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Der Ältere: Du warst lange unterwegs und wirst zurückgekehrt manches bei uns verändert finden.
Der Jüngere: Soll ich sagen zum guten?
Der Ältere: Wie meinst du das?
Der Jüngere: Ich meine, was anfangs und für eine Zeit ein Gutes war, wirkt fortgesetzt über seine Zeit hinaus sich zum schlechten. Gegengift wird wieder Gift, wenn es seine Wirkung, das erste Gift zu kompensieren, getan hat. Man dosiert, dünkt mich, dem deutschen Leib noch immer das Gegengift, und ich sollte doch meinen, es müßte längst seine gute Wirkung getan haben und tut nun eine schlechte.
Der Ältere: Ein gutes Mittel ist in die Hände der Kurpfuscher gefallen. Du weißt wie die sind: es wird ihnen zur Panazee, besonders, wenn es ihrem Geschäft hilft.
Der Jüngere: Und dann sind also andere wieder darangegangen, primär zu vergiften, daß die Wirkung des Gegengiftes aufgehoben wäre. Ja, das ist mein Eindruck: mit Gift und Gegengift bemüht man sich um einen angeblich oder wirklich, sicher aber von den Ärzten aus Kranken. Stimmt das?
Der Ältere: Ja und nein, je nachdem.
Der Jüngere: Also auch du mit Ja und Nein? Ich höre, seit ich wieder in Deutschland bin, keine andere Antwort als Ja und Nein in einem Atem. Sie haben noch immer ihre Nachgedanken, diese Deutschen, dieses Auseinanderfallen in Aktion und Sentiment, in Gewehre und Gefühle, Wirklichkeit und Vision, ineinandergefärbt in ein unentschiedenes Grau. Sie sollten doch den Engländern ihre Hypokrisie ablernen, öffentlich nicht sagen, was man heimlich tut und denkt.
Der Ältere: Daß ich es dir nur gleich lachend bestätige: ja, wir sind sehr vielfach und schwer auszurechnen auf eine Formel. Wir sind nämlich kein Volk, sondern eine sehr vermischte Rasse. Das ist der Wurzelbereich unserer Schönheiten und Leiden. Wir haben wortkarge Friesen und geschwätzige kindliche Rheinländer, haben hartnäckige kleinschlaue bayrische Bauern und schwerfällige langsamdenkende Ostpreußen, träumerisch weiche Schlesier und solide praktische Schwaben, von Erwerb und Arbeit krankerregte Sachsen und launisch lebhafte Elsässer, gern leichtsinnige, doch gut auf ihrem alten deutschen Minnesingerboden hausende Wiener und gar nicht behauste, hintergrundlose, unbestimmbare Berliner, nicht zu reden von allen den Slawen, die vor achthundert Jahren Deutsch gelernt haben und jetzt die Deutschesten machen.
Der Jüngere: Ja, und habt Dichter und Denker und Musiker.
Der Ältere: Und Chemiker und Ingenieure und Kaufleute.
Der Jüngere: Nietzsche.
Der Ältere: Und Bismarck. Was willst du?
Der Jüngere: Dein Ja und Nein. Ich bin seit zwei Monaten wieder hier und fühle mich nicht zu Hause. Es drängt mich etwas, das ich nicht genau bestimmen könnte. Es sind, scheint mir, keine verläßlichen Sicherheiten da. Als ob man einen Steg über reißendes Wasser schritte und läse: Achtung, die morschen Bretter sind noch nicht ausgewechelt! Achtung! Das Geländer ist noch nicht vernietet! In Wien genoß ich die bei allen kleinen Stürmen doch nicht wankende Ruhe fester Gesittungen, und es gibt da, scheint mir, nur kleine Stürme. In Italien freute ich mich unaufhörlich über das Unwahre einer Auslandlegende, die in diesem wundervollen Lande ein Volk wirtschaftlichen und geistigen Niederganges wohnen läßt, wo es in der Tat voller Energien und voll stolzestem Selbstgefühl ist: Europas Hoffnung für die Zukunft. Spanien war eine angenehme Erholungsstation bei alten dunklen Sitten, nicht lange zu ertragen, aber für eine kleine Weile eine Erquickung für die vom Lärm der Zwecke ermüdeten Nerven. London: der Anblick eines Musterkontors einer alten Firma, mit Ministern als Kommis, sofort entlassen beim kleinsten Fehler in den Geschäftsbüchern. Paris – eine wundervolle Erregung immer, Reden über Schluchten geschlagen als Brücken, die ein ganzes Volk furchtlos begeht in Bewunderung des Redners, immer im letzten lebend, den Kopf voller Dinge, kindisch und groß, prahlerisch und herzlich, die menschlichste Stadt. Und New York und das große Land darum ein Lernen, nicht aus Büchern, sondern ein wirkliches Erfahren um Europa vor fünfhundert Jahren. Hier werden nur wegen des teuren Holzpreises keine Hexen mehr verbrannt. So mannigfaltig das alles und doch bestimmt und deutlich in Konturen, leicht sich einzuordnen, gern um Opfer manches Mitgebrachten erworben, die man nie als Entbehrungen spürt, ja manchmal sogar als Förderungen. In Deutschland aber … Als ich vor sieben Jahren in die Fremde ging, schien mir hier alles verwirrt, aber ich gab meiner Jugend die Schuld solcher Meinung mehr als den äußeren Dingen. Und sagte ich mir, es ist nur die heftige Bewegung in der Lösung, bevor die Atome zum Kristalle schießen. Deine und anderer Hantierung war es ja auch, ich erinnere mich, Faden in die aufgerührte Mischung zu hängen, daß sich daran, wie du sagtest, die festen Gebilde der Dauer hängen. Ist es gelungen?
Der Ältere: Ja, wir waren damals sehr in die Logik verhebt und die führt ja immer zur Utopie. Das Leben geht seinen Weg, das Denken seinen – die beiden Wege schneiden sich nur zufällig manchmal. Wir bedachten das Übermorgen und hatten das Morgen vergessen. Aber ich komme wie du zurück. Nicht von Reisen in Ländern, sondern von Reisen in Zeiten, um Zeit, die mir lästig geworden, zu verlieren, und um Zeit, die ich brauchte, zu gewinnen. Zu mancher Verwunderung und anderer Mißdeutung – keiner ist gehalten, in eines Mitmenschen nicht weiter wichtigem Tun um die Motive sich zu kümmern – wandte ich mich verlorenen, ja nichtigen Dingen zu. Es sah aus wie böse Lust, es war eine Ironie. Nun, ich brauchte eine Distanz, die ich mir zeitlich schuf, da ich es räumlich nicht konnte.
Der Jüngere: Und das Ziel?
Der Ältere: Du fragst so schnell. Vielleicht weil du etwas Unerhörtes erwartest. Und ist etwas ganz Gewöhnliches. So, daß ihm jedes Wort schon mehr Bedeutung gibt, als ihm zukommt.
Der Jüngere: Du machst mich neugierig.
Der Ältere: Ich werde dich enttäuschen. Unlängst hat einer das Bemühen um die Synthese schwächlich genannt, wohl ein Kraftstrotzender, der aus seinen analysierten Gefühlen – er hat keine andern – Gedichte macht, aus seinen weiblichen Verhältnissen große Schmerzschafferinnen und aus seinem lotterigen Daherleben einen Entwicklungsroman.
Der Jüngere: Grassiert dieses Genre noch immer?
Der Ältere: Reliquienverehrung der eigenen Windel. Was willst du? Wenn niemand einen wichtig nimmt, tut man's selber – etwas muß der Mensch verehren und von seiner dümmsten Kunst hat er immer noch Respekt.
Der Jüngere: Meinst du nicht, daß dieses Mißtrauen gegen die Synthese daher kommt, daß sie sich immer nur im Gedanklichen vollzogen hat? Aber jede Philosophie hat schließlich nur für den Philosophen Wert.
Der Ältere: Ja, und wer sie praktizieren will, verirrt sein Leben; ich meine, wer das Denken eines andern praktisch machen will. Es kann aber für mich selber mein Denken durchaus identisch mit meinem Tun sein, oder nicht?
Der Jüngere: Mit kleinen Konzessionen.
Der Ältere: An Bräuche und Sitten gewiß. Was aber unwesentlich ist.
Der Jüngere: Also die Synthese?
Der Ältere: Ich möchte lieber Ordnung sagen. Das Suchen der Ordnung im Ungeordneten, das Schaffen der Ordnung aus Chaotischem ist das Leben der menschlichen Energie, äußerte sie sich auch in welchen Neigungen immer, künstlerisch, kaufmännisch, politisch. So stark ist das, daß die Energie dort, wo sie ihrer genialen Ordnung, die sie will, nicht genug Chaos findet, sich Chaos schafft, um ihm die Macht ihrer Ordnung zu geben. Denk an Napoleon und Bismarck und ihre Verwirrungen der Welt aus ihrer Not, ihr ihre Ordnungen zu geben. Denk an Goethes junge Stürme seiner Seele – hier war das Chaos in den Gefühlen –, denk an Nietzsches Zerstörungen der Werte – hier war das Chaos in den Begriffen. Ich meine, dieser Sinn nach Ordnung ist wirkend in jedem Menschen, der etwas will: er kann sonst nichts wollen als die Ordnung, aus dem mystischen Gesetz der vollkommenen Menschennatur heraus, deren Herzschlag der Rhythmus der Welt ist.
Der Jüngere: Du stellst ein Theorem voran, wie zur Sicherung dessen, was du sagen willst. Ich bin mißtrauisch.
Der Ältere: Nein, Nein. Ich will dem Gedanken keinen Zweck geben, der ihn entweihte, sei der Zweck auch welcher immer. Du kennst mich doch als einen, der berauschende Freude an den Gedanken hat, die nicht Beweises wegen in die Welt gesetzt sind. Es liegt mir nichts daran, einen, meinen Gedanken gegen einen andern zu stellen, daß ein törichter Streit entsteht mit Schlauheit, Witz und allen Infamien Rechthabenwollens. Wir haben solcher sich balgender und einander deshalb aufhebender Meinungen genug und viel zu viel als daß ich Lust verspürte, in die aufgeregte Arena dieses Scheingefechts zu steigen und den Lärm zu vermehren. Der Gedanke ist der Schild der Schönheit, also eines Zweckenthafteten und so selber zu Zwecken nur mißbrauchbar … Was ich da von dem Gesetz der Ordnung sagte und wie sich in ihm das kosmische Gesetz des Ganzen durch den Menschen äußert und nicht nur durch ihn natürlich, das wollte ich nicht als eine einleitende captatio sagen. Nur als den großen Hintergrund dir für den Vordergrund andeuten, daß dessen Verhältnisse und Perspektiven sichtbar werden und dir nicht kleinlich erscheint, was nur klein, dir nicht verzerrt erscheint, was nur verkürzt ist. Wir waren ja im Zuge, von den deutschen Dingen uns zu unterhalten.
Der Jüngere: Die du, vermute ich nun, größer und freundlicher mir weisen willst, als ich sie sehe.
Der Ältere: Als sie deinen aus Weiten zurückkehrenden Augen erscheinen, die zu blinzeln und zu tränen beginnen, wenn sie sich auf Nahes einstellen sollen. Ist's nicht so?
Der Jüngere: Soll ich sie lieber schließen und sagen: wie schön und gut?
Der Ältere: Ist dir beim andern wohler?
Der Jüngere: Ich schaue teilnahmslos zu, erheitert.
Der Ältere: Wenn das gelänge!
Der Jüngere: Also du meinst, man kann sich nicht außerhalb stellen und muß teilnehmen irgendwie?
Der Ältere: Ja, irgendwie fördernd nach Neigung und Fähigkeiten und des Ganzen bedacht. Wir fördern den europäischen Begriff, wenn wir als Deutsche dem deutschen Begriff dienen, wozu uns mindest das große Erbe unseres Stammes verpflichten muß. Seien wir mindest in verwilderten Zeiten gute Hüter dieses Erbes für die Nachkommenden.
Der Jüngere: Geschieht das denn nicht? Sieh doch die neuen Editionen unserer großen Literatur.
Der Ältere: Und die Schulen und so weiter. Verzeih, daß ich dich unterbreche. Ich meine etwas anderes. Es handelt sich zum geringsten um die Künste vielleicht. Ich meine: deutsche Wesenheit dürfe dem europäischen Begriff nicht fehlen. Und dies zu erreichen, dürfen wir nicht nur ein Volk mit einer Vergangenheit sein, die man uns zugibt, sondern mit einer Gegenwart, die man uns abspricht, die man sich bei uns selber gern abspricht, was dann die Allerunberechtigsten wieder zum Anlaß der dümmsten deutschen Stolzgebärde nehmen. Aber die barbarische Gesundheit der deutschen Stämme verträgt viel. Die Angst und der Witz spielen sie gegeneinander aus, wo doch die Barbarei unser Bestes ist, da sie zu überwinden jeder einzelne sieh anstrengen muß. Denke an Goethe, und laß uns die Barbarei! Nord und Süd werden von Wohlmeinenden zum Tauschverkehr ihrer besten Güter eingeladen, und der Geschäftskundige weiß aus den pointierten Gegenüberstellungen Geld zu machen. Ja, es verträgt der Deutsche sogar den offensten Spott über seine heimlichen Übel, wie keine andere Rasse sich das leisten kann. Er billigt ihn oft nicht, aber er geht nicht daran zugrunde. Denn er hat eine Neigung, sich selber nicht in Ruhe zu lassen und ist oft der eingebildete Kranke, nur um sich recht oft den Puls fühlen zu können. Die Frohheit der südlichen Völker ist zögernder bei ihm, das naive Selbstbewußtsein der Rhetoren wird bei ihm, der gar kein Redner ist, leicht grob und renommistisch sich äußern, was beides eine immer wache Selbstironie nur übertönen soll. Diese Deutsche waren Dichter und Denker und sind nun Arbeiter im Schweiße, man darf von ihnen nicht die schickliche forensische Haltung verlangen. Wessen Leben schwer ist, dem wird leichtes Tun immer schlecht stehn und dessen etwas gekrümmter Rücken wird keine gute Figur auf der Tribüne machen. Man sollte diese Tatsachen und Bedingungen der heutigen deutschen Existenz kennen, bevor man Formen von ihr verlangt, die zu erwerben noch keine Zeit war, die schnell zu entlehnen nur die zeitlosen Snobs und deren Gefolge Eile haben, denn sie ahnen, sie leben nur gegönnte kurze Tage. Ihre neurasthenischen Krämpfe über den schlechten Kleiderschnitt sächsischer Touristen, aus dem sie die völlige Verrottung des Stammes und alles deutsche Unvermögen deduzieren, das rührt keinen und an nichts. Daß der deutsche Kaiser in Kunstdingen einen minder guten Geschmack zeigt als etwa der Großherzog von Hessen und der von Weimar, ist für das Wohl der von ihnen regierten Völker durchaus belanglos. Die Verfassung verpflichtet einen Regenten nicht auf den Geschmack und dem Kaiser die öffentliche Äußerung seiner privaten Anschauungen als Privatmeinungen zu erlauben und als Aussprüche des Staatsoberhauptes zu kritisieren ist ein Unsinn. Alles das ist nur Geschrei Bauunkundiger über die mißglückte Dachfahne seines Hauses, aus welchem Umstände ihre Unkenntnis schließt, daß auch in des Hauses Fundamenten durchaus der Schwamm sitzen muß. Die angebliche Sensibilität jener Leute, zu denen nun durch schlecht bedienende Gazetten als Phrase gedrungen ist, was wir vor etwa einem Jahrzehnt in bewußt übermäßiger Betonung und in der Utopie der Logik und damals von den gleichen Leuten verhöhnt mit unserem ganzen Pathos sagen mußten, diese Sensibilität unwissenden Gehirne und von Faulheit geschundener Nerven, diese paar tausend Leute, die Zeit genug haben, alle Häuser mit ihrem Kulturgeschwätz zu erfüllen, mit ihrer Lehre von der allein seligmachenden Hosenfalte und ewiger Verdammnis aller Röllchenträger, diese kleine Sippschaft des großen Maules, diese Kenner der modernen Literatur und sonst keiner, diese Skribenten ihrer eigenen Hinfälligkeit, die nach dem starken Leben jammern, das ihre blinden Augen nie sehen können, diese Erneuerer auf allen Gebieten, von denen sie nichts verstehen, diese Herren und Damen und die ihnen aus Dummheit oder Gewinnsucht Gefälligen, – lieber Freund, lachst du nicht vielmehr darüber, über diesen Kork auf dem Meere, der sich ein Schiff dünkt, über diese Fistelstimme im Chore, die alle zu übersingen meint mit dem feinsten Ton, über diese allerfeinsten, die sich nichts aus dem Leben wirken, weil sie untauglich sind und so dem Leben die Schuld geben, diesem Deutschland, das die Schwätzer nur so lange gutmütig duldet als es von ihnen bei der Arbeit nicht gestört wird und auch dann noch die Lungerer nicht wegjagt, wegen ihrer Possierlichkeit? Dieses kleine zeitgemäße Übel, diese vapeurs!
Der Jüngere: Aber sag, sind dir denn die andern lieber, du weißt schon, die juchtenen Deutschtümler und Werdandibündler und Monisten?
Der Ältere: Ist dasselbe, ist dasselbe. Sie sprechen die Vokabeln nur anders, aber es sind die gleichen Vokabeln.
Der Jüngere: Du siehst also nichts Förderndes in der Kritik des Bestehenden?
Der Ältere: Besteht denn schon etwas? Ich glaube, es wird erst etwas. Und Kritik steht erst auf in der Höhe Werkes: um es zu vollenden. Nie verschwendet ein Mächtiger sein kritisches Wort an ein Werdendes, an den Keim, und Zeiten wie die unsere haben nur Leute, die kritisieren. Wir wissen genau, was wir noch nicht sind, und wissen gut, was wir noch nicht haben. Wir kennen unsere Mängel und sind nicht so hinfällig, sie alle durch unsere Historie zu entschuldigen, um sie bequemer zu tragen. Wir wissen, daß in der sonst so fruchtbaren Verschiedenheit und Vielheit unserer Stämme auch etwas von unserer politischen Schwäche liegt, die uns die Aufgabe, eine starke politische Einheit zu werden, schwer macht, oft unmöglich erscheinen läßt. Daß unsere seperatistischen Neigungen oft nur mit der tönenden Phrase in Schach zu halten sind, wie »der Erbfeind« und ähnliche kriegerische Stimulantien. Die Nachbarn ahnen nicht, daß dieses deutsche Säbelrasseln ein Mittel der innern deutschen Politik ist, eine brutale Erinnerung zur Einheit. Und dann: die mächtig und auf einmal über uns gekommene Großwirtschaft Industrie und Handels hat diese Deutschen, die ein Landvolk zumal waren, unsicher gemacht, auch übermütig, aber unsicher vor allem. Daß sich alles festige und die Tradition wieder aufnehme, dazu war noch keine Zeit und ist noch zu schwankend unser Besitz. Und die Siege zweier Feldzüge wirkten eine Ideologie aus, die oft zum Schaden des Ganzen eilig alles überwunden, verdient und festerworben vorstellte, was es im Grunde nicht war. Kein Mensch und kein Volk sind ohne Nachteil für sich selber siegreich. Wir wissen alles das und haben es gesagt als die Zeit dafür war.
Der Jüngere: Wenn die Dummköpfe einer Sache sich bemächtigen, so sucht man sich eine andere.
Der Ältere: Aber daß die Dummköpfe der Sache sich bemächtigten, zeigt wohl auch an, daß sie irgendwie obsolet geworden ist.
Der Jüngere: Aber doch nicht durchaus aufhören muß, eine Wahrheit zu bleiben?
Der Ältere: Die Wahrheit kann Ursache des Niederganges, ja des Endes sein, nicht nur für das Individuum, auch für eine Nation.
Der Jüngere: Steht es so schlimm?
Der Ältere: Das Leben einer Nation folgt dem Nutzen, und nicht der Wahrheit. Das kannst du an der Politik ablesen, wie die Temperatur an einem Thermometer. Ihr Auf und Ab bezeichnet die Schwankungen im Nutzen, nicht etwa Siege oder Niederlagen irgendeiner Wahrheit oder gar einer Partei. Natürlich gibt man dem Nutzen allerlei Namen, aber das sind Worte, auch kaschiert man ihn hinter allerlei Fakten, aber auch diese sind nur Worte. Es gibt keine andere gute Politik, als eine macchiavellistische und je bewußter sie es ist, d. h. je weniger sie sich ernst nimmt, desto besser ist sie.
Der Jüngere: Ein schmutziges Handwerk.
Der Ältere: Das hegt am Material, in dem es arbeitet: die anonyme Zahl, die Menschen. Man will bei uns diesem Handwerk feinere Arbeitsmethoden beibringen; und da man das Material kennt, will man natürlich auch dieses besser machen. Die einen sagen, es wird besser, wenn man den Kollektivismus einführt, das ist eine Theologie: das Jerusalem der grauen Ameisen. Die andern meinen, es war mit uns einmal besser, damals als wir »eine Kultur« hatten. Aber die ästhetisch-ethische Quacksalberei unserer gebildeten Kulturpolitiker kuriert den kranken Deutschen so wenig wie es die wortreichen Heftigkeiten der Kollektivisten tun oder die satirischen Zugpflaster der geschäftskundigen Zahnreißer auf den Märkten. Kultur ist weder eine Verwaltungs- noch eine Polizeiangelegenheit. Wer ihre Schaffung – als ob sie sich mit Verordnungen und Gesetzen schaffen ließe! – vom Staate verlangt, der mißkennt beides, Staat und Kultur. Den Staat kann nur das Ponderable kümmern: in Zahlen ausdrückbare Macht der Nation.
Der Jüngere: Lassen sich denn die geistigen Werte einer Nation, und die sind doch auch eine Macht, in Zahlen ausdrücken?
Der Ältere: Die sind imponderabel und kümmern den Staat nicht. Jeder Versuch, diese Sorge von ihm zu verlangen oder sie sich anzumaßen, wird dem Ganzen schaden. Zwingt er sich Geistiges ein, so wird es sich gegen ihn richten, früher oder später, und ihn auflösen. Er soll auf eine gute Geschäftsbilanz bedacht sein, also: Exaktheit des Betriebes, Sauberkeit des Lokales, Gesundheit der Angestellten, Prestige der Firma, kulante Phraseologie und respektvolle Haltung gegenüber dem Geistigen der Rasse. Und wir stellen uns dazu wie Alfred de Vigny vorschlägt: On ne doit avoir ni haine ni amour pour les hommes qui gouvernent. On ne leur doit que les sentiments qu'on a pour son cocher: il conduit bien ou conduit mal, voilà tout.
Der Jüngere: Die Menschen erwarten immer etwas: ein Trinkgeld oder Prügel –, sie wissen nicht, was von beiden kommt, aber einer tut, als wüßte er es für sie: der Politiker.
Der Ältere: Und die Zeitungen. Aber es ist doch nichts besonders Neues, daß man aus der menschlichen Dummheit ein Geschäft macht und daß wir in unsern Lastern mehr sind als in unsern Tugenden. Und Laster nennt man die Leidenschaften anderer. Das alles hat sein Regulativ in sich selber und ist keine Entrüstung wert, die schließlich doch nur das Caché einer Niederlage ist.
Der Jüngere: Was willst du, daß man tun soll? Zugegeben, daß wir ein sehr vitales Interesse an der Existenz unserer Rasse haben, daß sie im europäischen Begriff sich behaupten muß, daß wir uns mit manchen schlechten Mitteln, diese Behauptung durchzusetzen, abfinden, – wir werden doch niemals imstande sein, so in der Zahl aufzugehen, daß sie ihre Anonymität verliert, ja wir werden uns Schlimmeres fördern: unsere nationalen Gefühle wird dieser gewisse Skandalpatriotismus aufsaugen und noch unverschämter werden, unsere Konservativität wird die irgendeiner Geschäftspartei stärken und der Trost, für die Zukunft zu sorgen, ist ein sehr zweifelhafter, wenn ich mir auf den Bauch treten lassen muß, um eine Brücke für den Menschen dieser Zukunft zu bilden.
Der Ältere: Wenn wir nichts tun, und mit stets bereiter Kritik uns nur an das Üble hängen, ist auch nichts tun, so sind wir eben die Brücke der getretenen Bäuche, gerade das, was du nicht sein willst. Glauben wir an uns, damit wir an die andern glauben können. Und seien wir kritisch nur im Äußersten, da aber auch bis zur Vernichtung. Aber der Glaube ist das Wesentliche. Der Glaube ist die Logik des Temperaments – das Leben hat nur diese Logik.
Der Jüngere: Auch das Denken hat keine andere, scheint mir. Die Menschen glauben und bilden sich ein zu denken.
Der Ältere: Wär es anders, wären wir schon längst eine gelöste Rechenaufgabe und hätten nicht mehr Leben als zweimal zwei ist vier. Denk an die Verzweiflung Pascals.
Der Jüngere: Ich dachte … ja, ich dachte an dein Gesetz der Ordnung, an die Synthese. Es wird immer ein Widerspruch sein zwischen mir und der Zahl, zwischen mir und andern, ja zwischen mir und Einem. Ein unlösbarer. Ist es nicht bloß vernünftig, daß du diesem das Wort redest: die neue Generation soll sich nicht nur um ihre Partikularitäten kümmern, sondern um das Ganze – ist das nicht nur vernünftig und, ja, eine Politik der Politik?
Der Ältere: Alles im Kleinsten Ganze fördert das Ganze des Großen. Wer seiner eigenen Kraft folgt, fördert und mehrt die Kraft des Ganzen. Jeder steh' im eigenen Dienst und dient so jedem am besten. Das Gedeihen des Ganzen liegt bei ihm, fördert er es, so fördert es ihn wieder, und das Maaß der Kräfte wächst zum Äußersten.
Der Jüngere: Ist das nicht ein Gemeinplatz?
Der Ältere: Der Gemeinplatz ist eine brauchbare Wahrheit, nichts weiter. Fürs Denken nichts, aber viel für den Tag.
Der Jüngere: Und alles das auf die Deutschen gewandt, wie?
Der Ältere: Wir Deutsche sind, da wir die germanisierten Wenden aufgesogen haben, stammesgleich und haben nicht wie die Franzosen Unterschiede zwischen Eroberern und Eroberten, Franken und Kelten, weshalb die immer zum Gleichmachen hinneigen. Wir schaffen uns Ungleichheiten in Standesunterschieden, vom submissest Ersterbenden bis zur Durchlaucht, ohne damit was Besonderes zu meinen oder damit gar, wie manche meinen, »Nationalcharakter« auszudrücken. Als Johann Reinhold Forster nach einer Weltumseglung mit Cook Friedrich dem Großen vorgestellt wurde, machte er ihm dieses Kompliment: »Majestät, ich habe in meinem Leben zwölf Könige gesehen, sieben wilde und fünf zahme, aber Sie sind der Größte.« Wahrscheinlich ist das viel mehr und eher deutsch als das Bauchliegen der Hurrakanaille auf der Straße und in der kaiserlichen Antichambre. Auch bei den Deutschen wurde das besiegte entrechtete slavische Volk mancher Provinzen nicht gänzlich aufgesaugt – wie bei den Engländern – sondern es kommt nun als heimlicher Sieger zum Vorschein und schafft eine Prädominanz in diesen Zeiten, da nicht der Mut, sondern die Gewandtheit, um nicht zu sagen die Feigheit, entscheidet, nicht das Herz, sondern der Kopf, wovon auch die besiegten Juden profitieren, jene, die ihre großen, spekulativen Gaben in spekulierende wandelten. Deshalb haben heute die politische Führung der Deutschen jene inne, die sich vor Zeiten entschlossen, Deutsch zu lernen und sich nun so deutsch gebärden, daß uns der Fremde nur in ihnen kennt.
Der Jüngere: Ich höre dir an, daß du das als ein Übel erkennst.
Der Ältere: Ja, mit dem wir zu leben versuchen müssen, wenn wir es schon nicht heilen können. Aber laß mich noch das weitere sagen. Ich glaube, bis auf das italienische dürfte jedes heutige eigensprachige Volk ein Gemisch von bodengeborenen Besiegten und fremden Besiegern sein. Die Sieger etablierten die Herrschaft und die öffentliche Moral und bestimmten was Rechtens ist. Sie schufen die Ideologie des Fremden, als welcher der Feind ist, denn sie wußten sich als fremd und feind auf dem durch die Stärke eroberten Boden und taten lieb und fürsorglich, um sich zu behaupten auch im Gemütvollen. Die Macht wurde besser und stärker. Drohte ihr von innen Gefahr, so beschwor sie den äußeren Feind, denn zum ersten Kampf um die besten Weideplätze gesellt sich nun auch der Kampf um den Behalt der besten Weideplätze im eigenen Land. Zum Eroberungskrieg kam der Krieg aus Selbsterhaltung, zur Machtstärkung. Den Kriegszügen der Bandenführer folgten die Behauptungskriege der in Grenzen Seßhaften, und die Politik begab sich in geregelte Formen. Kriege der Machtentfaltung im Innern sind alle Kriege seit Napoleons Epopöe. Die Eroberer müssen für die Zufriedenheit ihrer Knechte sorgen, damit sie Knechte bleiben. Man muß durch den Erwerb von Kolonien und das Abstoßen von Kolonen die Bewegungsfreiheit einer zu zahlreich gewordenen Bevölkerung im Lande mehren oder mindestens erhalten. Und das Erträgnis der in Industrie und Handel angelegten Gelder durch eine Erweiterung des Absatzes steigern. Alle Politik, von Staat zu Staat, ob friedlich oder kriegerisch, ist Regelung von Geschäften. Die Aktenstücke der Diplomatie sind Auszüge aus Geschäftsbüchern, nur weniger deutlich als diese, weil sie in Worten sagen müssen, was dort in Zahlen steht. Es ist wie mit den Zeitungen: deren einzig Positives ist der Kurszettel – was sonst darin steht ist dessen wortreiche Umschreibung oder Zeitvertreib für Neugierige. Verzeih den Vortrag, ich bin mit seiner Anwendung gleich beim Schluß. Eine unklare Scham läßt die Menschen einen Makel an all dem finden, was man Geschäft nennt. Ganz als ob es eigentlich ein Betrügerisches wäre, was sich da begibt. Ist es ja auch in einem anderen Sinne. Der kleinste Krämer wird versichern, er möchte lieber verschenken, da er aber auch leben müsse, nähme er einen halben Prozent. Und er nimmt vierzig. Vielleicht ist es diese Möglichkeit des Betruges, die in jedem Geschäft steckt, welche jene Scham hervorruft. Jedenfalls hat das Geschäft noch keine Zeit gehabt, Glauben an seine Ehrlichkeit zu bekommen, und deshalb entbehrt es auch noch einer Ideologie, die sich hören lassen kann und messen kann mit Jenen Ideologien, die wir historisch besitzen. Und deshalb bedient sich das Geschäft in seiner Äußerung oder Politik aller je vorhandenen Ideologien.
Es ist ganz unfruchtbar und ein Zeichen gequälter Naivität, die Politik zu verurteilen, weil sie Geschäftssorge ist. Die Politik ist keine ethische Angelegenheit, sondern eine Kunst. Alle politischen Vokabeln meinen Geschäftsbilanz. Das Geschäft schämt sich seiner selbst; vielleicht, weil es keine Ahnenreihe hat, kein Gewissen, kein Menschliches; weil es weder eine erlauchte Tradition hat, noch ein Nationales ist; weil es gleichzeitig schafft und zerstört und das Ziel der Ewigkeit so wenig kennt wie die innere Wahrheit. Weil nun die Herrschenden eines Volkes – die Sieger von ehemals – die sich geadelt haben, nicht den Jargon der Besiegten öffentlich sprechen wollen, sondern die Siegersprache ihrer Ahnen, und weil sie die Geschäfte der Besiegten führen müssen, um ihre eigene Macht zu behaupten, deshalb geht noch immer unsere laute politische Rede in der Pracht des Purpurs, wenn es sich auch um nichts sonst als um den Export von bedrucktem Kattun handelt.
Der Jüngere: Du meinst also, die Scham der Sieger darüber, von Gnaden des Besiegten leben zu müssen und deren Handel zu hegen und Schacher zu schützen, diese Scham läßt den Leuten des Geschäfts nicht das Kontorwort in eigener Sache.
Der Ältere: Ja, wie diese Leute es ja doch am liebsten möchten und lautlos mit den Händen vor der Börse reden. Diese Scham der Herren ist es, die aus der Politik eine Kunst macht, erfüllt mit allem, was je die Imagination der Völker erregte, ihr Herz erzittern machte, ihrem Arm Kraft gab, den Gehirnen Spannung. Und das Geschäft hat bald eingesehen, daß die Kunst der Politik ihm besser dient, als wenn es sich selber hinstellte und seine stockige, kurze, schon vom nächsten Zuhörer bestrittene, befehdete, niedergebrüllte und ganz unrhetorische Kontorsprache redete, die Resonanz nur fände in einem: Steinigt ihn! Das Wesen jedes Geschäftes ist Eigennutz, und den deklamiert man nicht, um sich Kundschaft zu suchen.
Der Jüngere: Zugegeben, du hättest mit dieser Deutung recht, was meinst du daraus für Deutschland?
Der Ältere: Die Kunst der Politik steht unter der Kontrolle des Auftraggebers: des Geschäftes. Wo der geschäftliche Einsatz groß und die Geschäftsleute klare Köpfe sind, da wird auch die Kunst der Politik bis zum Äußersten sich anstrengen: England. Wo das Geschäft im Hammelstehlen besteht, wird die Kunst der Politik nur eine Variétéparodie sein: die kleinen Balkanstaaten. Deutschland wird eine große Firma, sie macht sich alle Worte und Werte dienstbar dafür; deshalb ist unsere Politik noch etwas chaotisch; denn man hatte immerhin eine ganz andere Vergangenheit erst seit vorgestern hinter sich. Aber was nicht von vergleichbaren Vorzügen oder Fehlern der Einzelnen abhängt, das steht gegen alle moralische Kritik und ist nichts als formell zu beschreiben und Kenntnis mit Nutzen anzuwenden. Die Phrase sozialistischer Versammlungsredner, die immer wieder eine Maske herunterreißt, hebt sich auf gegen die gleiche Phrase eines zynisch sich bekennenden Aventuriers der Spekulation. Denn das Bestehende ist die Voraussetzung unserer sozialen Existenz und nicht das Denkbare oder möglich Werdende. Was gelebt ist, gibt uns den festen Boden – springen wir, so muß uns im Rückfällen deutlicher der feste Boden bewußt werden.
Der Jüngere: Du sprichst von der sozialen Existenz.
Der Ältere: Nur von ihr. Und du weißt, wie nötig mir, dir, der Wahnsinn der Zahl ist, daß wir nicht der Weisheit der Einsamkeit erliegen.