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Der Kommandeur

Ein stolzes Gefühl, zum erstenmal als Kapitän an Bord seines Schiffes zu kommen! Lorens schlug das Herz bis zum Halse hinauf, als David Worms, der nunmehr »der Ältere« hieß, ihn selbst an Bord von »Salomons Gericht« brachte.

»Eine schmucke Dirn, he, Petersen? In allen Ausmaßen dem »Prediger« und dem »Koning« gleich. Die haben sich bewährt, nicht wahr? Ihr werdet Euch darauf zu Hause fühlen.«

Lorens barg seine Erregung hinter einer kalten Miene. Der Alte wird geschwätzig, dachte er; wenn er doch gehen und mich allein lassen möchte! Aber äußerlich fand er höfliche Worte.

»Tut mir leid, daß noch alles leer ist, David Worms, so kann ich Euch nicht einmal ein Glas Wein bieten.«

»Das könnt Ihr tun, wenn Ihr heimkehrt – mit einem guten Dutzend Fische im Bauch, versteht sich,« gab der Alte wohlgelaunt zurück – kroch in die Kajüte, setzte sich in die Bank, legte den Hut vor sich auf den Tisch – alles umständlich und behaglich – und schwatzte weiter.

Lorens hörte mit halbem Ohr zu; seine Gedanken wanderten. Die Brüder hatten allemann mit ihm fahren wollen, aber er hatte nur die beiden Jüngsten mitgenommen: Niggels als Harpunier, Jan als Matrose. Noch fühlte er sich nicht sicher genug in seiner jungen Würde, um sich Manne und Aaners gegenüber durchsetzen zu können, die beide schon als Steuerleute fuhren. Er war schon mit einem älteren Steuermann einig geworden, der mit ihm zusammen noch unter Engelbert Jans gefahren war, ein ruhiger, verständiger Mann, denn ein wenig bangte Lorens doch vor der Verantwortung, die er mit »Salomons Gericht« auf sich nahm. Heute früh hatte er nun erstmal Zimmermann, Koch, zwei Matrosen und drei Leichtmatrosen angemustert. Mit denen wollte er die Ausstattung einnehmen, die Jan Jasper de Rüscher selbst besorgt hatte. Am Abend sollten die Leute an Bord kommen. Wenn David Worms das Getrappel an Deck hören würde, mußte er doch endlich gehen! –

In den nächsten Tagen kam die Ladung an Bord, alles vom Besten! Lorens lachte das Herz im Leibe. Hell klang sein Kommando über Deck, indem er das Einnehmen selbst leitete. Das war sonst die Arbeit des zweiten Steuermanns und als solche ihm noch vom »Koning Salomon« her gewöhnt. Aber diesmal wollte er sie selbst tun. Er mußte von jedem Stück auf seinem Schiff wissen, wo es sich befand; das gab ihm ein Gefühl größerer Sicherheit. Dem Schiffsvolk sagte er, daß die Steuerleute erst kurz vor der Ausreise an Bord kommen würden; das dachte nichts weiter. Außer den Brüdern wußte keiner, daß Lorens zum erstenmal als Kommandeur fuhr; er hatte mit Bedacht nur solche gewählt, die ihm fremd waren. Sie wußten nur, daß er »Salomons Gericht« zum erstenmal fuhr, und so imponierte ihnen die Sicherheit, mit der Lorens nach seinen Erfahrungen vom »Prediger« und »Koning« her disponierte, nicht wenig. Darob schwol dem Hahn der Kamm, und er krähte nicht schlecht über Deck und Schiffsvolk hin.

Es kamen aber in den Raum: 450 neue Fässer oder Quartelen, die er, zum Platzen gefüllt mit Fischspeck wieder heimzubringen hoffte; 60 neue Walfischleinen; 3 Büschel zu Vorgängern, das ist die dünne Leine, an der die Harpune befestigt ist; 6 Schaluppen-Kompasse; 60 neue Riemen zum Rudern; 50 eichene Harpunstöcke; 40 neue Harpunen und 10 alte, denn nur mit einer alten, die schon einmal einen Fisch festgeschossen hat, darf man den ersten Wurf tun; 50 neue Lanzen; 6 Walroß-Harpunen und 6 Walroß-Lanzen, denn in den letzten Jahren war der Fisch so rar geworden, daß man die Fässer mit Walroß- und Robbenspeck hatte füllen müssen. Dann folgten die Geräte für andere Verrichtungen als den eigentlichen Fang. Für den Kampf mit dem Eis: Eisbeile, Eissägen, Eissporen. Für die Küche: Fleischkessel, Erbskessel, Grützkessel, Fischkessel und Doofpot, das ist ein irdener Topf, in dem ein glühendes Torfstück sorglich mit Asche bedeckt bis zum andern Morgen lebendig bleibt; eine Pfanne zum Dämpfen, eine Grützpfanne und eine zum Kuchenbacken. Endlich für die Kajüte: 2 Tischtücher, 12 Mundtücher, 12 Weinrömer, Eßbestecke, Lichtschneuze, Spiegel, Schreibzeug, ein Buch von der christlichen Seefahrt und 6 Psalmbücher. Als die Einrichtung fertig war, ging Lorens, sich die Kajüte zu betrachten, und schloß die Tür hinter sich zu, stellte sich vor den Spiegel, beschaute sich, soviel der Spiegel von ihm wiedergab, lachte:

»Das ist nun der große Kommandeur, Lorens der Hahn –!« Dann, streckte er gegen sich selbst die Zunge heraus, lang und breit, und fügte ernsthaft hinzu: »Sieh, mein Junge, nun bist du der einzige an Bord, der das noch darf!«

Nun kam der Proviant: 18 Fässer hartes Brot, 18 Säcke weißes Brot, 1 Fäßchen Zwieback, ein Fäßchen Mehl, 15 Viertel Butter, 20 Säcke Grütze, 20 Säcke graue und 18 Säcke weiße Erbsen, 9 Tonnen Fleisch, 700 Pfund süße Milchkäse, 600 Pfund Edamer Käse, 600 Pfund Speck, 1000 Pfund Stockfisch, 30 Fässer Dünnbier, 7 halbe Fässer doppeltes Bier für Kommandeur und Offiziere, 3 Anker Wein, ½ Anker Kornbranntwein, 2 Anker Wacholderbranntwein, 100 Pfund Sirup, 6 Pfund getrocknete Zwetschen, 4 Pfund Rosinen, 6 Pfund Feigen, 2 Pfund Stock- und 5 Pfund Hutzucker, 4 Pfund Kaffee, ½ Ohme Essig, 1¼ Viertel Senf, 1 Flaschenkeller mit Rheinischem Emis, Lavas und Löffelkraut-Branntwein, Pfeffer, Nägelein, Muskatblüte und -nüsse, Zimmetrinden und gar das Salz in manchen Fässern; 26 Klafter Brennholz, zum Anzünden auch frische Sägespäne, und 9 Tonnen Torf, um die Hitze länger zu halten. Ferner Stopftuch, Schwämme, Binsen, Kreide und anderes Küfners Zubehör; Besen von Heide und Reisig, Schwefelstöcke, Schießpulver, Kugeln, Musketenkugeln und Hageln. –

Jedes Faß, das in den Raum hinunter wanderte und dessen Inhalt Lorens von seinen Listen ablas, begrüßte er wie einen alten Bekannten. Sachverständig prüfte er Branntwein, Brot, Grütze und Mehl. Ähnliche Riemen wie diese hatten seinerzeit an seinen Händen die ersten Blasen erzeugt. Er ließ Walfischleinen und Vorgänger durch seine Finger laufen – alles war ihm vertraut. Denn, hatte er nicht selbst als Matrose und Harpunier Riemen und Leinen gehandhabt? Wußte er nicht aus eigener Erfahrung, wie eine Harpune geschnitten sein muß, um mit dem rechten Schwung in den Walfisch zu stoßen? Mit jedem Stück, das eingenommen wurde, wuchs seine Sicherheit, und als er endlich die Ladung voll hatte und – behaglich an der Reling lehnend – zusah, wie von einem Frischwasserkahn noch gute 30 Fässer voll auf »Salomons Gericht« hinübergepumpt wurden, da hatte er das ganze Schiff vom Topp zum Kiel, vom Bug zum Heck so klar im Kopf, daß er es ohne Schwierigkeit hätte nachbilden können.

Danach ging er aus, die Hauptmasse seines Schiffsvolkes anzumustern: Daniel Puttfarken als ersten und Jakob Swien als zweiten Steuermann, die Harpuniere, Bootsmann, Schiemann, Matrosen und Leichtmatrosen, Böttcher, Barbier, Küchenjungen und Kajütswächter. Es war aber Sitte, daß der Kommandeur nur 200 Gulden, Steuerleute und Harpuniere 100-150 Gulden im voraus erhielten; sie alle aber hatten großen Anteil an jedem gefangenen Fisch. Das andere Schiffsvolk erhielt festen Monatslohn, solange die Reise währte, und auch noch eine geringe Prämie von jedem Fisch; der Vorleser oder Vorsänger aber erhielt für diesen geistlichen Dienst noch besonders 3 Gulden für jeden Fisch Am 5. Aprilis vereidigte Lorens sein Volk darauf, das Schiff nicht zu verlassen, solange Kiel, Steng, Stag, Mast und Wand noch stände. Drei Tage später ging die Reise los.

Es war aber in diesem Frühjahr, als dem Jahre des Heils 1696, immer noch Krieg zwischen Frankreich und der Koalition von England und den Niederlanden, des Reiches und der habsburgischen Kabinette Lothringen und Savoyen, obgleich immer von Frieden gemunkelt wurde. Da aber im letzten Sommer die Hamburger Grönlandfahrer stark von den Franzosen beunruhigt waren unter dem Vorgeben, daß sie auf Holländer und Engländer fahndeten, so wurden in diesem Jahr die Hamburger Reeder einig, ihre Schiffe nur unter Konvoi fahren zu lassen. Kapitän Mariensen sollte ihn auf dem »Leopoldus primus« führen. Dafür mußten die Reeder für jedes Schiff 100 Mark in Kronen an die Kammer und 100 Reichstaler in Kronen an die Admiralität zahlen. Es war aber die Disziplin auf diesen Konvoischiffen sehr scharf: morgens und abends Gottesdienst, Sonntags Predigt und Kommunion von dem Konvoi-Prediger, dem Domine. Trunk, Zank, Lästern oder Fluchen zog schweren Arrest nach sich. Wer einen andern freventlich verletzte, wurde einmal kielholt; wer aber auf Wache schlief, dreimal; wer sein Messer auf einen andern zückte, dem wurde die linke Hand mit dem Messer an den Mast genagelt. Würfel und Weiber wurden an Bord nicht geduldet.

Der Kommandeur des Konvoischiffes befehligte nicht allein dies Schiff, sondern die ganze Flotte der Grönlandfahrer, die unter seinem Schutz stand; das waren 52 Schiffe. Kapitän Mariensen aber war einer, der sich lieber daran machte, den Flutstrom in der Elbe totzusegeln, als nur einen halben Tag unnütz in Hamburg zu verliegen. Als der von ihm bestimmte Ausreisemorgen dämmerte, blies der Wind steil aus Westen und brachte dicken Nebel mit, und wenn man auch sagt: Ost ist die Lübecker ihr Trost – West ist die Hamburger ihr Best – so gilt das doch umgekehrt von der Heimkehr, nicht von der Ausreise. Dazu der Nebel –!

»Ausgeschlossen, dabei die Elbe hinunter zu kommen,« sagte jeder, der nur die Nase über Deck steckte; »man sieht ja nicht bis zum Großmast.«

Aber Kapitän Mariensen war anderer Ansicht.

»Westwind und Mist – hat Ostwind in der Kist. Wenn wir heute die Elbe hinunter kommen, haben wir morgen das Land klar von Deck in Sicht. Ostwind ist Königskind.«

Er ließ den blauen Peter setzen und damit das Zeichen zur Ausreise geben. Da war es denn nun ein stolzer Anblick, wie einer der Riesenvögel nach dem andern die Flügel breitete und den Hafen verließ. Aber dann krebsten sie nur mühsam die Elbe hinab gegen den dunklen West an, und andern Tags zeigte sich, daß Kapitän Mariensens Mist getrogen hatte. Es gab keinen königlichen Ostwind, sondern aus dem dunklen West wurde ein biestiger Nordwest, der schier die ganze Flotte in die Elbe zurückdrücken wollte. Das Schiffsvolk murrte. Lorens fand es geraten, sich oft an Deck zu zeigen. Er war froh, daß sie unter Konvoi fuhren, so hatte er guten Grund, die Zügel straff zu ziehen. Unter Konvoi fahren, das galt fast so wie unter Kriegsrecht stehen. Wehe dem, der da zu mucken wagte!

Auf der Höhe von Sylt hatte Lorens seine Flagge dippen wollen, um Inge zu grüßen. Aber sie hielten so fern wie möglich vom Wall; von Sylt war nichts zu sehen, denn eine peitschende Bö fiel zwischen Schiff und Insel ein, und in der Erregung des Kampfes erschien Lorens sein eigener Gedanke lächerlich. Inge – wie fern lag die Erinnerung an warme heimelige Winterabende, an das leise, süße Gluten des Blutes. Jetzt stand Lorens wieder unter der Herrschaft des nordischen Frühlings – die Masten bogen sich knarrend; gegen die straffgewölbten Segel prasselten erbsengroße Hagelkörner und überschütteten im Augenblick das ganze Deck mit glitschigen Massen. Liebe –? Pah – Kampf war die Losung! Und er forderte den ganzen Mann.

Als sie auf dem 62. Grade angelangt waren, nahm der »Leopoldus primus« seinen Abschied mit dem Bedeuten, daß sich um den 15. August herum an gleicher Stelle alle die treffen sollten, die dann an Hitland vorüber Kurs dem Vaterlande zu setzen wollten. Dann war die Grönlandflotte vogelfrei, und jeder Kommandeur Herr auf seinem Schiff. Nun aber fühlte Lorens der Hahn schon keine Bange mehr vor der Verantwortung, die auf ihm lag. Breit und stattlich trat er auf und leitete ohne Scheu die Verhandlungen über die Verteilung der Arbeit unter das Schiffsvolk. Er war es nun, der mit kurzem Wort den Ausschlag gab, wenn Steuerleute und Harpuniere sich nicht einigen konnten, und er setzte in aller Ruhe seine Meinung auch gegen Daniel Puttfarken durch, der dem Alter nach fast hätte sein Vater sein können.

Sie ließen sich vom Golfstrom nach Spitzbergen mitnehmen und kamen bis zum 76. Grade hinauf, ehe sie nennenswert Eis in Sicht bekommen hatten. Dauernd steckte das Schiff die Nase in den Nebel und schnüffelte darin herum; mit den Augen konnte man rein gar nicht eindringen. Kein Fisch ließ sich blicken, nur der Nordost heulte aus seinen Windpfeifen. Endlich machten sie auf der mittleren Höhe von Spitzbergen an einem großen Eisfelde fest, und zwei Tage später fingen sie ihren ersten Fisch. Es war ein gewaltiges Tier, das an die sechzig Quartelen Speck gab, und ihre Freude war groß. Lorens kargte nicht mit der Ranzion, aber seine Augen funkelten, als hätte er den ganzen Branntwein allein ausgesoffen. Sein Kommando sprang nur so über Deck, und als der Küchenjunge gegen ihn anrannte, weil er den Hund verfolgte und deshalb den Kommandeur nicht sah, gab Lorens ihm nur in aller Gelassenheit eine Kopfnuß und ließ ihn laufen.

Als sie den Fisch binnen hatten und einen Tag darüber schliefen, wurden sie vom Eise eingeschlossen und nicht weit von ihnen zwei Bremer und ein Däne ebenfalls. So lagen sie den ganzen Junius hindurch fest. Es geschah ihnen nichts, weil kein Zug im Eise war, nur konnten sie nicht fischen, obgleich sie mehrfach aus der Ferne Wasserstrahlen aufsteigen sahen. Gegen Ende des Juli erst kamen sie wieder frei, und erfuhren alsdann von den Schiffen, die ihnen entgegenkamen, daß im Osten nichts los wäre, hingegen wohl hundert Schiffe besetzt und gegen dreißig schon im Drängen des Eises verloren gegangen. Da entschloß Lorens sich – obgleich Daniel Puttfarken darüber den Kopf schüttelte – nach Süden auf Island zu Kurs zu nehmen, was er auch tat und was ganz verkehrt ausfiel. Denn der Osten öffnete sich hernach, und es wurden allda noch viele Fische gefangen, während es an Island mit anhaltendem Nordost nicht viel zu tun gab. Sie fischten ein totes Einhorn aus der kalten Strömung, die von Nordost nach Südwest viel Treibeis mitbrachte. Der Speck füllte kaum ein paar Quartelen; die Mallemucken und Haifische hatten schon ihr Teil vorweg genommen. Aber der Fisch hatte einen stattlichen Zahn von weißem Bein, der wohl einen Handelswert von 150 Talern haben mochte. Ein paar Quartelen füllten sie auch mit Walroßspeck, als sie auf einer großen Schotse eine gute Herde dieser Tiere trafen, alte und junge beisammen schlafend. Sie schnitten ihnen den Paß ab, indem sie sie zu dreißig Mann einkreisten und dann ein bei ein aufwecken wollten. Das erste Tier fing aber gleich an, gewaltig zu bellen. Davon erwachten die andern und setzten sich zur Wehr, so daß sie hart zu töten waren. Endlich Anfang August trieb ihnen noch ein loser Weißfisch zu. Das ist ein Fisch, in der Gestalt dem Walfisch ähnlich, aber weißgelblich und hat nur ein Blasloch. Sein Speck ist ergiebig, aber mürbe, daher eine Harpune leicht ausreißt. Gewöhnlich kommt dieser Fisch nur in Südeisjahren häufiger vor und sonst nie um diese Jahreszeit noch westlich von Spitzbergen.

Alles in allem brachte Lorens an die 150 Quartelen Speck heim und freute sich noch seines Glücks, als er am Sammelplatz der Flotte erfuhr, daß von den 52 Schiffen, die im Frühjahr von Hamburg ausgereist waren, nur 39 heimkehrten; 13 Hamburger waren im Eise verloren gegangen.

»Kommen wir doch mit dem Schiff heim!« Das entschlüpfte ihm fast gegen seinen Willen, aber Daniel Puttfarken sog doch etwas verstimmt an seiner Pfeife.

»Jee –« er sog auch an den Worten, als hätte er selbst nicht recht Luft; »mit den Fischen ist es wie bei uns mit den Enten im Herbst, Kommandeur: man muß die rechten Plätze kennen und dann abwarten. Kommen sie, dann kommen sie; kommen sie nicht, dann ist da auch nichts zu machen. Das Nachlaufen hat allerwege keinen Zweck.«

David Worms der Jüngere aber und fein Schwager und Teilhaber Jan Jasper de Rüscher waren es wohl zufrieden, daß Lorens ihnen »Salomons Gericht« unbeschädigt heimbrachte. So hatten sie nur ein Schiff in diesem schlimmen Jahr verloren, »de dree Helden Davids«, das nicht viel getaugt hatte und zum erstenmal ganz nach neuester Mode versichert gewesen war. Die andern Schiffe brachten zum Teil guten Gewinn mit. So konnten Worms und Rüscher wohl zufrieden sein und waren es auch. Lorens wurde mit den andern Kommandeuren zusammen aufgefordert, seinen Anteil an einem bestimmten Tage selbst abzuholen. Als er sich in dem Landhause David Worms des Älteren zu diesem Zweck einstellte, fand er dort eine erlesene Gesellschaft, und das jüngste Enkelchen überreichte ihm feierlich den Lohn seiner Mühen: einen Becher voll blanker silberner Talerstücke; der Becher selbst aber war ebenfalls aus schwerem getriebenen Silber.

»Nehmt ihn als Handgeld zum nächsten Sommer,« sagte David Worms lächelnd, aber Lorens hörte kaum auf ihn. Staunend sah er auf das Kind in schwerem seidenen Küraß und Reifrock wie eine große Dame. Es mochte kaum drei Jahre alt sein und trug sein blondes Haar wie ein Krönchen auf dem Haupt. Nun legte es zutraulich seine Hand auf die des Mannes wie auf einen Tisch.

»Sieh, wie klein sie ist,« sagte Lorens leise, und das Kind sah zu ihm auf und lachte.

»Hebe mich hoch, dann bin ich so groß wie du.«

Fragend sah Lorens zur Mutter des Kindes hinüber. Sie war eine pikante Blondine mit dunklen Wimpern über graublauen Augen. Lorens sah ihren Reifrock, ihre Spitzen und blitzenden Schmucksachen. Er ahnte nichts davon, wie schön sie war, aber sie selbst wußte es sehr genau und deutete seine bewundernden Blicke auf ihre eigene Art.

»Wollt Ihr nicht des Kindes Bitte erfüllen, Herr Petersen?« fragte sie holdselig lächelnd.

»Ich fürchte, es zu erdrücken,« antwortete er ehrlich.

Da lächelte sie noch verführerischer.

»So seid unser Gast für diese Woche, damit Ihr Euch an das Kind gewöhnt.«.

David Worms des Jüngeren Stirn verdunkelte sich, aber Lorens bemerkte es nicht.

»Danke Euch, Frau David Worms,« sagte er und drückte heftig ihre Hand; »das wäre wohl zu viel. Fremder Gast ist gleich dem Fische, er stinkt am dritten Tage. Auch muß ich sehen, heimzukommen; meine Braut wartet.«

Hochmütig-wandte sich die junge Frau ab und rieb empfindlich ihre rot aufgelaufene Hand. Jan Jasper de Rüscher aber schlug Lorens derb auf die Schulter:

»Habt recht, Mann; besser ist eigene Kinder zu wiegen.« –

Den Sommer über, in harter Kälte und schwerer Arbeitsspannung, hatte Lorens kaum Zeit gefunden, an Inge zu denken. Erst als sie auf der Heimreise wieder die Höhe von Sylt erreicht hatten, und die lauere Luft ihn schmeichlerisch umwehte,, war ihm ihr Wesen wieder lebendig geworden. Ungeduldig sehnte er sich nach ihren weichen Armen und den süßen Küssen ihres frischen Mundes, nach ihrem Lachen und dem Klang ihrer Stimme. Da sprangen ihm nun die zarte Berührung des lieblichen Kindes und das lockende Lächeln der jungen Frau Worms wie Funken ins Pulverfaß.

An diesem Abend ging er nicht an Bord zurück. Er lief durch die Hafenkneipen, trank aber nicht viel, denn kaum hatte er sich hinter den Tisch gesetzt, so trieb ihn die Unruhe schon wieder hoch. Endlich traf er auf Daniel Puttfarken, fand aber auch bei ihm keine Ruhe. Als er nach dem ersten Glase Wein wieder aufbrechen wollte, hob sich auch der Steuermann mit Mühe vom Sitz.

»Geht Ihr schon fort, Kommandeur? Dennso komme ich mit.«

»Ich gehe nicht gleich an Bord,« gab Lorens unwirsch zurück.

»Dann wo anders hin,« gab Daniel Puttfarken gleichmütig zurück. »Jee, dazu habe ich nun keine Lusten mehr, aber wenn Ihr gerade viel Geld in der Tasche habt, Kommandeur, dann laßt wenigstens das mit mir an Bord gehen. Es geschieht oft dergleichen auf See, sagte der Seehund, da wurde er ins Auge geschossen.«

Daniel Puttfarken blinzelte anzüglich, denn so ganz nüchtern war er doch nicht mehr. Aber Lorens vertraute ihm doch seine blanken Taler an. –

Auf dem silbernen Becher, den die kleine Maria Worms dem Kommandeur von »Salomons Gericht« überreicht hatte, befand sich in der Mitte eines getriebenen Kranzes von Blumen und Früchten ein blankes Schildchen. Dahinein ließ Lorens von einem Goldschmied den Namen Inge einschneiden, genau in den schönen steilen Buchstaben der alten Bibel, aus der Jens Grethen ihn sowohl als auch Inge das Lesen gelehrt hatte. Er zeigte den Becher mehreren Bekannten, als er mit etwa siebzig bis achtzig andern Grönlandfahrern zusammen von Hamburg aus heimreiste. Danach war der Becher verschwunden. Lorens wollte kein Wesens davon machen, denn die auf dem Fährschiff waren allemann Sylter, und auf Sylt galt ein Diebstahl für ehrloser als ein Totschlag. Aber er konnte doch nicht unterlassen, Inge davon zu erzählen. Es wurmte Inge mächtig, und sie dachte Tag und Nacht darüber nach, wie sie wohl den Becher wieder bekommen könnte.

Nun gab es in dieser Zeit in Morsum einen berühmten Hexenmeister. Er hieß Jappe Gyden. Einen Vater hatte er nie gehabt. Gyde, seine Mutter, hatte ihn aus dem Watt gefischt; auch sie war schon eine Hexe gewesen. Jappe sagte man nach, daß er Diebe herausbringen könnte und sie zwingen, das Gestohlene wiederzugeben. An diesen Jappe mußte Inge denken, so oft sie an den Becher dachte, und das war fast Tag und Nacht. Sie mochte kaum mehr essen, und konnte nicht mehr schlafen, so sehr lag ihr der Becher im Sinn. Mit Lorens mochte sie nicht mehr darüber sprechen. Er hatte den Becher schnell vergessen, zählte nur immer seine blanken Taler und lief bei allen Zimmerleuten der Insel umher, um zu erkunden, wie oft er noch fahren müßte, ehe er sich ein Haus nach seinem Sinn bauen könnte.

Endlich konnte Inge ihre Begierde nach dem silbernen Becher nicht länger mehr bemeistern. An einem warmen Herbsttage, an dem Lorens mit ihrem Vater noch einmal auf Fischfang gefahren war, machte sie sich heimlich auf und ging zu Jappe Gyden, dem Hexenmeister. Er saß im Sonnenschein vor seinem Hause auf einer Bank und rauchte seine Pfeife. Inge blieb erschreckt stehen – das tat sonst niemand; es sah so sonderbar aus. Zum Sitzen ging man doch ins Haus hinein; wer hatte denn eine Bank außen unterm Fenster? Jappe nickte ihr aber zu, als hätte er sie schon erwartet; da gab es kein Ausweichen mehr.

»Du bist Inge Erk Andresen und willst deinen Becher wieder haben,« sagte er ruhig. Er hatte von dem Diebstahl gehört; schließlich sprach sich so etwas auf der Insel herum. So hatte er Inge wirklich schon erwartet; sie hätte doch kein Frauenzimmer sein müssen, wenn sie solch blankes Spielding ohne Nachforschen hätte aufgeben können. Nun waren bei dem schönen Wetter heute noch eine ganze Menge Schlickrutscher unterwegs, und Jappe hatte von seiner Bank aus deutlich Erk Andresens Kutter mit dem braunen Flicken im weißen Segel erkannt. Es war wirklich keine Hexerei, dies und das zusammen zu reimen. Aber Inge erschien es doch so.

»Komm nur herein,« fuhr Jappe fort; »magst gewißlich nicht beim Hexenmeister vor der Tür stehen.«

Er humpelte voran, und Inge folgte zögernd mit schlagendem Herzen. Draußen lag der warme Sonnenschein in der Luft; drinnen war es dunkel und feuchtkalt, denn das Haus lag tief, und im August noch hatte eine hohe Flut darin gestanden. Jappe ging mit Inge in die Küche; da packte sie ihren Korb aus. Sorgfältig hatte sie vorher erkundet, was der Hexenmeister vor allem schätzte: Butter, frische Eier, ein gutes Stück Schinken, vom Knochen abgelöst, und endlich ein Paar Sohlensocken, die sie selbst aus Grauweb verfertigt und mit festen Ledersohlen versehen hatte.

»Ich meine, sie sollen für den Winter taugen,« pries sie schüchtern ihre eigene Arbeit.

»Das kann wohl sein,« gab er ungerührt zurück und verstaute ihre Schätze in den dunklen Ecken und Verließen der Küche, ohne sich mit Dank groß aufzuhalten. Dann holte er ein Mehlsieb herbei, legte eine geöffnete Schere hinein und darauf einen großen rostigen Schlüssel. So stellte er das Sieb in ein Gefäß mit Wasser, daß Schere und Schlüssel reichlich davon bedeckt waren, und fing an, langsam das Sieb zu drehen.

»Nun nenne mir nacheinander die Namen von allen, denen Lorens den Becher gezeigt hat,« gebot er, und Inge zählte auf: »Manne Jens Grethen – Niggels Jens Grethen – Boy Michel Boysen – Aaners Claasen – Erk Jungpidder Heiken –« aber bei keinem wollte sich der Schlüssel rühren.

»Von diesen ist es keiner gewesen,« erklärte der Hexenmeister bestimmt. »So nenne mir solche, die sonst noch auf dem Schiff waren. Breite aber nicht mehr aus, als gedroschen werden kann, sondern nenne vor allem solche, auf die du einen Verdacht hast, daß sie dich lieber haben als Lorens.«

Inges Gesicht verdunkelte sich.

»Gerson Cruppius,« sagte sie leise, und siehe da – sofort rührte das Sieb in Jappes Hand sich stärker und der Schlüssel drehte sich auf der Schere halb um sich selbst. Inge erbebte.

»Das sieht verdächtig aus,« meinte der Hexenmeister gewichtig und senkte die lange Hakennase über das Wasser. »Nenne noch andere Namen – ein bei ein – zwischendurch immer wieder Gerson Cruppius – wir wollen sehen –«

Und sie sahen – sahen – Inge mit immer steigendem Grauen, daß bei allen andern Namen der Schlüssel ruhig auf der Schere liegen blieb, bei dem Namen Gerson Cruppius aber das Sieb immer stärker zuckte und der Schlüssel sich immer lebhafter rührte; endlich rutschte er sogar ganz von der Schere hinunter.

»Ich kann das Sieb auch kaum mehr halten,« seufzte Jappe und legte es auf den Rand der Schüssel. »Daß Gerson der Dieb ist, steht nun fest. Aber nun handelt es sich darum, wie wir den Becher wiederbekommen.«

Er beugte sich über das Wasser und sah angestrengt hinein, während er das Sieb leise schüttelte; nach einer Weile seufzte er noch einmal.

»Jee, Inge, das tut mir nun leid, aber ich sehe deutlich, daß er den Becher noch draußen auf dem Schiff aus Lorens' Sack nahm und in den eigenen steckte. Da kann ich dir nun nicht helfen. Über Diebsgut, das auf dem Wasser gestohlen oder sonst über Wasser gegangen ist, habe ich keine Macht mehr. Aber vielleicht kannst du selbst im Wasser sehen, wo er mit dem Becher abgeblieben ist.«

Atemlos beugte sich nun auch Inge über das Gefäß. Der schwere Torfqualm vom Herde her beklemmte sie – dazu das Grauen, das ihr immer näher ans Herz kroch –

»Sieh recht genau hin,« sagte Jappe und rüttelte stärker an dem Sieb, so daß Inge Schlüssel und Schere kaum mehr unterscheiden konnte; »du mußt den Schlüssel im Auge behalten.«

»Mir wird schwindlich,« antwortete Inge.

»Das ist gut, so wirst du bald sehen, was du sehen willst. Denke immer nur an Gerson, an sein Haus – weißt du, wie der Weg dort geht?«

»Wohl weiß ich das,« antwortete Inge halb bewußtlos; »südnord geht er, auf Archsumburg zu.«

»Wer geht? Vielleicht Gerson selbst?«

»Ja – nein – ich weiß nicht – ja, er geht nach dem Burgwall und hebt den Düt von einer Bergentenhöhle –«.

»Genug,« sagte Jappe schnell und ließ das Sieb nun ganz ins Wasser fallen. »Es ist ganz klar: er hat den Becher am Burgwall versteckt oder vergraben. Ja, da kann ich dir nun nicht helfen.«

Inge saß noch einen Augenblick wie betäubt, dann richtete sie sich entschlossen auf.

»Lorens kann ihn suchen.«

»Das wird nichts nützen. Diebsgut versinkt, je mehr ihm nachgegraben wird. Da müßte schon einer kommen, der den Platz genau kennt, der nur die Hand in die Erde steckt und gleich den Becher greift.«

»So muß ich es also selbst tun.«

»Du?« rief der Hexenmeister aus; »wie willst du den Platz denn finden?«

»Ich habe ihn doch gesehen –« Inge schloß die Augen; »ich sehe ihn auch jetzt noch – ganz deutlich – ich werde sogleich dorthin gehen.«

»Damit würdest du alles verderben,« antwortete der Hexenmeister ärgerlich; »wenn du es tun willst, dann muß es bei Neumond sein und um Mitternacht. Du darfst aber niemand bei dir haben und niemand vorher davon wissen lassen. Ich täte es nicht, wenn ich an deiner Stelle wäre,« fügte er eifernd hinzu; »es ist sehr, sehr gefährlich, in solcher Nacht draußen zu sein. Auch die Unterirdischen werden böse, wenn man sie stört.«

»Die Unterirdischen haben mir noch nie etwas getan,« sagte Inge zuversichtlich; »und das kam so: als meine Mutter noch lebte, nahm sie mich abends oft mit, wenn sie zu den Schafen hinausging. Da fanden wir bei Tinnumburg einmal eine zerbrochene Schaufel. Die haben die Unterirdischen uns auf den Weg gelegt, sagte meine Mutter; geh, laß uns einen Nagel für sie holen. Wir gingen zum Schmied und ließen uns einen Nagel geben; den legten wir auf die Schaufel. Als wir hernach vom Melken zurückkamen, waren Schaufel und Nagel verschwunden; statt dessen lag ein Kuchen an der Stelle. Den habe ich gegessen, und seitdem tun mir die Unterirdischen nichts. Ja, ich werde hingehen. Bei Neumond, sagtest du? Wohl, ich werde es nicht vergessen. Und um Mitternacht – ganz allein –«

»Dies ist nur der Anfang,« bestätigte Jappe Gyden widerstrebend. »Es ist noch anderes dabei, das darf ich dir aber nicht sagen, sondern du mußt es von selbst wissen. Es ist sehr schwer. Mach mir hinterher nur keine Vorwürfe, wenn du den Becher nicht findest.«

»Ich werde ihn finden,« sagte Inge zuversichtlich; dann ging sie. –

Bis Neumond waren noch zehn Tage. Inge lebte sie wie im Fieber. Jeden Abend, wenn sie ins Stroh kroch und die Bettüren hinter sich zuzog, packte sie das Grausen, wenn sie daran dachte, daß sie bald statt dessen das sichere Haus verlassen und in die dunkle Nacht hinauswandern sollte. Dann schlugen ihr die Zähne wie im Frost zusammen. Aber stärker noch als das Grausen war in ihr die Begierde nach dem Becher. Die zog sie – je kleiner der Mond wurde – desto unbarmherziger aus Bett und Haus. In den letzten beiden Nächten konnte sie es vor Unruhe schon kaum mehr aushalten, aber als dann die Neumondnacht kam, wurde sie wieder ganz ruhig. Am Abend war Lorens bei ihr gewesen; sie hatte ihn geliebkost, wie sie selten tat.

»Hast mich auch lieb, Lorens? Denkst du wohl noch an den Becher?«

»Manchmal – dann ärgere ich mich. Deshalb denke ich lieber nicht daran.«

»Ich denke aber daran, und denke, daß Gerson Cruppius ihn nahm.«

Lorens bewegte unbehaglich die Schultern.

»Er verfolgt mich nicht mehr; er weicht mir aus,« gestand er; »aber wir wollen kein Geschrei davon machen. Wenn er ihn nahm, tat er es, damit ich ihn dir nicht schenken konnte. Gewiß hat er ihn vergraben; wir würden ihn nicht bei ihm finden.«

Damit war Lorens dann gegangen, und bald darauf waren Vater und Brüder in die Betten gestiegen. Inge wartete noch, bis sie sicher schnarchten, dann rüstete sie für ihren Gang. Sie nahm den alten Mantel ihrer Mutter und das enge Käppchen. Dann griff sie nach ihrem Psalmbuch; das wollte sie als Waffe gegen alle bösen Geister benutzen.

»Mutter,« bat sie leise; »steh mir bei!« Und sie meinte einen kühlen Hauch zu fühlen, der sie ganz einhüllte.

Die Nacht war unwirtlich, kalt, und naß. Stöhnend wälzte sich ein schwerer Nordwest von der Norderheide herab über die tieferliegenden Dörfer. Knarrend rieb sich der Holunder an der Hauswand. Inge schlich den Graben entlang, obgleich er nicht ganz leer war. Sie duckte sich tief hinein, als ein Trupp wilder Dunkelläufer schreiend und lärmend auf dem Wege an ihr vorüberzog. Sie sah Lichter in einiger Entfernung an einer Stelle, wo doch kein Haus stand, sah Schatten vorüberfliegen, und doch keine Menschen dabei. Ihr Grauen wuchs, aber der Zwang, den Becher zu holen, nahm noch stärker zu.

Als sie den Burgwall von Archsum erreicht hatte, war die Nacht vollständig finster geworden – kein Stern zu sehen. Inge lauschte, ob ihr der Nordwest vielleicht die Stimme der Keitumer Kirchenglocke zutrüge – vergebens.

»Mutter –« flüsterte sie beklommen; »Mutter, wie spät ist es denn? Und – Mutter, wo soll ich nur suchen? Ich weiß doch nicht, an welcher Seite die Höhle war.«

Da hörte sie – wie zur Antwort – einen schweren Schritt auf dem Wege. Unwillkürlich schmiegte sie sich eng an den Wall. Jetzt sprang das Grausen plötzlich mit voller Gewalt wieder in ihr auf. Sie zitterte an allen Gliedern. Wie hatte sie es nur wagen können, um Mitternacht hierher zu gehen!

Die Schritte kamen näher. Indem sie ihre Augen aufs äußerste anstrengte, erkannte Inge die Gestalt eines Mannes, der nun vom Wege ab und auf sie zu bog. Was wollte er am Burgwall? Nur wenige Schritte von ihr entfernt kniete er nieder, hob den Sodendeckel von einer Bergentenhöhle, griff hinein – da sprang Inge hinzu und faßte den Gegenstand, den er soeben aus der Erde zog.

»Gib mir den Becher, Gerson Cruppius; er ist mein.«

Stöhnend sank der Mann in sich zusammen.

»Mutter – Mutter, ich bin kein Dieb –«

Inge achtete nicht auf ihn. Sie rieb den Becher an ihrem Mantel und tastete daran herum, bis sie die eingeschnittenen Buchstaben fühlte, von denen Lorens ihr gesprochen hatte.

»Inge!« flüsterte sie in seliger Freude.

»Ja – Inge –« klang es heiser zu ihren Füßen; »ich kann nicht mehr ohne sie leben! Aber Inge –«

»Ich habe Lorens lieb, das weißt du wohl,« entgegnete Inge ruhig und löste sich von ihm, der nach ihrem Mantel griff.

»Du auch, Mutter, du auch?« rief der Mann gequält; »ihm sind alle wohl gesonnen – verflucht aber bin ich –«

Er raffte sich auf und taumelte fort. Inge blieb allein mit dem Becher in der Hand. Sie küßte ihn und küßte ihr Psalmbuch.

»Ich danke dir, Mutter,« sagte sie in Ehrfurcht; dann machte auch sie sich auf den Heimweg.

Den Rest der Nacht hindurch trieb Inge im Bett mit ihrem Becher kindisches Spiel. Sie drückte ihn an ihre warme Brust, bis er selbst auch warm wurde; dann rieb sie ihn mit dem wollenen Bettzeug, küßte ihn, putzte ihn, wieder und wieder. Als endlich die Sonne aus der Himmelstür trat und Inge den Becher in ihrem Licht beschaute, glänzte und blinkte er, als wäre er soeben aus der Hand des Goldschmiedes hervorgegangen.

Am Abend zeigte sie ihn Lorens. Er griff mit beiden Händen danach, hielt ihn ans Herdfeuer, drehte ihn um und um, nach dem Schildchen mit dem eingeschnittenen Namen suchend, und da er es fand, wußte er erst recht nicht, was er dazu sagen sollte. Als Inge ihm alles erzählte, erschrak er bis ins Herz hinein.

»Um Gott – Inge, wie konntest du?«

»Mutter stand mir bei, Lorens, ich habe kaum einen Augenblick Angst gehabt. Aber nun wollen wir Vater auch den Becher zeigen; er weiß noch nichts.«

Erk Andresen erschrak nicht weniger als Lorens.

»Hättest du mir nur vorher davon gesprochen!«

»Dann würdet ihr es mir verboten haben,« antwortete Inge lachend. »Freut ihr euch denn gar nicht, daß wir den Becher nun haben?«

Doch, das taten sie. Allmählich kam auch bei dem Alten die Freude durch. Sie saßen lange in der warmen Küche beisammen, ließen den Glanz des Bechers im Feuerschein spielen, fragten und sprachen immer wieder Inges Erlebnisse durch. Spät war es, als Lorens endlich aufbrach, und da es ein stiller Abend war, kam Erk Andresen auch mit vor die Tür.

»Schönes Wetter,« sagte er behaglich. »Andrees wollte vontage noch einmal nach der Groop hinaus. Kann sein, daß er uns auch ein paar frische Fische bringt.«

Die jungen Leute hörten nicht auf ihn. Sie standen noch innerhalb der Tür, und die Dunkelheit des Hauses hüllte sie ein. Inge legte ihre Arme zärtlich um ihres Liebsten Hals.

»Freust du dich? Freust du dich auch wirklich, Lorens?«

Er antwortete nicht, sondern küßte sie nur – immer heißer, bis der Vater ihn rief.

»Lorens, sieh – was ist das für ein Licht?«

Halb widerstrebend traten die jungen Leute zu ihm hinaus.

»Ein Licht, Vater?«

»Unter Hörnum; siehst du es nicht?«

»Ein Stern,« meinte Inge, aber die Männer hatten für solch weiberhafte Erklärung keine Ohren.

Angestrengt schaute Lorens nach Süden.

»Ich sehe nichts,« sagte er endlich.

»Aber es kommt doch näher – so schnell wie kein Schiff kommen könnte,« rief Erk Andresen erregt. »Seht doch – nun unter Rantum – oha, das Wadenssiel herauf –«

Seine Stimme sank. Er packte Lorens am Arm und deutete – deutete ins schwarze Nichts hinein. Lorens schwieg.

»Das ist Vorspuk, Vater,« flüsterte Inge zitternd; »wo seht Ihr es nun?«

»Es steigt an Land,« antwortete er leise; »es kommt herauf – sieh – seht doch –!«

Er wich zurück, als käme das, was er sah, geradeswegs auf ihn zu. Dann wandte er sich, trat auf den Weg hinaus, legte die Hand über die Augen und schaute nach Nordost hinauf. Lorens kroch ein Schaudern über den Rücken; er fühlte, wie Inge in seinen Armen immer heftiger zitterte.

Da seufzte Erk Andresen tief auf, als ließe die Anspannung nach, und kam zu ihnen zurück.

»Habt ihr euch erschrocken, als es so nahe kam?« fragte er, und seine Stimme klang wieder so natürlich, daß die jungen Leute erleichtert aufatmeten; »ich sah es noch den Keitumer Kirchweg hinauftanzen. Gott gebe, daß es nichts Schlimmes bringt! Uuha« – er gähnte – »bin ich müde! Gute Nacht zusammen!«

Damit ging er ins Haus, und sie hörten, wie er die Bettüren aufschob und mit dem Bettstock das Stroh plusterte; dann wurde es still.

»Sahst du etwas, Lorens?« fragte Inge leise; »ich habe nichts gesehen.«

»Ich auch nicht,« antwortete Lorens bedenklich; »kann Vater vorsehen?«

»Weiß nicht – so war er noch nie; wenn es nur nichts Schlimmes bedeutet! Jey Erken – die Großmutter, weißt du? – die sah einmal etwas – ich weiß nicht, was. Aber danach haben durch Jahre bei ihnen die Bettüren offen gestanden – immer war eins krank im Hause.«

Lorens schüttelte sich. Er dachte ungern an den langen Heimweg im Dunkeln, aber Inge mochte sich auch nicht von ihm trennen, die Angst trieb sie in seine Arme. So blieben sie unter der Tür stehen, bis die Brüder heimkamen und Lorens mit Hallo begrüßten.

»Wir bringen dich auf den Weg.«

»Sage ihnen nichts; sprich mit niemand darüber,« flüsterte Inge beim letzten Kuß. –

Zwei Tage später kamen Andrees Erken und Johannes Cruppius vom Fischfang zurück. Zu dritt waren sie ausgefahren, nur zwei kamen heim. Bleich und verstört saß Andrees Erken bei seinen Leuten in der Küche.

»Wir hatten Gerson mitgenommen,« berichtete er; »ich wollte, wir hätten es nicht getan. Er war den ganzen Tag wunderlich; gegen Abend wurde er immer unruhiger. Mutter ruft; hörst du es nicht, Johannes? fragte er. Aber Johannes hörte nichts. Kann man wohl auf dem Wasser gehen? fragte er dann weiter. Jee – sagt Johannes, ich nicht, aber Petrus konnte es. Auch man halb, sage ich; nachher mußte ihn Jesus Christus doch auffischen. Da sagt Gerson: ja, ja, Mutter, dann will ich wohl kommen – steigt über Bord, geht ein paar Schritte, dann war er fort.«

»Geht ein paar Schritte –« wiederholte Inge wie erstarrt.

»So wahr mir Gott helfe!« sagte Andrees feierlich; »Johannes hat es auch gesehen: geht ein paar Schritte, dann war er fort – uha, ich mag es nicht Anna sagen.«

Sie schwiegen alle. Gerson Cruppius war auf See geblieben – es blieben manche und – er lag uns allen quer im Fahrwasser, dachte Erk Andresen. Aber vor seinem Tode war Gerson auf dem Wasser gegangen wie Petrus, der Jünger des Herrn. Geht ein paar Schritte – so wahr mir Gott helfe – darüber vergaß der Alte, was er selbst gesehen hatte, und Inge erinnerte ihn auch nicht daran.

Noch ein Tag ging vorüber, dann trieb die Leiche des Ertrunkenen auf Hörnum an. Andrees Erken und Johannes Cruppius fuhren aus, sie heimzuholen. Als sie aber auf der Rückfahrt unter Rantum waren, dachten sie, daß das Wasser zu schnell fallen würde, als daß sie um Morsum Nösse auf Keitum segeln könnten. So nahmen sie Kurs auf Tinnum und machten im Wadenssiel fest. Andrees ging zu seinem Vater nach Pferd und Wagen. Dann fuhr er den Toten an seines Vaters Haus vorüber den Keitumer Kirchenweg hinauf. Der Alte schaute ihm nach, aber erst, als ihm der Wagen wieder außer Sicht war, fiel ihm das Lichtermännchen ein, das den gleichen Weg hinaufgetanzt war; an dem Abend, da Gerson Cruppius dem Ruf seiner Mutter folgte – auf dem Wasser ging und versank.

»So wird sie ihn wohl erlöst haben und er wird Ruhe im Grabe finden,« schloß Erk Andresen, als er ein paar Stunden später mit Lorens und Inge darüber sprach. –

Danach ging der Winter seinen ruhigen Gang. Lorens mischte sich nicht mehr unter die Jungmänner, die nachts in Heide und Dünen ihr Wesen trieben. Abend für Abend saß er bei Inge in der Küche, rauchte seine Pfeife und stand danach noch lange Zeit im Dunkel mit ihr unter der Tür. Ihm war friedlich zumute. Seine Augenlider sanken halb herab vor lauter Behagen, wenn er so in der warmen Küche saß und ihr zusah, wie sie um das flackernde Herdfeuer herumwirtschaftete. Die Brüder gingen ihre eigenen Wege – es war nun klar, daß sie wahrhaftig Moy und Ose freien wollten. Der Vater pöselte in Stall und Scheune herum, bis Inge ihn zum Abendbrot rief. Die Sehkraft seiner Augen nahm allmählich ab; desto besser fand er sich nun im Dunkeln zurecht. Ihm war im Winter zwischen Tag und Nacht kein großer Unterschied mehr, und das Vieh war es gewöhnt, daß er so herumpöselte. So waren die jungen Leute meist allein. Inge wirtschaftete um Lorens herum und redete dabei an ihn hin, aber das Fragen gewöhnte sie sich immer mehr ab, denn je wohler er sich fühlte, desto seltener bekam sie ein Ja oder Nein aus ihm heraus. Es störte sie aber nicht; sie wußte schon, was er dachte.

Als es im Frühjahr ans Abschiednehmen ging, löste sich seine Zunge.

»Wenn es nur mehr Fische geben möchte,« sagte er; »so kommen wir nicht voran mit dem eigenen Haus. Wir werden wahrhaftig eher ins neue Jahrhundert als in den Ehestand einlaufen!«

Sie legte die Arme um seinen Hals.

»Mußt richtig fahren, Lorens,« sagte sie schelmisch; »verkehrt fahren kann jeder.«

»Ja, auf Island!« gab er zu; »das tue ich auch nicht wieder. Immerhin – wir brachten doch das Schiff heim.«

Die Trennung kam und die Ausreise mit Daniel Puttfarken an Bord, genau wie vorm Jahr. Wieder mußten sie unter Konvoi fahren, denn wenn nun der Frieden auch so gut wie sicher war, seitdem Savoyen sich mit Frankreich geeinigt hatte, so ging der Krieg inzwischen eben doch weiter. Admiral Tamm führte diesmal den Konvoi, aber in diesem Jahr wartete Lorens nur ungeduldig auf den Augenblick, von dem an er allein Herr über sein Schiff sein konnte. Jetzt hatte er es ganz fest in der Hand und brauchte keine Rückendeckung mehr.

Im Norden war der Winter sehr kalt gewesen. Ungewöhnlich weit im Süden schon kamen den Grönlandfahrern schwimmende Eisberge von gewaltigen Ausmaßen entgegen.

»Das gibt ein Südeisjahr,« sagte Lorens der Hahn so gleichmütig wie möglich, und Daniel Puttfarken kaute an seiner Pfeife:

»Das mag wohl sein, Kommandeur.«

Und es wurde ein Südeisjahr – so gut wie nur je. Die See ist stark im Geben und im Nehmen. Vorm Jahr hatte sie den Hamburgern dreizehn Schiffe genommen von 52, und ihnen nur 136 Fische gegeben. In diesem Jahr nahm die See nur drei Schiffe und gab den restlichen 51 Schiffen 515 Fische. Das Eis lag so breit, wie Lorens noch nie erlebt hatte, und der Südeisfisch, der Weißfisch kam von Nowaja Semlja herunter weit nach Süden den Grönlandfahrern entgegen. Sie brauchten nur zu nehmen, was Gott ihnen vor den Bug schickte, denn der Südeisfisch ist unschuldiger und zahmer als der Westeisfisch, der Eiländische. Dieser ist der vornehmste, aber so verschlagen, daß es von Jahr zu Jahr schwerer hält, ihn zu jagen.

Mit zwölf guten Fischen im Bauch hatte Lorens die Ladung voll und segelte stolz mit allen Flaggen und Wimpeln über die Toppen gesetzt als erster die Elbe wieder hinauf. Auf der Höhe der Färöer hatte er von einem Engländer erfahren, daß seit Mai schon in Ryswik ein Kongreß der Kriegführenden tagte und die Nordsee nun einigermaßen sicher wäre. Da hatte er nicht auf den Konvoi gewartet, sondern hatte Schiff und Schiffsvolk, Speck und Barten in die Nordsee gewagt.

»Ein Frauenhaar zieht stärker als ein Marssegel,« brummte Daniel Puttfarken, und Lorens lachte.

Vor Sylt dippten sie die Kommandeursflagge, aber nur das Wehen des Dünengrases antwortete ihnen. In Hamburg ließ Lorens sich kaum Zeit für ein paar tolle Nächte, und ehe Inge noch mit der Ernte fertig war, stand er schon eines Abends in der Küchentür und lachte sie an. Der silberne Krug, den er diesmal mitbrachte, faßte dreimal so viel als der Becher vom vorigen Jahr, und als die kleine Maria Worms ihn Lorens überreicht hatte, waren ein paar Talerstücke herabgerollt, so hoch lagen sie geschichtet.

»Junge, was ein Berg!« sagte Inge bewundernd, als er ihr den Kasten zeigte, in dem er seit der Teilung mit den Brüdern sein Geld gesondert aufbewahrte; »davon können wir glatt ein Haus bauen.«

»Warten wir noch ein Jahr,« meinte Lorens; »groß Schiff will viel Wasser haben.«

»Weshalb muß es denn groß sein?« grämelte Mutter Gondel; »und weshalb warten? Wer weiß denn, ob es nächstes Jahr wieder viel gibt?«

Lorens lachte.

»Viel Wenig geben ein Viel, sagte die Mücke, da spuckte sie in die Nordsee. Gibt es im nächsten Jahr nicht genug, so warten wir wohl noch eins weiter.«

Aber das nächste Jahr wurde kaum weniger günstig und schlug für Lorens sogar noch großartiger ein. 140 holländische und 54 Hamburger Grönlandfahrer reisten im Frühjahr aus; jene brachten 1488 und diese 471 Fische heim. Lorens hatte diesmal nur zehn, aber mehr Eiländische als Weißfische gefangen und hatte im Frühjahr gleich aus Vorsicht 50 leere Quartelen mehr als sonst mitgenommen. So gewann er 483 gefüllte Quartelen gegen 437 im vorigen Jahr. Als er danach mit seinem Silberschatz nach Sylt kam, führte er nicht nur Inge, sondern auch den Zimmermann Boy Hinrich Prott vor den Kasten.

»So, Buh Haulken,« sagte er, denn so nannte sich der Zimmermann für den Dorfgebrauch; »so, nun baue unser Haus. Nimm Maß nach Erk Andresens Haus und stelle es mitten zwischen Rantum und Tinnum, damit wir auch unsere Leute besuchen können. Wenn du Geld brauchst, so nimm, und wenn du sonst nicht Bescheid weißt, frage Inge, wie sie das wohl haben mag.«

Da suchte der Zimmermann über Winter eine Stelle für das Haus, und als der Frühling kam, fing er in Westerland-Süderende an zu bauen. Es wurde alles vom besten. Einen Keller legte er unter die Küche, und die Wände baute er auf den ganzen Stein. Nach Süden zu fügte er hinter Stube und Pesel noch eine Kammer an mit schräger Decke über dem Fenster wie eine Schiffskajüte, und einem Bett in der gegenüberliegenden Wand, so breit wie die Kammer selbst und ebenso tief. Da aber durch den Außenbau sich der Silberhaufen nicht wesentlich verringerte, wandte Buh Haulken alle Kunst auf den Innenschmuck. Die Wände der Stube ließ er mit blauweißen Delfter Kacheln auslegen, für Pesel und Kammer aber ließ er einen Maler aus Schleswig kommen. Es hatte sich nämlich vorm Jahr Herzog Friedrich zu Holstein-Gottorf mit der schwedischen Prinzessin Hedwig Sophia vermählt. Zuvor aber hatte er Schloß Gottorf abbrechen und neu wieder auferbauen lassen, um mit seiner Gemahlin desto herrlicher darin wohnen zu können. Den Maler aber, der in dem neuen Schloß seine Kunst so trefflich bewiesen hatte, ließ Buh Haulken über Sommer nach Sylt kommen, damit er ihm helfen möge, den Silberberg des Lorens Petersen Hahn abzutragen. Der malte mit geschicktem Pinsel die Decken und Balken von Pesel und Kammer gar künstlich aus. Er schlang Weinranken und kletternde Rosen über die Balken, und verzierte die tiefer liegenden Deckenfelder im Pesel mit edlen Bildern aus der Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilandes. Er schilderte den Kampf in Gethsemane, den Kreuzestod und endlich die Verklärung, alles aber so würdig gemalt, daß das Haus ein Wunderwerk für die ganze Insel wurde und heute noch ist.

In der Hochzeitswoche vor dem ersten Advent des Jahres 1699 heiratete Lorens Jens Grethen genannt Petersen Hahn – wie auch über der Haustür das eiserne L P H noch heute zu sehen ist – Inge, des Erk Andresen Tochter aus Tinnum und zog mit ihr in dies neue Haus. Damit aber begann für ihn auch ein neues Leben.

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