Matthias Blank
Der Mord im Ballsaal
Matthias Blank

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7.

Das erste Verhör.

In der Angelegenheit Hans Olden unternahm Kommissar Scharbeck keinerlei Recherchen mehr, bis nicht die Ankunft des Gefangenen angemeldet wurde.

Am dritten Tage nach dem Einlauf der Depesche kam aus dem Untersuchungsgefängnisse am Anger die Benachrichtigung, daß der zur Verhaftung ausgeschriebene und von Ulm nach München transportierte Hans Olden eingeliefert worden sei.

Sofort nach Erhalt dieser Nachricht begab sich der Kommissar nach dem Gefängnis.

Auf dem Wege dorthin gab er rasch noch eine Verständigung an den Freund des Verhafteten, an Doktor Hallern, auf.

Im Verhörzimmer des Gefängnisses, das mit seinen eisenvergitterten Fenstern gegen die Straße zu gerichtet war, beauftragte Scharbeck einen der Wärter, Hans Olden vorzuführen.

Inzwischen setzte sich Scharbeck an einen Tisch auf den Stuhl, der, wie die übrigen Möbelstücke in diesem Raum, an den Boden festgeschraubt war, und durchblätterte die in dieser Sache sich angesammelten Aktenstücke.

Der Wärter kehrte wieder zurück und führte den Verhafteten mit sich.

Scharbeck hätte ihn fast nicht wiedererkannt!

Ungepflegt hing der blonde Schnurrbart herunter. Das schöne, üppige Haar war zerzaust. Die Augen blickten unstet umher.

Die schöne, ebenmäßige Gestalt war in eines der plumpen, schweren Sträflingsgewänder gesteckt, die sackartig seinen Körper umschlotterten.

Hans Olden hatte den Kommissar sofort wiedererkannt, denn eine jähe Röte schoß in seinem blassen Gesicht auf.

»Sie haben mich wiedererkannt? Das wird mein Verhör erleichtern! Sie wissen doch noch, Herr Olden, daß Sie seinerzeit auf meine direkte Frage es in Abrede stellten, auf der Redoute des Deutschen Theaters gewesen zu sein. Behaupten Sie dieses jetzt auch noch?«

»Nein!« antwortete kurz Hans Olden, ohne den Kommissar anzusehen.

»Warum hatten Sie dieses damals getan?«

Es schien, als besänne sich Olden erst auf eine zutreffende Antwort. Dann aber erwiderte er vollkommen ruhig:

»Das weiß ich selbst nicht! Vielleicht Unüberlegtheit! Vielleicht auch etwas überrascht und verblüfft durch Ihre so unvermutete, bestimmte Frage! Oder auch unwillkürlich! Ich kann es nicht mehr sagen!«

»Hatten Sie dabei nicht die Absicht, etwas zu verschweigen?«

Langsam schüttelte Hans Olden den Kopf und erwiderte in der gleichen ruhigen Weise, die eben durch diese Ruhe eine so überzeugende Wirkung auszuüben vermochte:

»Damals glaubte ich keinen Grund zu haben, das zu verschweigen!«

»Sie haben es aber dennoch getan!«

»Ich sagte ja schon: Ich weiß nicht, aus welchem Grunde.«

Auf diese Weise konnte Kommissar Scharbeck zu keinem Resultat gelangen; er beabsichtigte deshalb, Olden zu überraschen und so zu fangen.

»Sie waren heimlich verlobt mit Luise Walther! Stimmt das?«

Hans Olden nickte bejahend.

»Und dieselbe Luise Walther wurde ermordet?«

Wiederum antwortete Olden durch ein stummes Kopfnicken.

Durchdringend ruhte jetzt das Auge Scharbecks auf dem blassen Gesicht Oldens, als er langsam, jedes Wort betonend, sagte:

»Sie waren der Partner der Ermordeten, Sie hatten auch eine heftige Auseinandersetzung mit ihr und haben sie getötet.«

Die ehernen Gesichtszüge Oldens verzerrten sich plötzlich krampfhaft, er biß die Zähne auf die Lippen. Dann entrang sich seinem Munde qualvoll die Antwort:

»Nicht ich habe sie getötet, aber durch meine Schuld wurde sie getötet.«

Der Kommissar wiegte seinen Kopf zweifelnd hin und her.

So klar und offen diese Selbstanklage auch ausgesprochen wurde, so sehr regte sich in Scharbeck auch der Zweifel.

»Ich weiß nicht, wie ich das deuten soll! Sie behaupten also, sie hätten der Leiche die Verletzung nicht beigebracht.«

»Nein! Das hätte ich nie vermocht! Dazu hatte ich Luise Walther zu sehr geliebt.«

»Ist es richtig, daß Sie im Palmengarten eine erregte Auseinandersetzung führten?«

»Allerdings!«

»Der Grund?«

Lange schwieg hier Hans Olden.

Seine Blicke irrten in dem kahlen Raum des Verhörzimmers umher, als suchten sie einen Halt, einen Ruhepunkt.

Er faßte vollständig die Schwere der Tat, die ihm zur Last gelegt wurde, und dennoch hätte er gerne geschwiegen.

»Weshalb wollen Sie darüber schweigen? Es hat das für Sie doch keinen Nachteil, sondern nur Vorteil, falls Ihnen daran gelegen ist, Ihre Unschuld zu beweisen,« forderte nun eindringlich Kommissar Scharbeck.

»Die Eifersucht!«

Grollend kam die Antwort, als zürne er über sich selbst.

Hierbei stützte er beide Hände fest auf die Tischplatte und stand so leicht nach vorn gebeugt.

»Kann diese Ihnen nicht die Besinnung soweit geraubt haben, daß Sie ungewollt in momentaner Aufwallung Ihrer Eifersucht diese Tat begangen haben?«

»Nein!«

»Wer aber konnte es dann gewesen sein?«

»Ich weiß es nicht!«

Kommissar Scharbeck überlegte.

Dann frug er in Rückerinnerung an das eigene Geständnis des Verhafteten:

»Was hat dann Ihr eigenes Bekenntnis Ihrer Schuld zu bedeuten? Worin liegt diese Schuld?«

»Und wenn ich nicht antworte?«

Herausfordernd blickte Olden den Kommissar an, der schonungslos jedes Geheimnis aus ihm herauszulocken suchte.

»Dann muß ich dies als ein Geständnis Ihrer Schuld betrachten!«

»Fragen Sie!«

»Worin besteht Ihre Schuld?«

»Ich habe Luise in größter Aufregung verlassen!«

»Und?«

Scharbeck konnte nicht begreifen, inwiefern hierin Olden eine Schuld sich zuschrieb.

»So nur konnte das Verbrechen geschehen!«

»Erzählen Sie den ganzen Hergang! Ich kann hieraus nicht klar werden.«

»Ich glaubte Grund zur Eifersucht zu haben und stellte Luise hierüber zur Rede. Sie verweigerte mir jede Auskunft. Dies steigerte meine Leidenschaft noch mehr und ich wollte eben mit roher Gewalt sie anfassen, da glaubte ich Schritte zu hören und rannte davon.

Ich weiß nicht mehr wohin, Ich habe auch nichts mehr gesehen. Auf der Straße erst, als um mich die eisige Februarluft strich, erinnerte ich mich wieder an jede Einzelheit.«

»Hm!«

Der Kommissar sann lange nach über die Darstellung des Verhafteten.

Aber er konnte daran keinen Glauben finden. Das war alles zu unwahrscheinlich!

»Haben Sie irgend jemand gesehen, der nach Ihnen in den Palmengarten gegangen wäre?«

»Nein! Ich habe gar nichts gesehen!«

»Die Ermordete wurde unmittelbar an der Stelle vorgefunden, an der Ihre Auseinandersetzung erfolgt war. Ihre Fußspuren wurden vorgefunden. Es kann der Mord also nur in Ihrer Anwesenheit, oder unmittelbar nach Ihrer Entfernung erfolgt sein.

Es käme also lediglich die Person in betracht, von welcher Sie Schritte zu hören glaubten. Das werden Sie doch zugeben?«

»Ich muß!«

Mit ruhiger Ergebenheit hatte sich Hans Olden in dieser Lage gefaßt.

»Die ersten aber, die die Leiche vorgefunden haben, stellten mit aller Bestimmtheit fest, daß der Mord nur wenige Minuten vorher hatte geschehen sein können.

Aber niemand von diesen sah eine Person, auch Sie nicht. Es ist doch kaum glaublich, daß zwei Personen so unbemerkt hätten fliehen können. Das ist doch höchst unwahrscheinlich!«

In den Augen Oldens blitzte ein leidenschaftliches Feuer auf.

»Sie glauben an meine Schuld! Gut! Ich werde dann wohl nie vermögen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen.«

»Ich wünschte Sie vermöchten es!«

»Niemals! Denn es gibt Schicksale, die sich oftmals kreuzen, in einem Augenblick, ohne daß einer der hiervon Betroffenen etwas weiß.

Von dieser Tat führen dann zwei Wege auseinander, die ihren gemeinsamen Endpunkt in dieser Tat finden. Nur ist der Schicksalsweg des einen schuldlos, der des anderen blutbesudelt.

Wer aber vermag zu unterscheiden, welches der Weg des Verbrechers ist?

So auch hat sich mein Schicksalsweg mit dem eines dritten gekreuzt. Auf mich fällt scheinbar die Schuld, weil eben mein Pfad in diesem Verbrechen seinen Endpunkt gefunden hat.

Wie vermöchte ich es daher, Sie zu überzeugen, solange nicht die Kreuzung in ihrem zweiten Ausgangspunkt verfolgt wird?«

Nachsinnend hatte Kommissar Scharbeck den leidenschaftlichen Worten des Verhafteten zugehört.

Es lag viel Wahrheit darin? Auch viel Möglichkeit?

Mußte eben deshalb dies der Mörder sein, weil alle Verdachtsgründe auf ihn hindeuteten?

Konnte nicht eine dritte Person die Tat begangen haben, auf welche keine Spur führte?

»Was aber können Sie angeben, das auch nur eine geringe Möglichkeit für die Schuld eines jetzt noch Unbekannten ergibt?«

»Nichts! Ich hörte Tritte! Dann rannte ich davon und ließ Luise allein zurück. Das aber ist meine einzige Schuld.«

»Tritte! Von einer Person?«

»Ja!«

Kommissar Scharbeck erinnerte sich genau, daß es ein Paar gewesen war, das zuerst in den Palmengarten getreten war und die Leiche bemerkte hatte.

Sollte doch etwas Wahres darin liegen? Wohin führte dann diese zweite Spur?

War es überhaupt möglich, daß sich der Schicksalsweg zweier Personen so unmittelbar kreuzt, ohne daß der eine von der so sehr beeinflussenden Nähe des zweiten eine Kenntnis besitzt?

Eine Lösung glaubte Kommissar Scharbeck durch die Vernehmung Hans Oldens zu erreichen.

Statt dessen fand er neue, ungelöste Rätsel, Vermutungen und Möglichkeiten, die statt zu lösen, noch mehr verwirrten.

Und dennoch! Die Flucht!

Sprach diese nicht auch für die Tat Oldens?

»Warum haben Sie dann München so rasch und so unerwartet verlassen?«

Hans Olden strich mit seiner schmalen Hand über seine hohe Stirne, als könne er so Gedanken aus dem Gedächtnisse streichen, die ihn quälten und marterten. Dann atmete er tief, wie von einer Last befreit.

»Ich mußte! Ich konnte nicht mehr bleiben, wo ich immer das Schreckgespenst meiner Schuld aus allen Winkeln lauernd kriechen sah, das seine Fangarme nach mir reckte, – das war ja grauenvoll!«

Scharbeck mußte auch die Möglichkeit dieses Motivs zur plötzlichen Abreise anerkennen. Wenigstens konnte er nicht das Gegenteil beweisen.

»Aber Sie entfernten sich erst, als Sie von Frau Müller erfahren hatten, daß nach Ihnen gefragt worden war!

Glauben Sie, daß dadurch jenes Schreckgespenst beruhigt wurde?«

Hans Olden lächelte. Aber dieses Lächeln war so schmerzhaft, so gequält.

Der Kommissar Scharbeck sah ein, daß jede weitere Vernehmung zwecklos sein würde.

Hier konnte er nichts erreichen!

Er ordnete deshalb die Abführung des Beschuldigten wieder an.

Ehe der Gefangenwärter eintrat, bat Hans Olden den Kommissar, den Eltern der Ermordeten über sein Verhältnis zu ihr Mitteilung zu machen, und diese in seinem Namen um Verzeihung zu bitten.

Kommissar Scharbeck versprach dies zu tun und verständigte Olden gleichzeitig, daß er demnächst den Besuch seines Freundes zu erwarten habe; er nannte hierbei den Namen des Doktor Hallern.

Nach diesem war der Gefangenaufseher eingetreten und führte Hans Olden in seine Zelle zurück.

In Gedanken kehrte der Kommissar wieder in das Polizeigebäude zurück.

Ihn beschäftigte hierbei immer wieder die Erklärung des jungen Mannes, die keineswegs gesucht oder ausgeheckt klang, sondern aus der soviel Wahrheit sprach.

Hatte er doch selbst oft schon die Wahrheit dessen erlebt, was hier Olden mit Kreuzung zweier Schicksalswege bezeichnete!

Dann diese geklärte Ruhe, dieses Fügen in das Los, das für einen gebildeten Menschen, wie es Hans Olden war, ein doppelt schweres sein mußte.

Entweder lag Wahrheit in allen seinen Behauptungen; wenn nicht, dann war er einer der raffiniertesten und gewiegtesten Verbrecher, wie Scharbeck während seines mehr als zwanzigjährigen Dienstes noch keinen gefunden hatte.

War aber das Möglichkeit!

Könnte nicht ebensogut Franz Walther, dieser verschüchterte, kindlich-täppische Mensch, der Mörder sein, wie Hans Olden?

Kommissar Scharbeck wußte nicht, ob er sich über das Ergebnis dieses Tages freuen oder ärgern sollte!

Beides war gleich begründet.

Ob Doktor Hallern hieraus wohl klug werden würde?

Vielleicht fand dieser eine Lösung?

Als Kriminalist mußte Scharbeck die Tat vollständig Hans Olden zuschreiben; als Mensch aber konnte er nur an seine Unschuld glauben.

Aber . . .

 


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