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Es war immer noch früh am Morgen, als Kate vor dem Haus der Daniels aus dem Sattel glitt. Der Instinkt schien ihr ohne weiteres den Weg zum Krankenzimmer zu zeigen. Sie trat ein und schritt auf das Bett zu, ohne sich im geringsten um die beiden alten Leute zu kümmern, die in ihren Stühlen eingenickt waren. Erst das drohende Knurren Barts ließ die beiden auffahren. Aber als der Hund Kate erkannt hatte, verwandelte sich der drohende Laut in ein Winseln freudiger Begrüßung.
Kate sah nichts als Dans eingefallenes, weißes Gesicht und die blauen Schatten um die Augenhöhlen. Sie wollte sich über ihn beugen. Der alte Sam, der kaum noch richtig erwacht war, streckte den Arm aus, um sie zurückzuhalten. Aber seine Frau zupfte ihn am Ärmel.
»Das ist Delila,« flüsterte sie, »ich hab' ihr Gesicht gesehen.«
Kate stieß leise murmelnde Laute aus, Worte, die sich nicht formen wollten. Der Alte und seine Frau starrten einander eingeschüchtert und verwundert an. Leise, auf den Zehenspitzen schlichen sie der Türe zu, als habe man sie da ertappt, wo zu sein sie kein Recht hatten.
Sie sahen noch, wie Dans fieberglänzende Augen sich öffneten. Sie hörten ihn gereizt und zusammenhanglos vor sich hin stammeln. Sie sahen, wie sein Blick irr umherwanderte. Ihre Hand glitt über seine Stirn und blieb dann auf dem Verband liegen, der seine linke Schulter bedeckte. Sie schrie leise auf. Dans Augen hielten auf ihrer Irrfahrt plötzlich inne und hafteten an ihrem Gesicht. Die beiden sahen, wie er die Augen aufriß, wie das Fieber heller brannte und wie seine Stirne sich in Falten zog. Seine Hand kroch langsam nach der Schulter hinauf und legte sich auf ihre.
Er flüsterte etwas.
»Was sagte er?« murmelte Sam.
»Ich weiß es nicht«, antwortete seine Frau. »Ich glaube, es hieß: ›Delila!‹ Sieh doch, wie sie zusammenfährt.«
»Halt den Mund!« warnte Sam. »Ma, er kommt zur Besinnung.«
Diesmal war kein Zweifel möglich. Dans Augen verrieten es.
»Soll ich sie wegholen?« fragte Sam, hastig flüsternd. »Er tut womöglich dem Mädel noch was an. Sieh mal, wie es ihm gelb in den Augen funkelt!«
»Nein,« sagte seine Frau beschwichtigend, »es ist Zeit, daß wir die beiden allein lassen.«
»Aber schau' dir ihn doch mal an!« raunte er. »Der knurrt ja beinah wie ein Wolf! Ich hab' Angst um das Mädel, Ma.«
»Sam, du bist ein alter Narr!«
Nur widerstrebend folgte er ihr auf den Vorplatz.
»Jetzt laß die Tür ein ganz klein bißchen offen, just einen Spalt,« sagte die Alte, »dann kannst du hineinsehn und mir sagen, wenn sie wirklich in Gefahr ist.«
Sam gehorchte.
»Dan sagt kein Wort,« erklärte er, »er funkelt sie immer bloß an.«
»Und was tut sie?« fragte Frau Daniels.
»Sie hat ihren Arm um seine Schultern gelegt. Hab' nie gewußt, daß ein Mädel so eine süße Stimme haben könnte, Ma.«
»Sam, du bist dein Lebtag lang ein Narr gewesen!«
»Er stößt sie weg!«
»Und sie? Und sie?« flüsterte Frau Daniels.
»Sie spricht mit ihm. Und wie sie spricht! Wie rasch sie redet. Und die Wolfsbestie steht dicht dabei und schaut immer bloß von einem zum anderen, als ob sie sich den Kopf darüber zerbrechen müßt', wer von den beiden recht hat.«
»Die Wege von Liebenden, Sam, sind so dunkel wie die Wege des Herrn!«
»Dan hat sich einen Arm über das Gesicht gedeckt, er sagt immer nur ein Wort, immer dasselbe, wieder und wieder. Sie ist auf die Knie gefallen neben dem Bett. Sie spricht immer noch. Warum spricht sie so leise, Ma?«
»Sie wagt nicht, laut zu sprechen. Sie hat Angst, ihr armes, törichtes Herz könnte sonst zerspringen. Oh, ich weiß, ich weiß! Was sind die Männer doch für Narren! Solche Narren! Sie bittet ihn, ihr zu vergeben.«
»Und er sträubt sich mit aller Macht. Er will nicht!« flüsterte die Alte vor sich hin.
»Black Bart hat dem Mädel den Kopf auf den Schoß gelegt. Hörst du, wie er winselt? Dan sieht immer nach dem Wolf. Jetzt sieht er nach dem Mädel. Er weiß, scheint's, nicht, was er draus machen soll. Sie hat ihre Hand auf Barts Kopf liegen. Sie hat die andere Hand über den Augen. Sie weint. Martha, sie hat's aufgegeben.«
Eine Weile war alles still.
»Er streckt die Hand nach Black Bart aus. Seine Finger berühren ihre Hand. Sie starren einander beide an.«
»Ja, und? Ja, und? Was jetzt?«
Aber Sam drückte die Tür hinter sich ins Schloß und stemmte sich mit den Schultern dagegen.
»Kalkuliere, das Ende ist just wie in einem Buch, Ma«, sagte er.
»Die Männer sind alle Narren!« flüsterte Martha Daniels, aber es standen ihr die Tränen in den Augen.
Einige Tage später traf Hal Purvis, der von seinem Späherdienst zurückkehrte, am Eingang der Schlucht, die zum Lager der Bande hinaufführte, mit Sheriff Gus Morris zusammen.
»Gut, daß ich dich treffe!« sagte der joviale Sheriff. »Ich hab' dir viel unnütze Mühe erspart.«
»Wieso?«
»Silent ist gerade umgezogen.«
»Wohin?«
»Die Schlucht hinauf und über die Berge nach dem alten Schuppen am Bald-eagle-Bach. Das Ding steht ...«
»Ich weiß schon Bescheid«, sagte Purvis. »Warum ist Silent aufgebrochen?«
»Der Boden wurde hier zu heiß. Ich bin eigens herübergeritten, um ihn zu warnen. Die Burschen redeten schon die ganze Zeit, sie wollten mal die Schlucht herauf, um zu sehen, ob man Silent nicht irgendwo erwischen könnte. Sie haben von Joe Cumberland erfahren, daß die Bande hier gelagert hat.«
»Cumberland ist zu Euch geritten, als er freigelassen wurde?« erkundigte sich Purvis grinsend.
»Schnurstracks!«
»Und wo ist er danach hin?«
»Heim, denk' ich, zu seinem Mädel.«
»Kein Gedanke!« sagte Purvis trocken.
»Und wo ist er denn? Wen interessiert's denn in Dreiteufelsnamen, wo er ist?«
»Sie sind jetzt beide in Buck Daniels' Haus.«
»Na, hör' mal, Purvis, gehört denn Buck nicht zu Euch? Ich erinner' mich doch, ich hab' ihn vor gar nicht langer Zeit im Lager gesehn.«
»Kann sein, aber ich glaub', wenn du wieder mal nach ihm fragen solltest, dürfte sich's herausstellen, daß er nicht da ist.«
»Denkst du denn? ...«
»Buck hat uns hinters Licht geführt. Ich hab' nicht bloß das Mädel und seinen Vater sich bei ihm zu Hause herumtreiben sehn. Ich hab' auch einen großen Wolfshund gesehen. Gus, ich weiß, daß es Black Bart war, und wo der steckt, da ist der Pfeifende Dan nicht weit weg.«
Der Sheriff starrte ihn mit offenem Munde an.
»Auf Dans Kopf ist ein Preis von zehntausend Dollar ausgeschrieben«, meinte Purvis.
Der Sheriff schien immer noch zu verblüfft, um zu begreifen.
»Scheint mir, du machst dir nichts aus zehntausend Dollar,« meinte Purvis, »selbst wenn du sie mühelos verdienen kannst.«
»In Buck Daniels' Haus?« platzte der Sheriff heraus.
»Nirgends anders«, nickte Purvis. »Da sind zehntausend Dollar zu verdienen, wenn du genug Leute auf die Beine bringen kannst, um Dan zu fangen.«
»Bildest du dir wirklich ein, ich könnte genug Leute finden, um 'ne Treibjagd auf den Pfeifenden Dan zu veranstalten? Du lieber Himmel, Hal, du weißt selbst, daß die Sache mit dem Preis auf Dans Kopf ein Humbug ist und daß er nicht das geringste verbrochen hat.«
»Fragst du immer danach, ob alles stimmt, eh' du deine fetten Pfoten nach 'nem Banknotenbündel ausstreckst?«
Der Sheriff fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen.
»Zehntausend Dollar!«
»Zehntausend Dollar!« wiederholte Purvis.
»Bei Gott, ich tu's! Wenn ich Dan erwische, werden die Leute die Sache mit Jim Silent schnell genug vergessen. Vor Jim haben sie Angst. Aber vor Dan – bloß wenn sie an ihn denken, sind sie stocksteif vor Furcht, aber ich werd' mich heute dranmachen, ein paar Kerle zu angeln, die mir helfen sollen. Heut abend setzen wir uns hin und knobeln die Sache aus, und morgen mit dem frühesten sind wir unterwegs.«
»Warum nicht schon heute nacht?«
»Da würden wir nicht schlecht reinfallen! Ich glaub', der verdammte Kobold kann in der Nacht so gut sehen wie wir am hellichten Tag.«
Er grinste, als müsse er sich wegen des seltsamen Einfalls entschuldigen, aber Purvis nickte ihm verständnisinnig zu und verschwand in der Schlucht. Der Sheriff ritt pfeifend nach Hause. Wenn er noch diese zehntausend Dollar sich verdienen konnte, hatte er genug, um sich aus seinem aufreibenden Beruf zurückzuziehen.