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Es war ein kalter Oktobertag des Jahres 1361. Der Horizont schaute düster auf die Erde herab; ein scharfer Nordwind sauste einher und nahm die letzten, buntgefärbten Herbstblätter von den Bäumen; das nahe Gebirge trug schon seit einigen Wochen frühe Schneespuren; auch in der Ebene hatte es geschneit, aber die Sonne war mit holdseligem Lächeln darüber hingefahren, als wollte sie tröstend sagen: »'s ist noch nicht an dem! es war nur des Winters Quartiermacher mit seinem grimmen Gesichte.« Nun aber schien es doch kalter Ernst zu werden.
Dies mochte ein Mann denken, der an jenem Tage über die bergigen Wege in der Richtung gegen Kempten zuschritt; denn er hatte eine warme Decke um sich geworfen, obgleich er völlig abgehärtet gegen den Einfluß jeglicher Witterung aussah. Sein Körperbau war fest und gedrungen, sein Gesicht vom Wetter gebräunt; es lag in dessen Ausdruck eine ehrliche Offenheit, ein starker Wille, wohl auch etwas Hartes und Strenges; dazwischen aber schaute die Gutmütigkeit hervor. – Heute zog ein sorgenvoller Schatten darüber; der Himmel und seine Stimmung paßten zusammen, und der Mann blickte öfters empor, als ob seine Gedanken damit im Einklange wären.
Es war der Meier von Kempten, der also einherschritt – so nannten und kannten ihn die Leute in der ganzen Umgegend. Seine Meierei lag etwa eine halbe Stunde entfernt von der Stadt und wäre gerade nicht armselig gewesen; aber seine neun Kinder machten sie doch zu eng und zu klein und dem Manne oft schwere Sorgen. Heute kam er von einem Gange, welcher ihm recht sauer geworden war. Er hatte seine beste Milchkuh verkauft, weil die mißratene Ernte nicht für den Winterbedarf ausreichte, und dieser Entschluß war nicht ohne innerlichen Kampf abgegangen. Ein selbst aufgezogenes und so schönes Stück Vieh, die Freude der Kinder, welche sie fast wie ein Familienstück betrachteten, und die Zierde des Stalles! Es war ein harter Abschied gewesen. Jörg, der älteste Knabe, der dem Vater bereits wie ein Knecht zur Seite stand, hatte sie tags zuvor mit besonderer Sorgfalt geputzt; dem Bärbele wurde es ganz weh ums Herz beim letzten Melken, Hannes ließ es sich nicht nehmen, sie sanft an den Hörnern herauszuführen und ihr noch etwas Gutes ins Maul zu schieben; die Kleineren mußten sie noch streicheln und liefen schreiend nach, bis der Vater sie mit dem Versprechen beschwichtigte, ihnen dafür etwas mitzubringen. Aber der Abschied war ihm selber am allerschwersten geworden, und wer wird es dem Meier verdenken, daß er auch jetzt, trotz des guten Erlöses von harten Thalern, keine Freude empfand, sondern ein finsteres Gesicht machte und den grauen Himmel sorglich anblickte.
Der Winter ist just nicht des Landmanns guter Kamerad, die Stube nicht sein Lieblingsort. Wie sein Beruf ihn stündlich hinausführt in die freie Natur, so ist er auch dort zu Hause. Darum sind die Häuser der meisten Bauern klein und fast armselig; in jener Zeit aber, von welcher ich erzähle, mag's noch schlechter gewesen sein. In der Meierei des Jörg sah es im Winter am allerkleinsten aus, weil die jüngsten Kinder in der Stube bleiben mußten. Da gab es ein Durcheinander von Lachen, Weinen, Necken, Plaudern, von Herum- und Herabpurzeln, von Geklapper und Gehämmer, und der anstoßende Stall mischte seine Naturlaute von Gebrüll und Gewieher darein; die Mutter verhielt sich bisweilen abwehrend die Ohren, oder pitschte und patschte die kleinen Schelme, bis es Ruhe gab; der Vater pfiff drohend, und wo das nicht ausreichte, kam wohl auch ein kleines Hagelwetter über die ungeberdige Schar.
All dieses mochte der Meier von Kempten auf seinem Gange überlegen, und so kam es, daß er die winterlichen Vorboten am Himmel etwas mürrisch betrachtete. Es ging schon stark gegen den Abend; er hatte Eile, vor sinkender Nacht heimzukommen, denn zu jener Zeit des Faustrechts war's nicht geheuer auf der offenen Straße, wenn man einen wohlgespickten Geldsack mit sich trug. Er beschleunigte seine Schritte den Berg hinab, wo er im Halbdunkel die große Eiche gewahrte, welche sein Gut begrenzte und sein Stolz war. Unter ihrem Schatten hatte auch sein Vater gespielt, dann war der Rasen daneben sein eigener Tummelplatz geworden, und nun trieben es die Kinder auf gleiche Weise. Er hatte unter dem Baum eine Bank gezimmert; an Sonn- und Festtagen kamen nicht selten die Nachbarn zu Gespräch und Beratung hierher; wandernde Gesellen und alte Weiber mit ihrem Reisigbündel ließen sich dort rastend nieder, und der Platz wurde selten frei von morgens bis abends.
Als der Meier sich seiner Heimat näherte, herrschte bereits tiefe Sabbatruhe in der Gegend. Mensch und Vieh waren entweder im Haus oder Stall, und von seinem eigenen Herdfeuer leuchtete ihm die Flamme entgegen. Er griff nach seinen mitgebrachten Spitzwecken im Zwerchsacke, dachte an die harrenden Kinder und es wurde ihm weicher ums Herz, als er den Baum erreichte. Er blieb stehen und sah in die immer noch blätterreichen Aeste. Da vernahm er ein leises Wimmern mitten durch die Nacht. Sogleich dachte er an sein kleinstes Büblein; sollten die Geschwister es im leichtsinnigen Spiele vergessen haben und die vielbeschäftigte Mutter meinen, es liege in seiner Wiege? Er hielt ängstlich den Atem an und horchte. Das Wimmern kam wirklich vom Baume, aber so leis', als ob es am Ersterben sei. Jörg eilte zur Bank und beugte sich forschend nieder. Ja, dort lag ein Wickelkissen; es mußte sein eigenes Kind sein, vielleicht sterbend von der kalten Nachtluft. Hastig nahm er es in seine Arme. Nein, es war nicht sein kleiner dicker Bub' von einigen Wochen, sondern ein kaum geborenes Kindlein. Unschlüssig, was er thun sollte, blieb er stehen. »Wem gehört das Kind? – seine Mutter muß ganz in der Nähe sein; natürlich – so spät des Abends?« – Er stieß einen Ruf aus, er horchte. – Keine Antwort, er hörte nur den Wind sausen. Nun legte er das Kind wieder auf die Bank, um sein Weib zu holen, die besser Rat in der mißlichen Sache wissen mußte. Jetzt aber wimmerte das Kind von neuem, und es war zuvor in seinem Arme so still gewesen. Der Nordwind sauste so bitterkalt daher, daß es den abgehärteten Mann fror und schüttelte. Da nahm er rasch das Kind wieder auf den Arm, schlug die warme Decke darum und eilte seinem Hause zu. Der kleine und der große Hund bellten freudig, die Kinder rissen die Thür auf, sprangen ihm jubelnd entgegen, zogen ihn zur Stube und schrieen: »Vater, was bringst uns mit?«
Die Mutter saß an der Wiege beim warmen Ofen, nickte ihm lächelnd zu; Jörg frug sogleich: »Hat sie einen guten Stall und gute Leute?«
»Und gutes Futter?« sagte Hannes.
»Und hat sie recht gebrüllt, wie du fort bist?« forschte Annaliese.
Der Meier von Kempten konnte sich bei all den Fragen der andringenden Kinder kaum sammeln. Er stand immer noch stumm und unbeweglich mitten in der Stube, und seinem Weibe kam es nun vor, als fehle ihm etwas. Sie hielt im Schaukeln der Wiege inne und näherte sich ihrem Manne. Nun frugen die Kleinen wieder ungeduldig: »Vater, was bringst du uns mit?« und in diesem Augenblicke schrie auch Jakoble in der Wiege. Das weckte den Meier aus seiner Versunkenheit, er schlug die Decke auseinander; Mutter und Kinder stießen gleichzeitig einen Schrei der Verwunderung aus, aber wie ganz verschieden klang er! Die Kinder jubelten, sie vergaßen die Kuh ganz und gar und alles dazu, was der Vater sonst hätte mitbringen können, worüber sie den langen Tag sich beraten und die kleinen Köpfe sich zerbrochen hatten. Die Mutter frug hastig, woher das Kind sei, und während sie es in die eigenen Arme nahm, es wiegte und das kalte, starre Gesichtlein an ihrer Wange fühlte, vergaß sie im Erbarmen, auf die Antwort zu hören.
»Ein neues Brüderlein!« jubelte der kleine Christian.
»Nein, nein, ein Schwesterchen!« schrie Viktörle und streckte sich nach dem Ankömmlinge.
Das Kind begann aufs neue zu wimmern, und die Meierin machte nun in der Wiege neben Jakob ein Ecklein, nahm es aus dem Wickelkissen, hüllte es in eine wollene Decke und legte es hinein. Alle Kinder umdrängten die Wiege und suchten die beiden Schreihälse zu beruhigen. Das kluge Bärbele hatte bereits im Ofen die Milch gewärmt und reichte sie der Mutter. Das Kind sog kräftig und war sogleich beruhigt, während Jakob immer unbändiger schrie. Da ging dem Meier, der ohnedem ein durch den Vorfall erregtes Gemüt hatte, die Geduld aus, er kramte in seinem Sacke, legte die Spitzwecklein auf den Tisch und rief den Kindern, die nun darüber herstürzten. Nur Bärbele stand noch neben der Mutter, und als der Vater wieder zu ihnen trat, auch Jakob zur Ruhe gekommen war, frug die Meierin aufs neue: »Ja um Gotteswillen, sag' nur, woher bringst du den armen Wurm?« –
Fast in lautlosem Tone sagte der Mann: »Draußen unterm Baum ist's gelegen und hat gewimmert, als ob's am Verscheiden sei. Kann's doch nicht erfrieren lassen! So hab' ich's halt mitgenommen, bis seine Mutter es abholt.«
Wieder kam die ganze Schar zur Wiege; Viktörle wollte den Kindern von ihrem angebrochenen Spitzwecken geben und stach sie damit in die Mäulchen, daß sie aufs neue weinten; die anderen setzten sogleich die Wiege so stark in Bewegung, bis sie umzufallen drohte, und der Vater rief nun in drohendem Ernst: »Weg mit Euch allen! Bärbele, trag die Supp' auf, mich hungert, und jetzt kein Wort mehr!« –
Sogleich stand die ganze Schar um den Tisch; jedes faltete die Hände, Bärbele brachte die Suppe; das Gebet erklang einstimmig von jedem Munde und man hörte nichts mehr, als das Geklapper der hölzernen Löffel. Nach dem Essen wollten die Fragen und der Lärm von neuem beginnen, aber der Meier schickte sie zu Bett. Da galt keine Widerrede. Man hörte nur mehr: »Ruhsame Nacht! Gelobt sei Jesus Christus! in Ewigkeit, Amen!« – und die Stube war leer bis auf Bärbele und Jörg. Letzterer ging noch in den Stall, der Vater folgte ihm; Bärbele trug die Schüssel und Löffel ab, spülte und wusch alles rein, und das dauerte eine gute Weile. Dann begaben sich auch diese beiden Aeltesten zur Ruhe.
Der Meier und sein Weib saßen nun allein beisammen auf der Ofenbank an der Wiege. Sie schwiegen eine Weile; dann rieb sich der Mann, wie er in Verlegenheit stets zu thun pflegte, jene Stelle hinter den Ohren, wo der Zweifel seinen Sitz zu haben scheint, und sagte: »Was aber nun anfangen mit dem armen Wurm da?«
Das Weib entgegnete zögernd: »Nun ich denk' halt, seine Mutter wird es schon abholen. Gewiß hat sie im nahen Walde Reisig gesucht und sich dabei verspätet. Geh' doch 'naus und schrei' einmal recht laut, daß sie ein Zeichen hat.«
Der Meier ging hinaus und weiter weg, er schrie freilich aus Leibeskräften, aber keine Seele antwortete ihm. Ganz entmutigt kehrte er zurück und setzte sich wieder nieder. Alles Kratzen hinter den Ohren half ihm nichts und er sagte: »Wenn seine Mutter es aber nicht abholt, was nachher?«
»O, Mann, was denkst auch! rief das Weib fast zusammenschauernd. Wer wird sein kleines Kind nicht suchen! so einen armen, lieben, verlassenen Wurm!«
»Wenn aber nicht, sag' ich!« erwiderte der Mann, halb zornig und halb brummend.
»Ja, dann! – aber Jörg, was anders, als es behalten.«
Das wollte dem Meier nicht in den Sinn; er schüttelte in einem fort den Kopf und erwiderte dann: »Behalten, behalten, so, so, behalten! leicht gesagt, aber unsere neun?« –
»Haben dann noch ein Zehntes, Jörg!« – Jetzt fuhr der Meier auf: »So, ein Zehntes? Aber mit was das Zehnte ernähren? Muß ich's erst sagen, daß es mit den Neunen kaum geht? Nirgends will's ausreichen! Für was hätt' ich denn meine Kuh verkauft?« –
»Gott wird schon nachhelfen, Jörg!« sprach sein Weib, die Hände fromm zusammenfaltend, einen recht mütterlichen Blick auf die beiden Kinder werfend. Dann fuhr sie fort: »Weißt noch, Jörg, wie wir beide geweint und gejammert haben, als unser lieber Herrgott den Joseph und die Lisbeth geholt hat? Sie wären auch nicht verhungert; 's hätt' halt reichen müssen für alle elf miteinander, wenn sie am Leben geblieben wären. Nun schickt uns Gott dafür ein anderes und es sind erst zehn!«
Die einfachen, frommen Worte und die Erinnerung an seine verstorbenen Kinder hatten das ohnehin gute Herz des Meiers weich gestimmt und er sagte: »Nun so sei 's, in Gottes Namen! ich will sein Vater sein, wenn kein anderer sich einstellt.«
»Und ich seine Mutter,« – sprach leise das Weib und wischte sich die Augen. Dann ging Jörg schweigend aus der Stube in seine Schlafkammer. Das Weib saß noch eine lange Weile auf und betete. Endlich legte sie sich ins Bett in der Stube und rückte die Wiege ganz nah' daran.
Der andere Tag war ein Sonntag. Bärbele bekam den Auftrag, das Haus und die Kinder zu hüten. Es schneite recht naß und außer dem fünfzehnjährigen Jörg durfte keines der Schar die Eltern begleiten. Diese gingen selbander in die Stadt zur Kirche und hernach zum Pfarrer, dem sie den Vorfall mitteilten.
Inzwischen war es für Bärbele kein leichtes Ding, Ordnung zu halten. Die Spitzwecken waren verzehrt bis auf den allerletzten und die Kuh über dem neuen Brüderlein ganz vergessen; nur Hannes ärgerte sich schier darüber und mochte gar nicht aus dem Stalle kommen. Er sagte: »Es ist recht bös von Euch, daß keines an die Blaß denkt, und du, Bärbele, auch nicht; hast sie doch alle Tage gemolken, und wer weiß, wie ihr's jetzt geht!« Hans schmollte über das kleine Kind aus purer Eifersucht für seine Blaß.
»Aber Hannes; 's ist doch nur ein unvernünftiges Tier!«
»So, ein unvernünftiges Tier! fuhr er auf. Hat sie uns nicht alle gekannt und den Hals weit gestreckt, wenn wir nur in den Stall geguckt haben? und das kleine Ding da macht die Augen gar nicht auf.« –
Jetzt fiel Annaliese zornig über ihn her und Bärbele mußte abwehren; Hanne aber wollte haben, es soll gleich die Augen aufmachen, um dem Hannes zu zeigen, wie nett sie seien. Sie gabelte mit ihren Fingern daran herum und stach sie ihm beinahe aus. Aber es verzog das Mäulchen jämmerlich zum Weinen und streckte seine Händchen hervor. Da ging die Freude von neuem an. Es waren so winzig kleine Fingerlein mit so winzig kleinen Nägeln und mit so vielen Falten um die Knöchel. Jakoble, dünkte sie, habe nie solche magere Händchen gehabt, und zur Liebe kam noch das Erbarmen. Annaliese wollte es gleich fett machen und gar nicht aufhören, ihm Milch einzugießen, obgleich es sein Mäulchen wehrend hin und her bewegte und zu weinen begann. Jetzt wachte auch Jakoble auf, schrie aus Leibeskräften, schlug um sich und stieß das arme Würmlein. Alle drängten sich nun herzu und wiegten in einem fort. Bärbele nahm den größeren und Annaliese den kleineren Schreihals beschwichtigend in den Arm und Hanne heizte im Ofen nach, daß sie sich nicht erkälten möchten. Als die Kinder immer noch schrieen, wollte Christian, man sollte sie zur Unterhaltung in den Stall tragen zu den Schafen, die auch kleine Lämmer hatten. »Nein, man sollte sie ein wenig peitschen,« sagte der immer noch übelgelaunte Hannes. Bärbele hatte wieder Mühe, Ordnung und Ruhe herzustellen und hieß die Kinder spielen. Christian setzte sich zuerst in die Ecke zum Ofen und beugte die kleinen Scheiter aufeinander; Grete nahm allerlei Tücher und machte ein Kind daraus mit einem sehr großen Kopfe, das sie nun auch herumtrug und beständig hinter Bärbele und Annaliese drein ging. Endlich gaben die beiden Wickelkinder Ruhe, wurden wieder in die Wiege gelegt, den anderen Schweigen geboten, und so entstand leidliche Ordnung. Annaliese bewachte die Wiege und Bärbele schnitt Brot zur Suppe ein, wobei die einen ihr zusahen, um ein Schnittchen zu erhaschen, und ihr dann in die Küche folgten, wo auf dem Herde Feuer angezündet wurde.
»Hans! Hans! hast wieder vergessen, Späne zu schneiden!« rief Bärbele; aber Hans hatte sich nun an die Wiege geschlichen, um zu sehen, ob das Kind einmal die Augen aufmachen würde. Seine hinter dem Trotz gelagerte Liebe zu dem neuen Ankömmlinge brach nun hervor und er ging nur ungern an sein Geschäft.
So verstrich die Zeit und die Eltern kehrten mit Jörg aus der Stadt zurück.
»Ist niemand dagewesen und hat nach dem Kind gefragt?« war des Meiers erstes Wort, und er seufzte tief auf bei der Verneinung. –
Die Mutter war lauter Liebe für das Kind. Des Pfarrers Trost und Verheißung auf Gotteslohn hatte ihr banges Herz aufgerichtet und gestärkt; ihr war's nicht anders, als sei ihr verstorbener Knabe wieder vom Himmel herab auf die Welt gekommen. Sie fürchtete beinahe, daß man es wieder holen würde, und am Nachmittag richtete sie Jakoble's Taufzeug zurecht mit so innigen Gefühlen, wie sie es für die eigenen Kinder gethan hatte.
Am Montag ließ das böse Wetter nach, sie bettete das Kindlein gut ein, schlug eine schützende Decke darum und trug es in ihres Mannes Begleitung zur Taufe in die Kirche. Der Pfarrer übernahm dabei Patenstelle, gab ihm seinen eigenen Namen Heinrich und schrieb noch daneben ins Taufbuch zur Ergänzung des Familiennamens » Findelkind.« Als man das Kind wieder zurückbrachte, tischte die Mutter sogar einen Taufschmaus, bestehend aus Käse, Butter und gedörrten Schnitzen, auf, worüber ein großer Jubel entstand und wodurch Hannes vollkommen besänftigt wurde. Der Name Heinrich gefiel den Kindern so überaus gut, daß sie ihn stets von neuem riefen und in die Wiege hineinschrieen. Der ganze Montag wurde ihnen zum Feste, und Heinrich war nebst Butter, Käse und gedörrten Schnitzen der Mittelpunkt ihrer Freude.
In der ganzen Nachbarschaft machte der Vorfall großes Aufsehen und man sprach einige Tage lang nichts anderes, als von dem Findlinge. Die einen lobten des Meiers Barmherzigkeit über die Maßen, gaben ihm aber nichts, um das zehnte Kind zu ernähren; die anderen meinten, er hätte wohl genug an den eigenen haben können; es sei ein Unrecht gegen diese und die ganze Nachbarschaft, fremde Kinder von hergelaufenen Leuten aufzunehmen; wieder andere rieten auf reiche Vergeltung, welche der Meier erwarte; sie waren unerschöpflich in Vermutungen, und der Spott blieb auch nicht weg. Aber in der Meierei kümmerte man sich um all dieses Gerede nichts, und der kleine Heinrich erwärmte in der Wiege, in welche die Barmherzigkeit ihn sanft gebettet hatte.