Paul Bourget
Kosmopolis. Erster Band
Paul Bourget

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Katharina Steno

Für eine Frau von geringerem Mut als die Gräfin und minder großer Fähigkeit, einer Gefahr ins Auge zu sehen und entgegen zu gehen, würde dieser Abend das Vorspiel zu einer bangen, schlaflosen Nacht gewesen sein, wo die fessellose Phantasie alle Seelenzustände des drohenden Unglücks im voraus durchmacht und erschöpft. Solche Schreckensstunden führen dann in der Regel zu einem feigen Entschluß, zur verbissenen Lüge, die den Mann empört, weil er nicht einsieht, daß Heuchelei die einzige Kraft der Schwachen ist. Katharina Steno kannte weder Schwachheit noch Angst. Im Vollbewußtsein ihrer Thatkraft fühlte sie sich jeder Lage gewachsen und kannte den Begriff der Unruhe nicht. Ihr Schlaf war in dieser Nacht so ungestört und so erquickend gewesen, als ob ihr kein Gorka mit Rachedurst im Herzen und drohenden Augen erschienen wäre. Gegen zehn Uhr saß sie am nächsten Morgen in dem kleinen Wohn- oder richtiger gesagt Arbeitszimmer neben ihrer Schlafstube und sah einige Rechnungen durch, die ihr ein Verwalter persönlich überbracht hatte. Sie war wie immer um sieben Uhr aufgestanden, hatte das eiskalte Bad genommen, womit sie Winter und Sommer ihr kräftiges Blut peitschte, hatte nach englischer Art Eier, kaltes Fleisch und Thee gefrühstückt, eine Gewohnheit, der sie die Erhaltung ihres Magens zu danken glaubte, und dann umständliche Toilette gemacht. Bei ihrer Tochter hatte sie auch schon angeklopft und außerdem fünf Briefe geschrieben, denn ihre kosmopolitische Gastfreundschaft belastete sie mit mannigfaltigem Briefwechsel und sie war ebenso treu in der Freundschaft als unbeständig in der Liebe. Seite um Seite hatte sich mit ihrer großen, steilen Schrift gefüllt, die in ihrer angelernten Regelmäßigkeit so vornehm wirkte, und der einstige Geliebte hatte sie nicht weiter beschäftigt, als daß sie sich sagte:

»Um elf Uhr muß ich bei Maitland sein, um zehn Uhr wird Ardea kommen, um über seine Heirat zu sprechen, vorher muß ich Finolis Rechnungen durchsehen. Wenn nur Gorka sich nicht einfallen läßt, auch heute früh zu kommen . . .« Das war der einzige Gedanke, den sie ihm widmete. Der verratene Liebhaber flößte ihr weder Mitleid noch Furcht ein. Sie war entschlossen, ihm ehrlich und rücksichtslos zu sagen, daß sie ihn nicht mehr liebe, und ihm die Wahl zu lassen zwischen einer gänzlichen Entzweiung oder einer zuverlässigen Freundschaft. Das einzig Widerwärtige war ihr die Stunde dieser Auseinandersetzung, die sie lieber auf den Nachmittag verlegt hätte, wo sie frei war, allein auch diese Verdrießlichkeit hinderte sie nicht, die Zahlenreihen ihres Intendanten ruhig und sachverständig durchzugehen. Der Verwalter selbst stand neben ihrem Schreibtische, eines jener grobknochigen Gesichter mit brauner Haut und Hängebacken, wie Bonifazio sie den Pharisäern und hartherzigen Reichen zu geben liebte. Er verwaltete die siebenhundert Hektare des Gutes von Piove bei Padua, dem Lieblingssitz der Gräfin. Sie hatte den Ertrag durch Trockenlegung einer stehenden Lagune, die viele Fieberkeime ausgehaucht hatte, verzehnfacht, denn der ein Meter unter Meereshöhe liegende Grund hatte sich überraschend fruchtbar erwiesen, und sie besprach jetzt die zunächst nötigen Maßregeln mit jener genauen und eingehenden Kenntnis der Landwirtschaft, die einen Charakterzug des italienischen Adels und die Ursache seiner Lebensfähigkeit bildet. Der Adel dauert, selbst nach Entziehung seiner Vorrechte, überall, wo er der Geschichte und der Scholle treu bleibt.

»Du hast also den Ertrag der Seidenwürmer auf etwa fünfzig Kilo Kokons die Unze veranschlagt?«

»Ja, Excellenz.«

»Fünf Unzen gelbe – hundertmal fünfzig, macht fünftausend,« fuhr sie fort. »Und vier Franken fünfzig?«

»Möglicherweise fünf, Excellenz.«

»Nehmen wir zweiundzwanzigtausendfünfhundert an,« sagte die Gräfin, »und für die japanischen ebensoviel. Das bringt uns gerade auf die Baukosten.«

»Ja, Excellenz. Und der Wein?«

»Nach dem, was du mir über die Reben sagst, halte ich es für wichtig, daß du den ganzen Rest sofort an den Vertreter des Hauses Kauffmann abgibst, aber nicht unter sechs Franken die Brentina. Du weißt ja, daß unsre Fässer im August geleert und gereinigt sein müssen . . . gerade im ersten Jahr, wo wir die neue Weinbereitung durchführen, darf es uns daran nicht fehlen.«

»Sehr wohl, Euer Gnaden. Und die Pferde?«

»Diese Gelegenheit dürfen wir auch nicht hinauslassen. Du fährst heute um zwei Uhr mit dem Schnellzug nach Florenz, bist morgen früh in Verona, bringst das Geschäft zum Abschluß und lieferst die Pferde abends noch in Piove ab. Jetzt sind wir fertig.«

Sie besaß ein ungewöhnlich feines Gehör und hatte die Thür des Vorzimmers gehen hören. Eigenhändig die Papiere des Verwalters in einen Umschlag steckend, verabschiedete sie den vierschrötigen Mann und mit ihm offenbar alle Gedanken an Geschäftliches, denn sie empfing ihren zweiten Besucher, der zum Glück der Fürst Ardea war, mit ihrem sonnigsten, leichtsinnigsten Lächeln.

»Ich habe mit Erlaucht zu sprechen,« sagte sie dem Diener. »Empfangen Sie sonst niemand, aber weisen Sie auch nicht ab, sondern bringen Sie mir erst die Karten.«

»Nun, Simpaticone?« begrüßte sie jetzt Ardea mit seinem anmutigen, von ihr erfundenen Spitznamen. »Wie haben Sie gestern Ihren Abend vollends zugebracht?«

»Das werden Sie mir kaum glauben!« versetzte Peppino lachend. »Ich, der ich nichts mehr mein nenne, bald nicht einmal mehr mein Bett, bin in den Klub gegangen, habe Bank gehalten und zum erstenmale im Leben gewonnen!«

Er beichtete diesen Jugendstreich mit so kindlichem Vergnügen, lachte so herzlich über sein Unglück, daß die Gräfin ihn ordentlich verblüfft ansah, gerade wie er sie bei seinem Eintritt auch angesehen hatte. Man kennt sich selbst so wenig und gibt sich selbst so selten Rechenschaft über seine Eigentümlichkeiten, daß jedes von ihnen im stillen verwundert war, das andre so ruhig zu finden. Ardea begriff nicht, daß die Gräfin von Gorkas unerwarteter Rückkehr und ihren möglichen Folgen so wenig beunruhigt war, während sie den Frohsinn bewunderte, der dem seltsamen jungen Mann bei all seinem Unstern zu Gebote stand. Er hatte offenbar seinen Anzug mit so ungetrübter Heiterkeit angelegt, als ob ihm kein für seine ganze Zukunft entscheidender Schritt bevorstünde. Der karrierte Stoff, die gelben Schuhe, die Farbe seines Hemdes, die Blume im Knopfloch, alles trug den Stempel lebensfroher Leichtfertigkeit. Er hatte diese Unbedachtsamkeit schon so teuer bezahlen müssen, daß die Gräfin plötzlich das Mitleid starker Naturen für die Wehrlosen empfand und das Bedürfnis, für diesen Springinsfeld zu handeln, ihn aufzurütteln. Mit ihrer gesunden Vernunft und ihrem Drang, alles glatt abzuwickeln, fand sie die Verbindung mit Fanny Hafner so wünschenswert, daß sie mit einer Hast, als ob es sich um einen persönlichen Gewinn handelte, auf ihren Abschluß hinarbeitete.

Die Heirat paßte dem Freiherrn, sie paßte Fanny, die dadurch ihren Herzenswunsch, Katholikin zu werden, erfüllt sah; sie paßte dem Fürsten, der dadurch aus aller Not befreit wurde. Auch für den Namen Castagna war sie nötig, denn dem durch die öffentliche Versteigerung des alten Palastes erregten Skandal in der Presse mußte ein Ende gemacht werden. Die dunklen Ursachen dieses Gants hatte die Gräfin für den Augenblick vergessen. Wußte sie nicht aus Hafners eigenem Mund, daß er eine ungeheure Anzahl von Ardeas Wechseln zu einem Spottpreis aufgekauft hatte? Kannte sie den Freiherrn nicht viel zu genau, um bezweifeln zu können, daß Noe Ancona, »der unerbittliche Gläubiger«, nur der Strohmann ihres schrecklichen Freundes war? Hatte sie nicht in einer Anwandlung von schlechter Laune Alba selbst zu verstehen gegeben, daß Hafner den Fürsten zum Aeußersten treibe, um ihm dann Fannys Hand als einzige Rettung zu bieten und selbst ein vorteilhaftes Geschäft zu machen? Denn sobald seine Grundstücke von Hypotheken befreit waren, konnten sie, wenn man nur in der Lage war, sich zu gedulden, wieder ihren wirklichen oder einen höheren Wert erlangen, und das war ja ein Grund mehr, ihn zu dieser rettenden Verbindung zu drängen.

»Wir wollen jetzt von Geschäften reden,« begann sie ohne alle Umschweife. »Sie haben gestern abend bei Tisch und nachher Zeit gehabt, meine kleine Freundin kennen zu lernen, sagen Sie mir ehrlich, würde sie nicht die hübscheste römische Principessa abgeben, die je im Brautkleid am Grab der Apostel gekniet hat? Können Sie sich nicht vorstellen, wie sie in Kranz und Schleier die Stufen des St. Peter herab und in den prächtigen Vierspänner steigen würde, den der Vater als Hochzeitsgeschenk spenden will? Wie hübsch sie sein würde! . . .«

»Sehr hübsch,« gab Ardea zu, dem das verführerische Bild ein Lächeln entlockte, »obwohl sie nicht blond ist, und für mich, wie Sie wissen, eigentlich nur blonde Frauen . . . Ach, Gräfin! Wie schade, daß wir vor fünf Jahren in Venedig . . . Sie erinnern sich doch?«

»Das sieht Ihnen wieder ähnlich!« rief sie mit ihrem klangvollen Lachen. »Sie besuchen mich, um eine Heirat zu besprechen, die bei Ihrem Ruf als Taugenichts und Spieler wirklich ein unverhofftes Glück ist, die fast unsinnige Ansprüche befriedigt, denn sie vereinigt Schönheit, Jugend, Bildung, Reichtum und, wenn ich mich nicht täusche, sogar die Anfänge von Verliebtheit bei meiner kleinen Freundin, so unwahrscheinlich das auch ist, und um ein Haar hätten Sie mir eine Liebeserklärung gemacht. Es sei Ihnen verziehen« – sie bot ihm die schöne, von Smaragden funkelnde Hand zum Kuß – »aber entschließen Sie sich rasch. Soll ich Ihren Auftrag überbringen? Wenn Sie ja sagen, so bin ich um zwei Uhr im Palast Savorelli, spreche mit Hafner, er spricht mit seiner Tochter, und ich kann Ihnen vielleicht heute abend noch die Antwort verschaffen. Ja oder nein?«

»Heute abend!« rief Ardea mit drollig gespieltem Entsetzen. »Aber so schnell kann ich mich doch nicht entschließen – die reine Mausefalle! Ich komme, um Ihren Rat zu hören, die Sache zu besprechen . . .«

»Kann ich Ihnen etwa Dinge sagen, die Sie nicht längst wüßten?« fiel ihm die Gräfin ungeduldig ins Wort. »Was wird denn in vierundzwanzig, in achtundvierzig Stunden, in sechs Monaten anders sein?«

»Nichts, aber . . .«

»Es gibt kein Aber,« sagte sie, ihn ebensowenig zum Wort kommen lassend, als vorhin ihren Verwalter, denn sie verschmähte es, die ihrer starken Natur angeborne Herrschsucht zu verhüllen. »Der einzige ernsthafte Einwand, den Sie erhoben, als ich Ihnen vor sechs Monaten zum erstenmal von dieser Heirat sprach, war der Unterschied der Religionen. Heute weiß ich, daß Fanny Hafner sehnlich wünscht, katholisch zu werden, also . . .«

»Gewiß, aber . . .«

»Der Freiherr? Sie wissen, daß er mein Freund ist, und nennen es vielleicht Parteilichkeit, wenn ich Ihnen sage, daß er gerade der Schwiegervater ist, den Sie brauchen. Schütteln Sie nicht den Kopf! Er wird retten, was von Ihrem Vermögen zu retten ist. Sie sind bestohlen, ausgeraubt worden, mein armer Peppino – werden Sie Hafners Schwiegersohn, so werden Sie mir bald etwas von diesen Strolchen zu erzählen wissen. Ich weiß ja . . . Hafners Geschichte und der Prozeß vor zehn Jahren mit all dem Geschwätz, wozu er Veranlassung gab. Ganz unvernünftig. In dem Prozesse wurde er freigesprochen – strenger als die Gerichte werden Sie doch nicht sein wollen?«

»Nein, aber . . .«

»Weshalb greifen Sie also nicht zu? Wollen Sie, wie bei Ihren Grundstücken, warten, bis es zu spät ist?«

»Lassen Sie mich nur zu Atem kommen, Luft schnappen –« er griff nach einem Fächer der Gräfin und setzte ihn in rasche Bewegung. »Ich, der morgens nie gewußt hat, was er abends thun würde, ich, der ich mich wie auf einer Reise stets vom Zufall, von meiner Laune leiten ließ, ich soll mich jetzt binnen fünf Minuten auf Lebenszeit binden?«

»Es ist recht hübsch, sich vom Zufall leiten zu lassen, auf der Reise nämlich, wie Sie richtig sagten; wenn es sich aber darum handelt, sein Leben zu gestalten, so sind derlei Kindereien nicht am Platz. Ihr Ziel ist klar – aus dem Elend herauskommen – der Weg nicht minder – eine Heirat, die Ihnen fünf Millionen Mitgift einbringt. Wollen Sie, oder wollen Sie nicht?«

Sie warf einen Blick nach der Reiseuhr auf ihrem Schreibtisch, die zehn Uhr fünfundzwanzig Minuten zeigte; eine Thür ging.

»Ich habe heute früh keine Minute übrig!« rief sie, »und bin auf elf Uhr bestellt.«

Schon war der Diener eingetreten und überreichte ihr eine Karte, die sie stirnrunzelnd ansah.

»Führen Sie den Herrn in den runden Salon – ich werde gleich kommen.«

Der Bediente verschwand.

»Sie halten sich für gerettet, und sind es noch lange nicht, Ardea. Jedenfalls müssen Sie hier auf mich warten – in einer Viertelstunde bin ich wieder da. Wollen Sie Zeitungen haben? Bücher? Cigaretten sind auch da. In einer Viertelstunde will ich Ihre bestimmte Antwort haben – ich will, hören Sie wohl?«

Lächelnd sah sie sich auf der Schwelle noch einmal nach ihm um und warf ihm ein venetianisches Scherzwort zu.

»Was für ein Weib!« sagte Peppino Ardea, als die Thür sich hinter ihrem hellen Kleid geschlossen hatte. »Ernstlich – es ist schade, daß ich vor fünf Jahren in Venedig nicht frei war. Damals hatte sie den Boleslav noch nicht – sie hätte mich regiert, ich hätte mit Hafners Anleitung an der Börse gespielt, aber nicht in der Rolle eines Schwiegersohnes! Und sie hätte nicht diesen scheußlichen Tabak.«

Er hatte eben eine von Maitlands Virginiacigaretten angezündet, warf sie, Gesichter schneidend wie ein ungezogenes Kind, weg und ging ins Vorzimmer, um seine eigenen aus der Tasche des leichten Ueberrockes zu holen. Zufällig fiel sein Blick auf die Platte, die der Diener dort abgestellt hatte. Die Karte, die den Aufbruch der Gräfin veranlaßt hatte, lag noch darauf und Ardea las mit wahrer Bestürzung: »Graf Boleslav Gorka.«

»Sie ist noch großartiger, als ich wußte,« dachte er, in das verlassene Arbeitskabinett zurückkehrend. »Der strenge Befehl, sie hier zu erwarten, war höchst überflüssig: ich werde mich wohl hüten, die Gelegenheit zu verpassen, sie unmittelbar nach einer solchen Unterredung zu sehen.«

Es war in der That Boleslav, den die Gräfin im runden Salon vorfand. Mit voller Geistesgegenwart hatte sie dieses Zimmer zum Schauplatz dieses wahrscheinlich stürmischen Gesprächs erkoren, denn es lag abgesondert an dem einen Ende der Halle, die mit dem Speisezimmer und der Terrasse das ganze Erdgeschoß ausfüllte. Die Wohn- und Schlafräume der Gräfin, sowie die von Alba und ihrer deutschen Erzieherin, eines eben abwesenden Fräulein Weber, bewohnten Zimmer lagen im ersten Stock, wo auch Peppino zurückgeblieben war.

Die Gräfin hatte sich nicht getäuscht. Beim ersten Blick in Gorkas Gesicht hatte sie gestern abend erraten, daß er alles wußte. Wenn eine Frau zwei Jahre lang die Geliebte eines Mannes gewesen ist, bewahrt sie eine Art von physiognomischer Gemeinschaft mit ihm: eine Bewegung von ihm, die Betonung eines Wortes, ein Hauch, ein Erblassen sind für sie Mitteilungen, die sie mit unfehlbarer Sicherheit richtig deutet. Wie kann dies ahnungsvolle Verständnis fortbestehen, wenn die einstige Zärtlichkeit vergessen ist? Das ist ein besonderer Fall in dem unlösbaren traurigen Rätsel vom Entstehen und Tod der Liebe. Darüber nachzusinnen, war nicht die Sache der Gräfin Steno; wie alle kräftigen und nicht verwickelten Naturen beobachtete sie sich selbst und nahm sich hin, wie sie war. Gerade wie am Abend vorher gab sie sich Rechenschaft darüber, daß die Gegenwart des einstigen Geliebten jene Saiten ihres Wesens nicht mehr berührte, deren Erzittern sie fünfundzwanzig Monate lang so schwach gegen ihn, so nachgiebig und nachsichtig selbst gegen seine Launen hatte sein lassen. Heute ließ er sie genau so kalt wie der Marmor des Reliefs von Mino da Fiesole, das gerade über dem Stuhl, worin er saß, in die Wand eingelassen war. Und trotz der kalten Wut, die in ihm gärte und ihn zu jeder Gewaltthat fähig machte, empfand er ihre Fühllosigkeit für seine Nähe und zwar mit voller Deutlichkeit. Wie oft hatte er sie nicht im Verlauf ihrer Zusammengehörigkeit um diese Vormittagsstunde in ähnlichem Anzug, frisch, schmiegsam, bei aller Reife so jung, vor Verlangen bebend, nach seinen Küssen dürstend eintreten sehen! Jetzt lag in ihren blauen Augen, in ihrem Lächeln, ihrer ganzen Erscheinung jene unnahbare Anmut, die einen verlassenen Geliebten in Raserei versetzt, ihn lockt, die Frau, die ihn mit diesem Lächeln begrüßt, zu schlagen, zu mißhandeln, zu beißen, nur damit sie durch ihn etwas empfinde, und wäre es auch körperlicher Schmerz. Zugleich war sie aber auch so schön in dem durch die herabgelassenen Rollvorhänge gedämpften Morgensonnenschein, daß sie ihm ebensosehr das Verlangen einflößte, sie in seine Arme zu schließen. Seit sie die Schwelle betreten hatte, war die Luft von ihrem Lieblingsparfüm erfüllt, und dieses Nichts, dieser Hauch steigerte seine Leidenschaft aufs höchste. Der Diener hatte ihm zuerst gesagt, die Gräfin habe Besuch, und er hatte sie im Gespräch mit Maitland vermutet. All diese leidenschaftlichen, jetzt noch unterdrückten Empfindungen zitterten im Ton der einfachen Worte, womit er sie empfing. In gewissen Augenblicken ist das Wort unwesentlich, der Ton allein ist der Inhalt der Rede, und die Gräfin erschrak vor dem seinigen.

»Ich störe doch nicht?« fragte er mit einer tiefen Verbeugung, ihre ausgestreckte Hand kaum berührend. »Entschuldigen Sie mich – ich glaubte Sie allein zu treffen, und bitte mir eine andre Zeit zu bestimmen für die kurze Unterredung, die ich beanspruchen möchte.«

»Ach nein, Sie stören mich nicht. Peppino Ardea, der mit mir zu sprechen hat, wartet so lange,« versetzte sie sanft. »Uebrigens wissen Sie ja, daß ich in allen Stücken für rasches Handeln bin, und wenn man sich etwas zu sagen hat – heraus damit, eins, zwei, drei! Einmal ist's dann abgemacht und dann, man findet das richtige Wort eher, während Abwarten und Schweigen die harmloseste Erklärung schwierig macht und mitunter die besten Freunde entzweien kann.«

»Ich bin hocherfreut, so geneigtes Gehör zu finden,« versetzte Boleslav mit einem bitteren Hohn, der sein Gesicht entstellte. Die Freundlichkeit und Unbefangenheit, womit sie ihn behandelte, brachte seine Selbstbeherrschung schon ins Wanken. »Es handelt sich in der That um eine Erklärung, auf die ich ein Recht zu haben glaube und die ich von Ihnen fordern möchte . . .«

»Fordern Sie, mein Lieber,« sagte sie, ihm fest ins Gesicht sehend, ohne die Augen zu senken, die bei diesem herrischen Wort aufgeflammt waren. Wenn es am Abend vorher bewundernswürdig gewesen war, mit welcher Sicherheit sie an der Seite des neuen dem alten Liebhaber gegenübergetreten war, so hätte sie vielleicht heute, wo der vertraute Zuschauerkreis fehlte, diese Bewunderung noch mehr verdient. Sie war nicht sicher, ob der Rasende, dem sie die Stirne bot, unbewaffnet sei, und sie traute ihm vollkommen zu, daß er sie, die Wehrlose, niederschießen könnte. Aber die Partie mußte früher oder später gespielt werden, und sie spielte sie, ohne zu zittern. Sie wollte einen endgültigen Bruch mit Boleslav haben – weshalb wählerisch sein in den Mitteln?

»Gestatten Sie mir, um drei Monate zurückzugreifen,« begann er, nachdem er eine Weile schweigend nach Worten gesucht hatte, »obwohl dieser Zeitraum für das Gedächtnis einer Frau sehr groß zu sein scheint! Ich weiß nicht, ob Sie sich unsrer letzten Begegnung erinnern? Verzeihen Sie – ich meine die vorletzte, denn wir haben uns ja gestern abend auch gesehen. Sie werden mir zugeben, daß nach der Art, wie wir uns trennten, die Art unsres Wiedersehens für mich überraschend war?«

»Ich werde das zugeben,« versetzte die Gräfin mit einem abermaligen Aufflammen verletzten Stolzes im Blick, »obwohl Ihre Art des Ausdrucks nicht sehr nach meinem Geschmack ist. Zum zweiten scheinen Sie den Kläger spielen zu wollen, und falls Sie sich in dieser Rolle gefallen, würden wir besser sofort abbrechen . . .«

»Katharina!«

Dieser Aufschrei des jungen Mannes, der seinen Zorn kaum mehr eindämmen konnte, bestimmte die also Angerufene, die Entwicklung dieses Gesprächs, wo Rede und Gegenrede nur neue Bitterkeit erzeugen konnte, zu beschleunigen.

»Nun?« fragte sie, die Arme kreuzend, mit so herrischer Gebärde, daß er seine Drohung abgeschnitten fühlte. »Hören Sie mich an, Boleslav! Seit zehn Minuten reden wir, ohne uns etwas zu sagen, weil keines von uns den Mut hat, die Frage aufzuwerfen, wie sie ist, wie wir sie kennen und fühlen. Statt mir in einer Weise zu schreiben, die jede Antwort unmöglich machte, statt wie ein Missethäter heimlich nach Rom zu kommen und mit dem drohenden Blick von gestern abend bei mir zu erscheinen, statt heute als ein Richter vor mich hinzutreten, hätten Sie mich da nicht einfach und offen fragen können? Sie, den ich geliebt, sehr geliebt habe? Muß man sich denn hassen, weil man sich nicht mehr liebt?«

»Weil man sich nicht mehr liebt!« wiederholte Gorka. »Also lieben Sie mich nicht mehr? Ach, ich wußte es ja, schon in der ersten Woche dieser unseligen Trennung habe ich es geahnt! Aber daß Sie es eines Tages aussprechen würden, mir es sagen, mit dieser ruhigen Stimme, die unsre ganze teure Vergangenheit Lügen straft, nein, das habe ich nicht für möglich gehalten und kann es nicht glauben, obwohl ich's höre . . . Ach! Es ist zu gräßlich, zu schamlos!«

»Und weshalb? In der Liebe ist nur eines schamlos, die Lüge. Ach! Ich weiß es ja, Ihr Männer seid nicht gewöhnt, wahrhaftige Frauen zu treffen, die Ehrfurcht, Pietät für ihre eigenen Gefühle haben. Aber ich, Boleslav, ich habe diese Ehrfurcht, ich übe diese Pietät aus. Ich wiederhole, daß ich Sie sehr geliebt habe – ich habe es Ihnen nicht verborgen, als es so war. Nicht gekargt habe ich, ehrlich bin ich gegen Sie gewesen und großmütig wie die Wahrheit selber . . . Ich habe das Bewußtsein, treu an Ihnen zu handeln, wenn ich mich zurückfordere und Ihnen dabei Freundschaft anbiete, ehrliche, zuverlässige Freundschaft, wie sie Mann und Mann verbindet, und die bereit ist, Ihnen die Aufrichtigkeit ihrer Hingebung zu beweisen.«

»Freundschaft zwischen uns! Zwischen mir und Ihnen!« knirschte der Pole. »Woher habe ich nur die Geduld genommen, Sie anzuhören? Zu hören, wie Sie mich belügen und im selben Atem die Lüge schmähen! Weshalb bitten Sie mich nicht auch noch um Freundschaft für meinen Nachfolger? Halten Sie mich denn für blind und taub, bilden Sie sich denn ein, ich hätte Maitland gestern an Ihrer Seite gesehen, ohne beim ersten Blick zu wissen, welche Rolle er jetzt in Ihrem Leben spielt? Begreifen Sie denn nicht, daß ich guten Grund hatte, in dieser Weise zurückzukehren? Wissen Sie denn nicht, daß man mit einem Menschen, der Sie liebt wie ich, nicht sein Spiel treibt? Es ist nicht wahr; Sie haben nicht ehrlich gehandelt, denn Sie haben sich diesem Manne geschenkt, so lange Sie noch mein Eigentum waren. Dazu hatten Sie kein Recht, nein, nein, nein, Sie hatten dieses Recht nicht. Und diesem! Wenn es Ardea, Dorsenne wäre, irgend einer, dessen ich mich nicht für Sie schämen müßte. Aber dieser rohe Geselle, dieser Lump, der nichts, nichts für sich hat, weder Schönheit noch Geburt, weder Geist noch Talent – denn er hat kein Talent, keines – nichts als seinen Stiernacken. Ebensogut hätten Sie mich mit einem Lakaien betrügen können . . . Ach! Es ist zu häßlich! Katharina, schwöre mir, daß es nicht wahr ist! Sag mir, daß du mich nicht mehr liebst – ich werde mich drein ergeben, fortgehen, alles hinnehmen, aber schwöre mir, daß du diesen Menschen nicht liebst . . . So schwöre, schwöre doch!« schrie er, ihre Hand so heftig fassend, daß sie sich mit einem Schmerzenslaut seinem Griff entwand.

»Sie sind ein Wahnsinniger, Gorka – lassen Sie mich los!« rief sie. »Sie sind wahnsinnig, das ist die einzige Entschuldigung für Sie. Ich habe Ihnen nichts zu beschwören. Nach dem, was ich Ihnen gesagt habe, ist mein Denken, Fühlen und Handeln mein, es berührt Sie nicht mehr. Glauben Sie, was Sie mögen, aber« – die ganze Heftigkeit der im Gegenstand ihrer Liebe beleidigten Frau schüttelte sie – »nicht noch einmal werden Sie sich unterstehen, in diesem Ton von einem meiner Freunde zu sprechen. Sie haben sich schwer vergangen und ich werde Ihnen das nie verzeihen. Statt der Freundschaft, die ich Ihnen ernst und redlich angeboten hatte, bestehen jetzt nur noch gesellschaftliche Beziehungen zwischen uns – Sie haben es so gewollt. Suchen Sie wenigstens diese möglich zu machen; wahren Sie die Form und bedenken Sie, daß Sie eine Frau haben, ich eine Tochter, denen die Folgen dieser traurigen Entzweiung erspart werden müssen. Gott ist mein Zeuge – ich habe es nicht gewollt!«

»Meine Frau! Ihre Tochter!« versetzte der Graf bitter. »Ein glücklich gewählter Augenblick, sich ihrer zu erinnern und sie als Schutzwehr gegen meine Rache zu verwenden. Diese beiden armen Wesen haben Ihnen doch früher gar keinen Zwang auferlegt – es war Ihnen sogar recht bequem, daß sie Freundinnen waren. Und ich habe es zugelassen, ich habe diese Niedrigkeit geschehen lassen – um heute zu erleben, daß Sie sich hinter diesen Unschuldigen verschanzen! Nein, das wird nicht geschehen! Nein, so gehen wir nicht auseinander! Wenn das die einzige Stelle ist, wo ich Sie verwunden kann, so werde ich sie zu treffen wissen. Entweder Sie weisen diesem Menschen die Thür, oder mir ist nichts mehr heilig. Meine Frau wird alles erfahren? Um so besser – ich ersticke längst an dieser Lüge. Ihre Tochter wird alles erfahren? Nun, dann wird sie eben etwas früher die Mutter so beurteilen, wie sie es verdient.« Er war bei diesen Worten mit so unheimlichen Gebärden auf sie zugeschritten, daß sie wohl oder übel zurückweichen mußte. Er konnte sie schlagen, Möbel zerschmettern, einen häßlichen Skandal anrichten, aber sie hatte Geistesgegenwart genug, ihm mit noch vermessenerer Kühnheit zuvorzukommen. Ein elektrischer Klingelknopf befand sich in ihrer Nähe; sie drückte darauf.

»Das war das einzige, was Ihnen noch übrig blieb, mir anzuthun!« rief Gorka mit wildem Hohngelächter. »Sie rufen Ihre Dienstboten zu Hilfe gegen mich.«

»Sie täuschen sich,« entgegnete sie ruhig, »denn ich habe keine Angst. Ich wiederhole Ihnen, daß Sie wahnsinnig sind, und will Ihnen die Wirklichkeit der Dinge vor Augen stellen.«

»Ich lasse die Komtesse herunter bitten,« sagte sie dem Diener, den die Klingel herbeigerufen hatte.

Diese kurzen Worte waren der kalte Wasserstrahl, der eine Dampfentladung verhindert, und sie hatte das Mittel gefunden, diesen fürchterlichen Auftritt abzuschneiden. Trotz seiner noch eben ausgestoßenen Drohungen wußte sie, daß Mauds Gatte vor deren Freundin verstummen würde, vor diesem jungen Mädchen, dessen zartes und edles Gemüt er so genau kannte.

Gorka war in der Raserei seiner durch verletzte Eitelkeit gestachelten Leidenschaft zu allem fähig, aber seine angeborene Ritterlichkeit mußte den Wütenden in Albas Gegenwart lähmen. An die Unsittlichkeit dieses Auskunftsmittels, daran, daß sie ihr reines Kind in den Zwiespalt mit einem rachsüchtigen Liebhaber hineinzog, dachte die Gräfin nicht. Sie sagte oft: »Alba ist meine Freundin, mein guter Kamerad,« und sich in diesem entscheidenden Augenblick auf sie zu stützen, war für sie so selbstverständlich, wie daß sie ihr die eigene, kräftige Schulter lieh, wenn sie am Lido ein wenig zu weit hinausgeschwommen waren.

In dem Entrüstungssturme, der Gorkas ganze Seele aufwühlte, mußte ihm dieses plötzliche Hereinziehen der unschuldigen Alba als ein Zeichen äußerster Verworfenheit erscheinen. Während der kurzen Spanne Zeit, die zwischen dem Abgang des Dieners und der Ankunft des jungen Mädchens verging, raste er mit langen Schritten, vom kühnen Blick der einstigen Geliebten im Bann gehalten, im Zimmer hin und her, indem er in sich hinein knirschte: »Ich verachte Sie! Ich verachte Sie! Ach! Wie ich Sie verachte!« Er hörte die Thür gehen und warf der Gräfin noch hin: »Wir werden diese Unterredung fortsetzen, meine Gnädige . . .«

»Wenn Sie wünschen,« versetzte Katharina, indem Alba eintrat. »Bist du fertig, Alba? Du weißt, der Wagen erwartet uns in fünf Minuten . . .«

»Du siehst's,« erwiderte Alba, auf die perlgrauen Handschuhe mit schwarzen Raupen weisend, die sie eben vollends zuknöpfte. Auch den Hut hatte sie schon auf, einen großen, schwarzen Tüllhut, der wie ein dunkler, durchsichtiger Rahmen das blonde Köpfchen umfaßte. Die schlanke Gestalt war von einem enganschließenden dunkelblauen Kleid umschlossen, das an Hals und Handgelenk mit Samtaufschlägen von noch dunklerem Ton abschloß. Der schmale, weiße Streifen von Kragen und Herrenmanschetten verlieh der zarten Erscheinung vollends die Anmut einer Kindlichkeit, die noch unter ihren Jahren war, und offenbar war sie der Aufforderung ihrer Mutter auch mit der Hast und Fröhlichkeit eines Kindes gefolgt. Aber Gorkas Ausdruck und der fieberische Glanz in den Augen ihrer Mutter machten sofort einen Eindruck auf sie, den sie wunderlich, aber treffend eine »Nadel ins Herz« nannte. Auch sie hatte heute nacht ruhig geschlafen, denn sie hatte ja gestern abend den Beweis der Unschuld zu erhalten geglaubt, als sie die Gräfin so gelassen zwischen dem polnischen Grafen und dem amerikanischen Maler stehen sah. Sie bewunderte sie ja so innig, diese Mutter, sie fand sie so klug, so schön, so gut, daß ein Zweifel an ihr eine fast unerträgliche Qual war. Und doch nagte ihr dieser Zweifel seit Monaten am Herzen. Er war einem häßlichen Klatsch entsprungen, den zwei Frauen, die Albas Nähe nicht ahnten, auf einem Ball einander zugezischelt hatten. Er war gewachsen und wieder zusammengeschrumpft, er hatte sie überwältigt oder sich verscheuchen lassen, je nachdem sie so unzuverlässige Anzeichen, wie die gestrige Ruhe der Gräfin und ihre heutige Verstörung, wahrgenommen und gedeutet hatte. Dieser »Nadelstich« im Herzen, der nur ein einziges Blutströpfchen zurückließ, war nur eine rasche, flüchtige Schmerzempfindung und hatte das Kinderlächeln nicht verdrängt, womit sie Boleslav fragte: »Hat Maud gut geschlafen? Was macht mein kleiner Freund Luc?«

»Beide sind wohlauf,« erwiderte Gorka, und das letzte Nachzittern der durch die Nähe des jungen Mädchens gelähmten Wut klang, aber nur für das Ohr der Gräfin vernehmlich, in den einfachen Worten aus: »Ich habe sie ganz so wiedergefunden, wie ich sie verlassen hatte – zwei treue, liebende Herzen! Ich trete Sie dem Peppino ab, Gräfin,« bemerkte er, auf die Thür zugehend, »und werde Ihre Grüße an Maud bestellen, Komtesse!« In seinem Abschied zeigte sich wieder die echte Vornehmheit, die er von einer langen Reihe von etwas wilden Vorfahren, die aber immer große Herren gewesen waren, überkommen hatte. War seine Verbeugung vor der Gräfin tadellos höflich, so wußte er in die noch tiefere, die er dem jungen Mädchen machte, besonders ritterliche Anmut zu legen.

Es war eine Kleinigkeit, ein Nichts, aber die Gräfin war zu feinfühlend, um es zu übersehen, und sie, die bei den Verzweiflungs- und Wutausbrüchen, den Drohungen des Rasenden so kühl geblieben war, fühlte sich davon ergriffen. Lag nicht die ganze Geschmeidigkeit dieser slavischen Natur, die sie so lange bezaubert hatte, in dieser scheinbar zwanglos ausgeführten Wendung? Einen Augenblick fühlte sie sich beschämt von ihrem Sieg über den Mann, den sie vor fünf Minuten am liebsten durch ihre Dienerschaft hätte hinauswerfen lassen. Sie schwieg, der Anwesenheit ihrer Tochter ganz vergessend, bis Alba sie mit der Frage: »Soll ich gleich meinen Schleier und meinen Sonnenschirm holen?« in die Wirklichkeit zurückrief.

»Gewiß, komm dann in mein Arbeitskabinett, wo ich noch ein paar Worte mit Ardea zu reden habe – vielleicht kann ich dir im Wagen eine Neuigkeit mitteilen, die dir Freude machen wird!«

Sie hatte ihr dreistes Lächeln wiedergefunden und ahnte wenig, daß Alba, während sie selbst das Gespräch mit dem Fürsten wieder aufnahm, in ihr Stübchen eilte, um die dicken Thränen abzuwischen, die über ihre schmalen, blassen Wangen gerollt waren, daß sie den gestern empfangenen abscheulichen Brief wieder geöffnet hatte und durchlas, obwohl sie die teuflischen Worte längst auswendig wußte: »Ein aufrichtiger Freund der Alba Steno macht sie darauf aufmerksam, daß sie sich mehr, als einem jungen Mädchen zukommt, bloßstellt, indem sie bei Herrn Maitland die nämliche Rolle spielt, die sie schon bei dem Grafen Gorka gespielt hat. Es gibt eine Art, nicht sehen zu wollen, die auf ein Haar der Mitschuld gleicht.«

Diese für einen Uneingeweihten rätselhaften, für das junge Mädchen aber entsetzlich klaren Worte waren nicht geschrieben, sondern wie in Boleslavs Briefen, aus einer Zeitung ausgeschnitten, aneinander gereiht und auf ein Blatt Papier geklebt, das viel zu unpersönlich war, um die Handhabe für irgend eine Nachforschung zu bieten. Die Geriebenheit eines von Rache und unersättlichem Haß erfüllten Geistes zeigte sich in der Mühe, die dieser Judas sich gegeben hatte, selbst die Eigennamen, wahrscheinlich in einem Bericht über irgend eine Festlichkeit, aufzutreiben. O Gott! Wie hatte Alba gestern früh am ganzen Körper gezittert, als sie den Zettel gelesen, dessen Inhalt durch das dunkle Bewußtsein, daß ein Haß von so ruchloser Grausamkeit ihre Mutter und sie bedrohe, doppelt schrecklich für sie wurde! Wie wohl hatten ihr dann Dorsennes Bemerkungen über die Verächtlichkeit anonymer Briefe und besonders die Heiterkeit der Gräfin bei Gorkas Erscheinen gethan! Eine trügerische Hoffnung, die rasch verflogen war, als sie heute die Mutter und den Gatten ihrer liebsten Freundin mit den Spuren des entsetzlichen Auftritts in Blick, Haltung und Ausdruck vor sich gesehen hatte!

»Was ist zwischen ihnen vorgegangen? Was hatten die beiden?« Diese Frage erfüllte sie mit neuem Weh, und mit einemmal zerknitterte sie den unseligen Brief, ballte ihn, als ob er die Verkörperung ihres Elends und ihres Verdachts wäre, krampfhaft in der Hand zusammen. Dann zündete sie eine Kerze an und hielt das Papier daran, das bald zu dunklen Flocken verzehrt war. Auch diese Ueberbleibsel zerstörte sie, zerrieb sie zwischen den Fingern, bis nur noch ein wenig Asche davon sichtbar war, die sie durchs offene Fenster in den Wind streute. Ihr Blick fiel auf die eben noch so zarten, neuen Handschuhe, die jetzt von diesem rauchfarbigen Staub befleckt waren – ein Sinnbild der Flecken, die dieser Brief, auch nachdem er zerstört war, in ihrer Seele zurückließ. Selbst die unschuldigen Handschuhe flößten ihr Grauen ein; sie zog sie nicht aus, sie riß sie von den Händen, als sie dann aber ihre Mutter aufsuchte, war an den neu bekleideten Händchen so wenig mehr eine Spur dieser tragischen Kinderei zu entdecken, als man unter dem Schleier, der um den breiten Hutrand geknüpft war, ihren Augen, ansah, daß sie geweint hatten. Sie fand diese Mutter, die ihr so viele Schmerzen bereitete, auch mit einem großen, aber hellen Schutzhute versehen und einem weißen Schleier, unter dem die zarten Töne der Haut und des Haares wie von der Sonne beschienen hervorleuchteten, und in einem Kleid von englischem Schnitt, das viel jugendlicher war als das Albas.

»Meinen Glückwunsch zu diesem Entschluß!« sagte sie eben freudestrahlend zu dem Fürsten. »Heute noch werde ich das Meinige thun, und Sie werden mir lebenslang dafür danken!«

»Möglich, vorderhand aber werde ich diesen Entschluß den ganzen Nachmittag über bereuen,« sagte Peppino, philosophisch hinzusetzend: »Ich kenne mich ja und weiß, daß ich das Gegenteil auch bereuen würde.«

»Du hast wohl erraten, daß es sich um Fannys Heirat handelt,« sagte die Gräfin zu Alba, als sie ein paar Minuten darauf wie zwei Schwestern nebeneinander im Viktoria saßen.

»Du glaubst also, daß etwas daraus wird?«

»Ich glaube es nicht, ich weiß es, denn ich bin in aller Form mit Ardeas Werbung beauftragt,« versetzte die Gräfin vergnügt. »Wie glücklich alle drei sein werden! Wie lang hat dieser schlaue Hafner schon sein Ziel im Auge. Wenn ich denke, wie er im Jahre 1880 nach seinem Prozeß nach Venedig kam und mich besuchte – du spieltest mit der kleinen Fanny auf dem Altan – und mich über Rom, Vatikan und Quirinal ausfragte, über die papalinische und die moderne Gesellschaft! Damals wies er zuletzt auf seine Kleine und sagte zu mir: ›Ich will eine römische Fürstin aus ihr machen!‹« Die Venetianerin sonnte sich so fröhlich am Erfolg ihrer geschickten Unterhandlungen, sie war so glücklich im Bewußtsein, daß ihre zwei prächtigen englischen Traber sie im Fluge in Maitlands Werkstatt trugen, daß sie nicht bemerkte, wie Boleslav Gorka, auf dem Fußsteig stehend, den Wagen vorüberfahren sah. Alba war so erschüttert von diesem neuen, unbestreitbaren Beweis für die Dehnbarkeit des mütterlichen Gewissens, daß auch sie kein Auge für Mauds Gatten hatte. Was ihr gestern abend das Zusammensein Fannys mit dem Fürsten und deren eigenem Vater so unerträglich gemacht hatte, war der uneingestandene schmerzliche Vergleich gewesen zwischen dem Dunstkreis von Lüge, worin dieses Mädchen lebte, und der unreinen Luft, von der sie selbst sich manchmal umgeben fühlte. Eine unendliche Schwermut kam über sie und sie versank in ihr gewohntes Schweigen, während die Gräfin lachend weiter plauderte und ihr von Peppinos Bedenken erzählte. Was ging sie Boleslavs Zorn in diesem Augenblick an, was vermochte er gegen sie? Sie im Wagen vorüberfahren zu sehen, hatte genügt, um Gorka von ihrer völligen Sorglosigkeit über den Auftritt von heute früh zu überzeugen. Lange stand er noch da und sah die beiden großen Sommerhüte, den schwarzen und den hellen, allmählich im Ameisengewimmel der Straße verschwinden. Mit einemmal erfaßte ihn der Gedanke, ob sie am Ende gar auf dem Weg zu Maitland sein könnten? Kaum daß dieser Verdacht in ihm aufgestiegen war, drängte es ihn, sich Gewißheit zu verschaffen, er stürzte auf eine leer des Weges kommende Droschke zu, wurde aber in diesem Augenblick von Ardea aufgehalten, der jetzt erst aus der Villa Steno trat.

»Wohin gehst du?« fragte der Fürst. »Kann ich mitfahren und ein wenig mit dir plaudern?«

»Unmöglich – ich habe eine dringende Verabredung, aber in einer Stunde werde ich dich vielleicht um einen Dienst bitten müssen.«

»Da bin ich zu Hause. Komm doch zum Frühstück,« erwiderte Peppino.

»Abgemacht!« rief Gorka und flüsterte, im Wagen stehend und für Ardea unhörbar, seinem Kutscher ins Ohr: »Zehn Franken Trinkgeld, wenn ich in fünf Minuten an der Ecke des Viktor-Emanuelplatzes und der Napoleonstraße bin.«

Der Mann schüttelte die Zügel und sein dürrer Klepper verwandelte sich durch die Zauberkraft des Trinkgeldes im Nu in einen guten Gaul römischer Rasse, der alte Kasten selbst in eines jener leichten toskanischen Wägelchen, das nun blitzschnell in eine Seitenstraße einlenkte.

»Der gute Junge thäte auch besser, mit seinem Freunde Ardea zu plaudern, statt dahin zu fahren, wohin er eben fährt. Die Geschichte endigt nicht anders als mit einem Zweikampf. Hätt' ich diese Dummheit nicht abzuwickeln,« dachte der Fürst, mit seinem Spazierstock sich selbst den großen Anschlagzettel seiner Auktion zeigend, »so würde ich mir ein Vergnügen daraus machen, die Katharina allen beiden wegzuschnappen. Aber solche Scherze blühen mir erst nach der Hochzeit – vorderhand heißt's ernsthaft sein!«

Die feine Witterung des schlauen Italieners hatte ihn über das Ziel von Gorkas rasender Fahrt nicht getäuscht. Der Unsinnige wollte sich selbst vor Augen führen, daß alle Bloßlegung seines wunden Herzens nichts gefruchtet hatte, und daß die Gräfin, kaum daß sie ihn los geworden war, zu dem andern ging. Was konnte er durch diesen Augenschein gewinnen? Hatte sie je aus den Sitzungen bei Maitland, »diesen bequemen Sitzungen,« wie die anonymen Briefe sagten, ein Hehl gemacht? Die Vorstellung dieser Sitzungen entzündete aber eine fieberhaftere Glut in seinen Adern als der Gedanke an ihre andern Zusammenkünfte, denn wenn auch der geheime Verleumder sehr bestimmt von solchen gesprochen, wenn er die Gräfin auch gestern abend mit Maitland auf der Terrasse getroffen und sie in seiner Gegenwart das kecke Linco aussprechen gehört hatte, ein Zweifel darüber war immerhin noch möglich, während der trauliche Verkehr im Atelier eine Gewißheit war. Er war an der dem Kutscher bezeichneten Ecke ausgestiegen, von wo er die Leopardistraße und das Haus seines Nebenbuhlers beobachten konnte. Maitland bewohnte ein Haus im maurischen Stil, das ein berühmter spanischer Künstler sich gebaut, fünf Jahre später aber wegen Spielschulden samt Pferden, Möbeln, fertigen Bildern und Skizzen hatte verkaufen müssen. Florent Chapron hatte diese nachgemachte Alhambra sofort erworben und zur Hälfte an seinen Schwager vermietet. Während Boleslav lauernd an seiner Ecke stand, fiel ihm wieder ein, wie er im vorigen Jahre dieses Künstlerhaus in Gesellschaft der Gräfin Steno und ihrer Tochter, seiner Frau und des Freiherrn von Hafner besichtigt hatte. Auf den ersten Blick hatte er einen damals grundlosen Widerwillen gegen den amerikanischen Maler und seine Kunst empfunden. Ob sein Instinkt nicht recht gehabt hatte!

Mit einemmal streckte er den Kopf vorsichtig vor, um zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden – er hatte einen Viktoria in die lange Leopardistraße einbiegen und die beiden Schutzhüte schimmern sehen. Zwei Minuten später hielt das flotte Gespann vor dem maurischen Bau, der sich in seinem grellen Weiß etwas anmaßend von den umgebenden, meist noch unvollendeten Gebäuden abhob. Die beiden Frauen stiegen aus, verschwanden hinter der Thür und der Kutscher kehrte um. Er mußte die Pferde verhalten, damit sie sich nicht allzu stark erhitzten, und die wackeren Traber zitterten vor Ungeduld in schaumbedeckten Geschirren und wären lieber rasch dem Stall zugeeilt. Offenbar handelte es sich also für die Gräfin und Alba um eine lange Sitzung. Was hatte Boleslav dadurch Neues erfahren? Spielte er nicht geradezu eine lächerliche Figur auf diesem Fußsteig des quadratischen Platzes, dessen Mittelpunkt ein antikes Wasserbecken bildet, das, Gott weiß warum, die »Trophäen des Marius« getauft worden ist? Mit einem Blick umfaßte er das ganze Bild: den leer zurückfahrenden Wagen, den weiten Platz, diese Ruine, die lange Häuserreihe, seine wartende Droschke und sich selbst, den Spion, der hierher gekommen war, um zu beobachten, was er und alle Welt doch nur zu gut wußte, und brach in ein nervöses Gelächter aus. Er stieg wieder in den Wagen, dem Kutscher dieses Mal seine eigene Wohnung am Venetianischen Platz als Ziel angebend. Eine umgekehrte Verwandlung hatte aus dem leichtfüßigen Römer wieder den trägen Droschkengaul gemacht, der seinen Fahrgast in solcher Gemütsruhe durch die Straßen zog, als ob er genau wüßte, daß jetzt kein Fieber der Erwartung mehr in ihm lodere. Boleslavs Ruhe war aber nicht von Dauer. Je weiter er sich davon entfernte, desto deutlicher trat ihm die Malerwerkstatt mit ihren buntfarbigen Behängen, Waffen, Skizzen vor die Augen. Er sah die Gräfin lächelnd darin umhergehen, wie er sie so oft in seinem eigenen Rauchzimmer hatte umhergehen und mit zärtlicher Hand die Gegenstände betasten sehen, die den Geliebten umgaben; er sah Alba unbeweglich in ihrer Modellstellung ausharren und der Mutter als Ehrendame dienen, wie sie einst seine Zusammenkünfte arglos durch ihre Gegenwart bemäntelt hatte. Maitlands gleichgültiger Blick am gestrigen Abend, die Selbstgewißheit des bevorzugten Mannes, der dem Stolz des beschimpften Vorgängers sogar die Genugthuung versagt, auf die Vergangenheit eifersüchtig zu sein. Alles stand vor ihm, und dies fast körperliche Heraufbeschwören des Nebenbuhlers wurde ihm mit einemmal buchstäblich unerträglich.

Er war nicht mehr weit von seinem Hause, denn schon rasselte der Wagen an dem herrlichen, mit Trümmern bedeckten Trajansforum vorüber; schon sah er die Säule ragen, die von dem Bild des Apostelfürsten bekrönt wird. Aber Gorka war weder ein Dorsenne, noch ein Montfanon, um diese stumme Sprache zu deuten; er war ein leidenschaftlicher, handelnder Mensch, der in dem ihn zufällig umgebenden Rahmen nur seine eigenen Leidenschaften und seine Handlungen wahrnahm. Ein neuer Wutanfall ergriff ihn bei der Erinnerung an Maitlands gestriges Benehmen, und dieses Mal konnte er sich nicht mehr bezähmen. Er riß den Kutscher gewaltsam am Aermel und erteilte ihm den Befehl zur Umkehr nach der Leopardistraße in so herrischem Ton, daß der Mann es für geraten hielt, sofort wieder das Wettrenntempo anzuschlagen.

Heiß rollte das Blut in den Adern des Polen und drängte ihn zu einem tragischen Entschluß. Nein, er wollte die Schmach nicht länger dulden, er war zu tief verletzt in seiner Liebe und seinem Stolz, und das alte Blut der Palatine, die Dorsenne so oft im Scherz anführte, machte sich geltend. Wenn die Polen der modernen Dichtung in Drama und Roman so viele Helden geliefert haben, so kommt dies daher, weil sie trotz hart gebüßter Fehler die ritterlichste, die tollkühnste Rasse in Europa geblieben sind. Werden diese Menschen von unberechenbarer und vielfältiger Reizbarkeit in einer gewissen Tiefe aufgewühlt, so ist ihnen der Gedanke an den Zweikampf so selbstverständlich, als dem Sprößling eines mit Selbstmord belasteten Geschlechtes der freiwillige Tod. Der fröhliche Ardea hatte mit der feinen Witterung des Italieners richtig erkannt, wie sich diese Sache Gorkas Wesen gemäß zuspitzen würde. Ein Duell mußte der verratene Liebhaber haben, um sein Schicksal ertragen zu können. Entweder würde er den Nebenbuhler verwunden, töten, dann war seinem Groll Genüge gethan, oder er selbst würde fallen und sich durch die Tapferkeit, womit er dem Tode trotzte, in seinen eigenen Augen wieder heben.

Ein toller Einfall war ihm gekommen und jagte ihn der Leopardistraße zu – er wollte den Feind auf der Stelle, in Katharina Stenos Gegenwart, herausfordern. Ach, wie er sich freute, sie zittern zu sehen, denn zittern mußte sie, wenn er jetzt ins Atelier trat! Aber er würde die Form wahren, wie sie es ihm so feierlich auferlegt hatte. Er würde sich unter dem Vorwande, Albas Bild sehen zu wollen, einführen, einen Anlaß zum Streit wollte er dann schon finden. Aus dem unschuldigsten Kunstgespräch kann ein Streit, aus dem Streit können Händel werden. Ueber die nächste beste Studie konnte er sich so wegwerfend äußern, daß Maitland antworten mußte, das übrige würde sich dann von selbst ergeben. Aber Alba? Um so besser, wenn der Zwist in ihrer Gegenwart entstand, er konnte dann seine Frau um so eher über die wahre Veranlassung des Zweikampfes täuschen.

»Wie das erfrischt und stärkt, sich an einem Schurken rächen zu können,« dachte er, vor Maitlands Haus den Wagen verlassend und die Klingel drückend.

»Herr Maitland zu sprechen?« fragte er den Diener.

»Bedauere, Herr Maitland ist nicht zu Hause.«

Der einfache Satz, der ihm ganz unerwartet kam, wirkte wie ein kalter Wasserstrahl auf seine fieberhafte Freudigkeit.

»Für mich doch,« entgegnete Boleslav. »Die Gräfin Steno und die Komtesse erwarten mich im Atelier.«

»Herr Maitland hat ausdrücklich befohlen, niemand anzunehmen,« versetzte der Mann.

Wie alle Diener, die für die ungestörte Ruhe eines Künstlers verantwortlich gemacht werden, war er gewöhnt, seine Thür zu verteidigen, bei der von Gorka so rasch erfundenen Lüge wurde er aber doch unschlüssig und war im Begriff, Boleslavs Drängen nachzugeben, als Florent Chapron in der Vorhalle erschien. Der Zufall wollte, daß er nach einem Wagen geschickt hatte, um zum Frühstück in die Stadt zu fahren, und daß dieser Wagen lange nicht kam. Beim Geräusch der vorfahrenden Droschke hatte er auf die Straße geblickt und den Grafen aussteigen sehen, dessen Besuch zu dieser Stunde und bei dieser Sitzung ihm so verdächtig erschien, daß er rasch die Treppe hinabgestiegen war. Um seine Anwesenheit in der Vorhalle mit seinem eigenen Ausgang erklären zu können, hatte er Hut und Stock mitgenommen.

»Mein Schwager ist nicht zu Hause, Herr Graf,« sagte er, Gorka fremder als sonst grüßend. Im Vorgefühle, daß hier rasche Worte fallen könnten, wollte er den überflüssigen Zeugen entfernen und befahl dem Diener, der sich eben angeschickt hatte, »anzufragen«: »Nero, hol' mir rasch ein Taschentuch in meinem Zimmer. Ich habe keins bei mir.«

»Dieses Thürverbot kann nicht auf mich berechnet sein, Herr Chapron,« sagte Boleslav unerschüttert, »denn gestern abend, bei der Gräfin, hat mich Ihr Schwager auf heute früh hierherbestellt, um mir Albas Bild zu zeigen . . .«

»Es handelt sich um kein Verbot,« versetzte Florent, »sondern ich kann Ihnen nur wiederholen, daß mein Schwager nicht zu Hause ist. Leider bin ich selbst nicht in der Lage, Ihnen das Bild zu zeigen, denn das Atelier ist geschlossen und ich habe keinen Schlüssel. Die Damen sind schon mehrere Tage nicht hier gewesen, da die Sitzungen unterbrochen wurden.«

»Das setzt mich um so mehr in Erstaunen, mein Herr, als ich die Gräfin und ihre Tochter vor kaum fünf Minuten mit eigenen Augen hier eintreten und den Wagen wegschicken sah!«

Er fühlte, wie der Zorn wieder in ihm aufwallte und sich nun ganz gegen diesen wachsamen Hund kehrte, der plötzlich an der Schwelle des Nebenbuhlers die Tatzen erhob. Mit Florents Geduld ging es gleichfalls auf die Neige, denn das sorgsam verheimlichte Erbtheil dunklen Blutes hatte ihm auch die Heftigkeit dieser Rasse eingetragen. Das Benehmen des verabschiedeten Liebhabers der Gräfin erschien ihm so ungeheuer anmaßend, daß er mit einer Gebärde, als ob er ihm die Thür zum Hinausgehen öffnen wollte, trocken hinwarf: »Da werden Sie sich einfach getäuscht haben, Herr Graf.«

»Wissen Sie, mein Herr, daß Sie mir gegenüber einen Ton anschlagen, wozu Ihnen jede Berechtigung fehlt? Wenn man sich ein gewisses Handwerk aufbürden läßt, so muß man es wenigstens manierlich ausüben.«

»Und ich, Herr Graf, wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie anders als in Rätseln mit mir sprechen wollten. Was Sie mit dem gewissen Handwerk meinen, weiß ich nicht, was aber gute Manieren betrifft, so finde ich, daß es eines Edelmannes unwürdig ist, sich in fremdem Haus aus mir unverständlichen Gründen so zu betragen.«

»Meine Gründe sind Ihnen vollkommen verständlich,« zischte Boleslav außer sich; »denn ohne diese Gründe zu kennen, würden Sie nicht bei Ihrem Schwager den Neger spielen.«

Kaum war dies Wort über seine Lippen gekommen, als Florent Chapron, seiner nicht mehr mächtig, den Stock erhob und zu einem Schlage ausholte. Der Pole verhinderte ihn an der Ausführung der drohenden Gebärde, indem er sein Handgelenk mit der rechten Hand erfaßte und festhielt. Drohung und Abwehr waren sich blitzschnell gefolgt und die beiden Männer standen sich blaß vor Wut gegenüber, ohne Zweifel beide bereit, höchst unritterlich miteinander zu raufen, als das Geräusch einer Thür sie zur Besinnung brachte. Der Diener erschien, Chapron fand zuerst seine Kaltblütigkeit wieder und für den dritten unhörbar sagte er zu Boleslav: »Kein Aufsehen, mein Herr, nicht wahr? Ich werde die Ehre haben, Ihnen zwei von meinen Freunden zu schicken . . .«

»Nein, mein Herr, ich werde das thun. Sie sollen mir diesen Schimpf bezahlen, das schwöre ich Ihnen.«

»Ich stehe ganz zur Verfügung – Ihre Bedingungen sind im voraus angenommen. Nur um eines bitte ich,« setzte Florent hinzu, »es darf kein Name genannt werden. Das würde zu viele Personen unsres Kreises berühren. Nehmen wir an, daß wir auf der Straße einen Wortwechsel gehabt haben und daß ich Sie bedroht habe . . .«

»Es sei,« erwiderte Boleslav nach kurzem Besinnen. »Sie haben mein Wort!«

»Das ist ein Mann,« sagte er sich fünf Minuten darauf, als er wieder in seiner Droschke saß und in den Castagnaschen Palast fuhr: »Ja, das ist ein Mann! Er ist vorhin recht jähzornig gewesen und ich habe auch mein kühles Blut nicht bewahrt – meine Nerven sind zu abgespannt, und doch würde mir's leid thun, dem Burschen schlimm mitzuspielen. Das ist nun nicht mehr zu ändern, aber nur Geduld – der andre soll nicht zu kurz kommen, wenn er auch warten muß.«



 << zurück weiter >>