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Es war wieder ein Mittwoch, also acht Tage, seitdem Gareth mir seine Liebe gestanden hatte, und welch' schreckliche Dinge hatten sich nicht inzwischen zugetragen! Ich hatte alles in den Zeitungen gelesen, auch daß der Geschäftsreisende Filbert schwer belastet war, sich aber bei einer ihm befreundeten Familie schwer krank aufhielte. Gott sei Dank, daß Gareth unschuldig war, und ich konnte auch nicht glauben, daß jener betrunkene Strolch, der ihn aus der Efeuvilla hatte herauskommen sehen, überhaupt sein Schwager sei.
Vater hatte in der Stadt zu tun und da ich auch Besorgungen hatte, so nahm er mich im Wagen mit.
»Was mache ich nur, wenn ich etwa Gareth treffe?« fragte ich.
Mein Vater gab mir einen Kuß, dann antwortete er: »Das bleibt Dir überlassen, Töchterchen. Roystock ist ein Ehrenmann und Du wirst schon wissen, wie Du Dich ihm gegenüber verhalten sollst.«
Gegen zwei Uhr sprach ich in Bexcliffe bei Vetter Leonhard vor, um vielleicht mit Gretchen einen Spaziergang zu machen, aber wie entsetzt war ich, als ich hörte, daß sich der Geschäftsreisende Filbert in ihrem Hause befände. Ich hatte Gelegenheit, mich mit Gretchen auszusprechen, und sie gestand mir, daß sie Willy Filbert liebe, und nun erzählte ich ihr gleichfalls, daß ich mit Roystock so gut wie verlobt wäre. Wir schütteten gegenseitig unser Herz aus und sie klagte mir, welch schrecklicher Verdacht auf ihrem Liebsten haftete; aber auch mir war das Herz so schwer, wenn ich an die Aussage jenes Trunkenboldes dachte, und beide waren wir überzeugt, daß beide Männer unserer Wahl völlig unschuldig wären. Gretchen war aber energischer als ich, trocknete bald ihre Tränen und fragte mich plötzlich:
»Möchtest Du heute nachmittag den Detektiv spielen?«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Leonhard gehört dem städtischen Ausschuß für das Polizeiwesen an und ich habe es nach stundenlangem Betteln erreicht, daß er mir einen Erlaubnisschein für den wachthabenden Schutzmann ausgestellt hat, die ganze Efeuvilla besichtigen zu dürfen. Er wird sicher denken, ich sei ein bißchen übergeschnappt, aber das ist mir gleich und ich will jetzt gleich nach der Villa hingehen. Willst Du mich begleiten?«
Ich weiß zwar nicht, ob mein Vater damit einverstanden gewesen wäre, ich war jedoch gleich dazu bereit, mitzugehen.
Die Efeuvilla ist ein hübsches Häuschen, zwar nicht groß, aber so zierlich und freundlich, daß man niemals auf den Gedanken kommen würde, hier könnte sich ein so scheußliches Verbrechen zugetragen haben. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß ursprünglich Gareth mit mir darin hatte wohnen wollen. Das Haus wurde noch von der Polizei bewacht und der dicke Schutzmann an der Türe ließ uns eintreten, nachdem er sich von der Gültigkeit unseres Erlaubnisscheines überzeugt hatte. Eigentlich hätte er bei unserer Besichtigung dabei sein sollen, wie mir später gesagt wurde, aber er hatte wohl auf die Worte des Scheines: »Nur in Begleitung eines Beamten zu besichtigen« nicht geachtet, so daß wir jetzt im Innern des Hauses allein waren.
Wir besichtigten zuerst alle anderen Räume des Hauses, bevor wir den Mut fanden, das Mordzimmer zu betreten, aber schließlich nach langem Zögern entschlossen wir uns doch dazu. An der Tür war kein Drücker, sondern es stak ein Stück Holz als Notbehelf in dem Schloß, daher kostete es uns einige Anstrengung, die Türe aufzubekommen. Ich schauderte, als ich das Zimmer und den schrecklichen roten Fleck auf der Erde sah, aber während ich noch in Gedanken versunken dastand, begann bereits Gretchen, das ganze Zimmer zu durchforschen. Sie guckte in alle Ecken, durchstöberte alle Winkel und blickte sogar unter den Kaminrost. Natürlich fand sie nichts, denn die Polizei pflegt in solchen Fällen sehr sorgsam zu sein und selbst ihr Möglichstes zu tun, und ich war froh, als sie endlich ihre Nachforschungen aufgab, denn der unheimliche Anblick des Zimmers begann mir auf die Nerven zu fallen.
Schließlich gingen wir und hatten fast schon die Haustür erreicht, als Gretchen einen leichten Schrei ausstieß und ihre Hand in die Höhe hielt. Ich sah, daß sie sich einen Finger verletzt hatte, aus dem einige Blutstropfen hervorquollen.
»Wie ist das geschehen?« fragte ich.
»Ich muß mich an einem Stift oder Nagel gerissen haben,« entgegnete sie und hielt vorsichtig tastend Nachforschungen. Es war hier im Vorsaal recht dunkel, aber wir fanden bald, was wir suchten. Ein kleiner Stift ragte aus der hölzernen Wandbekleidung hervor, an dem sie sich den Finger verletzt hatte. Ich tastete gleichfalls nach dem Stift und dabei stieß ich an einen kleinen Papierfetzen, der an ihm hängen geblieben war, und jetzt zu Boden fiel. Gretchen hatte ihn im Augenblick aufgehoben und hielt ihn ans Licht, stieß aber gleich einen Ausruf der Verwunderung aus.
»Hast Du etwas Besonderes entdeckt?« fragte ich.
»Ja,« entgegnete sie; »ach Sylvia, ich darf es Dir nicht zeigen! Was soll ich nur machen?«
Ich war erstaunt, ließ mich aber nicht abhalten, in das Papier zu blicken und wurde blaß vor Entsetzen, denn auf dem Papierfetzen standen die Worte:
»–schein. Auf dem Revolver steht der Name Gareth Roystock.«