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In seinem Haus auf der Ranch starrte der alte Joseph Cumberland stirnrunzelnd zu Boden, als er seine Tochter sagen hörte: »Es ist nicht recht, Dad. Eh' ich von hier wegkam, um auf die Schule zu gehen, ist es mir nie eingefallen, aber seitdem ich zurück bin, spüre ich mehr und mehr, daß es geradezu beschämend ist, Dan so zu behandeln.«
Ihre Augen leuchteten auf, und sie nickte energisch mit ihrem goldschimmernden Haupt, um ihren Worten mehr Nachdruck zu geben. Ihr Vater beobachtete sie. Ein leises, ein wenig pfiffiges Lächeln stahl sich in seine Mundwinkel, aber er gab keine Antwort. Herr zu sein über viele tausend Häupter Vieh, verleiht eine gewisse Würde; der alte Rancher hielt die Schultern straff, und sein ausgemergeltes Gesicht mit dem weißen Ziegenbart verriet eine Art verschollener aristokratischer Würde. Er wirkte mehr wie eine malerische Gestalt des siebzehnten Jahrhunderts, denn wie ein Viehzüchter – und zwar ein erfolgreicher Viehzüchter – des zwanzigsten.
»Und ich sage dir, Dad, es ist beschämend«, fuhr sie fort. Sein Schweigen schien sie zu ermuntern. »Oder du müßtest mir irgendeinen vernünftigen Grund angeben können.«
»Einen vernünftigen Grund dafür, daß ich ihm nicht die Erlaubnis gebe, eine Schießwaffe zu haben?« fragte der Rancher. Sein stilles Lächeln blieb.
»Jawohl, jawohl«, sagte sie eifrig. »Und auch einen vernünftigen Grund, warum er bei tausenderlei Anlässen immer noch wie ein kleiner Junge behandelt wird, der für sich nicht einstehen kann.«
»Nanu, Kate, du hast ja Tränen in den Augen?«
Er ließ sich in einen Stuhl fallen und zog sie an beiden Händen zu sich heran. Mit Augen, die beinah' so blau und glanzvoll waren, wie die ihren, blickte er ihr prüfend ins Gesicht. »Woher kommt's, daß du auf einmal solches Interesse an Dan nimmst?«
»Aber Dad, lieber Dad,« sie wich seinem Blick aus, »ich habe immer Interesse an Dan genommen. Sind wir denn nicht zusammen groß geworden?«
»Man kann's sagen.«
»Und sind wir nicht immer zueinander gewesen wie Bruder und Schwester?«
»Du sprichst ein bißchen wärmer für ihn als eine Schwester für ihren Bruder, Kate.«
»Was meinst du?«
»Jawohl! Jawohl! – Was ich meine? Und jetzt bist du über und über rot. Kate, mir kommt's so vor, als wäre es bald Zeit, Dan ziehen zu lassen, wohin er will.«
Er hätte kein besseres Mittel finden können, um mit einem Male alles Rot aus ihrem Gesicht zu verjagen. Sie wurde weiß bis an die Lippen.
»Dad!«
»Nun, Kate?«
»Du willst doch Dan nicht wegschicken?«
Ehe er noch antworten konnte, lag ihr Kopf schon an seiner Schulter. Sie schluchzte heftig. Er streichelte ihr Haar mit seiner schwieligen, sonnenverbrannten Hand. Seine Augen umflorten sich. Sein Blick schien weit, weit in die Ferne gerichtet.
»Ich hätte es wissen können«, sagte er. Er sagte es wieder und wieder: »Ich hätte es wissen können! Still, du kleines, törichtes Mädel.« Ihr Schluchzen hörte wie mit einem Zauberschlag auf.
»Nicht wahr, du schickst ihn nicht weg?«
»Hör' einmal zu. Ich muß ein offenes Wort mit dir reden«, sagte Joe Cumberland. »Just von der Art, wie du's aufnimmst, wird es abhängen, ob Dan geht oder bleibt. Wirst du zuhören?«
»Von ganzem Herzen, Dad.«
»Hm!« knurrte er. »Das Herz ist just das, was ich hier nicht brauchen kann. Was ich dir erzählen will, ist eine schwere Sache – kann sein, es klingt beinah wie 'n Märchen. Ich hab' dir's Jahr um Jahr verschwiegen. Ich dachte, du würdest selbst die Wahrheit über Dan herausfinden. Aber gerade weil du so sehr in seiner Nähe gelebt hast, scheinst du mit Blindheit geschlagen zu sein. Niemandem würde es ja auch einfallen, an seinem eigenen Gaul herumzumäkeln.«
»Sprich weiter, erkläre mir, was du meinst. Ich werde kein Wort sagen, ehe du fertig bist.«
Er schwieg eine Weile und starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen vor sich hin, um seine Gedanken zu sammeln.
»Kann sein,« sagte er schließlich, »du hast gar nicht gemerkt, daß Dan sich mächtig von dem Schlag Menschen unterscheidet, den man gewöhnlich trifft – und ich kann dir sagen, Kleines, daß ich 'n gutes Teil Menschen unter die Augen bekommen habe. Es gibt eine ganze Masse seltsamer Dinge bei Dan, die dir vielleicht nicht in die Augen gefallen sind. Nimm nur mal zum Beispiel, wie er mit Pferden und anderen Tieren steht. Die wildesten, ungezähmten Mustangs, die keinen Sporn sehen können – die jedem, der sie besteigt, das Genick brechen –, denken nicht daran, sich zur Wehr zu setzen, wenn sie Dans lange Beine in ihren Flanken spüren.«
»Nun, das kommt daher, daß sie wissen, es nützt ihnen doch nichts, wenn sie sich wehren.«
»Kann sein, es ist so! Es kann sein,« sagte er gelassen, »aber es ist doch 'ne mächtig quere Sache, Kate, daß Stücker hundert Männer auf den besten Pferden, die hier herum aufzutreiben sind, abwechselnd hinter Satan hergejagt sind und daß es keinem einzelnen gelungen ist, ihn an den Lasso zu bringen, und daß dann Dan zu Fuß mit einem Halfter und sonst nichts weggeht und nach zehn Tagen zurückkommt und den wildesten Mustang am Zügel führt, der je den Teufel im Leib gehabt hat.«
»Und war es nicht eine großartige Leistung?« sagte sie.
Der alte Cumberland tat einen tiefen Seufzer und schüttelte den Kopf.
»Es steckt mehr dahinter, Kleines. Auch heute gibt's keinen außer Dan, den Satan im Sattel duldet. Wenn je Dan ums Leben kommen sollte, dann könnten andere Leute mit dem Gaul ebensoviel anfangen, wie wenn sie einen Blitz am Schwanz gepackt hätten. Und dann sag' mal selbst, wie ist Dan zu dem Wolf gekommen – Black Bart, wie er ihn getauft hat?«
»Das ist kein Wolf, Dad, das ist ein Hund«, sagte Kate. »Dan sagt's selbst.«
»Gewiß, er sagt's schon,« antwortete ihr Vater, »aber lange Zeit hat sich hier ein einzelner Wolf herumgetrieben und hat mit meinen Kälbern und Füllen den Teufel was angestellt. Und Black Bart entspricht so ziemlich der Beschreibung, die man mir von dem Wolf gemacht hat. Kann sein, du erinnerst dich, daß Dan seinen ›Hund‹ mit einem Schuß in der Schulter in irgendeiner Schlucht da draußen aufgelesen hat. Wenn das Vieh ein regulärer Hund wäre, wie käm' er da zu dem Schuß?«
»Irgendein roher Kerl von Schafhirt kann auf ihn geschossen haben. Was würde das beweisen?«
»Eins beweist es gewiß, daß Dan ein verqueres Menschenkind ist, mächtig verquer! Satan und Black Bart sind heute noch so wild wie am ersten Tag, ausgenommen daß sie ihn als Herrn anerkennen. Aber mit anderen Leuten wollen sie nichts zu tun haben. Black Bart würde jedem an die Kehle springen, der sich auch nur einfallen ließe, ihm einen freundlichen Klaps auf den Kopf zu geben.«
»Aber,« rief sie, »mich läßt er doch mit ihm anstellen, was ich will.«
»Hm!« sagte Cumberland, den dies ein wenig zu überraschen schien. »Kann sein, das kommt daher, daß Dan dich just ein bißchen ins Herz geschlossen hat, Mädel, und daß er dich seinen Lieblingen – der Teufel hol das Viehzeug! – sozusagen vorgestellt hat. Das ist's ja gerade! Wie bringt er's zuwege, daß sein mörderisches Viehzeug dir schön tut und mit jedem anderen umspringt wie der Teufel selbst?«
»Dazu kann Dan doch gar nichts,« sagte sie tapfer, »und es ist keine Rede davon, daß er verquer ist. Satan und Black Bart lassen sich von mir alles gefallen, was mir einfällt, weil sie wissen, ich habe sie gern, und ich habe sie gern, weil sie so prachtvolle Tiere sind.«
»Reden wir nicht mehr darüber«, knurrte ihr Vater. »Kate, du bist genau wie deine Mutter. Wenn du nicht mein kleines, liebes Mädel wärst, würde ich sagen, du bist ein verdammter Dickkopf. Aber sag' mal selbst, hast du denn nie gespürt, daß Dan so ist, wie ich sage – von allen anderen Menschen verschieden? Hast du ihn noch nie gesehen, wenn er richtig toll ist – und wenn's nur 'ne Minute dauert –, und wie dann seine großen, braunen Augen grell aufleuchten von dem niederträchtigen gelben Licht, das darin flackert und das einem einen Schauer über den Rücken jagen kann, als wäre man unversehens auf eine Schlange getreten?«
Sie schwieg, um über seine Worte nachzudenken.
»Ich war einmal dabei, wie er eine Klapperschlange getötet hat«, sagte sie dann mit leiser Stimme. »Dan wartete, bis sie auf ihn losfuhr, und packte sie am Kopf. Mit den bloßen Händen! Ich war nah am Umsinken. Als ich wieder sehen konnte, hatte er der Schlange den Kopf abgeschnitten. Es war – es war einfach fürchterlich.«
»Dann weißt du also, was ich meine, wenn ich sage: Dan ist nicht wie andere.«
Sie zögerte und schloß einen Moment die Augen, als wolle sie einer Tatsache nicht ins Gesicht sehen.
»Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, daß er ein weiches Herz hat und daß er dich mehr liebt, als du ihn liebst.« Ihre Stimme wurde ein wenig unsicher. »O Dad, hast du denn ganz vergessen, wie er fünf Tage und Nächte bei dir gesessen hat, damals, als du draußen in den Bergen krank geworden bist? Und daß du es nur ihm zu verdanken hast, wenn du überhaupt noch lebend nach Hause gekommen bist?«
Der Alte zog die Stirn in Falten, um zu verbergen, wie nahe ihm die Erinnerung ging.
»Ich habe nicht das geringste vergessen, Kate,« sagte er, »und alles, was ich tue, geschieht nur zu seinem eigenen Besten. Weißt du denn eigentlich, worauf ich die ganzen Jahre über hingearbeitet habe?«
»Worauf denn?«
»Ich habe mir alle Mühe gegeben, ihn vor seinem eigenen Selbst zu schützen. Kate, erinnerst du dich denn nicht, wie ich ihn gefunden habe?«
»Ich war damals noch zu klein. Ich weiß nur dies oder jenes, was du davon einmal erwähnt hast. Er hat sich im Gebirge verlaufen. Du hast ihn zwanzig Meilen südlich von hier aufgefunden.«
»Im Gebirge verirrt?« wiederholte ihr Vater leise. »Ich kann mir's nicht vorstellen, daß es ihm je zugestoßen ist, sich zu verirren. Für ein Pferd ist seine Koppel die Heimat. Für uns ist diese Ranch die Heimat. Aber für Dan Barry ist die ganze Wildnis hier Heimat. Du willst wissen, wie ich ihn gefunden habe. Es war Frühling, wenn die Wildgänse schreiend nach Norden ziehen. Nach Sonnenuntergang war's, ich ritt gerade eine Schlucht hinunter, und ich wünschte mir, ich wäre nicht mehr gar so weit von der Ranch weg – auf einmal höre ich ein merkwürdiges Pfeifen. Da war keine einzige Melodie drin, die ein Mensch wiedererkennen konnte. Es war 'ne komische Empfindung. Es erinnerte an irgendeine Sache aus den Märchenbüchern – so was Ähnliches wenigstens. Und es dauert nicht lang, da seh' ich eine menschliche Gestalt oben den Hügelkamm entlangwandern. Weit, weit oben über meinem Kopf flogen Wildgänse eine lange keilförmige Linie, und der Junge läuft und läuft und sieht immer nach den Wildgänsen hinauf, als wollte er ihrer Spur folgen.
Da lief er nun zwischen dem letzten Abendrot und den ersten Sternen, den Kopf in den Nacken geworfen und die Hände in den Taschen vergraben, und pfiff vor sich hin, als käme er geradeswegs aus der Schule und wollte nach Haus. Und wie er pfiff!«
»Noch keiner hat so pfeifen können wie Dan«, sagte sie und lächelte.
»Ich wundere mich und reite zu ihm hinüber«, fuhr Cumberland fort. »›Was tust du denn hier?‹ frage ich. Sagt er und wirft mir 'nen beiläufigen Blick über die Schulter zu: ›Just 'nen kleinen Spaziergang mach' ich und pfeif mir eins. Habt Ihr was dagegen, Mister?‹ ›Nicht das geringste hab' ich dagegen‹, sag ich drauf. ›Wo bist du daheim, Sonny?‹ ›Ich?‹ sagt er und sieht mächtig überrascht drein. ›Gott – da drüben.‹ Und damit schwenkt er die Hand so 'n bißchen nach dem Sonnenuntergang hin. 's war was an dem kleinen Kerl, daß mir richtig das Herz aufging. Ich seh' zu ihm hinunter, in seine großen, braunen Augen hinein, und es ist mir so seltsam zumute. – Well, ich weiß auch nicht, warum es mir so seltsam war; aber in dem Augenblick ist mir's just eingefallen, daß ich keinen Sohn habe. ›Wie heißen deine Leute?‹ frage ich. Ich wurde jeden Augenblick neugieriger. Er sagt nichts, schaut mich bloß an, als hätt' er mich über. Sage ich: ›Wo leben deine Leute?‹ Sagt er: ›Ach, hier herum!‹ und schwenkt wieder die Hand, diesmal gegen Osten. Sage ich: ›Und wann denkst du, daß du nach Hause kommst?‹ Sagt er: ›Ich? Och – mir ist jeder Tag recht.‹ Ich werfe einen Blick auf die öden, düsteren Berge ringsherum, über die die Nacht hereinbrach, dann starr' ich wieder den Jung an, und es kommt etwas über mich wie ein richtiger Hunger nach dem kleinen Kerl. Du kannst dir's ja denken, Kate, er war verirrt, er war mutterseelenallein, ich hatt' noch sein seltsames Pfeifen in den Ohren, und ich konnte nicht anders, immer wieder mußt' ich daran denken, daß ich keinen Sohn hatte. Sage ich dann: ›Na, wie wär's dann, wenn du mitkämst? Morgen schick' ich dich dann mit dem Fuhrwerk heim.‹ Also, die Sache endete damit, daß das kleine Küken vor mir auf dem Sattel saß, als ich nach Haus ritt. Und der pfiff, als müßte ihm die Kehle zerspringen. Wie wir daheim waren, versucht' ich noch einmal, mit ihm zu reden. Er konnte mir nicht sagen – oder er wollte mir nicht sagen, wo seine Leute zu Haus waren, sondern blieb just dabei, daß er mit der Hand über die halbe Windrose fuhr – mächtig großzügig war er darin. Und das ist alles, was ich von seiner Herkunft weiß. Ich habe alles getan, was ich konnte, um seine Eltern ausfindig zu machen. Ich habe überall herumgefragt. Ich habe jedem Rancher in einem Umkreis von hundert Meilen geschrieben. Ich habe es durch die Eisenbahn bekanntmachen lassen, aber dort wurde mir gesagt, es sei niemand als vermißt gemeldet. So kam's 'raus, daß er sozusagen mir gehörte – wenigstens für eine Weile – und mächtig froh bin ich darüber gewesen. Ich hatt' 'ne Kammer frei, da wurde das Küken einquartiert. In dieser ersten Nacht habe ich noch lange wach gesessen und den Rufen der Wildgänse gelauscht, die über den Dachfirst zogen, und ich hab' mich selbst immer gefragt, warum ich eigentlich so glücklich bin. Kate, in der Nacht haben mir mehr als einmal die Tränen in den Augen gestanden, wenn ich daran dachte, wie das kleine Wurm so fidel und furchtlos da draußen in den Bergen herumstrolchte.
Am nächsten Morgen war er verschwunden. Ich laß die Cowboys holen, damit sie ihm nachreiten. ›Wohin sollen wir reiten?‹ fragen sie. Ich wußt' es selbst nicht, warum mir da gerade die Wildgänse einfielen. Also sag' ich: ›Reitet nach Norden‹. Und richtig, sie reiten nach Norden, und sie finden ihn. Danach brauchte ich weiter keine Sorgen um ihn zu haben wegen des Weglaufens. Wenigstens, solang's noch Sommer war. Damals hab' ich tagein, tagaus und Monat um Monat Pläne geschmiedet und mir ausgedacht, wie ich mich des Jungen annehmen wollte, der mir ins Haus geschneit war. Gott schien ihn mir geschenkt zu haben, weil mir selbst ein Sohn versagt geblieben ist. Alles ging gut, bis der Herbst kam und die Gänse ihren Zug nach Süden antraten. Und richtig, Dan ist wieder davongelaufen. Ich schicke meine Cowboys nach Süden. Sie finden ihn und bringen ihn zurück. Wie sie zurückkommen und ich seh' ihn zum erstenmal wieder – es war mir zumute, als hätte mir einer die halbe Welt zum Geschenk gemacht. Aber ich sah auch, ich mußte der Sache mit dem Weglaufen endlich mal ein Ende machen. Ich versuchte ihm gut zuzureden, aber er wollte nichts hören. Sagt bloß: es wär' besser, er macht, daß er wegkommt. Ich dachte, ich müßte einmal ein Exempel statuieren und sage ihm, ohne Strafe käme er diesmal nicht davon. Ich nahm mir eine Reitpeitsche – es war ein ganz leichtes Ding – und schick' mich an, ihm eine Tracht Prügel zu geben. Er nimmt's hin, ohne ein Glied zu rühren, lächelt mich bloß immer an. Aber in seinen Augen glüht dir plötzlich ein gelbes Licht – es war mir mit einem Male zumute, als wäre einer mit dem gezückten Messer hinter mir und grinste genau so infernalisch wie das Wurm. Was bleibt schließlich übrig, ich drück' mich rückwärts aus der Tür, und seit dem Tag hat keiner je versucht, Hand an ihn zu legen. Noch heute, glaube ich, hat er mir's nicht ganz verziehen.«
»Aber!« rief Kate. »Er hat bei mir nie ein Wort darüber fallen lassen.«
»Ganz recht, und gerade deshalb weiß ich, daß er's nicht vergessen hat. Kate, damals hab' ich ihn in seinem Zimmer eingeschlossen, aber er wollte und wollte mir nicht versprechen, daß er nicht wieder davonläuft! Auf einmal fällt mir was ein. Damals warst du noch ein kleines Kind, das sich kaum auf den Füßen halten konnte. Und gerade an dem Tag hattest du den ganzen Tag geschrien wie besessen. Auf einmal denke ich, ich bring' dich in Dans Zimmer. Und das tu' ich auch. Gerade die Tür aufgeschlossen habe ich und dich hineingeschoben und dann wieder zugemacht. Zunächst hast du geschrien, als ob du am Spieße stäkst. Ich kriegte schließlich richtig Angst, daß du dir mit deinem Geschrei selber einen Schaden tust. Ich war schon auf dem Sprung, um dich wieder herunterzuholen. Auf einmal hör' ich, wie Dans Pfeifen abbricht. Und es dauert kaum 'nen Augenblick, da hörst du auf zu schrein. Ich horche hinauf und wundere mich. Seit damals hab' ich nicht mehr nötig gehabt, Dan in seinem Zimmer einzuschließen. Ich war sicher, er wird bei uns bleiben – um deinetwillen! Aber jetzt, mein Kleines, komme ich zum Schluß meiner Geschichte. Und ich will dir ohne Beschönigung mal zeigen, wie ich die Sache auffasse.
Ich habe Dan beobachtet – beinahe wie ein Vater sein Kind beobachtet. Ich denke, er hat mich gern – auf seine Art –, aber ich hab' es mir nie ganz abgewöhnen können, vor ihm 'ne Art von Angst zu haben. Weißt du, ich hab's niemals vergessen können, wie ich ihn mit der Reitpeitsche bearbeitete, und er lächelte mich an. Aber – jetzt hör' mal genau zu, Kate – seit damals hat mich diese Sorte Furcht niemals mehr verlassen – und ich kann sagen, es ist das einzige Mal, daß ich vor irgendeinem Menschen Angst gehabt habe. Wenn man vor Dan Angst hat, so ist's auch gar nicht, als ob man einen Menschen fürchtete – es ist eher, als ob man vor einem Panther Angst hätte. Und nun nimm mal alles zusammen, wie's ist – all das, was an Dan so seltsam ist – die quere Art, wie ich ihn ohne ein Zuhause gefunden habe und ohne daß er sich nach einem Zuhause gesehnt hat – den seltsamen Einfluß auf wilde Tiere, den er hat – sie scheinen's ihm einfach an den Augen abzulesen, was er will –, und dann das unheimliche gelbe Licht, das in seine Augen kommt, wenn er mal richtig die Besinnung verliert – du und ich, wir haben's beide nur einmal gesehen, aber keiner von uns möcht' es noch einmal erleben! Aber's gibt noch mehr, und das ist die Art, wie er mit dem Messer und mit dem Schießeisen umgeht. Er hat nicht viel Gelegenheit, sich im Schießen zu üben, aber ich habe noch nie gesehen, daß er an irgendeinem Ziel vorbeigeschossen hat – das vernünftigerweise zu treffen war – im übrigen kommt's auch da nicht viel drauf an – er trifft auch ein Ziel, wo man es vernünftigerweise gar nicht erwarten kann. Ich habe mit ihm darüber geredet, er sagte: ›Ich weiß auch nicht, wie's zustande kommt. Bloß ich begreif nicht, wie einer danebenschießen kann. Es ist so einfach. Wenn ich den Revolver herausziehe, dann kommt mir's immer vor, als wäre eine gerade Linie vom Lauf zu dem Ziel hin durch die Luft gezogen, das ich aufs Korn genommen habe. Ich brauche weiter nichts zu tun als abzudrücken – ich könnte geradeso gut die Augen zumachen‹. – Nun, Kate, fängst du nun an und begreifst, worauf das alles hinausläuft?«
»Sage mir erst, was du drin siehst,« antwortete sie, »und dann will ich dir erst sagen, was ich von alledem denke.«
»Allright,« sagte er, »ich sehe in Dan einen Menschen, der nicht vom selben Schlag ist wie die gewöhnliche Sorte. Ich hab' mal ein Buch gelesen, in dem die Zeit beschrieben wurde, wo die Menschen genau so gelebt haben wie die Tiere und keine Waffen hatten außer Keulen und Steinen. Ihre Muskeln müssen zwei- oder dreimal so stark gewesen sein, wie in heutigen Zeiten – solche Muskeln müssen es gewesen sein wie die Muskeln wilder Tiere – und ihr Gehör und ihr Auge, ihre Raschheit und Ausdauer müssen just dreimal so groß gewesen sein wie die von einem gewöhnlichen Menschen. Kate, ich denke immer, Dan ist einer von der Sorte, wie sie in diesem Buch geschildert wurden. Er kennt Tiere, weil er dieselben Gaben hat, die sie haben. Und wenn ich an das gelbe Licht in seinen Augen denke, dann weiß ich auch, daß er denselben Kampfinstinkt hat, wie ihn die Urmenschen gehabt haben. Bis jetzt ist es mir gelungen, ihn von anderen Männern fernzuhalten. Ich kann dir auch sagen, daß darin der Hauptgrund liegt, daß ich Morgans Kneipe aufgekauft habe. Ich wollte nicht, daß der Pfeifende Dan mit den Kampfhähnen bei Morgan zusammengerät. Du siehst, ich habe alles getan, um ihn vor sich selbst zu bewahren. Er ist mein Junge, wenn irgendeiner überhaupt ein Recht auf ihn hat. Es kann sein, mit der Zeit wird er auch zahm werden. Aber ich denke, es wird nicht so weit kommen. Es ist genau dasselbe, wie wenn du dem Panther ein Junges wegnimmst, oder dem Wolf. Du versuchst dir das kleine Vieh als Schoßtier großzuziehen. Eines Tages lernt es doch kennen, wie Blut schmeckt – und wenn's sein eigenes Blut ist –, und dann wird es rasend und bekommt Lust am Töten. Und das ist meine große Furcht, Kate. Bis jetzt hab' ich's erreicht, daß Dan mit keinem einzigen in Streit geraten ist, aber ich rechne, wir werden den Tag erleben, wo einer ihm auf die Zehen tritt, und dann wird's sein, als hätte einer einen Orkan losgelassen, der hier herum alles in Grund und Boden schmettert.«
Sie hatte ihm mit steigendem Zorn zugehört. Jetzt sprang sie auf.
»Ich kann dir einfach nicht glauben, Dad«, sagte sie. »Ich würde Dan eher trauen, als irgendeinem anderen Menschen auf der Welt. Und ich denke, du hast auch nicht im geringsten recht.«
»Ich muß Tollkraut gefressen haben,« seufzte Cumberland, »daß ich mir hab' einbilden können, es würde mir gelingen, eine Frau zu überzeugen. Laß das Ganze sein, Kate! Wir sind jetzt so weit, daß Morgans Kneipe verschwindet, und ich denke, damit ist alle Gelegenheit weggeräumt, die Dan in Versuchung führen könnte. Wir wollen abwarten, ob er sich nicht mit der Zeit ändert. Jetzt muß ich hinüber nach der ›Strich-XO‹-Ranch, und ich werd' erst heute nacht spät zurückkommen. Nur um eins möchte ich dich noch bitten. Ich habe Morgan gesagt, er soll sich hüten – ich will nicht, daß heute noch bei ihm herumgeschossen wird. Falls du Schüsse hören solltest, reite zu Morgan hinüber und erinnere ihn daran, daß er versprochen hat, den Leuten die Revolver abzunehmen.«
Kate nickte, aber ihr Blick war starr ins Weite gerichtet. Was sah sie? Die gelbe Flamme, die sie einmal in Dan Barrys Augen hatte flackern sehen.