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Drei Briefe an einen jungen Mann

Sie erweisen mir die Ehre, mich zu Beginn Ihrer schriftstellerischen Laufbahn um Rat zu fragen, wie Sie solche am besten und aussichtsvollsten ins Werk setzen könnten. Und fügen gleich hinzu, daß Sie nicht auf das Erträgnis Ihrer literarischen Arbeit angewiesen seien und sich in ausgezeichneten Vermögensumständen befänden. Das habe ich vorausgesetzt. Denn ich halte Sie für einen vernünftigen Menschen, der weiß, was er will. Mittellos wären Sie nie auf den Gedanken gekommen, Schriftsteller zu werden, und mich um Rat zu fragen, den ich Ihnen unter diesen Umständen um so weniger vorenthalten will, als ich mir für einen reichen und aufgeweckten jungen Mann heute keine bessere Verwendung seiner freien Zeit denken kann, als in der Literatur. Ich weiß alles: Sie haben ein kleines Amt im Ministerium mit sicheren Aussichten auf rasche Beförderung, verkehren in guten Häusern, lassen beim besten Schneider arbeiten, beziehen Ihre Wäsche aus Paris, essen abends im Klub, machen die Unsitte des Kaffeehausbesuches nie mit, lesen alle neuen Bücher in den Luxusausgaben – ich sehe also nicht ein, warum Sie nicht auch schreiben sollen. Zudem, da Ihnen die Berühmtheit sicher ist; Talentlosigkeit vorausgesetzt. Denn Talent, und nur ein ganz kleines, würde Ihnen Schwierigkeiten machen. Mit Talent kann es Ihnen passieren, daß Ihnen die reifen Früchte Ihres Ruhmes aufs Grab fallen, und Sie wollen doch vernünftigerweise diese Früchte noch bei jungen Jahren selber pflücken. Talent führt zur Vereinsamung, und Sie sind eine gesellige Natur. Halten Sie sich also nicht mit Talent auf. Solange andere eines haben, brauchen Sie selbst keines. Was Sie brauchen sind Talente, und daß Sie die haben, davon bin ich überzeugt, und mein Rat besteht nur darin, Sie zu erinnern und Ihnen den rechten Gebrauch zu weisen. Vor allem: nennen Sie sich nie Schriftsteller oder gar Literat; einmal weil das später Ihre Gegner – man lebt, also hat man Feinde (welche Gegner übrigens alle reiche junge Leute wie Sie sein werden) – ohnedies und mit verächtlichem Akzent tun werden, und dann weil es heute nicht chic ist, dem, was man als reicher junger Mann treibt, jene Wichtigkeit eines Berufes zu geben, daß daraus eine Bezeichnung sich ableitet. Schriftsteller – das Wort ist so gemein wie Zeitungsschreiber, so ridikül wie Dichter, ist der Inbegriff ganz schlechter Manieren, lächerlicher Schulden, übelster weiblicher Beziehungen. Darüber gibt es an Gemeinheit nur noch die Bezeichnung Literat, eine strafrechtlich zugelassene Umschreibung für Zuchthäusler. Merken Sie sich das für Ihre spätere kritische Tätigkeit. – Sie haben einen netten Vornamen, nicht zu banal, nicht zu gespreizt, Sie haben einen passablen, nicht jüdisch klingenden Familiennamen, sind Dr. jur. und im Ministerium. Das genügt vollkommen. Lassen Sie sich nach wie vor tadellos anziehen, tragen Sie das Gesicht rasiert, erhalten und erweitern Sie die Beziehungen zu guten, möglichst adeligen Häusern, und vermeiden Sie die Bekanntschaft von, verzeihen Sie, Kollegen wie die Pest. Ich meine natürlich die unberühmten Kollegen und alles, was man Literat nennt. Denn die Berühmten kennen zu lernen, das muß Ihre heimliche Sorge sein bei Tag und Nacht. Da schreiben Sie mir, Sie hätten Ihr Jahr bei demselben Kavallerieregiment gedient wie Herr von Hofmannsthal. Schon daraus, daß Sie mir das schreiben, war mir klar, daß Sie es weit bringen müssen. Sie fühlen bereits, daß dieser Zufall ein Stück Ruhmkapital ist, ein erstes Eisen im Feuer. Nehmen wir beispielsweise an, Herr von Hofmannsthal muß einmal weil er zufällig in der Stadt ist und aus irgendeinem Grunde bei Demel den Tee nehmen. An diesem Tage und zu dieser halben Stunde müssen Sie auch bei Demel sein und Herrn von Hofmannsthal begrüßen, als Regimentskameraden natürlich nur und nur mit Hutziehen. Des Abends sagen Sie dann so nebenbei einmal in der Gesellschaft – und Sie müssen an dem Abend in Gesellschaft –: »Ich habe heute mit Herrn von Hofmannsthal beim Demel …« Lügen Sie nie! Halten Sie sich strenge an die Tatsachen. Geben Sie ihnen nur das Licht, das Sie wünschen. Auf solche Weise werden Sie die in Ihrer Stadt lebenden berühmten Männer bald alle persönlich kennen und sie Sie. Aber sonst: Haben Sie einen guten Freund, der auch Schriftsteller werden will, so treffen Sie sich mit ihm nur ganz im Geheimen, oder geben Sie, sicher ist sicher, diese kompromittierende Freundschaft sofort auf, rücksichtslos. Man darf Sie nicht in einem Rudel sehen. Und gymnasiale Rückfälle in Gemeinschaften der Ideale sind für einen Reserveleutnant lächerlich, für einen angehenden Schriftsteller schädlich. Denn Sie müssen diese erste Etappe Ihrer schriftstellerischen Existenz mit äußerster Diskretion leben, nur wie ein ganz blasses, scheues Gerücht darf es eine Dame einer andern sagen, daß man glaube, Sie dichteten. Niemand wird bei Ihren tadellosen Manieren und Ihrem ganz korrekten Anzug so taktlos sein, Sie direkt daraufhin zu fragen. Aber daß etwas los ist, müssen Sie schon merken lassen, etwa mit plötzlicher schwer gemeisterter Zerstreutheit in Gesellschaft oder damit, daß Sie sich allein an entlegenen Orten sehen lassen, wovon man durch dritte erfahren muß und wohin Sie sich selbst unter den größten Qualen der Langeweile begeben. Nuancen, Verehrtester! Sie müssen einfach Ihrem Leben, das Sie führen wie jeder andere Ihres Kreises auch, die Nuance geben, kaum bemerkbar aber doch anders bestimmend. Der Aufenthalt in einem Sanatorium ist ein zu grobes Mittel, und heute, wo das Müde nicht mehr die Mode Ihrer Kreise ist, veraltet und blöde. Sie markieren besser englisch-sporthafte Gesundheit, auch wenn Sie einen chronischen Magenkatarrh haben sollten. In Gesellschaft weichen Sie allen Gesprächen über Kunst ostentativ aus. Müssen Sie sich aber äußern, so sprechen Sie bei der Skulptur begeistert nur von den Ägyptern, bei der Malerei begeistert nur von den Malern des Settecento (welchen Blödsinn man originell finden wird), bei der Musik begeistert nur von Orlando (merken Sie sich ein paar Opustitel), bei der Dichtkunst begeistert nur von den späten Lateinern, bei der Architektur sagen Sie meinetwegen Messel. Sie können aber auch eine oder mehrere Künste prinzipiell ablehnen. Die Begeisterung versteht sich bestimmt aber gemessen, unter Vermeidung enthusiastischer Vokabeln. Die modernen Dichter billigen Sie mit Zurückhaltung, geben an allen aller Richtungen etwas Gutes zu, lassen aber durchblicken, daß sie Ihnen samt und sonders gar nicht in eigentlichen Betracht kommen. Politisch seien Sie indifferent. In Hinsicht auf die Wissenschaften empfehle ich Ihnen den Grundsatz: was man nicht weiß, ist sicher noch dümmer als das, was man weiß. Schließlich müssen Sie etwas drucken lassen. In zweihundert Exemplaren auf Ihre Kosten. Davon im nächsten Brief.

 

Was ich Ihnen, verehrter Herr, im andern Briefe schrieb, betraf einiges Ihres äußeren Lebens, Ihre Aufmachung sozusagen (um Ihre Existenz in einem Worte zu nennen), war die Lehre von der auffälligen Unauffälligkeit, von der anmaßenden Bescheidenheit, von der Zurückgezogenheit, die überall ihre Fühler hat, von der Harmlosigkeit, die immer auf dem Sprung ist. Ich gab Ihnen einige Vokabeln in Ihr Kaleidoskop, nun drehen Sie es bitte und lassen Sie Leute durchschauen, aber nicht sich durchschauen. Sie sind manchmal etwas absonderlich, aber immer comme il faut, nehmen öfter mit H. v. H. den Tee und grüßen im Theater etwa vage nach der Richtung hin, wo Herr Arthur Schnitzler sitzt, den Sie natürlich dazu gar nicht zu kennen brauchen und er Sie nicht, und sagen zu Ihrer Nachbarin in der Loge: »Der gute Schnitzler wird immer dicker.« Aber sagen nicht etwa, Sie wären gut befreundet mit ihm, denn die Dame könnte Lust bekommen, durch Sie Herrn Schnitzler kennen zu lernen. Ich sagte Ihnen schon: nie lügen. Immer nur so tun. Ihre Rede muß immer sein, daß der Zuhörer das für Sie Angenehmste mit Ihrer leichtnickenden Nachhilfe heraushören kann, aber auf seine Kosten und Gefahr. Sie müssen leichten Herzens in der schwierigsten Situation fragen können: »Habe ich je gesagt, daß …?« Von der Freiheit, die Sie sich damit Ihrem späteren kritischen Ton vorbehalten, gar nicht zu reden. Wie die Dinge jetzt liegen und auch später liegen werden, dürften weder Herr von Hofmannsthal noch Herr Schnitzler je den Wunsch haben, Sie persönlich kennen zu lernen. Es genügt, daß Sie die Herren auf Ihre Weise persönlich kennen. Außerdem kennen Sie Peter Altenberg auf jede Weise persönlich, denn P. A. kennt jeder, da er in Ihrer Stadt eine öffentliche Einrichtung ist. Lassen Sie sich mit ihm genügen. – Wenn ich kurz noch nachhole, daß Sie das Bekanntwerden Ihrer wirklichen Liebesaffairen durchaus vermeiden müssen – Frauen und Kammerdienern ist nichts heilig –, dafür aber Ihre fingierten Verhältnisse, soweit sie ganz außer der Kontrollierbarkeit durch Ihre Gesellschaftsklasse, also in höheren Kreisen, stehen, unter der Hand verbreiten – seien Sie sehr mäßig –, glaube ich nur so Geringes im Bereich Ihres äußeren Lebens vergessen zu haben, wie daß Sie z. B. nicht rauchen, nie von Wilde oder was gerade der Tagesenthusiasmus ist reden und im allgemeinen, so schwer es auch einem jungen Mann wird, lieber zuhören sollen. Mit einem gutdreinschauendem Kopf schweigen, wenn über große Dinge gesprochen wird, bringt den guten Kopf oft in den Ruf, größer als die großen Dinge zu sein. Schweigen hat immer etwas Bedeutungsvolles und blamiert nie. Französisch sprechen Sie, im Englischen lernen Sie noch hundert Vokabeln über das hinaus, was man beim deutschen Tennis braucht; italienisch behaupten Sie zu lesen, aber nicht gleich gut sprechen zu können, birmanisch treiben Sie als Liebhaberei. Ihr Bücherl in zweihundert Exemplaren ziehen Sie, kaum daß es erschienen ist, sofort aus dem Handel, schreiben in jedes Exemplar eine beziehungsvolle Widmung an die genanntesten Autoren Europas und schicken es ihnen eingeschrieben mit der Adresse des Absenders und dem handschriftlichen Vermerk »nicht mehr im Handel«. Den Sendungen an die berühmteren deutschen Autoren geben Sie auch noch einen Brief bei, der den Empfänger zu irgendeiner Antwort mit jedem Satze reizt. Nach diesem ersten Schlag verlassen Sie sofort die Stadt, wie in Scham darüber, daß Sie durch das Buch Ihren bisherigen Ruf als europäischer Gentleman schädigten. Deuten an, daß drängende Freunde die Schuld an der Veröffentlichung trügen, an die zu denken Ihnen bei dem heutigen Tiefstande unserer Dichtung nie auch nur im Schlafe eingefallen wäre. Und Sie hätten ja auch sofort die ganze Auflage einstampfen lassen. Dies und ähnliches schreiben Sie auf dem wappengezierten Briefpapier eines Bekannten, zu dem Sie sich für die vierzehn Tage zur Jagd einluden, an ein paar Leute, von denen Sie genau wissen, daß sie überall hinkommen und aus Mangel an eigenen fremde Bagatellen mit großer Wichtigkeit erzählen. Vergessen Sie nicht: immer noch sind Sie der keusche Amateur, wenn auch bereits mit einem wortlos zugegebenen Stich in den Berufenen; irgendwas an Ihnen, im Gang, in der Haltung, in der Krawatte muß dieses Geständnis unbefragt machen. Sie müssen diskret merken lassen, wie heftig Sie sich noch gegen das Dichterische, das in Ihnen ist, sträuben. Wie es aber doch stärker ist als Ihr gegensätzlicher Wille, wie es eben eine Elementarkraft ist, gegen die sich nichts machen läßt, wie es sich eben als das eingeborene Genialische durchsetzt, wobei Ihnen nur dies zu tun bliebe, die Korrektheit der guten Manieren, die Haltung zu wahren. Jetzt müssen Sie Kampf markieren, um später Sieg markieren zu können, jetzt müssen Sie tun als ob eine Gleichgewichtsstörung wäre, um später eine prachtvolle Ausgleichung zu finden. Jetzt muß der Grundton sein: »Was soll ein Dichter in dieser Zeit? Wir wollen das Leben!« wozu sich später die Tonika ergeben muß: »Ich habe die Fülle des Lebens, ich bin der Dichter.« Ohne es noch bestimmt auszusprechen (das kommt später) sind Sie sich Ihres einzigen Wertes jetzt schon ganz bewußt, aber Sie wollen nur nicht in dieser elenden Zeit der Skribenten usw. sich auf den Markt stellen. Haltung! Üben Sie Haltung ein wie vorher die Nuance! – Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie mit sich allein während all dieser Zeit sehr viel zu tun haben und sich keineswegs ausschließlich dem kindlichen Genüsse hingeben dürfen, das ledergebundene Handexemplar Ihres Bücherls von vorne und von hinten immer aufs neue zu lesen und zu liebkosen. Sie haben es verschickt und viele Briefe an Berühmte geschrieben. Es sind gute Leute darunter, besonders unter den älteren, die Ihnen antworten werden, danken; andere werden nicht antworten; einige werden vielleicht das Buch zurückschicken. Führen Sie eine genaue Liste darüber. Danken Sie den einen für das Danken in längeren Briefen leicht intimen, aber immer respektvollen Charakters. Fragen Sie die andern, ob sie Ihr Buch bekommen haben. Neben die dritten machen Sie ein Kreuz: die nennen Sie in Ihren späteren Kritiken unbedingt Literaten. Schreiben Sie den einen, es würde Sie glücklich machen, ein Urteil des verehrten Meisters über Ihr Buch öffentlich wo zu lesen, und sagen Sie ihm gleichzeitig, Sie bereiteten einen längeren Aufsatz über ihn vor, der dort und dort (nennen Sie eine große Zeitschrift) erscheinen würde. Unter den guten älteren schon ganz vertrottelten Herren gibt es immer ein paar, die nach Ihrem fünften, sechsten Brief nachgeben und ein paar Zeilen über Sie in Druck geben lassen. Dies gibt Ihnen das Recht zu einem intensiven Briefverkehr mit den Betreffenden, deren Antworten auch ruhig ausbleiben können. Von Zeit zu Zeit schreiben Sie auch jenen, die Ihnen nie geantwortet haben; man kann nicht wissen, ob sie es nicht doch einmal tun. Herrn von Hofmannsthal, der Ihnen natürlich auch nicht geantwortet hat, sprechen Sie nun ruhig auf der Straße an. Er muß Sie fünf Minuten zu ihm sprechen lassen, was genügt. Dann: »Hofmannsthal sagte mir neulich …«

Und schon bereiten Sie ein neues Buch vor. Ich weiß, Sie werden mir nicht die einfältige Frage stellen, was in diesen Büchern drinstehen soll. Über diese Nebensache ist sich heute jeder klar, der wie Sie auf den literarischen Ruhm ausgeht. Ganz allgemein würde ich Ihnen zu Versen raten, weil die leichter herzustellen sind als Prosa. Ob Sie Ihre Verse den neuen Dichtern ablernen oder den alten, hängt davon ab, was Sie leichter treffen. Machen Sie es sich um Gottes willen nicht schwierig. Dichter, die wie Heine ganz den Feuilletonisten gehören, sind natürlich ausgeschlossen. Aber Klopstock, die Oden, dürfte manches für sich haben. Vielleicht liegt eine Mischung Klopstock-Schnitzler in der Luft. Die Witterung müssen Sie zur Virtuosität ausbilden. Denn Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie ja doch immer ein bis zwei Jahre hinter den Dichtern Ihrer Zeit zurück sind, aber so nah auf den Fersen müssen Sie ihnen bleiben, wenn Sie Ihr Ziel erreichen wollen. Ihre Aufgabe ist es, das unverstandene Wort der Dichter zum verstandenen Jargon zu machen, Ihre Aufgabe ist es, die abgelegten Kleider der Herren aufzutragen, ihre unangenehm auffallende und befremdende Gangart den Zuschauern angenehm zu machen, indem Sie sie auf das Augenniveau des Publikums bringen. Die tolle Kavalkade der Herren ist den eingestaubten Augen der geärgerten Zuschauer schon entschwunden, da kommen Sie, ganz gleich so staffiert daher und erfreuen die Herzen. Sie müssen sonach hinter den Herren kommen und die Herren so gut mimen, daß man diese für tolle Vorreiter und Platzmacher, Sie aber für den eigentlichen Grandseigneur der Dichtung nimmt. Geben Sie nur acht, daß Ihnen kein anderer Ihrer vielen engeren Kollegen nachkommt. Da kann es dann hergehen wie bei einer Meute hungriger Wölfe, die einander totbeißen. Sie müssen auf Tod und Leben reiten, denn die Herren vor Ihnen sind wie der Sturm und hinter Ihnen ist der Tod. Ich rekapituliere: Nuance, Haltung, Witterung, Geschicklichkeit. Daß Sie fremde Kleider tragen, merkt heutzutage kein Mensch, da die wenigen tüchtigen Menschen sich nicht um Sie kümmern und die vielen anderen, Ihr Publikum sich nie um die Dichter kümmern, von denen Sie leben. Vergessen Sie nicht: »Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über der Welt.« Genug für heute.

 

Sie korrespondieren mit den Berühmten Ihrer Zeit, soweit es Sie betrifft. Diese einseitige Betätigung kann Sie auf die Dauer nicht in Atem halten. Geben Sie daher einfach Ihren Briefen die Form von Rezensionen, die Sie an die Tageszeitungen schicken. Die Leute, die da in den Redaktionen sitzen, haben ein zerrüttetes Nervensystem und sind auf die Dauer widerstandsunfähig. Dann verlangen Sie auch kein Honorar. Sie rezensieren in allen Graden Lobes und Tadels. Am besten ist, Sie loben dort, wo niemand sonst etwas davon hat als der Verleger, den Sie sich günstig stimmen, wenn Sie seine neue Schiller- oder Heineausgabe rühmen. Den Lebenden gelte aber Ihr Lob nur dann, wenn die Sie wiederloben, nach dem Grundsatze: eine Hand lobt die andere. Aber seien Sie im ganzen noch recht sparsam mit solchem Händedrücken auf Gegenseitigkeit, denn einmal ist die Gesellschaft da nicht die beste, und dann ist diese Praxis in Laienkreisen zu bekannt. Bauen Sie auf dem ernsten Tadel als dem allein guten Grund. Wagen Sie sich damit an die Besten Ihrer Zeit, man wird Sie schließlich mit diesen Besten nennen, auch wenn Sie noch so heftig gegen sie gewesen sind, ja dann erst recht. Einige der einsichtigen Menschen unserer Zeit wissen es und sagen es, daß die heutige deutsche Literatur der europäischen zwei Dichter gegeben hat: George und Hofmannsthal, und ihr noch Dauthendey, Borchardt und Schröder geben wird. Dagegen müssen Sie sofort Stellung nehmen, den einen ignorieren Sie vollkommen und deutlich, dem andern weisen Sie Unkenntnis der deutschen Grammatik nach, dem dritten sagen Sie, er mache Sie nach, den vierten nennen Sie wesentlich einen Literaten, den fünften belächeln Sie; einige Begabung konzedieren Sie vornehm allen; irgendeine Belanglosigkeit müssen Sie überhaupt immer lobend zugeben, das macht dem Publikum den Eindruck überlegener Unparteilichkeit. In der Hauptsache aber durchaus verwerfen, von den höchsten, nicht weiter bestimmten Standpunkten aus und indem Sie den Dichtern alles das sagen, was Sie sind. Sagen Sie z. B. Borchardt schnell, er sei ein Literat, so ist Ihrem Publikum erwiesen, daß Sie keiner sind. Das ist sehr wichtig, weshalb ich es wiederhole: alles was Sie sind, sagen Sie, seien die kritisierten Dichter, alles was die Dichter sind, sagen Sie, seien Sie. Sagen Sie nicht das sei zu kühn und das Publikum könnte was merken. Nein, Ihr Publikum merkt nie etwas und glaubt Ihnen, weil Sie seinen, des Publikums Jargon nicht nur reden, sondern auch dessen Gehirn haben. Und was die Dichter betrifft, die wehren sich nicht, Sie müßten es denn schon sehr dumm anfangen, oder Ihre kritische Tätigkeit in eine Zeit hinein weitertreiben, wo Sie sie nicht mehr brauchen, wo Ihr Ansehn längst gefestigt ist, wo Sie für die breitesten Kreise einer der führenden Geister der Nation sind, wo Ihr Bild in der Woche ist und alle Zeitungen Notiz davon nehmen, daß Sie die letzte Hand an Ihren neuen Roman legen. Jetzt ergreifen Sie öffentlich in den Gazetten nur mehr das Wort, wenn es sich um die höchsten kulturellen Werte handelt, bei Enqueten, Rundfragen und derlei. Schreiben magistral, durchaus gefestigt, ein für allemal. Machen eine Kleinigkeit zu einer Sache von größter Bedeutung, wenn Sie sich darüber äußern. Als Schriftsteller dachten Sie anzufangen und enden als Praeceptor Germaniae. Dazu gehört es noch, daß Sie irgend etwas entdecken, z. B. Goethe, oder irgendeinen verschollenen, aber immer noch lebenden alten Herrn heftig proklamieren und den Deutschen die Schmach vorwerfen, daß sie ihre Besten vergessen. Und schreiben immer weiter die Bücher der andern noch einmal. Mit dreißig Jahren sind Sie von sich überzeugt, mit vierzig haben Sie den reinsten Glauben an sich, mit fünfzig können Sie es sieh leisten, einen Werdandi-Bund zu gründen, und mit sechzig danken Sie als berühmter Mann und Hofrat den strebsamen jungen reichen Leuten, die Ihnen Ihr Buch mit der Bitte um einige Zeilen schicken, in ausführlichen Briefen. Lassen Sie mich von Ihrem Nachruhm in den Literaturgeschichten schweigen und die Perspektive dieser Briefe bei dem Patriarchen deutscher Geisteskultur enden, als welchen Sie ein ganzes Volk verehren wird, in dem dann wegen Todesfalles leider nicht mehr sich befinden wird Ihr aufrichtiger Ratgeber.

 


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