Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Elftes Kapitel

Ich ging also zu Wahuja, der sein Haus neben dem des Königs hat, so daß er alles sehen kann, was bei Hofe vorgeht.

Ich traf den weisen Mann bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Er jagte die großen, gesprenkelten Wanzen.

Er stand und trippelte auf seinen schlimmen Füßen, während er den Kopf längs der Bambuswand kurzsichtig auf und nieder bewegte.

Er drehte sich um, ärgerlich, gestört zu werden, und warf mir aus den kleinen, stechenden Augen unter den weißen, buschigen Brauen einen mißbilligenden Blick zu.

Es war mir unangenehm gewesen, unangemeldet zu dem großen Mann zu kommen; aber es gibt keine Frauen in Wahujas Haus. Dazu hat er eine viel zu geringe Meinung von dem andern Geschlecht. Und er hat auch keinen Mann zur Bedienung; da der Weise äußerst sparsam lebt, werden in dem königlichen Nachbarhaus all seine Bedürfnisse befriedigt.

Wo er seinen unermeßlichen Tabu – er ist der reichste Mann der Insel, wie alle sagen – unterbringt, ist mir ein Rätsel. Toko meint, daß er ihn in einem kleinen Pisanghain, der ihm gehört, in baren Muschelmünzen vergraben hat. Er hat Hunderte und aber Hunderte von Pokons.

Als Wahuja sah, wer es war, der seinen Mittagsfrieden störte, klärte sein Gesicht sich auf. Die langen, weißen Ohren bewegten sich; fast sah es aus, als ob er mit ihnen winkte.

Ich konnte ihm ansehen, daß er ein Geschäft roch, was nicht schwer zu erraten war, da niemand Wahuja ohne ein wichtiges Anliegen aufsuchte, und Wahuja selbst sich nicht bemühte, ohne daß es etwas zu verdienen gab.

Er stellte die Jagd ein, trat in die Mitte des Raumes und zog seine Unterhosen in die Höhe; nachdem er meine Pyjamas bekommen hat, sind die alten zum Alltagsgebrauch herabgesunken. Dann setzte er sich auf eine von den berühmten Matten des Königs und zog die steifen Beine mit den geschwollenen Füßen beschwerlich unter sich, indem er meine Tasche musterte.

Die rechte hatte die interessante Wölbung, die er von früher kannte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und schmatzte mit den schmalen Lippen, während die zahnlosen Kiefer zu arbeiten begannen.

Zwischen mir und Wahuja ist es zur Gewohnheit geworden, daß jede Verhandlung mit einem Glas Rum eingeleitet wird. Das erinnert mich an eine Erzählung, die ich einmal von einem hochstehenden, russischen Beamten gehört habe, der einen Hundertrubelschein sehen mußte, bevor er überhaupt imstande war zu denken.

Ich zog also Flasche und Glas hervor.

Es ist mir geglückt, die Eingeborenen glauben zu machen, daß zwischen Flasche und Glas eine intime Verbindung besteht wie zwischen Vater und Sohn, und daß die Flasche ihren Geist nur dem Sohn schenkt, der ihn an die Menschen weitergibt; darum kommt es jetzt nicht mehr vor, daß Wahuja ein Attentat auf die Flasche selbst macht.

Als Wahuja fertiggeleckt hatte, setzte er sich bereit, die Hände im Schoß und das rechte Ohr mir zugekehrt, wie er zu tun pflegt, wenn er Audienz gibt.

»Mächtiger und weiser Wahuja,« begann ich, nach dem alten Rezept, »du, der du das Ohr des Königs besitzt.«

Wahuja liebt keine Weitläufigkeiten. Er zieht die Brauen zusammen und rümpft die Nase, als ob er sagen wolle:

»Zur Sache!«

Wie ich hier saß und ihm meine schwierige Sache vortrug, mußte ich an den Tag denken, als ich in dieser selben Stube um die Erlaubnis bat, im Gemeinschaftshaus mit den Jungen zu schlafen.

Wie damals, unterbrach er mich auch jetzt.

»Willst du wieder heiraten?« fragte er und sah mich mit einem Blick an, der zu sagen schien:

»Du lieber Gott, bist du in den fünf Jahren nicht vernünftiger geworden?«

Es glückte mir nicht, ihm die Sache begreiflich zu machen.

Ich sah, wie er in seiner Menschenerfahrung forschte und sein altes weises Gehirn zermarterte, um herauszufinden, welchen schlauen Hintergedanken ich unter dem lächerlichen Vorwand verbarg, daß nicht ich selbst es sei, der Lea haben wollte – das Gerücht von der kostbaren Halskette war auch ihm zu Ohren gekommen –, sondern daß ich die Interessen eines armen Burschen vertrat, dessen Namen Wahuja nicht einmal vom Hörensagen kannte.

Er verbarg nicht, daß seiner Meinung nach Talao der einzig Vernünftige in dieser ganzen Angelegenheit sei, und obgleich seine kleinen gelben Augen vor Bosheit glänzten beim Gedanken an eine Ehe zwischen der ältesten Tochter des großschnauzigen Talao und einem Sohn der armen Wasserträgerin, kam ihm doch die Sache so widersinnig vor, daß er abweisend den Kopf schüttelte.

Ich gab es auf, ihm mein Interesse für Leas Ehe begreiflich zu machen, und erklärte kurz und bündig, daß ich mir nun einmal in den Kopf gesetzt habe, Lea solle Matofa heiraten, und daß ich es durchsetzen wolle.

Gleichzeitig zog ich ein Paar herrliche, braune Socken aus meiner Tasche – es war die größte Nummer, die ich in meiner Kiste hatte – und legte sie wie in Gedanken neben mich.

Wahuja schielte nach ihnen hin, zupfte daran und erbat sich mit einem Grunzen Aufklärung, wozu man solche Dinger gebrauche.

Ich zeigte ihm, daß es eine neue Haut für ein Paar alte, wehe Füße sei, und half sie ihm anziehen. Während die Wärme ihm durch die geschwollenen Zehen strömte, klärte sein Gesicht sich auf. Er leerte erst das eine Nasenloch, dann das andere; ein sicheres Zeichen, daß er überlegte. Und während er nachdachte, sah ich, wie die Wärme aus den Socken in seine steifen Beine stieg.

Ich deutete diskret an, daß es mir natürlich um Talaos Ansehen leid täte und daß es ein harter Schlag für seinen Totem sein würde.

Aber es war gar nicht nötig, das Feuer noch mehr zu schüren. Wahuja war bereits voller Interesse bei der Sache; und als er erst richtig angefangen hatte, sah ich ein, daß ich auch meine Strümpfe hätte sparen können.

Wahuja sann lange stillschweigend nach, dann öffnete er den Mund und sagte:

»Talao ist ein angesehener Mann mit viel Tabu. Er muß einen angesehenen Mann mit viel Tabu für seine Tochter haben.«

Er machte eine Pause und blickte mich verstohlen an; als ich aber nichts erwiderte, fuhr er fort:

»Matofa ist arm und unbekannt, kannst du ihn reich und angesehen machen?«

Ich hatte schon selbst überlegt, ob ich im Notfalle soweit gehen wollte, ihm eine passende Kaufsumme zu schenken; aber Ansehen, und das war für Talao das Wichtigste, konnte ich ihm nicht verschaffen. Im Gegenteil, böse Zungen würden sagen, daß er sich mir verkauft und daß Lea meinen Sklaven geheiratet habe.

Ich schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er feierlich, »das kannst du nicht. Kannst du Lea arm und gering machen, so daß sie keinen besseren Mann erwarten darf?«

Ich verstand nicht, wo er hinauswollte, und schüttelte wieder den Kopf.

»Du kannst es nicht, denn du hast ihr selbst eine kostbare Kette gegeben, wie selbst der König sie nicht hat. Darum ist Lea noch mehr wert geworden als früher.«

Daran hatte ich nicht gedacht; aber Wahuja hatte recht: ich selbst hatte Talaos Erwartungen in die Höhe geschraubt.

Wahuja beobachtete die Wirkung seiner Worte und blickte mich an, als ob er sagen wollte: »Da siehst du, man soll nie etwas verschenken.«

Es folgte eine lange Pause. Ich war gerade im Begriff, die Geduld zu verlieren. Wahuja kaute mit seinen zahnlosen Kiefern. Schließlich sagte er:

»Talao erwartet reiche Freier auf Grund deines großen Geschenks. Wie willst du das verhindern?«

Ich schwieg.

»Wenn die jungen Leute im Gemeinschaftshaus glauben, daß du sie selbst haben willst, dann werden sie sich zurückhalten.«

»Aber ich will sie ja nicht haben.«

»Ich hab gesagt, wenn sie glauben, daß du sie haben willst.«

Ach so. – Aber was konnte das nützen?

Es war selbstverständlich, daß ich sie haben konnte, und dadurch war uns nicht geholfen.

»Wenn Talao sieht, daß keine Freier kommen, muß er seinen Preis herabschrauben.«

»O nein,« sagte ich, »er wird glauben, daß Lea auf keiner anderen Matte als Matofas schlafen will und daß sie die andern Jungen überredet hat, gemeinsame Sache mit ihr zu machen, und dann ist er imstande, Lea ihres Ungehorsams wegen ein Leid anzutun.«

Wahuja kaute wieder eine Weile. Dann sagte er:

»Aber wenn nun ein Freier käme und einen niedrigen Preis böte, dann würde Talao einsehen, daß Lea weniger wert sei, als er geglaubt hat.«

»Aber warum sollte ein Freier einen niedrigen Preis bieten?«

»Es ist ja nicht unmöglich, daß Lea verborgene Fehler hat.«

Die Tragweite dieser weisen Worte begann mir aufzudämmern. Lea sollte ihrem Vater gehorsam sein, sich den reichen jungen Leuten nähern und ihnen beweisen, daß sie nicht so begehrenswert sei, wie sie glaubten.

Es war ein raffinierter Plan; Wahuja aber hatte vergessen, wie jung und unerfahren sie war und daß sicher niemand sie veranlassen konnte, gutwillig ihren Schlafplatz zu ändern, selbst wenn es zu ihrem eigenen Besten war.

Das sagte ich ihm.

Wahuja hob seine weißen Brauen und betrachtete mich lange. Schließlich sagte er:

»Wenn du wirklich Lea mit Matofa verheiraten willst, dann mußt du sie in den Augen ihres Vaters gering machen. Du mußt dafür sorgen, daß nur die um sie anhalten, die du ausgesucht hast. Du mußt zu Talao gehen und ihm sagen, daß du ihm behilflich sein willst, einen Freier für Lea zu finden; aber wenn du dann mit einem zu ihm kommst, darf der nur zum Schein bieten und muß ein niedriges Angebot machen. Und wenn Talao dir Vorwürfe macht, dann mußt du sagen, daß du vergeblich einen besseren gesucht hast. Dann versprichst du, daß du es noch einmal versuchen willst; aber die Angebote müssen geringer und geringer werden. Dann wird Talao glauben, daß Lea verborgene Fehler hat oder daß sie von Geistern besessen sei. Und wenn Matofa bei seinem Angebot verharrt und sich inzwischen genug für ein Haus verdient hat, dann wird Talao sagen: Lea ist nichts wert; wenn ich sie an den Mann bringen will, muß ich sie Matofa geben, da kein anderer höher bietet.«

Wahuja war fertig. Er blickte mich fromm an, die Hände im Schoß gefaltet, als ob er sagen wollte: die höchste Weisheit hat gesprochen; handele danach, wenn du kannst und willst.

Ich überlegte diesen weisen Rat den ganzen Tag hin und her und bewunderte die Erfindungskunst und unbarmherzige Folgerichtigkeit in Wahujas Plan. Ich wußte ja, daß die Jungen in ihren Liebesangelegenheiten im Gemeinschaftshaus zusammenhalten; es war anzunehmen, daß keiner hinter Leas Rücken gegen ihren ausgesprochenen Willen handeln würde. Der Respekt vor mir würde das übrige tun. Toko konnte die Komödie für mich ordnen; Lea würde schweigen und noch dankbar dazu sein.

Ja, es gab keinen andern Ausweg, um Talaos Widerstand zu brechen. Aber es war ein langer und äußerst beschwerlicher Weg. Und was hatte Talao mir eigentlich getan, daß ich ihn so tief demütigen und ihm soviel Kummer verursachen wollte?

Als ich zu Bett ging, hatte ich die ganze Sache aufgegeben.

Warum einem schuldlosen Mann gegenüber Schicksal spielen, der nur das Beste seiner Tochter wollte?

Vielleicht hatte ich unrecht. Ich schloß von Ali auf Lea; ich wußte, daß es Ali das Leben gekostet haben würde, wenn man mich ihr verweigert hätte. Lea aber war nicht Ali, und Matofa war nicht ich.


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