Clara Blüthgen
Dilettanten des Lasters
Clara Blüthgen

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196 XII.

– – – – – »und da es nun einmal im Rat der Götter bestimmt ist, daß ich entweder durch Ihre Börse oder durch Ihr Geld leben soll, so gönnen Sie es mir nur, daß ich das erstere ausnutze, so lange die Barschaft in meinem Portemonnaie vorhält. Ach, Doktor, Sie, der Sie von der gemeinen Not des Lebens immer verschont geblieben sind, Sie können es nicht nachfühlen, was das für Unsereins heißt, der nur gelebt hat wie ein Hund, sich nun noch einmal zu den Genießern rechnen zu dürfen. Mir ist zu Sinne, als könnte ich noch einmal die Sterne vom Himmel und alle goldenen Früchte vom Lebensbaum nur so einfach herunterholen.

Es ist eine richtige Hochzeitsreise, die wir uns auf Ihre Kosten leisten, Doktor, ich und meine kleine Frau, die das große Wunder, Frau zu sein, noch immer nicht fassen kann. So auffallend und bei jeder Gelegenheit hat wohl selten eine Frau mit ihrem Trauringe kokettiert wie sie, und wenn sie sagt: Mein Mann, so ist es, als ob sie sich eine Krone aufs Haupt drücke.

Seit zwei Tagen sind wir in Genf seßhaft, und 197 gedenken noch vier Tage hier zu bleiben – ein Steckbrief, den sie hinter uns hersendeten, würde uns also noch hier antreffen.

Aber das thun Sie nicht, Sie sind einsichtsvoll genug, um sich zu sagen, daß jemand, der sein Leben verkauft hat, sich damit zugleich das Recht erstanden hat, noch zu genießen, so lange es angeht. Sie gönnen es der kleinen rührenden Frau, daß sie ihr Eheglück noch ein paar Wochen ausnutzt – mir, daß ich mich noch einmal in dem adligen Hochgefühl des Dichters sonne.

Ja, lieber Doktor, alle die lebendigen Quellen in mir, die die Not vor der Zeit verschüttet hat, werden wieder lebendig, und sie werfen Schätze lauteren Goldes ans Ufer. Noch einmal fühle ich, was ich kann, was ich zu geben habe. Und wenn mitten im Rausch des Schaffens der grimmige Schmerz sich meldet, so erscheint er mir nur wie eine Uhr, die mich daran erinnert, wie rasch die kurz bemessene Zeit verrinnt.

Diese Schmerzen haben insofern eine veränderte Gestalt angenommen, als – – –«

Dr. Jentsch hatte den Brief hastig zu Ende gelesen, und warf ihn nun, zusammengeballt, von sich. In diesem Augenblick war es ihm Bedürfnis, durch irgend eine brutale Handlung sich Erleichterung zu verschaffen, etwas zu zerbrechen, jemanden zu mißhandeln.

Von Tag zu Tag hatte er an Beyer-Waldaus 198 Rückkehr gedacht, alles vorbereitet, ein Steinchen an das andere gefügt, und nun stürzt ihm der ganze Bau wieder vor die Füße.

Jetzt nimmt er den Brief doch wieder auf, glättet ihn und liest ihn von Anfang bis zum Ende noch einmal aufmerksam durch.

Kein Zweifel, der Schriftsteller hat jetzt die Situation klar erfaßt, das zeigt der veränderte Ton seines Schreibens. Er weiß, daß die Operation nicht in erster Linie zu seiner Rettung geschieht, daß er vielmehr das gekaufte Versuchsobjekt ist, an dessen Weiterleben freilich dem Arzt gelegen sein muß, wie an nichts anderem. Das nutzt er aus, macht eine regelrechte Hochzeitsreise aus seiner, des Doktors, Tasche – das ist der Lohn für seine alberne Generosität.

»Wer sein Leben verkauft hat, hat damit auch das Recht erkauft, es so lange zu genießen, wie es möglich ist –« der brutalen Logik dieses Satzes ist nichts entgegenzustellen. Ueberhaupt muß man anerkennen, daß dieser Brief bei aller Phrasenhaftigkeit ein geschicktes Machwerk ist: er rührt an alle Gemütssaiten. Man kann einen Menschen, der auf sein gutes Recht, zu leben, pocht, nicht mit Gewalt zurückholen, am wenigsten einen jungen Ehemann aus den Flitterwochen heraus, einen Dichter aus seinem Schaffen. Wer das thut, ist ein Henker, ein Schlächter, weiter nichts!

Zum drittenmal liest Dr. Jentsch den Passus durch, der über Beyer-Waldaus Krankheit berichtet – vielleicht, daß man hier den Hebel ansetzen, den 199 Vorwand konstruieren kann, ihn zurückzurufen – –? Seine Stirn rötet sich vor Scham – Nein!

Kurze Zeit saß er ganz apathisch da, wie ermüdet von einer körperlichen Anstrengung.

Dann kam ihm ein Gedanke, der ihm die alte Spannkraft wiedergab: Dieser junge, dem Tode verfallene Lebenskünstler gab ihm eine Lehre im Genießen – warum sollte er es nicht machen wie jener?

Um seine Kräfte zu schonen und für die Operation freie Hand zu haben, hatte er seit Wochen keine neuen Patienten mehr in die Klinik aufgenommen. Wie alljährlich vor seiner Sommerreise, nur etwas früher, war der Krankenbestand möglichst verringert, er selbst mithin abkömmlich, soviel das überhaupt denkbar erschien. Zudem merkte er etwas an sich, das ihm neu war, er war nervös, seine Hand besaß nicht die absolute Sicherheit wie sonst.

Ausspannen, neue Kräfte sammeln, ehe man ans Werk geht, das ist ein Wink, den ihm der Himmel selbst giebt. Wer vor einem Examen steht, thut ja auch gut daran, den ganzen Krempel noch einmal über Bord zu werfen und sich durch entgegengesetzte Eindrücke zu erfrischen.

So wird es bei ihm auch sein. Und Vilma? Wird sie mit seinem Plan zufrieden sein?

So sehr er sich auch bemüht hatte, in seinem Glücksrausch ihrer beider Himmel wolkenlos zu sehen, hatte es ihm doch nicht entgehen können, daß Vilma zuweilen unter diesem Verhältnis litt, daß sie fürchtete, 200 man könne ihnen auf ihren Wegen begegnen, daß sie, wenn sie sich beide bei Lotte einmal, scheinbar zufällig, trafen, unfrei war und jeden Blick der Freundin ängstlich kontrollierte.

Er nahm seinen Hut und sprang draußen in die erste beste Droschke, wie immer, wenn er zu Vilma fuhr, übermannte ihn eine fast zornige Ungeduld.

Er fand Vilma dabei, ihren Koffer für die Reise zu Lotte Rienackers Hochzeit zu packen. Sie hockte am Boden und faltete gerade ihr Festkleid ordnungsmäßig zusammen, er kniete bei ihr nieder und begann, nun doch ein wenig zaghaft, seine Absicht auseinander zu setzen.

Aber Felix' Angst, daß Vilma Bedenken hegen könne, war unnütz gewesen. Ihr Gesichtchen strahlte, und mit einem Jubellaut fiel sie ihm um den Hals und küßte ihn: »O du, ich bin doch ein Glückskind – nun fällt mir doch noch das in den Schoß, wonach ich mich so lange gesehnt habe. Weißt du noch, wie wir hier davon sprachen: ein einziges Mal ein freies Vollglück, und dann der Weltuntergang!«

Sie sah wunderschön aus in ihrer Begeisterung, und dies ließ den Doktor vergessen, daß er eigentlich alles verabscheute, was nach hohem Stil und Phrase schmeckte. So begnügte er sich denn, ihr loses Haar zu streicheln, und zu sagen: »Du liebe Schwärmerin – die Welt wird ja wohl nicht aus den Fugen gehen, wenn ein paar Menschen, die sich lieb haben, mal ein paar Wochen ungestört glücklich sein wollen. Nun 201 sei mein liebes vernünftiges Mädchen – laß uns überlegen, wie wir alles am besten einrichten, viel Zeit habe ich nicht.«

»Du hast niemals Zeit, Felix.«

»Nun das wird ja dort alles besser werden«, tröstete er sie, und dann saßen sie Hand in Hand auf dem Divan und besprachen schnell und flüsternd das Notwendige.

Von Vilma fuhr Dr. Jentsch direkt in die Klinik. Es kostete ihm nun doch einen Entschluß, seine plötzliche Abreise anzukündigen, gerade jetzt, wo die neue Klinik sich ihrer Vollendung näherte, wo täglich seine Bestimmungen notwendig waren. Aber das Bewußtsein absoluten Herrentums ließ ihn die Sache leicht nehmen, und seine sichere Art erweckte in den beiden Assistenten den Glauben, daß es sich um eine schon länger vorbereitete Reise handle; von irgend einer Angelegenheit lange zuvor zu sprechen, war so wie so seine Art nicht.

Nun hieß es noch, sich von der Oberschwester verabschieden und ihr die Sorge für die Kranken ganz besonders ans Herz legen.

Mit unbewegtem Gesicht, die Wimpern gesenkt, hörte sie ihm zu. »Ich verstehe – wenn nun aber diese – Erholungsreise sich länger ausdehnen sollte, wie jetzt bestimmt ist?« fragte sie kühl, als Dr. Jentsch geendet hatte.

Um des Doktors Mund zuckte es. »Für diesen Fall würden Ihnen erneute Instruktionen zugehen, 202 Schwester«, entgegnete er, indem er das letzte Wort etwas betonte. »Wenn aber Ihre Frage vielleicht einen besonderen Sinn hat – – –? Also bitte.«

Er sah sie fest an und sie hielt dem Blicke stand. Doch plötzlich ging über ihr Gesicht eine leidenschaftliche Bewegung, die die kühle Maske sprengte, ein ganz neues beredtes Gesicht kam zum Vorschein.

»Ich habe Sie beide zusammen gesehen«, stieß sie hervor, indem sie dicht vor Dr. Jentsch trat und die verschränkten Hände gegen die Brust preßte.

»Ah – so. Das hätte ich mir selbst sagen können. Schwester Renate, ich habe Sie hier anständig versorgt, aber ich hasse nichts so sehr wie überflüssige Erinnerungen – lassen Sie sich das gesagt sein. Und noch eins: lassen Sie sich nicht einfallen, von dem Gebrauch zu machen, was Sie gesehen haben wollen. Darin würde ich keinen Spaß verstehen.«

In ihren Augen funkelte es vor Haß, sie sah aus, als wolle sie sich auf ihn stürzen, ihm ein garstiges Wort ins Gesicht werfen. Aber seine stahlharten blauen Augen hielten sie im Bann, wie die Augen des Tierbändigers die Bestie.

»Adieu Schwester«, sagte er endlich und reichte ihr die Hand in genau derselben kühl-freundlichen Weise wie immer.

Innerlich war er tief verstimmt. Das ist nun solch Stückchen Vergangenheit, das sich einem an die Fersen hängt, dachte er. Man glaubt abgerechnet, alles so wohl geordnet zu haben wie möglich, und 203 dann bringt ein Zufall es zu Tage, daß die Rechnung dennoch nicht gestimmt hat. Das geht einmal so wie alle Male – ohne Ausnahme. Was uns zuerst zu allen Himmeln gehoben, hängt dann als Kette an unserem Fuß, die uns unrettbar hinabzieht.

Er dachte an Vilma, und sein Herz begann zu klopfen. Sie nicht, nein, sie nicht, mit ihr ist es etwas anderes, einziges. Es war ihm, als müsse er ihr abbitten, daß er sie auch nur einen Augenblick lang unbewußt zu jenen anderen gerechnet. Dann dachte er voraus in die Zukunft, ein Jahr, zwei Jahre weit – und das Herz sank ihm.


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