Laurids Bruun
Van Zantens törichte Liebe
Laurids Bruun

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Jeden Abend, unmittelbar vor Geschäftsschluß, wurden die Lagerscheine des Tages auf Pieters Pult gelegt, damit er sie gleich morgens in den Lagerquartanten eintragen konnte. Desgleichen die Lieferscheine, das heißt die Quittungen der Prahmführer für die Waren, die sie im Laufe des Tages an Bord genommen und durch die Kanäle auf den Europafahrern draußen auf der Reede abgeliefert hatten.

Der Lagerschein war die Quittung für die von dem Eingeborenen gelieferte Ware und gleichzeitig seine Zahlungsanweisung für die Kasse. Er wurde in zwei Exemplaren ausgefertigt, der Eingeborene behielt das eine, die Firma das andere. Außer der Warenart, zum Beispiel Schwarzer Pfeffer, war auf dem Zettel Gewicht und Raummaß der gelieferten Ware vermerkt. In der einen Ecke stand gedruckt: Musterwert, und darunter wurde die Preisklasse angegeben, nach der die Ware vom Musterchef eingeschätzt worden war. In einer anderen Ecke stand: Lagerverwaltung, und darunter wurde die Abteilung angegeben, wo die Ware gelagert werden sollte. Der Schein wurde von Gayo, Musterchef und Lagerverwalter, mit Datum und Stempel versehen. Auf dem Lieferschein waren die Art und Menge der Waren vermerkt, Buchstabe und Nummer der Lagerabteilung, wo die Ware gelagert hatte und von wo sie expediert wurde, außerdem Gewicht, Datum und Stempel des betreffenden Prahmführers.

Die Schwierigkeit einer Kontrolle bestand darin, daß die auf dem Warentisch von den Eingeborenen eingelieferten Waren in großen Mengen den bereits vorhandenen Waren derselben Sorte einverleibt wurden, so daß es nicht möglich war, der einzelnen Warenpartie auf ihrem Wege durch das Lager bis zu ihrer Ablieferung am Kai zu folgen. Es war allein deshalb schwierig, weil die Eingeborenen ihre Waren in allen möglichen Verpackungen und Gewichtsmaßen ablieferten, während die verschiedenen Lagerabteilungen vorgeschriebene Verpackungen und Gewichtsmaße hatten.

Von Zeit zu Zeit fand eine Kontrolle darüber statt, was die verschiedenen Lagerabteilungen empfangen und geliefert hatten, und dabei hatte es sich wiederholt gezeigt, daß die Summe der Gewichtsangaben auf den Lieferscheinen immer bedeutend niedriger war als auf den Lagerscheinen. Mit anderen Worten, es war ein Minus zu verzeichnen, das alles, was üblich war, weit überstieg.

Dieser Umstand nun, der im Kontor schon lange bekannt gewesen war, hatte die Geschäftsleitung endlich von der Notwendigkeit einer Kontrolle überzeugt.

Zahlreiche Stichproben hatten ergeben, daß die Lieferscheine (die Quittungen der Prahmführer) in Ordnung waren; sie stimmten genau mit den Quittungen überein, die die Steuerleute auf den Schiffen den Prahmführern gegeben hatten. Das Minus mußte also auf dem Weg von der Ablieferung durch die Eingeborenen bis zu der Ablieferung der in Ballen verpackten Ware an die Prahmführer entstehen.

Daß Unterschlagungen vorlagen, schien außer Zweifel; Don Luis Gayo aber, dem die Sache mehrfach vorgelegt worden war, erklärte, er wüßte nicht mehr darüber als andere, die mit der Sache zu tun hatten.

Zwischen Woodford, dem Musterchef und Pieter wurde nun vereinbart, daß letzterer während der Expeditionszeit seinen Platz neben dem Ladentisch haben sollte, wo die Eingeborenen ihre Waren von den Karren auf der Straße hinschleppten, damit sie auf der großen Waage gewogen werden konnten, hinter der Aru Ayub stand und seines Amtes waltete. Dort wurde Pieters Pult und Stuhl angebracht, so daß er nicht nur die große Waage übersehen und kontrollieren, sondern auch den Musterchef im Auge behalten konnte, der in einem kleinen Verschlag hinter dem Ladentisch saß, mit der Musterwaage (der kleinen Waage) und allem anderen, was zur Beurteilung der Ware gehörte. Nachdem das Gewicht der Ware im Verhältnis zum Rauminhalt festgestellt war, brauchte der Musterchef, dank langjähriger Übung, sich die Ware nur durch die Finger laufen zu lassen, um sich über ihren Wert klar zu sein. Der Verschlag, der gleich neben der Eingangstür lag, war durch eine Schranke von dem übrigen Raum getrennt, und der Zutritt dazu wurde von einem alten, vertrauenswürdigen Wachtboy mit großer Autorität geregelt.

Im Hintergrund dieses Verschlages führte eine Tür zu einem kleinen privaten Raum mit Sofa, Stuhl, Tisch und Büfett, wo Zollbeamte und die persönlichen Bekannten des Musterchefs empfangen und bewirtet werden konnten. Hinter diesem Raum wiederum führte eine dunkle Wendeltreppe zur Buchhalterei. Ein halbwüchsiger Junge eilte auf einen Wink des Chefs zwischen diesen Räumen hin und her.

Pieter nahm seinen Platz ein. Die Eingeborenen rissen Augen und Mund beim Anblick dieses neuen Mannes auf. Pieter konnte in ihren Augen lesen, daß sie sich vergebens den Kopf darüber zerbrachen, was diese neue Einrichtung bedeuten sollte. Sie sahen, wie Pieter sich vorbeugte, um das Gewicht abzulesen, das der Wieger mit lauter Stimme verkündet hatte. Sie sahen, wie er darauf Nummer und Buchstabe der Warenabteilung, wo die Ware aufgespeichert werden sollte, notierte. War das erledigt, hatte der Eingeborene selbst der Ware ein Muster zu entnehmen, einen kleinen Sack voll, einen Becher oder nur eine Handvoll, und diese Probe wurde unter den Augen des Wiegers längs des Ladentisches weitergegeben, bis sie den Verschlag des Musterchefs erreichte, der sie mit seinen langen, zitternden Fingern prüfte und dann mit seiner heiseren Stimme Pieter die Preisklasse zurief. Pieter wiederholte das Gehörte, wie der Matrose den Befehl des Steuermanns wiederholt, und notierte es auf dem Lagerschein, den er gerade ausfüllte.

Auf diese Weise verging Stunde um Stunde. War der Tag vorbei und wurde das große Tor verschlossen, während der Wachtboy verspätete Eingeborene, die sich noch hineinzudrängen versuchten, energisch abwies, begab Pieter sich in den Verschlag des Musterchefs, um die im Laufe des Tages ausgefüllten Lagerscheine abzuliefern, die kontrolliert und abgestempelt werden sollten.

Don Luis Gayo zeigte lächelnd die Zahnstummel, äußerte sich über das Wetter, zog einige Ceruts heraus und bot Pieter davon mit der Gelassenheit eines vornehmen Herrn. Rauchen war im Lager verboten; Gayo aber faßte alles, was Verbot hieß, mit dem Vorbehalt auf, daß es nur für die Untergeordneten galt.

Pieter dankte, indem er demonstrativ auf das Plakat mit dem Verbot blickte, das gerade über Gayos Kopf hing. Obgleich die schläfrigen Augen des Musterchefs gleichgültig blickten, empfand er es doch jedesmal wie eine Kränkung, denn einem »weißen« Vorgesetzten gegenüber würde solch Grünschnabel das natürlich nicht gewagt haben. Pieter wußte nicht, daß er sich durch seinen Pflichteifer einen gefährlichen Feind schuf.

Pieter nahm seine Kontrollarbeit sehr ernst und gebrauchte seine Augen. Auch die Scheine studierte er genau und verglich sie miteinander, um irgendeiner Unregelmäßigkeit auf die Spur zu kommen.

Eines Tages fand er heraus, je geringer das Quantum der Ware war, die ein Eingeborener ablieferte, desto niedriger war die Preisklasse, in die der Musterchef sie einschätzte.

In der Mittagspause machte er Gayo halb scherzhaft darauf aufmerksam. Dieser aber betrachtete ihn überlegen und sagte:

»Kleines Quantum – fauler Bursche! Gewinnt seinem Grund und Boden nicht genug ab. Fauler Bursche, unzuverlässiger Arbeiter, behandelt und reinigt seine Ware schlecht. Darum: Kleines Quantum – geringe Ware – niedriger Preis! Ich kenne meine Leute, junger Herr, vergessen Sie das nicht. In alten Tagen gaben wir faulen Burschen Prügel, das gab gute Ware! Heutzutage Prügel verboten. Zunehmende Zivilisation, he?« höhnte er. »Was tun wir? Keine Prügel, aber schlechte Bezahlung, hö, hö, hö! Und beklagt der Eingeborene sich: ›Scher dich zum Teufel mit deinem dreckigen Sack, laß dich hier nicht wieder blicken‹ – Teils kann er nirgends anders hingehen, um seine Ware loszuwerden, denn wir Faktoreien haben die Eingeborenen zwischen uns verteilt, besitzen sie mit Haut und Haar, junger Herr, und teils ist der Bursche zu faul, um sich mit seinem Sack herumzuschleppen. Darum im Interesse der Firma: Kleines Quantum – kleiner Preis!«

Er legte seine Hand vertraulich auf Pieters Schulter, beugte seine schlotternde Gestalt vor und flüsterte ihm andächtig ins Ohr: »Mijnheer Wahoegen hat mein System gutgeheißen, junger Herr, hat mir sogar dafür gedankt. Was sagen Sie dazu?«

Pieter sagte nichts. Wenn Wahoegen mit im Bunde war, mußte er, Pieter, seinen Mund halten. Aber er dachte desto mehr, und wie schon so oft, taten die Eingeborenen ihm leid.

Einige Tage später, kurz vor der Mittagspause, zeigte Pieter dem Musterchef einige Lagerscheine mit besonders großen Quanten.

»Diese Waren haben alle erstklassige Preise«, sagte er. »Zufolge des Systems, das Sie mir neulich auseinandergesetzt haben, scheinen demnach auch große Quanten immer große Preise zu haben?«

»Selbstverständlich«, sagte Gayo obenhin, offenbar stand er unter dem Einfluß einer größeren Dosis Opium, »ausgesuchte Leute, ausgesuchte Ware.«

Ein kleiner, krummrückiger Eingeborener reichte Gayo im selben Augenblick sein Warenmuster, und während Gayo sich die Bohnen durch die Finger laufen ließ, fuhr er, zu Pieter gewandt, fort:

»Merken Sie sich eines, junger Herr: Je größer der Kunde, desto besser die Behandlung! Auch das ist Kaufmannssitte, wie Sie mit der Zeit erfahren werden, im Interesse der Firma.«

»Klasse drei!« rief Gayo und schob den Sack des Eingeborenen beiseite. Zu Pieter gewandt, fuhr er fort:

»Sehen Sie hier in der Ecke: A Nr. 1 – lauter große Partien; die auf Abteilung A kommen, alles erstklassige Ware.«

»Das habe ich bemerkt«, sagte Pieter und machte eine Pause, während der der Eingeborene sich furchtsam bei Gayo Gehör zu verschaffen suchte, was dieser übersah.

»Merkwürdig ist aber«, fuhr Pieter fort, »als ich gestern abend den Bestand der verschiedenen Lagerabteilungen während des letzten Quartals aufnahm, die Lagerscheine mit den Lieferscheinen über dieselbe Menge verglich, da zeigte es sich von neuem, daß bei den großen Partien mit den erstklassigen Preisen das Verlust-Prozent wesentlich größer ist als bei den kleineren Quanten mit den niedrigen Preisen. Können Sie mir das erklären?«

Der Eingeborene hatte aufmerksam von einem zum anderen geblickt, um sein Anliegen vorzubringen; jetzt streckte er Gayo seine Hände bittend entgegen.

Gayo fächelte ihn irritiert fort, während er sich bemühte, Pieter eine würdige Antwort zu geben.

»Sie dürfen nicht vergessen, junger Herr ...«, begann er, indem er seine knochigen Schultern hochhob und mit halbgeschlossenen Lidern auf Pieter herabblickte.

Inzwischen war es dem Eingeborenen geglückt, sich zwischen Pieter und Gayo zu drängen, so daß letzterer den bittenden Blick nicht übersehen konnte.

»Fünf Koppen«,Ein Kop ist 1/10 von einem Schepel, und ein Schepel ist 1/10 von einem Zack – 1 Hektoliter. flüsterte er und legte seine magere Hand auf den kleinen Mustersack, der noch vor Gayo auf dem Ladentisch stand.

»Mach, daß du fortkommst!« fauchte Gayo und stieß die Hand beiseite. Darauf beugte er sich zu Pieter, wie ein Schulmeister, der seinem Schüler eine ernste Belehrung erteilt:

»Sie dürfen die Ratten nicht vergessen, junger Herr!«

Pieter konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

»Ach so, Sie meinen, die Ratten sind Feinschmecker und halten sich nur an die beste Ware?«

»Klasse drei!« sagte der kleine Eingeborene eindringlich, »und ich habe gegeben fünf Koppen!«

Gayo empfand Pieters Lachen als eine Kränkung seiner Würde. Er war um eine Antwort verlegen und benutzte gierig die Gelegenheit, seiner Wut Luft zu machen, indem er dem Eingeborenen den Sack entriß und über den Ladentisch schleuderte, so daß der Inhalt über den Fußboden floß.

»Nimm deinen Dreck und verdufte!« schrie er. Und als es ihm nicht schnell genug ging, griff er nach dem Stock, der in der Ecke stand.

Pieter hatte ganz mechanisch auf dem Block, den er in der Hand hielt, die Ware des Eingeborenen nach dem Zuruf des Wiegers notiert und darauf ebenso mechanisch, während seines Wortwechsels mit dem Chef, die Preisangabe »Klasse drei« geschrieben. Jetzt sah er den Inhalt des Sackes auf dem Fußboden verstreut, sah, wie der Eingeborene sich erschrocken aus dem Bereich des Stockes zu retten versuchte, und hörte sein gleichzeitig klägliches und empörtes Protestgeschrei:

»Klasse drei! – Und ich habe gegeben fünf Koppen für zwei Schepel!«

Während Pieter noch überlegte, ob er den Schein annullieren sollte, weil die Ware abgelehnt war, drangen ihm plötzlich die Worte des Eingeborenen ins Bewußtsein. Er sah die Augen des Mannes auf sich gerichtet, als wolle er ihn zum Zeugen anrufen. Bei dem Lärm waren andere Eingeborene herbeigekommen, und in den aufgerissenen Augen, die alle aus ihn gerichtet waren, stand die Frage zu lesen: »Verstehst du denn nicht?«; im selben Augenblick verstand er. Er blickte sich nach dem Musterchef um und sah ihn blau im Gesicht, mit verzerrten Lippen dastehen, die Schultern bewegten sich konvulsivisch, die Arme zitterten, offenbar war er im Begriff, einen Anfall zu bekommen.

Der Wieger Aru Ayub kam herbeigeeilt, seine weißen Zähne knirschten vor Wut. Er entrang Gayos zitternder Hand den Stock und schlug damit auf den Eingeborenen los, der schreiend auf die offene Tür zuflüchtete, wo der Wachtboy ihn ergriff und festhielt, damit der Wieger sein Henkersamt verrichten konnte.

»Fegt seine Ware zusammen!« rief Pieter einigen Lagerarbeitern zu, die mit offenem Munde dastanden, den Besen in der Hand, und dem Schauspiel mit Genuß zusahen.

Zögernd setzten sie sich in Bewegung, indem sie den Chef verstohlen anblickten; Gayo stand noch da, die Augen starr auf den Sünder gerichtet; die verzerrten Lippen versuchten umsonst einen Fluch zu formen.

»Nein!« stieß er schließlich hervor und schlug durch die Luft nach den beiden Arbeitern, die sofort innehielten.

Jetzt aber war Pieters Blut in Wallung geraten. Mit einem Satz war er bei der Tür und entriß dem Wieger den Stock.

»Laß ihn los!« rief er mit erhobenem Stock dem Wachtboy zu, der dem Eingeborenen die Hände auf dem Rücken zusammenhielt.

»Nein«, keuchte der Musterchef wieder, der noch immer dastand und mit den Händen durch die Luft fuchtelte.

Der Wachtboy wußte nicht, was er tun sollte. Als er aber einen Blick auf Pieters dunkelrotes Gesicht und die blauen Augen, die Blitze zu schießen schienen, geworfen hatte – etwas Ähnliches hatte der Boy noch nie gesehen –, ließ er die Hände des Eingeborenen los und rannte mit Gebrüll aus der Tür; er glaubte sich von dem bösen Geist des rotglühenden Weißen verfolgt; und die übrigen drückten sich ängstlich in die Ecken.

Bei diesem Anblick verflog Pieters Wut, er mußte beinah lachen, als er sich den Schweiß vom Gesicht trocknen wollte und dabei den Stock in seiner Hand fand. Er drehte sich um und stieß mit dem Wieger zusammen, der mit einem Satz zur Seite sprang.

Da erklang aus Gayos Verschlag ein dumpfer Laut, und der Musterchef war nicht mehr zu sehen; er lag auf dem Fußboden und stampfte gegen die Schranke, wie ein Pferd gegen seine Stallwand; Schaum stand ihm vor dem Munde.

Pieter befahl dem Wieger und den beiden eingeborenen Arbeitern, den Musterchef auf das Sofa in den hinteren Raum zu legen und ging selbst mit hinein; er fühlte sich für den Kranken verantwortlich. Es hielt schwer, den sich wie wild gebärdenden Mann in den engen Raum zu tragen, der voll von Kisten stand. Als er mit dem Fuß gegen eine Kiste stieß, sprang der Deckel auf, und der Inhalt strömte heraus – es waren Bohnen.

Als der Arzt kam, nach dem Pieter geschickt hatte, war der Anfall überstanden. Der Musterchef aber war noch so schwach, daß der Arzt ihn in einem Planki in seine Wohnung tragen ließ.

Nach dem Besuch des Arztes suchte der Wieger Woodford auf, der beim Lunch saß, um ihm von dem Vorgefallenen zu berichten und sich als Stellvertreter für seinen kranken Vorgesetzten anzubieten.

Pieter aber wartete ruhig Woodfords Rückkehr ab und verriet nichts von den Worten, die er gehört, noch von dem Verdacht, den er gefaßt hatte. Er wollte niemanden anklagen, bevor er sich über das ganze Verfahren klar war und Haupträdelsführer, Werkzeug und Hehler gemeinsam überführen konnte. Sein Instinkt sagte ihm, daß er Woodford keine Gelegenheit geben durfte, sich in die Sache zu mischen, bevor er sich völlige Klarheit verschafft hatte.

Woodford war insofern mit Pieters Eingreifen einverstanden, als der Musterchef offenbar krank gewesen war und nicht gewußt hatte, was er tat. Andererseits aber schärfte er Pieter ein, daß alle Äußerungen des Mißvergnügens von seiten der Eingeborenen als Aufsässigkeit betrachtet und mit Strenge niedergeschlagen werden müßten. Mit bedeutungsvollem Blick erinnerte er Pieter an die Motte von Mijnheer, die er ihm übermittelt hatte, als er sein neues Amt antreten sollte: den Eingeborenen ihren richtigen Platz anzuweisen. Bei dem Vorgefallenen hatte die Disziplin ernsten Abbruch gelitten, denn in den Augen der Eingeborenen war ja nichts Schlimmeres passiert, als was sie schon häufig gesehen hatten, wenn Gayo seine Anfälle bekam, ohne daß jemand eingegriffen hatte. Um den Schaden wiedergutzumachen, sollte der Musterchef sich darum eine Zeitlang zu Hause halten, damit die Eingeborenen den Eindruck bekamen, daß es sich diesmal um einen ernsteren Fall handelte, der ein ärztliches Eingreifen notwendig gemacht hatte. Während dieser Zeit nun sollte Pieter Gayos Amt übernehmen und von dem Wieger Aru Ayub unterstützt werden.

Als Pieter am nächsten Morgen in den Lagerraum kam, um die Tagesarbeit zu beginnen, kam der Wieger ihm entgegen und verbeugte sich vor aller Augen tief vor ihm mit gekreuzten Armen; gleich darauf aber gab er ihm durch ein heimliches Zeichen zu verstehen, daß er ihm unter vier Augen etwas zu sagen habe.

Als sie in Gayos kleinem Privatraum standen, versicherte Aru Ayub Pieter, daß er sein Gott, sein Vater und seine Mutter sei. Darauf forderte er ihn unter tiefen Verbeugungen eindringlich auf, sich Gayo gegenüber nicht merken zu lassen, daß er, Pieter, die Andeutung des Eingeborenen verstanden habe. Er flehte Pieter an, er möge ihm erlauben, die eingelieferten Waren zu wiegen und zu messen, wie er es zu tun pflegte, denn teils wüßte er nicht, wie er es sonst machen sollte, teils würde der Musterchef, wenn er wieder gesund wäre, ihn wegen der gelieferten Muster zur Rechenschaft ziehen. Entdeckte der Chef aber, daß eine Veränderung geschehen sei, dann würde er ihn, Aru Ayub, beschuldigen, daß er ihn verraten habe, und würde den bösen Geist, der in ihm wohne, auf seinen unschuldigen Diener Aru Ayub hetzen. Er vertraute Pieter die Geschichte von dem toten Zollbeamten an und riet ihm, mit weit aufgerissenen Augen, sich seiner eigenen Sicherheit halber den Musterchef nicht zum Feind zu machen, damit nicht auch er eines Tages mausetot vor dem Ladentisch liegen würde. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen«, schloß er warnend.

Daraus entnahm Pieter, daß Aru Ayub das Werkzeug war, entweder aus Angst vor Gayo oder aus Geldgier, und daß er auch darüber Bescheid wußte, wie Gayo seine erschwindelten Waren aus dem Lager brachte und zu Geld machte. Er überlegte einen Augenblick, ob er Aru Ayub mit seinem, Pieters, bösen Geist drohen und auf diese Weise den wahren Sachverhalt aus ihm herauspressen sollte. Doch beschloß er, den Eingeborenen in Frieden zu lassen. Für ihn, Pieter, handelte es sich um eine Aufgabe, die er lösen sollte, und mit der Spur, die er gefunden hatte, auch bald gelöst haben würde; für Aru Ayub aber handelte es sich um eine Verräterei, die ihm, wenn auch nicht den Tod, so doch eine Angst bringen würde, die vielleicht schlimmer war als der Tod.


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