Zeit der Brut.


 << zurück weiter >>