Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Zwanzigstes Kapitel

Es war Lea ergangen wie seinerzeit Ali: in der ersten Zeit ihrer Ehe lebte sie nur in ihrem Mann.

Sie war seine Sklavin, seine Frau und seine Mutter. Ihr Wesen entfaltete sich dabei zu voller Blüte, und Matofa merkte zu seiner Verwunderung, daß es eine andere Lea war als die, die er auf seiner Matte gehabt hatte, und doch dieselbe.

Er erntete die reife Frucht wie etwas, was ihm selbstverständlich zukam. Wie konnte er auch wissen, was für eine seltene Gabe es war.

Und wieder ging es Lea wie Ali. Als die ersten Monate vergangen waren, wurde sie ernst und bekam den ängstlich erwartungsvollen Ausdruck, den ich von Ali kannte und den ich nie vergessen werde.

Es war die gespannte Erwartung auf das, was in ihr keimen, reifen und Früchte tragen sollte – jene Sehnsucht, die sicher in jeder lebenden Pflanze wohnt und die mit ihrem Saft durch Stengel und Blätter zieht, bis die Sehnsucht zu einer Blume wird, und die Blume sich der Welt öffnet, sie an sich zieht, sich in Leidenschaft mit Leidenschaft vermählt, Frucht ansetzt, in Frieden zum Glück reift, welkt und stirbt.

Ja, so ist es, und es ist das Evangelium des Lebens, das wie ein Lobgesang durch die Welt tönt für den, der Ohren zum Hören hat und dessen Herz noch nicht durch die Kultur verschlossen ist.

Lea hat des Nachts wach gelegen und Matofa in ungestörtem Takt schlafen hören, während sie den unruhigen Schlägen ihres eigenen Herzens lauschte.

Sie hat dem Gesang der Brandung draußen gelauscht und hat sich auf ihrer Matte in Angst zusammengekauert, weil sie den Chor der Geister durch den Gesang zu hören meinte. Jedes Sausen vor der Tür der Hütte waren schleichende Fußtritte von Geistern aus den großen Sümpfen unter den Mangroven.

Sie hat die Arme ausgestreckt, um sich an den Herrn ihres Lebens zu klammern; aber sie hat sie wieder zurückgezogen, weil er so fest schlief, daß sie ihn nicht zu wecken wagte.

Schließlich haben die ruhigen Wogen seiner Atemzüge sie zur Ruhe gewiegt. Still hat sie ihre Hand auf die seine gelegt, bis ihre Brust von denselben Wogen gehoben und sie Hand in Hand von demselben Schlaf getragen wurden. Der Tag aber hat ihr wieder Zweifel und Angst gebracht.

Sie wurde schweigsam. Langsam entwich die Freude aus ihren Augen. Der leuchtende Glücksschimmer erlosch. Matofa aber, dessen Gedanken bei Fischfang und Taroernte weilten, merkte nur, daß sie still geworden war.

Verwundert hat er seine verständnislosen Augen auf die lauernde Angst in ihrem Gesicht gerichtet. Jung und unerfahren wie er war, hat er darüber gebrummt, ist mürrisch gewesen und hat sie durch verdrießliche Worte noch unglücklicher gemacht.

Und dann ist das, was er in ihren Augen hätte lesen müssen, von außen zu ihm gekommen.

Ein guter Freund, der ihm sein Glück mißgönnte, hat ihn eines Tages gefragt. Eine neidische Frau hat darüber gespottet, daß Lea noch immer – vier Monate nach ihrer Hochzeit – ebenso wie die unverheirateten Frauen, im Frauenhaus gewesen war.

Lea hat für die heimliche Angst ihres eigenen Herzens in den Augen der anderen Frauen Bestätigung gefunden. Sie ist ihnen mit Hochmut und Schweigen begegnet, und hat dafür mit bitteren Tränen büßen müssen, wenn sie nachts wach auf ihrer Matte lag.

Schließlich hat die ganze Stadt davon gesprochen: Lea kann keine Kinder bekommen.

Junge Frauen mit Kindern auf der Hüfte und Kindern an der Hand haben ihr halb spöttisch, halb mitleidig nachgesehen, wenn sie sie über den Strand eilen sahen; denn Lea geht nicht mehr zögernd und träumend. Die Blicke, die ihr Herz peinigen, jagen sie in Angst und Scham vorwärts.

Und die jungen Leute, die im Gemeinschaftshau« mit Matofa geschlafen haben und noch unverheiratet sind, weil sie nicht so vom Glück begünstigt wurden wie er – und die, die ihm und Lea geholfen haben, als sie in Not waren – sie alle kehren sich jetzt gegen die beiden, zucken die Achseln und necken Matofa mit Fragen, die man nicht niederschreiben kann.

»Was nützt dir jetzt dein Glück? – Was ist sie wert, die du um jeden Preis haben wolltest? –Sie kann dir ja keine Söhne geben.«

Wadi zuckt verächtlich die Schultern und denkt an den Fußtritt, den er von Talao für die fünf Pokon bekommen hat. Also nicht mal einen einzigen Pokon war sie wert; er hat vergessen, wie er Matofa im tiefsten Innern beneidete. »Und wenn ich sie geschenkt bekommen hätte,« prahlt er, »wollte ich sie nicht besitzen – eine Frau, die keine Kinder zur Welt bringen kann!«

Die Alten schütteln den Kopf und predigen ihren jungen Töchtern, denen die Zähne noch nicht gebräunt worden sind, mit bedeutungsvoller Miene:

»Ja, so geht es, wenn die jungen Mädchen nicht auf sich halten und nicht das Herz ihres Vaters haben. Dann bekommen sie keine Kinder; und ihr Mann schickt sie ihrem Vater zurück und sagt: Ich bin doch betrogen worden.«

Und die kleinen Mahuramädchen blicken hinter Lea her, wenn sie vorbeieilt und denken bei sich, daß sie nie so handeln wollen.

Selbst die ganz jungen Leute, halb noch Knaben, die eben erst ins Gemeinschaftshaus gekommen sind, denken: Da sieht man, wie es gehen kann; man muß doch lieber auf die Alten hören.

Und Wahuja denkt in seinem weisen Herzen: Was hab ich gesagt – Lea hat verborgene Fehler gehabt, und Talao hat es gewußt; sonst hätte er sie nicht umsonst fortgegeben.

Und er weidet sich beim Gedanken, wie der weiße Mann sich verrechnet hat. Er wollte natürlich Matofa zu seinem Sklaven machen, indem er ihm die Mittel lieh, sich ein Haus zu bauen; und statt dessen schaffte er ihm ein Unglück auf den Hals. Jetzt sitzt Matofa in der Patsche, in einem Haus, das er nicht bezahlt hat, und mit einem Weib, das ihm keine Kinder gibt; jetzt muß er sehen, wie er sie wieder los wird.

Er ärgert sich, daß er nach der Hochzeit Matofa ins Ohr geflüstert hat, daß er, Wahuja, einen Finger mit im Spiel gehabt habe; denn nach dem letzten großen Fischfang hat Matofa ihm den Zehnten nicht gebracht. Gesetzt, der Bursche würde eines schönen Tages kommen, ihn verantwortlich machen und seine Abgaben zurückverlangen?

Lea ist unglücklich, aber die Moral in der Stadt hat einen Sieg davongetragen, und Talao hat Genugtuung bekommen, auf die er aber keinen Wert legt. Dazu ist er zu stolz; denn er hat sie auf Kosten seiner Tochter bekommen, und er ist tief beschämt in seinem Herzen, daß sie, die sein Lieblingskind war und die er so hoch eingeschätzt hatte, nicht einmal für den Sohn einer elenden Wasserträgerin gut genug war.

Wenn aber der Gedanke ihn überkommt, daß selbst der elende Krüppel, dem er den Rücken brechen wollte, wenn er ihm als Freier vor die Augen käme – daß selbst der sich bedankt haben würde, dann windet er sich vor Zorn und Schmerz auf seiner Matte; und er verflucht Lea und den Tag, an dem sie geboren wurde.

Schließlich kommt es so weit, daß die giftige Saat in dem Herzen ihres Herrn Wurzel schlägt.

Sie sieht es, denn sie hat es erwartet. Sie fühlt es aus dem Schweigen, das zwischen ihnen herrscht, und sie weint des Nachts unaufhörlich auf ihrer Matte, die Hände vorm Mund, um seinen Schlaf nicht zu stören.

Von Tag zu Tag kann sie merken, wie ihr Herz einschrumpft. Sie krümmt sich auf ihrer Matte wie ein verwundstes Tier, während sie mit geschlossenen Augen sieht, was sich ereignen wird.

Bald wird der Tag kommen, wo er sich nach anderen jungen Weibern umsieht, ohne daß seine Handlung ihm selbst ganz bewußt ist. Lea aber hat es lange gewußt. Freiwillig will sie weichen, damit er nicht mit an ihrer Lebensbürde, der einer Unwürdigen, zu tragen braucht.

Und wenn der Tag kommt, wo Matofa begreift, daß sie verschwunden ist, dann wird er auf seiner Matte klagen. Er wird ihr zürnen und sie eine schlechte und undankbare Frau nennen; aber bereits in der dritten Nacht wird seine Brust sich in ruhigem Schlaf wiegen, wie das Kanu auf der stillen Lagune. Denn Matofa ist ein Mahuramann und wenn auch nur der Sohn einer elenden Wasserträgerin, so ist seine Rasse doch stärker als seine Liebe.

Ja, so wird es sein.

Und als Lea abermals den schweren Gang zum Frauenhaus gehen muß, da faßt sie den Entschluß, ihren Vater aufzusuchen, wenn ihre Zeit dort vorbei ist.

Sie steht vor ihm wie damals, als sie für ihre Liebe kämpfte, aber ihr Mund ist nicht mehr fest geschlossen, er bebt bei dem Kampf in ihrem Herzen; und ihr Blick hat nicht mehr den leuchtenden Glanz; er ist matt und erloschen.

Sie steht vor ihm und schweigt, mit schlaff herabhängenden Armen.

Talao sieht sie an, bis er endlich begreift, daß seine Tochter zurückgekehrt ist, von dem Sohn einer elenden Wasserträgerin verschmäht, weil sie die erste Pflicht einer Frau nicht zu erfüllen vermag.

Und die Wut steigt ihm in die Augen, bis die Adern im Weißen sich mit Blut füllen. Es stöhnt in ihm, seine Brust hebt sich krampfhaft. Noch beherrscht er sich, während sein Blick in den Augen forscht, die den seinen so sehr gleichen.

Er erwartet, daß sie sich mit Angst füllen, daß die Verzweiflung sich aus ihrem bebenden Mund in einem Schrei Bahn bricht und sie vor ihm niederzwingt, daß ihre Arme seine Knie hilflos umfassen werden. Und im selben Augenblick wird seine Wut losbrechen.

Alles, was er an Demütigung gelitten, alles, wozu er geschwiegen, was er verschmäht hat und womit er sich später begnügen mußte, wird sie zu fühlen bekommen.

Die Augen aber, die den seinen so sehr gleichen, sind noch im Unglück stark. Sie weichen den seinen nicht aus; und sie sinkt nicht vor ihm nieder, denn es ist keine Schuld in ihrem Herzen, sondern nur ein Schicksal.

Seine Hände, die bereits erhoben waren, sinken bei dem Kummer in ihrem Blick herab.

Endlich findet er Worte.

»Such dir einen anderen, wenn du kannst, oder geh auf die Landstraße hinaus und schleich dich von Hütte zu Hütte als freudlose Witwe. Eine unfruchtbare Frau hat kein Heim.«

Talao wendet sich ab.

Noch zögert Lea. Sie streckt die Arme nach den kleinen Geschwistern aus, aber die Kleinen wagen sich nicht von der Matte zu rühren.

Dann geht sie durch den Garten, wo das Fest stattfand, als ihre Zähne gebräunt wurden, wo sie Matofa zum erstenmal sah. Dort am Zaun hat er gestanden.

Brüder zimmerten ihr eine kleine Hütte auf dem Wege zwischen Wattiwau und der Stadt des Königs, abseits hinterm Kokoshain, wo die Armen wohnen und die, die etwas zu verbergen haben.

Sie taten es, ohne ihres Vaters Wissen und Willen, auf Bitten ihrer Mutter.

Talao wußte es dennoch; aber er schwieg und löschte Lea aus seinem Herzen.


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