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Der Wind blies rauh über das Land; die Blätter sanken von den Bäumen und deckten den kahlen Grund. Am Himmel standen graue Wolken, die sich unheildrohend zusammenballten.
Den Damm entlang wanderte ein Mann, den das Unfreundliche der ihn umgebenden Natur nicht zu kümmern schien.
Nachdem der Einsame eine gute Strecke gegangen war, blieb er an einer hohen Hecke, die einen Kirchhof umsäumte, zögernd stehen. Wenige Augenblicke später trat er durch die Pforte in den Gottesacker . . . Hier und da schimmerte ein unruhiges, flackerndes Licht durch die Sträucher und Bäume; er besann sich – – richtig – heute war Allerseelentag . . .
Langsam ging er von Grab zu Grab; manchmal bog er sich vor, um halb verwitterte Inschriften zu lesen. Plötzlich blieb er stehen. Da stand deutlich von etlichen Kerzen beschienen:
Hier ruhen die Eheleute
Gottlieb und Elisabet Schneider.
Möge ihnen die Erde leicht sein.
Er sank an dem Stein nieder – und schluchzend kam es von seinen Lippen: »Vater – Mutter – – Verzeihung, Verzeihung! Ich – Euer Sohn – knie hier und flehe – –« Die Worte erstarben ihm auf den Lippen, denn plötzlich stand eine Frauengestalt vor ihm.
»Margarete – Du?« Er schrie es in die Stille. – – »Ja, ich. Gott zum Gruße in der Heimat, Karl Schneider!« – – »Du – hast ihnen die Lichter angezündet – Du – ich danke Dir.« Er streckte ihr die Hand hin, die sie fest drückte. – – »Also doch – also doch – heimgekehrt –« Es lag ein frohes Jauchzen in ihren Worten. – – »Komm,« mahnte sie, »laß uns gehen – Du wirst mir viel zu sagen haben –«
Sie gingen dem Ausgang zu. Er sah scheu an ihr empor. »Und Du verachtest mich nicht?« – – »Ich Dich verachten? Wie sollte ich?« – – »Trotzdem ich ehrlos, gemein gehandelt habe und feige war all die Jahre über – feige, weil ich nicht büßen wollte, was ich in jungen Jahren gesündigt? Jetzt weiß ich, wie töricht ich gewesen bin . . . Aber sieh, Margarete, die strenge Erziehung, so lange ich denken konnte, keine Freiheit, kein Licht, kein Leben – das hielt ich nicht aus – ich wollte in die Sonne schauen, ich mußte weg, weit, weit von der Scholle – und da man mich nicht lassen wollte, da ging ich – vom Vater verflucht, von der Mutter verlassen – Grete, Grete –« er faßte ihren Arm – »und Dich gab ich auf, die ich liebte – – und doch – und doch; es mußte sein! Ich wäre verkommen in der dumpfen Luft. Eins nur hat all die Jahre hindurch mich bedrückt: daß ich mir das erste Zehrgeld nahm. – Und dann, als ich mit allem hier gebrochen und draußen irrte, kämpfte, fror und hungerte und in langen schlaflosen Nächten grübelnd und sinnend dalag – da packte mich eine namenlose Sehnsucht: nach Hause! Diese Sehnsucht zehrte an meiner Kraft; ich wurde schwach und schrieb – ich schrieb Briefe, in die ich meine Seele goß; ich bat, sie möchten verzeihen, daß ich ihnen nicht willens gewesen; daß ich nicht hätte sein können, wie sie es gewesen wären, wie es die Vorfahren gewesen waren – Bauern, die ihren Acker durchfurchten, ihr Stroh droschen und ihr Gemüse bauten; ich schrieb ihnen – – ach, was schrieb ich ihnen nicht alles? Aber –« – – »Es kam nie eine Antwort,« vollendete sie. – – »Du weißt –?« – – »Ja, ich wußte; ich wußte noch weit mehr, als Du je gedacht; ich wußte, daß Du gehen würdest; ich wußte, daß der Bruch zwischen Dir und den Deinen unvermeidlich war – wie sollten sie Deine Pläne, Dein Sehnen je verstehen? Du warst ihnen ein verträumter Verseschmied, der seinem Herrgott die Zeit stahl; Du warst – kurz, ich verstand. Dich quälte die Enge, die –« – – »Und Du sagtest mir nie ein Wort?« – – »Du fragtest mich ja nicht,« entgegnete sie leise. – – »Grete,« schrie er auf, »Grete, hättest Du gesprochen – – zu spät, zu spät . . .« – – »Noch nicht, mein Freund –« – – Er sah sie an: »Du könntest, Du wolltest verzeihen –?« – – »Ich habe verziehen, wie Dir die Deinen verziehen haben –« – – Da sank er vor ihr auf die Knie. »Grete, mein Weib!« Und sie beugte sich nieder und küßte ihn leise auf die Stirn.
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Verantwortlicher Redakteur: Georg Stretcher, Dresden.