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12. Kapitel.

Ernst Wafer fährt in der Geschichte fort.

Am Donnerstag morgen um 11 Uhr befand ich mich im Kontor meiner Fabrik, als es an der Tür klopfte. Ein Angestellter überreichte mir die Karte eines Herrn, der mich zu sprechen wünschte. Ich nahm dieselbe und las die Worte:

 

Bertram Weevil.
In wichtiger Privatangelegenheit!

 

Ich besann mich auf den Namen; Weevil ist Häuseragent und besitzt außerdem ein Auskunftsbureau. Ich wunderte mich zwar, was er von mir wolle, ließ ihn aber vor. Es war ein Mann von Mittelgröße mit scharfen, stechenden Augen und einer Schnüffelnase, die den Eindruck machte, als mische sie sich gern in fremde Angelegenheiten. Als bemerkenswert fiel mir auf, daß ihm das Ohrläppchen des linken Ohres fehlte.

»Guten Morgen, Herr Wafer,« begann er, »ich hoffe, Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen –«

»Für geschäftliche Angelegenheiten habe ich immer Zeit,« entgegnete ich scharf, indem ich das Wort »geschäftlich« besonders betonte.

»Es ist eine Geschäftsangelegenheit, die mich herführt,« erwiderte er. »Ich bin bereits mehrmals als Privat-Detektiv tätig gewesen und habe als solcher auch für die Behörden gearbeitet. Der gegenwärtige Fall betrifft nun den Mord, der die Stadt in Aufregung versetzt; ich meine das Geheimnis der Efeuvilla. Sie kennen wahrscheinlich das Innere des Hauses?«

War das Erpressung? Aber er hatte sich als Detektiv vorgestellt, was wollte er also?

»Was gibt Ihnen Anlaß zu dieser Vermutung?« fragte ich ihn ärgerlich. Falls es sich doch um Erpressung handeln sollte, so war ich entschlossen, dasselbe bewährte Mittel wie das letzte Mal anzuwenden, das, eine Erinnerung an meine Knabenstreiche, sich so zweckdienlich erwiesen hatte. Ich bin kein Feigling und würde auch mit einem sogenannten Detektiv noch fertig werden!

»Ich dachte, Sie könnten Aufschluß geben; vielleicht haben Sie es bereits vergessen, daß Sie an einem Abend der letzten Woche die Efeuvilla besuchten.«

»Und wenn dem so wäre?« fragte ich unerschrocken.

»Am selben Abend ereignete sich etwas –«

»Und etwas wird sich noch heute früh ereignen, wenn ich nicht bald erfahre, was Sie von mir wollen. Handelt es sich um Erpressung?«

»Nein, nein, ich – ich –«

»Zum Kuckuck noch einmal! Machen Sie mich nicht ungeduldig. Zur Sache endlich.«

Nach vielem Zögern kam es heraus, daß man mich an jenem Abend in die Efeuvilla hineingehen gesehen hatte.

»Nun hielt ich es für möglich,« fuhr er fort, daß Sie dort die Leiche erblickten. Ich kann ja völlig Ihre Zögerung verstehen, in einer solchen Angelegenheit eine Aussage zu machen – mir würde es wahrscheinlich ebenso gehen –«

»Und was soll es nun?« fragte ich.

»Haben Sie dort irgendetwas gefunden?«

»Was sollte ich dort finden?«

»Ein Stück Papier, ein Teil eines Briefes.«

»Nein!«

»Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?«

»Völlig sicher!«

»O, dann danke ich sehr, das ist alles, was ich wissen wollte.« Und bevor ich noch ein Wort erwidern konnte, hatte er sich empfohlen und war verschwunden.

Ich blieb in peinlicher Verlegenheit zurück, denn ich fand, daß ich bereits zuviel ausgesagt hatte. Was sollte ich tun? Es war klar, man hatte mich in die Villa hinein- und hinausgehen sehen und ein Detektiv, der sogar um die Sache wußte, hatte trotzdem keinen Verdacht auf mich geworfen. Ich mußte an Roystock und unser Abkommen denken, deshalb beschloß ich, ungesäumt zu ihm zu gehen und die Angelegenheit mit ihm zu besprechen.

Als ich nach der Belling-Avenue 44 kam, fand ich das ganze Haus in hellem Aufruhr. Die Polizei war soeben angelangt und mein Freund wollte gerade, begleitet von einem Polizeibeamten, in eine Droschke steigen. Ich stürzte auf ihn zu und er wollte gerade sprechen, als ihn der Beamte daran verhinderte.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, Herr Roystock,« sagte der Mann, »daß möglicherweise Ihre Worte später als Beweis gegen Sie ausgelegt werden könnten.«

»Bitte sprechen Sie kein Wort, Roystock,« sagte ich rasch, »es handelt sich doch wahrscheinlich nur um die lächerliche Aussage jenes Trunkenboldes,« – die Polizei sollte nicht glauben, wir hätten Geheimnisse miteinander zu besprechen – »und es ist mir unerklärlich, wie man daraufhin gegen Sie vorgehen kann. Ich werde mich sofort zu Ihrem Rechtsanwalt begeben – es ist doch Brownrigg, nicht wahr? – und ihn zu Ihnen schicken, damit er das Weitere veranlaßt.«

Roystock nickte nur, bedankte sich, und die Droschke fuhr davon. Ich ging nun ins Haus und fand gerade zwei Beamte in Frau Headstrongs Privatzimmer, die trotz ihres heftigen Einspruchs auf Grund schriftlichen Befehls zur Haussuchung schritten. Ich beruhigte die aufgeregte Frau nach Möglichkeit und blieb, da mich die Beamten persönlich kannten, auch während der Durchsuchung zugegen. Alle Schränke und Schubladen wurden genau durchforscht, der Teppich aufgehoben, die Bettücher abgezogen und wieder an ihre Stelle gebracht und jeder nur denkbare Winkel, jede kleinste Ecke durchstöbert. Aber es wurde nichts gefunden, deshalb begaben sich die Beamten in die Zimmer von Herrn Roystock. Ich konnte das Ende dieser Untersuchung nicht abwarten, denn ich dachte an mein Versprechen, Roystocks Rechtsanwalt aufzusuchen, teilte das auch Frau Headstrong mit und eilte nach dem Bureau des Anwaltes.

Zum Glück fand ich ihn anwesend und berichtete ihm die Verhaftung Roystocks und die erfolgte Haussuchung. Er wunderte sich außerordentlich darüber, daß die Polizei sich auf die Aussage eines kaum halb zurechnungsfähigen Mannes hin zu einem solchen Vorgehen entschlossen habe, war aber sofort bereit, Roystocks Vertretung zu übernehmen und ihn aufzusuchen.

»Wollen Sie ihm auch mitteilen, er möge ganz über mich befehlen, ich würde in allem nach fernen Weisungen handeln,« äußerte ich.

»Kann ich nicht erfahren, worum es sich handelt?«

»Fragen Sie Herrn Roystock selber; falls er es für angebracht hält, wird er Ihnen alles mitteilen.«

Es war mir klar, daß, falls ich als Zeuge vernommen werden sollte, die beiden Tatsachen, daß ich Roystock mit dem Opfer am Boden bereits in dem Hinterzimmer der Villa vorfand und daß wir den Revolver mit uns fortnahmen, herauskommen müßten, deshalb wollte ich ihn darauf unauffällig Hinweisen, es wäre für ihn vielleicht das Beste, seinem Anwalt völlig reinen Wein einzuschenken.

»Halten Sie es nicht für einen Mangel an Vertrauen, Herr Brownrigg,« fuhr ich fort, »wenn ich Ihnen keine näheren Auseinandersetzungen mache, aber ich darf das Vertrauen meines Freundes nicht täuschen – selbst seinem Anwalt gegenüber nicht. Wie ich schon erwähnte, es hängt völlig von ihm ab, ob ich reden oder schweigen soll.«

Wir verabredeten, daß der Anwalt mich den ganzen Tag über telephonisch erreichen könnte, dann verließ ich ihn, und auch er ergriff Stock und Hut, um Herrn Roystock aufzusuchen.

Ich hatte in meinem Kontor noch mehrere wichtige Geschäftsbriefe zu schreiben, deshalb begab ich mich dorthin, doch kaum hatte ich meine Verrichtungen erledigt, als mir auch schon ein neuer Besucher gemeldet wurde. Er übersandte mir seine Karte in einem geschlossenen Briefumschlag und zu meiner Verwunderung las ich: »Mr. Broadbent von Scotland-Yard.«

Ich wußte nicht, daß dieser berühmte Detektiv mit dem Geheimnisse der Efeuvilla betraut worden war und sah seinen Worten mit Spannung entgegen. Broadbent war augenscheinlich ein feingebildeter Mann, der sich in den besten Kreisen zu bewegen verstand, hatte ein liebenswürdiges Auftreten und war frei von Dünkel und Eingebildetheit. Wie ich später erfuhr, verstand er es besonders gut, durch sein bestrickendes Wesen Damen zu Aussagen zu veranlassen. Er ging geradeswegs aufs Ziel los.

»Würden Sie mir freundlichst alles berichten, Herr Wafer, was Sie am Abend des Verbrechens in der Efeuvilla sahen?«

»Die Herren Detektivs scheinen nach Auskünften förmlich zu hungern,« entgegnete ich so kühl als möglich; »woraus schließen Sie, daß ich überhaupt etwas zu berichten habe? Und sind Sie nicht mit dem, was ich bereits Ihrem Kollegen gegenüber aussagte, zufrieden?«

»War es wirklich ein Detektiv?«

»Es schien so.«

»Ich habe eben erst den Fall übernommen, Herr Wafer, und ich liebe es, mich stets sofort an die beste Quelle zu wenden. Natürlich müßte ich ja eigentlich dort anfangen, wo jener stehen geblieben ist, aber ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, mir noch einmal Ihre Aussagen Punkt für Punkt zu wiederholen.«

»Ich bin mir nicht bewußt, Herrn Weevil gegenüber überhaupt bestimmte Aussagen gemacht zu haben. Er fragte mich einfach, ob ich in der Efeuvilla einen kleinen Streifen Papier gefunden hätte, obgleich es mir durchaus nicht einleuchtet, weshalb er sich mit dieser Frage gerade an mich wandte, und ich antwortete ihm nur, daß ich nichts gefunden hätte.«

»Schon gut,« murmelte Broadbent, »es wäre wirklich unnötig gewesen, Sie wegen des Papiers überhaupt zu belästigen, da dasselbe inzwischen bereits gefunden wurde. Herr Weevil hätte das eigentlich wissen müssen.«

»Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie die Polizei einen Menschen verwenden kann, der meines Wissens kein richtiger Detektiv ist und zudem in der Stadt ein Geschäft betreibt.«

»Das geschah auf Anordnung der Ortspolizei. Ich wollte nur die Bestätigung über einen oder zwei Punkte von Ihnen –«

Es klopfte an die Tür.

»Herr Brownrigg läßt Sie ans Telephon bitten, Herr Wafer, er sagte, es wäre äußerst dringend.«

»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick,« wandte ich mich zu dem Detektiv und ging in unser Telephonzimmer.

Das Gespräch mit Herrn Brownrigg war kurz und bestimmt. Der Anwalt erzählte mir, Herr Roystock hätte ihm über die ganze Angelegenheit reinen Wein eingeschenkt und erteilte mir die Erlaubnis Roystocks, nunmehr auch der Polizei keinerlei Tatsachen mehr zu verbergen. Das war auch für mich bestimmend; hatte ich bisher völliges Stillschweigen über unsere Erlebnisse in der Efeuvilla beobachtet, so schien doch ein weiteres Schweigen jetzt nicht mehr angebracht, zumal drei verschiedene Besucher bereits von meiner Anwesenheit in der Efeuvilla gewußt hatten. Die Zeit zu reden war also gekommen!

Ich kehrte in mein Bureau zurück und entschuldigte mich bei Herrn Broadbent, der ohne weiteres sofort wieder auf den Kernpunkt der Angelegenheit zurückkam. »Seien Sie offen zu mir! Können Sie mir nicht im Interesse aller Beteiligten nunmehr alles erzählen, was Sie von den geheimnisvollen Vorgängen in der Efeuvilla wissen?«

Was soll ich weiter sagen – ich erzählte ihm alles, was der Leser bereits weiß; wie wir uns – Roystock und ich – in der Efeuvilla trafen, wie wir uns gegenseitig im Verdacht gehabt hatten, sowie die weiteren Begebenheiten. Nur alles, was sich auf den Revolver bezog, ließ ich aus, da ich Roystock freie Hand darin lassen wollte, was er darüber aussagen mochte oder nicht. Ich erzählte dem Beamten auch von dem Erpressungsversuch und der Art und Weise, in der ich ihm entgegengetreten war.

Broadbents Gesicht wurde während der Erzählung sehr ernst, an gewissen Stellen warf er scharfe Blicke auf mich, und sein Gesicht erheiterte sich erst, als ich die Erpressungsszene berichtete. Aber nur einen Augenblick lang, denn er wurde gleich wieder kalt und ernst und saß nach Schluß meiner Geschichte ein paar Minuten lang schweigend da, bevor er wieder das Wort an mich richtete.

»Ich danke Ihnen, Herr Wafer,« sagte er schließlich, »die mitgeteilten Tatsachen werden uns sehr nützlich sein. Aber ist es nicht eigentlich schade, daß Sie uns Ihre Enthüllungen erst jetzt machen?«

»Wahrscheinlich,« entgegnete ich, »aber manchmal ist es besser, zur rechten Zeit zu schweigen.«

»Ja, ja,« meinte er, »es sollte auch kein Tadel sein, und ich kann die Schwierigkeit, in der Sie sich befanden, wohl verstehen; zudem mußten Sie an Ihren Freund ebenso wie an sich selber denken. Jedenfalls müssen wir jetzt an Hand der neuen Tatsachen unverzüglich unser Bestes zur Enträtselung der geheimnisvollen Geschichte tun, denn – ehrlich gesprochen – ein Menschenleben ist in Gefahr!«

»Sie meinen Roystocks Leben?«

»Oder auch Filberts. Gegen beide liegen die schwersten Verdachtsgründe vor. Sie können nicht beide schuldig sein und doch könnte man beide auf Grund der uns bereits bekannten Tatsachen verurteilen. Wir müssen also alles Weitere zunächst abwarten, Herr Wafer, ich werde wahrscheinlich schon bald wieder bei Ihnen vorsprechen müssen. Falls Sie mich zu sprechen wünschen, so telephonieren Sie bitte das Polizeiamt an.«



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