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Drittes Kapitel

Da keine weiteren Lichtsignale gewechselt wurden, schloß Devon sich einer Anzahl von Gästen an, die in den Spielsaal drängten, wobei er Nummer Eins aus dem Auge verlor. Während er dann, um nicht aufzufallen, am nächsten Roulette ein paar Geldstücke setzte, entdeckte er an einem Pharo-Tisch Nummer Zwei, der einen recht beträchtlichen Haufen von Münzen vor sich liegen hatte.

Zweifellos war der Mann ein Halbblut, das bewiesen die hohen Backenknochen und der eigentümlich verschleierte Ausdruck seiner Augen. Überdies spielte er wie ein Indianer, das heißt: der größte Gewinn ließ ihn genau so gleichgültig wie der schwerste Verlust.

Nachdem er ihn genügend beobachtet hatte, brach Devon auf, denn Roulette verachtete er ebenso wie das Pharo-Spiel, an denen, seiner Meinung nach, nur Betrunkene oder vollendete Idioten Vergnügen finden konnten, da es bei beiden ausschließlich auf Glück ankam.

Es war kurz nach zehn Uhr, als er Mrs. Purleys Haus erreichte, das größte Kosthaus von West-London. Herr Purley hatte es ursprünglich als Kneipe und Spielhölle gegründet, doch da ihm das Roulette nicht rasch genug so viel einbrachte, wie er gehofft, hatte er an der Drehvorrichtung eine kleine Änderung vorgenommen, durch die er das Glück auf seine Seite zwingen konnte. Leider hatte sich ein allzu neugieriger Cowboy die Sache einmal näher angesehen und dann Mr. Purley zwei Kugeln ins Gehirn gejagt.

So stand das große Haus verwaist, und da Mr. Purleys Schulden erheblich waren, sollte es versteigert werden. Doch Mrs. Purley kam gerade noch rechtzeitig aus dem Osten an, um den Auktionator mitsamt den Bietern zum Tempel hinauszuwerfen.

Zunächst reinigte sie einmal das ganze Haus sehr gründlich, dann teilte sie die großen Räume durch dünne Zwischenwände in viele kleine, hing in ihnen Hängematten als Betten auf und machte – ein riesiges Geschäft. Sie war eine sehr energische Dame, stand oft höchstpersönlich hinter dem Schanktisch und hatte bereits mehrmals lärmende Störenfriede mit Bierflaschen niedergeschlagen und sie dann eigenhändig auf die Straße hinausgeschleift.

Als Walt Devon heimkam, fand er die wackere Mrs. Purley im ›Lesezimmer‹ – dreimal am Tag diente dieser nämliche Raum zwar als Speisezimmer, in der übrigen Zeit aber stand er den Gästen als Lesezimmer zur Verfügung.

Im Augenblick war außer der Wirtin niemand darin.

»Sie haben wirklich ein ruhiges Haus, Mrs. Purley«, sagte Devon in ehrlicher Anerkennung.

»Jawohl, ruhig ist's«, erwiderte sie bitter, »keine Musik, kein Laut, nicht einmal die Pfropfen der Bierflaschen knallen! All diese Dickschädel kommen zu mir nur, um von Mitternacht bis zum Morgen zu schnarchen – tatsächlich, ich möchte lieber Drehorgelspieler in Neuyork als Maienkönigin in einem so gottvergessenen, toten Nest wie hier sein!«

»Das ist, weil die Leute einen so großen Respekt vor Ihnen haben, Verehrteste«, entgegnete Devon.

»Ach, Sie meinen, weil ich ab und zu mal ein paar mit blutigen Köpfen nach Hause geschickt habe? Nein, nein, das ist es nicht, die Leute hier haben keinen Sinn für richtige Geselligkeit!«

Dabei schlug sie mit ihrer furchtbaren Rechten so entschieden auf den Tisch, daß dieser bedenklich ächzte.

»Wollen wir zusammen noch was trinken?« fragte Devon höflich.

»Vielleicht«, antwortete sie schmelzend, »wenn es mir gelingt, den Faulpelz von Zapfer wach zu bekommen.«

»Wahrscheinlich arbeitet der Mann zu lange.«

»Der? Lächerlich! Ein Leben führt er wie Gott in Frankreich! Es gibt doch nichts Schöneres, als den ganzen Tag im Kühlen zu stehen und die Leute zu bedienen. Ich würde das am liebsten selbst tun, aber leider fühlen sich die meisten Gäste beengt und unfrei in Gegenwart einer Dame, denn nicht alle meine Gäste sind wirkliche Gentlemen wie Sie, Mr. Devon.«

Sie gingen in den angrenzenden Schankraum, wo Mrs. Purley mit einem energischen Klaps den friedlich schlafenden Kellner weckte, der ihnen dann das schäumende Bier brachte.

»Beteiligen Sie sich auch an dieser schrecklichen Jagd nach dem Gold?« erkundigte sich die trinkfeste Wirtin, die ihr Glas auf einen Zug geleert hatte.

»Gewiß, aber nur auf dem Umweg über die Karten«, erwiderte Devon.

»Das ist auch das einzige Vernünftige«, stimmte Mrs. Purley ihm bei, seufzte tief und fuhr dann fort: »Wie gut könnte ich es jetzt haben, wenn mein seeliger Jim es nicht so grenzenlos ungeschickt angefangen hätte, der dumme Esel!«

In dem ›Lesezimmer‹ nebenan wurde ein Stuhl gerückt; Devon spähte vorsichtig durch die nur angelegte Tür und erkannte das hübsche Gesicht von Nummer Zwei, der sich gerade am Tisch niederließ und eine Zeitung vor sich ausbreitete.

»Wer ist denn das?« fragte er leise die Wirtin.

»Ein gewisser Grierson«, erwiderte diese.

»Er sieht recht gut aus«, meinte Devon weiter.

»Das ist aber nur äußerlich – im Verbrecherviertel von Neuyork sieht man diese Sorte zu Hunderten. Wie heißen doch gleich die weißen Blumen, die gelb werden und verwelken, wenn man sie anfaßt? Ja, richtig: weiße Kamelien! So eine ist der, und unter der Achselhöhle trägt er sicher einen sechsfach geladenen Colt. Sehen Sie sich diese langen, geschmeidigen Finger an – noch nie haben die eine ehrliche Arbeit geleistet. Solche hübschen Jungens, wie der, drücken in Manhattan die Preise, so daß die Ermordung eines Bankpräsidenten kaum noch fünfzig Dollar einbringt. Auf Wiedersehen, mein lieber Mr. Devon, es war mir ein wirkliches Vergnügen, mich mit Ihnen einmal aussprechen zu dürfen. Wenn irgend jemand in meinem Haus Sie stören sollte, lassen Sie es mich nur wissen, ich werde Ihnen schon Ruhe schaffen. Recht gute Nacht denn!«

Damit rauschte sie weitausschreitend hinaus, Devon aber ging ins Lesezimmer, suchte sich gleichfalls eine Zeitung, die nicht viel mehr als einen Monat alt war, und vertiefte sich scheinbar in deren ›Neuigkeiten‹.

Nach einer Weile zog er verstohlen die Uhr: es war ein Viertel vor elf. Wenn die Sache also klappte, wie sie vereinbart war, sollte der Herr Mörder da drüben in fünfzehn Minuten hier in diesem Hause in Tätigkeit treten. Devon nahm sich vor, gleichfalls zur Stelle zu sein, wenn es soweit wäre.

»Haben Sie vielleicht ein Streichholz?« fragte da Grierson.

Devon reichte ihm seine Schachtel über den Tisch hinüber, Grierson zündete sich eine Zigarette an und gab die Schachtel mit lebhaften Dankesworten zurück. Man merkte ihm an, daß er gern eine Unterhaltung geführt hätte.

»Geht es eigentlich in Burchards Spielsaloon beim Pharo ehrlich zu?« fragte er schließlich, um ein Gespräch einzuleiten.

»Keine Ahnung, ich habe nie mitgespielt«, erwiderte Devon.

»Dann lassen Sie auch lieber die Hände davon«, entgegnete Grierson eifrig. »Ich glaube, man wird maßlos betrogen.«

»So?«

»Ja, sicher – neulich war ich mal drauf und dran, den Leuten das Handwerk zu legen, aber dann habe ich mir gesagt, daß es ja doch keinen Sinn hat.«

»Na, erlauben Sie mal – Falschspieler zu entlarven, ist doch ein verdienstliches Werk und eigentlich Pflicht jedes Gentleman.«

»Wieso?« gähnte Grierson. »In so einem Spielsaloon verlieren die Leute ja doch; ob sie ihr Geld ein wenig schneller oder langsamer loswerden, ist im Grunde höchst gleichgültig – meinen Sie nicht auch?«

Devon zuckte die Achseln, der andere schwatzte weiter.

Als es nur noch fünf Minuten vor der angesetzten Zeit war, warf Devon ab und zu eine Frage ein, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen – vielleicht gelang es ihm, den Mörder hier festzuhalten, so daß er seinen Auftrag versäumte.

Irgendwo fing eine Uhr zu schlagen an. Grierson brach mitten im Worte ab und lauschte, machte jedoch keinerlei Anstalten, aufzustehen und den Raum zu verlassen, sondern sah mit einer gespannten Neugier Devon ins Gesicht. Diesem wurde mit einemmal klar: er hatte die Lichtzeichen richtig gedeutet, auf Punkt elf Uhr war ein Mord tatsächlich angesetzt, und – aus einem geheimnisvollen und ihm unerklärlichen Grunde war er selbst das Opfer des geplanten Verbrechens!


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