Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Creole.


I.

Wißt ihr was das Wort bedeutet – Roulette? – Einen grünen Tisch mögt ihr euch denken, bedeckt von rothen Carrés und Nummern, inmitten dieses Tisches läuft ein unschuldiges Rädchen, eine Kugel drehend. Seht ihr wie sie schweigend starren, athemlos lauschen, wie der schnarrende Ruf des Croupiers durch die Stille schrillt: » Rien ne va plus.<« Wie sie zusammenzucken bei diesem Worte; wie dort die dicke Jüdin vergißt, sich den Angstschweiß von der rothen Stirn zu wischen, der in großen Tropfen niederperlt; der kalte Engländer neben ihr das Glas fester an's Auge preßt; hier sich der sonst so galante Pariser derb zwischen zwei niedliche Damen drängt, die ihm die Aussicht auf das Rädchen und seine verhängnißvolle Kugel verdecken. Seht im Winkel dort unten einen bleichen Jüngling, wie er mit stieren Blicken und zitternden Lippen in den leeren Taschen wühlt und seinem letzten Louisd'or mit verzweifeltem Muthe alles vertraut. Ha! Jetzt, – jetzt, die Kugel ist gefallen! Zéro rouge!< ruft gleichgiltig die heisere Stimme von vorhin. Die Jüdin würde umfallen, wenn es in dem Gedränge möglich wäre, sie hatte Zéro noir à plein< besetzt; der Engländer verliert das Glas nicht, das zwischen Nasenwinkel und Augenbraunen eingeklemmt ist, murmelt aber ganz leise: » Goddam!<« Der Franzose schreit: » Diable, tout est perdu!<« Der blasse junge Mann im Winkel, schlägt die geballte Faust vor die Stirne und stürzt hinaus. Nach zwei Minuten hört ihr einen Schuß: Was giebts, was ist geschehen? Der Jüngling hat sich entleibt, liegt mit zerschmettertem Gehirn zwischen den Rosensträuchen des duftigen Parks, der das Kurhaus umgiebt. Das eintönige Rollen der Kugel, das » Rien ne va plus<« geht seinen Gang, die Spieler sehen sich nicht nach dem Opfer im Garten um, ihr Auge ist an das kleine Rädchen gebannt, bis auch ihnen die letzte Nummer fällt! – Kennt ihr das? – Wohl euch, wenn ihr es nicht kennt! Satans-Erfindung! Mark und Bein vergiftend, Seele und Gemüth zerstörend! – blühst du üppig in diesem Jahrhundert der Verkehrtheit! – Das Rad, auf dem der Vatermörder geendet, ist nicht so gräßlich als die heillose Scheibe, die freilich auch straft, aber nicht mit der Strafe, die Gott- und Menschheit versöhnt, mit dem Fluch der Selbstverwerfung, die entfernt von göttlicher und zeitlicher Versöhnung! – So hört denn, ich will euch eine Geschichte erzählen, eine Geschichte von dem unschuldigen Rade mit seinen niedlichen Kügelchen, und Keinem wird's schaden, sie zu lesen, denn: der Roulette kennt, begreift sie wohl diese Geschichte, und der es nicht kennt das Spiel, begreift, wie gut es ist, nicht alles auf der Welt kennen zu wollen.

Es war im Jahre 1824 an einem himmlisch schönen Juli-Abend, als sich im Kur-Saal zu Wiesbaden eine glänzende laute Gesellschaft durch die Säle drängte; Einige um zu sehen, Viele um zu tanzen, die Meisten, um an den Spieltischen dem Treiben der launigen Göttin zu lauschen. Vor den weit geöffneten Fenstern des Roulette-Zimmers im Erdgeschosse, auf einer Bank im Garten, von der aus man das Gewirr in demselben übersehen konnte, saßen zwei Gestalten, deren eine mit unverwandtem Blick von draußen hinein starrte. Dieser Blick kam aus dem dunkeln Auge einer jungen Dame, deren lilienweißes Gesicht einer der schönsten Antiken glich, die je eine fürstliche Gallerie geschmückt. Wie sie so da saß, das Haupt zurückgebeugt in den Saal, die edle Stirn von dichten, schwarzen Locken umschattet, die feinen dunklen Braunen leicht zusammengezogen, die zarte Rechte mit dem ausgestreckten Arm auf dem Fenster-Gesimse lehnend, indeß die Linke einen purpurfarbnen Cashmir fest über der stürmisch wogenden Brust zusammenhielt, war sie anzusehen, wie eine Erscheinung aus einer längst vergangenen oder noch werdenden Zeit, dem gegenwärtigen Geschlecht schien sie nicht anzugehören, oder ihm entrückt.

Die zweite Gestalt – bequem zurückgelehnt auf der Bank, mit dem Rücken gegen das Fenster gewandt, gerade hinausschauend in die Mondnacht, die milde aus dem kleinen Teich vor ihm rückstrahlte, war ein ernster Mann von vielleicht acht und vierzig bis fünfzig Jahren. Sein Gesicht, wenn nicht schön, hatte doch einen Ausdruck von Kraft und Güte, welche den Mangel an Regelmäßigkeit ersetzten. Sein starker Schnurbart und seine Haltung, gaben dem Manne etwas Militärisches; er sah aus wie Einer, der schon mehr Schlachten als Rendezvous mitgemacht.

Im Spielzimmer selbst aber, am andern Ende der Roulette, den Damen gegenüber, stand mit unterschlagenen Armen ein junger, schlanker Mann von etwas dunkler Hautfarbe, mit edlen regelmäßigen Zügen, mit brennenden Feueraugen, und sah unbeweglich über den Spieltisch hinweg nach dem wunderbaren Frauenbild draußen, indeß sein Gold in Haufen auf der grünen Tafel roulirte. Zuweilen nur, wenn der Croupier ihm » C'est trop<« zurief, und ihm den stehengebliebenen Satz hinschob, wandte er das Auge gleichmüthig zur Seite; hinter ihm streckte eine Hand sich aus, es schien die seines Begleiters, und strich das Gold ein. Jener setzte wieder, sah nach dem Fenster, gewann auf's Neue, und so ging es fort, bis der Mann draußen auf der Bank sein Schweigen brach, und sich zu der Dame neigend, mit gutmüthiger Zärtlichkeit sprach: » Stefanie, der Thau fällt so reichlich, daß ich für Deinen zarten Körper fürchte, es ist Zeit die Säle wieder aufzusuchen.« Nun erhob sich diese, legte ihren Arm in den seinen, und flüsterte: »Gerne, mein Freund, wenn es Dir nicht zu schwer fällt, den frischen, mit Düften erfüllten Nachthauch mit dem Dunst der Lichter und dem Lärm der Tanzenden zu vertauschen.« »Mir scheint dieser Tausch nöthig um Deinetwillen, ich empfinde ihn nicht, ich bin ja hier wie dort an Deiner Seite« – sprach der Mann mit liebevollem Lächeln auf seine Begleiterin herabblickend, die sich fester auf seinen Arm stützte, denn schon traten sie aus dem Garten in den Saal, dessen Helle sie fast blendete.

Der junge Spieler aber, um den sich alle Welt drängte, verließ rasch das Roulette, sprach leise einige Worte zu seinem Begleiter, und die grimmigen Blicke der Banquiers folgten dem Unbegreiflichen, der inmitten des unerhörtesten Glückes Fortuna den Rücken kehrte.

*

II.

» Kennen Sie die schöne junge Person am Arme des hohen Mannes dort, sie trägt einen rothen Cashmir?« fragte ein eleganter Frankfurter Commis eine ziemlich passirte Banquiers-Wittwe, die sich herabließ, sich von dem hübschen Jungen die Cour machen zu lassen.

»Jung,« entgegnete sie spöttisch, »nun, es muß so arg nicht sein, sie ist schon das vierte Jahr mit ihrem Manne im Bade hier, wir wohnten im vorigen Sommer in den › Jahreszeiten‹ auf demselben Gang.«

»Da kennen Sie sie wohl recht genau,« flötete eine zarte Stimme neben der mageren Wittwe, die einem sehr corpulenten Fräulein angehört, das seit zehn Jahren Wiesbaden besucht, und noch immer nicht fand, was sie zu finden hofft, den Begleiter durch's Leben.

»Kennen?« – entgegnete Jene naserümpfend, »daß ich nicht wüßte. Mein Gott, die Person thut ja so vornehm, wie die Königin von Spanien im Goethe'schen ›Carlos,‹ Dieser Fauxpas< (»Don Carlos« ist ein Werk von Friedrich Schiller) verweist darauf, dass die »passierte« Wittwe ihr Bildung allenfalls durch Hörensagen erworben hat. [ Anm.d.Hrsg.] und sieht Einen kaum von der Seite an. Der Mann war Oberst in preußischen Diensten, und man weiß nicht, wird er von der Frau oder von der Gicht geplagt, aber er ist jeden Sommer hier.«

»Schön ist sie,« – lispelt jetzt der Frankfurter, indem er zierlich ein Bein über das andere legt und das eben besprochene Paar vorbeipassiren läßt.

»Schön,« – fährt die Wittwe los, »mein Himmel, sie sieht ja aus wie die Wachsfigur der Charlotte Corday auf der Guillotine, die neulich auf der Messe zu sehen war.«

»Und ist mager wie eine Kreuzspinne!« lispelte die sanfte Dicke wieder.

»Meine Beste,« wirft die dünne Wittwe hin, »es kann nicht Jede aussehen, wie die sieben Fetten in der Bibel.«

»Welche Fetten?« fragte gedankenlos der schmachtende Jüngling.

»Jahre,« – entgegnet die beleidigte Wittwe, »versteht sich.« –

»Aber diese Augen sind doch so glutvoll,« phantasirt jetzt der Frankfurter, »dieser Ausdruck, so wundersinnig, so geheimnißvoll-gespenstig, ha, – haben Sie den Blick gesehen, den sie jetzt in den Spiel-Saal hineinschleuderte? Bei der Malibran, die ich in Paris zwanzig Mal hörte, schwöre ich's, wo der Blick hinfiel, hat er gezündet.«

»Kommen Sie, Liebste, wir gehen,« sagte die Wittwe. »Der Herr Süßapfel mag zu Fuß nach Frankfurt pilgern, ich fahre.«

Erschrocken springt der Schmachtende auf, er hat seinen letzten Thaler der Roulette geopfert, der Wagen der Wittwe ist seine einzige Hoffnung – denn im Jahre 24 flog noch keine Locomotive dienstfertig zwischen der Frankfurter Jugend und der Wiesbadener Bank hin und her. Mit einem glühenden Scheideblick auf die entschwundene, geheimnißvoll Gespenstige, rennt daher Herr Süßapfel der beleidigten Protectrice nach und versöhnt sie.

»Sehen sie doch, Mama.«

»Was, Kind?«

»Da ist das seltsame Paar wieder.«

»Richtig, die schöne Preußin mit ihrem stillen Manne.«

»Mama, die ist aber auch schöner als schön.«

»Ach Du bist nicht klug!«

»Gewiß, sie sieht aus, als wäre sie gerade einem Roman George Sand's entsprungen, so recht schauerlich reizend, die hat gewiß ein schweres Verbrechen auf sich, weil sie so bleich und ernsthaft ist. Ach! Mama, so was ist doch höchst romantisch!«

Solche und ähnliche Gespräche durchwogten den Saal, wo das Paar vorüberkam, das wir schon vorhin auf der Bank im Garten belauscht, und es war kein Wunder, wie sollten zwei so ungewöhnliche Gestalten nicht auffallen. Der Mann edel, würdevoll, doch zu alt für die Frau, die kaum zwanzig Jahre zu haben schien. Diese, wahrhaft schön, eigenthümlich in ihrer Art und Weise, fremdartig, und Beide so verschlossen, so unzugänglich, daß selbst die Wenigen, mit welchen sie sich zuweilen unterhielten, die den gebildeten Geist der Dame, die umfassende Welt- und Menschenkenntniß des vielgereisten Obersten rühmten, von Beiden nichts weiter wußten, als daß der Letztere von Waldau heiße, Oberst in preußischen Diensten gewesen, den Abschied genommen habe, bald auf seinen Gütern in Rheinpreußen, bald in Paris lebe, und mit seiner Frau glücklich zu sein scheine.

Ueber Frau von Waldau cirkulirten die abenteuerlichsten Gerüchte. Einige wußten: sie sei Sängerin in Madrid gewesen, der Oberst habe sie von der Bühne weg geheirathet; Andere widersprachen dem, denn man wisse bestimmt, daß Waldau sie zuerst bei Franconi in Paris gesehen habe, wo sie als Kunstreiterin Furore machte. Ein Dritter versicherte, sie sei eine Italienerin, ihr Mann hätte sie aus einem Kloster bei Rom entführt; und alle diese Gerüchte wurden mit großer Redseligkeit verhandelt, bis ein junger Spaßvogel aus Mainz mit tiefem Ernst erklärte: er allein könne den Schleier lüften, der dieses räthselhafte Wesen verhülle; er habe in diesen Tagen einen Pariser gesprochen, der Frau von Waldau seit ihrer Kindheit kenne. Alles, was in den kleinen Kreis von Damen, der den Mainzer umgab, Ohren hatte, rückte rasch näher, um keine Silbe des erwarteten Aufschlusses zu verlieren.

»Nun, so hören Sie!« flüsterte er geheimnißvoll: »diese bezaubernde Frau, die, wie das Bild zu Sais, Jeden verrückt macht, dem sie sich in ihrem vollen geistigen Glanz ohne Hülle und Schleier zeigt, diese Frau, die der Gegenstand der strengsten Nachforschungen des ganzen weiblichen Geschlechtes, ist wirklich eine Römerin. Sie war die Gattin eines französischen Generals, der damals in Rom lebte; dort hat sie der deutsche Oberst kennen gelernt und entführt. Der unglücklich betrogene Ehemann aber verfolgte die Flüchtlinge bis Genf, ereilte sie und fiel im Duell von der Hand des Verführers.« –

Mit großen Augen, etwas verdutzt, starrten die Horchenden den Berichterstatter an. Einigen wollte es schon einleuchten, es klang ja abenteuerlich genug, doch plötzlich erschallte ein lautes Gelächter der lauschenden Herren ringsum, der Mainzer schlüpfte in's Gewühl und verschwand. Die mystificirten Damen begriffen, daß sie die wohlverdiente Strafe ihrer Neugierde empfangen hatten, und zerstreuten sich schweigender als gewöhnlich.

Das Paar, das alle Köpfe und Zungen in Bewegung setzte, stand indeß ruhig an einer Säule und sah dem Tanze zu, ohne eine Ahnung, daß es der Gegenstand der allgemeinen Neugier und der boshaftesten Verleumdung war.

»Die Hitze ist kaum zu ertragen,« klagte Stefanie, »ich durste unerträglich.«

»Soll ich Limonade bringen?« fragte der Oberst; er schien schwankend zwischen dem Wunsch, ihr zu dienen und sie nicht zu verlassen. Sie nickte bejahend mit einem bittenden Blick, lehnte sich fester an die Säule und sah ruhig in das Getümmel der Tanzenden. –

Der Oberst drängte sich rasch durch die Menge und verschwand bald in den Speisezimmern.

Eine Weile stand Stefanie so unbeweglich, wie die Statuen in den Nischen der Colonnade rings um, und starrte, theilnahmlos für Alles, was sie umgab, durch die offene Seitenthür nach dem Spielsaal hinein, als fürchte sie jeden Augenblick ein verhaßtes Gesicht dort wiederzufinden. Eben flüsterte sie in sich hinein: »Er war es, o gewiß, er war's!« Da fühlte sie einen glühenden Hauch, der leise über ihren entblößten Nacken hinstrich. Sie bebte zusammen und wagte nicht das Haupt zu wenden, und wagte nicht zu denken, was sie dachte. Jetzt war es, als streife ein kaum fühlbarer Kuß ihre Schulter. Rasch, mit einem zornfunkelnden Blick, wandte sie sich und ihre Augen begegneten denen des blassen Spielers, der einen duftenden Strauß in ihre Hand drückte, diese eine Secunde lang an die Brust preßte, und dann blitzschnell in der Colonnade verschwand; Alles dies war das Werk eines Augenblickes. »Das ist zu viel!« stammelte sie bebend und warf das Bouquet weit von sich. In diesem Augenblick sah man den Oberst sich mit der Limonade mühsam durch das Gedränge arbeiten. »Gott! Waldau,« flüsterte sie, noch bleicher werdend, »er darf es nie erfahren.«

*

III.

» Was sagst Du, Van Spert, sie warf die Blumen von sich?«

»Ich sah's mit meinen eigenen Augen.«

»Es ist unmöglich!«

»Es ist geschehen.«

»Sollte mir das Glück so plötzlich den Rücken wenden? Ich kann es nicht glauben.«

»Mußt es auch einmal lernen; hast zu tolle Erfolge bei den Weibern gehabt, bist verwöhnt!«

»Es ist wahr, ich habe mehr Herzen gewonnen, als ich Lust zu acceptiren hatte; habe auch manches gebrochen! Wer kann dafür, wenn sich diese Romanheldinnen mit Gedanken an eine ewige Liebe selbst betrügen? Aber dieses Herz – das erste, dessen Besitz mein glühendster Wunsch ist, ein Wunsch, der mehr ist als flüchtige Laune, ich sollt es nie – nie erringen können? Es treibt mich zum Wahnsinn.«

»Mein Gott, man kann nicht Alles haben! Gieb Dich zufrieden, zähle Dein Gold und sieh Dich nach einer Andern um.«

»Holländisches Phlegma, so sprichst Du mit einem Creolen! Weißt Du denn nicht, daß das Blut in unsern Adern glühende Lava ist, daß wir nicht lassen können von dem, was wir begehren, eher vom Leben. Ich sage Dir, ich liebe das Weib!«

»Pah, Du bildest Dir das ein!«

»Ich liebe sie, sage ich Dir – glaube mir, oder bei Gott! ich erwürge Dich!«

Dieses Gespräch fand in der dunkeln Allee statt, die vom Kursaal in die Stadt führt. Der Creole hatte den Holländer bei der Brust gefaßt, und schnürte ihm diese mit einem so gewaltigen Druck zusammen, sein Auge flammte so unheimlich im Wiederschein einer fernen Lampe, daß dem ruhigen Van Spert seltsam zu Muthe ward.

»Plagt Dich der Satan, William,« ächzte er athemlos, »bist Du zum Tiger aus den Urwäldern geworden? Ich glaube es ja, liebe sie so toll als es Dir convenirt, aber« – der Andere hatte ihn indessen losgelassen, »mich laß zufrieden; wenn Du ein Narr sein willst, so sei es allein.« Damit ging er so schnell, als es ihm das angeborne Phlegma erlaubte, die Allee hinab. Der Creole aber stand lange in finsterm Schweigen, zähneknirschend, mit hochklopfender Brust, und starrte nach den erleuchteten Fenstern des Kursaals, an denen wie flüchtige Schatten die Gestalten der Tanzenden hinflogen. Erst als er am Ende der Allee ein weißes Gewand zu unterscheiden glaubte, trat er zur Seite unter die dichten Laubengewölbe. In diesem Augenblick faßte ihn eine starke Faust plötzlich im Nacken und der erstaunte junge Mann fühlte sich mit Blitzesschnelle zu Boden gerissen, ehe er sich besinnen konnte, was mit ihm geschah. Ein kräftiger Fuß trat ihm auf die Brust, und halblaut stammelte eine vor Angst und Wuth bebende Stimme über ihm: »Räuber meines Vermögens, gieb mein Gold heraus oder Du bist des Todes.« Zur Bestätigung, wie ernst diese Drohung gemeint sei, ballten sich zwei kräftige Fäuste dicht vor seinem Gesichte. Der Creole schlüpfte mit südlicher Behendigkeit unter dem starken Räuber durch, stand mit der Elasticität der Schlange ganz plötzlich auf den Beinen und schleuderte Jenen so kräftig von sich, daß er zehn Schritte weiter fliegend mit einem Fluch zur Erde taumelte. »Incommodiren Sie sich nicht, mein Herr –« lachte William. »Sie wünschen meinen Gewinn von der Bank? Bedauere, Ihnen nicht mehr dienen zu können, da jener Herr, den Sie noch in der Allee sehen können, die 400 Louisd'or bei sich trägt, die mir heute wieder zufielen. Machen Sie sich nur schnell auf die Beine, sonst holen Sie ihn wahrlich nicht ein.«

Nun schlich der verwegene Spitzbube die Allee hinab, und das weiße Frauengewand von vorhin kam näher. Sie war es mit ihrem Gatten, der, ohne es zu ahnen, daß der schlimmste Feind seines Glückes so nahe war, lautsprechend vorüberging.

»Was hat Dich so erschüttert, Stefanie? Ich fühle es in Deinem ganzen Wesen, daß Du durch irgend etwas Ungewöhnliches aufgeregt bist. Warum drangst Du so sehr in mich den Saal zu verlassen?«

»Wenn ich es Dir sage, Waldau, so beunruhigt es Dich, und am Ende ist es nur ein Trugbild meines erhitzten Blutes.«

»Aber ist es recht, daß Du mir vorenthältst, was Dich quält, wenn es auch nur ein Traum wäre – theilst Du nicht Alles mit mir, und willst mir meinen Antheil an Dir verkürzen.«

»Mein Freund, mein theurer Freund, Du thust mir weh! Wohlan, Du sollst es wissen.«

Sie stand still und schmiegte sich fester an den Arm des Obersten, indem sie fortfuhr: »Mir war, als hätte ich im Spielsaal einen Augenblick lang das Gesicht des unheimlichen Italieners erblickt, der Marietta Deiner Hut entzog. Dieser schreckliche Mensch ist mir unvergeßlich! Es war gewiß nur eine Täuschung, aber der Gedanke schon macht mich schaudern!«

»Beruhige Dich, Stefanie,« tröstete der Oberst, »gewiß war das wieder ein Gespenst Deiner reizbaren Phantasie. Giordano ist längst nicht mehr in Europa, und wagt sich keinenfalls an einem Ort zu zeigen, wo mein Name in jeder Badeliste zu finden ist.«

»Ach, meine arme Marietta!« seufzte die bleiche junge Frau kaum hörbar.

Der Oberst zuckte zusammen, seine Stirne umwölkte sich. »Ich bitte Dich,« rief er jetzt plötzlich befehlend, »ich bitte Dich, Stefanie

»Mein Gott!« seufzte sie zusammenfahrend, »ich schweige ja, ich schweige!« und stumm gingen nun Beide nebeneinander bis zum Portal des Hotels der vier Jahreszeiten, in welchem sie verschwanden.

Der Creole, dem kein Wort dieses Dialogs entgangen war, schlug die Arme fester ineinander, und ein Gedanke jagte den andern in seiner Seele. Welche Räthsel, wie seltsam Alles, was sie umgiebt, Alles was sich auf sie bezieht. Und diese Hülle sollte undurchdringlich sein? So tönte es leise in abgestoßenen Sätzen aus seinem bebenden Munde. Ich will sie kennen, ich allein. Mit diesen Worten trat er in dasselbe Hotel und suchte sein Zimmer, das dicht an dem des Obersten lag.

*

IV.

William Delinville hatte als Jüngling von achtzehn Jahren nach dem Willen seines Vaters, eines unermeßlich reichen Pflanzers auf Cap français, das heiße Martinique verlassen, um in dem kalten Europa Geist und Sitten zu bilden, die Welt zu sehen, und sich all der Vortheile zu erfreuen, die dem Schooßkinde des Glücks der Reichthum gewähren kann. William hatte sich gebildet, hatte in Paris und London eine freie Weltansicht, Geschmack an den verfeinerten Genüssen Europas und seinen schönen Frauen gewonnen, und war nun sechs Jahre fern von der Heimath, ohne nur an Rückkehr zu denken. Die Mahnbriefe seines Vaters warf er meist ungelesen zur Seite. Der Gedanke an Heimkehr war ihm entsetzlich geworden, und er versuchte mit Künsten aller Art seinen Vater zur Uebersiedlung nach Frankreich zu bereden, doch stets vergebens; Vater und Sohn gaben sich nicht um eine Linie breit nach, und doch wagte der Erstere nicht dem Liebling die Goldquellen zu verstopfen, die natürlich die besten Stützen seines Eigensinns waren.

Bei einer Reise durch Holland hatte er die Bekanntschaft des jungen Van Spert gemacht, dessen trockener Ernst und unerschütterlicher Gleichmuth, verbunden mit einem festen und tiefen Gemüth, den Creolen ungewöhnlich ansprachen. William war zwar im Aeußeren ganz Europäer, in seinem Innern aber kochte das Blut seines Vaterlandes und brach bei jeder Gelegenheit in Flammen hervor. Die rein heterogenen Charaktere beider jungen Männer hatten sie zusammengeführt, und sich gegenseitig so zum Bedürfniß gemacht, daß William, als Van Spert gezwungen war, seinen Vater nach Wiesbaden zu begleiten, die Reise aus freiem Antrieb mitmachte.

William war von Natur gutgeartet; ausgerüstet mit ungewöhnlicher Geistes- und Körperkraft, mit Sinn für alles Edle und Große begabt, schien er bestimmt, ein vollkommener Mann zu werden. So ergriff ihn der Strudel des Pariser Lebens, und riß ihn um so unwiderstehlicher fort, als er früher von seinem Vater zu strenge gehalten, die erlangte Freiheit nicht zu handhaben wußte. Sein glühendes Blut zog ihn in die Arme von Frauen, deren Inneres mit dem Aeußeren im grellsten Widerspruch stand. Er lernte das Geschlecht erst verachten, dann betrügen, und jemehr die Außenwelt die guten Keime in ihm erstickte, je rascher schritt er auf seiner Bahn vorwärts; er war mit vierundzwanzig Jahren in seinem Innern ein Greis, ohne gelebt zu haben. Uebersättigung trat an die Stelle der früheren Genußsucht. Aus Langeweile knüpfte er hier und dort Liebesintriguen an, zerstörte die Ruhe manches Herzens, mancher Familie, und sah das Unheil, das er geschaffen, so gleichgültig an, als die leichten Siege, die es herbeigeführt. Wenn sich einmal das Gewissen in ihm regen wollte, so ließ er Postpferde holen, und verschwand plötzlich aus der Nähe eines Wesens, das alle Hoffnungen auf Lebensglück an ihn geknüpft hatte.

So kam er nach Wiesbaden. Sein erster Blick fiel auf die geheimnißvolle Fremde, die dasselbe Hotel, denselben Corridor mit ihm bewohnte. Dieser Blick entschied sein Geschick. Er schien von einem elektrischen Strahl berührt, sein ganzes Wesen hatte eine gewaltige Erschütterung erlitten, die es aus allen Fugen rückte. Er liebte, zum ersten Mal liebte er, zum ersten Mal begriff er, daß er ein ödes, verworrenes, strafbares Sein durchlaufen, daß hier oder nimmer Rettung für ihn sei. Jemehr er sie beobachtete, je deutlicher wurde es ihm, daß dieser Oberst fast unmerklich, und doch so fühlbar eine ganz eigene despotische Macht über Stefanien ausübte; daß ihre Blicke nicht Liebe, nur achtungsvolle Scheu vor ihm anzeigten, kurz, daß hier irgend ein Räthsel lag, dessen Lösung man so tief als möglich verhülle. Mit den Hindernissen stieg seine Leidenschaft. Er verfolgte sie, wie ihr Schatten, doch stets in weiter Ferne. Er erwies ihr hundert kleine zarte Aufmerksamkeiten, die nur ihr allein auffallen konnten. In endloser Pein durchwachte er seine Nächte, durchlebte er den Tag, wo sie nicht war, vermochte er nicht zehn Minuten zu bleiben. Oefter hatte er bemerkt, daß sie mit großer Aufmerksamkeit, ja, mit zitterndem Interesse dem Roulettespiele zusah. Für das Laster des Spieles war William stets unzugänglich geblieben; jetzt spielte er, spielte hoch, um ihre Aufmerksamkeit zu erwecken. Er spielte mit unbegreiflichem Glücke; das schien sie zu erfreuen, indeß er mit kalter Gleichgültigkeit enorme Summen gewann, die gewöhnlich Van Spert für ihn einkassirte, weil es ihm nicht der Mühe werth schien, den Arm auszustrecken, um sich des Goldes zu bemächtigen. – Seine Seltsamkeiten fielen eben so allgemein auf, wie Stefaniens Erscheinung, und Beide waren das Gespräch des Tages, ohne daß sie es wußten, und sich darum bekümmerten.

Fast vier Wochen schon währte dies Treiben, ohne daß William, außer am Spieltische, auch nur einen Blick der schönen Frau erlangen konnte, die für alle seine Aufmerksamkeiten blind, für seine Seufzer taub, schien. Schon war er der Verzweiflung nahe, als er an dem Abend, von dem wir bereits erzählt, die Geliebte außerhalb des Roulettezimmers im Garten erblickte, und sich selbst für den Gegenstand ihrer starren Aufmerksamkeit haltend, von einem Wahnsinn ähnlichen Entzücken ergriffen ward. Er, der nur sie sah, bemerkte nicht, daß dicht neben ihm ein finsterer Mann mit braungelbem italienischen Gesicht und kleinen blitzenden Augen, zähneknirschend sein Geld verspielte. Stefanie sah nur diesen, und William wähnte, sie halte zum ersten Mal seinen flammenden Blicken Stand; die Hoffnung wuchs wie eine Lawine, und stürzte über ihm zusammen, Vernunft und besseres Gefühl begrabend. So kam es, daß er den Kuß auf ihren Nacken gewagt, ihr das Bouquet in die Hand gedrückt hatte, und nur Van Sperts Ehrenwort, womit er bekräftigte, was er gesehn: daß Stefanie über seine Kühnheit außer sich war, konnte ihn seinen Himmeln entreißen. Was weiter geschah wissen wir. – Lautlos lag er, heimgekehrt, in seinem Sopha, das brennende Gesicht in beiden Händen verbergend. Doch, je stiller es um ihn war, je lauter und deutlicher klang jetzt die Stimme des Obersten in sein, nur durch eine Thür von drüben getrenntes Gemach herüber. Heftig klingelnd rief Jener mit seinem volltönenden Baß dem herbeieilenden Kellner zu: »Postpferde, auf der Stelle, in einer Viertelstunde reise ich.«

William ließ erstarrt die Hände vom Gesicht sinken. Sie verlieren, ehe er sie gekannt – dieser Gedanke hemmte den Kreislauf seines Blutes.

*

V.

William wagte nicht sich zu bewegen, er wagte nicht sein Zimmer zu verlassen; so schuldbewußt, wie er sich fühlte, war nichts natürlicher, als sich selbst für die Veranlassung zu dieser plötzlichen Abreise zu halten. Unschlüssig, ob er sogleich folgen, ob er Van Spert rufen, ob er geradezu den Obersten anreden sollte, rannte er auf und nieder. Indeß war es im Nebenzimmer sehr lebhaft, Bediente und Kellner kamen, gingen, und endlich, nach einer kleinen Viertelstunde, hörte er den raschen Schritt des Obersten auf dem Gang. Länger vermochte William sich nicht zu bekämpfen, mit rascher Hand riß er seine Thür auf; eben ging der Oberst, die Gattin am Arm, vorüber, und so schnell, daß der Creole noch unbeweglich stand, als Jene schon die Treppe erreicht hatten.

»Wohin?« rief er athemlos dem eilenden Kellner nach, der mit einem Reisesack hinterdrein lief: »Nach Frankfurt, zu dienen,« entgegnete dieser schnell, und verschwand.

»Nach Frankfurt,« – wiederholte er erleichtert, »ich will auch nach Frankfurt, ich will ihr nach durch die ganze Welt!« Er zog heftig die Klingel.

Indem er noch überlegend, ob er Van Spert benachrichtigen oder ohne Abschied verlassen sollte, sein Zimmer maß, hörte er Schritte draußen, leise, stillgleitende Schritte. Er horchte hoch auf, sein Pulsschlag stockte, er täuschte sich nicht, das Rauschen eines seidenen Gewandes verrieth, daß eine Dame vorüberging. Jetzt öffnete sich eine Thür, man trat ins Zimmer des Obersten, er hörte eine Frage des Kellners, vernahm die Antwort: »Nein, ich soupire nicht,« er kannte ihre Stimme, und ein ganzer Himmel senkte sich auf ihn nieder.

Nun trat der Kellner zu ihm ein: »Sie haben befohlen, Mylord?« – William galt für einen Engländer.

»Ich – ich wollte – sagen Sie mir Baptist, ist der Oberst allein abgereist?«

»Zu dienen, ganz plötzlich. Kurz vor seiner Rückkehr vom Kursaal war eine Staffette von Frankfurt gekommen; es mußte eine Nachricht von Wichtigkeit sein, denn Herr von Waldau schien sehr beunruhigt, er konnte die Pferde fast nicht erwarten.«

»Bleibt er lange?«

»Weiß nicht, doch scheint es nicht, da er noch aus dem Wagen der gnädigen Frau zurief: »Auf baldiges Wiedersehen!« –

»War sie wohl sehr betrübt?« –

»Aengstlich schien sie mehr als betrübt. Sie scheint überhaupt sehr furchtsam, und hat gleich hinter mir alle Riegel vorgeschoben! Einen aber vergaß sie gewiß, ich wette!« – lachte der Kellner.

»Welchen? –«

»Den der kleinen Thür, welche zur Treppe des Badezimmers führt.«

Es ist nöthig, daß der Leser die Einrichtung im Hotel zu den »vier Jahreszeiten« in Wiesbaden kenne. Aus mehreren Zimmern im ersten Stock führt eine schmale Treppe in die Souterrains hinab, in welchen bequem und elegant eingerichtete Badezimmer befindlich, die dann jederzeit nur von dem Inhaber der obern Gemächer benutzt werden dürfen.

Eine helle Röthe flog über das bleiche Gesicht des Creolen, ein verbrecherischer Gedanke durchzuckte ihn wie ein Blitzstrahl; einen halben raschen Blick auf Baptist werfend, flüsterte er athemlos: »Und das Badezimmer ist verschlossen?«

»Von außen nur,« – antwortete dieser, ihn schnell begreifend, »denn die Magd, der die Besorgung der Souterrains anvertraut ist, schließt stets erst nach dem Gebrauch der Bäder, sobald sie Alles in Ordnung gebracht hat. Wenn die obere Thüre, die in die Gemächer führt, offen ist – so –«

Eine Hand voll Dukaten schloß dem verrätherischen Burschen den Mund, begleitet von der leisen Frage:

»Können Sie mir den Schlüssel zu dem Souterrain verschaffen?«

»In zehn Minuten,« versicherte Baptist lächelnd, indem das Gold in seine Hand glitt. »Die Bademagd ist meine Geliebte und so dressirt, daß sie muß, wo ich befehle!«

»Aber Schweigen?« drohte William. –

»Wie das Grab,« entgegnete Baptist, die funkelnden Goldstücke in der Hand wiegend, » hier Geld, dort Verlust meines Dienstes, da müßte man wohl ein Narr sein, zu reden.«

Er war verschwunden, und in zehn Minuten der Schlüssel in Williams Hand.

Was er eigentlich beabsichtigte, war ihm selbst noch nicht klar. Wollte er ihren Schlummer belauschen, wollte er ihr seine Leidenschaft und seine Qual mit den glühendsten Farben einer tropischen Phantasie malen – er konnte sich nicht Rechenschaft geben, aber in ihr Zimmer wollte er dringen, dieser Entschluß stand fest in ihm.

Drüben war es still geworden, sie hatte sich in ihr Schlafgemach zurückgezogen, darüber war kein Zweifel. Auch in dem belebten Hause verstummten die lauten Stimmen des Tages. Mitternacht war vorüber. Der Creole verließ leise sein Gemach. Matt brannten die Lampen auf den Gängen. Im Souterrain war es so finster, daß William unter den vielen Thüren nur dem Griff nach die vierte fand, welche ihm als zu Stefaniens Bad führend bezeichnet war. Endlich war sie geöffnet und der enge Raum durchschritten. Die kleine, mit Teppichen belegte Treppe, verrieth der arglos Schlummernden die Nähe des Frevlers nicht, der mit angehaltenem Athem und krampfhaft pochendem Herzen seinen finstern Pfad vorsichtig verfolgte. Jetzt hatte er die kleine Tapetenthür erreicht – ein leiser Druck sie wich, sie war nur angelehnt. Zusammenschreckend stand der Creole auf der letzten Stufe still, sein besseres Selbst erhob sich bäumend in seiner Brust, kalter Schweiß trat vor seine bleiche Stirne, kämpfend mit der glühenden Leidenschaft und dem Abscheu vor der eigenen That, an das Geländer der Treppe gelehnt – so stand er mehrere Minuten regungslos, unfähig weder vor- noch zurückzuschreiten. Jetzt, plötzlich, schien er über sich selbst zu siegen, schon hob sich sein Fuß zur Flucht – als leises Pochen an der Thüre des Schlafgemaches, die auf den Corridor führte, ihm die Besinnung wiedergab, und den gefaßten Entschluß verscheuchte.

Er horchte. Alles blieb still. Das Pochen wiederholte sich, und jetzt fuhr Stefanie mit dem Schreckens ruf: »Was ist's! Wer klopft?« aus dem Schlaf empor.

*

VI.

» Oeffne, Giulietta Mareoni, öffne, ich bin's!« so klang es draußen.

»Meine Mariette!« rief Stefanie, sprang blitzschnell vom Lager, auf daß sie sich im Nachtkleid geworfen hatte, öffnete rasch die Thür, und mit einem unarticulirten Schmerzenslaut lagen sich die Schwestern in den Armen. Die bange Stille wurde nur durch Schluchzen und Seufzer unterbrochen.

Der Creole stand wie fest gebannt. Die weite Spalte der offenen Tapetenthür gestattete ihm einen Ueberblick des ganzen Zimmers. Er sah wie Stefanie sich endlich aus Marietta's Armen losriß, die Thür nach Außen wieder rasch verschloß, und nun Beide ihm gerade gegenüber auf's Sopha sanken, sich stumm bei den Händen hielten, und Eine in dem Anblick der Andern sich zu verlieren schien.

Die Nachtlampe warf ein dämmeriges Licht auf die Frauen und gab dem lautlosen Zuschauer Gelegenheit genug, sie zu vergleichen. Marietta war kleiner als Stefanie, aber voll und üppig, eine ächt italienische Schönheit. Ihre Züge stärker, belebter, aber regelmäßig, ihre Augen nicht so groß, aber dunkler wie die Stefaniens, und von einem wilden Feuer strahlend. Ihre Wangen von glühendem Roth bedeckt, bildeten einen seltsamen Contrast zu den lilienweißen Stefaniens. Ihr Haar, noch reicher und voller als das der Schwester, hing in dicken Locken um Gesicht und Nacken, ihr ganzes Wesen trug einen Stempel von Keckheit und Lebenslust, der schroff gegen das zarte, fast jungfräuliche Wesen Stefaniens abstach, auch schien sie mehrere Jahre älter als Jene.

William war ganz Ohr, als Stefanie begann:

»O Mariette, träume ich auch nicht? Du bist's, nach vier langen Jahren liege ich an dem Herzen der Schwester, fasse ihre Hände, sehe in ihre Augen! Wie oft ersehnte, erträumte, erflehte ich dies Glück, und mußte diese Sehnsucht in mein tiefstes Herz verschließen, und durfte Deinen Namen nicht nennen, nicht fragen nach Deinem Schicksal. O, ich litt viel um Dich!«

»Und weshalb littest Du,« entgegnete Jene mit funkelnden Augen, »weshalb entrissest Du Dich nicht dem Joch des Tyrannen, der nicht einmal unsern Briefen erlaubte, nach der Schwester zu fragen. Unerbrochen sandte er Alles zurück; und wenn mich nicht mein guter Stern gerade heute hergeführt, wo Dein Peiniger Gott weiß weshalb, Dich verläßt, so wäre mir nie das Glück geworden, in finsterer Nacht eine Unterredung mit der eigenen Schwester zu erringen.«

Ihr Ton klang so bitter, ihr Gesicht verzerrte ein so wilder Hohn, daß Stefanie die Augen niederschlug, und nur schüchtern erwiederte: »Du hast es ja selbst gewollt!«

Marietta stieß ihre Hand von sich, wandte sich ab und rief, die geballte Faust an die Stirn drückend: »Auch Du, auch aus Deinem Munde muß ich diesen Vorwurf hören? O, das ist bitter!«

»Marietta!« schmeichelte Jene, ihr die Hand vom Gesicht ziehend, die sie fest mit ihren weißen zarten Fingern umschloß: »sei gut!«

»Ach!« fuhr diese etwas weicher fort, »kennst Du denn die Liebe noch nicht, daß Du mich nicht begreifst? Sagt nicht das Gebot des Herrn: Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen, wie weit mehr noch eine Schwester, die nichts hört, als die Befehle ihres Tyrannen.«

»Nenne ihn nicht so,« – sagte jetzt Stefanie mit großer Festigkeit, »ich kann meinen Freund, meinen Wohlthäter, meinen Vater nicht beschimpfen lassen.«

»Ha ha, ja wohl, Dein Vater!!« hohnlachte Marietta, »das hätte er bleiben sollen, nicht die sechszehnjährige Schönheit an sein vorgerücktes Alter, an sein vertrocknetes Leben fesseln.«

Stefanie erhob sich rasch, schritt dem Nebenzimmer zu, und hätte sie nicht Marietta mit Blitzesschnelle erfaßt, und fast gewaltsam auf das Sopha zurückgezogen, so würde sie ohne Zweifel die Schwester verlassen haben.

»Bleib, Giulietta Mareoni, ich beschwöre Dich, vergieb mir – m

»Nenne mich bei dem Namen, den er mir gab,« sagte die früher so sanfte weiche Frau mit lauter befehlender Stimme, »Du kennst ihn ja.«

»Ha! schämst Du Dich des Namens Deiner Mutter?«

»Ja, ich schäme mich seiner,« sprach Stefanie mit einer Würde, die den lauschenden Creolen mit stiller Ehrfurcht durchschauerte; »ich schäme mich einer unnatürlichen Mutter, die ihre Kinder – doch still, laß uns den Schleier nicht lüften, der die Schande unserer Jugend birgt, ich müßte Dir sonst mit jedem Wort ein Messer durch die Brust stoßen.«

»Ha, diese freie, frische Jugend!« seufzte Marietta, »o ihr schönen Tage, wo wir mit nackten Füßen, in bunte Lumpen gehüllt, glücklicher waren, als –«

»Weh Dir,« rief Stefanie schaudernd, »wenn Du diese Tage zurückwünschen mußt! Ich wecke ihr Andenken nur dann aus dem Grabe, wenn ich einen Augenblick wankend bin im Gehorsam gegen den edelsten der Menschen.«

»So wankst Du doch endlich!« jauchzte Marietta auf; »Du wankst?«

»O! es sind erst Wochen, wo sich ein fremdes Gefühl zwischen ihn und mich zu drängen strebt, doch wozu das,« unterbrach sich Stefanie, rasch mit der Hand über die Stirn streifend, auf der sich ein trüber Schleier zu lagern schien, und indeß es den Lauscher heiß und kalt durchrieselte, fuhr sie weich wie früher fort.

»Wie geht es Dir, meine Marietta, »bist Du so sehr elend geworden?«

»Ich war es nicht, jetzt bin ichs, und finde ich bei Dir nicht Rettung, so bescheint die Morgensonne zwei Selbstmörder.«

»Großer Gott!« stöhnte Stefanie tonlos.

»Höre mich jetzt, wir haben wenig Zeit mehr. Die Nacht ist bald vorüber, und ich will nicht, daß deinem Manne unser Hiersein verrathen werde. Du kennst ihn und kennst Giordanos Haß; ich will Dein Unglück nicht.

Seitdem mich mein Gatte dem Despotismus Waldau's entriß, hat uns kein anderes Glück gelächelt, als das der Liebe. Ich will Dir nicht sagen, was ich litt, Du kannst ja doch nicht helfen. Seit einem Jahre hat Giordano eine Stelle in einem Handelshaus zu Venedig gefunden, von wo aus er als Commissionär halb Europa durchreist, und so war endlich unsere Zukunft gegründet, und für alle meine Opfer der Lohn errungen.

Sein Geschäft führte ihn nach Frankfurt. Die Sehnsucht, Dich nur einmal in diesem Leben noch zu sehen, trieb mich ihn zu begleiten. Wußte ich doch, daß Dein Zwingherr noch lebte, und daß ich Dich dann sicher hier finden würde. Ich wollte allein herüber fahren, um Dich zu sehen. Doch Giordanos sinnlose Eifersucht gab es nicht zu. Gestern cassirte er Gelder ein für sein Haus, heute kamen wir hier an, und indeß ich Dich hier ausfand und mich in demselben Hotel einlogirte, um Dir nahe zu sein, und einen Augenblick benutzen zu können, Dir unbemerkt ein Zeichen meiner Nähe zu geben, führt den Unseligen sein finsteres Geschick zum Roulette

Stefanie zuckte zusammen, Marietta fuhr mit schwankender Stimme und niedergeschlagenem Blicke fort: »Du weißt, daß das Spiel das einzige Laster meines heißgeliebten Gatten war. Ich hatte dies Ungeheuer bekämpft, Jahre lang hat er den grünen Tisch nicht mehr gesehen, heute ersteht der böse Geist in ihm, er spielt!«

»Ich sah es!« flüsterte Stefanie.

»Entsetzlich!« kreischte Marietta in Jammer ausbrechend; »in einer Stunde hat er den Betrag des Wechsels verloren, den er in 3 Tagen für sein Haus in Frankfurt zu bezahlen hat. Er ist entehrt, verloren, ist dem Wahnsinne nah! Hilfst Du nicht, Stefanie, so ist unsere Zukunft zerstört, Giordano tödtet sich und ich mich selbst – denn ohne ihn will und kann ich nicht leben! Hilf, Giulietta, hilf – oder tödte mich gleich jetzt!«

Bei diesen Worten sank die Unselige vor Stefanie nieder, umschlang ihre Knie und starrte mit einem so furchtbaren Ausdruck von Verzweiflung und flehentlicher Bitte zu ihr empor, daß Jene entsetzt beide Hände vor das Gesicht schlug, und schmerzlich stöhnend die Worte hervorhauchte: »Weh Marietta, wie gleichst Du jetzt der Mutter! Blicke weg, blicke weg!«

»Hilf! hilf!« schluchzte diese, den Kopf in ihren Schooß drückend.

»Mein Gott! was bedarfst Du denn?«

Ohne das. Haupt zu erheben, stammelte Marietta:

»Dreihundert Louisd'or!«

»Großer Gott!« rief Stefanie und sank mit geschlossenen Augen an die Lehne des Sophas zurück.

*

VII.

» Hast Du's nicht? Hast Du die Summe von 300 Louisd'or nicht?« fragte die wilde Italienerin in bebender Hast.

Nach einer langen Pause, während welcher den lauschenden Creolen mit einer bangen Ahnung die Erinnerung an sein Abenteuer in der Allee durchzuckte, öffnete Stefanie die Augen, und rief mit Verzweiflung in Ton und Geberde: »Ich habe es nicht, wie sollte ich – weiß ich doch nicht einmal, ob Waldau reich ist. Noch nie sah ich eine solche Summe bei ihm. Ich besitze nichts als mein Taschengeld, was ich habe, sei Dein, aber diese zwanzig Louisd'or können Dir nicht helfen, und ich habe nicht mehr.«

»Du hast ja Schmuck, ich weiß es; Du hast kostbaren Schmuck!« drängte Marietta, »besser Deinen Schmuck opfern, als mein und Giordanos Leben und ewige Seligkeit.«

Stefanie war händeringend aufgesprungen, und maß das Gemach mit raschen Schritten. »Ja,« – stöhnte sie – »ich habe Schmuck, schönen kostbaren Schmuck, aber es ist das theuerste Andenken an Waldau's Mutter, es ist mir anvertrautes Gut, ich darf und kann nicht darüber verfügen.«

»Ha, ha, ha!« lachte Marietta in wilder Wuth, »das ist Schwesterliebe!« Doch schnell besonnen unterbrach sie sich: »Hat Waldau nicht seine Chatoulle mit, muß er nicht Geld mit sich führen bei einer Badereise? Hast Du den Schlüssel nicht?«

Stefanie stand still, als traue sie ihren Sinnen nicht, und starrte die freche Versucherin an: »Ich habe den Schlüssel,« sprach sie klanglos aber fest, »soll ich Dich vielleicht durch Raub retten?«

Marietta entgegnete wüthend: »Bist Du nicht sein Weib, ist das Eigenthum des Gatten nicht das seiner Frau, und kannst Du über Dein Eigenthum nicht verfügen?«

»Entsetzlich!« stammelte Stefanie, »das – das ist Marietta, das ist die Schwester, die ich mehr liebte als mein Leben. «

»Gieb mir den Schlüssel!« schrie das wüthende Weib, und trat entschlossen einen Schritt näher, als wollte sie der Bitte Gewalt hinzufügen. William bekämpfte mit übermenschlicher Anstrengung seinen Drang der Gequälten zu Hülfe zu eilen. Doch diese erhob sich plötzlich aus der gebeugten Stellung, in welcher sie mit gefalteten Händen und gesenktem Haupt da gestanden. Ihr Auge flammte, eine hohe Würde verbreitete sich um die edle Gestalt. »Weiche von mir, oder ich werde mir Hülfe zu verschaffen wissen! Bei Gott, Du wirst mir leichter das Leben als meine Ehre entreißen!« – rief sie befehlend. Und die Drohende lag schnell zu ihren Füßen, zerfloß in Thränen und küßte ihre herabhängende Hand.

»Heilige Mutter, wie sollen wir denn gerettet werden!« jammerte sie; »droben in dem Dachzimmer, das wir bewohnen, wälzt sich Giordano auf dem Boden, rauft seine Haare, und ich mußte ihn einschließen, damit sein Wahnsinn Dich nicht mit Gewalt bedrohe: Dich nannte er die Urheberin seines Elends, mich verfluchte er als die Quelle des Jammers, der über uns hereinstürzt! Wenn ihm nur so viel geblieben wäre, um noch einmal sein Heil an der Bank zu versuchen, so hätte er doch Hoffnung, aber wir haben nichts mehr, – nicht einen Sous! O, die Roulette ist eine mächtige Zauberin; indeß Giordano Alles verlor, warf es in wenig Minuten einem Glückskind neben ihm enorme Summen zu! Eine Stunde Glück könnte uns retten. O, wenn Du wolltest, Du vermöchtest es, Du, die stets vom Glück Verfolgte. Hast Du nicht schon als Kind auf den Märkten unserer Mutter ein Gewinnloos zu den kleinen Lotterien gezogen, so oft Du die Hand danach ausstrecktest? Weißt Du das nicht mehr? Du bist ja im Besitz eines Schatzes: mit zwanzig Louisd'or kannst Du die Bank sprengen und Deiner Marietta neues Leben geben, – erbarme Dich unserer!«

Stefanie stand wie von einem Blitz berührt, ihre Brust arbeitete schwer, ihr Auge schloß sich, ihr ganzes Wesen bebte bis in die Grundfeste hinein. Nach einer langen erwartungsvollen Stille sprach sie plötzlich entschlossen

»Ja, eine Stunde Glück kann retten! – Ich will es für Euch herausfordern, dieses launige Glück. Schon oft zog mich ein fast unwiderstehlicher Drang, der mich gespenstig verfolgte, hin, mein Heil zu versuchen. Für mich selbst widerstand ich mit festem Ernste, ein Mal will ich den Drang befriedigen, für Euch, und mir ist, als wahrsage mir eine innere Stimme: da ist Rettung!« –

Entzückt umschlang die abergläubige Italienerin die Schwester, sie sah schon das Gold, das jene erringen würde, und rasch wurde verabredet, daß der kommende Abend das Loos Giordanos entscheiden sollte. Stefanie war sicher, daß ihr Gatte nicht zurückkehre, den die Nachricht, daß der größte Theil seines Vermögens durch einen Bankerott bedroht sei, nach Frankfurt zu seinem befreundeten Banquier rief, und gewiß mehrere Tage dort fesselte. Die Schwestern schieden, denn der Morgen brach an.

Der Creole aber schlich behutsam die schmale Treppe wieder hinab, wie er gekommen, und ein Chaos von Ideen und Gefühlen wogte in seiner bis zum Grund erschütterten Seele.

*

VIII.

Spät am andern Abend erschien die reizende Stefanie am Arm ihrer Schwester im Kur-Saale. Es war ziemlich öde in dem weiten Raum, der sich an Wochentagen nur dann zu füllen pflegt, wenn ein Ball die Kurgäste und die Elegants von Frankfurt und Mainz herbeizieht. Das wenige Leben schien auf die Spielzimmer beschränkt. Im Saal des Trente et Quarante<, wo es gewöhnlich ruhiger ist, da höhere Summen auf dem Spiel stehen als im Roulette – das die Einsätze nur im Kleinen, aber blitzschnell verschlingt, herrschte jetzt eine Todtenstille, die selbst Stefanien, so bewegt ihr Inneres sein mochte, auffiel. Sie stand im Vorübergehen still und warf einen flüchtigen Blick auf die grüne Tafel und den Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit. Der Creole war es, der Aller Augen fesselte. Mit seiner gewöhnlichen kalten Ruhe stand er, die Arme übergeschlagen und regte sich nicht, den Blick auf die Hände des Croupiers gerichtet. Er hatte Rouge mit einem Napoleonsd'or besetzt, seitdem stand die Farbe zehn Mal nach einander, 512 Napoleons lagen auf dem rothen Feld. Eine frische Taille sollte abgezogen werden, der Banquier sah ihn mit einem fragenden Blick an. Der Creole schien ihn nicht zu beachten, denn er regte keinen Finger, um sein Geld einzuziehen. Es wurde eben abgezogen, daher die Stille und Spannung; selbst die anderen Spieler schienen neugierig, was da kommen würde. Auch Stefanie, die wohl wußte, daß es sich hier um Verlust der ganzen Summe oder Verdoppelung derselben handelte, stand erwartend still; zum eilften Mal gewann Rouge, ein tiefer Athemzug der Zuschauer schien dieses enorme Glück anzustaunen, der Creole verzog keine Miene, er füllte ruhig seine Taschen mit 1024 Napoleons, die er in einer halben Stunde gewonnen hatte, und schien im Begriff zu gehen, als eben Stefanie, von der Schwester getrieben, in's Roulette-Zimmer trat, um dem unwiderstehlichen Drang zu genügen, für den sie nun einen Vorwand gegen die lauten Warnungen ihres Innern gefunden hatte.

Am Roulette war es ziemlich leer. Scheu flog ihr Blick im Kreis umher, Niemand schien sie zu bemerken. Man sah so oft Damen an diesem verhängnißvollen Tisch, und war so mit sich selbst beschäftigt, daß man auf diese Vermehrung der Gesellschaft wenig achtete. Lange stand sie noch unentschlossen, ein Schauder durchrieselte sie – die Kugel rollte schon, mit bebender Hand griff sie endlich nach dem ersten Louisd'or, den sie zu opfern gedachte. Ihr Auge flog unstät über die 36 Nummern hin; sie wußte nicht, welche besetzen, wußte nicht wie, denn sie kannte dies Spiel nur vom Zusehen, und seine unzähligen Chancen waren ihr fremd. Instinctmäßig besetzte sie endlich die nächste beste Nummer, es war Cinq<; sie schob schüchtern ihr Goldstück in die Mitte des Carrés. Cinq< – tönte durch den Saal, Stefanie ward glühend roth, sie fühlte, daß sie zitterte, und bemühte sich, ihre kindische Bewegung, wie sie ihre Erschütterung heimlich schalt, zu verbergen. Mit Staunen sah sie ein Häufchen Gold vor sich hingeschoben, sie hatte à plein< gesetzt, also den Satz fünf und dreißigfach gewonnen.

Sie blickte verstohlen nach Mariette, die hinter ihr stand, diese winkte mit funkelnden Augen und flüsterte: »Nur so fort, – nur so fort.« – Dreimal besetzte Stefanie dieselbe Nummer, drei Mal gewann sie, und das Gold vor ihr vermehrte sich von Minute zu Minute. Mit dem Glück stieg ihr Muth. Schon stand sie nicht mehr mit gesenktem Haupt, ihr Auge hing unverwandt an der drehenden Scheibe, an der hüpfenden Kugel; ihre sonst so blassen Wangen bedeckten sich mit Fieberglut. Das Glück schien sie zu verfolgen, jedes Carré, das sie berührte, gewann. Aus ihren Blicken strahlte ein Gefühl von Lust, wie sie es nie empfunden.

»Haben wir wohl schon genug?« – flüsterte sie endlich zu Marietten hinüber.

Doch diese, von Habsucht ergriffen, verwirrt von dem ungeheuern Glück der Schwester, raunte ihr in's Ohr: »Nur fort, nur immer fort, es können kaum 150 Louisd'or sein.« Doch sie wußte wohl, daß die Summe, die vor Stefanien lag, längst hinreichte, um ihre Noth zu enden.

Stefanie begann auf's Neue zu setzen, und verlor. Sie erschrack, setzte wieder, verlor wieder. Ohne zu wissen, wie ihr geschah, verschwand ein Goldstück um's andere aus ihren Händen, das Häufchen wurde immer kleiner und kleiner: Eine unbeschreibliche Angst, eine nie gefühlte Verwirrung ergriff sie, sie schob mit zitternder eiskalter Hand ihr Gold bald hier, bald dorthin. Große Schweißtropfen traten auf ihre Stirn, sie fühlte es nicht, der Dämon des Spieles hatte sie erfaßt, sie hatte ihm ein Haar gereicht, sie war ihm verfallen. Nach einer Viertelstunde hatte sie nicht allein den Gewinnst, sie hatte ihre ganze Baarschaft verloren, die sie bei sich trug. Jetzt blickte sie zum ersten Male wieder auf, sie begegnete dem verzweifelnden Vorwurf in Mariettens Augen, die mit Thränen gefüllt nach ihr hinstarrten.

»Alles verloren!« – hauchte sie, nur Jener verständlich, und blickte, wie Hülfe suchend, umher. »Ach, Du hattest so viel gewonnen!« flüsterte Marietta, »aber Du spielst wie eine Rasende, Du kennst keine Mäßigung, Du besetzest zehn Nummern auf ein Mal; was Du auf der einen Seite gewinnst, verspielst Du auf der andern. – Hast Du denn gar nichts mehr?« »Nicht einen Sous! – ich habe zwanzig Napoleons verspielt!« – »O hätten wir einen Bekannten hier!« – Dieses Gespräch wurde so hastig und leise geführt, daß es Niemandem auffiel, nur Einer hatte es vernommen, der seit dem ersten Satz, den Stefanie gewann, dicht hinter ihr stand, ohne daß beide fieberhaft erregte Frauen ihn beachtet. Er hatte mit furchtbarer Kälte berechnet, daß es so kommen müßte, sein Spiel schien gewonnen.

*

IX.

» Meine Börse ist zu Ihrem Befehl,« – lispelte jetzt eine weiche, liebliche Stimme an Stefaniens Ohr. Sie wandte rasch das Haupt, der Creole sah sie so flehend und schüchtern an, daß sie überrascht den Blick zu Boden senkte. »O mein Herr, wie gütig sind Sie!« antwortete Marietta für die Verstummte, und das Entzücken blitzte aus ihren dunklen Augen. »Ihr Gold ist Glücksgold, damit muß man gewinnen!« – und schnell faßte sie die dargebotene Börse und schob Stefanien eine Hand voll Louisd'or hin.

Noch einmal erhob sich der gute Genius in ihrer Brust, sie zuckte zusammen und wollte zurücktreten von der unheilvollen Tafel, doch William und Mariette standen so dicht an sie gedrängt, daß sie sich mit Gewalt hätte durchdrängen müssen. In diesem Augenblick sprang die Kugel wieder klirrend und lockend in die Scheibe.

Mariette flüsterte: »O nur ein Mal noch, Du kannst es ja morgen leicht ersetzen, in zehn Minuten bist Du wieder reich.«

»Schnell, schnell« – bat der Creole, » Zéro rouge< besetzen Sie.«

Und hastig faßte ihre zuckende Hand das verhängnißvolle Goldstück, das Mariette ihr hinhielt, es flog auf Zéro roug<e, es gewann!

Wer diesen furchtbaren Drang, diese unwiderstehliche Lust, diese ruchlose Gier, welche die Spielwuth in leidenschaftlichen Seelen weckt, je gekannt, wen diese entsetzliche dämonische Gewalt – die mächtiger ist als Liebe, Ehre, mächtiger als der Trieb der Selbsterhaltung, jemals auch nur für eine Stunde erfaßte, der allein kann es begreifen, daß eine sonst unbescholtene, wahrhaft tugendhafte Frau, ergriffen von diesem sinneverwirrenden Taumel, in einer Stunde so tief sank, daß sie betäubt, wie in einem Zustand gänzlicher Trunkenheit, das Gold eines Fremden zu Hülfe nahm, eines Mannes, von dem sie sich glühend geliebt wußte. Mit dem ersten seiner Goldstücke, das sie berührte, war sie den finstern Mächten verfallen. Mit fieberhafter Hast verschleuderte sie, was ihr die entsetzliche Mariette, zitternd vor Wuth und Angst eben so hastig als unermüdlich zusteckte. Sie verlor Summen auf Summen, ihre Goldquelle versiegte nicht. Sie ahnte nicht wie viel sie verschwendete, sie war sich keines klaren Gedankens bewußt, als des wüthenden Dranges wieder zu gewinnen, was sie verloren hatte, um den Fremden bezahlen zu können. Von Minute zu Minute steigerte sich mit dem Verlust, diese an Wahnsinn grenzende Wuth. Einzelne Gewinnste belebten zuweilen den sinkenden Muth, dann verdoppelte sie die Sätze, bis wieder Alles verschwand, und dieser Wechsel, die Blitzesschnelle, mit welcher dies heillose Spiel unaufhaltsam fortreißt, so daß Besinnung zu gewinnen nur dann möglich ist, wenn man ihm den Rücken wendet, steigerte ihren Taumel so, daß sich bald der grüne Tisch, wie das Rad auf demselben, mit ihr im Kreise zu drehen schien. – Sie war völlig sinnlos geworden. Sie sah nicht, daß alle Augen nur auf ihr ruhten, daß der Shawl ihren Schultern entfallen war, daß sie die ganze Schönheit ihrer edlen Gestalt enthüllend, von Blicken der Bewunderung und Betrübniß verschlungen wurde; sie bemerkte nicht, daß alle Welt es schon wußte, daß ihre unversiegliche Goldquelle sich aus den Taschen des Creolen ergoß, und wie der Nachtwandler, der auf der Spitze des Giebels ruhig wandelt, bis ein Zuruf ihn weckt und ihn in die Tiefe schleudert, so vermochte nichts ihren unseligen Rausch zu zerstören, als die Stimme Williams, der endlich in peinlicher Verlegenheit Marietten zuflüsterte: » Meine Baarschaft ist zu Ende. –«

Wie ein Wetterstreich schlugen diese Worte, die sie nur zu deutlich vernahm, vor Stefanien nieder. Einen Augenblick stand sie wie erstarrt, unfähig sich zu bewegen. Jetzt hob sie scheu den Blick, wohin sie ihn wandte, begegnete sie aller Augen. Entsetzen rieselte durch ihre Adern, sie war erwacht, sie war hinabgestürzt in die furchtbare Tiefe. – Marietta sah den Augenblick kommen, wo sie durch ihr Benehmen noch mehr als durch ihr Spiel Aufsehen erregen würde; denn es hatten sich nach und nach fast alle Anwesenden in dem Zimmer versammelt, wohin sie die Nachricht: die schöne Oberstin spiele Roulette wie eine Rasende, und verliere Summen auf Summen, gelockt. Sie faßte rasch entschlossen ihren Arm, riß sie kräftig aus dem Gedränge, zog sie durch die Säle mit sich fort, und trat mit ihr in den Park, sie hastig nach einem der dichtesten Gebüsche drängend. Der Creole schritt den Frauen nach, wie ein Schatten ihre Spur verfolgend; seine Ahnung täuschte nicht. Kaum hatten sie die einsame Stelle erreicht, so brach Stefaniens Kraft, sie sank zusammen, und wäre zur Erde gestürzt, hätten seine starken Arme sie nicht umfangen. Leblos, kalt wie eine Todte, lag sie an seiner Brust.

*

X.

Williams Herz schlug laut, als er die Ohnmächtige auf eine, im Gebüsch versteckte Bank trug. Hell schimmerte der Mond durch die Zweige, ein starker Strahl fiel auf Stefaniens Gesicht, das marmorbleich, mit festgeschlossenen Lippen und gebrochenen, halbgeöffneten Augen, dem einer Leiche glich. Der glühende Creole vergaß Alles bei diesem Anblick. »Bist Du dahin Geliebte! süßes Wesen, Sonne meines Daseins, bist Du erloschen?« – Mit diesen Worten beugte er sich in verzweifelter Angst über sie hin.

Marietta, die in Todesangst und halb rasend vor Zorn über dies Unheil, zu Stefaniens Füßen lag, horchte hoch auf.

»Sie lieben sich?« – flüsterte sie von neuer Hoffnung belebt, »und er scheint reich zu sein; ha, hier wäre vielleicht noch Rettung!« – Die listige Frau, deren Leben nicht so rein war, als das Stefaniens, entwarf schnell Plan auf Plan, vor Allem aber mußte sie wissen, ob der Fremde auch gewiß reich sei. Laut weinend rief sie, ohne seiner Kühnheit ein Hinderniß in den Weg zu legen:

»Mein Gott, der Gedanke wird sie tödten, Ihnen mein Herr eine so große Summe schuldig zu sein.«

»Wer denkt daran,« entgegnete William, fortwährend bemüht sie ins Leben zurückzurufen, »sprechen Sie in diesem entsetzlichen Augenblick nicht von Geld, Madame, das ertrage ich nicht!«

»Aber ich muß doch wissen, was wir Ihnen schulden.«

»Ich weiß nicht, was ich bei mir trug.«

»Aber ich weiß was Sie gewonnen hatten, Sie nahmen über tausend Louisd'or mit sich vom Trente et Quarante< – und sagten selbst: Ihre Baarschaft sei zu Ende.«

»Quälen Sie mich nicht mit solcher Kleinigkeit, helfen Sie hier, schaffen Sie Wasser, dort liegt mein Hut, wir sind zehn Schritte vom Teich: schaffen sie nur Wasser, um Gotteswillen.« – Mit diesen Worten drängte der Creole die Herzlose hinweg, die nun wußte, was sie wissen wollte.

Jetzt war William mit der Frau allein, die den Inbegriff all seines Denkens und Fühlens ausmachte. Ohne Leben lag sie da; sie sah weder seine Angst, noch seine Theilnahme. Ein neues Gefühl bemächtigte sich des sittenlosen, tief gesunkenen jungen Mannes, er fühlte sich plötzlich durchdrungen von ehrerbietiger Scheu vor dieser schönen Leiche. Mit einer nie geahnten Empfindung sank er vor der Unglücklichen nieder, die er dem Verderben geweiht hatte; und ihre kalten Hände mit Küssen bedeckend, stürzte ein Strom glühender Thränen auf sie herab. Ein leises Zucken verrieth das wiederkehrende Leben. William sprang empor, jetzt trat Marietta mit dem Wasser hinzu, und von den kalten Tropfen benetzt, schlug Stefanie die Augen langsam auf.

*

XI.

» Sie lebt! Gelobt sei Gott, sie lebt!« rief der Creole, überwältigt von seinen Gefühlen, und seine Lippen bedeckten wieder die Hand der Bebenden mit Küssen. »Mein Gott, was geschieht mit mir, wo bin ich?« stammelte diese, wie nach einem schmerzlichen, betäubenden Fall um sich blickend.

»In den Armen der treuesten Schwester!« rief Marietta sie umschlingend.

»Bei einem Freund, dessen Dasein von nun an Ihnen allein geweiht ist!« stammelte William noch immer vor ihr knieend.

»O hinweg, hinweg!« rief Stefanie mit Entsetzen aufspringend. Marietta zog sie auf die Bank zurück. Der Creole verhüllte sein Gesicht, ohne sich von den Knien zu erheben.

Ein langes peinliches Schweigen folgte auf diesen Ausruf. Stefanie schien sich allmählich der verflossenen Stunde und der furchtbaren Verpflichtung zu erinnern, die sie sich selbst gegen den Fremden auferlegt. Mit einem Blick, worin sich der tiefste Schmerz und die peinlichste Angst spiegelte, streckte sie endlich die Hand nach dem Knienden aus, und erhob ihn mit einer sanften Bewegung, indem sie kaum vernehmlich sagte:

»O, mein Herr, was haben Sie gethan, Sie haben mich in eine Schuld gestürzt, die mich tödten wird.«

»Nicht so, nicht so!« bat William schmeichelnd, »Sie haben mir eine Verpflichtung auferlegt, die ich nur mit meinem ganzen Dasein lösen kann, das Ihnen angehört, Sie haben mich Ihres Vertrauens gewürdigt.«

Stefanie schlug die Hände vor das Gesicht, und saß lange unbeweglich, bis endlich ein lauter Schrei ihrem gepreßten Herzen Luft machte.

»O mein Gott, was habe ich gethan,« jammerte die Unglückliche, »ich bin verloren, verloren, rettungslos!«

Marietta flüsterte ihr zu: »Gieb Dich nicht so der Verzweiflung hin! Dieser junge Mann ist edel, Ihr kennt Euch, er liebt Dich; das Unglück ist nicht halb so fürchterlich, als ich Anfangs glaubte.«

»Was – was?« schrie Stefanie auf, sie mit einem kräftigen Stoß von sich schleudernd, »soll ich Dich verstehen, Unglückliche? Wähnst Du, ich hätte ein Verständniß mit diesem Fremden? Du hältst mich also für niederträchtig genug, um – hinweg von mir! Du bist's, die mich in diesen Abgrund riß, Du bist die Versucherin, deren Stimme mich in den Strudel hineintrieb, der meine ganze Glückseligkeit verschlingt. Du triebst mich an die Bank, hu!« – sie schauderte zusammen und wickelte sich fester in den Shawl, – »diese Erinnerung! ich werde wahnsinnig!«

Marietta lag zu ihren Füßen, und versuchte ihre Hand zu ergreifen. Mit Entsetzen trat Stefanie einen Schritt zurück, und abwehrend beide Arme gegen sie ausstreckend rief sie in grellen Tönen: »Hebe Dich weg, ich will Dich nicht mehr sehen, nicht Dich, nicht ihn, laßt ab, ihr bösen Geister! Laßt mir ein Grab, ein reines unentweihtes Grab!« – Ihre Züge hatten sich verzerrt, ihr ganzes Wesen schien verwandelt, die dunklen Haare flatterten im frischen Nachtwind grausig um das leichenhafte Antlitz, und wie ein gejagtes Reh flog sie zwischen Beiden durch in das Gebüsch und verschwand aus ihren Blicken.

»Großer Gott, sie tödtet sich! « rief Marietta entsetzt aufspringend. Der Creole war ihr schon gefolgt, er hörte durch die Nacht das Rauschen ihrer Schritte auf den Kiesgängen des Parks, und hatte bald ihre Spur. Sie flog an den Arakaden hinab, durch die Bäume der Alleen sah er ihr weißes Gewand schimmern, sie wandte sich nach ihrem Hotel, und hatte ihr Zimmer erreicht und den Riegel vorgeschoben, ehe der Athemlose sie einholen konnte.

Lange stand er vor ihrer Thüre und lauschte; sie athmete schwer und laut. Endlich wagte er es zu pochen, sie antwortete nicht. Jetzt endlich kam Marietta nach. Auch sie flehte in Todesangst: »Stefanie, wenn Du mich je geliebt, wenn Du Erbarmen mit mir fühlst, so öffne.«

Dumpf tönte es von Innen heraus: »Willst Du meine Diamanten stehlen? Ich sehe Dich nie wieder – geh hin und stirb.« –

Kein Wort war ihr weiter zu entlocken. William fühlte wohl, daß man diesen ersten Augenblick an der Unglücklichen vorüber ziehen lassen müsse, faßte Marietten am Arm, zog sie in sein Zimmer und verriegelte rasch hinter ihr die Thür.

Von seiner frühern Exaltation zu starrer Kälte übergehend schob er ihr einen Stuhl hin, warf sich ihr gegenüber ins Sopha, und sprach zu der staunenden Italienerin, die ihn mit großen Augen ansah:

»Madame, ich habe die Worte gehört, mit welchen Sie im Park Ihre unglückliche Schwester zu trösten bemüht waren. Ich muß Sie aus einem Irrthum reißen, der Stefaniens Ehre besudelt. Sie glauben, daß zwischen uns ein strafbares Verhältniß stattfinde.«

Marietta lächelte höhnisch.

»Lächeln Sie nicht, Madame,« fuhr der Creole mit einem fürchterlichen Blick fort. »Die Sache ist ernsthaft. Ich sage Ihnen, daß Sie die reine Seele dieses Weibes eben so wenig kennen, als Sie verdienen, ihre Schwester zu heißen.«

»Mein Herr!« rief Marietta, wüthend emporspringend.

»Bleiben Sie ruhig,« sprach William kalt. »Ich kenne zwar die räthselhafte Verschlingung der Verhältnisse nicht, deren Opfer Stefanie zu sein scheint, und will sie aus keinem Munde wie der Ihre kennen lernen. Eines aber ist mir klar: Sie, Madame, sind der böse Geist, welcher die schwankende Seele des bedrängten Weibes zu Ihrer eigenen Tiefe hinabziehen will. Sie müssen weichen. Hören Sie mich zu Ende. Sie bedürfen 300 Louisd'or, Sie wollten, Ihre Schwester sollte diese Summe stehlen

Mariette erstarrte. Sie wollte sprechen, doch das Wort erstarb auf ihrer Lippe. Der Creole fuhr mit einem furchtbar drohenden Blick fort: »Sie zeigten sich hierin Ihres Gatten vollkommen würdig, der mich gestern in der Allee gewaltsam anfiel, und mich beraubt haben würde, hätte er nicht seinen Mann in mir gefunden.«

Die Italienerin sank halb ohnmächtig auf den Stuhl zurück. Giordano hatte ihr sein Verbrechen bekannt, und wagte sich deshalb nicht aus seinem Mansardenzimmer hervor, weil er vor dem Creolen zitterte.

William fuhr fort: »Ob Stefanie mich jemals wieder anhören wird, weiß ich nicht; doch nie, unter keinem Verhältniß, werde ich den Gedanken mit Ruhe ertragen können, daß Menschen Ihrer Art Einwirkung auf das Dasein dieses reinen Wesens haben sollten.«

»Hier Madame« – bei diesen Worten trat er zu seinem Schreibtisch, öffnete, nahm vier Goldrollen heraus, legte sie vor Marietten auf den Tisch, und erhob die Stimme zu feierlichem Ernst: »hier sind 400 Louisd'or; schwören Sie mir, daß Sie mit Ihrem Mann noch in dieser Nacht dies Land verlassen, daß Sie Stefanien niemals wieder aufsuchen, jeden Ort meiden wollen, wo Sie sie gegenwärtig wissen, daß Sie sie weder durch Worte noch Briefe jemals wieder an Ihre Existenz erinnern werden; schwören Sie das bei dem Kreuze, das Sie hier am Halse tragen, und dies Geld ist Ihr Eigenthum, und ich verpfände Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Ihren Mann unangefochten ziehen lasse, – wo nicht, ihn in der nächsten Stunde den Gerichten übergebe.«

Die Italienerin bebte an allen Gliedern. Wuth und Freude sprühten abwechselnd aus ihren rollenden Augen. Nach einer kurzen Pause des Nachdenkens nahm sie das schwarze Band vom Halse, an welchem sie ein schön gearbeitetes goldenes Crucifix trug, legte drei Finger darauf, und sprach mit fester Stimme den Schwur, den der Creole verlangt hatte. Eben wollte sie die Hand nach dem Gold ausstrecken, als dieser zwischen sie und den Tisch trat. »Nicht eher, als bis Sie im Wagen sitzen, Madame, bei meiner Ehre, nicht eher und diesen Wagen schaffe ich, halten Sie sich bereit.«

Zähneknirschend verließ sie das Zimmer. William aber rief Baptist zu, der neugierig lauschend auf dem Gang patrouillirte:

»Einen Miethswagen nach Frankfurt für meine Rechnung, dem Kutscher einen Louisd'or Trinkgeld, wenn er mir morgen von dem Besitzer des Schwans ein Zeugniß bringt, daß er seine Passagiere früh acht Uhr richtig dort abgeliefert – hier darf er sie nicht mehr aus dem Wagen lassen, sobald sie eingestiegen sind. Kennen Sie einen zuverlässigen Mann?«

»In einer Viertelstunde haben Sie den zuverlässigsten Kutscher von ganz Wiesbaden hier.« Mit diesen Worten flog Baptist die Treppe hinab.

Nach einer halben Stunde ungefähr hörte William das Rollen eines Wagens im Hof. Marietta trat im Reisekleid zu ihm ein, und sprach kalt und finster:

»Wir sind bereit, mein Herr!«

Der Creole faßte sie unter den Arm, führte sie die Treppe hinab zu dem Gefährt, aus dessen Ecke die unheimlichen Augen Giordanos herausfunkelten, der tief in einen Mantel verhüllt, wie eine Schlange zusammengerollt, giftige Blicke auf William schoß. Dieser hob die Italienerin in den Wagen, legte das Geld in ihren Schooß, rief: »Fahr' zu!« und nach wenig Minuten war das entsetzliche Paar auf dem Wege nach Frankfurt, und Stefanie sollte es nie wiedersehen.

*

XII.

Mitternacht war längst vorüber, drüben und im Hause war Alles todtenstill. Der Creole lag mit halb geschlossenen Augen im Sopha, und der Kampf seines Innern schien ausgekämpft. Auf dem Tisch lagen Briefe. Einer an Van Spert, der den Morgen mit seinem Vater nach Mainz gefahren war und erst am folgenden Tag zurückkehren wollte. Ein zweiter an seinen Vater, ein dritter an seinen Banquier in Paris. Sein Entschluß war gefaßt. Sie hatte sich selbst in seine Hand geliefert. Die Schwester war entfernt; kehrte nun auch der Oberst zurück, so mußte er in ein Labyrinth von Zweifeln gestürzt werden, dessen Verworrenheit dem Creolen Zeit zur Flucht gönnte, denn Flucht mit ihr war sein einziger Gedanke, Flucht nach seinem Vaterlande. Sie mußte ihm angehören, er wollte seine Beute nicht mehr lassen.

Mit der Kühnheit des beschlossenen Verbrechens trat er den einsamen Weg von gestern, doch mit ganz andern Gefühlen, an. Seine Leidenschaft hatte jede Schranke durchbrochen; er fühlte, daß es jetzt kein Hemmniß mehr für ihn gab, daß sie auf ihn allein angewiesen war. Sorgsam schloß er im Souterrain die Thür des Badezimmers hinter sich, und mit weniger Vorsicht als in der vergangenen Nacht stieg er die schmale Treppe zu der Tapetenthüre hinan, die er heute wie gestern, nur angelehnt fand. Er trat kühn in das Gemach, in welchem tiefes Schweigen herrschte.

Halb ausgebrannte Wachskerzen warfen einen trüben Schein auf die unglückliche junge Frau, die mit krampfhaft gefalteten Händen, das Haupt an die Wand gelehnt, auf dem Divan saß. Sie trug noch dasselbe Kleid von diesem Abend, doch hatte das dichte mächtige Haargeflechte, welches gelöst, in wilder Unordnung herabgefallen war, ihr ein unheimliches Aussehen gegeben.

Ihre Augen waren geschlossen, auf den bleichen Wangen brannten ein Paar glühend rothe Flecken, die zarte Gestalt zuckte zuweilen heftig zusammen, wie von einem wilden Schmerz gequält, doch die Stellung blieb dieselbe, es war nicht zu unterscheiden, ob sie schlafe, oder ob das geschlossene Auge nach Innen gekehrt, den furchtbaren Zustand ihrer Seele prüfend überblicke.

William stand lange vor ihr, überwältigt von dem tiefen Jammer, der sich in dieser bleichen Gestalt seinen Blicken ahnungslos preisgab, und immer lauter sprach der Vorwurf in seinem pochenden Herzen: Und Du könntest wirklich niederträchtig genug sein, den heimtückischen Zufall zu benutzen, der diese Unglückliche schutzlos in Deine Hand liefert, um sie ganz dem Verderben anheim zu geben? Schon begann in seiner Seele der Entschluß sie zu verlassen, sich siegreich zu erheben, als ihm der Gedanke an den rückkehrenden Obersten, den er für den Tyrann dieses hilflosen Wesens hielt, und die Betrachtung ihrer Gefahr, bliebe sie in seiner Gewalt, seine vorige Kraft zurückgab. Sanft legte er die Hand auf ihre heiße Stirne und flüsterte:

»Stefanie, schlafen Sie?« –

Mit Entsetzen fuhr die Unglückliche empor und starrte, wie von einem Traume befangen, in sein Auge.

Lange stand William schweigend vor ihr, seiner heftigen Bewegung fehlten die Worte, wie ihrem tiefen schreckhaften Staunen als sie endlich begriff, daß sie wache, und daß er vor ihr stehe, mit dessen Bild ihre krankhaft erregte Phantasie seit Stunden vergebens kämpfte, ohne es verscheuchen zu können.

Der Creole fand zuerst die Besonnenheit wieder. »Fürchten Sie nichts,« sprach er, »fürchten Sie nichts von mir, Stefanie, und lassen Sie sich durch mein geheimnißvolles Erscheinen in tiefer Nacht an dieser Stelle nicht beängstigen. Ich schwöre Ihnen, daß ich Sie liebe, mehr liebe, als Sie wissen und ahnen, daß mir aber Ihr Unglück und Ihre Hilflosigkeit heilig sind, wie meine Liebe, wie das Haupt meines Vaters.«

Stefanie sah ihn mit einem dankbaren Blick an, worin sich eine, schöne, bis zum Tod betrübte Seele spiegelte. Sie reichte ihm die bebende Hand, die er an seine Lippen preßte, und hauchte kaum hörbar:

»Ich danke Ihnen, ich vertraue auf Ihr Wort!«

William fühlte sich von diesem Blick und Ton durchschauert bis in das innerste Mark. Er war mit ganz anderen Gedanken, mit einem schrecklicheren Entschluß gekommen, doch die Hoheit, die Milde, der Zauber, der dieses räthselhafte Wesen umschwebte, hatte ihn überwältigt ehe er es wußte, und jene Versicherung die er ihr gab, war, ihm selbst unbegreiflich, willenlos über seine Lippen getreten.

»Mein Herr,« sprach Stefanie, deren Fassung allmählich zurückkehrte, »Sie haben mich diesen Abend in einer so sträflichen Verirrung, in einer so verächtlichen Versunkenheit erblickt, daß mich die furchtbare Selbstanklage, die tiefe Reue, welche mich martert, nicht vor Ihnen rechtfertigen kann. Ich könnte Sie fragen: Wie kommen Sie hierher, und was wollen Sie von mir? Aber ich frage nicht. Ich sehnte mich nach dem Augenblick, der uns zusammenführe, sei es hier, oder wo immer, um Ihnen zu sagen: daß Sie nicht eine gemeine Verworfene in mir erblicken dürfen, daß ich zum ersten Mal an einer Bank stand, wie es zum letzten Male war, daß ein Zweck, den ich für meine heiligste Pflicht hielt« –

»Ich weiß Alles, was Sie mir sagen können, Stefanie,« unterbrach sie William feurig, »Sie sind ein Engel – Sie wollten einen Unwürdigen retten, und« –

»Und griff zu einem Verbrechen – ja, so ist es. Ich habe die Ehre eines Mannes beschimpft, dem ich mehr danke als mein Leben, ich habe mich in eine Schuld gestürzt, die ich« –

»O schweigen Sie, ich beschwöre Sie!« flehte William sie abermals unterbrechend.

»Lassen Sie mich vollenden,« bat Stefanie sanft, indem sie fortfuhr: »die ich zwar tilgen, aber nie vergessen werde. Ich besitze Mittel, um diese Schuld zu bezahlen, das ist aber auch Alles: Ich bitte Sie, mir die Summe zu nennen, und morgen« –

»Werden Sie den Schmuck veräußern, der Ihrem Gatten so heilig ist, um mir die tödtlichste Kränkung zuzufügen, nicht so?« rief der Creole mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit, indeß ihn Stefanie staunend anstarrte, daß er ihre Gedanken errieth. Er fuhr fort: »Sie werden mich bezahlen, wie den Juden, der Ihnen gegen hohe Procente Geld borgte; Sie werden jede Erinnerung an mich mit Abscheu zurückstoßen.«

»O niemals!« rief Stefanie.

»Ja, ja, so wird es kommen! – Sie sind mir nichts schuldig, Madame,« sprach er jetzt plötzlich kalt; »ich bin so strafbar daß ich hoffte, mein Geld sollte in Ihrer Hand sich verdoppeln, und es Ihnen nur hingab, um durch Sie zu gewinnen; ich habe es Ihnen aufgedrungen, Sie spielten für mich, nicht für sich, und Sie haben kein Mittel, zu beweisen, daß Sie in meiner Schuld sind – denn Ihre Schwester werden Sie nie wiedersehen.«

Stefanie horchte hoch auf. Alles wurde ihr klar, ihr Auge leuchtete: »Sie – Sie haben diese Unglückseligen gerettet, Sie haben sie entfernt!« – rief sie außer sich. »Ach! William, Sie sind ein edler Mensch!«

»Sie kennen meinen Namen?« rief William, seinem Entzücken nicht mehr gebietend.

»Kennen Sie denn nicht den meinen auch?« fragte sie in peinlicher Verwirrung, und eine Purpurröthe ergoß sich über ihre Züge, während ein bedeutungsvolles Schweigen sich zwischen ihnen lagerte. –

*

XIII.

Stefanie erhob zuerst das Haupt, und sprach mit sanftem Ernst: »Denken Sie nicht unwürdig von mir; Ihren Namen hörte ich oft nennen. Aber jetzt verlassen Sie mich, und streichen Sie die Erinnerung an diese Stunde aus Ihrem Gedächtniß.«

»Aus meinem Gedächtniß!« rief William aufspringend, »halten Sie das für möglich, Stefanie?« und milder setzte er hinzu: »Ich Sie verlassen, die ich anbete? Nimmermehr!«

Mit Entsetzen sah Stefanie zu ihm auf. »Was wollen Sie denn von mir, weshalb kommen Sie?« fragte sie, bebend vor seiner Antwort.

»Retten will ich Sie, Unglückliche! Dem Glück, dem Leben, der Freiheit will ich Sie zurückgeben.« Und sich ihr nähernd, flüsterte er an ihrem Ohr: »Sie fliehen mit mir in meine ferne Heimath, auf St. Domingo, bei Cap Français ist die Pflanzung meines Vaters, dorthin, Stefanie, folgt Ihnen nicht das Geschwätz elender Menschen, dort erreicht Sie nicht der Arm Ihres Tyrannen.«

Als hätte sie eine giftige Schlange berührt, fuhr Stefanie empor, und mit beiden Armen den Dränger von sich stoßend, rief sie: »O mein Gatte, o Waldau, unglücklicher Waldau!« – Erschreckt und erstaunt über diese heftige Bewegung starrte sie der Creole fragend an. Stefanie ging in sichtlicher Erschütterung auf und nieder. Nach einer peinlichen Pause blieb sie plötzlich vor William stehen, und fragte, fest in seine Augen sehend.

»Glauben sie wirklich, daß ich fähig wäre mit Ihnen zu entfliehen?«

»Ich glaube, Stefanie, daß wenn Sie mich auch jetzt noch nicht lieben, Ihr Herz dennoch einst mein sein wird; die Gluth in meiner Brust wird Ihren Starrsinn schmelzen – und Sie werden jetzt thun, was Sie müssen.«

»Was ich muß?«

»Unglückliche,« fuhr er fort, »begreifen Sie denn nicht, was Ihrer wartet? O, daß ich es Ihnen sagen muß: dieser Abend, Sie waren so erregt, so leidenschaftlich, Sie bemerkten nicht was ich sah, Aller Blicke waren auf uns Beide gerichtet, man sah« – er stockte, und suchte vergebens nach Worten, die delicat genug waren, um das auszudrücken, was sie doch wissen mußte. Stefanie enthob ihn dieser Mühe.

»Man sah,« ergänzte sie fast tonlos, daß Sie dicht hinter mir standen, daß es Ihr Gold war, das ich, Rasende verschleuderte. Ganz Wiesbaden wird von dieser Scene erfüllt sein. Mein Gatte kehrt zurück; man sagt ihm was geschah, man hält mich für eine Verworfene, die längst durch ein sträfliches Verhältniß an Sie gekettet ist! Wer auch kann glauben, daß es ein Augenblick, ein unseliger gräßlicher Augenblick war, der Sie zu meinem Vertrauten, zu meinem Freund machte, daß der Dämon des Spiels in einer Stunde eine reine Frau zur Verbrecherin macht, und ein ganzes fleckenloses Dasein vernichtet? Glauben Sie, das Alles mußte ich erst von Ihnen hören? Mein Inneres ruft es mir seit zwei Stunden mit Donnerstimme zu! Waldau ist der edelste Mann; doch sein Leben, das meine, vielleicht auch das Ihre ist zerstört!«

Bis zu den letzten Worten hatte sie die Fassung erhalten, womit sie begonnen, doch jetzt plötzlich brach ihre Kraft, ein Thränenstrom stürzte aus ihren Augen, krampfhafte Seufzer stiegen aus dem gepreßten Herzen empor, sie stand da, ein Bild des Jammers, der Verzweiflung.

»O,« rief William, »darum müssen Sie ja fliehen. Sie sollen leben, sollen dies schöne junge Dasein an die einzige Brust die Ihnen geblieben ist, retten, sollen die finstere Vergangenheit vergessen lernen an dem glühendsten Herzen, das je das Bild eines geliebten Weibes umschloß. Wir sind von dem Schicksal aneinander gewiesen, wir mußten uns finden, die Hölle selbst mußte die Hand bieten, um uns den Himmel der Liebe zu enthüllen, ja Stefanie, wir werden glücklich sein.«

»Die Hölle selbst, ja sie ist es, die uns zusammenführte,« stöhnte die Unglückliche, »o nimmer kann zum Guten führen, was aufkeimt aus Verbrechen.«

»Sie fliehen mit mir.« flehte er dringender.

»Ich fliehe nicht,« sprach sie mit jener festen Entschlossenheit, die in diesem weichen, hingebenden Charakter so eigenthümlich, so seltsam war, daß sie eben so sehr überraschte, als imponirte.

Eine heftige Bewegung des Creolen, dessen Blut glühend durch die Adern stürmte, beschwichtigte ein Blick von ihr; mit unwiderstehlicher Anmuth befahl sie ihm, sie ruhig anzuhören, und begann:

»Ich will Ihnen das Räthsel meines Lebens lösen, William, ich bin es dem Manne schuldig, den ich mit Schande bedecke, ich bin es Ihnen schuldig, damit Sie sich und mich nicht ferner mit einem solchen Wort entehren, damit Sie begreifen, wie sich meine ganze Seele mit Abscheu von jedem Gedanken an Flucht abwenden muß.

Ich bin bei Treviso geboren, in einer Scheune, wie mir oft erzählt ward. Meine Mutter war einst Seiltänzerin gewesen, die Perle einer Truppe, welche ganz Italien durchzog. Mein Vater war Bajazzo dieser Truppe. Meine Mutter war sehr schön, mein Vater eifersüchtig. In einem Anfall dieser rasenden Leidenschaft schnitt er das Seil entzwei, auf welchem sie eben ihre gefährliche Geschicklichkeit der erstaunten Menge zeigte; sie stürzte herab und brach beide Beine. Der Unglückliche hatte sie und sich selbst ins Verderben gestürzt, sie wurde schlecht geheilt, und war für ihre traurige Kunst verloren. Nun zogen wir mit einem Marionettenspiel im Lande umher, im tiefsten Elend, von einem Markt zum andern wandernd. Mariette, die stets kräftiger war als ich, ertrug jede Anstrengung mit eiserner Festigkeit. Ich, ein schwaches, stilles Kind, schleppte stets auf unsern Zügen Tambourin und Cinellen, Trompeten und Guitarre, woraus unser Orchester bestand, und meine nackten Füße bluteten oft, meine vom Hunger geschwächten Glieder vermochten dann diese schwere Last nicht mehr zu tragen. Wollte ich aber ruhen, so stieß mich mein Vater, der fast immer betrunken war, mit den Füßen vorwärts, indem er mich unzählige Mal, als eine nichtsnützige Last, unter die Erde wünschte. Es waren schreckliche Tage, die erst dann leichter wurden, als mein Vater plötzlich verschwand, und meine Mutter das elende Gewerbe allein fortführte.

Was soll ich Ihnen sagen! Die süße traumumwobene Kinderzeit, nach der sich jedes fühlende Herz zurück sehnt, die schönste erquickendste Erinnerung für Diejenigen, die an der Brust sorgsamer Eltern den blüthenumrankten Frühling des Daseins wie einen leuchtenden Genius vorübergleiten sahen, war für mich die Zeit des Leidens, des Hungers, des bittersten Elends. So war ich eilf Jahre alt geworden, Marietta zählte deren fünfzehn. Sie war schön wie ein Engel, sie tanzte mit Anmuth, wenn sie Geld sammelte, brachte sie der Mutter stets das Tambourin mit reichem Segen gefüllt; sie lachte Jeden an, sie verstand es, mit Jedem Worte zu wechseln – ihr ganzes Wesen war Feuer und Leben. Sie war der Liebling der Mutter, denn ich, bleich und still wie ich war, paßte wenig zu ihrem Treiben. Eines Tages, als wir vor einer Villa, unfern von Rom, vor einer großen Gesellschaft unsere Marionetten spielen ließen, und ich mein Tambourin dazu schlug, indeß Marietta tanzte, bemerkte ich einen hohen schönen Mann, der uns Beide mit gespannter Aufmerksamkeit betrachtete. Es war etwas in seinen Zügen, was mir ein Vertrauen und eine Neigung einflößte, die ich bis dahin für keinen Menschen empfunden hatte. Als er sich wegwendete, traten mir die Thränen in die Augen, und als ich ihn die breiten Marmorstufen vor der Villa hinaufsteigen sah, war mir, als müßte ich seine Knie umfassen und ihn bitten, sich meines Elendes zu erbarmen.

›Was weint die Kleine?‹ fragte eine häßliche, heisere Stimme neben mir. Ich sah mich um, meine Mutter stand dicht neben mir, an der Seite eines entsetzlichen Mannes, dessen Bild in mir nie erlöschen wird.«

*

XIV.

» Es war ein kleiner bucklicher Alter, sehr reich gekleidet, dessen widerlich verzerrtes Gesicht, mit einer ungeheuern Nase und grauen funkelnden Augen, etwas Gespenstisches hatte. Mit grinsendem Lachen streichelte er meine Wangen; seine dürren kalten Finger erregten mir ein Entsetzen, als wäre ich von einer Kreuzspinne berührt, ich schlug ihn im kindischen Schreck derb auf die Hand, und sprang mit einem lauten Schrei zurück, als meine Mutter rief: ›Warte Kröte, das wird Dir der edle Signor abgewöhnen, wenn Du nur erst in seinem Hause bist.‹

›In seinem Hause?‹ stammelte ich.

›Ja,‹ grinste der Alte, ›Du wildes Kätzchen, wir werden Dich schon bändigen. Du wirst es gut haben, Du bekommst ein Kämmerchen ganz mit Gold ausgelegt, eine eigene Cameriera zur Bedienung, einen Affen, Papageien, schöne Kleider, kurz was Dein kleines Herz begehrt! O da wirst Du schon freundlicher werden, wollen Dich kirre machen!‹

Mein Blut erstarrte, ich begriff noch immer nicht, was das sollte, bis meine Mutter mich unsanft am Arm faßte, und mich dem Schrecklichen hinschleuderte mit den Worten:

›Ihr könnt sie in Euer Haus nehmen, nur beding' ich mir 500 Scudi sogleich und 100 jährlich bis sie das zwanzigste Jahr erreicht. Ihr macht es aber schriftlich.‹

Großer Gott!« rief Stefanie, ihre Erzählung unterbrechend, und sank in heftiger Bewegung auf die Knie, »vergieb es einer Tochter, vergieb mir, ich habe es nie ausgesprochen. Ach William! begreifen Sie das? Meine Mutter hatte mich verkauft!« Thränen erstickten ihre Stimme, ihr zarter Körper bebte. Nach einer langen Pause fuhr sie fort:

»Wenn ich auch noch keine Ahnung von der Bestimmung hatte, für welche ich diesem Bösewicht überlassen wurde, so begriff ich doch sofort, daß ich von nun an diesem Entsetzlichen allein angehören sollte, seiner Willkür hingegeben. Der Gedanke faßte mich wie Krallen der Hölle, ich schrie laut auf, und stürzte fort, die Marmorstufen hinan, in die Villa, wo in einem glänzenden Gartensaal die ganze Gesellschaft versammelt war, die staunend auf die kleine Bettlerin in fantastischen Lumpen herabblickte. Mein Auge flog von Todesangst geschärft umher. Da stand er, der hohe Mann, neben einer schönen jungen Dame; ihn erblicken, zu seinen Füßen stürzen, seine Knie umklammern, das war das Werk eines Augenblicks. Ohnmächtig, unfähig zu sprechen lag ich da, ich hörte wohl, daß er mich fragte, was mir geschehen, was ich verlange, aber ich konnte nicht antworten, meine Zunge war wie gelähmt. Man kam mir zu Hülfe, die junge Dame neigte sich zu mir und sagte: ›Das arme kleine Ding ist so hübsch und leidet, man muß ihr helfen. Bringt sie hinab, meine Leute sollen Sorge für sie tragen.‹ Nun fühlte ich mich ergriffen, emporgehoben, und der Gedanke, daß man mich dem Fürchterlichen ausliefern werde, gab meinen Nerven die Spannkraft wieder. Ich stieß die Diener, die mich ergriffen hatten, zurück, und warf mich in die Arme jenes Mannes, indem ich fortwährend rief: ›Rette mich, rette mich, sie haben mich verkauft! Rette mich, ich will bei Dir bleiben!‹ – Der Oberst Waldau, – denn er war es – nahm meine Hand in die seine, trocknete meine Thränen und hörte mich mit Aufmerksamkeit an, als ich ihm leise flüsternd erzählte, was mir soeben widerfahren sei. Er führte mich hinaus vor die Villa, auf den freien Platz, wo wir früher die Marionetten gezeigt hatten. Meine Mutter wüthete, ich bebte an allen Gliedern, doch er hatte die Arme um mich geschlungen, und ich wußte wohl, er würde mich beschützen. Nach einem kurzen leisen Gespräch mit ihm, wurde sie sehr freundlich. Er bestellte sie den andern Tag nach Rom, in seine Wohnung. Sie versprach zu kommen. Der kleine Mann hatte sich geflüchtet bei dem Anblick des Obersten, der ihn mit Zorn und Verachtung betrachtete.

›Du wirst nun mir angehören,‹ sprach seine milde Stimme, indem er die Hand auf meine Stirne legte, ›ich werde Dein Vater sein.‹ O nie, nie vergesse ich diese Worte und den Eindruck, den sie auf mein Gemüth machten; ein Gott stand vor mir, kein Sterblicher, mein Schutzpatron schien herabzusteigen, um mich vor dem Gräuel zu retten, mit dem die Hölle mich bedrohte.

Er brachte mich zurück in die Villa. Die junge Dame gab mir ein Zimmerchen und versprach mich treulich zu hüten, bis der Oberst über mich verfügen werde. Ich erhielt Kleider, ich schlief zum ersten Mal in meinem Leben auf weichem Pfühl, ich war im Himmel!

Meine Mutter hatte in Rom vor einem Notar ihren Rechten an mich förmlich entsagt, doch um eine größere Summe als jener Bösewicht für mich geboten hatte. Sie wollte mich nicht mehr sehen. Marietta aber brachte Waldau mir heraus. In kindlichem Jammer schieden wir, denn wir hatten uns stets innig geliebt; das war für lange Zeit der tiefste Schmerz den ich empfand. Meiner unnatürlichen Mutter – Gott wolle es mir vergeben – dachte ich nur mit Grauen, und empfand die Trennung von ihr, wie eine Erlösung. – Nach wenig Wochen, in welchen die Comtesse Luchesini sich wahrhaft mütterlich besorgt um mich zeigte, brachte mich der Oberst nach Deutschland, zu einer stillen, würdigen Pfarrerfamilie am Rhein, wo ich mit Sorgfalt und Liebe erzogen wurde und meinen Wohlthäter nur sah, wenn er von seinen Reisen kam. Ich lernte mit emsigem Fleiß, ich wollte ihm zeigen, daß seine Güte nicht an eine Undankbare und Unfähige verschwendet war.«

*

XV.

» So verstrich ein Jahr und darüber. Meine Seele ward von einem tiefen Heimweh gequält, ich sprach nun vollkommen deutsch, aber – ich hörte nicht mehr meine schöne, herrliche Muttersprache, ich vermißte die heiteren Scherze Mariettens, die mich so innig geliebt, so oft ihr Stückchen Brod mit mir getheilt hatte. Der Oberst fand mich verändert, als er mich nach einigen Monaten Abwesenheit wieder sah, er wollte mein Leiden kennen. Mit seiner himmlischen Güte hat er mir bald mein Geheimniß entlockt, das ich sorgfältig vor meinen Erziehern verborgen hatte, weil ich mich selbst undankbar schalt, daß so viel Güte mich meine Mariette nicht vergessen machen konnte.

Waldau versank in ernstes Nachdenken, als ich ihm mein krankes Herz enthüllt hatte, und verließ mich nach wenig Tagen, ohne mir ein Wort des Trostes zurück zu lassen. Zwei Monate war er fern gewesen, da rollte eines Abends sein Wagen vor unser einsames Haus. Ich flog die Treppe hinab, und mit einem Freudenschrei sank ich in Mariettens Arme, die mir an seiner Hand entgegen trat. Der edle Mann hatte halb Italien durchzogen, um sie zu finden. Er traf meine Mutter tödtlich krank und gepeinigt von ihrem Gewissen. Er erleichterte das Elend ihrer letzten Tage und Mariette, nach ihrem Tode verlassen und hilflos, folgte ihm gern nach Deutschland.

Nun begann ein neues freudiges Leben. Die Großmuth dieses seltenen Mannes ließ es uns an nichts mangeln, was unsere Jugend erheitern konnte. Wir durften ihn öfter begleiten, nach Köln zur Fastnacht, nach Aachen, selbst nach Holland führte er uns, um uns auch für die Welt auszubilden. Mit besonderer Aufmerksamkeit schien er Mariette zu beobachten, es war eine Art von Mißtrauen in ihm, als ob sie ihn mit Undank lohnen würde. Ach, er hatte eine nur zu gegründete Ahnung!

Zwei Jahre waren wie ein schöner Traum an uns hingeschwunden, ich fühlte mich vollkommen glücklich, ich vermißte nichts, und wünschte nichts weiter, als daß es nur so bleiben möchte, wie es war. – Es sollte nicht so sein.

Es sind nun vier Jahre, als uns der Oberst nach Aachen mit sich nahm, wo er Bäder brauchte. Wir besuchten häufig die Spielzimmer, denn stets hatte es einen eigenen dämonischen Reiz für mich, das Wechseln der Zufallslaune an der schrecklichen grünen Tafel zu belauschen.

Dort sahen wir einen wüthenden Spieler, diesen Giordano, einen italienischen Abenteurer, der, wie es schien, nur von dem lebte, was die Glücksgöttin ihm oft verschwenderisch zuwarf. Ich war zu harmlos, um zu bemerken, was sich zwischen ihm und Marietta entspann. Das lebhafte Interesse, das sie für ihn zeigte, schrieb ich dem lang entbehrten Vergnügen zu, einmal wieder von unserm Vaterland, in unserer süßen Muttersprache mit einem Landsmann sprechen zu können.

Der Oberst sah schärfer. Er verbot ihr jeden Verkehr mit Giordano, er zeigte ihr den Abgrund, an dem sie stand; dieser Mensch hatte den schlechtesten Ruf, sie konnte sich in's Verderben stürzen. Sie schwur die gräßlichen Eide: daß ihr Herz rein sei, daß sie mit keinem Gedanken je die Dankbarkeit verletzen könne, die unser zweiter Vater uns auferlegt. Acht Tage später – war sie verschwunden! Sie hatte sich in der Nacht, als ich fest schlief, von meiner Seite gestohlen, hatte Alles was sie durch des Obersten Güte besaß, mit sich genommen, und war mit dem Abenteurer entflohen.

Waldau war außer sich, ich hatte ihn nie heftig gesehen, ich zitterte bei dem Ausbruch seiner Wuth.

›O, ich sagte mir's ja wohl, Art läßt nicht von Art!‹ – rief er. ›Die Brut, die von der Verworfenheit stammt, hebst Du sie auch noch so hoch, sie wird früh oder spät in den Pfuhl zurück sinken, aus dem sie aufschoß, sie wird ihren Wohlthäter mit Schande brandmarken als Stempel ihrer Dankbarkeit, "denn ein giftiger Stamm kann keine gesunde Frucht tragen."‹

Mein Herz war gebrochen, laut weinend sank ich zu seinen Füßen, wie Messer schnitten seine Worte in meine Brust. ›O mein Vater, mein Freund!‹ – schluchzte ich, ›habe ich Dich denn schon verrathen, hältst Du Deine Stefanie fähig, dies jemals zu thun? Laß mich nicht die Sünden der Mutter büßen.‹

Tief erschüttert hob er mich von der Erde auf und faßte mich zum ersten Mal in seine Arme. Er fühlte wie weh, wie unrecht er mir gethan. Er bat mich, ihm zu verzeihen, ihn zu lieben, der mir so viel geopfert. Er sagte mir, daß er nie einem andern Wesen angehören werde. Er entdeckte mir, daß er mehrere Jahre verlobt gewesen mit einer Dame, die er geliebt – daß sie von ihm forderte, er solle uns unserm Schicksal überlassen, denn sie haßte uns – daß er deshalb mit ihr gebrochen und beschlossen habe, sich nie zu vermählen, sondern sein ganzes Leben meinem Glück zu weihen, mich einem redlichen Manne zuzuführen, und mich auszustatten wie seine Tochter.

›Einem Manne?‹ – rief ich entsetzt: ›O, nimmer – nimmermehr kann und will ich einem Andern leben als Dir!‹ –

Die Furcht ihn zu verlieren ergriff mich plötzlich mit einem Schmerz, wie ich ihn nie empfunden. Er war mir das Ideal alles Männlichen, Edlen und Großen. Dieser musterhafte Mann, dessen Leben so einfach, rein, und fleckenlos war, erschien mir so weit erhaben über alle andern Menschen, daß ich den Gedanken einer Trennung von ihm nicht fassen konnte. Ich schmiegte mich fester in seinen Arm und flehte: ›Ach, stoße mich nicht von Dir, ich will keinem Manne angehören, ich bleibe bei Dir, ich verlasse Dich niemals, niemals.‹

›Du kannst nicht immer bei mir bleiben, Stefanie,‹ sprach er trübe und ernst, »ich kann Dich nun nicht mehr wie sonst mitnehmen auf meinen Reisen, und in dem stillen Haus am Rhein würdest Du jetzt die Einsamkeit nicht mehr ertragen, nachdem Du die Welt gesehen.‹

›Warum nimmst Du mich nicht mehr mit Dir?‹ fragte ich zitternd.

Stefanie,‹ entgegnete Waldau finster, Du bist jetzt sechszehn Jahre alt, Du bist schön, die Schwester steht Dir nicht mehr als Begleiterin zur Seite, die Welt ist böse, Du weißt nicht wie böse. Man würde Deine Ehre antasten, man würde das sträflichste Verhältniß zwischen uns folgern, ich bin nicht alt genug, um vor jedem Verdacht sicher zu sein.‹

›O Gott!‹ jammerte ich, ›giebt es denn kein Mittel, das mir dieses schöne Zusammensein mit Dir sichert? Ich kann ja nicht mehr leben ohne Dich!‹

›Doch Stefanie, Du mußt Frau werden, eine glückliche Frau, dann wohnst Du bei mir in derselben Stadt, Du und Dein Mann.‹

›Eine glückliche Frau!‹ rief ich laut weinend, ›ach glücklich kann ich nur bei Dir, mit Dir sein!‹ Und von einem Strahl augenblicklicher Eingebung durchzuckt stürzte ich vor ihm nieder und flehte: ›Nimm mich zu Deiner Frau, dann mußt Du mich bei Dir behalten.‹

Waldau war wie vom Blitz gerührt. – O Gott, ich wußte damals nicht, was ich wünschte, ich wußte nicht, daß es ein mächtigeres Gefühl geben könnte als das, was ich für ihn empfand. Er starrte mich lange an, als hielte er es für unmöglich was ich da gesagt; unzählige Male fragte er mich: ›Ist das Dein Ernst? Und weißt Du was Du forderst? – Du willst Dein frisches Leben an einen Mann ketten, der Dein Vater sein könnte, Du forderst seinen Namen – seine Ehre soll er Deiner unerfahrenen Jugend vertrauen, sein Heil, seine ganze Zukunft auf Dein Herz legen. Wirst Du diese Last tragen können? Weißt Du, welche Pflicht Dir die Ehe auferlegt, und daß ein Weib den Mann über Alles lieben und achten muß, der ihr sein Leben weiht?‹

Unter Thränen rief ich: ›Alles, Alles weiß ich – denn ich weiß, daß ich kein lebendes Wesen liebe und achte als Dich – daß all mein Empfinden in Dir allein wurzelt, und daß Du mich tödtest, wenn Du die tausend Fäden zerreißest, die uns aneinander knüpfen!‹

Da zog er mich in seine Arme, und preßte mich fest an die Brust; in glühenden Worten gestand er mir, daß er seit lange den schwersten Kampf mit seinem Herzen bestehe – daß er mich geliebt habe seit er mich besitze, daß er früher diese Neigung für eine väterliche gehalten und erst vor einem Jahr entdeckt habe, daß sein ganzes Herz an mir hänge, und daß er, um sich vor sich selbst zu schützen, mich verheirathen wollte. Er that Alles, um mir die Kluft zwischen einer Jungfrau von sechszehn Jahren und einem Mann von sechs und vierzig zu zeigen, vergebens! Ich wollte sein bleiben, als Tochter oder Gattin, das war mir gleichviel, ich gehörte ihm ja an, ihm allein in der weiten Welt – und nach wenig Monden trat ich mit ihm vor den Altar.«

*

XVI.

» Seit ich Waldau's Gattin bin, hat er mir unzählige Beweise der innigsten Liebe, der zartesten Aufmerksamkeit gegeben, aber ich fühle es täglich mehr, er ist nicht glücklich, und ich bin es nicht, weil er es nicht ist. Der einzige Fehler dieses seltenen Mannes ist ein vielleicht zu reizbares Ehrgefühl. Um eine Kleinigkeit nahm er seine Entlassung aus dem Militairdienst, eine Kleinigkeit, die einen Schatten auf seine Ehre zu werfen scheint, bringt ihn außer sich selbst. Marietta hat nach seiner Ansicht ihn beschimpft durch ihr Betragen, er wird ihr nie verzeihen; er würde mir nie vergeben, daß ich sie gesprochen habe. Eine Verletzung seiner Ehre durch mich, scheint die schweigende Furcht seiner Tage und Nächte. Er hat mir nie Eifersucht gezeigt, aber ich fühle die Zweifel, die in ihm nagen. Das Mißverhältniß der Jahre, meine Herkunft, die er sorgsam verbirgt, die stille Melancholie meines Wesens, Alles dies sind genug Quellen der Furcht für ihn, und ohne Worte verstehen wir uns. Er hat mir den Tanz nie verboten, ich tanze nicht, weil ich weiß, daß es ihn beunruhigt; er befahl mir nicht, mich vor jeder fremden Annäherung zurück zu ziehen, ich thue es aber, weil ich es empfinde um wie viel ruhiger er ist, je ferner ich mich von geselligen Beziehungen halte. Wie gerne brachte ich jedes kleine Opfer; mit welcher Liebe und Milde, mit welchem Edelmuthe hat er es mir stets gelohnt. Ich verdanke ihm mehr als mein Leben, er hat meine Seele gerettet. Wenn ich ihm entfliehen, ihn beschimpfen könnte, o es wäre ein Verrath, ein Undank, wie ihn die Welt nie erlebt … und welche Früchte würde mein Verbrechen Ihnen bringen? Gebrandmarkt von meiner eigenen Verachtung, würden Sie ein Gespenst in mir an Ihre Fersen fesseln, dem Sie sich später zu entziehen streben dürften.

Ich habe Ihnen nun mein ganzes Herz erschlossen. – Achten Sie dies Bekenntniß einer Frau, die jeder Zukunft entsagt hat, seit sie das Vertrauen auf sich selbst verlor. Ja, mein Gatte sprach nur zu wahr, als er in der ersten Entrüstung damals ausrief: ›Art läßt nicht von Art!‹ Seit gestern fühle ich etwas vom Geiste meiner Erzeuger in mir: meine Mutter gab sich rücksichtslos ihrem heißen Blute hin, mein Vater spielte. Noch hatte keine Wallung, keine Leidenschaft mein Inneres berührt, ich wähnte mich frei von jeder Schwäche. Sie schliefen nur, diese bösen Geister, die mit mir geboren sind! Die Leidenschaft des Spiels ist durch einen Zauberschlag wie ein finsterer, gewaltiger Dämon aus meinem Innersten heraufgeschritten, und hat Raum gefaßt in meiner Phantasie, ich fühle, ich würde wieder spielen, wenn man mich in die Versuchung dazu brächte. Ich weiß, daß mein Gatte wahnsinnig würde, wenn ihn auch nur eine Ahnung von dem beschliche, was jetzt ist. Das Alles hätte ich gestern noch für unmöglich gehalten, heute ist es. Alle Leidenschaften sind in mir wach geworden, und es giebt nur Ein Mittel, sie zur Ruhe zu bringen.«

Stefanie schwieg in äußerster Erschöpfung; alle Kraft schien von ihr gewichen. Sie ergriff die Hand des Creolen, der in fieberhafter Spannung ihr zugehört hatte und nun, kämpfend mit seiner bessern Ueberzeugung und der verzehrendsten Leidenschaft, seiner Bewegung nicht mehr zu gebieten vermochte.

»Ja, ja,« rief er gepreßt, »es giebt nur ein Mittel, die Flucht!«

»Können Sie jetzt noch an dies Mittel denken, da Sie Alles wissen?« – fragte Stefanie, ihm mit einem langen, forschenden Blick in's Auge sehend. William ertrug ihn nicht, diesen Blick, schweigend neigte er die brennende Stirn und drückte sie auf ihre Hand. »Aber was soll aus Ihnen, was soll aus mir werden?« jammerte er endlich verzweifelnd. – »Wenn Sie die Rückkehr Ihres Gatten erwarten, so bereiten Sie sich selbst den Untergang!«

Ein Posthorn tönte aus der Ferne, das Gerassel eines Wagens klang weithin durch die stille Nacht. Stefanie zuckte zusammen. – »Das ist Extrapost, das ist Waldau!« rief sie, an allen Gliedern bebend, »o verlassen Sie mich, verlassen Sie mich!«

William hatte im ersten Schrecken eine Bewegung nach der Tapetenthür gemacht, er zitterte nur für sie. Einmal noch kehrte er zurück und rief glühend:

»Ich schwöre Ihnen, Stefanie, daß ich Sie den Händen des Obersten mit Gewalt entreiße, wenn Ihnen die geringste Gefahr droht!« – dann verschwand er. Stefanie aber starrte lange auf die Stelle, wo er vor ihr gekniet hatte; ihre verschlungenen Hände zuckten convulsivisch, ihre Augen hatten keine Thränen; dumpf in sich hinein murmelnd: »Mein Entschluß ist gefaßt!« sank sie auf den Teppich des Fußbodens und drückte das Haupt in die Kissen des Sophas. Sie wollte das Rollen des Wagens nicht hören, der jetzt unter ihren Fenstern vorüber und die Straße entlang fuhr, sie also vergebens geängstet hatte.

*

XVII.

In dumpfer Stille brütete William den Rest der Nacht hindurch über finsteren Gedanken. Der Tag erwachte – die Sonne stand schon hoch, Alles blieb still, athemlos lauschte er hinter seinen verschlossenen Jalousien nach Tönen des Lebens aus ihrem Zimmer, und nach jedem Wagen, der vorüberrollte. Daß der Oberst noch nicht gekommen, wußte er, denn sein Vertrauter, Baptist, war schon seit dem Frühesten für ihn in Thätigkeit. Der Gedanke an die Ankunft des Gefürchteten trieb ihm das Haar empor. Er sah Stefanien schon ermordet von den Händen dieses Othello, er sah ihr Blut fließen, und sein Entschluß, sie selbst gegen ihren Willen zu entführen, wurde jeden Augenblick fester. Gepeinigt von Planen, die er mühsam bald ersann und bald wieder als unausführbar verwarf, traf ihn van Spert, der, von Mainz zurückkehrend, sich vor seinem Anblick entsetzte.

»Mein Gott, wie siehst Du aus!« – rief er William entgegen, der mit kaltem Kopfnicken ihn begrüßte; »was ist mit Dir vorgegangen?«

»Frage mich nicht, wenn Du mich liebst, ich habe keine Antwort für Dich; ich will nicht lügen, und die Wahrheit ist nicht mein Eigenthum.«

»Ach,« – lachte van Spert, »ich kenne sie schon diese Wahrheit, sie ist Dir theuer zu stehen gekommen. Das ganze Bad ist voll von Deinen Streichen. Der Barbier, der eben meinen Papa unter den Händen hat, kann nicht genug erzählen. Die schöne Räthselhafte da drüben – er deutete auf die verschlossene Thür – hat ja auf einmal die Maske abgenommen, hat, da der Mann den Rücken wendet, sich schnell ihrer noblen Passion überlassen. Ihr Geschmack ist nicht übel, sie spielte recht con amore< mit Deinem Gelde, und nachdem sie der Bank wieder treulich abgeliefert, was Du ihr genommen, ging sie mit Dir promeniren und gab Dir ein Rendezvous in dem angenehmen Bosquet am Teich. Da kann man die Weiber kennen lernen: vor zwei Tagen noch warf sie Dein Bouquet von sich wie eine Spinne, und gestern –«

»Es ist genug!« knirschte William; »Du thust mir weh, vollende nicht.«

»Nun ich schweige,« rief van Spert, »aber daß Du unvernünftiges Glück hast im Spiel wie bei Weibern, das streitet Dir Niemand ab. Nimm Dich nur in Acht vor dem Obersten, ich fürchte, er nimmt den Spaß sehr ernsthaft!«

»Das fürchte ich auch,« murmelte der Creole in sich hinein, und seine Unruhe wuchs von Minute zu Minute.

Endlich warf er sich an das Pult und schrieb:

 

»Sie müssen fort, Stefanie, die Stadt ist voll der schändlichsten Gerüchte; Waldau kann nicht lange unwissend bleiben, es gilt Ihr Leben. Ich muß Sie sprechen, heute noch muß das Nöthige geschehen, erbarmen Sie sich über sich selbst und mich.«

 

Schnell war das Blatt gesiegelt, schnell Baptist zur Stelle und in wenig Augenblicken war es in ihrer Hand.

Van Spert sah ihm mit Verwunderung zu; endlich begriff er, daß er hier überflüssig sei. »Höre, mein Junge,« sprach er, treuherzig Williams Hand schüttelnd; »hier brauchst Du mich nicht, ich lasse Dich allein. Giebts aber zu helfen, Dir beizustehen, Gefahr und Noth mit Dir zu theilen, dann rufe mich, ich werde Dich nicht warten lassen.« Die beiden jungen Männer umarmten sich, der Creole blieb allein.

Nach zehn Minuten kam Baptist wieder und reichte ihm ein Billet. Sein verschmitztes Lächeln war einem ängstlichen Ernst gewichen, man sah ihm an, daß er gefragt sein wollte, und nicht recht wagte zu sagen, was ihm auf dem Herzen lag.

William hatte das Blatt hastig geöffnet. Zum ersten Male sah er diese theuren Züge, seine Hände bebten, es flimmerte vor seinen Augen, als er die wenigen Worte las:

»Heute nach Mitternacht, wie gestern.

Stefanie.«

»Was thut sie, Baptist?« fragte der Creole, indem er mit einer Hand voll Gold die einzige Zeile bezahlte, die er gebracht. »Sage mir Alles. Wie sieht sie aus, hat sie Nachricht vom Obersten, sprach sie mit Dir? Komm, setze Dich zu mir, sprich.«

»Mylord,« begann der ängstliche Zwischenträger; »mir ist nicht wohl zu Muthe. Drei Male mußte ich pochen heute früh, bis sie ein Lebenszeichen gab, und dann geschah es erst, weil ich ihr zugerufen: es sei ein Brief aus Frankfurt da. Als sie die Thür öffnete, kam sie mir vor wie eine Leiche, so blaß und kalt und schwer schritt sie durch das Zimmer. Sie setzte sich wieder, sie hatte geschrieben, wie es schien, und ihre Augen waren blutroth, wie von unmäßigem Weinen. Ihre Hände zitterten so, daß sie lange brauchte, bis sie den Brief geöffnet. Ich that als sehe ich nichts, fragte wie gewöhnlich: ›Kommen der Herr Oberst zu Tisch? wie viel Couverts zu Mittag?‹ ›Mein Gatte kommt morgen zurück, ich speise allein, auf dem Zimmer.‹ Damit ward ich abgefertigt. Als ich vorhin wiederkam mit Ihren Billet, wie sah sie da erst aus! Sie besann sich eine lange Weile, bis sie es nahm; dann, als sie gelesen, wurde sie glühend roth bis zur Stirn, aber nur einen Augenblick, denn als ich wieder hinsah, war sie schon wieder bleich wie zuvor; dann ging sie einige Male hin und her, endlich schrieb sie die paar Worte. Als sie mir das Billet schweigend hinreichte, sah sie ganz confus aus, so starr und träumerisch waren ihre Züge. Wissen Sie wohl, daß mir recht bange wird für die schöne Frau? Wenn sie nur nicht« – die Pantomime, welche er machte, zeigte deutlich an, daß er sie für wahnsinnig halte. – »Denken Sie, sie rief mir nach: ›Sagen Sie, daß ich Niemanden sprechen, Niemandem meine Thür öffnen werde.‹ Ich machte, daß ich hinaus kam, denn gewiß, es geht nicht gut, wenn Alles wahr ist, was die Leute von gestern erzählten.«

Williams Entschluß war gefaßt. Ganz in der Stille mußte Baptist seinen Wagen packen, Alles in Bereitschaft setzen, und auf 12 Uhr Nachts Postpferde bestellen. Drei Male kam der Creole zu ihrer Thür; vergebens war sein leises Flehen, zu öffnen. Er entschloß sich endlich, am Tage den Weg zu gehen, den er zur Nacht erst suchen sollte. Die Tapetenthür war verschlossen. Er vermochte nicht, sich zu überwinden, er neigte sich zum Schlüsselloch, und sah durch die geöffnete Seitenthür Stefanie im Zimmer des Obersten, mit dem Rücken gegen ihn, emsig schreibend. Wohl eine Stunde belauschte er sie so. Sie blieb fest auf ihrem Platz, zuweilen legte sie den Kopf matt in die Hand, als sinne sie über etwas nach, oder als wolle die Erschöpfung sie überwältigen; dann schrieb sie wieder, und schien Williams wiederholtes Pochen gar nicht zu bemerken. Er überzeugte sich endlich, daß seine Mühe vergeblich, daß sie ihn nicht sprechen wolle, und das Rendezvous nach Mitternacht, blieb also die letzte Hoffnung seiner gequälten Seele. Er ging in die Stadt, machte seine Creditbriefe zu Geld, ordnete seine Angelegenheiten, dann kehrte er zurück in sein einsames Zimmer, mit namenloser Ungeduld die zwölfte Stunde erwartend, die noch nie so lange gezögert hatte wie heute.

*

XVIII.

Eine finstere, unheimliche Nacht sank auf die liebliche Stadt herab, in welcher schon früh ungewohntes Schweigen herrschte. Schwere Wetterwolken deckten den Horizont, eine peinigende Schwüle, noch erhöht durch die heißen Dünste des Brunnens, beklemmten jede Brust, und einzelne heulende Windstöße verkündeten den nahen Ausbruch eines Sturmes.

Gequält von der glühenden Atmosphäre und dem rasenden Pochen aller Pulse, harrte der Creole der Mitternacht, die den lichten Tag seines Leben heraufführen, die Spuren seiner früheren Vergehen auf immer der Vergessenheit überliefern sollte. Es überkam ihn wie eine böse Ahnung, sein Gewissen regte sich peinlich, er suchte in der gewitterschweren Luft, was in seiner erschütterten Seele lag. Jetzt endlich schlug es 12 Uhr, er hörte das Stampfen der Postpferde, die so eben in den Hof geführt wurden, und rasch trat er den wohlbekannten Weg an.

Die Tapetenthüre, welche ihm am Morgen den Eintritt zu ihr verschloß, stand weit offen und Todtenstille herrschte in dem Gemach, das zwei Wachslichter auf dem Spiegeltisch bis in den Grund erhellten; es war leer. Bestürzt blickte William um sich. Die Thür in das Zimmer des Obersten stand offen, doch es war finster. Mit einem unwillkürlichen Schauder trat er über die Schwelle, leise rufend: »Stefanie, wo bist Du?« – Keine Antwort, Alles blieb still. Jetzt erhellte der erste Blitz, das ausbrechende Gewitter verkündend, den Salon – er war leer.

Entsetzt ergriff der Creole ein Licht und durchsuchte das Gemach, nirgends eine Spur von ihr. Der Schreibtisch fest verschlossen, einige Blätter Papier ringsum zerstreut, bezeichneten den Fleck, wo sie gesessen. William nahm eins derselben, es enthielt die wenigen Worte:

»Theure Stefanie, beunruhige Dich nicht um mich, es hat allen Anschein, daß es mir gelingen werde, den bedeutendern Theil meines Vermögens zu retten; wenigstens werde ich nicht gezwungen sein, Dich das Einzige entbehren lassen zu müssen, wodurch ich Dein junges Dasein noch verschönern kann, die Annehmlichkeiten einer freien, gesicherten Stellung im Leben.

Morgen bin ich wieder bei Dir, um Dich für die freiwillige Gefangenschaft zu entschädigen, die Du Dir gewiß wieder, gegen meinen Willen, auferlegt. –

Frankfurt a. M., den 20 Juli 18**

Dein Waldau.«

Erzürnt zerknitterte er das Blatt; es enthielt in wenig Zeilen so viel Liebe, einen so zarten Sinn, daß der leichtsinnige Creole vergebens einem Anfall von tiefer Beschämung zu trotzen suchte. Er trat in Stefaniens Gemach zurück, da – wie konnte er es bis jetzt übersehen – auf dem Spiegeltisch, dicht neben den Kerzen lag ein Blatt Papier, eine rothe Kapsel dabei. Er stürzte hin, sein Haar sträubte sich, seine Zähne schlugen klappernd aneinander, Himmel und Erde drehten sich in seinem Gehirn, als er las:

 

»Ich war meines edlen Gatten unwürdig, William, vom ersten Augenblicke an, da unsere Augen sich begegnet. Doch ich kämpfte redlich, und mein Geheimniß sollte einst mit mir zu Grabe gehen. Da trat der böse Geist zu mir – die Erfindung der Hölle: das Spiel, riß mich in den Abgrund der Schande, des Elends! Ich bin zu schwach, dem Verderben zu widerstehen, dem die Lebende unrettbar verfallen müßte, und nicht stark genug im Verbrechen um ein schuldbeladenes Dasein ertragen zu können. Mein irdisches Glück, meine Ehre sind vernichtet. Meine Dankbarkeit allein hat die Seele rein erhalten, daß sie es bleibe, will ich sie hinüber retten, wo ein milderer Richter als die Welt, mein Urtheil sprechen wird.

Stefanie-Giulietta.«

Die Kapsel enthielt ein sprechend ähnliches Miniaturbild der Beklagenswerthen. Im vollsten Glanze der Jugendblüthe, der harmlosesten Unschuld, lachte es den Verzweifelnden an, der, von allen Furien des Gewissens gepeitscht, die kleine Treppe hinabstürzte, und wie ein Rasender nach Baptist rief, welcher schon längst am Wagen stand und ihn erwartete. Mit Entsetzen sprang er zurück bei dem Anblick des Creolen, den er für wahnsinnig hielt.

»Sie ist fort, sie hat sich getödtet!« brüllte dieser, in wüthendem Schmerz laut aufschreiend, wie ein Thier der Wildniß.

»Unmöglich!« stammelte der Bursche, an allen Gliedern zitternd; »sie hat ja das Haus nicht verlassen.«

»Wo ist sie denn? Die Zimmer sind leer.«

»Das wäre der T–!« murmelte der bestürzte Baptist, und die Folgen seiner Dienstfertigkeit traten ihm sehr bedrohlich vor die Augen.

»Der Portier muß sie gesehen haben, wenn sie das Haus verließ,« rief er, sich besinnend. Schnell wurde dieser empor gerüttelt, er sollte Rechenschaft geben, ob die Oberstin das Hotel verlassen. Der erschrockene Mann rieb sich den ersten Schlaf aus den Augen, sah Beide groß an, und fragte: »Was für eine Oberstin? Es wohnen deren drei im Hause.«

»Himmel und Erde!« schrie William, »wie soll man sie nicht kennen, das schönste Weib, das je –«

»Ah, die Dame aus dem ersten Stock, nach der Allee hinaus? Ja, die kam ganz spät, es mochte so nach zehn Uhr sein, in ein rothes Halstuch gewickelt, und einen Strohhut recht tief im Gesicht, an meine Loge und fragte mich: durch welche Straße man zunächst auf den Weg nach Bieberich kommen könne, ohne zu vielen Menschen zu begegnen. Ich bezeichnete ihr den Weg, und machte mir so meine eigenen Gedanken, daß eine so hübsche Person um diese Stunde allein gehen wollte, noch dazu auf der Landstraße, die sie gar nicht kennt, wo sie sich so leicht verirren könnte in der Dunkelheit. Ich warnte sie, daß sie nicht etwa auf den Weg nach Mainz gerathe, denn da könne sie lange laufen, ehe sie Bieberich erwische. – Sie schüttelte nur leicht den Kopf und meinte: sie werde den rechten Weg wohl finden. Darauf zeigte ich ihr den Himmel, und sagte ganz höflich: ›Sehen Sie nur, gnädige Frau, da hängt ein schweres Wetter, es dauert keine Stunde, so geht es los.‹ ›Desto besser!‹ antwortete sie, wickelte sich recht fest in ihr Tuch, und huschte zum Thorweg hinaus.«

»Und ist sie nicht zurückgekehrt?« fragte Baptist hastig.

»Sie müßte nur durch's Schlüsselloch geschlüpft sein,« entgegnete der Portier verdrießlich, »denn bis 11 Uhr sah ich jede Seele aus- und eingehen, und seit ich schloß, hat mich Niemand geweckt als der Postillon mit den Pferden dort.«

»Nach Bieberich,« wiederholte der Creole dumpf, »was führt sie nach Bieberich? Großer Gott!« schrie er plötzlich auf, »der Rhein – der Rhein

Einem Rasenden ähnlich, sprang er in die Kalesche und rief bebend: »Postillon, mein halbes Vermögen, wenn wir sie finden! Den Weg nach Bieberich, fort – fort!« Und dahin rollte der Wagen durch den Thor weg in die schwarze Wetternacht hinein. Blitze auf Blitze durchzuckten die schwere Luft, furchtbare Donnerschläge erschütterten die Erde, der Unglückliche gewahrte es nicht, krampfhaft hielt er das Blatt und ihr Bild an die Brust gepreßt, und alle die Qualen, die er so manchem treuen Herzen bereitet, durchzuckten rächend seine Seele.

*

XIX.

Der Oberst von Waldau eilte wenige Stunden später mit flammender Stirn die Treppen im Hotel zu den vier Jahreszeiten hinan. Schon in Frankfurt hatte er einen Wink erhalten, daß man seine Gattin an der Bank ungeheure Summen hatte verspielen sehen. Dies Räthsel zu lösen, trieb es ihn früher heim, als er beabsichtigte. Die verschlossene Thür wurde geöffnet, sein Schreibtisch erbrochen. Ein Brief Stefaniens mit dem vollständigsten Bekenntniß, mit der rührendsten Selbstanklage, schloß mit den Worten:

 

»Es war mir nicht vergönnt, Dich für so viele Wohlthaten zu beglücken, ich konnte nichts im Leben für Dich thun, als das Eine: Dir einen Mord zu ersparen! Damit Du rein bliebst, und Dein edles Gemüth so fleckenlos zum Licht zurückkehre, wie Du es durch Dein ganzes Leben erhalten, habe ich selbst Dein Rächeramt verwaltet. Wenn Du diese Worte liesest, ist Deine Ehre entsühnt, Du kannst mir vergeben, – ich bin nicht mehr

 

Heiße Thränen, die ersten, die sein männliches Auge je befeuchtet, stürzten auf die Blätter in seiner Hand. Er schien einen Augenblick wie versteinert. Aber Waldau war ein Mann. Der Gedanke: wenn es noch nicht zu spät, wenn noch Rettung möglich wäre? weckte seine volle Kraft, entschlossen sprang er auf und bald fuhr auch er in den grauenden Morgen hinein, den Weg nach Bieberich.

*

XX.

Wie von Gespenstern gejagt, hatte Stefanie die Landstraße erreicht, jetzt athmete sie leichter; unter dem weiden Dach des gewitterschweren Himmels, im freien Felde, fühlte sie sich sicher und verfolgte nun langsamer, aber mit festen Schritten den finstern Weg, auf welchen ein unerschütterlicher Entschluß sie geführt. Dieser Entschluß schien ihren schwachen Körper zu stählen, denn schon durchzuckten einzelne Blitze die schwüle Luft, der Sturm erhob sich mit furchtbarer Gewalt, Staubwolken um sie herwirbelnd, schüttelte Aeste und Blätter von den ächzenden Bäumen, und entriß ihr jetzt Hut und Schleier – sie achtete auf nichts, unbeirrt wanderte sie festen Schrittes durch den Aufruhr der Natur, der in glücklicheren Tagen sie mit Furcht und Schrecken erfüllt hätte. Es gab für die Unglückliche keine Furcht mehr als die, dem Auge des verrathenen Gatten zu begegnen, und keinen Schrecken, als den Blick in den Abgrund ihres gesunkenen Selbst, das sie in die Fluthen des Rheins zu begraben ging.

Wohl eine Stunde mochte sie gewandert sein, ohne zu bemerken, daß sie bergan ging, sie lauschte nur immer vergebens auf das ersehnte Rauschen des mächtigen Stromes, das sie nicht vernahm, wohl aber den rollenden Donner und das Prasseln des herabstürzenden Hagels, der jetzt ihr unbeschütztes Haupt bedeckte und sie endlich unter einen Baum, abseits der Straße trieb. Dort, unter dem dichten Blätterdach kauerte sie betäubt, wie in einem schweren Traum; das Gesicht in beide Hände gedrückt, versuchte sie vergebens die fliehenden Gedanken und die schwindende Kraft zu sammeln, ihre Sinne verwirrten sich, wohlthätige Stumpfheit hatte sich ihrer bemächtigt, die erschöpfte Natur trat in ihr Recht, der Schlaf senkte sich erbarmend auf die brennenden Lider, die längst keine Thräne mehr hatten.

Das Rasseln ferner Räder erweckte ihre schlummernden Lebensgeister, entsetzt fuhr sie empor. – Verfolgung! – dies war der erste klare Gedanke, dessen sie sich wieder bewußt wurde. Der Regen goß in Strömen und langsam bewegte sich ein Fuhrwerk den Hügel herauf. Stefanie starrte athemlos aus ihrem Versteck hervor in die Dunkelheit. – Jetzt erhellte ein Blitz die Nacht, es war nur ein Güterwagen der sie so erschreckt hatte, dessen Führer fluchend und stöhnend neben demselben herwanderte.

»Wo sind wir?« – rief sie diesem entschlossen entgegen.

Der Mann fuhr erschreckt zusammen, sah scheu nach dem Baum hinüber und antwortete erst, als sie die Frage wiederholte: »Halbwegs Mainz.«

»Ist es noch weit nach Bieberich, an die Dampfschiffbrücke?« – fragte Stefanie jetzt auf die Landstraße tretend.

»Nach Bieberich?« – murmelte der verdutzte Mann; da könnt Ihr erst eine gute Strecke zurücklaufen, dann am Chausséehause links ab, die Straße hinunter, den Park entlang, dort seid Ihr gleich am Rhein; aber um die Zeit findet Ihr kein Dampfschiff mehr.« Damit hieb er auf seine Pferde und ging rasch weiter.

Stefanie aber war sich selbst und ihrem Entschluß wiedergegeben, sie wußte genug. –

*

XXI.

Das Wetter hatte ausgetobt; schon erhellten einzelne Sterne und matt durch Wolken brechende Mondstrahlen die wild wogenden Fluthen des Rheins, und schweißtriefend, mit Schaum bedeckt, hielten so eben die Postpferde des Creolen am Landungsplatz in Bieberich an. William war mit einem Sprung aus dem Wagen, die Augen auf eine Gruppe von Männern gerichtet, die unruhig, laut sprechend auf der Landungsbrücke hin und her liefen, nach dem Strom deutend.

»Was giebt es hier?« – schrie der Creole. Doch ohne ihn zu beachten, rief der älteste der Männer einem jungen Burschen zu: »Meinen Kahn los, dort taucht sie wieder auf! Ihr seid alle Schufte, daß keiner ihr nach will!« – »Sie hat mir mein Netz zerrissen, der ganze Fang ist zum Teufel!« schrie der Eine. –

»Es ist ja nur ein Weibsbild.« – brummte ein Anderer.

»Aber doch ein Menschenkind! Und Fische giebts im Rhein noch genug für so selbstsüchtige Hallunken wie der Steffen!« grollte der Alte, indem er rüstig nach dem Ufer hinunter lief, dem Jungen ungeduldig die Kette aus der Hand riß, in den Kahn sprang und kräftig vom Ufer abstieß. Alles dies war das Werk weniger Secunden, und schon spritzten die Wogen hoch auf, und mit starken Armen theilte der verzweifelnde Creole die ungestüme Fluth, denn er hatte im Mondlicht, das jetzt siegend durchbrach, den rothen Shawl erkannt, der vom Strom erfaßt, in furchtbarer Schnelle thalwärts geführt, jetzt schwindend, jetzt wieder sich hebend, ihm zum Wegweiser ward. Mit übermenschlicher Anstrengung durchkämpfte er den Widerstand des grollenden Elementes jetzt hatte er die Versinkende erreicht, ihr aufgelöstes Haar fest um die Rechte schlingend, mit letzter Kraft sich an den Kahn des Schiffers klammernd, der muthig gefolgt war, so gelang es ihm das Ufer mit seiner leblosen Bürde zu gewinnen. Nach wenig Minuten hielt er die Erstarrte in den Armen, und mit lautlosem Entzücken fühlte er schwache Schläge ihres Herzens unter seiner Hand. Fest preßte er die glühenden Lippen auf den kalten Mund, bemüht ihr Leben einzuhauchen. Die erschrockenen Fischer umstanden ihn rathlos, der alte Fährmann nur rieb ihre stockenden Pulse, und meinte: »die ist nicht todt.« – Da hob ein schwacher Athemzug ihre Brust und: »Sie lebt, sie lebt!« schrie William in wahnsinniger Freude. »Ich habe sie nicht getödtet!«

In dem Hause eines Arztes, wohin William sie mit Hülfe des reichbelohnten alten Fischers gebracht, fand Stefanie alle die Pflege, welche ihr Zustand erforderte. Lange schienen die Bemühungen, sie in's Leben zurückzurufen, vergebens. In athemloser Stille, mit bebendem Herzen starrte der Creole in das bleiche Leichenantlitz, als müßte die Gluth seiner Blicke die Lebensfarbe auf die erstarrten Züge zurückrufen. – Jetzt – jetzt endlich bewegten sich die schweren Lider, das matte Auge öffnete sich und ihr erster Blick fiel auf ihn, dem zu entfliehen sie sich in die Nacht des Grabes retten wollte. Wie aus einem Traum erweckt, starrte sie ihn lange groß an, dann endlich rang sich ein Schrei des Entsetzens aus der kämpfenden Brust, sie wandte die Augen von ihm und bedeckte schaudernd das Gesicht.

»Stefanie!« hauchte kaum hörbar der Creole, seine zitternde Hand sanft auf ihre Stirne legend. »Ich bin es!« – Sie zuckte zusammen und stammelte mühsam: »Fort! Fort von mir!« Der erstaunte Arzt sagte sanft: »Madame, dieser Herr ist Ihr Retter. Ohne seine aufopfernde Hülfe lägen Sie jetzt auf dem Grunde des Rheins!«

»Weh' mir!« seufzte Stefanie, und die abwehrende Bewegung, mit welcher sie jetzt das Haupt zur Seite wandte, sprach deutlicher als Worte es vermocht hätten.

Leise bat der Arzt zu William gewendet: »Ueberlassen Sie die Dame für einige Stunden der Sorgfalt meiner Frau und meiner Pflege, Ruhe ist das einzige Heilmittel für sie, wenn Sie wünschen, daß ihr Leben erhalten bleiben soll. Sorgen Sie indessen für sich selbst, Sie bedürfen der Erholung.«

Mit gesenktem Haupt, gebrochen und willenlos, vergebens ankämpfend gegen das schwere Gewicht seiner Schuld, verließ der Creole schweigend das Gemach.

*

XXII.

Es war sieben Uhr Morgens. Die freundliche Frau des Arztes, welche nicht von Stefaniens Lager gewichen war, schlummerte im Lehnstuhl, und durch die geschlossenen Jalousien drängten sich einzelne Sonnenstrahlen auf das Lager der Geretteten, das bleiche stille Antlitz verklärend. Sie schlief nicht und hatte nicht geschlafen; die gefalteten Hände auf das Herz gelegt, lag sie regungslos, nur zuweilen leise seufzend: »O, sterben an seiner Brust, durch Vergebung entsühnt hinübergehen, diese Gnade durfte der Selbstmörderin nicht werden!«

Jetzt wurde es laut im Vorsaal. Von Stunde zu Stunde die Nacht hindurch, war der Creole bei dem Arzt erschienen, um Nachricht über die Geliebte, um den Eintritt in ihr Zimmer zu erflehen. Stefanie wies jeden seiner Versuche sie zu sprechen entschlossen zurück, vergebens bot er dem redlichen Manne Gold über Gold: ihm nur durch die Thürspalte ihren Anblick zu gönnen, er blieb unbeweglich.

»Die Dame schwebt noch immer zwischen Tod und Leben, mein Herr!« sprach der Arzt. »Eine gewaltsame Erschütterung kann die schwache Lebenskraft plötzlich zerstören, die ich mit so großer Mühe wieder erweckt habe. Gegen ihren Willen werden Sie in meinem Haus ihre Schwelle nicht überschreiten.«

Das einzige Zugeständniß, das William zu erlangen vermochte, war endlich die Erlaubniß, im Vorsaal bleiben zu dürfen, bis die Kranke selbst nach ihm verlangen würde. Verzweifelnd vor Ungeduld und Schmerz warf er sich in einen Stuhl, seine Kraft wie sein Trotz schien gebrochen, er weinte laut und trostlos, wie ein krankes Kind.

Da eilten starke Schritte die Treppe herauf, Sporengeklirr schlug an sein Ohr, die Saalthüre öffnete sich, das Blut in seinen Adern stockte – Waldau stand vor ihm.

»Wen suchen Sie, mein Herr?« fragte der Arzt, befremdet über den seltsamen Eintritt.

»Ihre Kranke – mein Weib!« rief der Obrist energisch. »Sie lebt, ich weiß es, – wo ist sie?« Mit diesen Worten wandte er sich der gegenüberliegenden Thüre zu, auf welche der erschrockene Arzt schweigend gedeutet hatte.

»Nicht einen Schritt über diese Schwelle!« schrie der Creole entsetzt, und seine alte Wuth, seine volle Kraft schienen plötzlich erwacht; wie ein gereizter Tiger klammerte er sich an Waldau's Arm, und stammelte athemlos, zu dem Arzt gewendet: »Wollen Sie Ihr Haus durch einen Mord beflecken lassen – wissen Sie denn nicht, daß er kommt, die Unglückliche seiner Rache zu opfern?«

Mit einem gewaltigen Ruck schleuderte Waldau den Creolen von sich und ihn mit einem Blick, der zwischen Verachtung und Mitleid schwankte, messend, sprach er kalt: »Wenn ich käme mich zu rächen, so stünden Sie nicht mehr lebend vor mir, mein Herr! Ich kam, um gerecht zu sein gegen meinen Feind wie gegen mich selbst.« Und abermals wandte er sich nach der Thüre.

»So sein Sie denn gerecht,« rief William sich vor ihm niederwerfend. »Schonen Sie das reinste, unglücklichste Wesen, das seine und Ihre Ehre vor mir zu retten, sich selbst opfern wollte, und geben sie Ihrem Beleidiger den Tod; ich werde es Ihnen danken, denn ich liebe sie, die ich nie besitzen darf, ich kann ohne sie nicht leben, und verachte den feigen Selbstmord des Mannes. Geben Sie uns Allen den Frieden!«

»Das werde ich!« sprach der Obrist entschlossen.

»Waldau! Waldau!« tönte es jetzt schwach aus dem Cabinet nebenan, und nach wenigen Augenblicken lag Stefanie in seinen sie fest umschließenden Armen, und und heiße Tropfen fielen auf ihre kalte Stirn.

»O – sterben an seiner Brust« – hauchte sie leise: »Ich danke Dir, Gott!« Und seine Hand mit Küssen bedeckend, lehnte sie das Haupt an seine Schulter, die trockenen Augen füllten sich zum ersten Male wieder mit Thränen und selig lächelnd flüsterte sie: »Du weinst – Du hast mir vergeben!«

»Dir vergeben, Du reines, großes Herz!« rief der Obrist. »Was hätte ich Dir zu vergeben? Einen Fiebertraum, einen Augenblick der Schwäche gegen ein verderbliches Weib, dessen teuflischer List Deine arglose Seele nicht gewachsen war. Und hast Du mir denn vergeben, daß ich Dein junges, frisches Leben für ewig an den alternden Mann fesseln wollte? Daß ich in blinder Selbstliebe Dich geopfert, obwohl die Zukunft klar vor meinem ahnenden Auge lag? – Es ist gekommen wie es kommen mußte. Dein unbefriedigtes Herz darbte, Deine glühende Jugend empörte sich, das heiße Blut forderte gebieterisch sein Recht – Du lerntest jenen Mann kennen und mit ihm die Liebe, jene Liebe, die Du mir nicht zu gewähren vermochtest, so redlich Du es auch gewollt – und es überkam Dich die Ahnung eines Glückes, das Du in meinen Armen nicht fandest; das unfreiwillige Erwachen Deines Herzens, mein Vergehen an Dir – wolltest Du mit dem Tode büßen. Nicht also, Stefanie! Du hast mir Jahre des Glücks geschenkt, diese Erinnerung genügt für mein ganzes Dasein. Die Reihe ist an Dir. Du sollst leben, sollst das Weib des Mannes werden, dem Deine Seele, Deine Liebe gehört. Wir trennen uns – ich gebe Dich frei. Treten Sie näher, mein Herr.« – Mit diesen Worten wendete Waldau sich zu William der, starr wie ein Steinbild, an der Thüre lehnte. – »Sie sehen, ich halte Wort, ich bin uns Allen gerecht.«

Der Creole, seinen Sinnen nicht trauend, trat zögernd heran; er vermochte den plötzlichen Uebergang von der tiefsten Hoffnungslosigkeit zu solchem Glück nicht zu fassen, die Kniee wankten unter ihm. »Mein! Mein!« stammelte er. »Sie sollte mein werden?«

Stefanie – die glänzenden Augen fest auf Waldau gerichtet, hatte ihn regungslos angehört; jetzt, als William sich ihr näherte, erhob sie sich plötzlich auf dem Lager und sprach fest: »Meine Seele ist Dein, Waldau, ich bleibe Dein Weib im Tode wie ich es im Leben war; Dir allein will ich angehören bis zu meinem letzten Athemzug!«

Waldau zuckte zusammen, der Creole sank wie niedergeschmettert an ihrem Lager in die Knie.

»Sie haben mich für wenige Stunden dem Tode abgekämpft, William,« fuhr sie mit milder Stimme fort, »und ich danke Ihnen aus tiefster Seele für diese Wohlthat, denn ich durfte noch einmal aufleben, um die Verzeihung des edelsten Herzens mit mir hinüberzunehmen – um an seiner Brust zu sterben, der mir Alles war, seit ich denken und fühlen konnte. – Es war ein sinnverwirrender, glühender Traum der mich umfing, da ich wähnte Sie zu lieben, die Nähe des Todes, die Fluthen des Rheins haben diese Gluthen verlöscht – ich bin erwacht, ich liebe Sie nicht mehr. In den qualvollen Stunden dieser Nacht überflogen meine Gedanken die letzte Vergangenheit und es ward hell in mir; ich erkannte, wie ich das Opfer eines abscheulichen Planes geworden. Ihr Gold öffnete Ihnen den geheimen Weg zu mir, Sie belauschten die Unterredung mit meiner Schwester, Sie drängten mir die Mittel auf zu dem furchtbaren Spiel, das mich in den Abgrund riß und mich rettungslos in Ihre Hand gab – meinen Tod wollten Sie nicht, Sie wollten meine Schande, meinen Fall! O William, wie konnten Sie mit so viel edlen, herrlichen Gaben, so tief sinken!«

Der Creole, noch immer zu ihren Füßen liegend, barg das Gesicht in beide Hände und rief verzweifelnd: »Weil ich Dich liebte, grausames Weib, mit einer Liebe, die Dich Gott und Satan abgerungen hätte wie den tosenden Wellen – wenn Du mich lieben konntest, wie Du geliebt bist! Aber Dein Herz ist kalt – es kann mich eben so wenig verstehen als es zu vergeben vermag – was nur Liebe verbrach!«

»Ich kann vergeben, William,« sprach Stefanie mit leise bebender Stimme – »und will Dich segnen, wenn Du in meine kalte Hand – bei Deiner Ehre, bei Deiner Hoffnung auf die Gnade Gottes, mit heiligem Eide schwörst, daß dieses Herz das letzte sei, das Du gebrochen, und dieses Glück« – sie schlang den Arm weinend um Waldau's Hals – »das letzte ist, das Du zerstörst!«

An allen Gliedern zitternd, sprang der Creole empor, und seine Augen wurzelten fest auf dem Antlitz, über welchem sich schon die Schatten des Todes lagerten; die bebende Hand in Stefaniens Rechte legend, rief er: »Ich schwöre es, so wahr ich nie ein Weib geliebt habe wie Dich, und so wahr ich hoffe, daß die Qual der Reue die jetzt meine Brust zerreißt, und mein ganzes künftiges Leben, mein Vergehen sühnen soll vor dem ewigen Richter.«

»Ich danke Dir,« hauchte Stefanie. »Ich segne Dich, ich vergebe Dir!« – Und das brechende Auge zu Waldau erhebend, flehte sie: »Vergieb auch Du, mein Gatte, damit ich ruhig von hinnen scheide!«

Waldau umschlang unter Todesschauern die Sterbende fester und reichte dem Creolen die Hand. »Ich vergebe Ihnen, unglücklicher junger Mann!« sprach er tief erschüttert. William aber schrie in wüthendem Schmerz laut auf, denn Stefanie erhob den Blick noch einmal dankend zu Waldau, seufzte mit letzter Kraft: »An Deiner Brust! O Dank für Alles – Alles!« und lag entseelt in seinen Armen.

Der Creole preßte die Hand der Leiche an Brust und Lippen, stürzte hinaus und sank im Vorsaal zusammenbrechend in Van Sperts Arme, den die dunkeln Gerüchte welche das Hotel durchflogen, hergetrieben hatten, den Freund vor der Rache Waldau's zu schützen, und der ihn nun mit Entsetzen von der Rache des Himmels ereilt fand. – »Wohin nun mit Dir, Unglücklicher?« – frug er rathlos und erschüttert.

Sich hoch aufrichtend, von einem plötzlichen Entschluß durchzuckt, antwortete der Creole: »Zur Sühne – zu meinen Pflichten zurück, zu meinem verlassenen Vater!« – Und auf den Arm des Freundes gestützt, entfloh er den Räumen, die sein Opfer umschlossen.

Waldau trug seinen Schmerz wie ein Mann; thränenlos küßte er die für ewig geschlossenen Augen, den bleichen Mund des geliebten Weibes und sprach leise: » Leben konntest Du nicht – wohl Dir, daß Du die Seele rein hinübergerettet, wo kein Kampf ist und keine Sünde. Ruhe in Frieden, ich folge Dir bald!«

Wenige Tage darauf trat der unglückliche Mann eine Reise nach Italien an, um Stefaniens Leiche in die heimathliche Erde zu betten, nach welcher sie sich stets so schmerzlich gesehnt. – –

*

XXIIII.

Auf Cap Français, inmitten eines prächtigen Parkes, auf einem kleinen Hügel, erhebt sich ein riesiges Kreuz von weißem Marmor auf schwarzem Piedestal, die einfache Inschrift tragend: » Zu Stefaniens Gedächtniß.« – Vor diesem Denkmal stand zehn Jahre später Van Spert – den Geschäfte nach den Colonien geführt, an der Seite eines hohen bleichen Mannes, der mit unterschlagenen Armen, ernsten Blickes an den großen goldenen Lettern des Namens hing.

»So hast Du die tragische Episode aus Deutschland nicht vergessen, William?« rief der erstaunte Holländer.

»Vergessen?« fragte der Creole, und ein schmerzliches Lächeln zuckte um seinen Mund. »Du hast wohl nie geliebt!«

»Und lebst Du denn einzig dem Gedächtniß dieser Unglücklichen?«

»Ich lebe der Erfüllung eines heiligen Schwures, den ich halten werde bis zu der Stunde, die mich ihr vereint, die ich getödtet habe durch das verruchteste aller Laster – das Spiel

 

Ende des dritten Bandes.

* * *

 


 << zurück