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Fünfunddreißigstes Kapitel

Beim ersten Aufdämmern des neuen Tages machten sich Jim und Harry mit den beiden Sachverständigen, die der Sheriff besorgt hatte, auf den Weg. Naxon selbst begleitete sie, weil es ihn interessierte, festzustellen, was auf so einer alten Ranch außer Gras noch wachse, wie er sagte.

Devon blieb den ganzen Vormittag zu Hause, um das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten, aber es wurde Nachmittag, ehe er den Sheriff auf schweißbedecktem Pferd ankommen sah. Er eilte hinunter und traf mit ihm vor der Tür des Kosthauses zusammen.

Naxon war blaß und so aufgeregt, daß seine Finger zitterten, als er sich eine Pfeife stopfte.

Die Sache hatte ihre Richtigkeit, ja übertraf die kühnsten Träume. Wenn auch nicht der ganze Boden Gold barg, so waren die Stellen, an denen es sich befand, um so ergiebiger. Nach Ansicht der Sachverständigen handelte es sich dabei um das ehemalige Bett eines reißenden Flusses, der in unvordenklichen Zeiten die goldhaltigen Quarzbrocken aus dem Hochgebirge herabgespült hatte. Wie groß die Ausbeute sein würde, war natürlich noch nicht genau abzusehen, beide Sachverständigen aber schätzten sie so hoch, daß Devon ein ganz ungeheuerliches Vermögen sicher war, zumal der Abbau keine großen Kosten beanspruchen würde.

Vorläufig wußte West-London noch nichts von dem glücklichen Fund, aber lange konnte diese Neuigkeit natürlich nicht geheimgehalten werden, und dann würde die ganze Stadt, so versicherte der Sheriff, voraussichtlich wahnsinnig werden. Jeder einzige West-Londoner würde sich natürlich sofort aufmachen, um den Lauf des ehemaligen Flußbettes ober- und unterhalb der Devon-Ranch einer eingehenden Prüfung zu unterziehen – und das mußte, seiner Meinung nach, verhütet werden.

Aus seinem Rockschoß holte Naxon dann sein Halstuch hervor und zeigte Devon verstohlen eine Anzahl glitzernder Goldkörner.

»Das ist das Ergebnis eines kleinen Versuches«, sagte er ganz außer sich. »Was meinen Sie, was wir da rausholen, wenn die Geschichte erst richtig und mit den nötigen Werkzeugen betrieben wird!«

Devon ließ der begeisterte Bericht des Sheriffs merkwürdig kühl. Er war auch nur auf dessen ausdrückliche Bitte hier in dem Kosthaus geblieben, denn Naxon hatte erklärt, daß, wenn ihn jetzt noch eine zufällige Kugel treffe, die Besitzrechte an der Farm sehr zweifelhaft sein würden, und um nicht die beiden alten Freunde seines Vaters um den erwarteten Reichtum zu bringen, hatte er dem Drängen des Sheriffs nachgegeben.

Naxon bestand darauf, daß er auch weiter auf seinem Zimmer bleibe. Gar zu lange würde diese freiwillige Haft ja nicht mehr dauern, denn er, der Sheriff, werde zuverlässige Männer anwerben, die unter der Leitung der Sachverständigen und unter Aufsicht der beiden Alten die Arbeiten auf der Ranch nach Möglichkeit beschleunigen würden.

Nachdem Naxon davongeritten war, stieg Devon wieder in sein Zimmer hinauf. Seine Gedanken beschäftigten sich mehr mit seinen unbekannten Feinden als mit dem, was der reiche Goldfund für ihn und seine Zukunft bedeutete.

Wenn er jetzt auch die Beweggründe jener Leute kannte, die nach seinem Lande trachteten, sie selber waren noch immer im Dunkeln, denn der Verdacht, der auf Vinzent Tucker und Les Burchard gefallen, genügte natürlich nicht, mit Hilfe des Gesetzes gegen sie vorzugehen – daß sie aber ihre Angriffe auf ihn noch lange nicht aufgeben würden, ging ja schon aus der Besorgnis des Sheriffs um ihn hervor.

Als die Sonne sich zum Horizont neigte, fiel Devon seine Verabredung mit ›Hans im Glück‹ wieder ein.

So weit konnte seine Rücksicht auf Harry und Jim natürlich nicht gehen, daß er darüber ein gegebenes Wort nicht hielte! Überdies würde er ja im Schutze der Dunkelheit sicher genug sein.

Da er den jungen Mann, dessen frisches, reckenhaftes Wesen ihm ungemein gefiel, nicht enttäuschen wollte, ging er zunächst einmal in den Schankraum hinunter, um von dem Zapfer zu erfahren, wo sich das Haus befand, in das er jenen führen wollte.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch, daß Gregory Wilson ein sehr angesehener Mann war, dessen Ruf nichts zu wünschen übrig ließ. Er lebte nicht in allzu glänzenden Verhältnissen und ernährte sich als Jäger und Fallensteller, besaß aber auch einige wenige Kühe und verdiente sich gelegentlich etwas Geld, indem er Fische in die Stadt zum Verkauf brachte.

Devon sattelte also die braune Stute, deren Besitz ihm noch immer niemand streitig gemacht hatte, und ritt nach der Schlucht.

Für alle Fälle hatte er sich stark bewaffnet: in dem langen Futteral neben seinem rechten Knie stak ein Winchester-Repetiergewehr, in den Sattelhalftern ein Paar schwere Colts, außerdem aber trug er seine Lieblingswaffe in einem Sprungfederhalfter in der linken Achselhöhle. Es war zwar kaum anzunehmen, daß er angegriffen werden würde, denn in der Zwischenzeit hatten seine Feinde sicher erfahren, was sich draußen auf der Devon Ranch ereignet hatte, und ihre Aufmerksamkeit würde also voraussichtlich in der Hauptsache seinem Besitz und weniger seiner Person gelten.

In der Schlucht war es still, nur ab und zu vernahm man die Stimmen einiger Arbeiter, die sich verspätet hatten und jetzt die Zickzackpfade hinaufhasteten. Doch die klangen so fern und gedämpft, daß sie den Abendfrieden rings nur noch fühlbarer machten.

Es war hier unten schon vollkommen Nacht. Wiederholt sah Devon hinter sich, aber nichts rührte sich.

Plötzlich hörte er hinter einem Felsblock hervor einen leisen Pfiff – im gleichen Augenblick lagen beide Colts schußfertig in seinen Händen, doch da rief jemand seinen Namen, und er erkannte die Stimme von ›Hans im Glück‹.

»Ich fürchtete schon, ich hätte Sie verpaßt«, sagte er, auf Devon zureitend. »Wo entlang geht es denn?«

»Geradeaus.«

»Und wohin?«

»Nach dem Haus eines gewissen Gregory Wilson.«

»Ach, den kenn ich.«

»Gut?«

»Einigermaßen gut«, erwiderte ›Hans im Glück‹ lachend. »Ich bin ihm mal begegnet, als ich mich mit den Fahrgästen einer Postkutsche zu beschäftigen hatte, und bei der Gelegenheit hab ich ihn auch um ein paar hundert Dollar geschwächt. Da er nicht allzu wohlhabend aussah, fragte ich ihn, ob er den Verlust auch verschmerzen könne – was, meinen Sie, hat er mir darauf geantwortet?«

»Wahrscheinlich doch, daß der Verlust ihn zugrunde richten würde?«

»Ach, keine Ahnung – er sagte nur, er hätte schon mehr Geld eingebüßt! Dann erfuhr ich aber, daß er in sehr ärmlichen Verhältnissen lebt, und da habe ich ihn in seinem Haus besucht und ihm das Geld zurückgegeben.«

»Das war jedenfalls verdammt anständig gehandelt«, sagte Devon herzlich, »Sie führen hier zwar ein recht absonderliches Leben, aber ich verstehe, daß nicht der Gewinn, sondern das tollkühne Spiel sie reizt.«

»Na, und Sie? Ist's bei Ihnen vielleicht anders?«

»Im Grunde wohl nicht –«

»Sie nehmen den Menschen das Geld mit Ihrem Verstand ab, ich mit dem vorgehaltenen Revolver – ist der Unterschied wirklich so wesentlich?«

»Nein – Sie haben recht«, erwiderte Devon. »Außerdem lag es nicht in meiner Absicht, Ihnen Moral zu predigen.«

»Das weiß ich. Was wollen wir denn bei diesem Wilson?«

»Ihre Schwester behauptet, daß sie in seinem Hause lebt.«

»Zum Teufel noch mal«, rief ›Hans im Glück‹, »und ich hab sie in West-London selbst gesucht!«

»Es ist auch noch nicht erwiesen, daß Sie damit nicht das Richtige getan haben.«

»Wieso? Zweifeln Sie –«

»An allem!«

»Aber an Mabel brauchen Sie nicht zu zweifeln; das werden Sie sehen, wenn Sie sie erst näher kennen.«

Devon zuckte die Achseln.

»Glauben Sie denn, daß dieser Wilson uns wahrheitsgemäße Auskunft geben wird?« fragte er.

»Aber sicher – nachdem ich so rücksichtsvoll gegen ihn gewesen bin, kann er doch kaum anders handeln.«

»Das nehme ich auch an«, erwiderte Devon, »und so wäre wohl die ganze Angelegenheit mit einer Frage, die Sie an den Mann stellen, erledigt – nicht?«

»Gewiß, ich brauche nur zu fragen, ob meine Schwester bei ihm wohnt. Übrigens das Haus da oben ist Wilsons – das mit dem erleuchteten Fenster im Obergeschoß. In fünf Minuten werde ich Mabel wiederhaben – ich kann Ihnen ja gar nicht sagen, wie von Herzen dankbar ich Ihnen dafür bin!«

Devon schwieg – er war verbittert und überzeugt, daß er niemandem mehr trauen dürfe, am allerwenigsten dem gefährlichen, jungen Menschen da an seiner Seite.


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