Helene Böhlau
Kristine
Helene Böhlau

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Dritter Gesang
Sulamiths Leid

          »Was ist es, das herauf von der Wüste steigt
Wie eine Säule feurigen Rauchs,
Und wälzt sich heran wie Staub
Und wie eine Wolke über die Ebene,
Myrrhe wehend und Osterduft?«
*
Die Leibwache Salomos:
  »Siehe, es ist Salomos Wagen,
Ganz umringt von seinen Helden,
Helden aus Israel!
Jeder zwiefach bewehrt,
An der Hüfte das Schwert,
Daß er steh' und fechte
Gegen das Grauen der Nächte.
 
Sulamith
im Wagen Salomos:
  Weh mir!
Geliebter! wo weilst du?
Zeuch mich dir nach,
Daß wir zusammen enteilen! 282
 
Die Leibwache Salomos:
  Helden aus Israel!
Jeder bewehrt,
An der Hüfte das Schwert,
Den König zu schützen,
Den König von Israel!
Ihn! und seines Lagers Genossin!
Preise dich glücklich,
Tochter ans Sulem!
 
Sulamith
im Wagen Salomos:
  Unselige ich!
 
Volk:
  Tretet heraus, ihr Töchter von Zion,
Salomos Wagen zu schauen!
Aus Libanons Zedern ist er gezimmert,
Silbern sind seine Säulen,
Golden hanget die Decke darüber
Und die Polster von dunkelem Purpur.
Schaut die Schönste der Schönen,
Ihm zur Seite die Sulamith!
Zur Seite des Königs von Israel!
 
Salomos Gemahlinnen:
  Siehe, lieben muß man dich, Salomo,
Und die Jungfrauen begehren dich.
Süßer als Wein sind deine Liebkosungen,
Und deine Küsse köstlicher als Balsam.
Wohlgerüche strömen von dir, o König,
Und ein Duft ist deines Namens Hauch.
Wahrlich unsere Freude gilt dir, o Herrscher,
Dir allein unser Frohlocken! 283
 
Sulamith
im Palaste Salomos ruhend:
  Ich schlafe – doch wachet mein Herz.
Wie die Gazelle bangt an des Amanas Gipfel,
Auf des Senirs und des Hermon Spitzen,
Der Löwen Gebiet und des Tigers Felsenlager –
Also bangt meine Seele und ruhet nicht.
Es naht mir im Schlafe die Stimme des Lieben:
»Tue auf, meine Liebe, meine Taube,
Meine Schwester, o du voll Unschuld, tu' auf.
Sieh, es lagern tiefe Abendschatten,
Und die Nacht hat sich herabgesenkt.
Feucht vom Taue ist mein Haupt
Und meine Locken vom nächtlichen Dufte.«
– Mein Herz erbebte bei seinem Nahen: –
»Abgetan hab' ich die Gewande,
Wie? soll ich sie wieder umtun?
Gebadet habe ich die Füße,
Wie? soll ich in den Staub wieder treten?«
Da erduftete Myrrhe und Aloe –
Da stand ich auf, dem Geliebten zu öffnen . . . .
Und da ich aufgetan hatte meinem Freunde,
War er fort und hingegangen. –
Es schwanden die Sinne mir,
Und meine Seele entwich ihm nach.
Ich suchte und fand ihn nicht.
Ich rief, und er antwortete nicht.
Auf muß ich, die Stadt durcheilen
Durch nachtdunkele Gassen und Straßen,
Suchen ihn, den meine Seele liebt.
Ich suchte – und fand ihn nicht . . . .
Mich trafen die Wächter, 284
Welche rings die Stadt umgehen,
Sie schlugen mich, schlugen mich hart,
Nahmen den Schleier mir
Auf den Wällen die Wächter.
*
  Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
Bei den Gazellen und den Lilien unserer Fluren,
Wenn ihr ihn findet, den Inniggeliebten,
Sagt, was ich leide um ihn. 285

 


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