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In der Frühe des folgenden Morgens war die Non im Chor gesungen. Die Mönche traten aus dem Kreise beschaulichen Lebens und gehorchten der Ordensregel in anderer Richtung emsiger Thätigkeit. Die Magister gingen nach den Schulen. Federgewandte Brüder begaben sich nach dem Scriptorium, wo beständig werthvolle Werke, die von anderen Klöstern entliehen, abgeschrieben und Bücher vervielfältigt wurden, die beim Gottesdienste und im Chor nothwendig waren. Die Prediger und Beichtväter suchten die Einsamkeit ihrer Zellen, um sich in Betrachtungen und Studien zu vertiefen. Der Propst ging mit einem Begleiter nach den Spitälern zum täglichen Krankenbesuche. In der Steinmetzenhütte, wo ein kunstverständiger Mönch für auswärtige Kirchen auf Bestellung arbeitete, begann es zu meiseln. Die Laienbrüder gingen nach ihren Werkstätten, zu schustern und zu schneidern; denn auch Lorsch besaß, wie alle Klöster, seine eigenen Handwerker. Andere, mit ländlichen Werkzeugen auf den Schultern, schritten zur Arbeit auf umliegenden Feldern. Kämmerer Poppo saß vor dickleibigen Geschäftsbüchern, rechnend und grübelnd, drohende Noth zu bannen.
Gerbod, der Prior, und Magister Ermenold begannen ihren fast zweistündigen Marsch nach Auerberg. Eben schritten sie über einen äußeren Hof, wo die Klosterschüler auf weitem Plan in Freistunden sich zu tummeln und als künftige Ritter Kriegs- und Waffenspiele aufzuführen pflegten. Hölzerne Schwerter, Schilde, Lanzen und Keule hingen wohlgeordnet an der Umfassungsmauer. Auch ein hölzernes Pferd stand dort, dazu bestimmt, im Sprunge auf das Streitroß die jugendlichen Kämpen zu üben. Obwohl gegenwärtig keine Spielzeit, machte ein Klosterschüler dennoch seine Sprungübungen auf das Pferd. Der Schüler war kein Knabe, sondern ein hochgewachsener Jüngling von starken Gliedern. Er hatte einen ungewöhnlich dicken, fast monströsen Kopf, ein breites Gesicht, und darin zwei große, eben fehdesüchtig leuchtende Augen. Auf den Schultern trug er einen eigenthümlich geformten Sack, mit Sand gefüllt. Der Sack hing über Brust und Rücken hinab, lag zugleich auf den Schultern und hatte eine Oeffnung, den Kopf durchzulassen. Der Inhalt des Sackes betrug etwa hundert Pfund und sollte durch sein Gewicht annährend die Last der Rüstung vertreten; denn in voller Rüstung in den Sattel zu springen, gehörte zu den Fertigkeiten jedes streitbaren Ritters. Der Klosterschüler löste diese Aufgabe mit vieler Gewandheit. Den schweren Sack trug er so leicht, als sei er mit Hopfen gefüllt. Er schwang sich in den Sattel, ohne den Bügel zu berühren, sprang sogar in stürmender Kraftfülle über das Pferd hinweg. In der Hand trug er eine wuchtige Keule, die er, im Sattel sitzend, streitlustig nach allen Seiten hin kreisen ließ und furchtbare Streiche nach dem eingebildeten Feinde führte. Hiebei glühte sein breites Gesicht und die großen Augen sprühten Flammen. So lebhaft hatte ihn das kriegerische Spiel erfaßt, daß ihm das Nahen der beiden Magister entging. Jetzt bannte sein Thun die strafende Stimme des Priors.
» Heidolfe,« sprach der Magister, » omnia tempus habent, et suis spatiis transeunt universa sub coelo. Tempus discendi et tempus saltandi. Nunc autem tempus discendi, sed non tempus saltandi.«
Heidolf stand betroffen und beschämt vor den Mönchen.
» Indulgentiam et remissionem suppliciter peto, reverendi patres!« bat er demüthig.
»Eben ist keine Erholungszeit, mein Sohn!« fuhr der Prior väterlich strenge fort. »Soll ein Tag Fasten bei Wasser und Brod Deine Verachtung der Tagesordnung strafen?«
Der Bedrohte senkte den Kopf.
»Oder sollen wir Deinem Vater die Unfügsamkeit des Sohnes melden?«
»Gehen die Ehrwürdigen nach Auerberg?« frug aufblickend der Springer. »O nehmt mich mit, ich bitte!«
»Nach der Bestimmung Deines Vaters sollst Du hier sein und Dich bemühen, ein guter Mönch zu werden, – Du weißt es.«
Der Geist entschiedener Widersetzlichkeit zuckte über Heidolfs Gesicht.
»Ein guter Mönch werde ich niemals, wohl aber ein guter Ritter,« sprach er nicht ohne Heftigkeit. »An Büchern, Metten, Fasten und Beschauung habe ich kein Ergötzen, wohl aber an Waffen und Kampf. Unrecht ist's von meinem Vater, mich in die Kutte zwingen zu wollen. Unsere heilige Mutter, die Kirche, will keine erzwungenen Mönche, sondern Mönche nach freier Wahl. Ich zähle siebzehn Jahre und berufe mich auf das Recht freier Berufsbestimmung. – Verzeiht, ehrwürdige Väter, meinen Freimuth! Doch mir gällt das Herz, wenn ich gedenke der Härte meines Vaters.«
»Du hast allerdings ein Recht freier Berufswahl, – so befiehlt es die Kirche,« versetzte Gerbod. »Aber Dein Vater besteht auf seinem Willen.«
»Ich bitte, meinem Vater die Ungerechtigkeit seines Wollens und meine Unwürdigkeit für den Ordensstand klar zu machen. Verschließt er mir beharrlich das Haus, dann,« –
Er stockte und schwieg.
»Nun, – dann, – mein Sohn?«
Heidolfs Lippen zuckten und Thränen quollen aus seinen Augen. Die Mönche begriffen die Gefühle des Jünglings und verstanden seinen Schmerz, das väterliche Heim sich verschlossen zu wissen.
»Harre in Geduld, mein guter Junge!« sprach der sanfte Magister Ermenold. »Unser gütiger Vater im Himmel wird weise Deinen Lebensweg ordnen. Nur kein Trotz, keine sündige Uebereilung! Gehe zur Schule, – wir werden für Dich sprechen.«
Die Mönche schritten durch das Thor und betraten die Landstraße, sie führte durch wohlbestellte Fluren, gegen Osten nach den Höhenzügen des Odenwaldes, gegen Westen durch das nahe Dorf Lorsch und weiter nach Worms. Die beiden Magister wandten sich gegen Osten. Auf den Feldern gingen allenthalben Pflüge, von Pferden oder Hornvieh gezogen, die Stoppeln der geärnteten Früchte umstürzend. Für Fleiß und einsichtsvollen Ackerbau sprachen viele Merkmale. Das Kloster bemühte sich augenscheinlich, seinen alten Ruf, in Bewirthschaftung der Felder, zu bewahren. Es blieb, gleich anderen Klöstern, den Bauern Vorbild und Muster einer rationell geführten Landwirtschaft. Auch dem Obstbau wurde sorgsame Pflege. Die Bäume mannigfaltiger Obstsorten standen zu beiden Seiten der Landstraße, oder sie zogen in langen Reihen durch die Fluren, theilweise schwer mit Früchten beladen. Schon seit Carl dem Großen bestanden genaue Verordnungen über den Obstbau, die Behandlung der Felder, Wiesen und Wälder, die Viehzucht, den Weinbau, die Bienenzucht, sogar über die Zucht von Blumen und Ziersträuchern. In Ansehung der Gärten wird auf das Genaueste vorgeschrieben, was darin gepflanzt und gezogen werden soll. Zuerst kömmt ein Verzeichniß von Blumen, Gemüse-, Gewürz- und wohlriechenden Kräutern, sowie von mannigfaltigen Zwiebelgewächsen und Farbstoffen, und dann ein anderes von Zwetschen, Aepfeln und Birnen. Zugleich geht aus jenen Verzeichnissen hervor, daß beinahe sämmtliche Fruchtarten des neunzehnten Jahrhunderts von der altdeutschen Cultur gepflegt wurden [Capitulare de villis vel curtis imperii § 70.].
Die beiden Mönche waren eine Strecke schweigend dahin geschritten, augenscheinlich mit Gedanken beschäftigt, welche Heidolfs Persönlichkeit angeregt.
»Unseren Heidolf beherrscht sehr das kriegerische, urgermanische Element,« hob Gerbod an. »Tacitus sagt von den Germanen: ›Das Land zu pflügen, oder des Jahres Ertrag abzuwarten, möchte man sie nicht so leicht bereden, als den Feind herauszufordern und sich Wunden zu holen. Träge und faul kommt es ihnen vor, mit Schweiß zu erwerben, was man sich durch blutigen Kampf erobern kann.‹ Mit Tacitus stimmt Senecas Bericht überein, wenn er von den Germanen sagt: » Armis innascuntur innutriunturque, quorum unica cura est, alia negligentibus – in den Waffen werden sie geboren und erzogen, ihre einzige Sorge geht auf die Waffen, alles Uebrige vernachläßigen sie.« – Ja, Heidolf hat nur Lust an Waffen und Kampf! Die strengste Disciplin vermag es nicht, diesen angeborenen Hang auszutilgen. Nebenbei fehlt ihm der ideale Schwung, körperliche Waffen gegen körperliche Feinde in geistige Waffen gegen geistige Feinde und Leidenschaften zu verwandeln.«
»Heidolf ist ein Kind unserer Zeit, in der noch gar manches Heidnische liegt,« seufzte Ermenold.
»Aber mit sehr großer Beschränkung,« versetzte Bruder Gerbod. »Im Allgemeinen gelang es den Bemühungen unserer heiligen Mutter, der Kirche, im Laufe der Jahrhunderte germanisches Ungestüm zu bändigen, die wilden Sitten barbarischer Roheit zu mäßigen, zu veredeln, und den reichen Gehalt deutscher Naturkraft für geistig erhabene Aufgaben zu gewinnen. Blüht denn nicht gegenwärtig in allen deutschen Gauen überaus großartig das religiöse Leben und Streben? Hohe Herren und Frauen entsagen weltlichem Glanze und werden arme Ordensleute, – Ritter Christi, Mägde Christi, im Dienste der Armen und Kranken. Auf den Fittigen übernatürlichen Schauens und Empfindens schwingen sich die Künstler empor und schaffen ideal Schönes in Dichtung, Malerei, Bildschnitzerei und in Bauwerken. Das religiöse Genossenschaftswesen hat auch die Gewerbe der Städte ergriffen. Sie schaaren sich zusammen in Zünften und Bruderschaften, arbeiten und streben vorwärts auf religiöser Grundlage. Frömmigkeit und Rechtschaffenheit der Gesinnung, Fleiß, Tüchtigkeit und Schönheit der Arbeit, bilden die Ehre des Handwerkerstandes, von dessen Zünften jeder sittlich Entartete ausgeschlossen bleibt. Ja, – großartig, glänzend, reich und lichtvoll ist unser Volksleben im Allgemeinen, – wenn es auch im Besonderen noch manche Schattenseiten birgt.«
»Tiefe Schatten und klägliche Entartung bei allen Ständen,« klagte Bruder Ermenold, der Trauernde. »Hast Du nicht die jammervolle Stelle in der Chronik gelesen, die wir dem lütticher Stifte entliehen? Himmelschreiende Gesinnung für einen Geistlichen, – gar für einen Stiftsdekan!«
»Wurde Dir wieder Anlaß, die böse Welt zu beweinen, die sich gar nicht anschicken will, ein Himmelreich zu werden, nur von Engeln und reinen Geistern bewohnt?« sprach lächelnd der Prior. »Nun, was berichtet die lütticher Chronik?«
»Sie enthält gräuliche Aeußerungen des Dekans. Dieser Unglückliche behauptet ohne Scham, wenn er Jude oder Heide wäre, möchte er nie ein Christ werden. Es sei ganz unnöthig, in die Kirche zu gehen, ihm genüge es, läuten zu hören. Quodsi esset bonus Judaeus vel paganus, nunquam fieret Christianus. Sufficit mihi, si audio sonitum campanarum. Regesta Honor. III. «
»Eine häßliche Gesinnung!« gestand Gerbod. »Aber die Nichtswürdigkeit des Einzelnen darf keinen Maßstab bilden, zur Beurtheilung des Ganzen. Das Apostelcollegium besaß einen Judas Iskariot, – ungerecht wäre es und falsch, nach dem verkehrten Sinne des Judas den Geist des Apostelcollegiums zu beurtheilen. Manche Klöster mögen einen Judas beherbergen, – unwahr und falsch wäre es aber, wegen des Einzelnen die strenge Zucht und den frommen Wandel der übrigen Mönche zu bezweifeln. Ueberhaupt muß ich die üble Gewohnheit unserer Chronisten tadeln, jeden Scandal, jede arge That, mit Vorliebe zu verzeichnen. Hiedurch wird die Nachwelt irre geführt und meint, Gottlosigkeit und Verwerfliches seien das Gewöhnliche, während gerade das Umgekehrte der Fall ist. Man darf wohl sagen, unsere Chronisten wollen Merkwürdiges und Seltenheiten berichten, darum notiren sie schlechte Gesinnung und gottlose Thaten. Aber die Nachwelt wird diese Eigenart unserer Chronikschreiber nicht kennen und von unserer Zeit ein falsches Urtheil gewinnen. Ich wette, unser Diemo verzeichnete Hattos Pferdediebstahl in den Annalen, obwohl ein solcher Frevel in Auerbach und der ganzen Umgegend unerhört ist.«
»Dort oben haust Einer, tausendmal ärger, als Hatto,« sprach Ermenold, nach den Thürmen der Starkenburg deutend, die sich auf dem Gipfel eines steilen Vorberges erhob.
»Dort haust allerdings ein Räuber, ein Preuße, suum cuique rapit,« versetzte der Prior. »Bertolfs Frevelsinn kann jedoch nicht entfernt maßgebend sein, zur richtigen Beurtheilung der deutschen Ritterschaft. Bertolf ist weit mehr Heide, als Christ. Er ist ein wilder Dorn, aus heidnischem Boden hieher verpflanzt. Erst sein Vater ließ sich taufen, sohin steht Bertolf genau auf derselben Stufe sittlicher und religiöser Entwickelung, auf der vor siebenhundert Jahren die Deutschen gestanden. Außerdem ist Bertolf kein Deutscher, sondern ein Preuße, ein Glied jener slavischen Race, die stets sinnt auf Beraubung und Vergewaltigung des Schwachen.«
»Auch deutscher Adel raubt!« seufzte Ermenold.
»Nein – nicht deutscher Adel, sondern unwürdige Glieder des Adels,« widersprach der Prior. »Kein deutscher Edelmann kann rauben, ohne seinen Wappenschild gräulich zu besudeln und als Entehrter aus dem Adelsstande gestoßen zu werden.
Fromm, weis', klug und mild,
Gehört in des Adels Schild.
Dieser allgemein giltige Wahlspruch bezeichnet den Geist unserer Ritterschaft.«
»Doch nicht für Alle,« erwiederte Ermenold. »Nicht Wenige vom Adel beleidigen Gott und beschimpfen den Christennamen. Mir beschwert es die Seele, von fahrenden Leuten, die bei uns herbergen, zu hören, wie tief noch die Welt im Argen liegt.«
»Meinem stets trauernden Ermenold wird erst die vollendete Harmonie des Himmels ein ewiges Lächeln der Befriedigung erwecken,« scherzte der Prior. »Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden, – doch nicht hinieden, wo Unkraut und Waizen durcheinander wuchern. – – Weßhalb heftet sich Dein Blick immer auf Schatten, und nicht auf das Licht?« fuhr Gerbod in leisem Tadel fort. »Den preußischen Heiden zu Starkenburg siehst Du, nicht aber dessen Nachbar, der christlich hauset zu Greifenstein. Sieh' doch, wie goldig die Zinnen des Greifenstein in den Morgenhimmel hineinragen!« – und er wies nach einer Burg, die trotzig und kühn auf einem Berggipfel nördlich von dem Marktflecken Bensheim emporstieg. »Gedenke unseres ehemaligen Klosterschülers Sighard, gefestet in der Furcht Gottes, reich an Tugend, – jetzt ein starker, vielgerühmter Kämpe, eine Zierde der Ritterschaft.«
»Gott segne und führe ihn!« flehte Ermenold mit himmelwärts gehobenen Blicken.
Unter solchen Gesprächen gelangten die beiden Mönche nach dem Dorfe Auerbach.
»Väter aus Lorsch, – Väter aus Lorsch!« riefen die Kinder, umringten froh die ehrwürdigen Männer und küßten deren Hände.
Auch die Erwachsenen grüßten mit Ehrfurcht Geistliche, deren Frömmigkeit und strenge Lebensweise Achtung erzwangen. Männer und Frauen knieten vor den Hausthüren oder am Wege nieder, – eine Huldigung der Gläubigen für die Geweihten und Auserwählten Gottes.
Die Norbertiner dehnten ihre Schritte und eilten, Ehrfurchtsbezeugungen zu entgehen, die ihnen lästig fielen und ihren demüthigen Sinn verletzten.
Am Ende des Ortes lenkten sie ihre Schritte nach dem Bergwege, welcher durch einen prächtigen Buchenwald zur hochgelegenen Burg hinanführte.
»Unser Bruder Kämmerer beklagte anhebende Noth und drohenden Hunger,« sagte Gerbod. »Es gäbe ein sehr einfaches Mittel, den Mangel in Ueberfluß zu verwandeln, – nämlich die Enthüllung unserer Armuth vor dem Volke. Von allen Seiten würden sich Ströme von Lebensmitteln nach Lorsch ergießen. Keller und Kammern würden zu enge, die Almosen zu fassen. Wir aber verlören das Verdienst freiwilliger Armuth.«
»Ein Kleinod, kostbarer denn alle Schätze der Welt!« entgegnete Ermenold.
Vor dem Bilderstock am Wege kniete eine Frau, betend mit ausgespannten Armen. Ella erhob sich von den Knieen, den Nahenden ihr bleiches, abgehärmtes Gesicht zuwendend.
»Gott helf, ehrwürdige Väter!« grüßte sie.
»Der Herr sei mit Dir!« antworteten die Mönche.
»Ich bin das Weib Hattos, für den Ihr den Gang thut nach der Burg. Ich flehe zur lieben Mutter Gottes, sie möge Euch beistehen, damit Baldemars Herz erweiche und mein armer Hatto gerettet werde.«
»Nicht umsonst wirst Du flehen zur Mutter der Barmherzigkeit,« erwiederte Ermenold. »Harre aus im Beten und hoffe!«
Die Norbertiner stiegen weiter. Ella kniete nieder, breitete die Arme aus und heftete flehend den Blick auf das schmerzhafte Liebfrauenbild, mit dem zweifach durchbohrten Mutterherzen.
Ein mißglückter Versuch, Hatto zu retten, mochte den Prämonstratensern vorschweben; denn ein Gemisch von Zweifel und Betrübniß malte sich in ihren Zügen. Baldemar achtete zwar die Mönche von Lorsch und mochte deren Bitten und Vorstellungen nicht kurz von der Hand weisen. Aber die Entwendung seines Schlachtrosses war für den Ritter ein zu schmerzlicher Verlust und zugleich ein höchst strafwürdiges Vermessen, das Sühne heischte. Dennoch äußerten die beiden Norbertiner durch kein Wort ihre gegenseitigen Befürchtungen. Sie vollzogen einen Beschluß des Kapitels, sie gehorchten der Weisung ihres Oberen und stellten, als ächte Mönche, das Gelingen ihrer Bemühungen vertrauensvoll Gott anheim. Nebenbei unterließen sie aber doch nicht, ihre Angelegenheit dem Allerhöchsten dringend zu empfehlen. Sie beteten stille, riefen zugleich ihren Klosterpatron, den heiligen Nazarius, zur Unterstützung ihrer Sache an und erinnerten, in rührender Einfalt, die Liebe Frau, daß sie auch in vorliegendem Falle sich erweisen möge als Mutter der Barmherzigkeit und mächtige Zuflucht der Bedrängten.
So waren sie schweigend und betend etwa tausend Fuß emporgestiegen. Sie gelangten zu einer freien, kreisförmigen Stelle, in deren Mitte ein runder Felsblock lag. Uralte Eichen standen ringsum, deren Aeste und Zweige in einander verwachsen waren, undurchdringlich für das Tageslicht und einen unheimlichen Düster um den Ort verbreitend.
»Ein Druidenstein!« sagte Gerbod, vor dem Felsblocke stehend. »Gar manches Menschenleben verblutete auf diesem Steine unter den Messern der Götzenpriester. Tacitus berichtet in seiner Germania: ›Unter den Göttern verehren die Deutschen am meisten den Merkurius, für den sie an gewissen Tagen sogar Menschenopfer für erlaubt halten.‹ Und diese Menschenopfer unserer heidnischen Vorfahren sind nicht das Entsetzlichste gewesen. Es gab unter ihnen Männer und Frauen, die man für Zauberer und Hexen hielt, und von denen man glaubte, daß sie von Menschenfleisch sich nährten; solche wurden ergriffen, in Stücke zerschnitten und gegessen Die Belegstellen aus den Quellen bei Ozanam, Begründ. des Christ. in Deutschl. S. 161.. – – Gräuliche Finsterniß!« fuhr er im Weitergehen fort. »Und wie vielgestaltig war die Grausamkeit des deutschen Heidenthums! Unliebsame Säuglinge warf man herzlos von hohen Felsen, und Erwachsene glaubten, durch Selbstmord der Gottheit zu gefallen, indem sie Selbstentleibung ›die Reise nach Walhalla‹ nannten. Mit dem gestorbenen Adeling wurden dessen Frau, Nebenfrauen und Sklaven lebendig verbrannt. Das gefallene Weib wurde zu Tode gepeitscht, während sich der Mann mit Sklavinnen der abscheulichsten Unzucht hingeben durfte. Die deutschen Sklaven und Leibeigenen waren keine Menschen, sondern Sachen, mit denen ihre Herren nach Belieben verfuhren, wie mit Thieren. Hatte aber der freie Deutsche einen Freien erschlagen, so galt dies nicht als Verbrechen, sondern als eine Beschädigung der Familie, die gesühnt wurde durch Entschädigung, Wergeld genannt. »Selbst der Todtschlag, berichtet Tacitus, wird durch eine bestimmte Anzahl von Stücken kleinen und großen Viehes gebüßt, und die ganze Familie des Ermordeten hat Theil am Wergeld. – Solcherweise schmachteten unsere Vorfahren unter dem Joche jammervollster Barbarei, im Dienste höllischer Geister.«
Ermenold seufzte schmerzlich.
»Tacitus rühmt aber doch die keuschen Sitten der Deutschen,« sagte er.
»Allerdings berichtet Tacitus: ›Die Ehe wird dort heilig gehalten, und nichts an ihren Sitten möchte so achtungswerth sein. Die Deutschen sind fast die einzigen Barbaren, welche mit einer Frau sich begnügen, ganz wenige ausgenommen.‹ Aus anderen Schriftstellern wissen wir aber, daß hier Tacitus ungenau erzählt. Thatsächlich durfte der freie Mann aus seinen Sklavinnen mehrere Nebenfrauen wählen, was Tacitus auch andeutet, indem er sagt: ›sie begnügen sich mit einer Frau, ganz wenige ausgenommen.‹ Mithin bestand dennoch Vielweiberei. Im Grunde wollte Tacitus die Ausschweifungen der gebildeten Römer schneidig treffen, indem er die verhältnißmäßige Keuschheit der Barbaren rühmend hervorhob, und zwar in unverdientem Maße.«
Ein blendender Lichtstrom, der seine liebliche Helle bis unter die Baumkronen des Hochwaldes verbreitete, unterbrach den Prior. Etwa dreißig Schritte vom Wege entfernt, lag ein baumfreier Fleck, von Haidekraut überwachsen und mit bemoosten Felstrümmern bedeckt. Die Mönche lenkten ihre Schritte nach der Stelle. Eine überaus reizende Fernsicht bot ihren Blicken sich dar. Das prachtvolle Rheinthal, besäet mit Weilern, Dörfern, Flecken und Städten, geschmückt mit unabsehbaren Fluren, grünen Matten und Weingeländen, durchschnitten vom Rheinstrom, gegenwärtig in der Morgensonne blitzend und leuchtend, wie flüssiges Silber, breitete sich vor den Schauenden aus. Zunächst ruhte ihr Auge auf dem geliebten Lorsch, dessen Kirchen und Gebäude friedlich aus der Landschaft emporstiegen. Dann schweiften ihre Blicke westlich, wo das alte Münster zu Worms, mit seinen Thürmen und Kuppeln, die Ebene beherrschend, ragte. Sie sahen die vielen Thürme, groß und klein, gleichsam einen Wald über der Stadt bildend. Gegen Süden erblickten sie die dunklen Umrisse des Kaiserdomes zu Speyer, und auf der weit gedehnten Ebene gar manchen goldig funkelnden Punkt, vergoldete Kreuze auf Kirchen, um welche sich wie Heerden Dörfer und Städte lagerten. Nur selten unterbrachen dunkle Waldesstrecken, wie Schatten auf dem reizenden Gemälde, das reiche, fruchtbare Land.
»O wie herrlich!« rief der Prior begeistert aus. »Weißt Du, wer all diese Herrlichkeit geschaffen? Das Christenthum. Was war Deutschland, bevor unsere heilige Mutter Licht brachte in die urdeutsche Finsterniß, und Cultur in urdeutsche Barbarei? Was war Deutschland? Tacitus sagt es uns. ›Wer möchte sich nach Deutschland hinbegeben,‹ schreibt er, ›in das wüste Land, unter den rauhen Himmelsstrich, wo zu wohnen, was nur anzusehen, gar trübselig ist? Im Ganzen ist das Land mit finstern Wäldern und mit wüsten Sümpfen bedeckt.‹ – Also Wald und Sümpfe, und diese bewohnt von Menschen, die in Thierfelle gekleidet einhergehen, die wohnen in Lehmhütten und Gruben unter der Erde. ›Höhlen unter der Erde pflegen sie aufzugraben,‹ schreibt Tacitus, ›die sie noch mit einer Menge Dung beschweren, zur sicheren Wohnung im Winter.‹ – – Und diese armen Menschen, welche in elenden Hütten oder in Gruben wohnen, wissen nichts von Gewerben, nicht einmal von geregeltem Ackerbau, sie wissen nur von Viehzucht, von Raub, Jagd und Krieg. ›Wenn die Deutschen nicht in den Krieg ziehen,‹ meldet Tacitus, ›bringen sie nicht viele Zeit mit Jagden, sondern größtentheils in Unthätigkeit hin, als Liebhaber des Schlafens und Essens. Gerade die tapfersten Kriegsmänner treiben nichts, sie liegen auf der faulen Haut.‹ – Dazu forderte ein dämonischer Götzendienst gräuliche Thaten, und ein wahnsinniger Aberglaube gebar scheußliche Verbrechen. – – Da kamen die lichten Glaubensboten unserer heiligen Mutter zu den deutschen Barbaren, – die Götzenaltäre stürzten um, die wüsten Sümpfe trockneten aus, die finsteren Wälder wurden gelichtet. Aus den wilden Raubhorden machte die Kirche fleißige Ackerbauern und kundige Handwerker, aus den blutdürstigen Kriegern bildete sie das christliche Ritterthum, den tugendsamen Adel in Städten und auf Burgen. Die Sklavenketten zerbrachen, aus Leibeigenen und Hörigen wurden Menschen, mit Rechten und einem Freibriefe begabt, der sie mit Fürsten als Kinder desselben himmlischen Vaters darstellte. Nun, – siehe doch! Wo sind jetzt die Alles bedeckenden finsteren Wälder, die wüsten Sümpfe? – Fruchtbare, gesegnete Gefilde blühen über ganz Deutschland. – Wo sind die Barbaren? – Ein christliches, tugendreiches, arbeitsames Volk wandelt nach den erhabenen Geboten des heiligen Gottes, leistet Großartiges im Landbau, in Gewerken, in Künsten, Wissenschaften und auch in Entsagung. Ueber das weite deutsche Reich sind fromme Klöster und Stifte verbreitet, unzählbar an Menge, unermeßlich an Verdiensten. Jedes Kloster ist eine Herberge den Fremden, eine Schule den Unwissenden, ein Spital verlassenen Kranken, eine Heimstätte den Armen, ein Asyl den Unterdrückten. Christus herrscht, Christus siegt, Christus waltet!«
Von seinen Empfindungen fortgerissen und angeregt durch die Eindrücke einer überwältigenden Fernsicht, gestaltete sich Gerbods Rede zu einem Lobgesang über die Segnungen des Christenthums und die welterneuernde Thätigkeit der Kirche.
Auch Ermenold wurde von diesem Geiste ergriffen. Sein gewöhnliches Trauern über das Böse auf Erden wich einem glühenden Jubel der Seele über die unbestreitbaren Herrlichkeiten des Reiches Christi. Indessen fand sein ächt deutsches Gemüth, geläutert und geadelt durch den Geist der Religion, einen anderen Ausdruck seiner Begeisterung, als der wissenschaftlich erläuternde Bruder Tacitus. Sofort zeigte sich, daß jener ideale Zug der Zeit für die reine Weiblichkeit auch in den Mönchen lebte, – allerdings weit erhaben über den Frauendienst des Ritterthums. Auch der Mönch hatte seine Auserwählte, deren Diensten er sich weihte, seine Liebefrau, den Inbegriff aller Tugenden, aller Hoheit und Heiligkeit, nämlich die Mutter des Herrn, die Königin des Himmels.
»Vergiß sie nicht, die Hochgebenedeite, die Vermittlerin aller Gnaden!« rief er, den Blick gehoben zum blauen Himmel, ausgebreitet vor seinen trunkenen Augen über das Land, wie der blaue, sternenbesäete, Alle schirmende Muttermantel Marias. »O gnadenvolle hohe Frau und Kaiserin, – sei gegrüßt! Meeresstern, ich preise Dich, – Mutter Gottes, Du Süße! Du Rose ohne Dorn, Du Lilie ohne Gleichen, Du Quelle aller Freude, Du Trösterin im Leiden! – Ave Maria!«
Gerbod sah lächelnd auf den entzückten Bruder.
»Singen wir, auf dieser hohen Warte, unserer Königin ein Lied!« sprach er. »Mischen wir unsere Stimmen in den Lobgesang der Engel, – singen wir Bruder Conrads Hymnus auf Unsere Liebe Frau!«
Beifällig nickte Ermenold. Die Hände über den rauhen Kutten gefaltet, die Blicke zum Himmel gerichtet, begannen die Mönche ihr Lied. Einfach war die Weise und gar feierlich, ein himmelwärts strebender Choral. Und die trefflich geschulten Stimmen der täglichen Sänger in der Mette waren klangvoll und rein. Ermenold besaß einen vorzüglichen Tenor, Gerbod einen tiefen, vollen Baß, so daß die Stimmen zusammenflossen, wie Orgelton und Glockenklang. Die Söhne des heiligen Norbert aber sangen:
O Maria, hohe Kaiserin und Frauen,
Majestätisch anzuschauen!
Ausgeschmückt mit Sternenkranz,
Strahlt Dein Haupt im Sonnenglanz;
Und zum Schemel Deiner Füße,
O Erhabene und Süße!
Dient des Mondes Sichel Dir,
Dich zu ehren nach Gebühr.
O Du Hochgebenedeite!
Gieb uns Deinen Schutz und leite,
Daß wir ganz und Dir zu Ehren
Von der Sünde uns bekehren;
Gieb von Deiner Arzenei,
Die da heilt und machet neu,
Daß wir von des Elends Wunden
Frisch durch Deinen Sohn gesunden.
Blumenstrauß des Paradieses!
O, wie ein so wundersüßes
Lied erklingt, von ungezählten
Engelsstimmen, auserwählten,
Daß die Tön' wie Perlen fließen
Und wie Jubel sich ergießen,
Weil Du Den geboren hast,
Der getilgt der Sünden Last!
Das Singen klang von der Höhe durch den Wald und lockte einen staunenden Zuhörer an.
Auf dem Wege zur Burg stand lauschend eine Jungfrau und blickte verwundert nach den Sängern hinüber. Ihre Tracht verrieth sofort das Edelfräulein. Nach der Sitte jener Zeit schmückte ein goldener Reif ihr Haupt, der zugleich das Haar zusammenhielt, das in reicher Fülle frei über Nacken und Rücken hinabwallte. Ein blaues, die Taille knapp umschließendes Gewand, mit engen Aermeln und bis zum Halse hinaufreichend, umhüllte die hohe, in vollendetem Ebenmaß gebaute Gestalt. Darüber trug sie ein ärmelloses, rosafarbenes Obergewand, mit weiten, tief herabgehenden Aermelausschnitten, und deßhalb sehr geeignet, den schlanken Wuchs vortheilhaft erscheinen zu lassen. Eine zwei Finger breite Stickerei von grüner Seide und Silber lief von der Halsöffnung des Gewandes über die Brust herab und schloß mit einem goldenen Medaillon von runder Form. Diese Obergewänder der Frauen waren den Waffenröcken der Ritter ähnlich und hießen deßhalb cotellae. In der Hand trug sie einen Strauß duftender Rosen und am Arm ein zierlich aus Weiden geflochtenes Körbchen. Ihre Gestalt war von kräftigen und dennoch anmuthigen Formen, und ihr Angesicht, dessen weiße Farbe mit jener des Schnees wetteiferte, von überraschender Schönheit. Den Gesang belauschend, hielt sie die Augen gesenkt, und das Roth ihrer Wangen verbleichte mehr und mehr, je länger das ergreifende Singen auf ihr Gemüth wirkte.
Die Mönche hatten ihr Lied mit einem feierlichen »Ave« geschlossen. Sie gingen zurück nach dem Burgwege, wo die Jungfrau noch in der vorigen Haltung stand, sinnend niederschauend, gleichsam in Betrachtung versenkt über den heiligen Choral, dessen Melodie in ihrer Seele fortklang. Da gewahrten die Norbertiner, betroffen und fast erschreckt, die fesselnde Frauengestalt. Zagend und schauend blieben sie stehen, wie im Banne des Geschauten. Ihre blendende Schönheit, der kindlich reine und doch königlich würdevolle Ausdruck ihrer Züge, die jungfräuliche Anmuth und Hoheit ihrer Gestalt, legten den beiden Sängern den Gedanken nahe, einer Erscheinung Jener gewürdigt zu werden, die sie eben im Liede verherrlicht hatten. Mit weit geöffneten Augen standen sie da, und hörbar klopften ihre Herzen. Jetzt hob sie den Blick, sah die Zagenden und ein liebliches Lächeln spielte um ihren Mund. Sie nickte grüßend mit dem Haupte, ohne sich von der Stelle zu bewegen, in der augenscheinlichen Erwartung, die Verblüfften würden auf den Weg hereintreten. Diese verharrten jedoch in ihrem Anschauen der Bewunderung und im Zweifel über die Natürlichkeit oder Uebernatürlichkeit der Erscheinung.
» Quidnam video?« sagte Bruder Ermenold. » Quaenam est ista?«
» Virginem video, valde speciosam et pulchram nimis,« erwiederte Gerbod.
Als hätte sie die lateinischen Worte verstanden, bedeckte ein jäh aufflammendes Erglühen ihr Angesicht. Sie verbeugte sich und schritt den Weg hinab.
Die Norbertiner blickten ihr schweigend nach, sie sahen den hoheitvollen Gang der geräuschlos Dahinschwebenden, und wieder dachten sie an die Möglichkeit eines übernatürlichen Gesichtes; denn wunderbare Erscheinungen waren gerade keine Seltenheiten in jener Zeit des Glaubens. Plötzlich verschwand die Gestalt und die Nachschauenden waren ungewiß, ob sich dieselbe in Luft aufgelöst habe, oder zwischen den Baumstämmen unsichtbar geworden sei.
»Was war dies?« sprach aufathmend der Prior. »Aehnliches habe ich niemals gesehen; – freilich entgeht mir ein sicheres Urtheil über Frauen, gebunden durch die Regel: ›Mit deinen Augen schließe einen Bund, daß sie nicht sehen auf eine Jungfrau!‹ – War die eben Geschaute ein irdisches Wesen, so mußten ihre Lieblichkeit und Schönheit immerhin an unsere himmlische Königin erinnern, wie beim geistigen Schauen die Vorstellungskraft sie bildet.«
»Ordensleuten will es nicht ziemen, in solchen Ausdrücken über das Weib zu sprechen,« mahnte ernst Bruder Ermenold, in großen Schritten dem Orte einer möglichen Versuchung enteilend. »Wer weiß, vielleicht war Alles nur ein täuschendes, arglistiges Spiel des bösen Feindes, durch Ueberraschung und Gaukelei uns in die Falle zu locken. Hüten wir uns! Wer steht, der sehe zu, daß er nicht falle! Man kennt ja die umstrickende Macht des Weibes. David, den frommen Diener Gottes, hat sie gestürzt, weil er die Sinne nicht bewachte, und die Weisheit Salomos hat Frauenreiz kläglich bethört. Darum hat mit Recht unsere heilige Mutter die Wohnungen der Mönche und Nonnen strenge geschieden, jede nähere Berührung verboten, sogar den gemeinsamen Chorgesang Concil. lateran. a. 1138..«
»Bei der Schwäche der menschlichen Natur waren diese kirchlichen Verordnungen sehr klug,« versetzte Gerbod.
»Das Kapitel des Klosters Marchthal gab vor fünf Jahren noch andere Gründe an,« fuhr Ermenold fort. »Abt und Mönche wiesen das angebaute Frauenkloster weit von sich weg. Ihren Kapitelsbeschluß rechtfertigen sie durch folgende Gründe: ›Weil die Schalkheit der Frauen alle anderen Leichtfertigkeiten übertrifft, so in der Welt zu finden, – und weil kein Zorn über eines Weibes Zorn, – und weil Ottern- und Drachengift noch heilbarer und gelinder für die Menschen, als der vertraute Umgang mit Frauen.‹ Crusius, schwäb. Chronik I. 634 ad ann. 1273. – Angst und Scheu der Mönche vor weiblichen Verführungskünsten, drückt auch folgendes Unübersetzbare aus: Quem non mollit mulier? Igitur mulier est malleus, per quem diabolus mollit et malleat universum mundum.«
»Die guten Brüder von Marchthal,« versetzte Gerbod, »ließen sich doch zu weit hinreißen, wenn sie Frauen mit Ottern und Drachen vergleichen. Meinestheils halte ich zwar jeden näheren Umgang des Mönches mit Frauen weder für schicklich, noch für klug und erlaubt, achte aber dennoch das weibliche Geschlecht. Auch Frauen sind Kinder Gottes, heilige und auserwählte Rüstzeuge des Herrn. Zum Anderen dürfen wir den veredelnden Einfluß nicht übersehen, welchen der ideale Frauendienst auf das ganze Ritterthum ausübt.«
»Das ist unbestreitbar!« gestand Ermenold. »Die rauhen Sitten der Kriegsleute werden gemildert durch eine fast närrische Schwärmerei für Frauen, zu deren Hoheit sie emporschauen, wie zu Heiligen. Manche Ritter behaupten sogar, durch Frauendienst gute Christen zu werden. Mir dünkt jedoch dieser angegebene Beweggrund recht läppisch und schaal.«
»Und mir scheint gedachter frauendienstliche Zug unserer Zeit tief in der menschlichen Natur begründet,« sagte nach einigem Nachdenken Bruder Tacitus. »Es wäre ein Irrthum, zu glauben, nur grobe Sinnlichkeit ziehe den Mann zum Weibe. Nein, – den Menschen begeistert und fesselt vielmehr das ideal Schöne, und letzteres findet er gleichsam verkörpert und versinnlicht durch Anmuth, Holdseligkeit und jungfräulich reine Hoheit, was man Alles zusammen Schönheit nennt. Sohin bildet Frauenschönheit im Grunde nur die sinnlich wahrnehmbaren Formen geistiger Substanzen und seelischer Kräfte. Darum kann ein vollendet schönes Weib nur dann wirklich und wahrhaft schön sein, wenn die edlen Körperformen mit einer innewohnenden geistig guten Richtung zusammen stimmen. Beweise einem Ritter, daß ein schönes Weib, für das er schwärmt, geistig verkommen, gottlos und schlecht ist, und er wird sie als lügenhaftes Gebilde verachten, als eine täuschende Maske fliehen, die Häßliches birgt unter gleißender Form. – Was folgt hieraus? Daß Körperschönheit nur deßhalb Bewunderung und Huldigung verdient, weil sie ideale Schönheit versinnlicht, nämlich das Gute, das Reine, die Gottähnlichkeit. Mithin gründet der Frauendienst unseres Ritterthums auf der in der Menschenbrust liegenden Bewunderung für das ideal Schöne, für das vollkommen Gute, für das Göttliche, wovon die mit Augen wahrnehmbare Schönheit gleichsam ein versinnlichter Ausdruck ist und als solcher empfunden wird.«
Während noch Ermenold die Rede des Freundes bedachte, gelangten sie zur Burg, dem Ziele ihrer Wanderung.