Paul Bourget
Kosmopolis. Erster Band
Paul Bourget

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Viertes Kapitel.

Wachsende Gefahr

»Nein, ich konnte nicht anders handeln,« wiederholte sich Dorsenne am Abend dieses schreckenvollen Tages. Er hatte den Nachmittag damit zugebracht, Gorka zu pflegen, hatte ihn gezwungen, zu essen und sich dann niederzulegen. Er hatte bei ihm gewacht, hatte ihn in einem geschlossenen Wagen nach Portonaccio, der ersten Station auf der Florentiner Linie, gebracht, um den Mann, dessen Raserei er um den Preis seiner eigenen Ruhe nur beschwichtigt, nicht geheilt hatte, keinen Augenblick sich selbst zu überlassen. Sobald er sich selbst wiedergegeben und in seine einsamen vier Wände zurückgekehrt war, wo hunderterlei Kleinigkeiten von dem Aufenthalt des düsteren Gastes zeugten, begann das Gewicht dieses falschen Ehrenwortes schwer auf Dorsenne zu lasten, um so mehr, als er jetzt endlich Boleslavs Durchtriebenheit erkannte. Die scharfsinnige Auffassung des hinter ihm Liegenden, die seine Stärke war, ließ ihn den Faden seiner Unterredung verfolgen und er fühlte jetzt deutlich, daß der Hilfesuchende nicht ein Wort, auch nicht das leidenschaftlichste, ohne Vorbedacht hingeworfen hatte. Von einer Erwiderung zur andern war er in den grausamen Zwiespalt, den er weder voraussehen, noch vermeiden hätte können, hineingedrängt worden, entweder eine Frau zu verraten, oder eine jener Lügen auszusprechen, die ein Mann sich nie verzeihen kann.

»Das Heillose daran ist, daß damit nicht einmal geholfen ist,« sagte er sich. »Die Person, die solche Briefe verfertigt hat, wird es nicht dabei bewenden lassen und bald Mittel und Wege finden, den Rasenden wieder zu entfesseln. Aber sind denn diese Briefe auch in der That verfertigt worden? Dieser Gorka ist in seiner Leidenschaft grauenhaft hellsichtig und heimtückisch, und wohl fähig, diese dunkle Geschichte frei erfunden zu haben, um mir die Pistole auf die Brust setzen zu können . . . Und dennoch – nein. Zwei Thatsachen stehen unbestreitbar fest, seine verzweifelte Eifersucht und seine überstürzte Rückkehr, beide müssen eine Ursache haben. Von welcher Seite kann ihm die Warnung zugegangen sein? Ziehen wir die slavische Uebertreibung ab, so bleiben von zwölf anonymen Briefen immerhin noch einer oder zwei, und wer kann die verfaßt haben?«

Die ganze unmittelbar bevorstehende Entwickelung des Dramas, in das sich Julian verstrickt sah, war in der Antwort auf diese Frage enthalten. Die Italiener haben ein tiefsinniges Sprichwort, das dem Schriftsteller zufällig wieder einfiel: »Wer nicht den Freund zu spielen weiß, versteht kein Feind zu sein« – wer in dem kleinen Kreis war heuchlerisch und gehässig genug, um die Nutzanwendung davon zu machen?

»Die Steno hat sich doch wohl nicht den Scherz erlaubt, sich selbst anzuzeigen?« dachte Julian. »Ich habe den Fall schon erlebt, aber dann waren es verschrobene Pariserinnen, und nicht Weiber von solch herrlicher Liebeskraft, wie diese Renaissancegöttin, die uns das Venedig des sechzehnten Jahrhunderts übriggelassen hat. Nein, nein, lassen wir sie aus dem Spiel. Von Maud Gorka kann auch nicht die Rede sein; sie ist so wahrhaftig, daß sie nicht die leiseste Gesellschaftslüge kennt, sich nicht einmal wegen eines Einkaufs zur Verstellung erniedrigt. Deshalb ist sie ja so leicht zu betrügen – o Hohn des Schicksals! Florent ist auch außer Frage. Er ließe sich, wenn's notthäte, wie ein Mameluk vor der Thür totschlagen, hinter der sein genialer Schwager mit der Gräfin schäkert. Der Amerikaner selbst? . . . Auch das ist mir schon vorgekommen, daß einer, der seiner Geliebten überdrüssig war, sich selbst dem rechtmäßigen Besitzer stellte, um ihre lästige Liebe los zu werden. Das waren aber abgelebte Menschen, die nichts gemein hatten mit diesem ungeschlachten Tölpel, dem das Talent angeflickt ist wie dem Elefanten der Rüssel, ein Künstlerwerkzeug an einen Dickhäuter angeheftet. Wieder ein Hohn des Schicksals! Er hat seine Quadrone heiraten können, um Geld zu bekommen, das war schon riesig, aber mit dieser einen Gemeinheit, die ihn von allem Handel befreite und ihn in die Lage setzte, malen zu können, was und wie er will, war's abgethan. Von der Steno läßt er sich lieben, weil sie trotz ihrer vierzig Jahre verteufelt schön und durch und durch große Dame ist, die er obendrein einem großen Herrn weggeschnappt hat. Das thut der lieben Eitelkeit wohl. Herzensbildung hat er nicht für einen Dollar, aber Schlauheit ebensowenig. Seine Frau? Nein! Sie ist so ganz Sklavin, daß die Gegenwart eines Weißen sie im Bann hält, daß sie ihrem Sklavenhändler von Gatten nicht ins Gesicht zu sehen wagt. Hafner ist's auch nicht. Der alte Fuchs ist zu allem fähig, sogar zu einer guten Handlung, wenn sich's lohnt, aber wenn ein Schurkenstreich zugleich nutzlos und gefährlich ist – nimmermehr! Fanny ist eine Heilige auf Goldgrund, was Montfanon auch behaupten mag, wieder ein Hohn des Schicksals! Jetzt hätte ich den engsten Kreis gemustert . . . bis auf Alba . . . nein, nein, das ist zu unsinnig, um nur daran zu denken! Unsinnig? Ja schließlich warum denn?«

Dorsenne war eben im Begriff, ins Bett zu gehen, als diese Möglichkeit vor ihm auftauchte. Er hatte sich wie gewöhnlich ein paar Bücher zurechtgelegt, wovon er vor dem Einschlafen das eine oder andre zur Hand zu nehmen pflegte. Es waren Werke, woraus er immer neue Kraft für seine Lehre von der Umsetzung ins Geistige zog, Goethes Dichtung und Wahrheit, George Sands Briefe an Flaubert, Descartes' Abhandlung über die Methode und Burckhardts Renaissance. Heute aber löschte er sein Licht sofort aus, fand jedoch keinen Schlaf. Der seltsame Verdacht, der in ihm aufgestiegen war, hatte etwas Ungeheuerliches.

Dieser Verdacht und dieses Mädchen! Sein Liebling des ganzen Winters, dem zu Ehren er seinen Aufenthalt in Rom in die Länge gezogen hatte, diese anmutige Verkörperung von Herzensreinheit und leiser Schwermut im Rahmen einer gewaltigen tragischen Vergangenheit! Jeder andre würde einen solchen Argwohn mit Abscheu vor sich selbst verworfen haben, er aber verfolgte, vertiefte, rechtfertigte seine unheimliche Hypothese.

Dorsenne litt mehr als andre an einer sittlichen Mißbildung, die das Uebermaß einer gewissen Art von litterarischer Thätigkeit manchen Schriftstellern zuzieht. Es wird ihnen dermaßen zur Gewohnheit, künstliche Charaktere zu erschaffen, daß sie eine ähnliche Thätigkeit an ihren nächsten Bekannten ausüben. Ein Freund ist ihnen teuer, sie sehen ihn täglich, teilen sein Leben und seine Geheimnisse; nach einem Jahr der Trennung sind sie imstande, dem überraschten Dritten mit vollkommener Aufrichtigkeit und guter Begründung zwei völlig widersprechende Bilder von ihm zu zeichnen, und doch lieben sie den Freund heute noch. Sie haben eine Geliebte, und diese Frau, die sich bewußt ist, keine andre geworden zu sein, sieht mit Entsetzen, wie bei ihnen von einem Tag zum andern ein Umschlag eintritt und sie ihr ganz anders begegnen, weil sie ihre Einbildungskraft aufs höchste ausgebildet haben und die Beobachtung bei ihnen unbewußt zur schöpferischen Thätigkeit wird. Dieses krankhafte Gebrechen hatte sich bei Julian von jeher fühlbar gemacht, vielleicht nie so stark und unvermutet als dieser Alba Steno gegenüber, die möglicherweise jetzt von ihm träumte, während er in stiller Nacht all seinen Scharfsinn daran setzte, sich ihre Fähigkeit zu diesem brieflichen Muttermord zu beweisen.

»Schließlich,« wiederholte er sich mit einer gewissen Wollust, denn diese geistigen Bilderstürmer schwelgen im Kraftgefühl, wenn sie ihre heiligsten Altäre einreißen, »hab' ich vielleicht ihre Beziehungen zur Mutter überhaupt falsch aufgefaßt. Als ich im November nach Rom kam, wurde mir nicht von einer, nein, von zehn Seiten gesagt, die Gräfin Steno habe ein stadtkundiges Liebesverhältnis mit dem Mann der Freundin ihrer Tochter und die Kleine gräme sich zu Tod darüber. Ich bin hingegangen und habe das Kind gesehen. Damals schien mir ihr wehmütiger Ernst das Gerücht zu bestätigen. Dazwischen liegen nun lange sechs Monate. Wir haben uns täglich gesehen, aber sie ist so zugeknöpft, daß ich kaum einen Zoll tiefer eingedrungen bin. Ich habe ihren Blick voll Liebe und Bewunderung auf der Mutter ruhen sehen, wie heute früh, und habe gesehen, daß sie bei einem Worte, einer Gebärde dieser Mutter zusammenzuckte, Qualen litt. Manchmal hatte sie Maud Gorka geküßt, wie man eine Freundin küßt, die einem in tiefster Seele leid thut, dann hat sie wieder lustig, kindlich unbefangen mit dieser selben Maud Tennis gespielt. Ich habe gesehen, daß Maitlands Gegenwart ihr unleidlich war, daß sie nicht in einem Zimmer mit ihm bleiben mochte, und habe erlebt, daß sie selbst ihn gebeten hat, ihr Bild zu malen. Ist sie arglos? Ist sie eine Heuchlerin? Oder wird sie selbst vom Zweifel hin und her geworfen, von Ahnungen geängstigt, halb an die Mutter glaubend, halb an ihr zweifelnd? Kann sie mit ihren wasserhellen Augen solch finstere Abgründe in sich tragen? Ist sie ein Doppelgeschöpf, Russin und Italienerin zumal? . . . Eine Lösung wäre die: Sie kann ein Mädchen von ganz ungewöhnlicher Willenskraft sein, das beide Beziehungen der Mutter kennt, vor beiden denselben Abscheu empfindet und beiden ein Ende machen will, indem sie die zwei Liebhaber aufeinander hetzt. Für ein junges Mädchen eine ungeheuerliche That . . . als ob das Ungeheuerliche nicht das Alltägliche wäre! Beweist nicht jede Zeitung in ihren ›Vermischten Nachrichten‹, daß man das Wort ›unmöglich‹ nie im Mund führen sollte, wo es sich um Herzensverirrungen handelt? Heute abend werde ich zur Gräfin gehen und Alba auf den Zahn fühlen. Ist sie unschuldig, so ist mein Verhör sehr harmlos – wenn sie es aber zufällig nicht wäre? Nun, so würde ich einmal öfter im Leben vor einem Madonnengesicht ausrufen müssen: ›Wie schade!‹ Ich habe ja Uebung darin . . .«

Man mag sich selbst gegenüber noch so sehr mit Menschenverachtung prahlen, derartige Ueberlegungen erhalten immer einen bitteren Nachgeschmack von Gewissensbissen, besonders wenn sie ohne jeden Anhalt gänzlich aus der Luft gegriffen sind. Auch über Dorsenne kam beim Erwachen am andern Morgen ein heißes Gefühl der Beschämung, als er sich der anonymen Briefe erinnerte und des Verbrecherromans, worein er das reizende Gesichtchen seiner jungen Freundin eingesponnen hatte. Zum Glück für seine Nerven brachte ihm die erste Post ein dickes Paket von Korrekturbogen mit der Bemerkung »dringend«. Er wollte bei seinen Lesern eine Visitenkarte abgeben, indem er seine ersten, in Zeitungen zerstreuten Aufsätze gesammelt veröffentlichte, und zwar unter dem Titel: »Gedankenstaub«, der ihn sehr entzückte. Obwohl die Freude an derartigen Titeln sonst verdächtig ist, und trotzdem Welt und Gefühle ihn so sehr in Anspruch nahmen, war Dorsenne ein tüchtiger, gewissenhafter Arbeiter. Anspruchsvolle Etiketten pflegen im Buchhandel schlechte Ware zu decken, und Schriftsteller, die vorgeben, daß sie leben müssen, um schreiben zu können, und die Anregung anderswo suchen, als in regelmäßiger, gesammelter Arbeit, sind gewöhnlich unfruchtbar. Ob reich oder arm, unbekannt oder berühmt, der Künstler muß in erster Linie die fruchtbringenden Tugenden des Handwerkers haben, den geduldigen Fleiß, die gewissenhafte Pünktlichkeit, das bescheidene Aufgehen im Geschäft.

Wenn Dorsenne sich an die Hobelbank setzte, wie er seinen Schreibtisch mit Vorliebe nannte, war er mit Leib und Seele bei der Sache. Er nahm keinen Besuch an, machte weder einen Brief noch ein Telegramm auf und konnte seine zehn Stunden ununterbrochen fortarbeiten, ohne etwas zu sich zu nehmen, als zwei Eier und schwarzen Kaffee. Auch heute hielt er es so, um die Anläufe des fünfundzwanzigsten mit der gereiften Kraft des fünfunddreißigsten Jahres zu überarbeiten, da ein Wort, dort einen Satz zu ändern, hier einer ganzen Seite andre Gestalt zu geben. Bald war er unzufrieden, bald lächelte er vor sich hin, und die Feder flog und trug jegliche Empfindsamkeit dieses geistigen Menschenfressers mit sich hinweg, der die Steno, Gorka und Maitland und die verleumdete Alba vollständig vergessen hatte, bis er gegen Abend aus diesem nachtwandlerischen Zustand erwachte. Dann zählte er, die »Fahnen« ordnend, die erledigten Aufsätze zusammen und fand, daß es gerade ein Dutzend war.

»Wie Gorkas Briefe,« sagte er, laut vor sich hinlachend. Durch seine Adern floß jetzt jene leichtbeschwingte Fröhlichkeit, die jeder geistige Arbeiter kennt, wenn er mit seiner Leistung zufrieden ist.

»Ich habe mir meinen Abend verdient,« sagte Dorsenne wieder laut. »Jetzt ziehen wir uns an und gehen zur Gräfin. Erst ein paar gute Bissen bei meinem Thebaner, dann eine halbe Stunde Spaziergang. Die Nacht scheint himmlisch zu werden. Ich werde erfahren, was der Palatin angestellt hat,« er hatte Gorka diesen Scherznamen aufgetrieben, »und werde es meinem Schutzheiligen Hamlet nachthun, der die ›Mausefalle‹ vor seinem Onkel aufstellen ließ, indem ich das Gespräch sofort auf anonyme Briefe lenke. Ist der Verfasser anwesend, so sitze ich in der ersten Loge und habe mein Vergnügen, vorausgesetzt, daß es nicht Alba ist . . . um sie wär's doch zu schade!«

Es war zehn Uhr abends, als der junge Mann, seinem Programm gemäß, vor dem großen Hause anlangte, das die Gräfin Steno an der Porta Salara bewohnte. Das große neue Gebäude bestand aus zwei deutlich geschiedenen Teilen, die linke Hälfte war Zinshaus, die rechte einer jener kleinen Paläste nach dem Muster der in Paris so reichlich vertretenen Hotels. Diese »Villa Steno«, wie in goldenen Buchstaben auf einer schwarzen Marmorplatte zu lesen stand, erzählte die ganze Geschichte des Vermögens der Gräfin, das mit gewohnter Uebertreibung auf zwanzig bis dreißig Millionen geschätzt wurde. In Wirklichkeit hatte sie zweihundertfünfzigtausend Franken Jahreszins. Da aber der im Jahre 1873 verstorbene Graf Michael Steno nichts hinterlassen hatte, als einen halbverwitterten Palast in Venedig, stark belastete Güter und viele Schulden, so bewies schon diese Summe, daß ihre Freunde sie mit Recht eine hervorragende Frau nannten. Ihre Freundinnen setzten hinzu, sie sei Hafners Geliebte gewesen und er habe ihr mit seiner Geschäftskenntnis gelohnt; diese abscheuliche Verleumdung war aber grundlos, und sie hatte schon, ehe sie den Freiherrn kannte, ihr Vermögen zu vermehren begonnen.

Als die junge Witwe in ihrem feierlichen, ungemütlichen Heim am Canale Grande den Kampf mit ihres Mannes Gläubigern geführt hatte, war es ein großer römischer Bankier gewesen, der ihr ein verlockendes Anerbieten gemacht hatte. Aus dem Nachlaß eines Kardinals Steno hatte nämlich ihr Mann in einer Vorstadt von Rom, zwischen der Porta Pia und der Porta Salara, ein großes, bis jetzt beinahe wertloses Grundstück besessen, das an Gemüse- und Blumengärtner verpachtet war. Der römische Finanzmann machte ihr nun unter dem Vorwand, dort eine Fabrik anlegen zu wollen, ein Angebot, das für den Augenblick glänzend zu nennen war; sie verlangte vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit und lehnte es ab, was ihr die bleibende Hochachtung aller Geschäftskundigen eintrug.

Bei einem Blick auf den Plan von Rom hatte sie sich gesagt, daß die neuen Gebieter der Ewigen Stadt nicht nur darauf bedacht sein werden, Neubauten zu errichten, sondern auch, daß die Gegend zwischen dem Quirinal und den Thoren Salara und Pia der neue Stadtteil werden müsse. Sie hatte gewartet und im Jahre 1882 neunzig Franken für den Quadratmeter gelöst, für den ihr im Jahre 1873 vier Franken geboten worden waren. Sie hatte zugleich die Verwaltung ihres Besitzes selbst in die Hand genommen, hatte ihre Güter verbessert, sich Entbehrungen auferlegt, jeden unverhofften Gewinn dazu verwendet, ein Loch zu stopfen, hatte vier in einem alten Landhaus aufgefundene Wandfüllungen von Carpaccio an die Nationalgalerie in London verkauft und war in allem Geschäftlichen so rührig und besonnen gewesen, wie sie leichtsinnig und verwegen als Weib war.

Gestern im Castagnaschen Palast gewesen zu sein und heute in die Villa Steno zu gehen, war wieder eine jener widersprechenden Zusammenstellungen, wie sie Dorsennes Gaumen reizten, denn der Fürst Ardea war auf demselben Weg zu Grunde gegangen, wie die Gräfin Steno reich geworden war. Auch er hatte auf Preissteigerung von Grundstücken gerechnet, nur ein paar Jahre zu spät, denn wo er den Quadratmeter mit siebzig Franken bezahlt hatte, war er im Jahre 1890 nur noch fünfundzwanzig wert gewesen. Auch er hatte auf die Vergrößerung von Rom gerechnet und auf diesem teuer erworbenen Boden ganze Straßen erbauen lassen, in der Hoffnung, es den großen Kapitalisten Londons nachzuthun. Der Gewinn war aber in den Taschen der Unternehmer verschwunden, seine Neubauten standen leer, und um weiter zu bauen, mußte er Geld aufnehmen. Seinen Namen zu unterschreiben, war dann, wie der Besitzer des Marzocco humoristisch geschildert hatte, in der That seine Hauptbeschäftigung geworden, sein Namenszug lief auf unzähligen verhängnisvollen Wechseln durch die halbe Welt und prangte heute groß gedruckt auf buntfarbigen Anschlagzetteln, die der Welt verkündeten, welche Herrlichkeiten der Cavaliere Fossati im Castagnaschen Palast ausbiete.

Dieser Vergleich zwischen dem Geschick der Gräfin und dem des Fürsten Ardea hatte sich Dorsenne aufgedrängt, während er auf die Klingel drückte, und bei dem Wankelmütigen sogar die Suche nach dem Verfasser der anonymen Briefe in den Hintergrund gedrängt. Als er die Halle betrat, wo die Gräfin jeden Abend Gäste empfing, konnte er ihm noch weiter nachhängen, denn Ardea selbst saß mitten in der kleinen Gruppe vor dem Kamin, die nur aus Alba Steno, Frau Maitland, Fanny Hafner und dem Freiherrn bestand, der in dieser jugendlichen Umgebung den ehrwürdigen, wohlwollenden alten Herrn spielte. Daß der große Raum so schwach bevölkert war, setzte Julian ebensowenig in Erstaunen, als der Anblick dieser Einrichtung, die aus einzelnen Möbeln von großem Kunstwert, niederen Ruhebetten mit persischen Decken und zahllosen seidenen Kissen, Blumen, Kuriositäten und geschmackvoll verwendeten alten Stoffen bestand. Mit der Tapeziererseele, die den modernen Romanschreiber kennzeichnet, hatte er den ganzen Winter über diese Häuslichkeit studiert, die man in Berlin, Wien, Florenz und Madrid, eben überall, wo eine Kosmopolitin ihr Pariser Ideal verwirklichen will, ganz ähnlich wiederfindet. Er hatte sich manchen Abend damit vergnügt, Eigenartiges herauszufinden, und da niemand in seiner Schrift oder seinem Geschmack ganz Nachahmer sein kann, schließlich wenigstens die Jahreszahl dieses Salons entdeckt; er trug das Gepräge des Jahres 1880, wo die Gräfin zum letztenmale in Paris gewesen war. Sie war bei dem Plüsch und den seidenen Vorhängen stehen geblieben, und der gesamte Farbton, worin das Grün vorherrschte – eine etwas selbstsüchtige Kühnheit der Blondine mit den leuchtenden Farben – war um eine Abstufung zu warm und verriet die Italienerin.

Dorsenne wußte auch, weshalb er heute die Halle beinahe leer fand, worin er diesen Winter über einen bunt zusammengewürfelten Mummenschanz von Künstlern und Diplomaten aus aller Herren Ländern hatte vorüberziehen sehen. Die Gräfin nahm in der römischen Gesellschaft bei weitem nicht die Stellung ein, die ihrem Geist, ihrem Vermögen und ihrem Namen entsprochen hätte, und das war ihre eigene Schuld. Sie konnte Langeweile und Zwang nicht ertragen, und sie war in gewisser Hinsicht ganz ohne Ehrgeiz, nüchtern und leidenschaftlich zugleich wie jene Geldmenschen, die sich durch fein erdachte Unternehmungen nur Vergnügungen sichern wollen. War ihr jemand unangenehm, so konnte sie sich nicht um ihn bemühen, und nie hatte sie eine Maske vorgenommen, wenn sie ihre Liebhaber wechselte, was sehr häufig geschehen war, bis auf Gorka, dem sie erstaunlicherweise zwei Jahre angehört hatte.

In Rom lebte niemand von ihrer eigenen sehr alten Familie, und sie hatte es unterlassen, sich an eine von den zwei Parteien anzuschließen, in die sich das gesellschaftliche Leben seit 1870 gespalten hat. Zu modernen Geistes und von zu freien Sitten, um sich der klerikalen Welt anzupassen, war ihr auch die monarchistische verschlossen, da sie bei der herrlichen Frau, die im Quirinal herrscht und eine so reine, gehobene Stimmung um sich verbreitet, keinen Zugang fand. Die Gefahr der Vereinsamung erkennend, hatte sie sich eine dritte Sphäre erwählt, und ihr Kreis bestand fast ausschließlich aus Fremden. Der Wechsel der Gesichter, der Unterhaltungsstoffe, die überraschend herzuströmten, die Annehmlichkeit, Beziehungen zu knüpfen, die keine Pflichten auferlegten, diese ganze Beweglichkeit und Flüchtigkeit des Verkehrs befriedigten den Vergnügungsdurst, der in dieser kräftigen, warmblütigen, beinahe männlich sittenlosen Natur mit so viel praktischem Verstand Hand in Hand ging.

Wenn Julian also einen Augenblick verwundert auf der Schwelle stand, so war es nicht die durch die Abreise der Fremden eingetretene Entvölkerung des Raumes, die ihn überraschte, sondern die Anwesenheit des Fürsten Ardea in diesem traulichen Kreis, wo er ihn im Laufe des Winters nicht ein einziges Mal getroffen hatte. Der Augenblick, wo der Hammer des Auktionators über all dem schwebte, was der Stolz und Glanz seines Namens gewesen war, schien in der That seltsam gewählt, um sich an neue Kreise anzuschließen, aber der Großneffe Urbans VII., der zwischen der »göttlichen« Fanny in Blaßblau und der hübschen Alba in Feuerrot, der schlanken Frau Maitland in Lila gerade gegenüber saß, machte durchaus nicht den Eindruck eines vom Schicksal niedergeschmetterten Menschen. Das mit weisem Bedacht verteilte gedämpfte Licht der hohen und niederen Lampen verlieh dem stolzen männlichen Profil einen warmen Schimmer; es war kein regelmäßiges, aber ein wirkungsvolles Gesicht, worin Eitelkeit und Gutmütigkeit verschmolzen waren. Die dunklen, leuchtenden Augen waren sehr beweglich und schienen im selben Blick verachten und lächeln zu können; der Mund, der von einem dichten Schnurrbart verhüllt war, drückte Hochmut und Lüsternheit aus, eine leise Falte von Uebersättigung und Sinnlichkeit lag um die Lippen.

Der Erbe der Castagna war ganz im englischen Geschmack gekleidet, den er aber, wie alle Italiener, durch zu viele Ringe und zu große Blumen im Knopfloch um sein eigentliches Gepräge brachte. Er war der erste, der den Schriftsteller bemerkte.

»Sie sind's, Dorsenne!« rief er ihm vertraulich und lustig entgegen. »Ich glaubte Sie schon über Berg und Thal, denn Sie haben sich seit vierzehn Tagen nicht im Klub blicken lassen «

»Weil er gearbeitet hat,« bemerkte Hafner, »an einem neuen Meisterwerk, das in der römischen Gesellschaft spielt. Seien Sie auf Ihrer Hut, Erlaucht, und Sie, meine Damen, entwaffnen Sie den Porträtisten . . .«

»Ich bin sogar mit Vergnügen bereit, ihm Material zu liefern,« sagte Ardea, übermütig lachend, »und überdies werde ich ihm diesen Roman mit Photographieen illustrieren, die einst meine Leidenschaft waren. Das ist auch ein Mittel, sich zu Grunde zu richten, gnädiges Fräulein,« setzte er, an Fanny gewendet, hinzu. »Die Momentaufnahmen waren meine Liebhaberei – eine ganz harmlose Liebhaberei, meinen Sie nicht? Mich hat die Geschichte in den vier Jahren etwa dreißigtausend Franken gekostet.«

Dorsenne hatte wohl gehört, daß Ardea und seine Kameraden sich das Wort gegeben hätten, seinen Zusammenbruch auf die leichte Achsel zu nehmen, aber einer solchen Unbefangenheit hatte er sich doch nicht versehen. Sie verblüffte ihn derart, daß er den spitzen Pfeil des Freiherrn achtlos an sich abprallen ließ, was sonst nicht seine Art war. Der einstige Gründer fürchtete jedoch, seinen Widerwillen gegen den Schriftsteller, der ihm ein unheimliches und doch nichtiges Handwerk zu betreiben schien, allzu deutlich verraten zu haben, und legte ihm daher seine langen, geschmeidigen Finger freundschaftlich auf die Schulter.

»Das bewundere ich so an ihm,« sagte er, »daß er nie böse wird, wenn Laien wie ich sich eine Neckerei erlauben. Er ist der einzige berühmte Schriftsteller, der so wenig Anmaßung hat, aber er ist eben auch mehr als ein Litterat, ein wahrer Weltmann.«

»Ist die Gräfin nicht hier?« fragte Dorsenne, sich an Alba wendend und die beleidigende Schmeichelei des Freiherrn so wenig beachtend als vorhin seine Bosheit und den Scherz des Fürsten.

»Die Mama ist auf der Terrasse – wir hatten Sorge, es möchte für Fanny zu kühl sein,« lautete die einfache Antwort.

Die Komtesse hatte unbefangen und harmlos gesprochen, ohne dabei ihren weißen Federnfächer ruhen zu lassen, dessen gleichmäßige Schwingungen jedesmal die blonden Flechten wie mit einem Lichtkreis vergoldeten. Julian aber kannte sie zu genau, um nicht zu fühlen, daß ihre Nerven wieder einmal schmerzhaft erregt waren. Stand sie noch unter dem Eindruck ihrer gestrigen Verstimmung, oder war es eine jener unerklärlichen Anwandlungen, die heute nacht einen so schwarzen Verdacht in ihm heraufbeschworen hatten? Er dämmerte aufs neue in ihm auf, indem er wahrnahm, daß von allen Anwesenden nur Alba so aussah, als könnte sie sich der drohenden Verwicklungen bewußt sein, und er nahm sich aufs neue vor, das Rätsel zu lösen, das dieses Mädchen für ihn war. Wie schön sie ihm heute abend erschien, mit dem blassen, vorzeitig verbitterten Gesichtchen!

Jetzt konnte sich Dorsenne aber noch nicht dieser Aufgabe widmen, sondern mußte die Gräfin auf der Terrasse begrüßen, die den französischen Salon in ein üppiges italienisches Paradies ausklingen ließ. In großen Terracottavasen zitterten blühende Gesträuche, auf der Brüstung hoben sich Hermen ab, und jenseits breiteten die schwärzlichen Pinien der Villa Bonaparte ihre Schirme gegen den tiefblauen, mit Sternen besäeten Nachthimmel aus. Von einem benachbarten Garten strömte ein leiser Akazienduft herüber und durchhauchte die Luft, die sich so lau und lind und schmeichelnd um die Menschen legte, wie ein geschmeidiges, duftiges Gewebe. Dieser warme Hauch strafte die Komtesse Lügen, die mit ihrer Bemerkung über die Abendkühle wohl nur das Alleinsein ihrer Mutter mit Maitland hatte bemänteln wollen. Die Liebenden waren in der That im Dunkel, dem Duft, der geheimnisvollen Einsamkeit dieser friedlichen Terrasse beisammen. Dorsenne, der vom hellen Licht heraustrat, brauchte eine Weile, um in dem Dämmerschein die Züge der Gräfin zu unterscheiden, die, ganz in Weiß gekleidet, auf einer strohgeflochtenen, mit Kissen bedeckten Chaiselongue ausgestreckt lag. Sie rauchte eine Cigarette, deren Aufleuchten bei jedem Zug ihre Gestalt hinreichend erhellte, um Dorsenne erkennen zu lassen, daß sie, trotz der angeblichen Kühle, den schlanken, biegsamen Hals, die schönen weißen Schultern und die reich mit Spangen geschmückten Arme entblößt trug. Im Nähertreten unterschied er auch unter den Blumendüften der Frühlingsnacht den eigenartigen Geruch des Virginiatabaks, den die Gräfin seit Beginn ihrer Beziehungen zu Maitland statt der russischen Cigaretten rauchte, die Gorka ihr angewöhnt hatte.

Neben diesem anmutigen, geschmeidigen Nachtgespenst saß Lincoln Maitland auf einem niederen Gartenstuhl, der seinen hohen Wuchs nicht erkennen ließ. Seine breiten Schultern, die der abendliche Frack in ihrem vollen Umfang zur Schau stellte, bezeugten, daß er über dem Studium seiner Kunst die körperlichen Uebungen nicht vernachlässigt hatte, die ihm durch die Erziehung in England zur lieben Gewohnheit geworden waren. Groß und breit waren die Bezeichnungen, ohne die man seinen Namen überhaupt nicht aussprechen konnte. Auf dem mächtigen Körper saß ein breites, blühendes Gesicht, das ein breiter roter Schnurrbart in zwei Hälften teilte. Mit breitem Lächeln pflegte er die breiten Schaufeln seiner weißen, gesunden Zähne zu enthüllen, breite Ringe blitzten an seinen breiten Händen, kurz, der ganze Mensch war der denkbar größte Gegensatz zu dem schlanken, nervösen Polen. Wenn Gorka an einen Panther erinnerte, so konnte Maitland eher mit einem vorsündflutlichen Dickhäuter verglichen werden. Der Maler saß bei ihm nur im Auge und in der Hand, eine so zufällige, rein körperliche Begabung wie die Kehlbildung irgend eines Tenors. Aber der fast unnatürliche Trieb war mit der ganzen zähen Beharrlichkeit der Angelsachsen entwickelt, erzogen und ausgenützt worden. Für den Augenblick schien sich sein ganzer Ehrgeiz darauf zu beschränken, den Duft dieser göttlich schönen, etwas zu voll erschlossenen und dem Welken nahen Liebesrose einzuatmen, die er in Katharina Steno vor sich hatte. Daß seine Frau in dem Zimmer war, dessen hell erleuchtete Fenster das freundliche Dunkel dieser wonnigen Terrasse noch betonten, schien Maitland nicht anzufechten.

Dorsenne machte sich dem Paare auf möglichst geräuschvolle Weise bemerklich, ja er trieb die Rücksicht so weit, einen Stuhl umzuwerfen.

»Ich hätte im vorigen Jahrhundert einen recht erbärmlichen Abbé abgegeben,« sagte er, laut lachend, »denn ich sehe bei Nacht gar nichts. Wenn Ihre Cigarette mir nicht als Leuchtturm gedient hätte, Gräfin, würde ich mir wahrscheinlich die Kniee an der Brüstung zerstoßen haben.«

»Ach, Sie sind's, Dorsenne!« versetzte die Gräfin mit einer Trockenheit, die so sehr von ihrer sonstigen Herzlichkeit abstach, daß der Schriftsteller sofort den Schluß ziehen konnte, nicht nur der unwillkommene dritte zu sein, sondern auch, daß Hafner seine unbesonnenen Aeußerungen von gestern hinterbracht hatte.

Während er im stillen darüber nachdachte, schwatzte er laut übers Wetter, die Temperatur, Ardeas überraschende Heiterkeit und andre unwichtige Dinge, um nicht durch einen allzu eiligen Rückzug mehr Zartgefühl zu zeigen, als den Beteiligten wünschenswert sein konnte.

»Wann darf man wieder in Ihr Atelier kommen, Maitland, um Albas Bild fertig zu sehen?« fragte er, ohne sich zu setzen, weil er sich einen raschen Abgang frei halten wollte.

»Fertig!« rief die Gräfin. »Ja, wissen Sie denn nicht, daß Linco« – sie bediente sich seit einigen Wochen dieser zärtlichen Abkürzung – »den Kopf ganz neu angelegt hat?«

»Den ganzen Kopf nicht, aber das Profil,« versetzte Maitland. »Sie erinnern sich doch der beiden Bilder von Pier de la Francesca in Florenz, im selben Saal mit dem Botticelli, den Porträts des Herzogs von Urbino und seiner Frau, der Battista Sforza? Das ist so gezeichnet« – er fuhr mit dem Daumen durch die Luft – »mit einem Freskostift und sitzt, ach, wie das sitzt! Diese Linie, dieses Profil der Profile, will ich auch herausbringen . . . Dieser Maler ist neben Fra Carnevale und Melozzo doch das Beste, was Italien hat.«

»Und Tizian und Raphael?« wendete die Gräfin ein.

»Und die Sienesen und Lorenzetti, in den Sie einmal so vernarrt waren? Sie schrieben mir über ihn bei Gelegenheit meiner Besprechung Ihrer Ausstellung im Jahre 1886 . . . erinnern Sie sich nicht?«

»Raphael?« erwiderte der Maler. »Soll ich Ihnen ehrlich sagen, was Raphael ist? Ein göttlicher Entrepreneur! Und Tizian? Ein göttlicher Tapezierer! Die Sienesen, ja, die habe ich sehr geliebt – ich habe drei Monate lang an der Kopie des Simone Martini im Rathaus gearbeitet – und Lorenzetti, ob ich mich seiner erinnere! Besonders die Freske, wo der heilige Franciskus dem Papst seinen Geleitbrief vorhält, das ist das Beste, was er gemacht hat. Aber ich bin doch davon zurückgekommen. Es mischt sich zu viel Anekdotisches darein, es sind an die Mauer geworfene Zeitungsberichte. Ein Zeitungsschreiber großen Stils, gewiß, aber ziehen Sie den Stoff ab, so ist's – nichts, während bei Pier de la Francesca, Carnevale, Melozzo, da ist – ja,« er konnte das rechte Wort nicht gleich finden – »da ist's Malerei!«

»Aber Tizians ›Himmelfahrt‹?« bemerkte die Gräfin, ein begeistertes »Ah! Che bellezza!« hinzusetzend.

»Machen Sie sich keinen Kummer über Künstlerurteile, Gräfin,« sagte Dorsenne lachend. »Ich habe zum Beispiel vor zehn Jahren drucken lassen, Viktor Hugo sei ein Dilettant und Musset ein Philister – und das ist weder diesen Herren noch mir schlecht bekommen! Da ich aber weder von den Dogen Venedigs noch von den starknervigen Puritanern abstamme, sondern nur ein entarteter Gallier bin, müssen Sie mich schon entschuldigen, wenn ich diese feuchte Luft für meine Rheumatismen scheue und hineingehe.«

»Raphael ein Entrepreneur, Tizian ein Tapezierer!« dachte er auf dem Rückweg. »Und diese Dogaressa, deren Ideal eine hübsche Madonna in Farbendruck sein muß, hört den Schwulst mit Andacht an, köstlich! Wenn Gorka mich nicht gestern um meinen ganzen Tag gebracht hätte, könnte ich mir einbilden, von ihm geträumt zu haben, so wenig spürt man seine Nähe hier. Und dieser Italiener, der so geschmacklos mit seinem Pech prahlt!«

Als er den Salon betrat, lauschte die unter einem schönen Moretto versammelte Gruppe in der That einer Anekdote des Fürsten über den Ritter Fossati, den er mit dem Verkauf seiner Habseligkeiten betraut hatte.

»›Wie viel werden Sie wohl bei dem Verkauf gewinnen?‹ habe ich ihn gefragt. ›Nicht viel, aber hier ein wenig und dort ein wenig, das läppert sich schließlich doch zusammen‹ – und mit welchem Ausdruck er hinzugesetzt hat: ›Und dann ist die Wanze Graf!‹ Wanze war nämlich sein Spitzname, als er noch als Trödler in Umbrien herumzog, und dieses ›dann‹ hieß: ›Noch ein paar solche Auktionen, mein lieber Prinz, und mein Sohn, der Graf Fossati, ist ein halber Millionär, tritt in den Klub ein, spielt mit dir und duzt dich!‹ Auf Ehre, so gut habe ich mich noch nie unterhalten, wie seit ich Bettler bin.«

»Weil Sie ein Optimist sind, Erlaucht,« bemerkte Hafner, »und was unser Freund Dorsenne auch dagegen sagen mag, Optimist muß man sein . . .«

»Willst du ihn schon wieder angreifen?« sagte Fanny mit bescheidenem Vorwurf.

»Ihn? O nein, aber seine Ansichten und namentlich die seiner Schule!«

Sei es, daß der Freiherr das Gespräch von Ardea ablenken wollte, sei es, daß er wirklich eine Welt, die Streiche wie seine famose Bankgründung ermöglichte, vorzüglich eingerichtet fand, kurz, er fuhr eifrig fort: »Als ich Sie so lustig plaudern hörte, Ardea, und von der andern Seite diesen Weltschmerzdichter eintreten sah, mußte ich unwillkürlich denken, welch seltsame Mode es doch ist, alles schwarz zu sehen . . .«

»Sie finden also alles rosig?« fiel ihm Alba ins Wort.

»Dachte ich mir's doch! Sobald ich über den Pessimismus losziehe, bringe ich die Komtesse zum Reden!« rief Hafner. »Rosig sehe ich die Welt auch nicht, nein, aber wenn ich bedenke, wie viel Mißgeschick wir alle hätten haben können, so finde ich unsern jetzigen Zustand noch recht erträglich. Wenn wir zum Beispiel nur zu einer andern Zeit geboren wären . . . Sie zum Beispiel, Komtesse, wären vor hundertfünfzig Jahren in Venedig keine Stunde davor sicher gewesen, bei dem Rat der Zehn angeschwärzt zu werden. Sie, Dorsenne, hätten so gut wie Voltaire im Auftrag eines großen Herrn geprügelt werden können, und unser Freund Ardea hätte bei jeder Papstwahl einen Dolchstich riskiert. Ich, als Protestant, wäre aus Frankreich verjagt, in Italien geängstigt, in Spanien verbrannt worden.«

Er hatte recht vorsichtig zwischen der Doppelgefahr gewählt, die ihm seine Abstammung eingetragen hätte, verstummte aber nun, um nicht erwähnen zu müssen, was Frau Maitlands Schicksal vor der Aufhebung der Sklaverei gewesen wäre. Wußte er doch, daß die hübsche junge Frau die Vorurteile ihrer amerikanischen Landsleute durchaus teilte und den ihr anhaftenden Makel, der nur an dem bläulichen Weiß ihrer Augen, dem Goldton ihrer Haut und dem leicht gekräuselten Haar kenntlich war, derart zu verbergen strebte, daß sie nie die Handschuhe ablegte.

»Eine sehr scharfsinnige Begründung, die jedoch auf schwachen Füßen steht,« fiel Dorsenne ein, während Lydia Maitland zerstreut ihr Kleid glatt strich. »Man sagt so leicht: ›Wenn ich vor hundert Jahren gelebt hätte,‹ und bedenkt nicht, daß man dann auch nicht derselbe Mensch gewesen wäre, andre Anschauungen, Neigungen und Bedürfnisse gehabt hätte. Es ist, wie wenn jemand sich anmaßte, seine Gefühle als Vogel oder Schlange zu kennen.«

»Immerhin kann man sich aber ganz wohl vorstellen, wie es wäre, gar nicht geboren zu sein,« bemerkte Alba Steno.

Sie hatte die Worte mit so seltsamer Betonung gesprochen, daß die von Hafner angeregte Unterhaltung sofort abgeschnitten war. Jede Aeußerung einer tiefen Empfindung bringt müßiges Geplauder zum Verstummen, und obwohl die Verneinung des Daseins in einem prächtigen Rahmen und aus dem Mund einer Zwanzigjährigen leicht komisch wirkt, hatte doch jeder das Gefühl, es sei dem jungen Mädchen Ernst damit.

Dorsenne war der einzige, der über die Quelle der Bitterkeit in diesem jungen Herzen nachsann, während das allgemeine Gespräch sofort eine andre Wendung nahm.

Mit einer unbewußten Ironie, die nach der Bemerkung des jungen Mädchens wirklich reizend klang, fragte Lydia, indem sie mit dem Fächer auf Albas Aermel wies: »Das ist Seidengaze, nicht wahr, Liebe?«

»Ja,« erwiderte die Komtesse, aufstehend und ihr den Arm hinhaltend, der schmächtig und kindlich aus dem durchsichtigen Gewand hervorschimmerte, und Ardea beugte sich zu Fanny Hafner, deren blasse Wangen heute aus geheimen Gründen rosig angehaucht waren und die schöner war als je, mit der Frage: »Sie haben heute auch meinen Palast besichtigt, gnädiges Fräulein?«

»Nein,« erwiderte sie kurz.

»Fragen Sie doch: ›Warum nicht?‹, lieber Prinz,« neckte der Vater.

»Ach, Papa!« rief Fanny, die dunklen Augen flehend auf ihn gerichtet.

»Es ist schade,« fuhr der Fürst fort, der zartfühlend genug war, ihre stumme Bitte zu erfüllen. »Nicht daß etwas Besonderes darin zu sehen wäre, aber die Kapelle hätte Sie vielleicht interessiert. Davon trenne ich mich am schwersten – all die Gegenstände, die den Meinigen so lange heilig waren und nun Katalognummern sind! Sogar den Reliquienschrein haben sie mir genommen, weil er von Ugolino da Siena ist. Ich werde so viel als möglich davon zurückkaufen . . . Ihr Herr Vater rühmt meinen guten Mut . . . aber ich zweifle, ob er beim Abschied von diesen Dingen standhielte!«

»Dieses Gefühl dehnt sie auf den ganzen Palast aus,« schaltete Hafner ein.

»Ach, Papa!« bat Fanny wieder.

»Sei ruhig, ich werde dich nicht verraten,« gelobte Hafner tröstend, und Alba machte sich ihr Aufstehen von vorhin zunutze, um den Kreis zu verlassen.

Am andern Ende der Halle stand ein Tisch, wo der Thee in englischem Stil und kühlende Getränke die Gäste erwarteten.

»Darf ich Ihnen Cognac und Sodawasser mischen?« fragte sie Dorsenne, der ihr gefolgt war.

»Was ist Ihnen, Komtesse?« fragte er mit gedämpfter Stimme, als sie beide vor dem funkelnden Theegeschirr und den geschliffenen Krystallflaschen, dem einzig blanken Tone auf der stumpfen Wandbekleidung, standen. »Was haben Sie nur? Sind Sie mir noch böse?«

»Ihnen böse?« versetzte sie. »Das war ich ja nie . . . weshalb hätte ich Ihnen böse sein sollen? Sie haben mir ja nichts zuleide gethan, Sie . . .«

»Also hat Ihnen ein andrer etwas zuleide gethan?« – er sah, daß sie wirklich nicht mehr an die kleine Verstimmung von gestern dachte. »Einen Freund wie mich können Sie nicht täuschen! Schon an der Art, wie Sie Ihren Fächer bewegten, habe ich gesehen, daß Sie Sorgen haben.«

»Worüber sollte ich mir Sorgen machen?« warf sie hin, die dichten, seidigen Augenbrauen nervös in die Höhe ziehend. »Ich ertrage es nur nicht, gewisse Lügen anzuhören, das ist alles.«

»Und wer lügt denn?«

»Haben Sie denn nicht gehört, wie salbungsvoll Ardea von seiner Kapelle sprach, er, der etwa gerade so viel Religion hat als Hafner? Haben Sie denn nicht beobachtet, wie ihn die arme Fanny dabei ansah? Und ist es Ihnen nicht aufgefallen, wie geschickt der Freiherr anzudeuten wußte, daß seine Tochter aus Zartgefühl nicht mit uns in den Palast Castagna gehen wollte? Und dies Komödienspiel der beiden Herren hat Ihnen gar nichts zu denken gegeben?«

»Also deshalb ist Peppino hier? Ein Heiratsplan zwischen dem Großneffen Urbans VII. und der Erbin von Papa Hafners Millionen? Mein Gott, wenn ich diese Nachricht einem meiner Bekannten überbringe, das wird hübsch!« Die Vorstellung von Montfanons Entrüstung entlockte ihm ein helles Lachen.

»Werfen Sie mir keine so bitterbösen Blicke zu, Komteßchen, denn schließlich finde ich in dieser Geschichte keine Veranlassung zum Seelenschmerz. Fanny und Peppino – was ist dabei? Sie selbst erzählten mir ja, daß sie im Herzen katholisch sei und der Vater ihr die Erlaubnis eines Uebertrittes nur bis zur Heirat verweigere, folglich wird sie glücklich darüber sein. Ardea wird seinen Palast behalten und der Freiherr sein Werk krönen, indem er einem Gimpel als Schwiegersohn zurückerstattet, was er von seinesgleichen an der Börse gewonnen hat.«

»Schweigen Sie,« erwiderte Alba finster. »Mir graut vor Ihnen! Daß Ardea alle Bedenken fahren läßt und seinen römischen Fürstentitel so teuer als möglich losschlägt, läßt mich um so mehr kalt, als uns Venetianern der römische Adel nicht sonderlich vornehm dünkt. Unsre Väter waren Dogen, als die ihrigen sich noch als Banditen in der Campagna umhertrieben. Daß Herr von Hafner es mit seiner Tochter macht, wie er es in seiner Jugend mit den Diamanten gemacht haben soll, nämlich sie in eine falsche Fassung setzt, ist mir auch einerlei. Aber das Mädchen selbst – Sie kennen sie nicht! Sie wissen nicht, was für ein argloses, reizendes, schwärmerisches Geschöpf sie ist, das nie von ferne ahnen wird, daß ihr Vater ein Gauner ist und sie verschachert, um in seinen Enkeln die Großgroßneffen eines Papstes zu haben, und ebensowenig wird sie erraten, daß dieser Peppino sie nicht liebt und nur ihre Mitgift will . . . ach, es ist ja noch viel schändlicher, als ich Ihnen sagen kann!« setzte sie hinzu und verstummte, als ob sie sich vor ihren eigenen Worten fürchtete.

»Und sind Sie gewiß, daß Sie die Sache nicht übertreiben?« fragte Julian. »Schließlich berechnen die Menschen gar nicht so viel . . . Das Leben ist bedeutend einfacher, als wir manchmal denken. Am Ende haben der Freiherr und der Fürst ins Blaue hinein . . .«

»Ins Blaue hinein! Das gibt es für einen Hafner nicht! Und wenn ich Ihnen sagte, daß ich überzeugt bin, ja daß ich weiß, daß er der Hauptgläubiger des Fürsten ist und ihn durch jenen Ancona pfänden läßt, um ihn selbst in die Hand zu bekommen . . .«

»Unmöglich!« rief Dorsenne. »Sie waren ja gestern dabei, wie er sich entschloß, dies oder jenes zu kaufen . . .«

»Drängen Sie mich nicht, noch mehr auszuschwatzen,« versetzte Alba, sich mit der ringlosen, schmalen, weißen Hand ein paarmal über die Stirne streichend. »Ich habe schon zu viel gesagt. Die Sache berührt mich ja nicht persönlich und ich kenne die arme Fanny erst seit kurzem. Aber wenn ich mir vorstelle, daß sie sich jetzt für ihr ganzes Leben bindet und niemand hat, der ihr die Augen öffnet, so thut sie mir furchtbar leid. Mein Mitleid ist kindisch, das weiß ich ja!«

Es ist immer schmerzlich, bei einem jungen Geschöpf diese klare Erkenntnis der Nachtseiten der menschlichen Natur wahrzunehmen, die jeden, dem sie einmal aufgegangen ist, aller Illusionen beraubt. Alba Steno hatte auf Dorsenne schon häufig den Eindruck einer allzu früh Ernüchterten gemacht, und das war für diesen Erforscher des Frauenherzens sogar ihr besonderer Reiz gewesen. Wie kam sie dazu, Hafners Pläne derart zu durchschauen? Offenbar mußte die Mutter selbst mit ihr darüber gesprochen oder in ihrer Gegenwart allzu verständliche Andeutungen mit dem Freiherrn ausgetauscht haben. Als er sie jetzt mit bitter verzogenem Mund und hartem Blick, so sichtlich von einem wahren Fieber sittlicher Entrüstung verzehrt, vor sich stehen sah, durchfuhr es Dorsenne, wie schon so häufig, daß sie Klarheit über die eigene Mutter haben müsse. Er glaubte zu beobachten, daß ihr Auge, während sie die Flamme unter dem Theekessel entzündete, auf die Terrasse geheftet sei, wo man das weiße Kleid der Gräfin ein wenig durchs Dunkel schimmern sah. Die tollen Gedanken von heute nacht kehrten wieder, sein Plan, es dem Hamlet nachzuthun, fiel ihm ein, und mit gleichmütiger Miene Albas Bemerkung aufgreifend, daß Fanny keinen Warner finden werde, sagte er leichthin: »Da können Sie ruhig sein, Komtesse. Ardea hat Feinde genug und Hafner noch mehr; es wird sich schon jemand finden, der die schöne Fanny über diese Kniffe aufklärt. Ein anonymer Brief ist ja so schnell geschrieben . . .« Er verstummte in jähem Schreck, wie ein Mensch, der ein Gewehr losgehen fühlt, das er ungeladen glaubte. Er hatte im Grund das Wort nur hingeworfen, um sich vor sich selbst über seine Zweifelsucht zu rechtfertigen, und mußte nun sehen, wie Albas Mund sich noch schmerzlicher verzerrte, wie ihre Augen noch finsterer und verächtlicher blickten. Ihre Hände zitterten bei der leichten Hantierung am Theekessel und ihre Stimme klang so bewegt, daß der Freund seine grausame Wißbegierde bereuen mußte.

»Wünschen Sie ihr das nicht!« sagte sie. »Das wäre noch schlimmer als ihre jetzige Unwissenheit. Jetzt weiß sie von keinem Argwohn, wenn aber irgend ein Elender thun wollte, was Sie sagen, so würde sie das Mißtrauen kennen lernen und doch keine Gewißheit erhalten . . . Wie können Sie nur lächelnd von einer solchen Möglichkeit reden? Nein! Meine arme, süße Fanny, sie soll keine anonymen Briefe erhalten! Es thut so weh . . .«

»Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie verletzt habe. – Wenn ich bei dem Gedanken lächeln kann, so ist es nur, weil ich Fräulein von Hafner für viel zu gescheit halte, um eine derartige Wandlung anders zu behandeln, als sie es verdient. Einen anonymen Brief liest man nicht einmal! Wer ehrlos genug ist, sich solcher Waffen zu bedienen, verdient die Ehre nicht, gehört zu werden . . .«

»O, nicht wahr?« rief Alba beinahe jubelnd. Ihre Augen strahlten den Schriftsteller so dankbar an, daß er mit Sicherheit wußte, daß er sich dieses Mal nicht getäuscht, sondern ihr das rechte Wort gesagt hatte. Sie war nicht die Verfasserin, aber das Opfer anonymer Briefe. Eine unsägliche Beschämung über seinen unsinnigen Verdacht befiel ihn bei dem beredten Zeugnis dieser Augen und ein unendliches Mitleid. Wenn man wirklich die Mutter bei ihr verdächtigt hatte, wie furchtbar mußte dieser Schlag gewesen sein. Er konnte sie ebensowenig danach fragen, wie sie der Mutter diesen Brief hatte zeigen können. Die Gräfin pflegte zu sagen: »Ich erziehe meine Tochter nach englischem Vorbild in völliger Unabhängigkeit,« und das Ergebnis dieser Unabhängigkeit war, daß ein Brief dieser Art ungehindert in die Hand ihres Kindes kommen konnte. Es mußte gestern nachmittags oder heute früh geschehen sein, denn bei ihrem Besuch im Palast Castagna war sie wohl abwechselnd fröhlich und traurig gewesen, aber in beidem ein Kind, und die Alba, die er heute abend leiden sah, war ein Weib.

»Sie können sich ja denken, daß wir Schriftsteller derartigen Erbärmlichkeiten besonders ausgesetzt sind,« fuhr er fort. »Kaum ist ein Buch, ein Theaterstück erschienen, so machen sich die Neider ans Werk und beschimpfen uns oder solche, die uns lieb sind; aber wie gesagt, ich verbrenne jeden anonymen Brief ungelesen, und wenn sich Ihnen je ein solches Gewürm nahte, Komteßchen, so befolgen Sie den Rat Ihres Freundes Dorsenne! Sie spüren's doch, daß ich Ihr Freund, Ihr wahrer Freund bin, Alba?«

»Wer sollte mir anonyme Briefe schreiben?« entgegnete sie rasch. »Ich besitze weder Ruhm, noch Schönheit, noch Millionen, noch Neider.«

Dorsenne sah sie traurig an, weil sie ihm wieder den Zugang zu ihrem Innern verschloß, ihre bebenden Lippen zu einem müden Lächeln zwang, womit sie hinzusetzte: »Wenn Sie mein wahrer Freund sind, so helfen Sie mir Thee eingießen, statt mir Ratschläge zu geben, die ich höchstens gebrauchen könnte, wenn ich eine berühmte Schriftstellerin würde.« Sie neigte den Kessel über die Kanne. »Bitte, fragen Sie Frau Maitland, ob sie Thee nimmt, und Fanny auch . . . Ardea trinkt nur Grog und Hafner Mineralwasser . . . ich muß nach seinem Glas Vichy klingeln . . . So . . . Sie haben mich so aufgehalten, daß nichts fertig ist, und da kommen schon wieder neue Gäste . . .«

Die Thür der Halle ging weit auf, und Alba rief: »Es ist Maud!« um sofort, fast erschrocken, hinzuzusetzen: »Und ihr Mann!«

In ihrer frischen, gesunden, englischen Schönheit, die durch ein schwarzes Kleid mit orangefarbenen Bandschleifen so recht zur Geltung kam, war Maud Gorka, strahlend vor Glück, über die Schwelle getreten. Hinter ihr stand Gorka, etwas mager, aber vornehm und anmutig wie immer, eine Maiblume im Knopfloch, lächelnden Mundes und mit fester Haltung, nicht mehr der staubbedeckte, vom Wahnsinn der Eifersucht geschüttelte Reisende von gestern! Für Dorsenne freilich waren diese Kaltblütigkeit und dies Lächeln schier unheimlicher als jene Raserei. An der Art, wie er ihm die Hand gab, merkte der Schriftsteller, daß die letzten vierundzwanzig Stunden sein Werk zerstört hatten, und daß Boleslav, der ein so guter Schauspieler war, daß er Maud völlig getäuscht und am ersten Abend zu diesem Besuch bewogen hatte, nun auch keinen Rat und keine Hilfe mehr fordern würde. Sein Jägerauge hatte jedenfalls sofort das weiße Kleid der Gräfin auf der Terrasse entdeckt, während die glückliche Maud in ihrer stolzen Unbefangenheit seine unerwartete Rückkehr erklärte.

»So geht's, wenn man einem unvernünftigen Vater gewissenhaft Nachricht von seinem Jungen gibt,« sagte sie. »Ich schrieb ihm neulich, daß Luc ein wenig Fieber habe, er bittet sofort um Nachricht, der Brief geht verloren, er verliert den Kopf und reist schnurstracks nach Rom!«

»Ich will's nur der Mama verkünden,« sagte Alba, rasch und für Dorsennes Ungeduld doch viel zu langsam auf die Terrasse eilend.

Es war eine so einfache Scene, und doch so tragisch, einer jener dramatischen Auftritte des Gesellschaftslebens, die um so erschütternder wirken, weil sie sich so geräuschlos in festlichem Rahmen und unter Alltagsgeschwätz abspielen. Außer Julian begriffen noch zwei von den Zuschauern seine ganze Bedeutung – Hafner und Ardea – denn diese beiden waren sich ebenso klar über die jetzigen Beziehungen Katharina Stenos zu Maitland, als über ihre früheren zu Boleslav Gorka. Der Schriftsteller, der Fürst und der Geschäftsmann hatten trotz der Alters- und Lebensunterschiede zwischen ihnen alle drei reiche Erfahrungen in ähnlichen Lagen, aber der eine wie der andre äußerte später, daß sie eine so bewundernswerte Ruhe, eine so stolz vermessene Heiterkeit, wie sie der Gräfin Steno in diesem Augenblick zu Gebot standen, nie für möglich gehalten hätten.

Sie erschien unter der Glasthür der Terrasse, erstaunt und erfreut, beides um keine Linie mehr, als für diese Begrüßung angemessen war. Ihre feine Haut, die sich bei der leisesten Erregung purpurn färbte, wechselte den herrlichen, rosigen Ton nicht. Ja, es brauchten nicht einmal die langen Wimpern, die ihr den Reiz einer schönen Orientalin verliehen, die blauen Augen zu verschleiern, die von innerem Licht strahlten. Mit den lächelnden Lippen, die ihre schönen, mit den Perlen an ihrem Hals wetteifernden Zähne enthüllten, den Smaragden in dem üppigen blonden Haar, den breit gewölbten Schultern, die sich aus dem Ausschnitt des weißen Gewandes hervordrängten, der schlanken und doch so üppigen Gestalt, den weißen Armen, woran wieder Smaragden funkelten und die sie vom Handschuh befreit hatte, um sie Maitlands Küssen darzubieten, dem stolzen, siegbewußten Gang, erschien sie wirklich wie ein Weib aus andern Zeiten. Sie war die Schwester einer jener herrlichen Fürstinnen, die venetianische Meister in Säulenhallen zwischen Aposteln und Märtyrern, die entweder Edelleute oder Seeleute sind, hingezaubert haben. Geradeaus auf Maud Gorka zugehend, gab sie ihr einen herzlichen Kuß, drückte dann dem Grafen die Hand und sagte mit ihrer warmen Altstimme, deren Klang durch die weichen Laute Venedigs gemildert war: »Welch köstliche Ueberraschung! Habt ihr denn nicht schon zu Tisch kommen können? Jetzt setzt euch beide und laßt diesen Odysseus von seinen Fahrten erzählen.« Maitland war ihr mit der herausfordernden Ruhe des Kraftmenschen und des Mannes, der sich geliebt weiß, in den Salon gefolgt.

Sie wendete sich nach ihm um und bat lächelnd: »Seien Sie artig, mein kleiner Linco, und holen Sie mir meinen Fächer und meine Handschuhe, die ich draußen gelassen habe.«

Dorsenne stand in diesem Augenblicke wieder neben Alba Steno: er fürchtete jetzt keine andre Gefahr mehr, als die, Boleslav Gorkas Augen zu begegnen, deren Blick ihm heute unerträglich gewesen wäre. Das vorhin so verschlossene wie von Angst gepreßte Gesichtchen des jungen Mädchens aber war förmlich verklärt. Eine ungeheure Last schien ihr vom Herzen gewälzt zu sein.

»Armes Kind!« dachte Dorsenne. »Sie sagt sich, daß die Mutter nicht so ruhig sein könnte, wenn sie schuldig wäre. Die Haltung der Gräfin gilt ihr als Widerlegung des anonymen Briefes – man hat ihr also alles geschrieben! Mein Gott! Wer kann es nur gewesen sein? Wie wird sich der verwickelte Knoten entwirren?« Er hätte nur die Augen aufzumachen brauchen, um die Lösung des Rätsels in Händen zu haben. Bei Boleslavs Eintritt hatten sich auf allen Gesichtern die verschiedensten Empfindungen widergespiegelt; die Lust des Verbrechens, die befriedigte Gier des endlich gesättigten Hasses war nur auf einem einzigen zu lesen gewesen. Aber Dorsenne hatte ebensowenig darauf geachtet als die übrigen Zeugen dieses unheilvollen Wiedersehens: der Erforscher des weiblichen Herzens hatte an diesem Abend seine Handwerksregeln vergessen.



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