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Robespierre.
Gezeichnet von J. Guerin, gestochen von Fiesinger.
Wien, Porträtsammlung der Nationalbibliothek

I. Ein bürgerlicher und ein königlicher Jüngling

Um das Jahr 1765 herum verschwand der Rechtsanwalt Maximilien Robespierre plötzlich und für immer aus seinem behäbigen Haus in der Rue des Rapporteurs zu Arras, das bis vor kurzem ein Haus des Glücks zu sein schien. Verschwand aber nicht etwa als betrügerischer Sachwalter mit unterschlagenen Geldern, war auch nicht das Opfer eines geheimnisvollen Verbrechens geworden, sondern entwich in die Fremde, weil er den Tod seiner kürzlich verstorbenen heißgeliebten Frau nicht verwinden, nicht weiter an der Stätte leben konnte, wo die Trümmer seines zerschlagenen Eheglücks lagen. In die Ferne zog er, durchquerte fremde Länder, ließ sich schließlich in München nieder, wo er Sprachstunden gab und bald starb, ohne daß je wieder Kunde von ihm in die alte Heimat gelangt wäre …

Vier kleine Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen, hatte er verwaist und mittellos zurückgelassen. Zur Zeit seines Entweichens zählte das älteste, Maximilien (geb. 6. Mai 1758), sieben, das jüngste, Augustin (geb. 21. Januar 1763), erst zwei Jahre. Für sie war das Vaterhaus ein Haus des Unglücks geworden, und mancher Freund des entflohenen Rechtsanwalts mochte mitleidig im stillen fragen, was wohl mit diesen vier kleinen Waisenkindern würde.

Es wurde mit ihnen, was mit allen wird, denen ein grausames Geschick schon im zartesten Alter die beiden Menschen entreißt, die nach einem unverlöschbaren Gebot der Natur sich niemals völlig von uns lösen können. Zwei unvermählte Schwestern des schweifenden Rechtsanwalts erzogen die Mädchen, Charlotte und Henriette, der Vater der verstorbenen Frau Robespierre, der Brauer Carrault, nahm die Knaben in sein Haus. Ein guter Großvater, fürsorgliche Tanten – aber es ist nicht das Elternhaus, und niemand kann die süßzärtlichen Worte und Gebärden der Mutter finden, mit denen sie wohl ihren Jüngsten herzte oder ihrem ernsthaften Ältesten liebkosend über das Haar glitt. Vielleicht hatte sie von all ihren Kindern diesen stillen Knaben am meisten geliebt, denn nur um seinetwillen hatten ihre Eltern den Widerstand gegen die Verbindung mit dem geliebten Mann aufgegeben und eingewilligt, daß ihre Tochter den Mann heiratete (3. Januar 1758), an den sie schon ihr Kränzlein verloren hatte.

Die Mutter war gestorben – dies konnte der Siebenjährige wohl schon verstehen. Der Vater aber – – nein, dies ging gewiß über das Fassungsvermögen eines Kindes hinaus. Diesen Mann, dessen angekränkeltes Hirn nicht Herr werden konnte über einen großen Schmerz, den sein Leid von Haus und Kindern wegjagte, in die Welt hinaus, von dem sie nie wieder hörten, an dessen Grab sie nie weinen und beten konnten … nein, diesen Vater hat der kleine, stille Maximilien wohl nicht verstehen können!

Vermutlich hat der Siebenjährige oft über all diese Dinge nachgegrübelt, denn gleich allen Kindern, die früh Unglück kennenlernen, war er über seine Jahre hinaus reif und verschlossen. »Der Ernst des Lebens« war für diesen kleinen Jungen schon kein bloßes Wort mehr, war ein Begriff geworden, und weil er ein schwerblütiges und zugleich ein zärtliches Kind war, wuchs in ihm schon frühzeitig ein starkes Verantwortungsgefühl empor, als müsse er den jüngeren Geschwistern Schutz und Fürsorge gewähren.

Vorerst konnte davon natürlich nicht die Rede sein. Vorerst mußte er gleich anderen Jungen aus gutbürgerlicher Familie die Schule besuchen und statt mit den Rätselschicksalen seiner Familie mußte er sich mit den Geheimnissen des Lateins und andren Dingen vertraut machen, die ungemein wichtig sind und manchem Knabenkopf solchen Schrecken einjagen, daß sie ihm noch nach Jahrzehnten als Nachtmahr erscheinen.

Doch der junge Maximilien begeisterte sich gleich für all den Lernstoff, der seinen fröhlicheren Altersgenossen vielleicht langweilig oder unnütz vorkam. Er war in jeder Hinsicht ein Musterschüler, dessen Fähigkeiten und Fleiß die Lehrer nicht genug loben konnten, und sein ganzes Wesen war höflich, still, schien jeder Gefühlswallung ebenso abhold wie wilden Knabenspielen, dagegen Tieren mit großer Liebe zugetan. Wenn seine Mitschüler sich in ihren Freistunden lachend miteinander abbalgen, lärmend, tollend durch die Straßen jagen, sitzt er bei einem kleinen Schwarm zahmer Tauben, die er züchtet, und die er mit einer Sorgfalt hegt und füttert, als wäre er ein Vater und sie seine Kinder. Absonderlich und rührend wirkt dieser blasse, schmächtige Knabe, der einsam dasteht, nur von seinen Tauben umschwirrt, die ihm Körner und Krumen aus den Händen und von den schmalen Lippen picken …

Die Jahre gingen hin. Aus dem Siebenjährigen war ein Elfjähriger geworden, und in das Haus, das einst vom Unglück gezeichnet schien, bringt nach Kummer und Sorgen er die erste Freude. Freude für Großvater und Tanten, Stolz für sich selber. Um seiner Begabung und seines Fleißes willen darf er als Stipendiat des Abtes von Saint-Waast eine Freistelle im Collège Louis-le-Grand zu Paris beziehen …

Paris – gehässig, gruselnd und dennoch bewundernd spricht die Provinz den Namen. Paris – das ist Glanz, Verschwendung, Lust, Geist, Macht. Paris – das ist Armut, Hunger, Frevel, Widerspenstigkeit gegen Gott und die von ihm eingesetzte Obrigkeit. Ja, wahrhaftig, dies alles ist Paris, und nicht nur in der Provinz sondern auch im übrigen Europa gibt es Leute, die meinen, Paris schließe den ganzen Erdkreis in sich ein. Aber was wäre der Erdkreis, wenn ihm nicht die Sonne ihr Licht spendete?! Dunkel läge er, und dunkel läge Paris, spendete ihm nicht seine eigene Sonne – Versailles – jenes Licht, das ganz Europa fasziniert … Wenn die Provinz sagt »Paris«, so meint sie »Versailles«, das Märchenschloß, in dem des Sonnenkönigs große Tage, umrauscht von Siegespalmen, dahingeschritten sind, und in dem jetzt der fünfzehnte Ludwig sein ebenso vergnügliches wie unrühmliches Dasein führt. Ihm rauscht keine Siegespalme, wohl aber knistert höhnisch das Blatt Papier, auf dem er den schmählichen Frieden von 1763 unterzeichnen mußte, der in Europa eine neue Großmacht – Preußen – erstehen ließ und Frankreich seine schönsten Kolonien kostete.

Den fünfzehnten Ludwig ficht dies alles nicht an. Ihn ficht überhaupt nichts an, was nicht seine eigene Person und seine Ausschweifungen betrifft. Er hat zwar niemals das Wort gesprochen: »Nach uns die Sündflut!«, doch er hat dem zynischen Wort gemäß gelebt, und mit Fug und Recht hat das Volk an sein erzenes Standbild die bitterbösen Verse geheftet:

»Auch in Versailles ist er aus Erz,
Denn hier wie dort fehlt ihm das Herz.«

Aber eben weil ihn nichts anficht, gleicht Versailles, die Sonne von Paris, immer noch einer Insel der Seligen, an deren Gestade Harm und Nöte des Lebens zerschellen. Puderwölkchen umstäuben ihre Ufer, artige Seufzer, wie sie Amor wohlgefallen, zittern darüber hin, gleich einem sommerlichen Schwarm bunter Falter gaukeln Worte, die funkeln von Geist und heiterer Frivolität. Zu zierlichen Spieltischen drängen sich Kavaliere, die lächelnd gewinnen oder verlieren. Denn wie auf Danae der göttliche, so fällt auf alle Bewohner der seligen Insel unablässig, scheinbar unerschöpflich der irdische Goldregen des allergnädigsten Herrn, und Unglück im Spiel bedeutet ja Glück auf einem holderen Gebiet. Im Park aber huschen über rosiggepardelte Marmorstufen die blassen Atlasschuhe, rauschen die hochgebauschten Seidenkleider schöner, geschminkter, leichtherziger Damen. An Rosenketten führen sie lachend einen alternden König zu jenen verschwiegenen Grotten, die Luna trotz ihrer silbernen Keuschheit gerne beschützt.

Dies ist Versailles, die Sonne von Paris, um die es gehässig, gruselnd und dennoch bewundernd kreist. Doch die Sonne kann immer nur eine Hälfte des Erdkreises bescheinen, und darum hat Paris zwei Gesichter: ein Tag- und ein Nachtgesicht. Trägt es sein Nachtgesicht, so erlangen Geister über es Gewalt, die mit dem Geist von Versailles nichts zu tun haben, unheimliche Geister, die nicht funkeln von Witz und heiterer Frivolität, sondern die grollen, schürfen, aufwühlen. Dann beginnt die große Stadt unruhig zu werden, fiebert wie von geheimer Schwäre, will ausbrechen … toben …

Die Liebe der französischen Könige zu ihrer »guten Stadt Paris« hält sich daher in bescheidenen Grenzen und wird von der »Guten« ebenso erwidert. Der Sonnenkönig konnte ihr niemals die Fronde vergessen, hinwiederum ist sein Enkel, der fünfzehnte Ludwig, schon im Jahr 1750 so unpopulär in Paris, daß er gelegentlich eines Hungeraufstandes sehr peinliche Erfahrungen machte und seit jener Zeit lieber den Umweg über Saint-Denis nimmt, wenn er von Versailles nach Compiègne fährt, statt die Hauptstadt zu berühren. »Chemin de la Révolte« hat darum der Pariser Gassenwitz diesen Weg oder Umweg getauft. Dies ist Paris, das den ganzen Erdkreis in sich schließt …

Der kleine Robespierre aber, der auf einen Freiplatz ins Collège Louis-le-Grand kommt, der weiß von all diesen Dingen nichts. Der glüht vermutlich nur vor Stolz und Eitelkeit (denn er ist sehr eitel!), daß er in das ehemalige Jesuitenkolleg darf, nur weil er so begabt und brav ist. Und neben Stolz und Eitelkeit freut sich sein Wissensdurst, daß er nun lernen kann, recht nach Herzenslust lernen, was es nur zu lernen gibt, hauptsächlich sein geliebtes Latein und Rhetorik und noch eine Menge anderer schöner Dinge, die das kleine Arras doch nicht bieten konnte. Mit seinen elf Jahren und seiner großen Freude ahnte er damals nicht, daß es eine bittersüße Sache ist, Schüler auf einem Freiplatz zu sein …

Die kommenden Jahre werden es ihn wohl gelehrt haben. Kinder, wilde Knaben entbehren zumeist jener Rücksicht und jenes Zartgefühls, die uns, besser als jeder Hofmeister, das Leben mit seinen Erfahrungen und seiner Ellbogenenge beibringt. Da mag denn Maximilien manche Kränkung verschluckt, mit hochmütiger Miene, scheinbar gelassen auf manches verzichtet haben, wonach sein Kinderherz heiß verlangte. Verschlossen war er immer, – nun wird er es noch mehr, sondert sich von den Mitschülern ab, soweit es möglich ist, ohne mißliebiges Aufsehen zu erregen, hegt nur einen einzigen Freund, einen Knaben, der ein wenig stottert und dem gleich ihm die bittersüße Gunst eines Freiplatzes geworden. Camille Desmoulins heißt der kleine Stotterer, dessen Weg auch nach dem Collège eine Weile neben dem Maximiliens herlaufen, sich dann feindlich von ihm trennen wird, um schließlich in kurzem zeitlichen Abstand in den gleichen Abgrund zu stürzen …

Wie in Arras, so war auch hier Maximilien ein Musterschüler, tat sich besonders im Studium der klassischen Sprachen und des klassischen Altertums überhaupt hervor, und Hérivaux, der bekannte Rhetoriker, nannte ihn wohl in anerkennendem Scherz seinen »Römer«. Ja, ein Römer war er, und ein Römer war auch Camille Desmoulins, der Sohn eines bescheidenen Beamten, und wenn sie in den Freistunden mit zärtlich verschlungenen Armen dahinwandelten, dann hießen sie nicht mehr Maximilien und Camille, sondern Cato und Brutus, waren nicht mehr die Freiplatz-Knaben aus den Häusern bescheidenen Mittelstandes, auf die reichere oder vornehmere Zöglinge mitleidig herabsahen, sondern sie waren römische oder spartanische Freiheitshelden, die in Tyrannenhaß erbebten und bereit waren, für die Republik zu sterben. Natürlich nur für die spartanische oder die römische, denn von einer anderen wußten sie nichts, konnten sie nichts wissen. Vielleicht war ihnen Freiheitsdrang eingeboren, vielleicht erwachte in ihnen, den Freiplatz-Knaben, ein gewisses Ressentiment gegen alles, was Anmaßung und Bedrückung von oben heißt, wahrscheinlicher aber ist, daß die ganze Erziehung des ehemaligen Jesuitenkollegs begabte Naturen unversehens zur Antikenschwärmerei hinleiten mußte. Seit der Austreibung des Jesuitenordens hatte sich der Geist des Kollegs seltsam verändert. Unter der Leitung der Jesuiten waren Römer und Griechen nur als ästhetische, stilistische oder formale Vorbilder in Betracht gekommen, und der streng katholische Geist, in dem die Erziehung geleitet worden, hatte ein Gegengewicht geboten gegen überschwängliche Bewunderung klassischer Größe, wie sie in jugendlichen Gemütern wohl entstehen mag, die Tag für Tag von antiken Helden hören und lesen. Die Universität, die den berühmten Orden in der Leitung des Kollegs ablöste, verstand es nicht, die Klippe zu umschiffen, die hier verborgen lag. Sparta und Rom wurden nun allzu einseitig gerühmt und machten mit Erfolg Frankreich den Platz im Herzen der Schüler streitig. Camille Desmoulins selbst bestätigt: »Man erzog uns in den stolzen Grundsätzen der Republik, und doch sollten wir in der Verworfenheit einer Monarchie und unter der Herrschaft eines Claudius und Vitellius leben! Eine wahnwitzige Führung glaubte allen Ernstes, daß wir uns für die Väter des Vaterlandes, des Kapitols begeistern könnten, ohne zu gleicher Zeit das Ungeheuer in Versailles zu verabscheuen. Sie begriff nicht, daß wir die Vergangenheit nicht zu bewundern vermochten, ohne die Gegenwart zu hassen.« (Lenôtre.)

Nun, diese und viele andere ähnliche Sentenzen hat Camille erst zwanzig Jahre später von sich gegeben! Damals, im Collège Louis-le-Grand war er sowie der junge Robespierre kaum etwas anderes als ein schwärmerischer, innerlich rebellierender Knabe. Aber Jugend soll ja rebellieren, auch dann, wenn sie nicht auf einem Freiplatz sitzt, und sicherlich haben manche ihrer Mitschüler ähnlich geschwärmt und sind deshalb später doch nicht unter die Revolutionäre gegangen! Auch bei Camille und Maximilien ist von aktuellem »Tyrannenhaß« und ähnlichem Rüstzeug aus der revolutionären Schreckenskammer nichts zu spüren, und wenn je ein Fünkchen davon vorhanden gewesen, so wäre es erloschen, als der neue König, Ludwig XVI., gleich nach seiner Krönung (1775) dem Collège die Ehre eines Besuchs schenkte. War das eine Aufregung unter den jungen Zöglingen! War das ein Staunen und Raunen und Fragen, ein Vermuten und Tuscheln und Hoffen und vielleicht auch Fürchten! Alles drehte sich ja jetzt um die große Frage: »Wer von uns wird für würdig erachtet, die Majestät mit festlicher Rede zu begrüßen?« Ja wer? Meinungen und Gegenmeinungen schwirren umher. Ehrgeiz, Eitelkeit und Hochmut wühlen in jungen Brüsten. Verpupptes Schranzentum will auskriechen. Wer wird der Erwählte sein, wer?

Der Namen eines blassen, schmächtigen Jünglings ertönt. Der steht, Flammen auf den schmalen, fahlen Wangen, die Lippen fest zusammengepreßt, als könne der Mund ungewollt verraten, was dies junge Herz bewegt. Sich nie zu offenbaren, sich keinem anderen Menschen preiszugeben – immer tiefer hat sich dieser Grundsatz in das Hirn des Halbwüchsigen eingeprägt, und so steht er auch jetzt scheinbar ungerührt von der Auszeichnung, die ihm widerfährt, obgleich gewiß in seinem Innern Eitelkeit und Stolz jubilierten. Er wird die lateinische Festrede halten, er, Maximilien Robespierre, der auf dem Freiplatz sitzt, der in so vielem hinter den anderen zurückstehen muß! Keiner von all den Vornehmen, Reichen, Hochnäsigen wird den König begrüßen, wohl aber er, der verwaiste Sohn verschämter Dürftigkeit!

Wie mag er an dem großen Tag sein Röcklein sorgfältig gebürstet, sein Haar zierlicher noch als sonst frisiert und immer wieder sein Bild in dem kleinen Spiegel des Schlafsaals betrachtet haben, das ihm mit vor Erregung rotgefleckten Wangen entgegenblickte! Und dann, nach langem Warten, kam der feierliche Augenblick: die Majestät trat ein. Zwei Jünglinge – ein königlicher und ein bürgerlicher – stehen sich gegenüber.

Schwungvolle lateinische Verse rauschen über den König hin, der nur etliche Jahre mehr zählt als der Festredner. Wenn dieser Festredner jemals im Ernst geglaubt hätte, daß in Versailles ein Ungeheuer oder ein Vitellius sitze, so wäre ihm solche Vermutung angesichts dieses königlichen Jünglings schnell vergangen. Nichts war um diesen Ludwig von der selbstverständlichen und doch so anmutreichen Würde, die den jungen Sonnenkönig umgeben hatte, nichts von dem edelmännischen Scharm, der bis zum Tode dem fünfzehnten Ludwig zu eigen gewesen, sofern er ihn zeigen wollte. Plump von Gestalt, mürrisch von Gesicht, unbeholfen und verlegen im Benehmen, so stand (oder saß) der Enkel einer einst berühmten Liebesrasse und staunte wahrscheinlich im stillen, daß ein anderer junger Mann so geläufig und lange reden konnte ohne zu stocken. Denn der sechzehnte Ludwig war ebenso wenig ein Redner wie ein Adonis, ein Staatsmann oder ein Held auf irgendeinem der Gebiete, die seine Vorfahren ruhmreich beherrscht hatten. Wenn der Festredner in seiner Erregung Zeit und Einsicht gehabt hätte, sein königliches Gegenüber mit nüchternen Augen zu betrachten, so hätte er vielleicht Mitleid gespürt mit diesem plumpen Mann, der im Bewußtsein der eigenen Schwäche und Mittelmäßigkeit sein Königsamt mit den Worten erwartet hatte: »Mir ist zumute, als ob die ganze Welt auf mir läge!«

Und doch sind Frankreichs Augen voll Zuversicht auf diesen jungen König gerichtet, auf seine Ehrlichkeit, seinen guten Willen und seine junge Königin. Seit dem spanischen Erbfolgekrieg war das Land ja langsam zuerst, dann, nach dem Gesetz des Falles, immer schneller von seiner Höhe herabgeglitten, bis es mit dem entehrenden Frieden und dem Lasterleben Ludwigs XV. besudelt war, der noch auf dem Sterbebett mit unzüchtiger Gebärde nach der Dubarry verlangte. Die Pariser bewarfen seinen Leichenwagen mit Kot und all den Schimpf- und Spottreden, die ihm schon bei der Unterzeichnung des Pariser Friedens gebührt hätten. Damals aber hatte das törichte Volk gejubelt, daß es nun nicht mehr zu kämpfen brauchte, hatte seine Fenster illuminiert, in den Straßen getanzt und sich angestellt, als ob das goldene Zeitalter anbrechen sollte …

Im Lauf der Jahre aber hatte jeder am eigenen Leibe gespürt, was es heißt, Ehre, Macht und Kolonien verloren zu haben, und nun hofften sie, dies junge, reine Königspaar würde all die Schäden heilen, von denen dies alte, erneuerungsbedürftige Land heimgesucht war …

Wie alle anderen ging auch dieser Tag zur Rüste. Köstlich überwältigt von Erregung, Freude und gesättigtem Stolz, hat wohl der Zögling Robespierre sein Lager aufgesucht und noch lange mit wachen Augen in die Nacht hineingeträumt, der seine Kameraden ihre tiefen Atemzüge sandten. Vielleicht ist ihm in jenen stillen Nachtstunden noch einmal das Bild des Königsjünglings erschienen, und jetzt, da er keine lateinischen Verse mehr zu sprechen brauchte, jetzt erst fiel ihm vielleicht schreckhaft auf, wie kläglich die Stirne zurückfloh, die das Salböl in Reims geheiligt hatte. Und vielleicht hat der wache Träumer vermessen gedacht: »Wenn ich an seiner Stelle wäre …« Gewiß hat er gewaltsam den Schlaf verscheucht, der ihn beschleichen möchte, denn er will diesen Tag – seinen Tag – bis ins unendliche verlängern. Dieser Tag hat ihn ja hinausgehoben über seine Mitschüler, über sich selbst. Morgen aber wird wieder ein Tag sein wie jeder andere. Morgen ist er wieder ein Gleicher unter Gleichen, oder nicht einmal das. Morgen ist er wieder der Zögling Robespierre auf dem Freiplatz … – –


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