Paul Bourget
Kosmopolis. Erster Band
Paul Bourget

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Siebentes Kapitel.

Widersprüche in einem alten Legitimisten

Die sichere Zuversicht auf das Gelingen seines Versuchs, die den Schriftsteller im ersten Augenblick erfüllt hatte, war einer ganz entgegengesetzten Empfindung gewichen, als er eine halbe Stunde später vor dem Hause des Marquis ankam. Claudius Franciscus von Montfanon wohnte an einer der ehrwürdigsten Stellen von ganz Rom, auf dem Kapitol selbst, an der Ecke der Consolatostraße, und seine Altane bot einen Ausblick auf alle Herrlichkeiten des römischen Forums. Wie oft war Dorsenne in diesem halben Jahr über die Schwelle dieses Einsiedlers getreten, der sein eigenes trübes Geschick ohne Unterlaß in die Betrachtung der Vergangenheit tauchte und ihm so oft mit Feuer und heiligem Eifer das großartige tragische Panorama dieses weltgeschichtlichen Ausblicks erklärt hatte!

»Mit einem Anliegen wie dem meinigen zu diesem Mann zu kommen, ist hirnverbrannt,« sagte sich Julian, als er die Klingel zog. »Schließlich handelt sich's ja aber gar nicht darum, bei einem alltäglichen Duell als Zeuge zu dienen, sondern eine Dummheit zu verhindern, bei der nicht nur zwei Menschenleben, sondern auch die Ehre der Gräfin Steno und der Friede von drei unschuldigen Wesen, Maud Gorka, Lydia Maitland und meiner kleinen Freundin Alba, auf dem Spiel stehen. Nur er hat Ansehen genug, um wirksam einzuschreiten, und das ist so gut ein frommes Werk als ein andres. Wenn er nur zu Hause ist! . . .«

Der Diener erschien und kam der Frage des wohlbekannten Gastes zuvor, indem er sagte: »Der Herr Marquis ist heute früh schon um acht Uhr ausgegangen und wird erst zu Tisch nach Hause kommen.«

»Und Sie wissen nicht, wohin er gegangen ist?«

»Er wollte in einer Katakombe die Messe hören und einer Prozession beiwohnen. Die Trappisten von San Calisto werden wohl Genaueres wissen, denn der Herr Marquis hat bei ihnen gefrühstückt.«

»Versuchen wir unser Heil,« sagte sich der enttäuschte Schriftsteller ziemlich mutlos.

Sein Wagen schlug die Richtung nach dem St. Sebastiansthor ein, in dessen Nähe sich die Katakomben und die armselige Meierei, das letzte von armen Mönchen bewachte Ueberbleibsel des päpstlichen Grundbesitzes, befinden.

»Jedenfalls hat Montfanon heute früh kommuniziert und wird mich gar nicht anhören wollen, wenn ich von einem Zweikampf rede,« dachte Dorsenne. »Und doch muß es geschehen! Was gäbe ich nicht darum, den wahren Wortlaut von Gorkas und Chaprons Zank zu kennen! Was für ein Teufel hat diesen Palatin geritten, sich an dem Schwager seines Feindes zu reiben? Wütend wird er sein, wenn er mich als Zeugen seines Gegners sieht! Pah! Um unsre Freundschaft ist's nach der letzten Begegnung sowieso geschehen. Da wäre ich ja schon an dem Kirchlein Domine quo vadis? Ich könnte mich auch fragen: Juliane quo vadis? Nun denn, ich bin auf etwas besserem Wege als sonst!«

In den für jeden Hauch empfindlichen Saiten dieser Künstlernatur fand, wie schon so häufig, die Erinnerung an eine von den hunderterlei frommen Legenden, die neunzehn Jahrhunderte des Christentums gleich unverwelklichen Rosengewinden um jeden Stein von Rom geschlungen haben, ihren Widerhall. Er dachte mit Rührung der schlichten Erzählung von Petrus, der, vor seinen Verfolgern fliehend, dem Herrn begegnete und ihn fragte: »Herr, wohin gehst du?« – »Mich noch einmal ans Kreuz schlagen zu lassen,« war die Antwort, und der Apostel schämte sich seines Kleinmuts und suchte den Märtyrertod. Montfanon selbst hatte ihm die Legende erzählt, und Dorsenne verlor sich in Betrachtungen über das Wesen dieses Mannes und die Art, wie er ihm seine Bitte vortragen sollte.

Eine neue Enttäuschung erwartete ihn am ersten Ziel seiner Nachforschungen. Der Mönch, der auf sein Klingeln den kleinen Klosterhof von San Calisto aufschloß, teilte ihm mit, daß der Marquis vor einer halben Stunde fortgegangen sei.

»Sie werden ihn in der Basilika von St. Nereus und Achilleus treffen,« setzte er hinzu. »Um fünf Uhr findet in der Katakombe dieser beiden Heiligen eine Prozession statt . . . es ist nur eine Viertelstunde von hier beim Turm Marancia an der Via Ardeatina.«

»Werde ich ihn ein drittes Mal verfehlen?« dachte Dorsenne, als er seinen Wagen verlassen hatte und über den schon von der Sonne verbrannten Rasen der Oeffnung zuschritt, die den Eingang zu dieser unterirdischen Totenstadt bildet, die den beiden Heiligen geweiht ist. Nereus und Achilleus waren zu ihren Lebzeiten die Eunuchen der Domitilla, der Nichte des Kaisers Vespasian. Ein paar Trümmer und eine elende Hütte bezeichnen die Stätte, wo die prachtvolle Villa dieser frommen Fürstin gestanden hat. Das Thor stand offen, und da er niemand fand, den er um den Weg hätte fragen können, trat der junge Mann in das Gewölbe ein. Der lange Gang war erleuchtet, und er sagte sich, daß ihm die alle zehn Schritte aufgesteckten Kerzen jedenfalls den Weg weisen würden, den die Prozession nehmen und der zu der gleichfalls unterirdischen Basilika führen mußte. So sehr sein Anliegen ihn erfüllte, der majestätische Anblick dieser beleuchteten Katakombengänge ergriff ihn doch. Die unregelmäßigen Vertiefungen, die den Gebeinen der in Gottes Frieden Entschlafenen angewiesen sind, durchlöchern wie Netzwerk die Seitenwände des Ganges und verleihen ihm einen feierlichen Ernst. Die in Stein gehauenen Inschriften verkünden die sichere Hoffnung, womit diese ersten Christen sich genährt haben, dieselbe, die heute noch das Lebensbrot aller Gläubigen ist. Was heute dieser schweigsamen Ruhestätte der Märtyrer einen besonderen geheimnisvollen Reiz verlieh, war der leise Weihrauchduft, den Dorsenne gleich beim Eintreten wahrgenommen hatte. Die große Totenmesse in der Frühe hatte den geweihten Wohlgeruch zurückgelassen, der die Gebeine derer umschwebte, die ihn einst lebend auf ihren Knieen eingeatmet hatten.

Der Gegensatz zwischen dieser Stätte, wo alles von Tod und Ewigkeit sprach, und der Tragödie sündiger Weltleidenschaft, womit seine Bitte zusammenhing, war so ungeheuer, daß er Dorsenne im Tiefsten bewegte. Obwohl der großmütigste aller menschlichen Triebe ihn herbeigeführt hatte, kam er sich doch wie ein Unwürdiger vor, der Zweck seines Hierseins erschien ihm wie eine Entheiligung. Es war ihm eine Erleichterung, als er bei der Biegung eines der endlosen, kreuz und quer laufenden Gänge einem alten Priester begegnete, der einen Korb mit abgeschnittenen, jedenfalls für die Prozession bestimmten Blumen trug. Er fragte auf italienisch nach dem Weg zur Basilika, und als ihm die Auskunft in bestem Französisch erteilt wurde, setzte er hinzu: »Sie kennen vielleicht den Marquis von Montfanon, ehrwürdiger Vater?«

»Ich bin Kaplan der Sankt-Ludwigskirche,« erwiderte er lächelnd, womit die Frage freilich beantwortet war; »Sie finden ihn in der Basilika selbst.«

»Der Augenblick ist da,« dachte Dorsenne, »gehen wir behutsam zu Werk . . . schließlich verhelfe ich ihm ja nur zu einer guten That . . . So, jetzt kenne ich mich aus . . . da ist die Treppe und das Oberlicht . . .«

In der That war hier ein Stück Himmel sichtbar, und helles Tageslicht ermöglichte dem Schriftsteller, unter der kleinen Anzahl von Personen, die in der halb zerstörten Kapelle, dem ehrwürdigsten der Heiligtümer, die, tief unter seinem Boden verborgen, Rom umgürten, sich befanden, sofort den Gesuchten zu erkennen. Nicht weit vom Altar, den flackernde Kerzen umgaben, saß Montfanon auf einem Stuhl. Priester und Mönche trugen Körbe voll Blumen herbei, mehrere Schaulustige besprachen halblaut die kaum mehr sichtbaren Wandmalereien. Der Marquis war ganz in das Buch vertieft, das er in seiner einzigen Hand hielt; die von inniger Andacht verklärten und veredelten Züge seines markigen Gesichts machten ihn zu einem Idealbild eines frommen Kriegsmannes. Wie ein Wächter der Märtyrergräber im Laienkleid nahm er sich aus; man sah ihm an, daß auch er fähig wäre, seinen Glauben mit seinem Blut zu bekennen.

Als Julian sich durch eine leise Berührung seiner Schulter bemerklich machte, sah er, daß die sonst so fröhlichen und mitunter zornfunkelnden blauen Augen des alten Edelmanns von Thränen feucht waren. Auch seine sonst scharfe Stimme klang weich; sein Buch, dieser Ort, alles, was er heute erlebt hatte, hatte ihn wehmütig und ernst gestimmt.

»Sie sind's?« begrüßte er den jüngeren Freund ohne Verwunderung. »Sie kommen der Prozession wegen? Gut, Sie werden schönen Gesang zu hören bekommen. Die Jahreszeit ist günstig für das Fest. Die müßigen Bummler sind abgereist, und wir werden ganz unter Menschen sein, die beten und fühlen, wie Sie auch. Rührung ist halbes Gebet, die andre Hälfte ist Glauben. Sie werden zuguterletzt, wie ich Ihnen immer gesagt habe, einer von den Unsrigen werden, denn hier allein ist Frieden.«

»Ich wollte, ich wäre nur der Prozession halber hier, lieber Freund,« sagte Dorsenne leise, »dem ist aber nicht so. Seit einer Stunde suche ich Sie, denn ich möchte Sie um einen großen Dienst bitten. Sie müssen mir helfen, ein möglicherweise unermeßliches Unglück zu verhüten.«

»Ein Unglück,« wiederholte der Marquis. »Und ich sollte es verhindern können?«

»Ja, aber hier ist nicht der Ort, Ihnen den verwickelten, schrecklichen Fall auseinanderzusetzen . . . Um wie viel Uhr findet die Ceremonie statt? Ich werde Sie erwarten und Ihnen auf dem Heimweg . . .«

»Leider fängt sie nicht vor fünf oder halb sechs Uhr an,« erwiderte Montfanon, nach der Uhr sehend, »und wir haben jetzt erst ein Viertel nach vier Uhr! Wenn's Ihnen recht ist, so verlassen wir die Katakombe und gehen im Freien auf und ab . . . Sie erzählen mir, um was es sich handelt . . . Ein großes Unglück? Dann, mein Sohn,« – er drückte die Hand des jungen Mannes, dessen Person ihm ebenso lieb war als seine Anschauungen verhaßt – »beruhigen Sie sich, wir werden es verhindern.«

Diese Versicherung und die Art, wie sie ausgesprochen wurde, zeugten klar von dem edlen Frieden eines ungetrübten Gewissens, von der inneren Ruhe des Gläubigen, der sich sagen darf, immer das Mögliche gethan zu haben von dem, was er hatte thun sollen. Aber er hätte nicht Montfanon sein müssen, das heißt ein Schwärmer, dem eine Unterredung mit Dorsenne über alles ging, weil er sich trotz all ihrer Meinungsverschiedenheiten von ihm verstanden fühlte, wenn er nicht auf dem Rückweg durch die erleuchteten Gänge zur Oberwelt sofort angefangen hätte: »Trotzdem, mein Herr Lobredner der neuen Zeit, bin ich recht froh, Sie hier zu haben und offen fragen zu können, ob Sie sich nicht mehr in Gemeinschaft mit diesen Toten fühlen als mit einem sozialdemokratischen Wähler und einem freisinnigen Abgeordneten? Haben Sie nicht den Eindruck, daß gerade das beste Teil Ihrer Seele gar nicht vorhanden wäre, wenn diese Märtyrer nicht vor achtzehnhundert Jahren in diesen Gewölben gebetet hätten? Wo finden Sie mehr herzergreifende Poesie als in diesen Grabschriften und diesen Sinnbildern? Aber da sind wir ja . . . bücken Sie sich, sonst stößt Ihr Hut an . . . und jetzt, was wollen Sie von mir? Sie kennen den Wahlspruch der Montfanons: Excelsior et firmior – immer höher und immer fester. Man kann nie zu viel Gutes thun, und ich bin, wie wir beim Appell sagten: ›Hier!‹« Diese Mischung von frommer Schwärmerei und Gutmütigkeit, Fanatismus und Humor, das war der ganze Montfanon!

Allein der Humor verschwand mehr und mehr von seinen stolzen und doch fast kindlichen Zügen, als Dorsenne seinen wohlüberlegten Bericht vortrug. Der Schriftsteller beging durchaus nicht den Irrtum, mit der Thür ins Haus zu fallen. Er wußte, daß es mit dem einstigen päpstlichen Zuaven kein Hin- und Herreden über diese Bitte gab. Entweder würde er die Zumutung als seiner unwürdig entschieden ablehnen, oder sie als ein Werk der Barmherzigkeit auffassen und in diesem Fall vor keinem Opfer zurückscheuen. Diese Saite seines großmütigen Herzens wollte Julian berühren, und zum erstenmal im Leben wurde er zum Diplomaten. An ihre Unterredung auf dem Spanischen Platz anknüpfend, schilderte er ihm Gorkas Besuch, soweit er durfte; das falsche Ehrenwort, das ihm schwer auf der Seele lastete, überging er mit Stillschweigen. Dann verweilte er bei dem Eindruck, den ihm Alba an diesem Abend gemacht hatte, bei der Schändlichkeit der anonymen Briefe, die eine verruchte Hand dem Kind der Gräfin wie ihrem verlassenen Liebhaber zugesandt hatte, und wiederholte endlich, was er von Chapron über seinen geheimnisvollen Streit mit dem Grafen Gorka erfahren hatte.

»Ich habe mich dazu herbeigelassen, ihm als Zeuge zu dienen,« schloß er, »weil ich es für meine Pflicht halte, unbedingt allem aufzubieten, um diesen Zweikampf zu verhindern. Wenn er stattfände und einer von beiden auf dem Platz bliebe, wie sollte die Sache in diesem großen Klatschnest Rom geheim bleiben? Und wie würde sie erklärt werden! Daß die Gräfin Steno die wirkliche Veranlassung dazu ist, liegt auf der Hand; niemand wird daran zweifeln, und der Tanz mit den anonymen Briefen an Alba, die Gräfin Gorka, Frau Maitland würde von neuem losgehen! Die Männer, was mach' ich mir daraus? In neun Fällen unter zehn hat jeder das Widrige, was ihm zustoßen mag, verdient; aber diese unschuldigen Geschöpfe!«

»Das ist's ja, was die Ehebruchsgeschichten so furchtbar macht,« versetzte der Marquis, »es werden neben den Schuldigen so viele mit hineingezogen. Sie sehen und fühlen das also, Sie, der diese Gesellschaft neulich so interessant, so gebildet, so angenehm fand? Genug davon! Sie wünschen also meinen Rat über Ihre Aufgabe als Zeuge? Da haben meine Jugendthorheiten wenigstens das Gute, daß ich aus Erfahrung sprechen kann. Bis in die geringste Kleinigkeit alles regelrecht und kaltes Blut, das ist die Hauptsache! Sie werden's nicht leicht haben. Gorka ist ein Tollkopf – ich kenne die Polen – schlimme Gesellen, aber tapfer, ja tapfer! Und den kleinen Chapron kenne ich ja auch, einer von den sanften Dickköpfen, die sich lieber den Degen durch die Brust rennen lassen, als zur Seite treten. Gutes Soldatenblut, trotz der Mestize! Ja, ja, mein lieber Dorsenne, es mag Ihnen sauer werden! Sie sollten einen zweiten Zeugen haben, der Ihre Gesichtspunkte und Absichten teilte und vielleicht – verzeihen Sie – mehr Erfahrung hätte . . .«

»Jawohl, Marquis,« fiel Dorsenne mit vor Spannung bebender Stimme ein, »und es gibt in ganz Rom nur einen Mann, der bei allen, auch bei Gorka, so viel Achtung, ja Verehrung genießt, daß sein Einschreiten in dieser heiklen, gefährlichen Sache maßgebend wäre; nur einen, der Chapron oder seinem Gegner vorschreiben könnte, wie er sich zu entschuldigen hat; nur einen Helden, vor dem jeder verstummen muß, wenn er von Ehre spricht, und dieser einzige sind Sie.«

»Ich? Sie wollen, daß ich . . .«

»Chaprons Zeuge werde! Ja, es ist so – ich komme in seinem Auftrag. Sagen Sie mir nicht, Ihre Stellung vertrage sich nicht mit derlei Dingen – gerade weil Sie diese Stellung einnehmen, suche ich bei Ihnen Hilfe. Sagen Sie mir auch nicht, daß Sie aus religiösen Gründen den Zweikampf verwerfen – gerade um ihn zu vermeiden, beschwöre ich Sie, sich der Sache anzunehmen. Dieser Zweikampf soll und darf nicht stattfinden, er untergräbt den Frieden zu vieler Unschuldigen.«

»Hören Sie mich an, Dorsenne,« sagte der fromme Kriegsmann, dessen Gesicht ein Dutzend widersprechender Empfindungen widergespiegelt hatte, ihm feierlich die Hand auf den Arm legend. »Ich will Ihre Bitte erfüllen, aber unter zwei Bedingungen. Die erste ist, daß Herr Chapron sich unbedingt meinen Bestimmungen unterwirft, welcher Art sie auch sein mögen. Die zweite ist, daß Sie sich mit mir zurückziehen, sobald diese Herren sich einfallen lassen sollten, die Gassenjungen zu spielen . . . ich will Ihnen helfen, ein Werk der Barmherzigkeit zu vollbringen, nichts andres. Ehe Sie Herrn Chapron zu mir bringen, werden Sie ihm wörtlich wiederholen, was ich Ihnen gesagt habe.«

»Wörtlich! Er wartet in seiner Wohnung auf Nachricht von mir.«

»Dann fahre ich sofort mit Ihnen nach Rom zurück. Gorkas Zeugen müssen schon bei ihm gewesen sein, und will man eine solche Angelegenheit richtig behandeln, so darf sie nicht verschleppt werden, schon damit der Klatsch und die Eitelkeit sich nicht hineinmischen. Ich komme um meine Prozession, aber Böses verhüten, heißt auch Gutes thun und ist eine andre Art von Beten.«

»Lassen Sie mich Ihre Hand drücken, mein großer Freund,« sagte Dorsenne. »Nie habe ich besser begriffen, was es heißt, ein wirklich braver Mann sein.«

Als der Schriftsteller drei Viertelstunden später, nachdem er Montfanon an seiner Wohnung abgesetzt hatte, bei Chapron in der Leopardistraße vorfuhr, hatte er das Bewußtsein eines so starken sittlichen Halts, daß ihm beinahe fröhlich zu Mute war. Er fand Florent in seinem Wohn- und Rauchzimmer. Mit der Gelassenheit und Ordnungsliebe, die aus seinen dunklen, ruhigen Augen sprachen, ordnete er Briefschaften.

»Er nimmt an!« Die beiden jungen Männer riefen es fast zu gleicher Zeit, und Dorsenne wiederholte dann, seinem Versprechen gemäß, Montfanons Worte.

»Ich stelle Ihnen und dem Marquis alles anheim!« versetzte Florent. »Nach dem Blute des Grafen Gorka lechze ich nicht, aber er soll den Enkel des Obersten Chapron auch nicht der Feigheit zeihen dürfen. Ich zähle dabei auf den Nachkommen eines Generals Dorsenne und den einstigen Kämpfer von Charette.«

»Das versteht sich!« sagte Dorsenne, dem Florent einen Brief übergab. »Was ist denn das?«

»Ein Brief, den der Freiherr von Hafner vor einer halben Stunde an meinem Tisch geschrieben und an Sie adressiert hat. Ich habe nämlich den Besuch der gegnerischen Zeugen empfangen – der Freiherr ist der eine, Fürst Ardea der andre . . .«

»Hafner!« rief Dorsenne. »Wie kommt Gorka zu dieser seltsamen Wahl?«

Die Blicke der beiden begegneten sich – wieder hatten sie sich ohne Worte verstanden. Boleslav hätte kein sichereres Mittel finden können, die Gräfin Steno von seiner Rache oder einem Teil dieser Rache in Kenntnis zu setzen, als indem er den Freiherrn zu seinem Zeugen erwählte. Andrerseits bot Hafners Freundschaft für die Gräfin eine weitere Bürgschaft friedlicher Lösung, während zugleich das Zusammentreffen des Fanatikers Montfanon mit Fannys Vater ein Lustspielmotiv in die Tragödie brachte.

»Freuen Sie sich auf Montfanons Gesicht, wenn wir ihm diesen Zeugen nennen,« setzte Julian lächelnd hinzu. »Sie wissen ja, er ist ein Mann des fünfzehnten Jahrhunderts, aus dem gleichen Holz wie ein Montluc, ein Alba, ein Philipp II. Ob er Freimaurer, Freidenker, Protestanten oder Deutsche am glühendsten haßt, weiß ich nicht recht; da aber dieser dunkle Ehrenmann von einem Freiherrn zu jeder Sorte ein wenig gehört, haßt er den gründlich! Aber lesen wir!« Er öffnete den Brief und überflog den Inhalt. »Die Schlauheit ist doch zu manchen Dingen nütze und kann hie und da Güte ersetzen . . . auch er hat das Gefühl, Ihr Streit sollte beigelegt werden und wär's nur, um den bösen Zungen keine Nahrung zu geben. Er bestellt uns, mich und Ihren zweiten Zeugen, zwischen sechs und sieben Uhr zu sich, also haben wir keine Minute zu verlieren. Sie müssen mich zum Marquis begleiten, um ihm Ihre Bitte in aller Form vorzutragen. Nennen Sie Hafners Namen nicht, ehe Sie seine Zusage haben. Ich kenne ihn – ein gegebenes Wort nimmt er nicht zurück, aber immerhin . . .«

Die beiden jungen Männer wurden vom Marquis in seinem Arbeitszimmer empfangen, einem großen, ganz mit Büchern erfüllten Raum, dessen Fenster den Ausblick auf das Forum boten, ein Panorama, das zu dieser späten Nachmittagsstunde, wo die Schatten der schlanken Säulen schon länger wurden, von überwältigender Schönheit war. Die große quadratische Zelle mit den roten, gemalten Wänden war ohne allen Luxus ausgestattet. Nur ein Teppich lag unter dem mächtigen Schreibtisch, der mit Papieren überhäuft war, vermutlich Vorarbeiten zu dem großen Werk über die Beziehungen des französischen Adels zur Kirche.

In der Mitte stand ein hohes Kruzifix, darüber hing ein leidlich gutes Gemälde, das den heiligen Franciscus, den Schutzpatron des Bewohners, darstellte und von zwei Radierungen umgeben war, die eine ein Porträt von Monsignore Pie, dem Erzbischof von Poitiers, die andre ein Bild des Generals von Sonis mit dem hölzernen Bein. Das war der einzige künstlerische Schmuck dieses bescheidenen Heims, denn der alte Edelmann sagte gern, er habe die Tyrannei des Objekts abgeschüttelt. Aber mit dem Hintergrund des blauen Himmels und der gewaltigen Ruinen war die schlichte Stube eine unvergleichliche Zufluchtsstätte, um ein von den Stürmen der Sinne und der Welt nicht verschontes Leben in stiller Betrachtung zu beschließen. Der Eremit erhob sich, um seine Gäste zu begrüßen, und sagte, auf ein offenes Buch deutend:

»Ich habe mich eben mit Ihnen beschäftigt, Herr Chapron. Das ist Chateauvillars' Abhandlung über den Zweikampf – nicht sehr erschöpfend, aber immerhin empfehlenswert, wenn Sie je eine Pflicht zu erfüllen haben, wie die unsrige –« er wies dabei auf Dorsenne und sich selbst, worin eine freundschaftliche Zusage enthalten war. »Es scheint, Sie hätten beinahe einen raschen Streich geführt . . . o bitte, verteidigen Sie sich nicht . . . ich selbst habe mit einundzwanzig Jahren einem Herrn, der den Kardinal Grafen Chambord in Gegenwart von übermütigen Jakobinern an einer Wirtstafel in der Provinz schlecht machte, einen Teller an den Kopf geworfen. Das Andenken daran habe ich noch – er zog den weißen Schnurrbart in die Höhe und zeigte seine Narbe – der Bengel war ein ehemaliger Dragoneroffizier und hat Säbel bestimmt. Um ein Haar wäre ich damals geblieben, aber ihn hat es wenigstens auch zwei Finger gekostet. So etwas wird dieses Mal nicht vorkommen – Dorsenne hat Ihnen unsre Bedingungen genannt?«

»Und ich habe ihm erwidert, daß ich meine Ehre keinen besseren Händen anvertrauen kann.«

»Keinen Ueberschwang,« entgegnete Montfanon, sichtlich angenehm berührt. »Ueberdies, mein Herr, habe ich mir schon bei unsrer ersten Begegnung in der St. Ludwigskirche ein günstiges Urteil über Sie gebildet. Sie ehren Ihre Toten, das ist für mich, der den Wert des Menschen in der Vergangenheit sucht, hinreichend. Ich freue mich also, Ihnen nützlich sein zu können, bitte aber, daß Sie mir nur recht deutlich und offen den Hergang erzählen.«

Als Florent in kurzen Worten so viel oder so wenig erzählte, als er mit Gorka verabredet hatte, das heißt jede Anspielung auf seinen Schwager weglassend, schüttelte Montfanon den Kopf.

»Zum Kuckuck!« sagte er vertraulich. »Die Geschichte laßt sich schlimm an. Herr Chapron, ein Zeuge ist auch ein Beichtvater. Sie haben sich mit dem Grafen auf der Straße gezankt, worüber? Sie können das nicht beantworten? Durch welche Aeußerungen hat er Sie bis zur Drohung gereizt? Das ist der erste Punkt.«

»Den ich nicht beantworten kann,« versetzte Florent.

»Dann bleibt uns also als greifbarer Anlaß nur eine unbedachte, unausgeführte Gebärde,« fuhr der Marquis nach einigem Schweigen fort. »Das ist die zweite Haltestelle. Sie haben keinen Grund zu persönlichem Groll gegen den Grafen?«

»Durchaus nicht.«

»Und der Graf ebensowenig Ihnen gegenüber?«

»Ich wüßte nicht, wie er dazu käme.«

»Das ist schon besser,« sagte Montfanon und setzte wie im Selbstgespräch hinzu: »Graf Gorka hält sich für den Beleidigten? Hat eine Beleidigung überhaupt stattgefunden? Das ist die Angel, um die sich alles dreht . . . eine halbe unvollendete Gebärde – bitte, unterbrechen Sie mich nicht; ich suche Ordnung zu schaffen und Klarheit zu gewinnen. Wir müssen eine Lösung finden. Wir werden unser Bedauern aussprechen müssen und dabei das Feld offen lassen für eine von Gorka geforderte andre Genugthuung. Es kommt dabei hauptsächlich auf die Wahl seiner Zeugen an – wen wird er nehmen?«

»Die Herren waren schon bei mir,« sagte Chapron. »Fürst Ardea . . .«

»Ardea? Ein Edelmann, da wird man sich verständigen können. Und der andre?«

»Der andre?« erwiderte Dorsenne an Florents Stelle. »Machen Sie sich auf einen Schreck gefaßt. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich keine Ahnung von ihm hatte, als ich Sie in den Katakomben aufsuchte. Es ist – heraus muß es ja doch – der Freiherr von Hafner!«

»Hafner!« rief Montfanon. »Boleslav Gorka, der Abkömmling der Gorkas, jenes großen Luc Gorka, der Palatin von Posen und Bischof von Kujavien war, hat Justus Hafner, den Dieb, den Fälscher, zum Zeugen genommen? Nein, Dorsenne, machen Sie mir das nicht weis, es ist unmöglich . . . Wenn es aber so ist, so lehnen wir ihn einfach ab als nicht satisfaktionsfähig. Das übernehme ich, und dem Herrn Boleslav werde ich das Nötige sagen. Das soll eine lustige Viertelstunde werden, dafür stehe ich Ihnen!«

»Sie werden das unterlassen,« entgegnete Dorsenne erregt. »Ueber die Satisfaktionsfähigkeit entscheiden nur Thatsachen. Das Gesetz, nicht wahr? Nun ist Hafner freigesprochen worden und seine Gegner wurden in die Kosten verurteilt. Ueberdies, vergessen Sie, was wir besprochen haben . . .«

»Verzeihen Sie!« fiel ihm Chapron ins Wort. »Der Marquis von Montfanon hat mir mit seiner Zusage eine hohe Ehre erwiesen, deren ich immer eingedenk sein werde; sollte aber die leiseste Unannehmlichkeit für ihn selbst daraus erwachsen, so bin ich, ob auch mit Schmerzen, bereit, ihm sein Wort zurückzugeben . . .«

»Nein,« sagte der Marquis nach kurzem Besinnen, »ich nehme es nicht zurück.«

Er war ja, abgesehen von seinen Steckenpferden, die Großmut selbst und fühlte sich von jeder Aeußerung hochsinnigen Zartgefühls warm berührt. Chapron herzlich die Hand drückend, fuhr er in herbem Ton voll verhaltener Empörung fort: »Wenn der Graf Gorka es für angemessen hält, seine Ehre durch einen Menschen vertreten zu lassen, mit dem er nicht einmal einen Gruß wechseln sollte, so ist das schließlich seine Sache. Sie werden also diesen Herren Dorsennes und meinen Namen nennen und ihnen sagen, daß wir sie erwarten. Es geziemt sich, daß die Vertreter des Beleidigten zu uns kommen.«

»Sie haben aber schon eine Zusammenkunft für heute festgesetzt . . .«

»Festgesetzt? Wieso? Mit wem? Für wen?« rief Montfanon in wieder aufwallendem Zorn. »Mit Ihnen? Für uns? Ach, wie mir diese Gutmütigkeiten und Halbheiten in ernsten Dingen zuwider sind! Die Sitte steht fest . . . sobald diese Herren ihre Forderung überbracht, und Sie, Chapron, angenommen oder abgelehnt hatten, mußten sie sich zurückziehen. Es ist nicht Ihre Schuld, sondern Ardeas, der diesen Dividendenfälscher sein altes Handwerk als Spekulanten hat ausüben lassen, aber wir andern werden ihre Irrtümer berichtigen. Wann und wo soll diese Zusammenkunft stattfinden?«

»Ich werde Ihnen vorlesen, was Hafner für mich bei Chapron hinterlassen hat,« sagte Dorsenne, worauf er die höflichen Floskeln, womit der Freiherr sich entschuldigte, sein eigenes Haus zum Versammlungsort der vier Zeugen bestimmt zu haben, zum besten gab. »Man kann eine so höfliche Bitte doch nicht unbeantwortet lassen.«

»Zu viel Komplimente für meinen Geschmack,« grollte Montfanon. »Setzen Sie sich hin, Chapron, und teilen Sie den Herren schriftlich Namen und Wohnung Ihrer Zeugen mit, ohne ihren Verstoß zu rügen – einen zweiten sollen sie sich nicht zu Schulden kommen lassen. Und da Sie diesen saubern Herrn nicht verletzen wollen, Dorsenne, so gestatte ich Ihnen, persönlich mit ihm zu verkehren. Sagen Sie ihm, Chaprons erster Zeuge sei ein alter Raufbold, meinetwegen ein unerträglicher Mensch, aber kurz und gut, er fordere regelrechte Formen und in erster Linie einen förmlichen Besuch bei uns beiden, um die Zusammenkunft zu verabreden, wie sich's gehört.«

»Sagt' ich's Ihnen nicht?« bemerkte Dorsenne, als er mit Florent die Treppe hinunterging. »Seit Hafners Name genannt wurde, ist er ein andrer Mensch. Für die Zusammenkunft dieser beiden sollte man Einlaßkarten verkaufen – das wird interessant. Wenn er nur nicht alles verdirbt mit seiner Narrheit! Wahrhaftig, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, daß Gorka diesen Zeugen wählt, ich hätte Sie nimmermehr an den alten Legitimisten verwiesen.«

»Und wenn Herr von Montfanon mir befähle, mich übers Schnupftuch zu schießen,« versetzte Florent lachend, »ich würde Ihnen doch dankbar sein, mich mit ihm in Beziehung gebracht zu haben. Das ist ein Mann aus einem Guß wie mein Vater, wie Maitland. Ich schwärme für diese ganzen Naturen.«

»Es ist also unmöglich, Kopf und Herz zugleich zu haben?« dachte Dorsenne, dem Florents ganze Verblendung über seinen Schwager durch diese Bemerkung enthüllt wurde.

»Jetzt hoffe ich nur noch auf Hafner selbst,« sagte er sich, denn Montfanons Reizbarkeit machte ihm sehr bange. Wenn dieser gefährliche Schlaukopf einen Auftrag übernommen hat, der mit seinen Gewohnheiten, Neigungen, seiner Stellung, oder auch mit seinem Alter in Widerspruch steht, so muß er mit dem künftigen Schwiegersohn einig sein und eine Versöhnung wünschen.«

Der Schriftsteller täuschte sich nicht. Der Zufall, der sich mitunter das Vergnügen macht, die Ereignisse zu häufen, hatte es gefügt, daß Ardea, gerade während er mit Gorka über die Wahl eines zweiten Zeugen verhandelte und selbst recht verdrießlich war über die ihm lästige Geschichte, ein Zettelchen von Katharina Steno erhalten hatte. Es stand nichts darin als: »Ihr Antrag ist angenommen. Ich freue mich, die erste zu sein, die ihrem Simpaticone Glück wünscht!« Dabei kam ihm ein glänzender Einfall – sein Schwiegervater mußte diesen Zweikampf, der ihm zwecklos, abgeschmackt und bedenklich vorkam, beizulegen suchen. Die Hast, womit Gorka auf seinen Vorschlag eingegangen war, bewies, daß Dorsenne und Chapron richtig gedacht hatten, er wollte in der That die Gräfin unterrichtet wissen. Hafner aber hatte – o seltsames Menschenschicksal! – die Zeugenrolle fast mit Montfanons Worten angenommen: »Wir werden alle Schritte zur Versöhnung thun, und gelingt sie nicht, uns zurückziehen.«

Damit war die wirklich denkwürdige Unterredung beschlossen worden, die den Handels-, nicht Ehevertrag der armen Fanny zum Gegenstand gehabt hatte. Von der Heirat war weit weniger die Rede gewesen, als von den Mitteln, den zwei ehebrecherischen Verhältnissen der großen Dame Vorschub zu leisten, die die Vermittlerin dabei spielte. Daß weder Ardea noch sein Schwiegervater den eigentlichen Anlaß dieses Zweikampfes berührten, braucht nicht erwähnt zu werden. Vielleicht würde der Freiherr mit seiner angebornen Vorsicht und Angst, sich bloßzustellen, zu jeder andern Zeit die Mitwirkung bei diesem gewaltsamen Abenteuer eines verzweifelten Liebhabers überhaupt verweigert haben, aber die Freude, seiner Tochter einen römischen Fürstentitel gekauft zu haben, hatte ihm wirklich den Kopf verdreht. So viel Besonnenheit hatte er aber doch gehabt, Ardea zu sagen: »Die Gräfin Steno darf bis auf weiteres nichts erfahren. Sie würde nicht verfehlen, Gorkas Frau zu benachrichtigen, und Gott weiß, wozu die fähig wäre.« In Wirklichkeit wußten die beiden Spießgesellen sehr genau, daß und weshalb die Sache für Maitland ein Geheimnis bleiben mußte. Im übrigen hatten sie den Nachmittag zu dem Besuch bei Chapron und der Absendung einer Unzahl von Telegrammen benützt, die in alle Welt hinaus Kunde von dieser Verlobung trugen. Fanny war um so seliger, als der Kardinal Guérillot ihr auf eine schüchterne Bitte sofort zugesagt hatte, ihren Glaubensübertritt in eigener Person zu weihen. Der Freiherr wußte sich kaum zu fassen vor Freude, als er sein Kind so glücklich sah, denn der seltsame Mann liebte das Mädchen, etwa wie der Pferdezüchter das Roß liebt, das den großen Preis davongetragen hat. Auch eine derartige Liebe ist aufrichtig. Als Dorsenne mit Chaprons Brief und Montfanons mündlichem Auftrag zu Hafner kam, verkündeten ihm dessen strahlende Miene und rückhaltslose Herzlichkeit sofort, daß der Heiratsplan geglückt sein müsse.

»Ganz wie Ihr Freund wünscht, lieber Meister, wir sind mit allem einverstanden, nicht wahr, Peppino? Wollen Sie mir vielleicht den Brief diktieren, Dorsenne? Nein, auch gut.« – Er setzte sich und schrieb. – »Lesen Sie und sagen Sie mir, ob es so recht ist. Wenn ich Ihnen sage, daß meine Tochter die Braut des Fürsten Ardea ist, werden Sie sich denken können, in welchem Sinn wir diesen Auftrag angenommen haben. Die Neuigkeit ist noch keine drei Stunden alt – Sie sind der erste, dem ich sie mitteile« – etwa zweihundert Telegramme hatte er vom Stapel gelassen! – »Bestimmen Sie selbst die Zeit der Zusammenkunft mit dem Marquis, ich bitte nur, daß es entweder zwischen sechs und sieben, oder neun bis zehn Uhr sei, damit unser kleines Familienfest nicht gestört wird.«

»Sagen wir neun Uhr,« erwiderte Dorsenne. »Herr von Montfanon ist etwas förmlich und wird Ihren Brief vorher schriftlich beantwortet haben wollen.«

»Der Fürst Ardea heiratet Fräulein Hafner!«

Dieser Schmerzensruf des alten Legitimisten kam so aus tiefstem Herzen, daß er dem Schriftsteller nicht einmal ein Lächeln entlockte. Er hatte es für nötig gehalten, Montfanon die Nachricht mitzuteilen, weil er bei einer unvorbereiteten Anspielung Hafners einen Wutausbruch gefürchtet hätte.

»Auf den Palast Castagna also hatte sie's abgesehen und sie wird als Herrin darin einziehen, wird ihn mit dem gestohlenen Gold, woran Menschenblut klebt, entehren! . . . Bitte, sagen Sie dem Kerl, daß er in meiner Gegenwart nicht davon sprechen soll, ich stehe sonst für nichts. Der Duellzeuge eines Gorka der Schwiegervater eines Ardea, dieser Galgenstrick, der von Rechts wegen Wolle spinnen müßte! Und wird denn der römische Adel, werden die Orsini, Colonna, Odescalchi, Borghese, Rospigliosi, die ihre Wappen makellos erhalten haben, nicht gegen diese Ungeheuerlichkeit einschreiten? Glücklicherweise ist's mit einem Fürstentitel wie mit der Liebe – wer diese Heiligtümer als Ware erhandelt, erniedrigt sie derart, daß man ihm für sein Geld nur noch den schlammigen Bodensatz ausliefert. Fürstin Ardea – dieses Geschöpf! Aber denken wir an unsern wackern Chapron – Ihre Nachricht hat mich so gepackt, daß ich ganz den Kopf verliere! Schreiben Sie diesem Hafner in Gottes Namen, daß wir um neun Uhr bei ihm sein werden. In meinem Haus mag ich die Leute nicht haben, bei Ihnen, das wäre unpassend, Sie sind zu jung, und ich gehe noch lieber zu dem Alten als zum Schwiegersohn. Der Schurke bleibt wenigstens bei seinem Leisten, wenn er sich kauft, was für gestohlenes Geld zu haben ist, aber der Fürst? Und nicht einmal der Betrogene kann er sein! Er muß ja von diesem Prozeß gehört haben, muß ja wissen, woher der Reichtum kommt, muß ja Auskunft über diese sauberen Familienverhältnisse erhalten haben! Ich bin nur froh, Dorsenne, daß ich meine zweiundfünfzig Jahre auf dem Rücken habe. Wenigstens werde ich nicht wie Sie den Todeskampf des Adels und der Monarchie mitansehen müssen! Wenn sie wenigstens auf blutigem Feld fielen, aber nein, sie fallen nicht, sie verfaulen an der Erde und das ist das traurigste an dem ganzen Elend. Uebrigens, was kommt darauf an? Die Monarchie, der Adel und die Kirche sind ewig – Völker, die sie verwerfen, werden daran zu Grunde gehen. Vorwärts, schreiben Sie den Brief, den ich mit unterzeichnen werde, schicken Sie ihn ab und essen Sie dann mit mir! Wir müssen uns vorsehen, ehe wir in die Räuberhöhle gehen, müssen die Verhinderung des Zweikampfes gut begründen und zugleich unserm Schützling eine ehrenvolle Stellung sichern . . . nur wenn sie uns Zugeständnisse machen, die mir selbst genügen würden, gehe ich für ihn darauf ein. Er gefällt mir, dieser wackere Junge, der seine Toten ehrt und sich für andre opfert. Er gefällt mir, sag' ich Ihnen, und ist mir eine wahre Erholung von dem Gesindel.«

Diese erregte Stimmung, die Dorsenne nachgerade Sorgen machte, ließ während des Essens nicht nach, sondern steigerte sich um so mehr, als der Marquis bei Erörterung seiner Versöhnungsbedingungen ganz in die Geschichte seiner stürmischen Jugend hineingeriet und der einstige Duellant in ihm erwachte. War das der nämliche Mann, der vor ein paar Stunden feuchten Blicks über die frommen Grabschriften in den Katakomben gesprochen hatte? Seine funkelnden Augen, sein gerötetes Gesicht sagten es deutlich, daß dies Abenteuer, das er im ehrlichen Glauben, ein gutes Werk zu thun, unternommen hatte, ihn jetzt selbst berauschte. Es war der alte Haudegen, der Mann des Schwertes, der sich in diesem Glaubenshelden rührte. Er hatte von jeher alles mit Leidenschaft erfaßt, jede Erregung, auch die der Gefahr und der gezückten Degen, war ihm willkommen gewesen; wie er seine Fahne geliebt hatte, so liebte er auch seine Grundsätze, nämlich bis zur Tollheit. Die alten Freunde und ihre Fechtkünste standen wieder vor dem Marquis, wie der oder jener ausgeholt, wie dieser sich gedeckt, mit welcher Kaltblütigkeit ein dritter den oder jenen Hieb geführt hatte, davon sprach er – von den drei unschuldigen Frauen, deren Ruhe es zu erhalten galt, war nicht mehr die Rede! Und mitten in diesen gar nicht friedlichen Erinnerungen wiederholte er wie einen Kehrreim: »Was für ein Teufel hat denn den Gorka geritten, gerade diesen Hafner zum Zeugen zu nehmen? Es ist einfach unanständig!«

So ging es fort, bis beide in den Wagen stiegen, der sie der Besprechung entgegenführen sollte, wobei Dorsenne, dem Kutscher das Ziel nennend, »Palazzo Savorelli« rief.

»Das setzt dem Ganzen die Krone auf!« sagte der Marquis, die Faust ballend. »Dieser Abenteurer bewohnt das Haus des Prätendenten, das Haus der Stuarts . . . das Haus der Stuarts!«

Darauf versank er in ein Stillschweigen, das dem Schriftsteller noch gewitterhafter erschien als die Leidenschaftlichkeit von vorhin. Nur einmal öffnete er noch den Mund, und zwar als er in das Empfangszimmer oder vielmehr eines der fünf Empfangszimmer des gewesenen Trödlers, jetzigen Edelmannes, geführt wurde. Montfanon sah sich nämlich die Einrichtung mit einem derartigen Ausdruck von Widerwillen, ja Ekel an, daß Julian sich eines Lächelns und einer Neckerei nicht enthalten konnte.

»Sie werden doch wohl nicht bestreiten, daß diese Sachen schön sind?« sagte er. »Diese beiden Moroni zum Beispiel?«

»Nichts ist an seinem Platz,« versetzte Montfanon bitter. »Ja, diese beiden Moroni sind herrliche Ahnenbilder, nur hat dieser Herr keine Ahnen! Ein Waffenschrank, und er hat nie einen Degen geführt! Ein Gobelin, der die Speisung nach der Bergpredigt darstellt – das ist doch geradezu eine Frechheit! Ob Sie mir's glauben oder nicht, Dorsenne, es thut mir körperlich weh, hier zu sein. Wenn ich denke, wie viel Arbeit und auch wie viel Seele in all diesen Dingen steckt, um dann schließlich die Orgien eines solchen Schurken zu umrahmen, bezahlt womit? Bedenken Sie doch! Machen Sie die Augen zu und denken Sie an jene Schröders und die unzähligen andern, die Sie nicht kennen, an deren Dachkammern, wo weder Möbel, noch Holz, noch Brot zu finden sind, und dann blicken Sie sich wieder um.«

»Bedenken Sie doch, mein tapferer Freund,« fiel ihm Dorsenne ins Wort, »weshalb wir hier sind! Ich beschwöre Sie, unsres Gesprächs in den Katakomben eingedenk zu sein und der drei Frauen, in deren Namen ich Sie gebeten habe, Florent beizustehen.«

»Ich danke Ihnen und verspreche Ihnen, ruhig zu bleiben,« erwiderte Montfanon, sich mit der Hand über die Stirne fahrend.

Kaum hatte er dieses Gelübde abgelegt, als die Thür aufging und der Freiherr in Begleitung des Fürsten eintrat. Einen Augenblick hatte man durch die geöffnete Thür Einblick in den hell erleuchteten Nebenraum gewonnen und Stimmengeflüster unterschieden: vermutlich hatten die Gräfin Steno und Alba an dem Familienfest teilgenommen. Während er die Herren miteinander bekannt machte, stellte der Schriftsteller seine Betrachtungen über die auffallenden Gegensätze zwischen ihnen an. Hafner und Ardea, beide im Gesellschaftsanzug, mit Blumen im Knopfloch, sahen so ehrlich vergnügt aus wie brave Bürgersleute, die nicht das Geringste auf ihrem Gewissen haben. Die gewöhnlich so welke Gesichtsfarbe des Geschäftsmannes war blühend, die harten Augen hatten einen weichen Schimmer. Auf dem Gesichte des Fürsten lag die köstliche Sorglosigkeit eines verzogenen Kindes, während der Held von Patay mit dem breiten Körper in einem fest zugeknöpften, etwas abgetragenen Rock und derben Stiefeln eine so gezwungene Miene zeigte, daß man bei ihm auf Gewissensnot hätte schließen mögen. Ein ungetreuer Verwalter, der einem großmütigen, vertrauensvollen Herrn Rechenschaft ablegen soll, kann nicht düsterer und sorgenvoller vor sich hinsehen. Zudem hielt er die einzige Hand so steif auf dem Rücken, daß niemand versucht war, sie ihm zu schütteln. Offenbar hatten sich Fannys Vater und ihr Verlobter eines solchen Entgegenkommens nicht versehen, und die fremdartige Erscheinung rief zuerst ein unbehagliches Schweigen hervor, das der Freiherr aber alsbald brach. Mit seiner ruhigen, kühlen Stimme, in dem schleppenden Ton, der jedes Wort auf der Goldwage zu prüfen schien, eröffnete er die Unterhandlung.

»Meine Herren, ich glaube unsern gemeinsamen Gesinnungen Ausdruck zu geben, wenn ich von dem maßgebenden Gesichtspunkt ausgehe, daß wir hier vereinigt sind, um zwischen zwei ›Gentlemen‹, die wir kennen, schätzen, ja, ich darf wohl sagen, gleichmäßig Freunde nennen, eine Versöhnung anzubahnen.« Er hatte bei diesen Worten jeden der drei Anwesenden der Reihe nach mit einem besonderen Kopfnicken angesehen. Dorsenne und Ardea hatten ein Zeichen der Zustimmung gemacht, der Marquis nicht. Diese Enthaltung kostete dem Freiherrn einiges Nachdenken und er fixierte den Legitimisten mit feinem forschenden Auge, das sich gewöhnt hatte, in die Tiefen jedes Gewissens einzudringen, um den etwaigen Kaufpreis abzuschätzen. »Unter dieser Voraussetzung erlaube ich mir die Bitte, Ihnen diese Notizen vorlesen zu dürfen,« fuhr er fort, indem er ein Blatt Papier aus der Tasche zog und seinen goldenen Kneifer aufsetzte. »Es ist nur eine Kleinigkeit, eine Direktive, wie Moltke zu sagen pflegte, ein Entwurf zu dem Versöhnungsverfahren, den wir natürlich gemeinsam beraten müssen. Ich habe nur ein paar Punkte flüchtig aufgestellt, um eine Grundlage zu haben und nicht ins Blaue zu reden . . .«

»Verzeihen Sie, mein Herr,« unterbrach ihn Montfanon, der bei der Erwähnung Moltkes die buschigen Augbrauen in die Höhe gezogen hatte, mit einer so raschen Gebärde, daß der überraschte Freiherr den Kneifer fallen ließ, »ich bedaure sehr, Ihnen sagen zu müssen, daß weder Herr Dorsenne, noch ich« – er sah Julian an, der den Blick unsicher und entschieden unangenehm berührt erwiderte – »sich auf den von Ihnen gegebenen Standpunkt stellen können. Sie sagen, daß wir uns zum Zweck einer Versöhnung vereinigt hätten? Das ist möglich, ich gebe zu, daß es wünschenswert wäre, aber ich weiß nichts davon; und, gestatten Sie mir die Bemerkung, Sie wissen ebensowenig davon. Herr Dorsenne und ich, wir sind hier, um als Vertrauensmänner des Herrn Florent Chapron aus Ihrem Mund zu vernehmen, was Graf Gorka ihm zur Last legt. Ich bitte, daß Sie die Anklage vortragen, wir werden darauf erwidern. Geben Sie uns Kenntnis davon, welche Genugthuung Sie uns im Namen des Grafen zu bieten haben, wir werden sie dann erörtern. Ihre Entwürfe und Notizen mögen später nützlich werden, vorderhand wissen weder Sie noch wir, was das Ergebnis unsrer Unterredung sein wird, ja wir dürfen es gar nicht wissen, ehe die Thatsachen festgestellt sind.«

»Hier hat ein Mißverständnis stattgefunden, Herr Marquis,« fiel der Fürst ein, den Montfanons Ton etwas gereizt hatte, da er für den einfachen, aber eigenartigen Charakter des Legitimisten so wenig ein Verständnis hatte als Hafner. »Ich habe mehrfach Ehrenhändeln beigewohnt, viermal als Zeuge, einmal persönlich beteiligt, und habe immer das von dem Freiherrn von Hafner vorgeschlagene Verfahren ohne Widerspruch annehmen sehen. Es ist ja im Grunde nur ein vereinfachtes Mittel, um zu dem Zweck zu gelangen, den Sie sehr richtig die ›Feststellung der Thatsachen‹ nennen . . .«

»Ich kannte die Zahl Ihrer Zweikämpfe in der That bisher nicht, mein Herr,« entgegnete Montfanon, den die Einmischung des Fürsten noch mehr erregt hatte. »Da Sie aber so freundlich waren, uns darüber zu belehren, bemerke ich, daß ich mich siebenmal geschlagen und wohl mehr als vierzehnmal als Zeuge gedient habe. Es war dies allerdings schon zu der Zeit, wo noch Ihr Herr Vater das Haupt Ihres Hauses war. Fürst Urban, wenn ich mich recht erinnere – ich hatte die Ehre, ihn kennen zu lernen, solang ich im Dienst des Heiligen Vaters stand. Das war ein echter römischer Edelmann, der seinen Namen mit Stolz führte . . . ich erwähne diese Dinge nur, um Ihnen zu zeigen, daß auch ich kein Neuling auf diesem Gebiet, nicht ganz ohne Erfahrungen bin. Nun denn! Wir sind dabei immer davon ausgegangen, daß die Zeugen einen Streit beizulegen haben, wenn es ohne Schädigung der Ehre geschehen kann, im andern Fall dafür zu sorgen, daß er in schicklicher Weise ausgekämpft würde. Der Zweck unsrer Zusammenkunft ist also unbedingt nur der, diesen Streit genau zu untersuchen.«

»Die Herren sind damit einverstanden?« wendete sich Hafner in versöhnlichem Tone an Ardea und Dorsenne. »Ich füge mich gerne, und wir wollen also die Thatsachen feststellen. Unser Freund Graf Gorka ist von Florent Chapron im Verlaufe eines Wortwechsels an einem öffentlichen Orte schwer beleidigt worden. Herr Chapron hat sich, wie Sie, meine Herren, wissen müssen, bis zu einer – wie soll ich nur sagen? – Lebhaftigkeit hinreißen lassen, die allerdings, dank der Geistesgegenwart des Grafen Gorka, ohne Folgen geblieben ist. Aber, ob ausgeführt oder nicht, die Drohung ist erfolgt; Graf Gorka fühlt sich beleidigt und man ist ihm Genugthuung schuldig. Ueber diesen Ausgangspunkt der Angelegenheit, die vielmehr ihr Kern und Inhalt ist, halte ich einen Zweifel für ausgeschlossen.«

»Ich muß abermals um Verzeihung bitten,« sagte Montfanon trocken, ohne seine Stimmung länger zu verhehlen, »aber Herr Dorsenne und ich können auch auf diesen Standpunkt nicht eingehen. Sie nehmen an, die ›Lebhaftigkeit‹ des Herrn Chapron sei dank der Geistesgegenwart des Grafen Gorka ohne Folgen geblieben. Wir behaupten, daß Herr Chapron sich überhaupt nur eine halb angedeutete, sofort freiwillig unterdrückte Gebärde zu Schulden kommen ließ. Es ist also übereilt, wenn Sie von vornherein dem Grafen Gorka die Stelle des Beleidigten zuerteilen. Er ist bis jetzt nur der Fordernde, was durchaus nicht auf eins herauskommt.«

»Aber er ist rechtlich der Beleidigte,« entgegnete Ardea. »Ob unterdrückt oder nicht, diese Gebärde ist eine Drohung mit Thätlichkeiten. Ich habe mich durchaus nicht als Raufbold aufspielen wollen, indem ich meinen einzigen Zweikampf erwähnte, aber das ABC des Codice cavalleresco ist doch: Wenn der Beleidigung eine Thätlichkeit folgt, so ist der Getroffene der Beleidigte, und die Drohung mit Thätlichkeiten kommt der Thätlichkeit gleich. Dem thätlich Beleidigten aber steht die Bestimmung des Zweikampfes und der Waffen zu. Lesen Sie darüber unsre Schriftsteller und die Ihres eignen Landes nach. Chateauvillars und Du Berger, Angelini und Gelli, alle stimmen darin überein.«

»Dann bedaure ich sie,« erwiderte der Marquis mit unheimlichem Stirnrunzeln, »denn diese Ansicht ist weder im allgemeinen, noch in unserm besondern Fall aufrecht zu erhalten. Der Beweis ist, daß ein Raufbold, wie Sie vorhin sagten« – seine Stimme zitterte bei der stark betonten Wiederholung des in feindseliger Absicht gesprochenen Wortes – »oder ein Bravo, wie Ihre Landsleute das nennen, sich durch ein freches Schimpfwort das Recht auf einen gesetzmäßigen Mord erwerben würde. Er beschimpft den Mann, den er aufs Korn genommen hat. Der Beleidigte erwidert mit einer unbedachten unterdrückten Gebärde, die man so oder so deuten kann, und der Bravo wäre dann der Beleidigte und hätte das Recht, die Waffen zu bestimmen?«

»Aber wo wollen Sie denn eigentlich hinaus, Herr Marquis?« fragte Hafner, dessen praktischem Sinn die Spitzfindigkeiten und Widerborstigkeit des Legitimisten ärgerlich waren. »Glauben Sie etwa, daß Sie durch Nergeleien dieser Art zum Ziele kommen?«

»Nergeleien?« rief Montfanon, halb von seinem Stuhle auffahrend.

»Montfanon!« flüsterte Dorsenne beschwichtigend, indem er selbst aufstand und seinen stürmischen Freund zwang, sich wieder zu setzen.

»Wenn Sie es verletzend finden, so nehme ich das Wort zurück,« sagte Hafner, »denn die Absicht einer Kränkung liegt mir gänzlich ferne – ich bitte um Entschuldigung, Herr Marquis. Aber, sagen Sie uns jetzt mit dürren Worten, was Sie im Auftrag von Herrn Chapron fordern, wir werden unser Möglichstes thun, um die Ansprüche unsres Mandanten mit den Ihrigen zu versöhnen. Wir haben einen ungefähren Ueberschlag aufzustellen . . .«

»Nein, mein Herr,« entgegnete Montfanon mit herausfordernder Strenge; »es handelt sich darum, Gerechtigkeit walten zu lassen. Herr Dorsenne und ich erklären: Da der Graf Gorka Herrn Chapron schwer beleidigt hat . . . bitte, lassen Sie mich ausreden!« unterbrach er sich, eine gleichzeitige Bewegung der Herren abschneidend. »Ja, die Beleidigung muß eine sehr schwere gewesen sein, sonst hätte sich Herr Chapron, dessen tadellose Haltung wir alle kennen, nicht zu der unziemlichen Bewegung hinreißen lassen, wovon die Rede war. Die beiden Herren sind aus Gründen des Zartgefühls, die wir annehmen müssen, wie sie uns gegeben werden, übereingekommen, daß die Herrn Chapron vom Grafen Gorka zugefügte Beschimpfung uns vorenthalten bleibe; wir haben aber das Recht, ja die Pflicht, an dem Zornesausbruch des Herrn Chapron das Gewicht dieser Beleidigung zu ermessen. Ich schließe daraus, um gerecht zu sein, daß bei einem von uns aufgestellten Versöhnungs-Protokoll gegenseitig Zugeständnisse gemacht werden müßten. Der Graf Gorka wird zu erklären haben, daß er seine Worte zurücknimmt, und Herr Chapron wird aussprechen, daß er seine Lebhaftigkeit bereut . . .«

»Das ist unmöglich! Darauf kann Gorka nicht eingehen!« rief Ardea.

»Sie wollen also durchaus zum Zweikampf drängen?« stöhnte Hafner.

»Und warum nicht?« entgegnete Montfanon, dessen Geduld vollständig erschöpft war. »Es wäre jedenfalls besser, als wenn der eine seine Beschimpfung, der andre den angedrohten Stockstreich mit sich herumtrüge!«

»Nun wohl, meine Herren,« erklärte der Freiherr, das allgemeine Schweigen brechend, das diese trotzige Aeußerung hervorgerufen hatte, »wir werden uns also wieder mit unserm Mandanten beraten und, wenn es Ihnen paßt, die Verhandlung morgen früh um zehn Uhr hier oder an einem andern von Ihnen gewählten Ort fortsetzen. Für heute müssen Sie uns entschuldigen, Herr Marquis – Sie werden von Dorsenne gehört haben, welch freudiges Ereignis . . .«

»Ja, ich weiß es,« versetzte Montfanon, den Fürsten so wehmütig anblickend, daß dieser unter diesem seltsamen Blick rot wurde, ohne sich gekränkt fühlen zu können.

Dorsenne wollte weiteren Erörterungen über diesen Punkt zuvorkommen und entgegnete an Montfanons Stelle rasch: »Darf ich die Herren bitten, sich zu mir zu bemühen? Unsre abermalige Zusammenkunft wird auf diese Weise weniger auffallen.«

»Es war wohlgethan, daß Sie ein andres Haus bestimmten,« bemerkte der Marquis, als er fünf Minuten später wieder mit seinem jungen Freund in den Wagen stieg. »Dieser geschändete Palast, die freche Prachtentfaltung dieses Diebs, dieser Fürst, der seine Familie verschachert – ich halte es nicht aus! Und dieser Freiherr mit seinen ›Direktiven‹! Einem Franzosen, der 1870 im Feld gestanden hat, Moltke vorhalten! Und sein ›ungefährer Ueberschlag‹, diesen Börsenausdruck auf die Ehre anwenden, und diese halb knechtische, halb freche geschmacklose Höflichkeit! Jawohl, aber ich bin nicht zufrieden mit mir, gar nicht zufrieden!«

Es lag so viel Gutmütigkeit in seinem Ton, so viel ehrliche Reue über seine unklug herausfordernde Haltung und seinen Mangel an Selbstbeherrschung, daß Dorsenne es nicht übers Herz brachte, ihm Vorwürfe zu machen, sondern ihm warm die Hand drückte.

»Morgen ist auch ein Tag! Da werden wir alles ins Lot bringen . . .«

»Sie wollen mich trösten,« warf der Marquis hin, »aber ich kenne mich aus. Es steht schlimm, sehr schlimm, und zwar durch meine Schuld! Vielleicht werden wir unserm wackeren Chapron nur noch den Dienst leisten können, allzu ungünstige Bestimmungen für den Zweikampf von ihm abzuwenden – ach, zu wie ungeschickter Stunde hat sich meine alte Heftigkeit wieder gerührt! Weshalb mußte Gorka auch diesen Zeugen wählen! Geradezu unbegreiflich! Haben Sie gehört, wie er die Zauberformel ›Gentlemen‹ aussprach? Darunter versteht solch ein Schurke Leute, die gute Pferde halten, ein schönes Haus, eine wohlgeschulte Dienerschaft besitzen: ob sie dann Lügner, Diebe und Mörder sind, ist einerlei, sie müssen sich nur fein benehmen! Ach! Ich habe wirklich viel durchgemacht und gerade am heutigen Tag! Welch ein zähes Leben doch der alte Adam in uns hat!« setzte er so leise hinzu, daß sein Begleiter ihn nicht verstand.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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