Paul Bourget
Kosmopolis. Erster Band
Paul Bourget

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Der Anfang einer Tragödie

»Da hätten wir ja einen ganz gescheiten Menschen, dem doch nie ein Zweifel an seinen eigenen Ideen aufsteigt,« dachte Dorsenne, dem Marquis nachsehend. »Es ist wie bei den ehrlichen Socialisten, da muß ich mich auch immer wundern. Was für ein Pathos er mir nicht aufgetischt hat, aber was für eine Jugendglut in dieser alten, abgenützten Maschine!«

Noch eine Minute verfolgte sein Blick den Verstümmelten von Patay, der die Propagandastraße entlang ging, und es lag mindestens ebensoviel Neid als Mitleid in diesem Blick. Der fehlende Arm machte Montfanons Größe und Magerkeit noch auffallender: er ging stramm mit dem raschen Schritt der von einer fixen Idee Behafteten, die, immer damit beschäftigt, kein Auge für ihre Umgebung haben. Die Sorgfalt, womit er den Schatten suchte und die Sonne mied, verriet indes den alten Römer, der die Gefahr ihrer ersten Strahlen im Frühling genau kennt.

Eine Minute darauf blieb der Marquis stehen, um einem der zahllosen Bettler, die den Spanischen Platz und seine Umgebung überschwemmen, ein Almosen zu reichen, was um so verdienstvoller war, als er mit seinem einen Arm und noch dazu durch das Gebetbuch gehindert, große Mühe hatte, in seine Tasche zu greifen. Dorsenne kannte den Sonderling hinreichend, um zu wissen, daß er niemals gelernt hatte, ein Bittgesuch irgend welcher Art abzuschlagen. Dank diesem Grundsatz befand sich der Gegner der schönen Fanny bei vierzigtausend Franken Jahreszins und der größten persönlichen Bedürfnislosigkeit fortwährend in Geldverlegenheit. Die bedeutende Ausgabe für den Montluc bewies, daß ihm die Abneigung gegen das reizende Mädchen schon zur Leidenschaft geworden war, eine Leidenschaft, die viel mehr unbewußte Logik enthielt, als Montfanon selbst ahnte. Der wahre Grund seiner Abneigung lag in der Liebe zum Kardinal Guérillot, die wie alle seine Gefühle heiß und mit Eifersucht gepaart war, und er konnte es Fräulein Hafner nicht verzeihen, daß sie, die er dem Bischof von Clermont als gefährliche Streberin bezeichnet hatte, dennoch in Verkehr mit dem Kirchenfürsten gekommen war. An die Beweise ihrer aufrichtigen Gesinnung, an all die edlen Handlungen seiner Feindin, wovon ihm der Kardinal seit Monaten erzählte, glaubte der eigensinnige Mensch einfach nicht, und sein Haß entbrannte um so wilder, als er an einem gewissen Unbehagen insgeheim dessen Ungerechtigkeit erkannte.

Während sich nun Dorsenne selbst nach dem Palast Castagna begab, dachte er indes bald nicht mehr an Montfanon und seine Vorurteile, sondern nur an die Nachricht von Boleslav Gorkas Rückkehr, die er eben aus dem Munde des Marquis erfahren hatte. Die Neuigkeit mußte dem Schriftsteller sehr unerwartet gekommen sein und ihn ernstlich beschäftigen, denn er warf nicht einmal einen Blick auf die Auslage des französischen Buchhändlers an der Ecke des Corso und sah nicht nach, ob die erwünschte Aufschrift »Vierzehntes Tausend« endlich auf dem gelben Umschlag seines letzten Bandes prange, der »Weltlichen Idylle«, die im Herbst erschienen war und einen großen Erfolg gehabt hatte, dem aber seine sechsmonatliche Abwesenheit von Paris und jeder litterarischen Clique doch etwas Abbruch that. Ebensowenig nahm er sich heute die Mühe, im Spiegel der Schaufenster, woran wahrhaftig auf dem Wege vom Spanischen Platz nach dem Palast Castagna kein Mangel ist, festzustellen, ob die Lebensweise, die er sich nach Lord Byrons Muster zum Schutz gegen jeden Fettansatz auferlegte, ihre Schuldigkeit thue und seiner Gestalt die eleganten Umrisse erhalte, die seiner Eitelkeit, als hübscher Mann zu gelten, am Herzen lagen. Dorsenne vernachlässigte heute auch eine seiner liebsten Unterhaltungen, nämlich die Fäden an dem aus Erinnerungen zusammengewebten Teppich zu verfolgen, den ein Gang durch Rom vor den Augen des Unterrichteten aufrollt, und doch führte ihn der Weg zum Castagnaschen Palast, der am Ende der Juliastraße seine düsteren Steinmassen vom Ufer des Tiber erhebt, an einer Reihe von Gebäuden vorüber, die die Chronik von Jahrhunderten erzählen. Zuerst der riesige Palast Borghese, das Borghesische Klavier, wie er der Form seines Grundrisses nach getauft worden ist, dieses Denkmal alter Herrlichkeit, das kaum zwei Jahre später der Schauplatz einer noch viel wehmütigeren Ausstellung werden sollte als der Palast Castagna, und eines Unterganges, der nicht wie der des leichtlebigen Kosmopoliten Ardea ein verdienter war. Taucht nicht das ganze päpstliche Rom vor der Seele des Beschauers auf, wenn er den ungeheuren, nach jenem Papst benannten Bau sieht, der den St. Peter vollendet hat und auf seine Stirne neben dem Namen des Apostelfürsten sein stolzes Paulus V. Burgherius Romanus gesetzt hat? Nicht einmal einen zerstreuten Blick hatte Dorsenne für den prunkvollen Bau, und ebenso geistesabwesend ging er zehn Minuten später an der Ludwigskirche, dem Gegenstand von Montfanons besonderer Andacht, vorüber. Die Seele muß frei sein, um sich jenem Zauber der Geschichte zu erschließen, wie er den aus Vergangenheit aufgebauten Städten entsteigt, und obwohl Julian sich mit Fug und Recht etwas darauf zu gute that, über den Gemütsbewegungen zu stehen, obwohl er den Ausspruch des Mannes, der nie einen Kummer empfunden haben wollte, den ein Buch nicht verscheucht hätte, über die Maßen bewunderte, hatte er auf diesem Gang zu seinem »Menschenmosaik« nicht die volle Unabhängigkeit und mußte unaufhörlich die Fragen hin und her wälzen: »Boleslav Gorka zurück? Und vor zwei Tagen noch sagte mir seine Frau, daß sie ihn nicht vor vier Wochen erwarte . . . aber Montfanon hat doch nicht . . . Boleslav Gorka hier? Und gerade jetzt, wo die Steno wahnsinnig in Maitland verliebt ist . . . sie ist ja ganz toll. Was für Augen sie ihm vorgestern in ihrer Gesellschaft gemacht hat! Es war ein Skandal. Gorka hat schon diesen Winter ein Vorgefühl davon gehabt, denn als der Amerikaner zum erstenmal Alba malen wollte, hat er's hintertrieben. Der Montfanon ist gut, wenn er von friedlicher Teilung zwischen diesen zwei Männern faselt! Als Boleslav nach Warschau ging, haben sich Maitland und die Gräfin kaum gekannt, und jetzt . . . Ist er wirklich so Hals über Kopf heimgekommen, so muß er von seinem Stellvertreter Wind bekommen haben. So was kommt ja vor unter guten Kameraden, solche Tröpfe gibt's . . . Falls Gorka, der ein Pistolenschütze ist wie Casal, diesen Amerikaner im Zweikampf erschießt, so erhält die Welt einige nachgemachte Velasquez weniger, woran mir etwa so viel liegt als an meinem ersten Leitartikel. Auch wenn er den Verrat an seiner Geliebten rächt, macht es mir keinen Kummer, denn sie treibt's wirklich ein bißchen bunt, diese Katharina Steno; aber was soll aus meiner kleinen Freundin, der armen, herzigen Alba werden, wenn die Thorheiten ihrer Mutter Skandal erregen, vielleicht blutigen? Das Kind ahnt zuweilen manches und leidet namenlos darunter . . . Gorka hier? . . . Und mir hat er's nicht geschrieben, obwohl ich seit seiner Abreise mehrere Briefe von ihm erhalten habe, obwohl er mich letzten Herbst unter dem Vorwand, daß ich die Frauen kenne, zum Vertrauten seiner Eifersucht gemacht und die reizende kleine Eitelkeit gehabt hat, mir einen Roman einblasen zu wollen! . . . Dies Schweigen und diese Rückkehr, das schmeckt nicht mehr nach einem Roman, sondern nach einer Tragödie, und bei einem Manne wie diesem muß man auf alles gefaßt sein. Nun, ich werde ja bald wissen, woran ich bin, denn jedenfalls treffe ich ihn im Palast Castagna. Er wird sich's nicht haben nehmen lassen, seine Frau zu begleiten, um die einstige Geliebte ein paar Stunden früher wiederzusehen. Die einstige Geliebte? Nein, nein. Dieses Kapitel ist noch nicht abgeschlossen . . . Es wäre mir lieber, er säße noch an der Weichsel, dort war er besser aufgehoben! Arme, herzige Alba!«

Dieses innerliche Selbstgespräch unterschied sich sehr wenig von dem, was unter diesen Umständen jeder andre junge Mann, der sich für die unschuldige Tochter einer leichtsinnigen Mutter interessiert, auch gedacht haben würde. Es ist immer ein rührender Fall, aber kein seltener, und der Romandichter hätte nicht nötig gehabt, ihn gerade in Rom zu studieren und zum Schaden seiner litterarischen Laufbahn einen ganzen Winter und Frühling darauf zu verwenden. Wenn seine Teilnahme aber über den Studienzweck hinausging, so hatte Dorsenne ja ein sehr einfaches Mittel zur Hand, um seine »kleine Freundin« vor allem Herzeleid zu bewahren, das der Leichtsinn dieser Mutter, die auch das Alter keine Tugend lehrte, über sie bringen konnte. Warum machte er sie nicht zu seiner Frau? Dorsenne hatte väterliches Vermögen, das durch litterarische Erfolge bedeutend vermehrt worden war, denn seit sein erster Band der im Jahre 1879 erschienenen »Weiblichen Studien« ihm einen Namen gemacht hatte, war keiner von seinen fünfzehn Romanen- oder Novellenbänden unbemerkt geblieben. Seine persönliche Berühmtheit konnte je nach Bedürfnis auch durch Familienstolz unterstützt werden, denn sein Großvater war der jüngere Vetter jenes berühmten Generals Dorsenne gewesen, den Napoleon an der Spitze seiner Garde nur durch einen Friant hatte ersetzen können. Damit ist alles gesagt. Die Erben des Helden aus der großen Kaiserzeit hatten zwar diese Verwandtschaft nicht anerkannt, aber Julian glaubte daran, und wenn er gelegentlich Schmeicheleien über seine Werke mit der Bemerkung ablehnte: »Ach, in meinen Jahren hatte mein Großonkel als Oberst der Garde schon ganz andre Dinge vollbracht,« so war es ihm heiliger Ernst damit. Dieser etwas fragliche Ruhm hätte aber nicht einmal ins Treffen geführt zu werden gebraucht, um ihn der Gräfin Steno, deren gesellschaftliche Stellung durch ihren Lebenswandel immerhin erschüttert war, als Schwiegersohn annehmbar zu machen.

Was das Herz des jungen Mädchens betraf, so hätte er sich mit seinem schönen, klugen Kopf und der trotz seiner fünfunddreißig Jahre jugendlich schlanken Gestalt diese Eroberung wohl zutrauen dürfen. Nichts lag ihm aber ferner als derartige Pläne, denn als er jetzt die Treppe in dem einst von Urban VII. bewohnten Palast emporstieg, setzte er den Monolog von vorhin, allerdings in ganz andern Ausdrücken fort; er fertigte eine jener unbewußten Umarbeitungen an, wie sie im Gehirn des litterarischen Arbeiters, einem Naturtrieb gehorchend, von selbst entstehen. Dieses Denken in druckreifer Gestalt ist einer der ausgesprochensten Auswüchse dieses Berufes und zugleich der für den Laien unverständlichste, denn er denkt ungehemmt und ist in der glücklichen Lage, von der Sklaverei, die das haarscharf richtige Wort ausübt, nichts zu ahnen.

»Ja, ja, die arme, herzige Alba!« sagte er sich. »Wie schade, daß die vor vier Monaten angezettelte Verbindung mit Maud Gorkas Bruder nicht zustande gekommen ist! Es wäre ja ziemlich unsittlich gewesen, sie in die Familie des Liebhabers ihrer Mutter eintreten zu lassen, aber schließlich hätte sie um so eher Aussicht gehabt, unaufgeklärt zu bleiben, und die Freundschaft zwischen ihr und Gorkas Frau, die ihre Mutter aus Bequemlichkeitsgründen so begünstigt, hätte wenigstens Nutzen gebracht. Alba wäre jetzt Lady Ardrahan und steckte in den gesunden englischen Verhältnissen, die unser sittliches Sein kräftigen, wie die Bergluft das Blut, während man sie hier oder anderswo irgend einem Dummkopf zur Frau geben wird. Den wird sie dann betrügen, wie ihre Mutter den verflossenen Steno betrogen hat; wer weiß, vielleicht gar mit mir – als Erinnerung an unsre hübsche, unschuldige Freundschaft von heute – nein, das wäre gar zu traurig. Lassen wir die Zukunft, von der wir nicht wissen, ob sie sein wird, während die Gegenwart alle Rechte der Wirklichkeit hat! . . . Und Thatsache ist, daß ich dem Komteßchen meine eigenartigsten römischen Eindrücke verdanke, die mir das Bild ihrer nicht allzu glücklichen Jugend im Rahmen der großen Vergangenheit geboten hat. Und das ist auch wieder so ein Eindruck, den man mit Verständnis genießen muß, der Besuch dieses unter den Hammer gekommenen Palastes an der Seite eines arglosen Kindes, über dessen Haupt ein Damoklesschwert schwebt. Logischerweise sollte ich mich ja freuen, daß die Gräfin Steno eine galante Frau ist, denn sonst würde in ihrem Haus ein andrer Ton herrschen, und mein traulicher Verkehr mit der Kleinen wäre nicht denkbar. Ebenso muß ich befriedigt sein, daß der Fürst Ardea ein Lebemann und obendrein ein Narr ist, der sein Vermögen an der Börse verspielt hat, und daß die Gläubiger sich unter Vorsitz des Meisters Ancona zusammengethan und Hand auf diesen Palast gelegt haben, denn sonst würde ich jetzt diese päpstliche Treppe nicht hinaufsteigen, diese in die Mauern eingefügten griechischen Sarkophagtrümmer nicht betrachten und mich nicht an dem leuchtenden Grün dieses Gartens erfreuen. Was Gorka betrifft, so kann der ja auch aus sechsunddreißig andern Gründen als gerade Eifersucht zurückgekommen sein, und vielleicht hat Montfanon doch recht, und die Steno bringt's fertig, alle beide, den Maler und ihn, an der Nase herumzuführen. Sie wird dem Maitland weismachen, daß sie Gorka nur aus Rücksicht auf seine Frau bei sich sehe und um ihn zu verhindern, diese vollends durchs Spiel zu Grunde zu richten. Und Boleslav wird sie vorschwätzen, daß es sich zwischen ihr und Maitland nur um ästhetische Gespräche über Perugino und Raphael handle, und ich wäre ein größerer Narr als diese beiden, wenn ich mich um die Freude an dem heutigen Schauspiel bringen ließe.«

Diese zweite Gedankenreihe war mehr im echt Dorsenneschen Stil als die erste und entsprach der systematischen Feinschmeckerei, die er dem alten Montfanon vorhin so eingehend erklärt hatte und die manchmal selbst für seine nächsten Freunde schwer verständlich war. Der junge Mann mit den großen dunklen Augen, die in dem feinen Gesicht so weit geöffnet leuchteten, der gelblichen Haut eines an asketischer Schwärmerei krankenden spanischen Mönches hatte sein Leben lang nur einer Leidenschaft gefrönt, die so ungewöhnlich war, daß sie den gewöhnlichen Beobachter irreführen mußte, und die sich in so eigenartiger Weise entwickelt hatte, daß sie selbst für Wohlwollende bald den Anschein herausfordernder Frechheit oder das Ansehen einer verwerflichen Selbstsucht oder tiefer Verderbtheit gewann. Dorsenne hatte wahrheitsgemäß ausgesprochen, daß er verstehen wolle, ja daß ihm Verständnis ein Zweck sei, dem er nachjage, wie der Spieler dem Spiel, der Geizhals dem Geld, der Streber den Aemtern. Er besaß die Lust, den Heißhunger oder vielmehr die Leidenschaft für das Abstrakte, die den Gelehrten und den Philosophen ausmachen; aber eine Laune der Natur hatte den Denker mit dem Künstler zusammengeschweißt, Vermögen und Erziehung hatten ihn zum Weltmann und Weltbummler gemacht. Das abstrakte Aufbauen des Metaphysikers hätte ihm ebensowenig genügen können als der fortdauernde, sprudelnde, unbewußte Schöpfungstrieb des Erzählers, der zu seiner eigenen Unterhaltung und seiner Erfindungsgabe froh Geschichten ersinnt, und ebensowenig hätte die halb tierische Glut des Vergnügungsmenschen, der sich in die Raserei des Lasters versenkt, ihn befriedigt. Halb bewußt, halb unbewußt hatte er einen Vergleich zwischen seinen widersprechenden Anlagen zustande gebracht, dem er mit dem Ausdruck, sein Ziel und Zweck sei, »die lebhaften Empfindungen geistig durchzuarbeiten«, eine etwas gespreizte Bezeichnung gab. Deutlicher gesagt, suchte er sich den größeren Teil der Eindrücke, die das Menschenleben bietet, durch persönliche Erfahrung anzueignen und sie, nachdem er sie empfangen hatte, unter der geistigen Lupe zu betrachten. Er glaubte, mit Recht oder Unrecht, bei den beiden Schriftstellern, die er am höchsten stellte, Goethe und Stendhal, die fortgesetzte Anwendung eines ähnlichen Grundgedankens zu finden, und so war es in den vierzehn Jahren, seit er zu leben und zu schreiben angefangen hatte, sein beständiges Bemühen gewesen, möglichst verschiedene Lebenskreise und -formen durchzumachen. Er hatte sich zu diesem Behuf an die Menschen angeschlossen, ohne sich je zu verschenken, denn immer hatte der Gedanke im Hintergrund gestanden, daß er anderswo noch andre Sitten, andre Charaktere studieren müsse, andre Gestalten annehmen und von andern Empfindungen berührt werden könne. Den Augenblick, die eine Schlangenhaut mit einer neuen zu vertauschen, bezeichnete ihm die Vollendung eines auf diese Weise entstandenen Buches, denn er war überzeugt, daß eine Herzenserfahrung oder ein gesellschaftlicher Zustand, sobald sie fixiert, geschildert und gedruckt waren, keine Fortsetzung mehr lohnten.

Auf diese Weise erklären sich die verschiedenartigen und widersprechenden Luftströmungen, die Dorsennes Werke durchwehen. Schlägt man zufällig die erste Novellensammlung, die seinen Namen bekannt gemacht hat, die »Weiblichen Studien«, auf, so findet man einen Schwärmer, der am unrechten Ort geliebt und Stunden damit vergeudet hat, die verstellte oder offenbare Halbwelt ernsthaft zu nehmen. Daneben steht: »Ohne Gott«, die Schilderung eines wissenschaftlichen Gewissenskampfes, die von sehr gründlichen Studien zeugt, während der »Premierminister« ein sprechend ähnliches Bildnis der politischen Welt ist, das nur malen konnte, wer im Palais Bourbon und in den Redaktionsräumen der Zeitungen heimisch ist. Als Paris eines Tages erfahren hatte, daß Dorsenne als Wahlkandidat für die Kammer aufgetreten sei – nebenbei ist er durchgefallen –, sagten seine Feinde, er wolle Reklame machen, seine Freunde, es sei eine tolle Laune; in Wirklichkeit hatte er sich damit nur die besonderen Gefühle eines Mannes der That aneignen wollen. Seine zwei Bände Reiseskizzen, die er etwas anspruchsvoll »Tourismus« und »Ausländische Gefühle« getauft hat, und seine »Weltliche Idylle«, die sich im Rahmen von Florenz und London, St. Moriz und Bayreuth abspielt, offenbarten lange Abwesenheit aus Frankreich, lebendige Eindrücke der italienischen, deutschen und englischen Gesellschaft, samt einer zwar nicht besonders gründlichen, aber exacten Kenntnis der Sprachen, Litteraturen und Landesgeschichte, die einigermaßen im Widerspruch steht mit dem sonst darin vorherrschenden »Ewig Weiblichen«. Diese Gegensätze setzen eine Seele voraus, worin die entlegensten Fähigkeiten vereint und einem festen Willen unterworfen sind, das Gemüt aber nicht vorherrscht. Letzteres mag mit der schmelzenden Zartheit in vielen von Dorsennes Arbeiten unvereinbar scheinen, und doch war dem so. Er hatte wenig Herz, aber um so empfindlichere Nerven, und wenn die Gefühlskraft, die sich hingibt bis zum Tod, einzig aus dem Herzen stammen kann, so genügen für den, der menschliche Leidenschaften, besonders die Liebe, schildern will, empfindliche, reizbare Nerven, ja, sie haben den Vorzug, noch reden zu können, wo das wahre Gefühl verstummt.

In jedem Lebenskreis, den er in seiner Eigenschaft als Gefühlstourist durchwanderte, sah er sich nach einer Frau um, die allen Reiz ihrer Sphäre in sich zusammenfaßte, und bei seiner Vorliebe für das Gespräch mit Frauen hatte er zahllose vertraute Beziehungen geknüpft. Einige davon waren einfach zu Liebschaften geworden, die meisten waren platonische Verhältnisse geblieben, andre hatten sich auf eine Freundschaftständelei beschränkt, wie es bei der jungen Alba Steno der Fall war. Das Weib, gleichviel, ob Geliebte oder Freundin, reizte in neun Fällen unter zehn nur seine Neugierde, in diesem zehnten Fall ward sie ihm entweder begehrenswert oder er begnügte sich, den Duft ihrer Seele einzuatmen und sie als Modell zu verwerten. Da er sich aber stets befleißigt hatte, solche Modelle durch kein äußeres Zeichen kenntlich zu machen, glaubte er sich von jeder Schuld freisprechen zu dürfen, wenn er sein Ansehen als bekannter Schriftsteller für seine sogenannten Studien verwertete. Niemals dämmerte ihm auch nur eine Ahnung, welche Unsittlichkeit in diesem geistigen Epikuräismus lag, der auf einem beständigen Mißbrauch der eigenen Seele und fremder Herzen beruhte. Er konnte gerecht sein – die warme Verteidigung Fanny Hafners gegen Montfanons Angriffe hat es bewiesen; er konnte bewundern – seine Ehrfurcht für die edlen Züge an diesem nämlichen Montfanon zeugt dafür; er konnte Mitleid fühlen – sonst hätte er den Rückschlag, den Gorkas überraschende Rückkehr auf das Schicksal der unschuldigen Alba Steno ausüben konnte, nicht so gefürchtet; aber der plötzliche Umschlag, der bei seinem Eintritt in das großartige Treppenhaus des Castagnaschen Palastes erfolgt war, blieb bei ähnlichen Anlässen nie aus. Das Uebermaß von grübelnder Erwägung stellte sich immer auflösend und verderblich zwischen seine natürlichen Regungen. Er war wirklich erschüttert gewesen von der unerwarteten Nachricht, daß der hintergangene Liebhaber der Gräfin wieder in Rom sei; er hatte sich in einer Viertelstunde wehmütiger Besorgnis alle Gefahren ausgemalt, die diese Rückkehr für Alba im Gefolge haben konnte, aber noch ehe er das junge Mädchen gesehen hatte, hielt er sich schon wieder fest im Zügel. Das Natürliche wäre gewesen, daß es ihn gedrängt hätte, sie zu sprechen, sich zu überzeugen, wie die Dinge standen; aber statt zu ihr zu eilen, blieb er lange an einem Fenster stehen. Er hatte ein dünnes Notizbuch aus der Tasche gezogen und trug mit einem Bleistift, der ihn nie verließ, in einer Schrift, die so fest, sicher und klar war, wie er seinen Geist und seine Kunst haben wollte, die nicht sonderlich gemütswarmen Bemerkungen ein:

»25. April 90. Palazzo Castagna. Wunderbare, von Balthasare Peruzzi entworfene Wendeltreppe, sehr breit und hoch, je von zehn zu zehn Stufen Doppelsäulchen wie in San Colombo bei Siena. Besonderen Eindruck empfangen von dem Blick auf einen Garten im Hof, der so umrahmt, so abgeschlossen, so abgezirkelt ist, daß die rotblühenden Büsche, die trockene Regelmäßigkeit der grünen Gesträuche, die saubere Geradheit der mit weißem Sand bestreuten Wegchen wie die Züge eines Gesichts erschienen. Gedanke des romanischen, im Gegensatz zum germanischen oder angelsächsischen Garten, der die Launen der Natur achtet, während hier alles Linie, Regel ist, das Blumenbeet vermenschlicht, vergewaltigt. Das gesamte Leben in einen klaren Zusammenhang bringen, ist immer das Merkmal des romanischen Geistes, ob es sich nun um eine Baumgruppe, ein Volk oder eine Religion handelt. – Gegensatz zu den nordischen Rassen. Tiefsinniges Wort: ›Der Wald hat den Menschen die Freiheit gelehrt.‹« – – –

Kaum daß er dies etwas wunderlich gedeutete Citat niedergeschrieben und das Notizbuch zugeklappt hatte, das er mit Vorliebe seine Speisekammer, in derber Laune auch seinen Spucknapf nannte, veranlaßte ihn der Klang einer wohlbekannten Stimme, sich rasch umzudrehen. Dorsenne hatte den Schritt des Herrn nicht gehört, der ihm schon länger belustigt zugesehen hatte und auch ein Mitglied seiner Truppe war, und zwar gerade das von Montfanon heute früh am übelsten mitgenommene, Fannys Vater, der Freiherr Justus von Hafner. Der einstige Strauchdieb des Amsterdamer Geldmarktes, der nur allzu berühmte Gründer, war ein kleines, leibarmes Männchen mit blauen Augen von fast unerträglicher Schärfe, die aus einer verschwommenen Physiognomie mit farbloser Haut hervorleuchteten. Seine gleichmäßig verbindliche Haltung, sein ebenso gleichmäßig einfacher, aber sorgfältig gewählter Anzug, seine gleichmäßig zurückhaltende, maßvolle Ausdrucksweise verliehen ihm jene farblose Vornehmheit, die bei so vielen alten Diplomaten geistige Bedeutung ersetzt, und nur der Blick, den er noch nicht mit gleichgültiger Freundlichkeit zu verschleiern gelernt hatte, verriet den gefährlichen Abenteurer. Trotz aller Mühe ließ der Weltmann, der er sein wollte, in nicht zu bezeichnenden Kleinigkeiten, namentlich aber in diesen Pupillen, deren Unruhe bei einer so glänzend gestellten Persönlichkeit auffiel, eine rätselhafte, dunkle Vergangenheit durchschimmern, die von düsteren Kämpfen, heißen Begierden, kalter Berechnung und unbezähmbarer Willenskraft zeugte. Der fanatische Montfanon, dessen Haß der Tochter so unrecht that, erkannte den Vater richtig, oder doch annähernd richtig, denn selbst bei einem so vollständigen Typus des internationalen Strebers, der wirklich weder Vaterland, noch Familie, noch Religion hat, gibt es mehr Zwischentöne und mehr Unbewußtes, als wir anzunehmen pflegen.

Bei seinem Vater, einem sehr geschickten, fleißigen Juwelier, der aber zu vorsichtig war, um viel zu wagen und viel zu gewinnen, hatte er den Handel mit Edelsteinen erlernt, womit er bald das Geschäft in alten Spitzen, Bildern, Stoffen, Stickereien und Möbeln verbunden hatte. Ein unfehlbarer Scharfblick, die Geduld und Beharrlichkeit des Holländers hatten ihm zu einem ansehnlichen Vermögen verholfen, wozu noch die Erbschaft des Vaters kam. Mit siebenundzwanzig Jahren hatte Justus Hafner die erste halbe Million »gemacht«, verspielte sie aber bei dem Versuch, durch gewagte Börsenunternehmungen die zweite Hälfte zu erringen. Er fing von vorne an, griff wieder zum Handel mit Schmuck und Diamanten und erwarb in Paris in einer ärmlichen Wohnung der Montmartrestraße binnen drei Jahren sein zweites Betriebskapital. Bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges war er in England gewesen, wo er die Tochter eines niederländischen Geschäftsmannes heiratete, der von London aus große Proviantlieferungen für die kriegführenden Heere übernahm. Der ungeheure Gewinn, den sein Schwiegervater und er in diesem Jahre machten, bestimmte sie, ein Bankhaus zu gründen, das den Hauptsitz in Amsterdam, eine Filiale in Berlin haben sollte. Justus Hafner, der ein leidenschaftlicher Bismarckverehrer war, beteiligte sich unter anderm auch an einer bedeutenden Zeitung, aber der große Staatsmann verweigerte dem einstigen Juwelenhändler die Gelegenheit, den politischen Ehrgeiz zu befriedigen, der von Kinderzeiten her in ihm schlummerte. Das war eine furchtbare moralische Niederlage für diesen rührigen Mann gewesen, der, nachdem er erkannt hatte, daß Preußen kein Boden für ihn war, endgültig nach Holland übersiedelte. Die Gründung seiner phantastischen Bank brachte ihm die Erfüllung wenigstens eines Traumes, und sein Vermögen, das bisher dem der Finanzgrößen jener Zeit noch nicht gleichgekommen war, wuchs nun mit beinahe zauberhafter Geschwindigkeit derart an, daß er sich schon im Jahre 1879 jenen verfeinerten Luxus gestatten konnte, der auf einer halben Million Jahreseinkommen beruht. Gegen die Gewohnheit von Männern seines Schlages, wußte Hafner seinen Gewinn beizeiten in Sicherheit zu bringen und vorteilhaft anzulegen; er glaubte sich also ganz im Trockenen, als der Prozeß vom Jahre 1880 wie ein Blitzstrahl über ihn hereinbrach und um ein Haar das ganze mühsam errichtete Gebäude zerstört hätte. Die zahllosen Unglücksfälle, namentlich der Selbstmord der Familie Schröder, die der Krach des Unternehmens nach sich zog, wirbelten Staub auf und eine gerichtliche Untersuchung wurde eingeleitet. Justus Hafner ward freigesprochen, aber unter so schwerer Schädigung seiner geschäftlichen Ehre und so verfemt von der öffentlichen Meinung, daß er aus seiner Heimat nach Italien, von Amsterdam nach Rom übersiedelte. Ohne sich viel aus den ersten Zurückweisungen zu machen, ging er nun daran, das dritte Ziel seines Lebens, eine gesellschaftliche Stellung, zu erringen. Auf die Periode der Habgier war, wie es beim Geldmenschen seiner Art häufig zu gehen pflegt, die Periode der Eitelkeit gefolgt. Als Witwer betrieb er nun die Verheiratung seiner Tochter mit ebenso großer Beharrlichkeit und Umsicht wie früher seine Geschäfte und verbarg sein Strebertum unter einer Haltung von tadellos vornehmer Ruhe. Wie er Mittel und Zeit gefunden hatte, sich während eines Lebens voll Kampf und Mühe derart zu bilden, daß der ursprüngliche Trödler und der anrüchige Börsenjobber nicht mehr allzu deutlich erkennbar waren in dem vierundfünfzigjährigen Baron und Ritter mehrerer Orden, der einen prachtvollen Palast besaß, eine reizende Tochter hatte und selbst ein angenehmer Gesellschafter von ritterlichem Anstand und ein eleganter Sportsman war? Das ist das Geheimnis dieser Naturen, die auf den socialen Kampf zugeschnitten sind, wie ein Napoleon auf den Krieg, ein Talleyrand auf die Staatskunst. Dorsenne grübelte längst darüber nach, ohne die Frage lösen zu können. Obwohl er sich gerühmt hatte, den Baron mit künstlerischem Interesse zu betrachten, gelang es auch ihm nicht, eine leise Regung des Widerwillens zu überwinden, der ihn immer beschlich, wenn er dem schrecklichen Mann in die unheimlichen Augen sah. Auch jetzt war es ihm geradezu peinlich, daß diese Augen ihn beim Festhalten seiner harmlosen Notiz ertappt hatten, obwohl in der Art, wie der Baron ihn anredete – ganz dem Ton eines großen Herrn, der Künstler protegiert – nur ein kaum merklicher Anflug von Hohn lag.

»Lassen Sie sich ja nicht stören, mein lieber Meister,« sagte er. »Sie arbeiten nach der Natur und thun sehr wohl daran. Ich merke schon, Ihr nächster Roman wird sich um den Zusammenbruch bei unsrem armen Fürsten Ardea drehen . . . machen Sie's gnädig mit ihm und mit uns andern auch.«

Der Schriftsteller ward bei diesem gut gemeinten Scherz ein wenig rot. Keine Neckerei verdroß ihn so sehr wie diese, vielleicht eben deshalb, weil sie zu gleicher Zeit gerecht und ungerecht war. Wie sollte er die Art von litterarischer Alchemie erklären, durch deren Hilfe er mit Recht versichern konnte, nie ein Porträt gemacht und doch keine Zeile in seinen fünfzehn Bänden ohne Modell geschrieben zu haben!

»Da täuschen Sie sich gründlich, mein bester Baron,« gab Dorsenne ziemlich übellaunig zurück. »Ich mache über niemand Notizen und schreibe keine Schlüsselromane.«

»Das behaupten alle Schriftsteller,« versetzte Hafner mit der gemachten Gutmütigkeit, die ihn selten im Stich ließ, die Achseln zuckend, »und auch darin haben Sie recht. Jedenfalls bin ich sehr froh, daß Sie die paar Zeilen geschrieben haben, denn jetzt haben wir die Damen wenigstens zu zweien warten lassen und tragen ihren Groll gemeinsam. Es ist beinahe ein Viertel nach elf und auf Punkt elf Uhr war das Stelldichein verabredet. Nun, ich kann mich rechtfertigen, ich habe auf meine Tochter gewartet . . .«

»Und sie kommt nicht?«

»Nein, im letzten Augenblick hat sie mir abgesagt. Sie hat heute früh einen kleinen Aerger verschlucken müssen wegen irgend eines alten Buches, das sie kaufen wollte und das ihr ein Schlauerer weggeschnappt hat. Er wußte offenbar, daß sie Absichten darauf hatte, und wenn sie ihre Laune mit fünfundzwanzig Louisdor teurer bezahlt, wird die Sache erledigt sein. Das ist aber nicht der eigentliche Grund, der liegt vielmehr in ihrer Empfindsamkeit. Sie findet es gar zu wehmütig, den Besitz einer so alten Familie unter den Hammer kommen zu sehen. Schließlich mag sie das halten, wie sie will! Wie wär's erst, wenn sie die hochselige Fürstin Nicoletta, Peppinos Mutter, gekannt hätte! Als ich zum erstenmal nach Rom kam, im Jahre 1875, da hätten Sie diesen Salon sehen sollen und diese Fürstin, die es so ganz war! Sie war eine Condolmieri, aus der Familie Eugens IV., eines Papstes von reinstem Cinquecento . . .«

»Wie die Eitelkeit auch die Klügsten dumm macht,« sagte sich Julian, seinen Schritt dem Baron anpassend. »Er möchte bei mir den Eindruck erwecken, daß er von dieser Frau empfangen worden sei, die am heikelsten war in der Wahl ihrer Gäste, die schwärzeste aller Schwarzen. Wie viel verwickelter das Leben aber doch ist, als solch ein Montfanon ahnt! Diesem Mädchen sagt ihr Gefühl genau dasselbe, wie dem alten Legitimisten sein politischer Glaube; sie will diesem schmerzlichen Todeskampf des Adels nicht beiwohnen, und dazu dieser Vater, bei dem der einstige Trödler von Zeit zu Zeit die Ohren heraussteckt und der einen Papst einschätzt wie ein altes Möbel – reinstes Cinquecento! Solange ich ihn noch allein genieße, muß ich aber den alten Fuchs doch fragen, was er über Boleslav Gorkas Rückkehr weiß. Er ist ja der Sklave der Steno und muß über das Thun und Treiben des Polen unterrichtet sein . . .«

Hafners nahe Beziehungen zur Gräfin, deren Vertrauensmann in Geldangelegenheiten der Baron war, hätte für Dorsenne ein Grund sein müssen, diesen Gegenstand sorgsam zu vermeiden, um so mehr, als er wohl fühlte, daß Hafner nicht sein Freund war. Durch irgend ein boshaft hinterbrachtes Wort konnte er ihm bei Albas Mutter sehr schaden, allein der Schriftsteller hatte, wie die meisten berufsmäßigen Menschenkenner, nur Scharfblick für das hinter ihm Liegende. Nie hatte sein durchdringender Verstand ihn vor einer jener kleinen gesellschaftlichen Unvorsichtigkeiten gewarnt, die im Schachspiel dieses armseligen Lebens grobe Fehler sind, und es war ein Glück, daß er keine andern Ziele verfolgte, als seine Vergnügungen und seine Kunst. Er hätte sich sonst mit Leichtigkeit Feinde genug schaffen können, um aller Hoffnung auf Ehrenämter und Kreuze verlustig zu gehen. Den Augenblick ergreifend, wo der Baron, im ersten Stock angelangt, ein wenig nach Luft schnappte und ein Vertreter des Inventierers die Richtigkeit ihrer Einlaßscheine bestätigte, fragte er denn auch richtig: »Haben Sie Gorka schon gesehen?«

»Wieso? Ist Boleslav hier?« gab der Freiherr zurück, seine Ueberraschung nur durch die Bemerkung verratend: »Ich hatte ihn noch in Polen vermutet.«

»Ich selbst habe ihn auch noch nicht gesehen,« sagte Dorsenne, der sein vorschnelles Wort schon bereute, denn es ist bei manchen Neuigkeiten ratsam, nicht der erste zu sein, der sie verbreitet. Allein daß ein so wahrer Freund der Gräfin, der sie beinahe täglich sah, nichts von dieser überraschenden Rückkehr wußte, war so auffallend, daß der junge Mann die Sache weiter verfolgen mußte. »Ein Bekannter, an dessen Wahrhaftigkeit man nicht zweifeln kann, ist ihm heute früh begegnet,« bemerkte er, und fragte dann etwas unvermittelt: »Ist Ihnen diese plötzliche Heimkehr nicht unheimlich, Baron?«

»Unheimlich?« wiederholte Hafner. »Wieso?«

Er hatte den Schriftsteller dabei mit seiner gewohnten unerschütterlichen Ruhe angesehen, deren Echtheit aber für den, der ihn näher kannte, durch ein ganz kleines Merkzeichen fraglich wurde.

Die beiden Herren waren nämlich mittlerweile in den ersten Saal getreten, der laut Katalog Kunstgegenstände aus den Privatgemächern Sr. Durchlaucht des Fürsten Ardea enthielt, und der Baron hatte nicht wie sonst vor jeder Kuriositätenauslage den goldenen Kneifer auf die Nase gesetzt. Daß er mit seinem langsamen Schritt, der immer mit der Umsicht eines Polizeibeamten den Weg abzumessen schien, zwischen den Büsten und Statuetten dieses ersten Saales durchging, ohne die an den Wänden hängenden alten Stickereien und Teppiche fachmännisch zu prüfen, zeigte, daß ihm Dorsennes Mitteilung zu schaffen machte. Julian war indes zu weit gegangen, um nicht noch mehr sagen zu müssen.

»Nun denn,« fuhr er fort, »ohne wie Sie seit Jahren mit der Gräfin befreundet zu sein, hat mich bei dieser Nachricht ordentlich eine Gänsehaut überlaufen. Sie ahnt nicht, was die Eifersucht aus Gorka macht und wessen er fähig ist.«

»Eifersucht? Auf wen soll er denn eifersüchtig sein?« fragte Hafner. »Ich höre ja nicht zum erstenmal seinen Namen mit dem der armen Gräfin zusammenwerfen, aber ich gestehe, daß ich diesen Tratsch nie ernsthaft genommen habe und nicht geglaubt hätte, daß Sie, ein ständiger Gast ihres Hauses, ein Freund, ihm irgend welche Beachtung schenken würden.«

»Beruhigen Sie sich nur, mein lieber Dorsenne,« fuhr Hafner fort, »die einzige Frau, in die Gorka verliebt ist, ist seine eigene, und er hat alle Veranlassung dazu. Die Gräfin ist eine vortreffliche Frau, ganz Italienerin, ganz Freimut. Sie interessiert sich für ihn mit ihrer angebornen Warmherzigkeit, wie sie sich für Sie, für Maitland, für mich interessiert – für Sie, weil Sie so treffliche Bücher schreiben, für Maitland, weil er malt wie unsre alten Meister, für Boleslav, weil er sich den Tod seines Erstgebornen so zu Herzen genommen hat, für mich, weil ich die heikle Aufgabe habe, ein junges Mädchen zu erziehen. Sie ist mehr als eine vortreffliche Frau, sie ist eine große, vornehme Natur.«

Die Gemütsruhe womit Hafner diese heuchlerische Abhandlung vorgetragen, hatte Dorsenne ebenso verblüfft als unangenehm berührt. Daß er selbst kein Wort davon glaubte, wußte der Schriftsteller, der durch Gorkas unzarte Vertrauensergüsse über die Sitten der Venetianerin aufgeklärt war, ganz gewiß. Der Baron war kein Mensch, der sich Sand in die Augen streuen läßt. Zu jeder andern Zeit würde er die Schlauheit des alten Praktikus bewundert haben, dem die Vorsicht so zur andern Natur geworden war, daß er nicht einmal gehört haben wollte, was er besser wußte als irgend jemand. In diesem Augenblick aber fand er diese Verschlossenheit um so kindischer, als ihm selbst dadurch eine nicht sehr ehrenhafte Rolle aufgedrängt wurde, die des Verleumders, der ein Haus lästert, wo er vorgestern gespeist hat. Er beschleunigte daher seinen Schritt, soweit die Höflichkeit es zuließ, um nicht länger mit dem Baron allein zu sein und auch um die übrige Gesellschaft zu treffen. Sie traten aus dem ersten ins zweite, als Porzellansaal bezeichnete Gemach, dann in ein drittes, das seinen Namen nach einem Deckenbild des Perin del Vaga führte, und schließlich in den vierten Saal, der nach den wunderbaren Wandteppichen, womit er geschmückt war, die »Sala degli Arazzi« hieß. Nur vereinzelte Besucher trieben sich umher; die Jahreszeit war schon zu weit vorgeschritten für Fremde, und daß man sie sonderbarerweise zur Versteigerung gewählt hatte, zeugte entweder von berechnendem Haß oder geschickter Kriegslist gieriger Wiederverkäufer, denn alle Herrlichkeiten dieses Palastes mußten jetzt um die Hälfte des Wertes losgeschlagen werden, den sie ein paar Monate früher oder später gehabt haben würden. Durch die geringe Zahl von Beschauern wurde der Ueberfluß an Möbeln, Stoffen, Kunstwerken aller Art, womit die großen Räume angefüllt waren, noch hervorgehoben. Der Baron hatte sich schließlich doch mit seinem berühmten Kneifer bewaffnet und machte Dorsenne bald auf einen merkwürdigen Lehnstuhl, bald auf die Ziselierung eines Uhrgehäuses oder eine Stickerei aufmerksam. Ein einziger Blick genügte bei ihm zu vollkommen richtiger Schätzung, und wenn der Schriftsteller seine sonstige Beobachtungsgabe entfaltet hätte, würde er aus der eingehenden Kenntnis, die Hafner vom Katalog hatte, wohl geschlossen haben, daß man ein so gründliches Studium nicht ohne bestimmte Nebenabsichten vornimmt.

»Hier sind ja wirkliche Schätze aufgestapelt,« sagte Hafner. »Sehen Sie doch nur diese zwei Schüsseln mit gewölbten Deckeln und dem mit Gold gehöhten orangefarbenen Grund – so etwas wird heutzutage auch in China nicht mehr gemacht, die Kunst ist einfach verloren gegangen. Und als Gegenstück dieses altsächsische Liebespaar mit Blumen! Diese spanisch-maurische Fayence – die wurde wohl aus Spanien mitgebracht, als der Kardinal Castagna, nachmals Urban VII., in Madrid war, um Pius V. bei der Taufe der Infantin Isabella zu vertreten. Sie sausen ja wie der Sturmwind an diesen Herrlichkeiten vorüber,« setzte er hinzu, »und das ist vielleicht gut. Ich würde jedenfalls irgendwo hängen bleiben, und der Ritter Fossati, dem Peppinos schreckliche Gläubiger diese Versteigerung übertragen haben, hat überall Spione. Gilt man für zahlungsfähig und sieht man sich irgend etwas näher an, flugs wird es aufgeschrieben. Ich muß längst in seiner Liste stehen und habe mich von dem Schlaumeier schon gehörig übers Ohr hauen lassen . . . aber halt! Da entdeck' ich ja unsre Damen! Es war übrigens zu erwarten, daß wir sie hier finden würden . . .«

Lächelnd – ob über Fossati, sich selbst oder seinen Gefährten? – wies er nach einem Zettel, der quer über dem Eingang eines seitwärts gelegenen Raumes lag und diesen als »Zimmer der Hochzeitstruhen« bezeichnete. In der That standen etwa fünfzehn gemalte und geschnitzte Truhen, worin man früher in großen Häusern die Ausstattungen der Töchter barg, an den Wänden entlang. Die der Familie Castagna bestätigten durch ihre Wappenschilder, was für Verbindungen der letzte von den Großneffen Urbans VII., der jetzige Fürst Ardea, durch den Bankerott seines ererbten Vermögens bloßstellte.

Drei junge Damen waren eifrig in die Betrachtung der Truhen vertieft. Dorsenne erkannte sie sofort als die blonde, schmächtige Alba Steno, die hochgewachsene, ebenfalls blonde Gräfin Gorka mit ihrem ausgesprochenen englischen Profil und dem zu starken Kinn, und die hübsche Frau Maitland mit ihrem warmen Teint, der nur durch einen dunklen Hauch an ihr farbiges Blut erinnerte. Florent Chapron, ihr Bruder, war der einzige Mann, der den drei Damen Gesellschaft leistete, während die Gräfin Steno und Lincoln Maitland fehlten. Man hörte, wie Alba mit ihrer melodischen Stimme die Bilderrätsel löste, die auf den geschnitzten Tartschen dieser Truhen prangten, deren Deckel einst fröhliche und träumerische Mädchen wie sie mit einem Lächeln zärtlicher Erwartung gelüftet haben mochten.

»Sieh nur, Maud,« sagte sie zur Gräfin Gorka, »da ist die Eiche der Della Rovere . . . und da . . . die Sterne der Altieri.«

»Ich habe die Säule der Colonna entdeckt,« erwiderte Maud.

»Und Sie, Lydia?« fragte die Komtesse die Frau des Malers.

»Die Bienen der Barberini.«

»Und ich die Lilien der Farnese,« sagte Florent Chapron, der sich wieder aufgerichtet und die neuen Ankömmlinge zuerst bemerkt hatte. Er rief ihnen mit seinem ehrlichen Lachen, das sein ganzes Gesicht bis zum bläulichen Weiß des Augapfels erleuchtete und seine prächtigen Zähne schimmern ließ, einen fröhlichen Gruß zu. »Wir haben Sie gar nicht mehr erwartet, meine Herren. Alle Welt ist heute fahnenflüchtig geworden. Lincoln war im besten Zug an der Arbeit und nicht von seiner Staffelei wegzubringen, Fräulein von Hafner scheint sich gestern schon bei den Damen entschuldigt zu haben, die Gräfin Steno hat Migräne. Auf den Freiherrn haben wir schon deshalb nicht mehr gerechnet, weil er ja noch nie fünf Minuten zu spät gekommen ist.«

»Ich war überzeugt, daß Dorsenne uns nicht im Stich lassen würde,« bemerkte Alba, ihn mit den blauen Augen voll ansehend, »aber ich war auch ganz darauf gefaßt, ihm beim Weggehen auf der Treppe zu begegnen und mit verblüffter Miene gefragt zu werden: ›Sie gehen schon? War ich nicht pünktlich?‹ Ach, verteidigen Sie sich nur nicht,« fuhr sie fort, »und unterziehen Sie sich lieber der Prüfung in römischer Geschichte, die wir sofort anstellen werden, denn mit diesen alten Truhen macht man einen förmlichen Kurs durch! Was ist das für ein Wappen? Sie wissen es nicht? Das der Carafa, mein sehr berühmter Meister. Was für einen Papst haben die Carafa geliefert? Das wissen Sie auch nicht? Paul IV., Herr Schriftsteller! Wenn Sie uns je in Venedig besuchen, da sollen Sie Ihr blaues Wunder erleben, wie ich mich unter den Dogen auskenne.«

Sie hatte ihre Weisheit mit solch zarter Anmut vorgebracht, und sie befand sich offenbar heute in der bei ihr allzu seltenen Stimmung kindlicher Fröhlichkeit, daß es Dorsenne, der so schwere Besorgnis für sie hegte, das Herz zusammenschnürte. Diese gleichzeitige Abwesenheit Maitlands und der Gräfin Steno konnte ja immerhin ein Zufall sein, aber da Julian die Ueberzeugung hatte, daß sie seine Geliebte sei, kam sie ihm verdächtig vor. Schon der Gedanke daran hätte genügt, um ihn den Frohsinn der Tochter schmerzlich empfinden zu lassen; war es aber richtig, daß jener andre Liebhaber der Gräfin, durch irgend einen Verräter gewarnt, unerwartet zurückgekommen war, so wurde ihre Heiterkeit tragisch. Mit wirklicher Erregung richtete denn auch Dorsenne an Gorkas Frau die Frage: »Wie geht es unserm Boleslav?«

»Ich danke, gut,« erwiderte die junge Frau. »Heute habe ich zwar keinen Brief bekommen, aber man sagt ja, keine Nachricht sei gute Nachricht.«

Hafner stand neben der Gräfin, als sie diese Antwort gab.

Unwillkürlich sah Dorsenne ihn an, und so sehr er sich beherrschte, gab der Baron unwillkürlich diesen Blick zurück. Jetzt handelte es sich nicht mehr um leere Vermutungen. War Boleslav Gorka in Rom, ohne daß seine Frau darum wußte, so bedeutete das für jeden Eingeweihten ein Ereignis von so furchtbarer Tragweite, daß die beiden Männer nicht umhin konnten, sich im stillen die Frage vorzulegen: »Haben wir noch Zeit, einem Unglück vorzubeugen?«

Jeder von ihnen mußte, wie es in allen entscheidenden Augenblicken geschieht, naturgemäß dabei die Grundzüge seines Wesens zeigen. Nicht ein Muskel in Hafners Gesicht zuckte. Es handelte sich für ihn darum, einer Frau, der er wirklich freundschaftlich zugethan war, soweit er überhaupt Freundschaft fühlen konnte, einen großen Dienst zu leisten, ja sie aus furchtbarer Gefahr zu retten. Diese Frau war die Hauptstütze seiner gesellschaftlichen Stellung, ja sie war ihm noch mehr – sein Heiratsplan für Fanny, vorderhand noch ein Geheimnis, aber der Ausführung nahe, beruhte auf der Gräfin Steno. Ehe er jedoch zu einem Rettungsversuch schreiten konnte, mußte er noch eine halbe Stunde in den Sälen des Castagnaschen Palastes aushalten, welche Zeit er in einer für seine Einkäufe möglichst vorteilhaften Weise verwendete – falls nicht ein noch verwickelterer Handel dahinter steckte.

»Wenn Sie mir erlauben wollen, Ihnen einen Rat zu geben, meine Gnädige,« wendete er sich in gewohnter, etwas zu deutlich unterstrichener Höflichkeit an Maud Gorka, »so verweilen Sie nicht allzu lange bei diesen Truhen, so interessant sie auch sein mögen. Erstens hat Fossati, wie ich vorhin Dorsenne auseinandersetzte, überall seine Spione, und Sie können sich darauf verlassen, daß Ihr verlängerter Aufenthalt in diesem Zimmer schon beobachtet worden ist. Das wird zur Folge haben, daß Sie, falls die Lust Sie anwandelt, eine von den Truhen zu kaufen, das Doppelte oder Dreifache ihres Wertes bezahlen müssen. Ferner haben wir noch solche Reichtümer zu besehen, besonders eine Mappe mit zwölf Handzeichnungen alter Meister, von deren Vorhandensein Ardea selbst keine Ahnung hatte und die Fossati halb von Würmern zernagt in einem Schrank auf dem Speicher entdeckt hat . . . unglaublich! . . .«

»Das bezieht sich auf Ihre Sammlung oder die meines Schwagers,« warf Florent Chapron dazwischen.

»Mir einerlei,« versetzte Maud Gorka mit ihrem gewöhnlichen Freimut. »Für mindestens zwei von diesen Truhen schwärme ich so, daß ich sie haben muß, und wenn Ihr Ritter Fossati in der That Spitzel hält, so haben sie das längst hören können, und es lohnt nicht mehr, daß ich mich verstelle. Vierzig oder fünfzig Franken sind ohnehin keine Lüge wert . . . auch vierzigtausend nicht . . .«

»Der Baron wird dich gleich belehren, daß du zu laut sprichst, und sein ewiges: ›Sie taugen nicht zum Diplomaten!‹ anbringen,« bemerkte Alba lachend und ließ dabei die schweigsame Lydia Maitland vorgehen, um ein wenig zurück und an Dorsennes Seite zu bleiben, dem sie leise sagte: »Ich, ich bin dafür eben ein wenig diplomatisch gewesen, denn ich möchte wissen, ob Sie Verdruß oder Kummer haben?« – ihr bewegliches Gesichtchen zeigte einen völlig veränderten Ausdruck und war voll ungeheuchelter Besorgnis – »Jawohl, ich habe Sie niemals so innerlich beschäftigt gesehen wie heute. Sind Sie nicht wohl? Haben Sie eine schlechte Nachricht aus Paris erhalten? Was ist Ihnen?«

»Ich? Ich?« versetzte Dorsenne. »Was sollte mir sein? Sie täuschen sich, Comtesse, ich versichere Sie.« Ungeschickter konnte niemand lügen als Dorsenne, und wenn einer in diesem Punkte des Freiherrn Verachtung verdiente, so war er es. Kaum daß Maud Gorka von ihrem Mann als einem Abwesenden gesprochen hatte, war vor seiner lebhaften Phantasie das Bild aufgestiegen, wie der Slave vielleicht in dieser Minute die Gräfin und den Maler bei einem Stelldichein überrascht, eine Herausforderung, ja vielleicht ein Mord stattgefunden haben mochte. Und als Alba dabei fröhlich fortgelacht hatte, war sein Jammer über das Schicksal des Kindes so heftig geworden, daß es sich wirklich wie ein Schleier über seine Züge gesenkt hatte. Bei ihrer ängstlichen Frage war ihm das Bewußtsein ihrer Zuneigung zu Herzen gegangen, aber das Bemühen, seine Rührung zu verbergen, hatte seiner Stimme einen so herben Klang verliehen, daß sie ihn fragte:

»Sind Sie mir böse, weil ich Sie zur Rede gestellt habe?«

»Nicht im geringsten,« erwiderte er, ohne ein herzlicheres Wort finden zu können.

Er fühlte, daß er im Augenblick nicht imstande war, wie sonst vertraulich mit ihr zu plaudern, und setzte deshalb, indem er rascher ging, um die übrige Gesellschaft wieder zu erreichen, lächelnd hinzu: »Höchstens hat mich diese Schaustellung vergangener Größe etwas wehmütig gestimmt. Wir wollen aber doch die Gelegenheit nicht versäumen, sie uns von diesem unvergleichlichen Cicerone erläutern zu lassen.« Der Rundgang wurde fortgesetzt und man hörte abwechselnd den Baron mit gedämpfter Stimme die Anordnung des Unternehmers begutachten und die hellen Stimmen der Damen allerhand Fragen stellen.

»Sehen Sie nur,« erklärte der einstige Berliner Altertumshändler, jetzt ein vornehmer Kunstkenner, »wie dieser Fossati sich bemüht hat, in den Empfangsräumen die Anhäufung von Kuriositäten zu vermeiden. Diese Stühle scheinen die Geladenen zu erwarten – sie sind bekannt und schon in einem Pariser Fachblatt für dekorative Kunst abgebildet worden. Und hier . . . der Durchblick nach dem Speisesaal, wo alles Silbergeräte aufgestellt ist, wie für ein Fest!«

»Baron, sehen Sie einmal diesen Stoff an,« bat die Gräfin Gorka. »Achtzehntes Jahrhundert, nicht?«

»Ist diese Schüssel mit Deckel Alt-Wien oder Capodimonte, Baron?« fragte Frau Maitland.

»Baron, ist diese Säbelscheide florentinische oder Mailänder Arbeit?« wollte Florent Chapron wissen.

Und der Kneifer tanzte auf der dünnen, beweglichen Nasenspitze des Freiherrn, und seine Antworten erfolgten so rasch und sicher, als ob er den Katalog auswendig gelernt hätte. Auf jedes »Danke!« folgte sofort eine neue Frage, und nur zwei Stimmen mischten sich nicht in das Gezwitscher: Alba Steno und Dorsenne verhielten sich stumm. Unter andern Umständen würde er versucht haben, die wachsende Schwermut, die das junge Mädchen seit der Zurückweisung ihrer freundschaftlichen Teilnahme befallen hatte, zu zerstreuen, obwohl bei ihr der Uebergang von ausgelassener Heiterkeit zu wehmütigem Ernste nichts Ungewöhnliches war. Er hatte in diesem raschen Wechsel der Stimmung bei der Komtesse nie etwas andres sehen wollen als ein Zeichen, daß ihr Nervensystem nicht ganz im Gleichgewichte sei, heute aber dachte er überhaupt nicht darüber nach, denn seine Gedanken waren anderweitig beschäftigt.

Er überlegte, ob es nicht jedenfalls ratsam wäre, dem Maler von der heimlichen Rückkehr seines Nebenbuhlers einen Wink zu geben. Vielleicht hatte die tragische Lösung noch nicht stattgefunden, und wenn die beiden bedrohten Personen gewarnt waren, so war noch Hoffnung . . . Hafner würde jedenfalls die Gräfin benachrichtigen, aber wann? Er aber, Dorsenne, konnte ja Gorkas Erscheinen auf der Bühne sofort Maitlands Schwager ankündigen, diesem Florent Chapron, der die träumerischen Blicke eines ergebenen Sklaven über all diese fürstliche Pracht hingleiten ließ.

Dieser Schritt hatte etwas Ungewöhnliches und wäre jedem andern als Julian so erschienen. Er aber war dem Gefühl verfallen, daß jede Minute gezählt sei, wobei nervöse Menschen immer ihre Kaltblütigkeit einbüßen, um so mehr Schriftsteller, die sich in ihrem Beruf angewöhnt haben, das Mögliche nie sicher vom Wirklichen zu unterscheiden. Ueberdies waren die Beziehungen zwischen Maitland und seinem Schwager ganz besonderer Art und hatten den Dichter zu sehr gefesselt, als daß er in dieser Stunde peinlicher Angst seine früheren Beobachtungen nicht hätte nützen sollen. Er wußte, daß Florent, dem sein Vater die Demütigungen hatte ersparen wollen, die für sein farbiges Blut in Amerika nicht ausgeblieben wären, sehr früh nach England zu den Jesuiten von Beaumont geschickt worden war, wo er eine schwärmerische Freundschaft mit seinem Schulkameraden Lincoln Maitland geschlossen hatte.

Als das Talent des Freundes sich entwickelt hatte, war aus der Freundschaft Bewunderung und Anbetung geworden. Dorsenne wußte, daß die Heirat, die Lydias Reichtümer in den Dienst von Maitlands künstlerischem Ehrgeiz gestellt hatte, das Werk des schwärmerischen Schulfreundes war. Zu einer Zeit, wo Maitlands Mutter die Ihrigen durch schlechte Wirtschaft an den Bettelstab gebracht und der Pinsel des jungen Malers noch keine Anerkennung gefunden hatte, war sie ihm zur Rettung aus tiefster Not geworden. Wer sich weniger mit menschlicher Eigenart beschäftigt, mußte das Wesen dieser Ehe befremdlich finden. Dorsenne hatte längst zu erkennen geglaubt, daß diese schweigsame, schattenhafte Lydia eine Geopferte sei, und daß der eigene Bruder sie dem über alles geliebten Freund ausgeliefert habe.

»Tragödie um Tragödie,« sagte er sich, als die Besichtigung und sein innerer Kampf dem Ende zugingen. »Mir ist's lieber, sie spielt sich in dieser Familie ab, als in der der Gräfin, und ich würde mir's ewig zum Vorwurf machen, nicht das Aeußerste gewagt zu haben.«

Man war im letzten Saal, und Hafner knüpfte eben mit seinen langen gewandten Fingern die Schnüre der Handzeichnungsmappe wieder zusammen, die einer der Bediensteten herbeigeholt hatte, als der Entschluß des jungen Mannes zur That gereift war. Alba Steno, die noch immer schwieg, sah ihn von neuem mit einem seltsamen Ausdruck an, worin Teilnahme und verletzter Stolz sich um die Oberhand stritten. Offenbar wollte sie ihn, traulicher Gewohnheit gemäß, im Augenblick der Trennung fragen, wann sie sich wieder sehen würden. Er achtete so wenig darauf, als auf einen andern Blick, den des Freiherrn, der ihn zur Vorsicht ermahnte. Auch eine Bemerkung der Gräfin Gorka, die endlich Albas Verstimmung beobachtet hatte und die Ursache da suchte, wo sie das Herz des jungen Mädchens längst glaubte, ging ebenso spurlos an ihm vorüber, wie Frau Maitlands Benehmen, die manchmal Blicke um sich warf, die ebenso feindselig und verräterisch waren, wie die ihres Bruders sanft und träumerisch.

»Ich möchte über ein kleines Porträt im andern Zimmer Ihre Meinung hören, mein lieber Chapron,« sagte er, seinen Arm durch den des Kreolen schiebend, und als sie nun vor dem zum Vorwand benützten Gemälde standen, setzte er leise hinzu: »Ich habe heute früh etwas Sonderbares erfahren. Denken Sie sich, Boleslav Gorka ist in Rom, und seine Frau weiß nichts davon . . .«

»Das ist freilich seltsam,« erwiderte Maitlands Schwager und fragte dann einfach: »Wissen Sie es gewiß?«

»So gewiß, als daß wir hier stehen. Ein Freund von mir, der Marquis von Montfanon, ist ihm heute früh begegnet.«

Ein Schweigen trat ein und Julian fühlte, daß der Arm, worauf er den seinen stützte, zu zittern anfing.

»Ein vorzügliches Bild,« sagte Florent laut, während sie die Gesellschaft einholten. »Leider zu stark gefirnißt.«

»Wie recht ich hatte,« dachte Dorsenne. »Er hat mich sofort verstanden.«



 << zurück weiter >>