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Während Benno mit Windeseile die Strecke zwischen Lorsch und Starkenburg überwand, saß Bertolf mit seinen fünf Söhnen und einem Gaste zechend um den Tisch. Die fünf Sprößlinge des Grafen, von denen der Aelteste sechs und zwanzig, der Jüngste neunzehn Jahre zählte, waren kräftige Gestalten, mit den wild lodernden Blicken ihres Vaters. Keinen von ihnen hatte Bertolf für den Ritterstand bilden lassen. Ueberaus roh, waren ihnen alle Formen ritterlichen Anstandes fremd, und mit ihrer Roheit hielt ihre Unwissenheit gleichen Schritt. Dagegen waren sie im Gebrauche der Waffen sehr geübt. Weit entfernt von dem erhabenen Lebensberufe des christlichen Ritterthums, fanden sie in Jagd und Fehde ihre Lust und einzigen Zweck ihres Daseins. Im Geiste des preußischen Heidenthums erzogen, haßten sie, gleich ihrem Vater, die katholische Kirche und den Clerus, namentlich die Mönche von Lorsch. Ihr beständiges Trachten ging dahin, das alte Stift zu berauben, dessen Besitzungen sich anzueignen und die wehrlosen Norbertiner zu quälen.
Der Siebente im Kreise war eine Gestalt von ungewöhnlicher Größe, mit feuerrothem Gesichte, die Folge beharrlicher Weinliebe. Hans von Steinberg, – so hieß dieser Edelmann, – war aus dem Ritterstande schimpflich ausgestoßen worden und seit Monaten Gast zu Starkenburg. Hans besaß eine Kraft, die seiner riesigen Gliederbildung entsprach, war tapfer, fehdesüchtig und zu jeder Gewaltthat fertig, die sich mit seinen Begriffen von Adel und Ehre vereinigen ließ. Diese geistigen und körperlichen Eigenschaften empfahlen ihn gar sehr dem Preußen, als taugliches Werkzeug für seine Raubgier und Vergrößerungssucht. Denn Bertolf führte nichts Geringeres im Schilde, als die Säkularisation des Stiftes Lorsch, – obwohl man damals ein Wort noch nicht kannte, welches die deutschen Geschichtsblätter besudelt. Selbst die beabsichtigte Heirath mit Editha bildete ein Glied in diesem Plane, dessen Ausführung zwar tollkühn und verwegen, bei der politischen Verwirrung im Reiche jedoch nicht unmöglich erschien. Zeigte ihm ja das Beispiel des Pfalzgrafen Otto, des Erlauchten, welcher die besten Güter Lorschs an sich gerissen, was der Starke und Gewissenlose über den Schwachen vermöge.
Den Ehrensitz am Tische führte des Grafen Mutter, welche bei ihrer Taufe den Namen Anna erhielt, sich jedoch nach ihrem alten heidnischen Namen Odina genannt wünschte. Sie war ein hochgewachsenes, hageres Weib, von ausgezeichneter Häßlichkeit und boshafter Gesinnung. Ihr eisgraues Haar hatte sie, nach heidnischer Sitte, über dem Wirbel in einen Knoten zusammengebunden, im Gegensatze zu den christlichen Frauen, die alle Hauben trugen. Der bekannte unversöhnliche Haß ihres Volkes gegen die katholische Kirche beseelte auch sie, und nur zum Scheine hatte sie die Taufe angenommen. Dagegen war sie dem heidnischen Aberglauben eifrig ergeben, sie hatte aus Preußen Götzenbilder eingeführt, denen sie im Geheimen durch furchtbare und frevelhafte Gebräuche diente. Weit weg von jener Frauenwürde, welche das Christenthum erzeugte, nahm sie Theil an Trinkgelagen und huldigte dem ausschweifenden Götzen Potrymbos, dem preußischen Bachus, durch wüste Berauschung. Nicht minder verehrte sie den Kriegsgott Picollos, welcher durch den Oberpriester, Griwe genannt, die Raubzüge der Preußen nach den angrenzenden christlichen Staaten befahl. Dieser Grundzug des preußischen Volkscharakters, die Raubsucht, bildete sogar einen wesentlichen Theil des religiösen Cultus. Kehrten die preußischen Raubhorden von ihren Streifzügen heim, so wurde der dritte Theil der Beute regelmäßig dem Gotte Picollos und seinem Oberpriester zugesprochen. Diese beständigen Raubzüge zu Wasser und zu Land zwangen die Deutschen zu fortgesetzter Nothwehr und schließlich zur vollständigen Unterwerfung der preußischen Barbaren. Gegenwärtig lag der deutsche Ritterorden im Kampfe mit ihnen; erst im Jahre 1283 gelang deren vollständige Bezwingung, nach überaus blutigen Schlachten. Der Verlauf der späteren Geschichte beweist jedoch, daß die wirkliche Christianisirung der Preußen nicht in gleichem Maße sich vollzog, wie bei dem deutschen Volke, – wahrscheinlich deßhalb nicht, weil der kalte und steinige Boden das himmlische Saamenkorn keine tiefen Wurzeln schlagen ließ.
Gegenstand der Unterhaltung bildete die Fehde mit Worms. Bertolf führte eine trotzige, zuversichtliche Sprache; denn er kannte die Festigkeit der Starkenburg, die für uneinnehmbar galt, in Wirklichkeit auch niemals erstürmt wurde. Während er in Gesellschaft des zwar kurzsichtigen, jedoch ehrenhaften Ritters Baldemar schlau seine wahre Gesinnung zu verbergen wußte und sich den Schein des ehrliebenden, strenge am Rechte haltenden Edelmannes gab, ließ er im Kreise von Gleichgesinnten seiner brutalen Geistesroheit freien Lauf.
»Die Krämer von Worms sollen sich wundern!« rief er. »Sie pochen auf ihre zwanzig tausend Helme und meinen, mit dem verdammten Preußen leichterdings fertig zu werden, – die Dummköpfe! Meinethalben mögen sie mit vierzig tausend Helmen heranziehen. Im Bunde mit Euch, Ritter Hans, und an der Spitze meiner Waffenknechte, halte ich dieses feste Haus gegen die Macht des ganzen Reiches. Die Handelsstraße können sie nicht umgehen, und was von ihnen an Starkenburg vorbeifährt, wird gerupft. Ein prächtiger Span, der Beute in Fülle und nicht weniger Kurzweile verspricht.«
»Nur Einen fürchte ich,« sagte Hans, »nämlich den Obervogt des Stiftes Lorsch, den Churfürsten von Mainz.«
»Pah, – jener Erzpfaffe hat andere Nüsse zu knacken!« versetzte geringschätzend der Graf. »Außerdem zieht er, wie ich höre, mit dem Habsburger zu Felde nach den Nordmarken. Bis er heimkehrt, mag der Handel längst ausgefochten sein, und Worms Haare gelassen haben.«
»Verbände sich auch Mainz mit Worms, beide hast Du nicht zu fürchten,« sprach das Weib mit widerlich klingender Stimme. »Einen Spruch des Lichtgottes Perkunos habe ich, – einen Siegesspruch, und Perkunos täuscht niemals. Opfer brachte ich ihm, Früchte, Weihrauch und auch Blut,« fuhr sie mit unheimlich funkelnden Augen fort: »Ich, – seine einzige Priesterin in diesem weiten Reiche, wo Roms Pfaffen, – verflucht seien sie! – Männerkraft unter das Joch ihres jüdischen Gottes schlagen. – So hat er gesprochen, der Lichtgott Perkunos, als ich ihn schaute um Mitternacht, als geröthet waren meine Lippen vom Blute des geschlachteten Opfers, – also sprach er: ›Bereichern wird Worms deinen Sohn, kostbare Beute ihm lassen und schwere Lösung.‹ Und eher wird zusammenkrachen der Himmel und einstürzen die Erde, als unerfüllt bleibt, was Perkunos verheißen Ihren drei Hauptgötzen Perkunos, Picollos und Potrymbos pflegten die Preußen nicht allein Früchte, Weihrauch und Thiere, namentlich Pferde zu opfern, sondern auch Menschen, dem Potrymbos vorzüglich Kinder. – Die Priester tranken von dem Opferblut, bevor sie weissagten. Arnkiel, Heidenrelig. S. 187..«
Bertolf und dessen Söhne vernahmen gläubig den Götterspruch; denn sie hatten Beweise von Odinas schwarzer Kunst und deren Verkehr mit überirdischen Mächten.
»Noch Anderes vertraute mir Perkunos, der weitausschauende Lichtgott,« fuhr die Alte fort, indem sich ihre häßlichen Züge abschreckend verzerrten. »Nach Preußen hat der römische Oberpriester die Deutschritter gesandt, die alten Götter zu stürzen, ihre Tempel zu zerstören, – es wird ihm gelingen, doch nicht für alle Zeit. Aeußerlich wird herrschen der Christengott, seine Pfaffen werden den Seeraub bannen und Schwertbeute verfehmen. Manneskraft werden sie lähmen und Helden, die ausgezogen, mit starker Hand, Beute zu erstreiten, werden sie unter das Joch des Kreuzes schlagen. Doch, wehe Dir, Rom, – wehe Dir! Auszutilgen vermochtest Du nicht den preußischen Geist, schlafend lebt er fort, – erwachen wird er in später Zeit. Aufleben werden die alten Götter, ihre Mannen um sich schaaren und ausziehen gegen Rom. Heißer Kampf wird entbrennen und Roms Macht zerbrochen hinstürzen. Wie eine Gefangene wird Rom sein, gebunden an Händen und Füßen, gelähmt in jeder Bewegung, – tödtlich getroffen und sterbend durch jenen Geist, der nicht glaubt an seine Gewalt.«
Kreischend hatte die Häßliche ihre Stimme erhoben, ihre Glieder bebten und die knochigen Fäuste der fleischlosen Arme reckten sich drohend aus. Jetzt schwieg sie, von ihren Enkeln mit furchtsamer Scheu, von Steinberg mit Grauen betrachtet. Die heidnischen Sagen, von Hexen und wahrsagenden Frauen, hatte das Licht des Christenthums nicht völlig zu verscheuchen vermocht, und auch der riesig gestaltete Hans glaubte an die Zaubermärchen. Er sah die unaussprechliche Häßlichkeit Odinas, ihre grimmig funkelnden Augen, ihr unheimliches Wesen, erfüllt von dämonisch grinsendem Hasse, er hörte die seltsamen Reden, deren Dunkel ihm geheimnißvoll dünkte, – und er war von der Hexe überzeugt.
Da klang in die entstandene Pause des Schweigens das Horn des Thürmers, zum Zeichen, daß ein Fremder nahe.
»Wer kommt?« frug der Graf.
»Wahrhaftig, – ein Mönch!« antwortete Beowulf, des Burgherrn Aeltester.
»Benno ist's, ein Bebarteter aus Lorsch,« sagte Bertolf, der an das Fenster getreten war. »Eine Kutte auf Starkenburg? Seltsame Mär! Was mag der bekuttete Narr wohl bringen?«
»Eine Schlinge, Deine Manneskraft zu erwürgen,« antwortete Odina. »Wahre Dich, Sohn, – nimm Dich in Acht!«
»Ihr möget es getroffen haben, Mutter! Die frommen Brüder ängstigt die Fehde mit Worms. Sie fürchten, das ehrwürdige Stift des heiligen Nazarius möchte Schaden leiden, – darum ein Friedensbote. Er komme, – wird jedoch an mir keinen schwächlichen Greiner finden, wie an Baldemar, dem Dummkopf, von den frommen Vätern geführt, wie ein Esel, am Stricke der Gottesfurcht.«
»Fort, Bertolf, gehe ihm entgegen!« sagte Odina. »Unausstehlich ist mir der Anblick einer Kutte. Was sind alle diese Brüder, Mönche und Pfaffen? Söldlinge Roms, das Volk zu bethören, damit es wandle die Wege des gekreuzigten Juden. Heuchlerische Frömmler, den Adel zu berücken, daß er beflecke den Heerschild im Dienste Roms und Mannheit weibisch erniedrige durch den Geist eines lächerlichen Ritterthums. Fort, – empfange ihn unten in der Halle! Höre seine Botschaft, dann scheuche die Kutte hinaus!«
Der Graf stieg hinab.
»Was Ihr da sagt vom lächerlichen Ritterthum, trifft zu,« bestätigte Hans von Steinberg. »Wer ist heutigen Tages ein ächter Ritter? Der viel betet, viel die Messe hört und Gottes Wort, – der einen rechten Rausch meidet wie den Teufel, – der in den Bügel steigt für Schwache und Elende, namentlich für Mönche und Pfaffen, – – der Alles dies und noch Anderes solcher Art thut, der ist ein guter Ritter. Hat jedoch Einer vom Adel das Herz auf dem rechten Fleck, liebt er den Wein und haßt das Beten, hört er lieber lustige Lieder, als Gottes Wort, läßt er fahrenden Krämern und reichen Juden zur Ader und pocht mannhaft auf das Recht des Stärkeren, – nun, der ist kein ächter Ritter, sondern ein Ehrloser Sed quis est usus militiae ordinatae? Tueri ecclesiam, perfidiam impugnare, sacerdotium venerari, pauperum propulsare injurias, pacare provinciam, pro fratribus fundere sanguinem. Haec agentes milites sancti sunt et in eo fideliores principii, quo servant studiosius fidem Dei. Joh. Saresbur Polycrat. L. VI. c. 8. .«
»Ein Ehrloser in diesem heiligen römischen Reiche!« höhnte die Alte. »In Preußen ist der starke Mann, lebend von Schwertbeute, ein ruhmwürdiger Held. Aber im heiligen römischen Reiche weihen die Ritter das Schwert dem Dienste Gottes und dessen Geboten, dahin lautend, schwächliche Tugend zu üben und Schwertstreiche zu führen, einzig nach den Vorschriften der Pfaffen. Auch in Preußen weihen die Edlen ihre Waffen den Göttern, aber die preußischen Götter lieben kühne Helden, die ausziehen auf Beute und Raub, die nehmen mit tapferer Hand zu eigen, was sie im Kampfe erstritten. Wer kennt nicht die preußischen Raubschiffe, mit schwellenden Segeln das Meer durchfurchend, gleich dem scharf bekrallten Seeadler, welcher die mächtigen Schwingen schlägt und lauert auf Beute? Alle Nordmeerfahrer kennen sie, zittern vor ihnen und fliehen. Wer in den deutschen Nordmarken kennt nicht die preußischen Raubschaaren, gleich Wetterschlägen die Lande überziehend, den Brand in Kirchen und Klöster werfend, Burgen brechend und feste Städte zwingend, ihre Schätze herauszugeben? Seht doch, – kühnes Heldenleben in Preußen, – schlaffes Memmenleben im deutschen Reiche! Verfehmt und gebannt wird in diesem Pfaffenlande die trotzige Kraft, beschimpft der starke Mann, gelähmt die gewaltige Faust.«
»Davon kann ich ein Lied singen,« versicherte Hans. »Frankfurter Juden warf ich nieder und streifte ihnen den goldenen Pelz ab. Was geschah mir deßhalb? Mein Schild wurde durch den Koth geschleift, mein Wappen zerbrochen, ich selber mit Schimpf aus dem Ritterstande gestoßen! Fliehen muß ich das feste Haus meiner Väter, mein Geschlecht meidet mich, wie einen Aussätzigen. Schon gut! Hans von Steinberg wird sich rächen, – ja rächen!« rief er, die geballte Faust schüttelnd. »Allen biete ich Trotz, – dem ganzen frommen, verpfafften Ritterthum schwöre ich Fehde! Waffengemeinschaft mit Eurem tapferen Sohne; denn auch er ist ein Verfehmter, ein Heide, ein Preuße, – Waffengenossenschaft bis in den Tod!«
Bertolf kehrte zurück, eine wilde Freude in den Zügen.
»Hübsche Kunde!« hob er an. »Der Höchste von Worms, der Oberbürgermeister Hartmann, sitzt in Lorsch, – will mich bereden wegen der Fehde, – erwartet mich sogleich, weil er heute noch heimreiten möchte. Bei ihm ist kein Gefolge, nur ein einziger Reitknecht. Mutter, heute noch erfüllt sich der Wahrspruch des Lichtgottes Perkunos: Kostbare Beute und schwere Lösung bietet uns Worms.«
Alle begriffen sofort den angedeuteten Anschlag. Die fünf Söhne des Preußen reckten hoch die Hälse, wie junge Geier im Horste, wenn der Alte mit Beute in den Krallen heranfliegt. Steinbergs rauhes Gesicht verzog sich zu einem frohen Grinsen, und die Alte stieß ein heiseres Lachen hervor.
»Flugs, – stellen wir das Netz, den wormser Goldfisch zu fangen!« drängte Hans.
»Vater, laßt auch mich dabei sein!« riefen aus einem Munde die Fünf.
»Hört mich an, wie ich's ausgedacht!« versetzte Bertolf. »Der Handel wird ohne Lärm abgethan. Euch die Ehre des ersten Schlages wider Worms, mein tapferer Waffenbruder!« wandte er sich an Steinberg. »Während ich nach Lorsch reite und mit dem Bürgermeister unterhandle, geleitet Euch Beowulf auf einem Seitenwege, welcher durch den Stiftswald führt und etwa eine Stunde unterhalb Lorsch in die Landstraße mündet. Im Dickicht verborgen, erwartet ihr den Fang, hebt ihn auf und bringt den edlen Patrizier auf demselben Seitenwege hierher. Und hier mag er sitzen, bis er sich mit so vielen Pfunden reinen Silbers ausgelöst, als er selber Pfunde wiegt an Fleisch, Knochen und Haut. Den Knecht laßt laufen, – er mag die Kunde nach Worms tragen.«
»Hübsch erdacht, – so mag es gehen!« sagte Hans, sich erhebend. »Beowulf kennt ja den Alten, und der Alte kennt Euren Sohn, mithin bedarf es keiner langen Erklärung, ob meiner Berechtigung bei dem Span; denn ich möchte um kein Ding in der Welt die Schande erleben, daß mich der Wormser für einen fahrenden Straßenräuber halte.«
»Wappnet Euch ohne Säumen!« sagte Bertolf. »Ich reite sogleich gegen Lorsch.«
Bruder Benno überbrachte inzwischen die Kunde von der nahe bevorstehenden Ankunft des Grafen dem Propste.
»Seht Ihr, ich sagte es ja, der Klostervogt wird nicht säumen, unserer Einladung zu folgen,« bemerkte der Prälat. »Ist es doch seine Gewohnheit, jeden Anlaß zu benutzen, mit seinen fünf Söhnen und einem Schwarm von Reisigen hieher zu kommen. – Mein Sohn,« gebot er dem Gastbruder, »tragt Sorge für schicklichen Empfang und reiche Bewirthung des Vogtes.«
»Hörte schon Manches über das absonderliche Treiben dieses preußischen Geschlechtes, von Kaiser Friedrich, dem Anderen, mit der Grafschaft Starkenburg belehnt,« sagte Hartmann. »Dinge vernahm ich, fast nicht zu glauben und mit christlicher Gesinnung nicht zu vereinbaren. Bin wirklich gespannt, den Preußen persönlich kennen zu lernen.«
»Eure Edlen darf sich wohl wappnen mit einem starken Maße von Geduld und Nachsicht,« erwiederte Burkhard. »Gott allein kennt unsere Leiden und Drangsale, die unerträglich wären, ohne das erhebende Bewußtsein dereinstiger Vergeltung, – Allen verheißen, die um Christi willen getreten werden. Nicht die Personen des Klosters haßt der Graf, sondern den Ordensstand, die Söhne des heiligen Norbert. Kaum macht er ein Hehl aus seiner heidnischen Gesinnung, und sein hochfahrender Trotz beugt sich weder vor den Gesetzen des Reiches, noch vor den Geboten unserer heiligen Kirche. Die ganze christliche Cultur würde er über den Haufen werfen, so er dies möchte, um die Barbarei des preußischen Heidenthums an deren Stelle zu setzen.«
Eine rauhe Stimme klang im Tone des Zornes über den Hof.
»Da ist er schon!« sagte Burkhard, mit dem Patrizier an das offene Fenster tretend.
Bertolf nahte mit Poppo, dem Kämmerer, der Herberge.
»Macht keine Flausen, – dummes Zeug!« schrie der Graf den Kämmerer an. »Ihr sollt meine edlen Hunde nicht auf das Vorwerk schicken zu Rindern und Säuen, – hier müssen sie gehalten und gepflegt werden, – hier in der Herberge.«
»Mit Verlaub, Herr Vogt, ich bitte, die Entfernung der Hunde nicht als Geringschätzung zu betrachten, sondern als Zwang,« entschuldigte Poppo. »Das unaufhörliche und gewaltige Bellen dieser großen Hunde machte ein andächtiges Beten des Officiums unmöglich, und ebenso das gedeihliche Lehren in den Schulen.«
»Was kümmern mich Eure Metten und Schulen?« rief der Andere. »Die Hunde des Kaisers haben hier das Herbergsrecht, und Kaiser Friedrich übertrug an mein Haus alle kaiserlichen Rechte in Lorsch, mithin auch das Herbergsrecht der Hunde.«
»Das Einlegen von Hunden im Stifte war ein arger Mißbrauch kaiserlicher Gewalt,« versetzte Poppo. »Nicht für Hunde ist das Kloster gegründet und begabt, sondern für Mönche, im Dienste Gottes und der Wissenschaft.«
»Was schwätzt Ihr da?« schrie grimmig der Preuße. »Ohne Mönche kann ein rechter Edelmann gar wohl leben, nicht aber ohne Jagd und ohne Hunde. Gefällt es Euch in Lorsch nicht bei Hunden, dann ziehet von hinnen. Und merkt Euch, – kommen meine edlen Thiere aus dem Vorwerke nicht herüber in die Herberge, dann will ich Euch zu den Hunden noch einen Haufen Waffenknechte einlegen, die meine Befehle durchsetzen werden.«
Er ließ den Kämmerer stehen und betrat das Haus, von Anselm empfangen.
»Wo ist der Bürgermeister von Worms?«
»Habet die Gewogenheit, mir zu folgen,« antwortete der Gastbruder.
»Sorgt für einen Krug vom Besten im Keller – hab' gewaltigen Durst,« befahl der Graf, mit dröhnenden Tritten die Treppe emporsteigend. »Vergeßt auch nicht einen guten Braten, habt ja Gänse genug im Wasser.«
Anselm öffnete die Thüre und ließ den Vogt eintreten. Dieser blieb unter dem Eingange stehen, hochaufgerichtet, die Hand am Schwertgriffe, mit stolzen Blicken den Patrizier musternd, ohne Gruß und ohne Verbeugung. Herr Hartmann begegnete ruhigen Blickes dem hochfahrenden Wesen des Preußen, auf welchen die würdevolle Haltung des feingebildeten rheinischen Patriziers nicht ohne Eindruck blieb; denn er trat jetzt mit einer Verbeugung näher.
»Seid Ihr der Bürgermeister von Worms?«
»Wie Ihr sagt!« antwortete kalt Herr Hartmann.
Die Kälte verletzte den Vogt.
»Und ich bin der Withing Bertolf, Erbgraf zu Starkenburg,« sprach er, sich noch strammer aufrichtend und den Kopf nach dem Nacken werfend.
Hartmann von Oppenheim wurde noch kälter.
»Mir ist es nicht gleichgültig,« sprach er, »einen Withing zu sehen, insofern diese heidnischen Häuptlinge im Slavenlande der Preußen am hartnäckigsten deutscher Kraft widerstanden, bis auch sie gedemüthigt wurden.«
Während Hartmann so sprach, sah er mit der Ruhe überlegenen Selbstgefühls auf einen Mann, der sich rühmte, den Withingen anzugehören, wie in Preußen die Vornehmsten des Adels, und zugleich die unversöhnlichsten Feinde Deutschlands genannt wurden.
Den Grafen erbitterte Oppenheims Haltung im höchsten Grade. Anfänglich stumm über dessen kühnen Freimuth, warf er jetzt die zornig flammenden Augen umher, als suche er einen Gegenstand, seine Wuth auslassen zu können. Da traf sein Blick den Prälaten, welcher bescheiden zur Seite gestanden.
»Ah, – da ist ja auch der ehrwürdige Vater Propst!« rief er höhnisch aus. »Mit Euch hab' ich ein ganz besonderes Wort zu reden. Was fällt Euch ein, den erledigten Weiler Seehof, ohne mein Befragen, gegen meine Einwilligung, an einen Schurken zu vergeben, welcher den Galgen verdiente? Mit Hunden werde ich den verdammten Bauer Hatto hinweghetzen lassen.«
»Seit Jahr und Tag steht der Seehof öde, es fand sich für denselben kein Pächter, deßhalb überließen wir denselben einer unglücklichen Familie,« antwortete gelassen der Prälat.
»Erledigte Güter des Stiftes Lorsch vergebe ich, sonst Niemand, das ist mein Recht, – suum cuique! Wer eingreift in meine Rechte, dem will ich dermaßen auf die Finger klopfen, daß ihm solche Vermessenheit vergehen soll. Verstanden, Propst? Klostervogt bin ich, mir habt Ihr zu gehorchen, – nach meiner Pfeife hat Alles zu tanzen in Lorsch.«
»Eure Gestrengen täuscht sich,« erwiederte Burkhard. »Ueber frei gewordene Klosterlehen verfügt das Kapitel der Brüder, nicht der Vogt.«
»Wirklich? Wo steht dies geschrieben?«
»In den Verordnungen unserer heiligen Kirche.«
»Was frage ich nach den Verordnungen Eurer heiligen Kirche? Lasse mir nichts vorschreiben. Auf meinem Rechte bestehe ich, und hier ist mein Recht!« rief er, das Schwert heftig aufstoßend. »So weit mein Schwert reicht, so weit reicht auch mein Recht. Die halsstarrigen Kutten in Lorsch sollen erfahren, wie ich mit ihnen umspringe. Ihr habt es mit keinem Schwachkopfe zu thun, sondern mit dem Withing Bertolf, der sich mit heiligem Weihrauchduft nicht betäuben und durch fromme Bibelsprüche nicht schrecken läßt.«
Er warf sich auf den Stuhl, setzte den Weinkrug an den Mund, ohne sich des Bechers zu bedienen, und trank in langen Zügen.
Der Bürgermeister von Worms traute kaum seinen Sinnen. Die Brutalität des Preußen entrüstete ihn und goß die Gluth des Zornes über sein Gesicht.
»Muß gestehen, eine solche Verkehrsweise ist mir neu und nirgends üblich unter Christen,« sprach er. »Withing Bertolf möge die Bemerkung gestatten, daß im deutschen Reiche die Lebensart heidnischer Barbaren verächtlich erscheint.«
»Was fällt Euch ein, Bürgermeister? Das klingt ja, wie eine Rüge, die ich mir durchaus nicht gefallen lasse.«
»Und wir Deutsche können uns von Fremden die gröbliche Mißhandlung ehrwürdiger Priester nicht gefallen lassen,« versetzte Herr Hartmann. »In Preußen ist es freilich Herkommen und Brauch, christliche Priester auszutreiben, oder gar zu morden, – nicht aber im deutschen Reiche, dessen geistige Kraft und allzeit siegende Waffenmacht gerade auf der Achtung des Priesterstandes und auf dem Gehorsam gegen die Kirche beruht.«
»Sehr gut, – ausgezeichnet!« höhnte Bertolf. »Ich meinte, Ihr wäret hieher geritten, durch Bitten guten Weg zu machen für Eure fahrenden Handelsleute, – nun merke ich, daß Ihr da seid, mich abzukanzeln.«
»Euer Benehmen gegen den ehrwürdigen Propst zwang mich, einzustehen für gute Sitte und ein geradezu heidnisches Gebahren abzuweisen,« entgegnete Oppenheim. »Wegen einer Fehde, die Ihr gleichsam vom Zaune gebrochen, kam ich allerdings hieher, – nicht aber durch Bitten, sondern durch Warnungen Euch zu bestimmen, den Landfrieden nicht zu brechen.«
»Denn Landfriedensbrecher werden gehängt,« ergänzte spottend der Preuße. »Allein die Nürnberger und wohl auch die Wormser hängen Keinen, sie haben ihn denn zuvor. Ich begreife, den geldstolzen Herren zu Worms wäre es passend und ergötzlich, nach Belieben mit dem Adel umspringen zu können. Daraus wird nichts! Ihr sollt erfahren, daß der Adel feste Häuser und schneidige Schwerter besitzt, seine Rechte zu wahren. Ihr behauptet zwar, dem Gerber und Lederhändler Werner gehöre Rechtens das gekaufte Roß; – Ritter Baldemar hingegen, der mir den Handel zum Austrag übergeben, ist anderer Meinung, und ich bin es auch. Sohin Fehde und Urtheil durch das Schwert!«
»Auch Worms trägt ein Schwert, viel stärker, als das Eure,« sagte Hartmann. »Offen gestanden, Eure Absage gegen Worms dünkt mir tollkühn.«
»Weil Ihr nur ein Bürgermeister und kein Mann der Waffen seid,« entgegnete Bertolf. »Versuchet es doch, – schickt Eure Schuster, Schneider, Handschuhmacher, Krämer, Fischer, Tucher und Goldschmiede gegen Starkenburg, – ich habe neue Katzen und Wurfgeschosse, die möchte ich an ihren Schädeln probiren.«
»Unterlasset Verunglimpfung und Spott, Withing Bertolf,« sprach ernst der Patrizier. »Blutvergießen möchten wir verhüten und Euch fragen, unter welchen Bedingungen die Fehde könne vermieden werden.«
»Bedingungen könnt Ihr haben,« erwiederte übermüthig der Preuße. »Höret sie! – Das Roß gebet zurück an dessen Eigenthümer, nebst hundert Mark Silber für den zugefügten Schimpf, den Ritter unglimpflich und schnöde abgewiesen zu haben. Den wormser Juden, welcher das gestohlene Pferd gekauft, liefert Ihr an mich aus, damit der Schelm gehängt werde. Mir selber zahlt das reiche Worms zweihundert Mark Silber für bestandene Mühewaltung und für meine Geneigtheit, Gnade für Recht ergehen zu lassen.«
Oppenheim erhob sich.
»Wohl in der Absicht sind Eure Bedingungen so gestellt, Withing Bertolf, daß Ehre sie anzunehmen verbietet. Ich kehre nach Worms zurück mit der festen Ueberzeugung, daß jede friedliche Beilegung der Fehde scheitern muß an Eurer Unversöhnlichkeit und der Verwerflichkeit Eurer bösen Absichten.«
»Euer Dafürhalten ist mir gleichgültig,« warf der Preuße kurz hin.
»Seid wenigstens rücksichtsvoll gegen Jene, die Eurem Schutze anvertraut sind,« bat der Propst. »Der Waffenstreit wird Lorsch an Gut und Leuten schwer schädigen. Schuldlose werden erschlagen, der Grimm blutdürstiger Mannen wird manchen Frevel begehen. Von der Missethat des Landfriedensbruches will ich nicht reden, auch nicht von den angedrohten schweren Strafen, – aber ich möchte Euch erinnern an Gottes waltende Gerechtigkeit, furchtbar und zermalmend für den Missethäter. Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn; – wir werden nicht aufhören, Gottes allmächtigen Beistand anzurufen.«
»Schweiget mit solchem Zeug!« unterbrach Bertolf den Prälaten. »Ich bin kein Ritter Baldemar, der sich von frommen Mönchen kirren läßt. – Euch, Bürgermeister, wünsche ich frohe Heimkehr! Vielleicht sehen wir uns bald wieder. – Nun, Bruder Anselm, wo bleibt der Braten?«
»Noch etwas Geduld, gestrenger Herr!« antwortete der Gastbruder, den seine Pflicht zwang, dem Gaste Gesellschaft zu leisten, während der Propst mit Oppenheim das Zimmer verließ.
Beide schritten nach der Thorhalle, wo bereits die Pferde gesattelt standen.
»Eine dermaßen rohe und frevelhafte Gesinnung hätte ich für unmöglich gehalten,« sagte Hartmann. »Dieser Bertolf ist ein Bösewicht, ein Heide, ein raubsüchtiger Preuße. Ich beklage das harte Geschick des Klosters, unter einem solchen Tyrannen seufzen zu müssen. Fasset jedoch Muth und Vertrauen, ehrwürdiger Propst! Von Worms fürchtet keine Schädigung, – wohl aber dürft Ihr die Austilgung des Heidengeschlechtes auf Starkenburg hoffen.«
Bei diesen Worten reichte er dem Prälaten zum Abschiede die Hand, bestieg das Pferd und ritt von dannen.