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Räthsel der Natur.

Novelle aus den Zeiten der Katharina von Medicis.


I.

Eine hohe, jungfräuliche Gestalt lehnte in einem der prachtvollsten Säle des Louvre an einem marmornen Pfeilertisch, ihr schwarzes Flammenauge haftete unverwandt auf dem riesigen Spiegel, welcher mit gewissenhafter Treue nicht allein ihr blendendes Antlitz, sondern auch eine Gruppe wiederstrahlte, die das einzige Augenmerk der regungslosen Schönen zu sein schien.

Es war jener verhängnißvolle Abend, an welchem der junge König Heinrich von Navarra, eben verlobt mit Margarethen von Valois, die Glückwünsche der Großen Frankreichs empfing. Unter einem prächtigen Thronhimmel, auf goldenem Lehnstul, bedeckt von Diamanten, thronte der Schrecken ihres Jahrhunderts, Katharina von Medicis; ihr halbgeschlossenes Auge schoß lüsterne Blicke in dem bunten Kreis umher – ob lüstern nach Liebeslust oder Blut, vermochten selbst ihre Begünstigten nicht zu unterscheiden. An ihrer linken Seite strahlte die jugendliche Margarethe im vollen Glanz der üppigsten Reize, die sie zur schönsten Frau Frankreichs machten. Kein Blick auf den erlauchten Verlobten verrieth das süße, schaamerröthende Entzücken der beglückten Braut, wohl aber schlug eine rasche, verrätherische Flamme in dem dunklen Auge empor, wenn es auf den Herzog von Guise, den schönen Geliebten, traf, der ihr zur Seite, in ihrem Anblick versunken, stand. Rechts von der Königin Mutter saß die sanfte Elisabeth, die unglückliche Gattin des blutbefleckten Karls IX., und hinter Margarethens Lehnstuhl, nachlässig an eine Säule des Throns gelehnt, stand der junge Heinrich, in dessen kräftiger Hand einst Frankreich's Schicksal ruhen sollte. Vergebens suchte man in seinen scharfen, abgeschlossenen Zügen nach einem Abglanz seines Innern; zuweilen nur schoß sein Falkenblick wie ein Blitz über die Versammlung hin und sank dann wieder kalt auf den schönen Nacken seiner stolzen Braut zurück, dessen Form ihn sehr zu beschäftigen schien. König Karl, ermüdet von den Feierlichkeiten des verflossenen Tages, hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen.

In näheren und weiteren Kreisen umzog diese Gruppe der glanzvollste und sittenloseste Hof Europa's ein Meer von Licht, tausendfach wiederstrahlend aus buhlerischen Augen und kalten Steinen, ergoß Tageshelle durch den Saal, und keinen Winkel gab es, in den sich ein lichtscheuer Gedanke zu flüchten vermochte, als das tief innerste Herz des Herzens, denn selbst auf der Stirne, im leisesten Lächeln, im höheren Roth der Wange fand ihn Katharinens Späherauge aus. Nur die ernsten Mienen der anwesenden Hugenotten-Häupter, mit Ausnahme Coligny's, wollten sich nicht erheitern, alle diese Pracht blendete ihren klaren Blick nicht und schlecht verhehlte Sorge lagerte um ihre festverschlossenen Lippen.

Das Flüstern in der Nähe der Königin war nach und nach zum lautern, lachenden Gespräch geworden, und lange schon stand an dem andern Ende des marmornen Pfeilertisches eine reich gekleidete junge Dame, ohne daß sich deshalb die früher erwähnte hohe Gestalt aus ihrer Stelle rückte, oder die Anwesenheit der Zweiten zu bemerken schien. Ein sanfter Schlag auf ihre blendende Schulter rief endlich die abwesenden Geister in die schöne Hülle zurück; beleidigt und verwundert wandte sie das Haupt.

»Ei, Mademoiselle Alice,« tönte eine feine Stimme ihr entgegen, »haben Euch Eure eigenen Reize den Kopf verdreht, wie weiland dem Monsieur Narcisus? Wie lange denkt Ihr wohl noch die Statue hier zu spielen? Freilich, die Rosen von Diamanten kleiden Euch allerliebst, und der lichtblaue Sammet, der Eure Formen umfließt, hat eine wundervolle Farbe!«

»O nicht doch,« lachte die kleine Blondine, welche an dem andern Ende des Tischchens lehnte, »Mademoiselle d'Aumont stand nicht in die eigene Bewunderung so versunken, darauf wette ich meine neue Kette aus Venedig; sie hat nur die Ritter im Spiegel gemustert, denen die Spröde von Angesicht zu Angesicht keinen Blick gönnt.«

»Es wäre möglich, Mademoiselle Latourneroi, daß Ihr Euch Beide irrtet,« entgegnete mit stolzer Kälte Alice d'Aumont, das schöne Haupt in den Nacken werfend, »und daß mir weder meine eigenen Reize, noch die goldenen Puppen, die uns umgeben, der Mühe werth schienen, zehn Minuten vor dem Spiegel zu verträumen. Tretet etwas näher und leset was hier auf der Fläche des Spiegelglases eingegraben steht, und wenn Euch die Lösung dieses Räthsels nicht eben so fest bannt wie mich, so sollt Ihr Beide Recht haben mit Euren thörichten Beschuldigungen.«

Neugierig bogen sich die Köpfchen der Lauscherinnen vorwärts und sie lasen nicht ohne Mühe die Züge, welche eine kühne Hand hier eingegraben.

Ach, liebend und geliebt, und dennoch ewig hassend,
Lebendig todt, verdammt – und nicht das Leben lassend!
Entfliehen wo sie folgt, und folgen wo sie flieht,
Vergeh'n vor bitterm Schmerz, wo sie mein Aug' nicht sieht,
Vergeh'n in Höllenpein, wo dieses Aug' mich trifft,
Ist tausendfacher Tod – ist aller Gifte Gift! –

Lange starrten die drei Jungfrauen auf die räthselhaften Worte, deren Sinn sie vergebens zu entwirren strebten.

Das Lächeln in ihren Zügen war ernstem Sinnen gewichen. Endlich brach Demoiselle Latourneroi das Schweigen, sich rasch nach Alicen wendend:

»Ihr hattet Recht, Mademoiselle d'Aumont, diese seltsamen Verse könnten mich wohl auch ein Viertelstündchen hier fesseln! Von wem mögen sie sein?«

»Ja, von wem?« fragte Mademoiselle de Sauvage mit dem feinen Stimmchen, »von wem? – das läßt mich acht Nächte nicht schlafen! – Nun, Mademoiselle de Latourneroi, die Königin preist ja so oft Euren Scharfsinn, beweist ihn jetzt, rathet unter diesen stattlichen Cavalieren denjenigen heraus, der so aussieht, als trage er alle Martern der Hölle mit sich herum, das wäre eine hübsche Aufgabe für ein so kluges Köpfchen wie das Eure. Was meint denn Ihr dazu, Mademoiselle Alice?«

Alice antwortete nicht, ihr Blick hing starr an dem Spiegel, zwei dunkle Augen hatten die ihrigen getroffen, sie brannten bis in ihr Herz hinein, Liebe, Schmerz, Wuth und stummer Vorwurf strahlten aus diesem einen Blick, die Lösung des Räthsels flammte vor der Geblendeten auf, sie wußte nun, von wem die Verse kamen und wem sie galten; doch dieser Blitz, der eine Secunde geleuchtet, hinterließ um so dichteres Dunkel – sie sah sich in einem Labyrinth ohne Pfad und Ausgang.

Verwundert blickten die leichtsinnigen Hoffräulein zu ihr empor, vergebens suchten sie Rede und Antwort zu erhaschen, sie schienen gänzlich von der stolzen d'Aumont vergessen, und der Lärm des allgemeinen Aufstandes, den die plötzliche Entfernung der Königin veranlaßte, verschlang einige bittere Bemerkungen der Gereizten, welche eilend an Alicen vorüberflogen.

*

II.

» Villeroy,« flüsterte der junge Heinrich, sich vertraulich auf den Arm eines schlanken hugenottischen Edelmannes lehnend, der zu seiner nächsten Umgebung gehörte, »Villeroy, laß uns hier stehen und die Schönheiten mustern, die meine edle Schwiegermutter als Lockspeise ausgestellt, Ventre Saint gris<, sie hat Geschmack.«

In einem Fensterbogen standen die beiden jungen Männer und ließen den langen Zug der Edeldamen vorübergleiten.

»Welche Lippen – welch Augen – was für eine wundervolle Büste« – lispelte Heinrich zuweilen, und sein großes, geistreiches Auge funkelte – »wahrlich, mein Schwager Karl hat zu rechter Zeit einen seiner wunderlichen Anfälle bekommen, um mich von dem lästigen Ceremoniel zu erlösen, das mich diesen langen Tag in eisernen Banden hielt. Die zärtliche Mutter spielt nun ihre Rolle bei dem verrückten Sohn, und läßt dafür ihr neues Schooßkind, Heinrich, auf einige Minuten aus den Augen! Ha, siehst Du diese üppige Blondine? was für Locken!«

»Nattern,« flüsterte Villeroy, »giftvolle Nattern; wendet den Blick, gnädigster Herr, wendet den Blick, mir ekelt vor diesen plumpverdeckten Schlingen!«

Heinrich schwieg; doch plötzlich zuckte sein Arm, er zog den Hugenotten fester an sich und stammelte:

»Sieh, sieh, wer ist das Fräulein in dem lichtblauen Sammet, Locken wie die Nacht, Augen wie Sonnen, die Gestalt so hoch und stolz, eine Pallas Athene, ha, und welche Kälte, welche Reinheit liegt auf dieser Stirne von Elfenbein; sie kann nicht lange hier am Hofe sein, ich müßte nie ein Weib gekannt haben, oder diese Lippen sind noch nicht vergiftet! Wer ist sie?«

Fast hörbar schlug Villeroy's Herz am Arm des jungen Fürsten, er antwortete nicht und Heinrich war mit der Erscheinung so beschäftigt, daß er sein Stillschweigen nicht beachtete. Wie magnetisch schien sein Blick gebannt.

»Erwarte mich hier,« befahl er endlich, und schnell war er verschwunden, der Enteilenden aus dem Saale folgend. Leichenblaß starrte Villeroy dem feurigen Gebieter nach; seine Zähne schlugen klappernd aneinander, sein tiefliegendes Auge blitzte und der Saal lag längst verödet und schweigend vor ihm, ehe Leben in seine regungslose Gestalt kam.

Ungeduldig maß er nun die glänzenden Parquets und warf sich endlich, gleichsam die höchste Gewalt verhöhnend, nachlässig auf den prächtigen Thronsessel der entschwundenen Königin. Minute auf Minute entfloh; Heinrich kehrte nicht zurück. Villeroy blieb lange mit seiner Wuth und seinem Schmerze allein.

Jetzt vernimmt er Tritte; er springt auf und zieht sich hinter die Damast-Gardine eines Fensterbogens zurück, denn es sind nicht Heinrichs Schritte allein, die sein scharfes Ohr zu unterscheiden glaubt, das Rauschen eines seidenen Gewandes wogt durch den Saal, angstvolle Athemzüge säuseln in der Luft, es ist die Gazelle, die mit flüchtigem Fuß dem gierigen Jäger enteilt.

»Schöne Dame, Ihr seid so eilig als grausam, haltet endlich Stand, daß mich der Blick Eures Feuerauges mit dem Starrsinn dieses schönen Köpfchens versöhne; hier ist alles leer, kein Lauscher nahe und Heinrich von Navarra darf seinen Gefühlen Worte leihen,« flüsterte der junge König hörbar genug, der Eilenden auf dem Fuß folgend.

»Entwürdigt nicht Euch und mich,« sprach mit dem vollen Klang ihrer melodischen Stimme Alice, hoch aufgerichtet in Mitte des Saales stehen bleibend, »Eure Sprache ist mir fremd und gefällt mir nicht; richtet sie an Diejenige, die ein Recht hat sie zu hören.«

»So ernst,« lachte Heinrich, »so finster die Stirn einer Dame d'atour< meiner mildherzigen Schwiegermutter? Seit wann seid Ihr denn an diesem Hof?«

»Seit vier Monden, Sire.«

»Vier Monde mitten in der Pest,« rief der König, indem er staunend die Hände faltete, »und solltet noch gesund sein an Herz und Seele? Ha, ha, ha! Nein, Dame, Ihr seid klug, kennt Euren Werth und wollt gesucht sein, denn allzuleichten Kaufes wird die schönste Waare reizlos. Das ist pikant, gefällt mir. Ventre Saint Gris<, es entzückt mich!«

Seine Arme breiteten sich aus, sein großes Auge brannte auf Alicens weißen Schultern und mit keckem Schritt trat er näher, sie zu umfangen.

»Zurück, Sire,« rief das Mädchen und dunkle Gluth lagerte sich auf Stirne und Wangen, »Beschimpfung weiß Alice d'Aumont selbst an einem König zu rächen, wäre es auch nur durch Verachtung.«

»Verachtung,« brauste Heinrich, »kühne Dame, Ihr wählt Eure Worte schlecht für Heinrich von Navarra's Ohr! Nur der Mund einer Frau darf sich zu solchem Ton öffnen! Was treibt Euch denn aus den Zimmern der Königin zurück in diese jetzt öden Hallen, wenn es nicht der Wunsch war hier unbelauscht gesucht und gefunden zu werden?«

»Ein Auftrag meiner Herrin, den ich bitte mich ungestört vollziehen zu lassen.« Mit diesen Worten schritt Alice finsteren Auges den Saal entlang bis zu dem Thronsessel, bückte sich, wie suchend, auf den prächtigen Teppich der Stufen und ließ den jungen König, ihm den Rücken wendend, in der Halle allein.

Einen langen Blick warf Heinrich noch auf die reizende Gestalt, dann spielte ein höhnisches Lächeln um seine Lippen, mit geringschätzigem Achselzucken wandte er sich und eilte stolz dem Ausgang zu.

Der Saal war leer; Alice suchte mit stets sich mehrender Aengstlichkeit, ließ sich endlich auf ein Knie nieder und griff mit den weißen Händen tastend auf dem Boden umher.

Heinrichs Tritte im Korridor waren verhallt; krampfhaft schlug das Herz in Villeroy's Brust; auf seinem Gesicht drückte sich der heftigste Kampf aus; jetzt trat er aus dem Fensterbogen; Alice wandte sich mit einem erschrockenen Blick nach dem Störer und mit dem leisen Ruf: Villeroy! sank sie bleich auf die Stufen nieder. Er näherte sich ihr, sein Leben trat in's Auge, seine Seele auf die Lippen; er zog die Zitternde empor und flüsterte: »Alice – wie liebe ich Dich!«

»Mein Gott! mein Gott!« stammelte das Mädchen in athemlosem Entzücken und ihre Augen erhoben sich, in Thränen schwimmend, zu dem schönen, bleichen Mann.

Lange standen sie so, im stummen Anschauen versunken; Villeroy, entsetzt über das Wort das er gesprochen, Alice betäubt von einem Glück, das die glühendsten Wünsche ihrer Seele so lange vergebens verfolgt hatten.

 

Alice d'Aumont war eine reiche Waise. Bei einem ländlichen Mahl, welches ihre ehrsüchtige Tante auf ihrem Schloß der Königin gab, war diese weltkluge Frau überrascht von der Schönheit der blühenden Jungfrau, mehr aber noch von dem kühnen Geist, der aus ihrem dunkel beschatteten Auge sprach. Solche Erscheinungen waren es, deren ihre verrätherische Politik sich oft bediente; eine Viertelstunde reichte hin, um ihren Entschluß zu bestimmen. Alice wurde dem stillen Asyl entrückt, mit Gnaden überhäuft an den Hof gezogen, zur Dame d'atour< ernannt und Katharina gewahrte mit Befriedigung, wie sicher und gewandt sich das junge Mädchen in ihrer neuen Stellung bewegte. Selbst die Kälte, welche sie ihren flammenden Verehrern zeigte, fand die Königin bezaubernd, sie machte die seltene Blume um so begehrenswerther, vertausendfachte ihre Reize und erhob sie hoch über die gefeiertsten Schönen des Hofes. Zu wichtigen Zwecken sie bewahrend, getraute sich Katharina von Medicis Schlauheit genug zu, um zur rechten Zeit ihr Opfer dazu gebrauchen zu können, wozu sie es bestimmt.

Leonce de Villeroy, Waise wie Alice, Hugenotte, eben nicht reich, aber wohlhabend, und sehr geliebt von dem jungen Heinrich, verkehrte, ein finsteres stilles Räthsel, bald an dem Hof der Medicis, bald in den Sälen der geistreichen Königin Johanna, Heinrichs Mutter. Von hoher Tapferkeit und unerschütterlicher Liebe für seinen jungen Gebieter beseelt, war er beiden Partheien wichtig und sah sich überall schonend behandelt. In dem blühenden Mannesalter von dreißig Jahren, hoch, schön, ernst und unzugänglich, hielt er sich entfernt von den Galanterieen der meisten Ritter der damaligen Zeit; Katharina sah ihre glänzendsten Fräuleins vergebens die sonst so erfolgreichen Künste verschwenden, um in die Geheimnisse seines Innern zu dringen; dies Herz war unbezwinglich und, leichtere Siege verfolgend, überließ man bald den »steinernen Ketzer« seiner Einsamkeit und beachtete ihn nicht weiter.

Dieser Mann war es, der in Alicens Seele schon bei dem ersten Anblick ein Gefühl entzündet, welches um so mächtiger ward, je mehr es das erschrockene Mädchen tief in die Brust verschloß. Ihre Augen suchten und fanden sich oft; die Ahnung, daß diese Marmorstatue lieben könne, beschlich unter seinen glühenden Blicken ihr Herz, doch seine Lippen blieben stumm. Ihre Thränen flossen in einsamen Nächten, ihre Wangen verbleichten, sie sah sich geflohen und gesucht, angezogen und abgestoßen, ohne Hoffnung trieb sie auf einem Meer von bangen Zweifeln – doch ihre Stirne blieb ruhig, ihr Auge kalt und ihrer Umgebung verbarg die starke Seele den Kampf, der in dem frivolen Kreis der sie umgab nur Lachen und Spott erzeugt hätte. Auch heute wieder bot ihr das geheimnißvolle Räthsel auf dem Spiegel neue Pein, neue finstere Zweifel, und jetzt stand sie vor ihm, das Auge versenkend in das seine, die gefalteten Hände in seiner bebenden Rechten und die Worte: »Alice, wie liebe ich Dich« klangen der Erstarrten wie Traumgeflüster; sie wagte keine Bewegung, sie fürchtete, der nächste Augenblick sei bestimmt, die geliebte Gestalt vor ihr in Nebel aufzulösen.

Ein tiefer Seufzer, ein glühender Athemzug, der jetzt über ihre Stirn hinsäuselte, unterbrach die Stille, durch welche man nur das krampfhafte Pochen zweier Herzen und das leise Knistern der Lichter im Saal gehört hatte.

Der Traum entfloh nicht, denn noch einmal sprach er, aber inniger, tiefer, in unbeschreiblichem Wohllaut:

»Ja, Alice, ich liebe Dich – mein Leben ist ein Hauch, der an Deiner Lippe hängt, ich werfe es von mir, wenn Du mich verwirfst.«

»O warum – warum denn alle diese Qualen?« flüsterte Alice in süßer Hingebung, und ihr schönes Haupt sank an seine Schultern. Da schlang er die Arme fest um den schlanken Leib, seine Lippen suchten die überströmenden Augen der Geliebten und mit wahnsinniger Wuth preßte er die Heißbegehrte an die bebende Brust.

Mit einem lauten Schrei fuhr Alice zurück – beide Hände auf den wogenden Busen drückend. Todtenblässe bedeckte ihre Züge, ein heftiger Schmerz zuckte um ihre Lippen.

»Was ist Dir?« stammelte Villeroy bestürzt, »welche Anwandelung?«

»Es ist nichts – nichts,« lächelte Alice gezwungen, »hier auf Eurer Brust – ein harter Gegenstand, vielleicht die Kette, verursachte mir einen augenblicklichen Schmerz – es ist schon vorüber!«

Dunkle Röthe lagerte auf Villeroy's Stirne. Er schien herabgestürzt aus seinen Himmeln; langsam, wie aus einem Traum erwachend, legte er die Hand über die Augen und rief finster:

»Weh bereite ich denen, die mich lieben, und ein feindlicher Geist vergiftet jeden Freudenbecher, den meine Lippen berühren! – Armer Engel, warum mußt Du mich lieben!«

Alice, den stechenden Schmerz bezwingend, der ihre zarte Brust berührt, blickte bestürzt und erschrocken zu ihm auf und auch ihre Seele, gewaltsam aus dem süßen Taumel geweckt, kehrte allmählich in die Wirklichkeit zurück.

»Mein Gott, mein Auftrag!« rief sie jetzt verwirrt, »ich vergaß Alles – Alles!« – und sich wieder zum Teppich niederbeugend, begann sie die früher unterbrochene Beschäftigung auf's Neue.

»Welch ein Auftrag führte Euch denn hierher, Alice?« frug Villeroy sanfter, indem er näher trat und sich zu der Suchenden herabneigte.

»Ach, es ist etwas höchst Seltsames,« lispelte das Mädchen, ihr Auge zu ihm erhebend, »ich sollte es eigentlich nicht verrathen, aber Euch, Villeroy, habe ich ja nichts mehr zu verbergen, seitdem ich mein Geheimniß so rücksichtslos entschleiert.«

Sie ließ sich nun anmuthig auf den Stufen nieder und fuhr leise fort:

»Ihr wißt, die Königin ist stets mit ernsten Dingen beschäftigt, die ihren Geist für das gewöhnliche Treiben so zerstreuen, daß sie oft bei ihrer Toilette gänzlich abwesend ist. Dabei aber hat sie viel Eigensinn und verrichtet manche Arbeit selbst, die ihren Damen zusteht. So z. B. befestigt sie Ketten, Spangen, Agraffen und derlei Dinge gewöhnlich mit eigener Hand – und schlecht. Vor drei Monden verlor sie eines Abends ein kostbares Armband von Diamanten, neulich eine Busenschleife mit einem Rubin von unschätzbarem Werthe, und diese Gegenstände waren und sind spurlos verschwunden. Vergebens blieben alle Nachforschungen; einem Diener traut sie den Muth nicht zu, sich solcher Kostbarkeiten zu bemächtigen, die ihn früher oder später durch ihren Werth verrathen müssen; sie verbot uns schon nach dem letzten Verlust strenge, desselben am Hofe zu erwähnen, mir scheint« – hier neigte Alice sich näher zu ihm und flüsterte kaum hörbar – »sie hat Verdacht auf jenen furchtbaren Italiener, der ihr so nahe steht, daß sie es nicht einmal wagen darf, diesem Argwohn Worte zu geben.«

»Nicht möglich!« stammelte Villeroy entsetzt.

»Gewiß, gewiß,« versicherte Alice, »ich habe sie durchschaut. Kaum trat sie vorhin in ihre Zimmer, um sich der lästigen Pracht zu entledigen, ehe sie zu dem Kabinet des erkrankten Königs eilte, so sah ich sie, einen Blick in den Spiegel werfend, erblassen. Sie faßte sich jedoch schnell, zog mich in eine Ecke und sprach: ›Alice, Du kannst schweigen, davon habe ich mich überzeugt; sieh, sieh, an meiner Krone fehlt der Reichsapfel auf der Spitze, es sind Krondiamanten, ich muß ihn wieder haben. Sei vorsichtig, eile nach dem Saal, hüte mit Deinem Blick den Thron, bis alle Zeugen fern sind. Ich erinnere mich, daß ich in dem Augenblick, da ich mich erhob, ein schwaches Klirren auf dem Teppich vernahm, doch beachtete ich das geringfügige Geräusch nicht. Sobald Du Dich allein siehst, durchsuche die Estrate, der Juwel muß dort sein!‹ – Ich flog hierher – doch Heinrich von Navarra harrte meiner Rückkehr im Corridor – horch, still, Tritte –«

Sie hielt athemlos inne und horchte hoch auf – Villeroy sprang empor. Hastig ergriff sie seine Hand, lispelte: »Man naht – fort um Gotteswillen, morgen morgen!« – und bückte sich wieder zu dem Teppich nieder; Villeroy eilte durch den nächsten Ausgang hinweg, und sein Tritt war noch nicht verklungen, als Katharina von Medicis durch die entgegengesetzte Thür hereinrauschte und mit raschem Schritt zu dem hocherglühten Mädchen eilte.

»Hast Du gefunden?« frug die Königin mit kaum verhaltener Angst.

»Nichts!« entgegnete Alice, ihr Geschäft emsig verfolgend. Katharina stieg selbst die Stufen hinan, warf das Falkenauge suchend umher und rief vor Zorn bebend:

»Unmöglich, unglaublich! hier müßte er sein!« Doch vergeblich waren alle Bemühungen, der Reichsapfel blieb verschwunden. Mehrere Diener eilten in den Saal, die Lichter zu verlöschen, die Königin faßte den Arm ihrer Dame und flüsterte, sie hinwegziehend:

»Komm, komm, es ist umsonst, dies Kleinod ist zu meinen übrigen Juwelen gewandert, und mir bleibt nichts übrig, als den Verlust so lange zu verbergen, bis es mir möglich ist, ihn zu ersetzen.«

Schweigend schritten nun die beiden Frauen, jede den Flug ihrer Gedanken verfolgend, die Korridors entlang und Alice athmete tief auf, als endlich die Kabinetsthüre hinter ihnen zufiel und Katharina mit finsterer Stirne in einen Stuhl sank.

Lange stand sie die weiteren Befehle ihrer Gebieterin erwartend, diese aber schien sie nicht zu bemerken. Tiefe Stille herrschte um sie her, und Alice horchte schon wieder auf das süße Flüstern ihres pochenden Herzens, als die Königin plötzlich das Haupt erhob und mit einem durch dringenden Blick fragte:

»Du hattest eine Unterredung mit Heinrich von Navarra und später mit seinem Cavalier Villeroy?«

Alice zuckte zusammen und stand stumm.

»Sei nicht kindisch,« lächelte Katharina, »auch Deine Stunde wird und soll schlagen; Du weißt, ich liebe Dich wie eine Mutter und gönne Deinen Maitagen gern ihre Blüthen. Was sprach Heinrich?«

»Ew. Majestät!« flehte Alice.

»Nun, nur heraus damit, ich zürne weder ihm noch Dir! Er liebt seine junge Gattin nicht und soll sie nicht lieben. Ich könnte Magarethen hassen, wenn sie irgend eine Schwäche für ihn zeigte! Königskinder verbindet man nicht, daß sie sich fein bürgerlich anbeten sollen. Aber« – bei diesen Worten faßte sie die weiche Hand der Jungfrau und zog sie schmeichelnd zu sich, den Arm um ihren schlanken Leib zu legen – »diejenige meiner Damen, welche sich in sein Herz stiehlt, werde ich zärtlich wie die eigene Tochter an der Brust hegen, denn das Herz dieses Mannes ist ein finsterer Abgrund, der sich zum Wohle Frankreichs und meiner Kinder meinem Auge lichten soll! Fühlst, verstehst Du die Bedeutung meiner Worte?«

»Ich wage es nicht sie zu verstehen!« stammelte Alice, gesenkten Blicks.

Mit widerlich höhnischem Lachen rief die Königin: »Wage es immer, mein Täubchen – Du sollst mich verstehen. Heinrich verfolgte Dich, Villeroy sprach für seinen Herrn, denn der steinerne Ketzer spricht nie für sich selbst – was ist dabei!« Ernst werdend, fuhr sie mit einem furchtbaren Blick fort: »Du wirst den jungen König beschäftigen, sei es durch Widerstand oder Hingebung, wie Du es nach Deinem Geschmack findest – sechs Tage lang nur, aber so beschäftigen, daß er keinen Blick für das hat, was am Hofe vorbereitet wird. Ich fordere Deinen Dienst nur für diese Zeit, behagt Dir das Spiel nicht, so endest Du es dann; doch, es wird Dir behagen, mit Königssöhnen tändelt es sich recht anmuthig, und Dein stolzes Auge bestimmt Dich dazu, solch eine Marionette zu dirigiren. Ich habe Dich an diesen glänzenden Hof, in meine Nähe verpflanzt, weil ich gewiß bin, mich von Dir verstanden zu sehen, wo es Geist, Kühnheit und festen Willen gilt; Dein Schicksal liegt nun in Deiner eignen Hand, entscheide, ob Du meine Lieblingsdame bleiben oder Paris noch in dieser Nacht verlassen willst.«

»Paris verlassen?« rief Alice entsetzt, »jetzt, jetzt, wo –« sie hielt erschrocken inne, das Geheimniß, das eben entschlüpfen wollte, trat scheu in die bewegte Brust zurück, und nach einer Pause augenblicklichen Schweigens drückte sie die Rechte der Königin Mutter an die Lippen und sprach entschlossen:

»Ich werde versuchen, mich des beglückenden Wortes, das Ihr eben spracht, würdig zu machen.«

»Das erwarte ich!« lächelte Katharina befriedigt, »ich wußte, daß ich mich in Dir nicht täuschen könne.«

Nach ihrer Toilette eilend nahm sie ein Medaillon, welches ihr Bild in einer Carmoisirung funkelnder Solitairs enthielt, befestigte es an Alicens Brust, küßte sie auf die Stirn und sprach:

»Dies mein erstes Geschenk; wenn Du klug bist, wenn Alles so kommt, wie ich hoffe« – eine Flamme schlug hier in ihrem Auge auf, vor deren Leuchten Alice entsetzt zusammenfuhr – »so sollst Du in wenig Tagen erfahren, daß die Freigebigkeit Deiner Gebieterin gleichen Schritt mit ihrer Macht hält.«

Verabschiedend winkte sie mit der Hand, die Jungfrau eilte aus dem Gemache, dessen Boden für sie zum glühenden Sand Arabiens geworden war, und drückte sich tiefaufathmend in eine Ecke des Corridors, als sie Männertritte vernahm.

Zwei vermummte Gestalten, mit Sammetmasken vor dem Gesicht, streiften an ihr vorüber.

»Es ist bald Mitternacht,« sprach der eine Verlarvte, »und Katharina wird ungeduldig werden!«

»Ei mag sie,« entgegnete der Andere, »sie hat uns auch lange genug auf ihren Entschluß warten lassen.«

Damit eilten sie den Gang entlang und verschwanden im Vorzimmer der königlichen Gemächer.

Alice hatte die Stimmen erkannt, es waren die Herzöge von Guise und d'Aumale, beide Todfeinde Coligny's und der Hugenotten; ein Schauer rieselte durch ihre Glieder. Diese Männer, die man bei der Annäherung Heinrichs von Navarra von der Königin mit auffallender Kälte, ja mit beleidigender Geringschätzung von ihr behandelt sah, hatten jetzt um Mitternacht eine geheimnißvolle Audienz bei der furchtbaren Frau, in deren Hand das Schicksal der verhaßten Hugenotten, Villeroy's Schicksal lag.

Taumelnd flog Alice nach ihrem Gemach, und als die Thür hinter ihr zufiel, riß sie das Medaillon von der bebenden Brust, schleuderte es weit von sich und sank, in glühende Thränen zerfließend, vor dem Bild der Madonna nieder, das von einer ewigen Lampe matt erhellt, mit bleichem Antlitz gespenstig auf sie herablächelte.

*

III.

Pracht, die an's Unglaubliche grenzte und Feste feierten die unselige Verbindung Heinrichs von Navarra mit Margarethen von Valois. In tollem Lärm, in ununterbrochenem Taumel flohen die Tage dahin. Nur freudestrahlende Augen und lachende Lippen zeigte Katharina's Hof; die Königin Mutter selbst schien eine milde, liebende Göttin, die mit Zauberkraft alle Wonnen des Daseins in ihre Nähe gebannt hielt. Ruhig lagen die Schlangen, regungslos unter den duftenden Blüthen, kein leises Zucken verrieth ihre giftathmende Nähe, und selbst Alice vergaß in dem bunten Gewirr und im täglichen Anblick des Geliebten die Todesahnungen, welche sie in jener verhängnißvollen Nacht durchzuckten; andere Sorgen beschäftigten ihre Seele.

Der junge König schien seinen Groll über die verächtliche Behandlung der reizenden d'Aumont bei dem ersten Anblick ihrer edlen Züge schnell vergessen zu haben; ihre Kälte erhöhte sogar seinen Wunsch nach ihrem Besitz. Vor allen Damen war es Alice, die sich als Gegenstand seiner Aufmerksamkeit sah. Beständig vom Auge der Königin gehütet, in fortwährender Furcht, sich aus der Nähe des Geliebten verbannt zu sehen, begegnete sie dem König weniger abstoßend, und reizte, ohne es zu wollen, dadurch sein Interesse. Katharina war mit ihr zufrieden, denn Heinrich's rege Seele schien zu schlafen, sein klarer Blick mit dichtem Schleier umhüllt; arglos ruhte er im Schooße seiner Feinde, und kein Gedanke, als der nach Freude und Genuß, brach sich Bahn zu dem sonst so durchdringenden Geist.

Villeroy war seit jener seligen Stunde wieder derselbe, der er vor Enthüllung seines Geheimnisses gewesen. Zweifel, Kampf, ja eine unbegreifliche Angst sprach sich in seinen Zügen aus, so oft Alice in seine Nähe trat; war sie ihm ferne, so suchte sein flammendes Auge das ihre, glühende Röthe deckte seine Stirne, wenn ihn ihr liebender Blick traf, und unaussprechliches Entzücken lag in seinen lächelnden Zügen.

Alice fühlte, wußte, sah es in jedem Augenblick, daß sie mit Leidenschaft geliebt wurde, sie erkannte es an der Angst, mit welcher er jede Bewegung des Königs bewachte, an der Eifersucht, die sein schönes Antlitz krampfhaft verzerrte, wenn Heinrich mit ihr sprach und dennoch war sie unglücklich, denn sie vermochte sich das Räthselhafte seines Wesens nicht zu erklären; seine Zurückhaltung peinigte sie und war um so befremdender an einem Hofe, wo sich Liebe und Verlangen so frei, ja sogar zügellos aussprachen.

Ein nachhaltiger, stechender Schmerz erinnerte sie nur zu oft an die Scene, wo sich ihr in der Umarmung des Heißgeliebten der Himmel so rosig geöffnet, so blitzschnell wieder verschlossen hatte. »Was für ein Gegenstand war es, den er auf seiner Brust verbarg, der ihren zarten Busen so grausam verletzte? – War es der Griff eines verborgenen Dolches, war es ein Medaillon, welches das Bild einer glücklicheren Nebenbuhlerin umschloß?« – Solche Fragen bestürmten fort und fort Alicens Seele und der Entschluß, sich Gewißheit zu verschaffen, diese Zweifel zu beenden, wurde mit jedem Augenblick fester in ihr.

Im Palast Bourbon war eine Bühne errichtet; ein Ballet, von der Composition der Königin Mutter, sollte aufgeführt werden, und zwar von mehreren Personen der königlichen Familie; dies Fest, als das vorletzte der hochzeitlichen Feier, sollte alles früher Gesehene überstrahlen. Einen Tag früher, des Morgens, versammelte man sich um die Handlung einzuüben.

Die Bühne stellte das Paradies vor, als dessen Wächter sah man Carl IX. in eigner Person vor den Pforten aufgepflanzt, ihm zur Seite seine Brüder, die Herzöge von Anjou und Alençon. Zwölf Damen, in der reizenden Tracht der Nymphen, waren die Bewohnerinnen der elysäischen Felder, welche der König beschützte; man hatte dazu die schönsten Fräulein aus Katharinen's Hofstaat erwählt, und unter diesen durfte natürlich Alice d'Aumont nicht fehlen. Heinrich von Navarra, begleitet vom Prinzen Condé, von Teligny, Larochefoucauld, Villeroy und andern seiner Ritter, machte einen Angriff, um die Schönen des Paradieses zu entführen, wurde aber von den Hütern besiegt, nebst seinem Gefolge in Fesseln gelegt und zu kleinen Teufelchen in die Hölle geworfen, welche, sehr sinnreich, sich dicht vor den elysäischen Feldern befand. Cupido und Merkur erschienen jedoch in den Lüften, befreiten die Gefangenen, welche nun mit ihren Siegern eine Lanze brachen, dann folgte ein Tanz mit den Damen und den Schluß bildete eine Ueberraschung, die selbst den Mitspielenden geheim gehalten wurde.

Die Königin Mutter leitete in eigner Person die Probe, und indeß sie mit den Königen und Prinzen Dies und Jenes besprach, suchten die harrenden Ritter auf der Bühne die Damen ihres Herzens, und leises Geflüster, lautes Lachen, heiteres Gespräch wechselte in buntem Gemische. Alice lehnte an einer Coulisse und ihr trübes Auge ruhte auf ihm, der finster in ihrer Nähe auf und nieder schritt.

Ihre Blicke begegneten sich, Villeroy schien einen Augenblick unschlüssig, doch plötzlich trat er zu ihr und sah schweigend in ihr bleiches Antlitz. Alicens Augen senkten sich, ein schmerzliches Lächeln zuckte um die blühenden Lippen und zwei große Thränen drangen zwischen den dunklen Wimpern hervor.

»Du weinst,« flüsterte die theure Stimme an ihrem Ohr, »Alice, warum weinst Du?«

»Grausamer!« hauchte das gequälte Mädchen, »kannst Du fragen?«

Leise sank seine Hand auf ihren Arm, ein sanfter Druck zwang sie, die Blicke zu erheben und – auch in seinem Auge glänzte es thränenfeucht, indeß seine Züge von Schmerz und Liebe strahlten.

»Zweifelst Du an meiner Vergötterung für Dich, an meinem Herzen?« lispelte die süße Stimme wie vorhin, »o nein, das kannst Du nicht!«

Alice schwieg und ihre Stirn umwölkte sich.

»Du schweigst, Du blickst finster,« sprach Villeroy und zog sie rasch hinter die sie bergende Coulisse, »fühle, fühle,« fuhr er bebend fort und preßte ihre Rechte fest auf die Brust. Laut und krampfhaft schlug sein Herz unter ihrer weichen Hand, seine Athemzüge streiften rasch und glühend heiß ihre Wange, seine Pulse bebten bis in die Fingerspitzen. »Sieh, das ist der Zustand, in den mich jeder Blick Deiner Augen, jeder Laut von Deinen Lippen versetzt! Du bist der Gedanke meines Wachens, meiner Träume, Du bist der Abglanz, in dem allein ich in dieser verruchten Welt die Existenz meines Gottes erkenne, Du bist es, an deren Brust ich die Qual meines Lebens aushauchen, für die ich jeden Tropfen dieses siedenden Blutes verspritzen möchte! Begreifst Du nun, was ich fühlen muß, getrennt von Dir – von Dir, die mir unerreichbar ist – getrennt für ewig!«

Unter wonnigen Schauern, an allen Gliedern bebend hatte das betäubte Mädchen diese Ausbrüche glühender Leidenschaft eingesogen, ihre Hand zitterte, wie die seine, ihr Herz tobte, wie das seine, die Flammen seines Athems mischten sich mit dem brennenden Hauch ihrer heißen Lippen – doch eine kalte Todtenhand faßte sie an, schwindelnd griff sie nach einer Stütze um sich, als die letzten Worte ihr Ohr berührten. Kaum vermochte die starre Zunge zu wiederholen:

» Getrennt – für ewig! Gehörst Du einer Andern?«

»Nein – nein,« stöhnte Villeroy, »ich habe nie geliebt, Dein Anblick hat zuerst diese Pein und diese Wonne mir erweckt – Alice, ich gehöre Niemandem an – als der Hölle!«

Mit diesen Worten, die dumpf und tonlos über seine bleichen Lippen zitterten, wandte er sich ab und verschwand in dem lärmenden Gewimmel auf der Bühne.

Alicens Haupt sank an die Coulisse, tiefe Nacht lagerte sich auf ihre Seele.

Jetzt ertönte das Zeichen zum Anfang der Probe, Demoiselle Latourneroi trat hervor, rüttelte die Betäubte heftig und rief ihr endlich so laut sie vermochte in's Ohr:

»Mademoiselle Alice, seid Ihr krank? wollt Ihr nicht mitspielen? – die Königin verlangt nach Euch! kommt doch!«

Alice sah sie groß an, folgte ihr mechanisch und nach wenigen Augenblicken siegte die starke Seele, sie trat in die Reihen, blässer, aber scheinbar ruhiger, als sie sie verlassen hatte.

Die Probe war beendet; matt an Körper und Geist von dem übermenschlichen Kampfe, trat Alice in ihr Gemach und sank fast sinnlos auf ihr Lager.

»Getrennt für ewig! Ich gehöre Niemandem als – der Hölle!« tönte es fort und fort vor ihren Ohren und tausendfache Echo's riefen die Worte in ihrem Innern nach. Sie vermochte nicht zu weinen, nicht zu zürnen, sie sah den Abgrund, der sich finster vor ihr geöffnet, und dennoch suchte ihre Seele den dunkeln Grund zu durchschauen, und dennoch vermochte sie den rasenden Wunsch nicht zu bekämpfen, sich hinabzustürzen zu ihm, und wäre es auch in die Hölle, der er sich verfallen meinte.

Ihr Kopf brannte, die heiße Stirn in die Hand gepreßt, wiederholte sie lallend wie ein krankes Kind:

»Ach, liebend und geliebt, und dennoch ewig hassend,
Lebendig todt, verdammt – und nicht das Leben lassend!
Entfliehen wo sie folgt, und folgen wo sie flieht,
Vergeh'n vor bitterm Schmerz, wo sie mein Aug' nicht sieht,
Vergeh'n in Höllenpein, wo dieses Aug' mich trifft,
Ist tausendfacher Tod – ist aller Gifte Gift!«

»Ja, Villeroy!« schrie die Gepeinigte jetzt laut auf, »aller Gifte Gift hast Du in diese Adern gegossen, ja, tausendfacher Tod liegt in diesen Wonnen und Martern, mit denen Deine Blicke, Deine Worte, Dein Kuß mich überströmte!« Sie sprang rasch empor, schritt entschlossen durch das Gemach und rief, indem sie mit irrem Blick um sich sah: »Ja, ich bin vergiftet, vergiftet jeder Tropfen Blutes bis in das tiefste Herz hinein, so will ich denn auch Deine Hölle theilen! Ich lasse Dich nicht mehr!« – Damit eilte sie, ihre Kammerfrau zu rufen, ordnete ihre Toilette für die Feste des Tages und ging bald darauf so ruhig und kalt nach den Zimmern der Königin, als wäre sie noch die glückliche, reine Alice, die vor wenig Monden mit leichtem Fuß diese verderblichen Corridors durchstreifte.

Der Abend dämmerte, an welchem das vielversprochene Ballet eine zahllose Masse Hoher und Niederer im Palast Bourbon und auf den umliegenden Straßen versammelte. Wie das empörte Meer wogte die erwartungsvolle Menge in dem zum Ersticken überfüllten Saal. Alle Pracht Frankreichs schien vereinigt, um die glänzende Medicis mit ihrem Hof zu überstrahlen. Hinter der noch herabgelassenen Gardine wandelten in reizendem Gemisch die blühenden Nymphen und geschmückten Ritter. Stolz, Gefallsucht, Liebeslust und Erwartung sprühte aus flammenden Blicken, und kühn gemacht durch ihre Umgebung, trat Alice, von dem entzückten Heinrich sich wendend, vor den geblendeten Geliebten. Die sittenlose Mode der damaligen Zeit gestattete kein strenges Verhüllen üppiger Reize, der marmorweiße Hals, die blühenden Schultern, der Alabasterarm Alicens, gehoben von der dunklen Pracht ihrer reichen Locken, zog magnetisch alle Blicke an. Ihre Wange glühte in höherem Roth, ihre Augen leuchteten von einem Gefühl, das sie nicht mehr verbergen wollte, und mit bebendem Flüstern, aber dennoch mit Entschlossenheit sprach sie, zu Villeroy's Ohr geneigt:

»Ich bin Dein! Gehörst Du der Hölle, so nimm mich hin, sie soll auch meine Heimath sein!«

Regungslos starrte er, seinen Sinnen nicht trauend, in die geliebten Züge; eine rasche Wendung und sie war in den Schwarm verschwunden.

Unter dem Jubel der Zuschauer begann das glänzende Ballet, Alles war gespannt auf die versprochene Ueberraschung am Schluß, und siehe da, nachdem die tapfern Ritter mit Anstand und Sicherheit ihre Lanzen gebrochen, nachdem der zierliche Tanz der Nymphen und ihrer Cavaliere beendet, entzündeten sich plötzlich Bäume, Gesträuche, Säulen und Tempel, unter furchtbarem Knallen prasselte die ganze Dekoration, einen Funkenregen speiend, als Feuerwerk in die Luft, in Rauch und Dampf gehüllt entflohen die erschrockenen Schönen hinter die Coulissen und bald entzog die fallende Gardine dem staunenden Publikum das geschwärzte Gerippe des früher so herrlichen Paradieses.

Die Hofparthei jubelte, man fand den Einfall der Königin Mutter grandios, ganz ihres hohen Geistes würdig, man sah nur die leuchtenden Sonnen von verschiedenen Farben, die strahlenden Feuergarben, die funkensprühenden Räder, und bemühte sich wenig, den Sinn dieser, alles früher Bestehende vernichtenden Allegorie zu enträthseln.

Die Hugenotten standen erstaunt und betreten, furchtbare Ahnungen regten die dunkeln Schwingen und im allgemeinen Gedränge trat Villeroy rasch zu Alice, preßte ihre kalten Hände in die seinen und rief mit einem schrecklichen Blick:

»Hast Du die Ueberraschung gesehen, die man uns bereitet, verstehst Du ihren Sinn? – So wird unsere Liebe, so wird unser Glaube, so werden alle Friedensverträge enden, allgemeine Vernichtung ist das Ziel dieser Furie, die mit lächelndem Munde die Brandfackel zwischen uns schleudert! O Alice, hätten wir diesen Hof nie gesehen!« Alice vermochte nicht zu antworten, tausend bittere, tausend bange Zweifel bestürmten sie; fest drückte auch sie die Hand des Geliebten und verließ dann die Bühne mit den anderen Damen, die eben so erschrocken als sie, sich zu erholen eilten.

Ein glänzendes Turnier beschloß am folgenden Tage die Festlichkeiten. Lachend und heiter vertheilten die königlichen Damen die Preise, finster und verschlossen empfingen die Hugenottischen Sieger den Lohn ihrer Tapferkeit, nur Coligny's Stirn strahlte hell. Karl der Neunte hing unablässig an seinem Arm, nannte ihn bei jedem Athemzuge »seinen theuern Freund, seinen ehrwürdigen Vater,« und in der reinen Brust des edlen Helden regte sich auch nicht ein Zweifel an der Wahrhaftigkeit des jungen Königs. Heinrich von Navarra schwieg, tändelte mit den Damen, lächelte Alicen zu und schien von alledem, was um ihn geschah, nichts zu gewahren.

Der Marschall Montmorency und Blosset aus Bourgogne mit mehreren andern vornehmen Hugenotten verließen am Tag des Turniers Paris. Coligny, war erstaunt, sie sich beurlauben zu sehen. »Warum geht Ihr und nützt die Freudenzeit nicht besser?« fragte der arglose Mann, »man ist uns gut am Hofe.« »Allerdings,« lächelte Blosset bitter, »man ist uns nur zu gut, darum gefällt mir's in meinem finstern Schloß besser, als unter den streichelnden Sammetpfoten dieser Tigerkatzen; diese Ballets und Schwelgereien erwecken mir eine unwiderstehliche Lust, mich je eher je lieber nach Hause zu machen; auch Euch, Herr Admiral, wäre diese Lust zu wünschen!«

Coligny lächelte. »Ich glaube, meine tapfern Ritter, die ohne Zittern so oft den katholischen Schwertern trotzten, entfliehen vor dem Funkeln der Damenblicke in Paris. Mir scheint der Glanz dieser Waffen nicht so gefährlich, als ein Zeichen von Mißtrauen in dem Augenblick, wo wir endlich nach unzähligen Opfern und Mühen den heiligen Oelbaum sich zwischen Fürst und Unterthanen erhoben sehen.«

»Wenn Ihr nur diesmal nicht den Giftbaum mit dem segensreichen Namen weiht,« entgegnete Montmorency.

»Ach, Ihr seid Thoren!« rief Coligny ärgerlich.

»In Gottes Namen, Messire,« sprach Montmorency mit ernster Haltung, »so will ich denn lieber mich mit Narren retten, als mit Weisen untergehn!«

Damit verließen die Ritter ihren Führer und kein guter Engel flüsterte dem unglücklichen Admiral die Mahnung zu: »Haupt und Stütze der Protestanten, folge Deinen Getreuen!« –

*

IV.

Es war am Freitag, den 22. August des Jahres 1572, als Alice d'Aumont in dem Toilettenzimmer der Königin Mutter ihre täglichen Dienste versah. Ein reizendes Morgenkleid von weißem Atlas umfloß Katharina's Körper und bedeckte mit seiner reinen Farbe das schwärzeste Herz, das je in der Brust eines weiblichen Wesens schlug. Ihre Augen leuchteten ungewöhnlich hell, obgleich der unstäte Blick auf keinem Gegenstand lange zu weilen vermochte.

Ungeduldig wand sie sich unter den Händen der Dame, welche eine Rose von Perlen in ihrem Haar befestigte, sprang endlich auf und schritt in heftiger, aber wie es schien froher Bewegung im Kabinet hin und her. Sie scherzte über Alicens bleiche Wangen, neckte Demoiselle Latourneroi über einen treulosen Liebhaber und zeigte die ausgelassenste Laune.

Plötzlich stand sie still und fragte:

»Was werden denn unsere jungen Herren nun beginnen in der langweiligen Stille nach diesen Festtagen? Sie sind wohl sehr verdrießlich, daß dies Schlaraffenleben nicht ewig dauert. Man muß darauf denken, ihnen einen neuen pikanten Spaß zu bereiten.«

»O, sie sind gar nicht sehr betrübt, Ew. Majestät,« lachte die Latourneroi, »als mich vorhin die Glocke zur Toilette rief, kam ich am Ballsaal vorüber, und da es drinnen sehr laut war, konnte ich mir das Vergnügen nicht versagen, ein wenig an der offenen Thüre zu lauschen. Ihre Majestäten die jungen Könige, der Herzog von Guise und Feligny schlugen sehr lustig Ball, sprangen herum wie Rehe und lachten, daß die Gewölbe davon wiederhallten; der Admiral von Coligny stand dicht am Eingang und schlichtete einen Streit zwischen seinen Freunden, den hübschen Ketzern Guerchi und Thionges,« bei diesen Worten bekreuzte sich die gutkatholische Schöne mit großer Andacht, »und nirgends sah man Langeweile, auch über allzugroße Stille konnte man sich nicht beklagen.«

»Blieb der Admiral?« fragte die Königin rasch.

»Nein, ich sah ihn mit Guerchi und Deprineau den Saal und das Louvre verlassen,« entgegnete die Latourneroi.

Die Königin begann nun wieder hin und her zu gehen, rieb sich vergnügt die Hände, blickte zuweilen wie erwartungsvoll nach der Thür und rief endlich ungeduldig:

»Schon halb zwölf Uhr? – Wo bleibt denn heute mein Frühstück; Alice, sieh doch einmal zu und habe Acht, ob es nichts Neues im Louvre giebt und,« sie lächelte höhnisch, »ob die Könige noch Ball schlagen.«

Alice flog hinaus, befahl in der Garderobe das Nöthige, und eilte dann den Gang hinab, in die Gegend des Ballsaales, aus dem noch immer fröhliches Geschrei und lautes Lachen schallte.

Eben trat sie zu der geöffneten Thür, als drei Ritter, an ihrer Spitze Villeroy, bleich wie ein Gespenst, mit verzerrten Zügen und fliegender Brust die große Treppe hinaufstürzten; entsetzt fuhr Alice vor seinem Anblick zurück, er schien sie nicht zu gewahren, flog an ihr vorüber durch die offene Thür und seine Stimme hallte donnerähnlich an den Gewölben wieder, als er den jubelnden Fürsten zurief: »Könige von Frankreich und Navarra, haltet ein mit Scherz und Spiel, Coligny ist ermordet!« –

»Ermordet!« schrie Heinrich auf und taumelte auf den Eintretenden zu.

»Ermordet?!« brüllte Karl der Neunte, indem er die Rakete, welche er in der Hand hielt, wüthend in Stücke brach, »sagt nein, ich will das verfluchte Wort nicht hören!«

Der Ritter Piles trat mit einer Verbeugung vor und sprach:

»Daß der Admiral noch athmet, ist ein Wunder Gottes! Wir gingen langsam vom Louvre nach dem: Hotel St. Pièrre, in der Nähe von St. Germain l'Auxerrois, aus einem kleinen Hause fällt ein Schuß, mit einem lauten Schrei sinkt Coligny in unsere Arme, er ist getroffen, dennoch läßt er sich zu dem Hause führen, das wir leer finden; gewöhnlich ist es von einem Theil der Dienerschaft des Herzogs von Guise bewohnt.«

Karl schleuderte einen furchtbaren Blick auf Guise, seine ganze Tigernatur schien erwacht; seine Lippen färbten sich blau, seine Augen rollten fürchterlich.

»So soll ich denn nie Ruhe bekommen!« schrie er mit gräßlicher Stimme, »so soll sich ewig Verwirrung auf Verwirrung häufen! Aber ich schwöre bei Gott, ich will diese schändliche That, die man unter den Thoren meines Palastes wagte, schrecklich rächen!«

Guise verließ eiligst den Saal, der König rief nach seinem Leibarzt, und indeß sich beide Herrscher anschickten, das Louvre zu verlassen, um Coligny zu besuchen, flog Alice, fast erstarrt vor Schrecken, nach dem Kabinet der Königin, das sie mit dem lauten Ruf: »Der Admiral Coligny ist ermordet!« aufriß. Katharina sprang vom Stuhl empor.

»Todt?« schrie sie dem zitternden Mädchen entgegen.

»Nein, so viel ich verstand, lebt er noch, aber er ist schwer getroffen,« entgegnete Alice athemlos.

»Schändlich, schändlich!« jammerte Katharina, das Tuch vor die Augen drückend, »dieser würdige Mann, dieser edle Admiral! ha! es schreit zum Himmel!« Eine Ohnmacht schien sie zu befallen, Alice rief nach stärkenden Wassern, die Latourneroi eilte in die Garderobe, Hülfe zu holen, und sobald die Thüre hinter ihr in's Schloß fiel, öffnete Katharina die Augen und flüsterte hastig:

»Alice, hast Du auch recht gehört, ist er wirklich noch nicht todt?«

»Nein, beruhigen sich Ew. Majestät, der Ritter Piles sagte dem König, er habe sich nach dem Hause führen lassen, aus dem der Schuß fiel.«

» Führen?« dehnte die Königin, »also nicht einmal tragen! Elender Schütze!« murmelte sie in sich hinein.

Zweifelnd, ob sie höre was sie höre, sah Alice in das verzerrte Gesicht ihrer Gebieterin.

»Wie nahm der König die Nachricht auf?« fragte Katharina jetzt mit einem zweifelhaften, halb ängstlichen Blick.

»Er war außer sich vor Wuth, schwur bei Gott den Thätern fürchterliche Rache, ließ seinen Leibarzt rufen und schickte sich an, das Louvre zu verlassen, um selbst zu dem Admiral zu eilen.«

»Wie!« schrie die Königin, wüthend vom Stuhle emporfahrend, »er selbst, ohne meine Genehmigung? Das sollte er sich erdreisten?«

Eben trat die Latourneroi mit einem Arzt und mehreren Damen ein. Die Züge nahmen schnell den Ausdruck sanfter Schwermuth an, leise drückte sie Alicens Hand, indem sie sich auf ihren Arm stützte, that einige matte Schritte vorwärts und sprach mit schwacher Stimme:

»Mir ist besser, der erste Schreck über diesen abscheulichen Vorfall ist vorüber, wir haben nun keine nähere Pflicht, als den beklagenswerthen Admiral zu trösten. Latourneroi, benachrichtigt meinen königlichen Sohn, daß ich seine Begleitung wünsche, um mich selbst zu Coligny zu begeben, in wenig Minuten werde ich im Stande sein, Toilette zu machen. –«

»Damit entließ sie die herbeigeeilten Damen und zog sich, von Alicen halb getragen, in ihre innersten Gemächer zurück.

*

V.

Mit gebeugtem Haupt, die Hände über der kranken Brust gefaltet, saß Alice am Abend des folgenden Tages in ihrem Gemach. Die sinkende Augustsonne spielte in bunten Lichtern auf dem Marmorgesimse, eine Schaar gaukelnder Mücken summte unter dem geöffneten Fenster – Alles um sie her athmete Ruhe, tiefe Stille lag auf dem sonst so geräuschvollen Louvre, doch in ihrer Seele wogten wilde Stürme und ihr innerer Himmel war mit einer Nacht bedeckt, in welche die freundlichen Strahlen des Lichtes nicht zu dringen vermochten.

Das unselige, ihr selbst unbegreifliche Vertrauen, mit welchem Katharina sie beehrte, ließ sie Blicke in einen Abgrund thun, vor dem sie unwillkürlich zurückschauderte, ohne seine ganze Tiefe zu ahnen. Die Auszeichnungen der Königin legten ihr eine Art von Verpflichtung auf, sie wußte nicht, daß diese schlaue Frau wohl fühlte, mit welchen Gefahren sie sich umgeben hatte. Alle ihre Damen waren ihre Werkzeuge, waren bis in den Grund vergiftet durch die Sittenverderbniß, zu welcher sie sie selbst erzog. Jede von ihnen hatte ihre Liebesintriguen, unter den Hugenotten sah man die schönste, kräftigste Blüthe Frankreichs, und in den Beichtstühlen des Louvre war Absolution für jede Schwäche, selbst gegen einen Ketzer zu finden, wenn diese Schwäche mit den Planen Katharina's übereinstimmte. Wer aber bürgte der Königin, daß nicht manches Herz wirklich da empfinden gelernt hatte, wo sie nur Heuchelei geboten? daß nicht ein unbewachtes Wort, ein verrätherischer Blick ihre Anschläge verrieth und ihre eigenen Damen zu unwillkommenen Warnerinnen der arglosen Hugenotten wurden? Alice war so kurze Zeit am Hofe, sie war kalt und stolz, schien die Liebe nicht zu kennen, von ihr war am wenigsten zu fürchten, daher Katharina's Vertrauen, ihre geringe Selbstbeherrschung in ihrer Nähe.

Während Alice noch immer über alle den Räthseln brütete, die sich stündlich mehrten, stand ihre Zofe längst vor ihr und wagte nicht, sie aus ihrem Sinnen zu wecken. Jetzt endlich fiel ihr Blick auf die Harrende.

»Was bringst Du?« frug sie auffahrend, denn die kleinste Bewegung in ihrer Nähe verursachte ihr jetzt Schrecken.

»Vor wenig Augenblicken reichte mir ein Diener dieses Blatt, schärfte mir dringend ein, es Euch sogleich zu übergeben, und eilte dann so geheimnißvoll davon, als er gekommen war,« berichtete Madelon.

Alice winkte ihr, sich zu entfernen, denn eine süße Hoffnung durchschauerte sie; sie hatte sich nicht getäuscht: es war eine Botschaft des Geliebten. Er schrieb:

»Alice, eine finstere Wolke schwebt über mir und meinen Glaubensgenossen; ein Blitz hat schon getroffen, das ausbrechende Gewitter wird uns Alle zerschmettern. Wir werden fliehen, wir werden versuchen, den umgarnten jungen Löwen seinem Untergang zu entreißen. Doch scheiden, ohne Dich noch einmal gesehen, Dich an dies brechende Herz gedrückt zu haben, wäre mehr als der Tod! Ein furchtbarer Fluch lastet auf meinem Dasein, ich suchte es längst von mir zu werfen, doch der Erbarmer floh mich in den blutigsten Schlachten, im ehrenvollsten Kampf! Ich bin kein Feiger, das weiß Frankreich, aber von Henkershand oder durch Meuchelmord will ich nicht enden! Ich will fallen, für Dich oder für meinen König! Ein gräßliches Geheimniß habe ich in Deine Brust niederzulegen; wenn es wahr ist, was Du mir sagtest, wenn Du meine Hölle theilen willst, wenn Du dann nicht vor mir zurückschauderst – dann, Alice, dann will ich leben! Mir bleibt nur Zeit bis morgen Abend, um Deine Entscheidung zu erwarten, meine Wohnung ist unfern dem Louvre, im Hotel St. Michel, ohnweit des Hauses des Admirals; meinen Diener darf man im Palast nicht sehen, er wird sich entfernen, sobald er dies Blatt in Deinen Händen weiß; Du wirst, wenn Du mich liebst, ein Mittel finden, mir die Antwort zu senden. Wie auf ein Gottesurtheil harre ich Deines Winkes! Alice, sei barmherzig!

Leonce Villeroy.«

 

»Ja, es schwebt eine finstere Wolke über unserm Haupte,« lispelte Alice, nachdem sie das theure Blatt verborgen hatte, »aber der Blitzstrahl soll uns vereint treffen! Was es auch für ein Fluch sei, der auf Deinem Leben lastet, Leonce, ich will ihn theilen, ich schaudere vor Deinem Geheimniß nicht zurück, es kann nicht so schwarz sein als die Geheimnisse dieses Hofes, an dem mich früher oder später das ewige Verderben ereilen müßte!«

Sie faßte schnell einen Entschluß. – Lange saß sie noch sinnend, wie sie ihn damit bekannt machen sollte; die Nacht sank schon herab, und noch wußte sie nicht, was beginnen – als plötzlich die Glocke grell und lang ertönte, die sie, zu ganz ungewohnter Stunde zur Königin hinunter rief. Sie schob das Pergament zurück, welches schon vor ihr lag, ihre Antwort dem Geliebten zu bringen, und flog die Treppe hinab.

»Alice,« rief ihr Katharina entgegen, »ich habe alle Damen weggeschickt, nur Dich will ich heute um mich haben. Nimm die Tapisserie dort auf, Du sollst bei mir bleiben.«

Alice fuhr zusammen. Bei ihr bleiben? und wie sollte Villeroy ihre Entscheidung erfahren? Sich tief verbeugend, trat sie zu dem Tischchen, auf dem ein Armleuchter brannte, und neigte sich über die Stickerei.

Die Königin schritt nach ihrer Gewohnheit rasch auf und nieder, sie schien in tiefen Gedanken, schwere Seufzer hoben ihre Brust, ihr ganzes Wesen war in sichtbarem Aufruhr.

Schüchtern schlug Alice ihre Augen zu ihr auf, so hatte sie die stolze Frau noch nicht gesehen; ihr Anblick war schrecklich – das Mädchen vermochte nicht, ihn zu ertragen. »Du wendest Dich erschrocken von mir,« rief die Königin, plötzlich vor ihr stillstehend, »Du bist bleich? Was fehlt Dir?«

»Ich weiß es nicht zu sagen,« stotterte Alice überrascht, »meine Brust ist beklemmt, ich empfinde eine unnennbare Angst, ohne zu begreifen weshalb, mir ist als hinge ein schweres Gewitter in der Luft; zudem sehe ich Ew. Majestät leiden – –«

»Ja, ja,« stöhnte Katharina von Medicis, »ich leide, Kind, ich leide schwer! Deine Liebe für mich spricht sich in diesen bangen Ahnungen aus, die Deine Seele beklemmen! O, es ist schrecklich, Königin zu sein, schrecklicher noch, Mutter eines schwanken, willenlosen Knabens, der tändelnd nach dem Verderben faßt, als wäre es eine duftende Blume, und in wahnwitzigem Eigensinn die Hand schlägt, die ihn von der Giftpflanze zurückreißen will! Und dieser blödsinnige Knabe trägt eine Krone und bildet sich zuweilen ein, König zu sein!«

Sie schlug ein fürchterliches Gelächter auf, bei dessen Klang Alicens Pulse stockten.

»Man muß ihm einmal wieder Blut zu kosten geben, daß die alte Löwennatur in ihm erwache,« rief die Entsetzliche, »das ist die einzige Arzenei, die seine erschlafften Nerven reizt.«

Alice athmete kaum mehr, kalter Schauer rieselte durch ihr Gebein; zu ihrem Glück trat in diesem Augenblick der Marschall von Gondi-Retz in das Kabinet, denn warf jetzt die Königin nur einen Blick auf sie, so war sie verloren.«

»Ach, Marschall, da seid Ihr endlich,« rief ihm Katharina entgegen, »gesegnet Euer Anblick! Nun, wie ist's, sind alle Anstalten getroffen? Alle Thore verschlossen, wie ich es befahl?«

Der Marschall warf einen langen Blick auf Alice, die fest auf ihre Arbeit sah.

Ungeduldig fuhr die Königin fort: »Ohne Umstände, sie ist mein Geschöpf, wird mich bis morgen früh nicht verlassen – und morgen, will's Gott, giebt es keine Geheimnisse mehr.«

»Alles ist bereit,« berichtete nun der Marschall, »die Truppen stehen gerüstet, die Bürgerschaft unter Waffen, es fehlt nur die Einwilligung des Königs, ohne welche nichts zu unternehmen ist, doch gelingt es, diese zu erringen, so athmet morgen in Paris keiner mehr, dessen Dasein den Schlaf von Eurem Lager scheucht.«

»Nun, so beginne das große Werk,« befahl Katharina, »Karl hält viel von Euch, Ihr macht den Anfang, ich folge Euch, und Madonna von Loretto müßte ihre treueste Verehrerin verlassen haben, wenn wir nicht siegten und die Hydra nicht mit einem Schlag zur Hölle zurücksänke, aus der sie aufgestiegen.«

Der Marschall entfernte sich.

Die Königin warf sich in einen Betstuhl, legte das Gesicht auf die gefalteten Hände und schien inbrünstig zu beten.

Alice saß regungslos, einer Leiche ähnlich, und starrte auf das Ungeheuer, das zu Mord und Verrath den Schutz und Beistand der heiligen Gottesmutter herabflehte! Ihr war, als läge sie in einem fürchterlichen Traum, und ein Engel des Erbarmens müsse sie erwecken. Doch diese Hallen waren ja das Asyl aller Geister der entfesselten Hölle und keine milde Hand verhüllte die fürchterliche Wirklichkeit, die sie umgab. Ihr Herz begann wieder zu schlagen, das stockende Blut schoß rascher durch die Adern und der Gedanke: »Giebt es keine Rettung mehr für ihn?« erhob sich mächtig in ihrer Seele und erweckte das Bewußtsein aus den bleiernen Banden der ersten Betäubung. Stärke galt es jetzt, felsenfesten Muth, Verstellung für Verstellung, das fühlte die Unglückliche, und dies Gefühl durchströmte sie mit nie geahnter Kraft.

Die Königin hatte geendet. Sie stand auf, forderte ein Tuch und wischte nun sorgfältig die Schminke von den Wangen, ohne welche sie fahl und gelblich schimmerten. Dann befahl sie Alicen, ihr die Haare aufzuflechten. Mit bebenden Händen gehorchte das erschütterte Mädchen; bald flossen sie aufgelöst um die entblößten Schultern; Katharina zerstreute sie jetzt auch auf Hals und Arme, zog die Locken, sie absichtlich zerraufend, in die Stirne, zerriß dann ihr Nachtkleid an mehreren Stellen, röthete die Augenlider mit Schminke und stand nun vor dem Spiegel, ein sprechendes Bild tiefer Verzweiflung. Ihren Augen nicht glaubend, staunte Alice sie an.

Jetzt stürzte der vertraute Page des Herzogs von Anjou herein.

»Der Herr Marschall lassen bitten,« rief er, schnell wieder verschwindend.

»Ha! nun ist es Zeit, es gilt!« rief die Königin, faßte Alicens Arm und flüsterte, indem sie sie fortzog: »Was Du nun auch hören oder sehen magst, sei stark und klug, und bedenke, daß wenn wir siegen, die Grafschaft Teligny Deine Morgengabe werden soll.«

*

VI.

Mehr fliegend als gehend, eilte Katharina die Corridors entlang, die athemlose Alice, die ihr kaum zu folgen vermochte, nach sich ziehend. Endlich standen sie am Vorgemach des Königs. Schwach, als wäre sie dem Umsinken nahe, trat sie in dasselbe.

In einem Fensterbogen versteckt, lehnte der Herzog von Guise; er warf der vorübergehenden Königin einen sprechenden Blick zu, sie legte rasch den Finger auf den Mund, stützte sich dann fest auf Alicens Arm und schwankte, das Tuch vor die Augen pressend, in Karls Kabinet.

Der geängstete Monarch saß an einem kleinen Tischchen und drückte sinnend die Faust an seine bleiche Stirne. Eben als die Königin eintrat, sprach der Marschall, welcher hoch aufgerichtet vor ihm stand.

»Sire, Ihr stürzt durch diese Unschlüssigkeit Frankreich, Euch selbst und Eure Familie in's Verderben. Morgen bricht die furchtbare Verschwörung gegen Euch aus; der Mordversuch auf Coligny hat die Furien entfesselt, deren Wohnsitz die Herzen der verruchten Ketzer sind, die so namenloses Unheil über dies Land gebracht! Coligny muß noch in dieser Nacht aufhören zu sein – oder morgen liegt Eure entstellte, zerfleischte Leiche hier, und der Scepter, mit dem Ihr noch heute eine Welt zittern machen könnt, ein zerbrochenes, verachtetes Spielwerk zu Euren Füßen.«

Karl sprang entsetzt empor und rannte in wilder Angst umher, ohne zu einem Entschluß zu kommen.

Da erhob Katharina die Stimme, deren Laute ihm von jeher Befehle waren. Er starrte sie erschrocken an.

»Nicht Coligny allein,« rief sie, »die ganze Basiliskenbrut muß untergehen, die Elenden, die wir an unserm Herzen erwärmten, damit ihr Stachel um so sicherer den Weg zu unserm Leben finde! O, mein Sohn, mein geliebtes Kind, das ich in Schmerzen geboren, soll Deine unselige Mutter in Dir ihr Theuerstes untergehen sehen?«

Sie brach in einen Strom von Thränen aus und sank wie vernichtet in einen Divan.

So hatte Carl seine Mutter nie erblickt; bestürzt, verwirrt eilte er sie zu unterstützen.

»Gott, in welchem Zustand muß ich Euch sehen?« rief er, ihre zitternden Hände fassend.

»Es ist der Zustand einer Mutter, die ein unkönigliches Kind vor sich sieht,« fuhr sie fort, die Stimme erhebend; »ich sehe Euch am Abgrund, Ihr werdet bald nichts mehr sein als ein ohnmächtiger Knabe! Die frechen Hugenotten haben Euch und uns Allen den Tod geschworen, und Coligny steht an ihrer Spitze – die Katholiken verachten Euch, weil Ihr die Ketzer schützt – welche Parthei auch siege, sie wird Euch entthronen – und morgen um diese Stunde bleibt Euch nichts mehr übrig, als in schimpflicher Gefangenschaft Eure Thorheit zu beweinen – oder mir die traurige Pflicht, Euren durchbohrten Leichnam in den Sarg zu betten. Hier,« donnerte sie jetzt, sich drohend erhebend, und zog ein Blatt aus dem Busen, »ist der Befehl Coligny zu tödten – besser ein faulendes Glied vernichtet, als dass die heilige Kirche, die Braut des Herrn untergehe! Unterschreibe, Karl, und Du wirst König sein!«

Wie versteinert starrte Karl auf die gräßliche Schrift, die das Signal zu der größten Schandthat geben sollte, deren die Annalen der Geschichte erwähnen. Wie ein flammendes Schwerdt schwebte die erdichtete Gefahr über seinem Haupte, fürchterliche Bilder traten vor seine schwache Seele, doch noch immer erhob sich die erschlaffte Hand nicht, die vier verhängnißvollen Buchstaben zu zeichnen. Da rief die Königin zitternd vor innerer Wuth:

»Die Hugenotten haben Recht, Ihr seid ein Feiger, unfähig zu herrschen, unwürdig einer Krone, die dem Haupte Eures Bruders ziemt. Verachtung sei denn Euer Loos!«

Wie von einem Blitzstrahl berührt, zuckte der König zusammen, seine Augen begannen zu rollen, seine Glieder bebten, Schaum trat auf seine blauen Lippen, wie ein Rasender stürzte er zu dem Tisch, brüllte furchtbar auf: »Wohlan denn, Coligny sterbe und mit ihm werde die Ketzerbrut in ganz Frankreich vertilgt!« und unterschrieb mit raschem Federzuge.

Wie ein Pfeil schoß Katharina aus dem Gemach, Alice folgte ihr in dumpfer Fühllosigkeit, dem Wahnsinn nahe. Jetzt schlugen Worte an ihr Ohr, es war der Herzog von Guise, der zum Marschall sprach:

»Die Unsern tragen zum Zeichen gegenseitiger Erkennung ein weißes Kreuz an den Hüten und ein weißes Tuch um den Arm; das Louvre wird nur Denen zum Ein- und Ausgang geöffnet, welche die Parole: Sankt Barthelemi geben. Die Frühmetten-Glocke auf dem Thurme St. Germain l'Auxerrois giebt das Zeichen zum Beginnen des Blutbades, früher können wir nicht auf die vollständige Ordnung aller Anstalten rechnen.«

Der Marschall eilte hinweg, der Herzog von Guise bot der Königin den Arm und zog sie auf den Corridor.

»Endlich,« rief er in teuflischer Freude, »endlich ist der Sieg errungen, nun aber darf keine Minute ungenützt entfliehen, der Augenblick will ergriffen sein. Meine Sänfte steht bereit, im Garten der Tuilerien harrt Eurer der Geheimrath mit Sehnsucht; Anjou, Nevers, Angoulème und alle Eure Getreuen zählen die Secunden, Ihr müßt augenblicklich erscheinen oder Alles stürzt zusammen!«

»Ich bin bereit!« sprach Katharina triumphirend. »Alice, hole meinen Mantel und einen Schleier, schnell!«

Alice eilte mit wankenden Knieen hinweg und kam nach wenig Augenblicken zurück mit fliegenden Händen, ihr das Verlangte darreichend.

»Der Herzog von Guise will Deine Begleitung nicht, armes Kind,« sprach die Königin, sich sorgfältig verhüllend, »auch passest Du wenig in den ernsten Kreis, der mich erwartet. Ruhe eine Stunde und verbanne diese Angst, die Dich erfaßt, guten Christen droht kein Unheil! Sobald ich wiederkehre, ruft Dich die Glocke, erhole Dich, denn ich bedarf Deiner.«

Wie Geister der Hölle schwebten die Verbündeten schweigend die Treppe hinab. Mit nachtbedecktem Auge tastete Alice sich durch die Gänge nach ihrem Gemach.

Im Vorzimmer lag ihre Zofe in tiefem Schlaf. Gelähmt an allen Gliedern, athemlos, ohne Laut und Klage sank die Unglückliche an ihrem Lager nieder und drückte das mit kaltem Schweiß bedeckte Antlitz fest in die seidenen Polster.

Lange lag sie so wie ein steinernes Bild des tiefsten Jammers. Jetzt schlug die Glocke elf Uhr.

Sie horchte hoch auf: sechs Stunden lagen noch zwischen Leben und Tod; sechs Stunden konnten retten und verderben! Ein furchtbarer Gedanke durchzuckte sie, der Gedanke wird zum Entschluß, der Entschluß zur That. Die volle Kraft der Verzweiflung rieselte belebend durch ihre Adern. Sie sprang auf, schnitt aus dem Pergament, das ihm die ersehnte Entscheidung hatte bringen sollen, ein großes Kreuz, heftete es auf ein schwarzes Sammetbarett, nahm ihre Larve vor, verhüllte sich in einen Mantel, band ein weißes Tuch um den Arm und schlich vorsichtig an der schlummernden Dienerin hin. Dann flog sie die Gänge, die Treppen hinab, trat zu einer kleinen Seitenthüre und antwortete mit lauter Stimme den rufenden Wachen: »St. Barthelemi!« Das Pförtchen öffnet sich, das Louvre liegt hinter ihr und mit festem Tritt eilt sie dahin durch die finstere, lautlose Nacht, ihr flüchtiger Fuß trägt sie nach der Straße Betizi und ihre bebenden Lippen wiederholen bei jedem Schritt: »Hotel St. Michel!«

*

VII.

Todtenstille ruhte auf den Straßen, die in wenig Stunden von dem Mordgebrülle entmenschter Henker, von den Todesseufzern erwürgter Opfer wiederhallen sollten; kein Stern erhellte den finstern Himmel, aus wenigen Fenstern schimmerte Licht; die Hugenottische Mutter sang den Säugling mit halblauter Stimme in den letzten Schlaf, aus dem ihn die kalte Faust des Würgers wecken sollte, die sorgsame Tochter hüllte die wärmende Decke fester um die Brust des greisen Vaters, der mit einem frommen Gebet entschlummert war, und keine Ahnung beschlich die gläubige Seele, daß in diesem geheiligten Herzen sich nach wenig Stunden die Dolche blutlechzender Tiger erwärmen würden! Kein Engel des Lichts trat zu den arglosen Schläfern – die Geister der Hölle waren Herren der Nacht und hüteten mit eifersüchtiger Wuth die gräuelbrütende Stille.

Nicht solche Gedanken waren es, die zu Alicens Brust den Weg sich bahnten, sie hatte keinen Raum für sie, es gab nichts mehr auf der Erde als das Herz des Geliebten und den Mordstahl, der ob seinem Haupte schwebte. Was sonst noch kommen könne und werde, lag jetzt außer ihrem Gefühl- und Denkvermögen.

Vor einem großen Gebäude stand sie zweifelhaft still; ihr Pulsschlag stockte: es war die Wohnung des Admirals. »Doch wo ist das Hotel St. Michel?« fragte sie sich selbst, und zusammenschaudernd gestand sie sich, daß sie in dieser Gegend außer Coligny's Hotel kein anderes kannte. Die Größe ihres Wagnisses hatte ihr bis jetzt diesen wichtigen Punkt als Nebensache erscheinen lassen.

Einige furchtbare Minuten flogen an ihr vorüber: sie war da, vielleicht nur wenige Schritte von dem Geliebten, tiefe Stille um sie her, kein Lauscher wach, und der günstige Augenblick konnte ungenützt entfliehen, Villeroy und sie selbst zu Grunde gehen, ohne daß sich ein Gott ihrer Verzweiflung erbarme. Rath- und trostlos ging sie an den dunklen Häusern hin.

Jetzt schimmerte ein schwaches Licht in der Ferne; war es eine Patrouille, ein betrunkener Wüstling, eine schamlose Dirne, die in so später Stunde sich auf der Straße herumtrieben? Mit lautschlagender Brust trat die Halbentseelte hinter einen Mauervorsprung.

Schwere, langsame Schritte nahten, keuchend wankte eine kleine, finstere Gestalt mit einer Blendlaterne an ihr vorüber. Unter einem breitkrämpigen Hut rollten dünne weiße Locken hervor, die Erscheinung hatte nichts Feindliches, nichts Furchterweckendes.

Schnell gefaßt schritt Alice hinter dem Greise her und fragte leise:

»Vater, Ihr seid spät auf der Straße.«

Der Alte stand betroffen still, hob die Laterne empor, so daß ihr volles Licht auf die verhüllte Gestalt der Sprechenden fiel, betrachtete sie einen Augenblick schweigend und entgegnete dann, den grauen Kopf schüttelnd:

»Für einen achtzigjährigen Greis ist die Stunde nicht so spät als für eine vermummte Dirne!«

Mit fliegender Brust fragte Alice, ohne die Anmerkung zu berücksichtigen:

»Könnt Ihr mir wohl sagen, wo das Hotel St. Michel ist?«

»Kommt nur mit,« entgegnete der Alte, wieder vorwärts eilend, »wir kommen gleich daran vorüber.«

Alice glaubte eine Stimme des Himmels zu hören und schritt hastig ihm zur Seite.

»Ja, ja,« murmelte der Greis, »es ist eine böse Zeit, Alles verkehrt, Frauen findet man um Mitternacht ohne Schutz und Geleite auf den Straßen, ungehindert läßt man sie ihres Weges ziehen; und trifft man einen greisen Hugenotten, den die Todesangst für seinen kranken Sohn zum Arzt jagt, so treibt ihn die Patrouille mit Kolbenstößen nach Hause und ruft: Krieche in Dein Loch, ketzerischer Dachs!«

Ein tiefer Seufzer stieg aus seiner Brust empor, eine Thräne perlte über die fahle Wange. Alice sah den glühenden Tropfen nicht, aber der Seufzer schnitt durch ihre Seele.

»Hier,« sprach der Alte, stillstehend, »da seid Ihr am Portal des Hotels St. Michel; klopft nur an dem Fensterchen zur Rechten, der Portier ist ein wachsamer Mann, Ihr werdet nicht lange warten.«

Er wollte bei diesen Worten von dannen; Alice ergriff seine Hand und fragte rasch und. leise:

»Alter, Du bist Protestant, hast Du Familie?«

»Einen einzigen Sohn, meine irdische Stütze, und der liegt krank am Fieber!«

»Hast Du einen Freund?« fuhr sie dringend fort.

»Einen alten, ehrlichen Katholiken, der mich nicht verachtet, weil ich ein anderes Vaterunser bete.«

»So eile heim,« flüsterte das Mädchen, und ihre Hand zitterte heftig, wie ihre Stimme, »eile so schnell als Dich die alten Füße vorwärts tragen, reiße Deinen Sohn vom Lager, hefte ein weißes Kreuz auf Eure Hüte und binde ein weißes Tuch um Eure Arme, dann flüchte Dich zu Deinem Katholiken, aber diese Nacht, diese Stunde noch, wer Dir immer auf den Straßen begegne, wandle ruhig Deinen Weg – morgen wirst Du an mich denken!«

»Dame!« stotterte der alte Mann, tödtlich erschrocken.

»Fort, fort, Greis!« sprach Alice befehlend, »Du hast keine Minute zu verlieren – ich – noch weniger!«

Der Hugenotte eilte entsetzt von dannen, Alice schlug mit kräftiger Hand an das Fenster. Schneller als sie gehofft öffnete es sich, rasch fuhr ein Kopf heraus:

»Was soll's?« frug eine rauhe Stimme.

»Still, leise,« befahl Alice, »öffne, ich muß den Grafen Villeroy sprechen.«

»Wetter – eine Dame?« murmelte der Portier, »ich soll, ich darf aber bei strenger Strafe Niemanden einlassen.«

Verzweifelnd rief Alice: »Wahnsinniger, auch nicht wenn es Dein Leben, das Leben des Ritters gilt? Ich komme vom Admiral; Du bist ein Mörder, wenn Du noch einen Augenblick zögerst!«

Wie vom Donner gerührt, stand Villeroy's treuer Diener; er wußte keinen Rath. Endlich stammelte er fassungslos:

»Habe ich Euch vielleicht heute schon gesprochen, kommt ihr aus dem Louvre?«

»Du gabst mir einen Brief für Alice d'Aumont, ich komme von ihr!« flüsterte sie, sich kaum noch aufrecht haltend.

Blitzschnell verschwand der Mann vom Fenster, eben so schnell öffnete sich ein kleines Pförtchen im Portal, seine Hand ergriff die ihre und zog sie rasch in die Helle.

»Ihr bringt einen Brief?« fragte der Diener dringend.

»Ich bringe mich selbst!« rief Alice, die Larve abreißend, »muß Deinen Herrn sprechen – aber allein, ohne Dich! Wo ist er? Ist er noch wach?«

Entsetzt fuhr der Alte zurück. »Das Fräulein selbst?« murmelte er, »was bedeutet das!« Damit schritt er zur Treppe, beugte sich ehrerbietig und sprach leise: »Hier hinauf im ersten Stock, die Thür links, Ihr werdet den Ritter vollkommen wach und allein finden, wer schläft auch wohl in dieser Zeit!«

Alice flog die Treppe hinan, öffnete die bezeichnete Thür und aus einem Nebenzimmer drang ihr ein blendender Lichtglanz entgegen. Sie stand athemlos still, ihr Fuß wollte nicht mehr vorwärts, die Natur des Weibes trat für einen Augenblick in ihre Rechte, glühende Schamröthe überzog ihr Antlitz. Doch Alles um sie blieb still. Wie ein riesiges Gespenst stieg mahnend die Gefahr vor ihrer Seele empor, festen Schritts eilte sie durch das Gemach, trat in das geöffnete Seitenzimmer und starr, eine athmende Leiche, lehnte sie an dem Pfosten der Thüre.

Drei Schritte von ihr, an einem runden Tisch, saß Villeroy, das Gesicht auf beide Hände gestützt, die Augen wie gebannt auf einen Punkt geheftet. Von zwei flammenden Armleuchtern grell beschienen, starrte er auf eine Menge Schmuck, der ausgebreitet den Tisch bedeckte, ein furchtbares, gespenstiges Lächeln zuckte um seinen Mund, wilde Gier leuchtete aus seinen funkelnden Blicken, Todtenblässe deckte die eingefallenen Wangen, und in unzähligen farbigen Lichtern spielte der Wiederschein der strahlenden Steine auf seiner unheimlichen Stirne. Er schien ein gebannter Geist, der regungslos seine Schätze hütet, deren herrlichster seine Blicke unabwendbar zu fesseln schien – es war der unschätzbare Reichsapfel Katharina's, welcher zwischen dem vermißten königlichen Armband und dem flammensprühenden Rubin dicht vor ihm lag.

Ein Blick Alicens reichte hin, um die verlornen, ihr nur zu wohl bekannten Juwelen zu erkennen – ein Blick, um sie in den finstern Abgrund zu schleudern, an dessen Rande sie so lange blind getaumelt. Kein Hauch trat über ihre Lippen, keiner Regung waren die versteinerten Glieder fähig, und beide Gestalten schienen die Ausgeburt eines wilden Traums, den der leiseste Luftzug verwehen mußte.

Eine furchtbare Minute verstrich so, langsam begann das Blut die gewohnte Bahn durch Alicens Adern zu suchen, die gepreßte Brust hob sich in einem langen Athemzug. Villeroy bemerkte ihre Nähe nicht, seine Sinne schienen verschlossen, oder in die Sehkraft seiner Augen geflüchtet, da riß sich endlich der Schrei von ihren Lippen: »Villeroy, ist es Dein Gespenst, das ich erblicke?«

Wie von einem elektrischen Schlag berührt, zuckte der Gerufene zusammen, ein schwerer Taumel schien von seiner Seele zu weichen, er erhob das Auge und fuhr blitzschnell empor, mit beiden Händen sich an den Tisch klammernd. Konvulsivisches Zittern flog über seinen Körper, die glänzenden Steine vor ihm schlugen mit lautem Klirren fliegend aneinander, kalter Schweiß deckte seine Stirn und seine Züge waren die eines Verdammten.

Nicht länger vermochte Alice diesen furchtbaren Anblick zu ertragen, ihre wankenden Knie brachen ein, ihre Hände verhüllten schützend das blasse Antlitz und überwältigt von Grausen, sank sie zur Erde.

»Siehst Du, das ist mein Geheimniß, das ist die Hölle, der ich verfallen bin,« rief Villeroy mit hohler Stimme und lallender Zunge, »der Mann, den Du liebst, der Mann, der Dich vergöttert, ist ein Räuber, ein willenloser Dieb; schon im geheiligten Schooß der Mutter traf den Schuldlosen die Verdammniß, deren Kette er durch ein fluchbeladenes Dasein schleppen muß.«

Alice hob das Haupt und blickte, wie von einem himmlischen Trost berührt, zu ihm auf, matt, vergehend war er in den Stuhl zurückgesunken, seine Züge waren verwandelt, keine Spur mehr von dem Schreckbild, das sie eben erst entgeisterte, es war wieder das geliebte Antlitz, von unaussprechlichem Schmerz, von rührender Wehmuth übergossen.

»O Villeroy!« stöhnte die Unglückliche und ein Strom wohlthuender Thränen erleichterte die zum Zerspringen volle Brust.

»Ja,« sprach er jetzt leise und mild, »so mußte es kommen, so mußtest Du mich sehen, um auf ewig geheilt zu sein! Höre mich, Alice, es giebt Räthsel in der Natur, die kein Oedipus löst, Krankheiten, für die kein Hypokrates geboren ward! Der Fluch eines harten Vaters lastet auf diesem Haupt, der frühe Tod einer geliebten Mutter ist mein Werk, und dennoch hat die Wucht solchen Jammers noch kein schuldloseres Haupt getroffen als das Meine!«

Seine Stimme brach, seine Hände deckten das schmerzentstellte Gesicht, und große Thränen rollten über seine Wangen.

In tiefem Mitleid, in dem Strom der glühend erwachten Liebe ging Alicens Jammer unter, sie sprang empor.

Sie schwankte zu ihm hin, schlang beide Arme um seinen Hals und bettete das fluchbeladene Haupt an ihre reine Brust.

»Nein – nein – nicht so, Alice« – stammelte der Unglückliche; seinen Sinnen nicht trauend, und, vor ihr niedersinkend, umschlang er ihre Knie, preßte das Gesicht in die Falten ihres Gewandes und flüsterte wie ein betendes Kind:

»Heiliges Gnadenbild, aus dem Staub nur soll mein Bekenntniß zu Dir emporsteigen!

Zehn Jahre« – so begann er – »betrübte eine kinderlose Ehe meine Eltern; plötzlich fühlte sich meine Mutter gesegnet und erwartet mit Entzücken die Rückkehr des Gatten, den ein Geschäft an den Hof gerufen, und seit Monden von dem Stammschloß ferne gehalten hatte. Endlich kehrt er heim, doch er ist verstört, kalt, verändert, sein Blick unstät, seine Rede kurz und barsch. Erschreckt über diese Verwandlung, zögert sie, ihm ihr heiliges Geheimniß zu enthüllen; in einsamer Kammer fließen ihre Thränen.

Da lös't ihr die unselige Geschwätzigkeit einer alten Dienerin das Räthsel. Die Reize einer leichtsinnigen Dame aus hohem Geschlecht haben den Verblendeten umgarnt; er kehrt auf einige Tage zur Heimath, um Alles zu sammeln, was sein Schloß an Reichthümern enthält, und dann in Paris mit erneuten Opfern das Herz seiner Schönen zu erkaufen und eine Scheidung von der kinderlosen Gattin zu erschleichen.

Todesschauer ziehen durch die Brust meiner unglücklichen Mutter, thränenlos wirft sie sich auf ihr Lager und heuchelt tiefen Schlaf, als endlich der Ritter den alten Platz an ihrer Seite sucht. Auch er wälzte sich ruhelos auf der einst ihm so heiligen Stelle. Mitternacht ist vorüber; da fühlt meine Mutter, daß er sich lauschend über sie hinbeugt, nach einer Weile vorsichtig das Lager verläßt, und bei dem düstern Schein der Lampe sieht sie mit Entsetzen, wie er leise ihre Lade öffnet und den Schmuck herausnimmt, den sie als das kostbare Erbtheil ihrer Väter mit in die Ehe gebracht. Er ergreift die Lampe und schleicht vorsichtig in eine kleine Kapelle, welche an das Schlafgemach stößt. Meine Mutter fährt empor, wankt zu der halbgeöffneten Thür und sieht, wie er die Juwelen hinter dem Fußgestelle des Kreuzes auf dem Altar verbirgt. Ehe er zurückkehrt, liegt sie wieder auf dem Lager, scheinbar in tiefem Schlaf. Er kommt, verschließt die Lade so leise als er sie geöffnet, tritt dann zum Bett, beugt sich wieder lauschend über sie und schlüpft behutsam auf die alte Stelle.

In gräßlicher Angst sinnt die Halbentseelte über das was sie gesehen, Alles ward ihr klar; der Pflichtvergeßne wollte mit ihrem Eigenthum, dem einzigen Schatz, den sie dem Kinde unter ihrem Herzen sichern konnte, die Trennung von ihr erkaufen. Mit Gewalt vermag sie nichts zu erringen, das fühlt sie tief, mit seinen eigenen Waffen, durch Hinterlist nur ist er zu besiegen. Er hatte es nicht gewagt, den Schmuck von ihr zu fordern, am Tage verließ sie höchst selten ihr Schlafklosett, er mußte also den Schatz an eine Stelle schaffen, von der aus er ihn ohne Verdacht zu erregen in Sicherheit bringen konnte. Zuverlässig hatte er dazu die kommende Morgenandacht ersehen.

Ihr Entschluß war gefaßt, die Nacht weit vorgerückt. Da vernahm sie endlich starke Athemzüge, die seinen tiefen Schlaf verkündeten. So wie früher er, huschte sie jetzt leise vom Lager, schlich in die Kapelle, ergriff mit lautschlagender Brust ihr Eigenthum, floh durch das Schlafgemach zurück und eilte die Wendeltreppe hinab, nach dem Schloßgarten. Dort, an einer verfallenen Stelle des Gemäuers, barg sie ihren Schatz hinter Steinen und Schutt und befand sich nach wenigen Minuten wieder neben dem Gatten, der im Bewußtsein gelungener That ruhig schlief.

Die Morgensonne beschien eine höchst seltsame Scene. Meine Mutter ging wie gewöhnlich nach gehaltener Andacht in den Garten und wandelte, die Bibel in den gefalteten Händen, ruhig im Schatten einer blühenden Kastanien-Allee. Nach kurzer Zeit erschien mein Vater mit verstörtem, dunkelrothem Antlitz, mühsam verhaltene Wuth in den finstern Zügen, und aus seinem wilddrohenden Blick ersah sie deutlich, daß er den Raub seines Raubes entdeckt, und dennoch keine Frage, keinen Vorwurf wage, denn mit welcher Stirne konnte er ihr das Geschehene mittheilen? Lange schritt er schweigend neben ihr hin, endlich begann er, mit sichtlicher Ueberwindung:

›Hast Du wohl schon bedacht, Leontine, daß ich der letzte meines Stammes bin?‹

›Ich habe.‹

›Und daß mir in den zehn Jahren unserer Ehe keine Hoffnung wurde, das Geschlecht der Villeroy nicht mit mir erlöschen zu sehen?‹

Meine Mutter sah ruhig und mit Ernst zu ihm auf. Er nahm die Bibel aus ihrer Hand, blätterte, schlug sie auf und reichte ihr das heilige Buch abgewandten Gesichts, mit zitternder Hand eine Stelle bezeichnend: ›Ein unfruchtbarer Baum aber soll ausgerissen und dem Feuer geopfert werden.‹

›Du bist ein unfruchtbarer Baum,‹ rief nun mein Vater mit schrecklichem Blick, ›und ich will nicht, daß das Geschlecht der Villeroy erlösche!‹

Meine Mutter reichte jetzt ihm die Bibel und deutete auf zwei Stellen; es waren die Worte: ›Du sollst nicht stehlen‹ und ›Du sollst nicht ehebrechen.‹

Mein Vater starrte bebend, von Zornesröthe überflammt, auf die heiligen Gebote; er vermochte es nicht, das unstäte Auge zu der reinen Frau zu erheben.

Nach einem peinlichen Schweigen erhob meine Mutter die Stimme und sprach sanft aber entschlossen:

›Ich bin kein unfruchtbarer Baum, den die Schrift verwirft, unter meinem Herzen ruht Dein Erbe, und diesem schuldlosen Wesen werde ich, das Eigenthum seiner Väter zu erhalten wissen!‹

Mein Vater taumelte zurück, meine Mutter schritt langsam nach ihren Gemächern.

Noch in derselben Stunde verließ der Verblendete das Schloß.

Als es Nacht geworden, eilte meine Mutter nach dem Garten, holte den geretteten Schatz aus ihrem Versteck und verschloß sich in ihrem Gemach. In Jahren hatte sie, einsam, in stiller Einfachheit lebend, ihren kostbaren Schmuck keiner Beachtung gewürdigt; jetzt, da er ihr gleichsam auf's Neue geschenkt war, da er die Zukunft ihres Kindes sichern sollte, hatte er plötzlich Werth in ihren Augen. Sie öffnete das Kästchen, ordnete die Kleinodien, und als ihr nun der blendende Glanz im Strahl der Kerzen entgegenleuchtete, fühlte sie sich von einem unbeschreiblichen namenlosen Entzücken durchrieselt, mit gieriger Lust hing ihr Blick an den funkelnden Steinen, ihr Herz schlug laut, und in demselben Augenblick empfand sie zum Erstenmal das freudige Zucken des jungen Lebens unter ihrem Herzen. Von dieser unseligen Nacht an fühlte sie ein wildes unnatürliches Gelüsten, wenn Alles schlief ihr Gemach zu erleuchten und den funkelnden Blick am Anschauen ihrer Schätze zu weiden. In Todesangst schob sie, ehe sie zur Ruhe ging, die verderblichen Juwelen unter ihr Haupt; im Traum sah sie sich im Schooß der Erde, umgeben von strahlenden Demanten, welche ihre Hände mit blutenden Nägeln aus den Wänden hervorwühlten, und erwachend beweinte sie die entzückende Täuschung, welche die Morgensonne zerstört hatte. In diesem fieberhaften Zustand, der zur unheilbaren Seelenkrankheit geworden war, verstrichen fünf Monate, bis ich endlich das Licht der Welt erblickte.

Auf die Nachricht meiner Geburt kehrte mein Vater zu seinem Schloß, zu seiner Gattin wieder. Sein strafbares Verhältniß schien beendet, aber das Glück, die Ruhe waren für immer aus diesem einst so friedlichen Hause verschwunden.

Nie sah ich meinen Vater lächeln, nie hat mir sein finsteres Auge ein anderes Gefühl als bange Furcht eingeflößt.

Seit meiner Geburt war die Krankheit meiner Mutter verschwunden, die unseligen Steine ruhten wieder wie sonst unbeachtet in der Lade am Fuße ihres Bettes, und nur in mir, in meinem kräftigen Gedeihen lebend, hatte sie jene unheimliche Zeit fast vergessen.

Ich zählte noch nicht vier Jahre, als sie mich eines Tages auf ihrem Schooße hielt, wo ich zu schlummern pflegte. Da trat plötzlich der Baron Larochefoucauld, ein Halbbruder meiner Mutter, den sie seit Jahren nicht gesehen hatte, in das Gemach. Sie war außer sich vor Freude und streckte ihm die Hand entgegen, welche er mit heftiger Bewegung ergriff. Ich sah verwundert zu dem stattlichen Ritter auf, dessen prächtiges Gewand mit der Einfachheit unseres Schlosses, so wie mit der kriegerischen Tracht meines Vaters einen auffallenden Contrast bildete und mir ein ganz neues Schauspiel darbot. Ein blendender Strahl traf mein Auge; das Licht blitzte auf einen kostbaren Demanten, den er am Daumen trug. Ich zuckte zusammen und schrie laut auf. Vom Schooß der Mutter springend, ergriff ich die Hand meines Oheims und hüpfte in wahnsinniger Freude an ihm empor, die Blicke wie fest gebannt auf den leuchtenden Stein heftend. Er ergötzte sich an meiner Lust, ließ den Juwel im Strahl der Sonne spielen und lächelte, als ich beständig rief:

›O schenke mir das schöne Ding da, ich muß es haben.‹

Die Geschwister hatten sich viel zu sagen, bald achtete man meiner nicht mehr und ich kauerte in einem Winkel, das Auge auf den Ring geheftet und sagte nur fortwährend: ›Ich muß es haben, ich will es haben.‹

Ein heftiges Fieber schüttelte mich, als man mich endlich zu Bett brachte; im Traum sah ich den herrlichen Demanten, und am andern Morgen war es mein eiligstes Geschäft, die Thüre zu belagern, die zum Gemach des Oheims führte. Er trat heraus, ich schlüpfte unbemerkt hinein – das Erste, was ich erblicke, ist der Ring, welcher auf dem Gesimse des Fensters liegt. Ich ergreife ihn gierig, entfliehe und stürze athemlos in das Zimmer meiner Mutter. Sie starrte mich entsetzt an, als ich ihr den Ring entgegenhalte, ihn mit tausend Küssen bedecke und fortwährend rufe:

›Ich habe ihn, ich habe ihn, ach Mutter, wenn Du mir ihn nimmst, so kann ich nicht mehr schlafen.‹

›Hat ihn Dir der Oheim geschenkt?‹ frug sie erstaunt. Ich erzählte nun, wie ich dazu gekommen.

Eine Todtenblässe deckte ihr Gesicht, an allen Gliedern bebend faltete sie die Hände und stöhnte mit einem Ton, den ich nie wieder vergessen werde:

›Großer Gott – so schwer, so fürchterlich wirst Du nicht die Schuld der Väter an den Kindern rächen!‹

Sie zwang mich, dem Baron den Ring wieder zu bringen; ich that es, doch ich aß und schlief mehrere Tage nicht, die Sehnsucht nach dem verhängnißvollen Kleinod machte mich krank, und von diesem Augenblick an entwickelte sich die unwiderstehliche Gier nach dem Besitz funkelnder Steine so furchtbar in mir, daß ich schon als achtjähriges Kind meinen Aeltern heimlich entwich, um in einer katholischen Kapelle, drei Stunden von dem Schloß entfernt, vor dem Muttergottesbilde Tage lang zu stehen, weil es mit einer Menge falscher Steine bedeckt war, die im Licht der ewigen Lampe einen magischen Schimmer verbreiteten.

Was soll ich Dir noch weiter sagen, Alice? Ich wuchs zum Jüngling heran und mit mir der angeborne Frevel! Täglich von den Thränen meiner Mutter bewegt, von ihren Lehren, ihrem Beispiel für das Schöne und Edle entflammt, schaudernd vor dem fürchterlichen Geheimniß, das sie endlich in bitterer Reue in meine Brust niederlegte, gab es dennoch kein Mittel den gräßlichen Trieb in mir zu ersticken. In unbegreiflicher Verblendung übergab mir meine Mutter im siebzehnten Jahr jenen Schmuck« – er zeigte mit abgewandtem Gesicht nach einem Theil der Juwelen auf dem Tisch »nur um durch den beständigen Anblick dieser Kleinodien meine Begierde abzustumpfen – sie bewirkte das Gegentheil! Nachdem ich Nächte lang über diesem Schatz gebrütet, wollte ich mehr besitzen, mehr sehen, in Schachten von Demanten wühlen! Man sandte mich an den Hof des Königs von Navarra, meine Mutter sorgte mit großer Freigebigkeit für meine Ausstattung aber – mein Vater versagte mir einen mit Juwelen besetzten Dolch, den ich seit Jahren wünschte. Ich knirschte mit den Zähnen; schon lag das väterliche Schloß hinter mir, doch die Wuth wollte sich nicht legen; da wandte ich mein Roß, flog zurück, warf mich zu den Füßen meines Vaters und gestand ihm: ich sei von einem bösen Geist besessen, er möge sich erbarmen und mir den Dolch anvertrauen, oder ich finde nicht Ruhe, bis das Kleinod durch List oder Gewalt in meine Hände komme.

Mein Vater schäumte vor Wuth, meine Mutter sank vergehend vor Entsetzen an meine Brust. Da sprach er den fürchterlichen Fluch über mein Haupt aus: ›Der räuberische letzte Sprosse seines Stammes solle enden unter den Händen gedungener Mörder, ehe dies Geschlecht sich fortpflanze!‹

Ich sah die Mutter besinnungslos zur Erde stürzen, sah ihre geliebten Züge, überschattet von der Bläße des Todes, hörte die Donnerworte des Unnatürlichen, der im eignen Sohne sich selbst verfluchte, und verließ, von Furien gejagt, auf ewig das Haus meiner Väter.

Blutige Schlachten, ehrenvolle Siege, der Anblick schöner Frauen, die Gnade edler Helden – nichts vermochte den Dämon zu verjagen, der tief verborgen meine Brust bewohnte und in jedem Augenblick der Ruhe das entsetzliche Haupt in mir erhob. Meine Mutter starb, mein Vater fiel bei der Belagerung von Rouen, mein Leben wurde eine Hölle – dennoch verschleuderte ich – bis auf mein Stammschloß – das Erbe meiner Väter, um dafür – Juwelen einzutauschen. Fest entschlossen, an diese befleckte Brust nie das Herz eines reinen Wesens zu betten, floh ich jedes weibliche Antlitz, ich fühlte tief: das entartete Geschlecht der Villeroy müsse untergehen. So kam ich an diesen Hof.

Noch hatte ich die Hand vom Raube frei gehalten; da fand ich, dem nichts entgeht, das Armband, später! den Rubin dieser Königin; mit satanischer Freude legte ich den Fund zu meinen Schätzen, denn Katharina von Medicis zu betrügen, sie, die ich mehr hasse als mich selbst, erhöhte meine Lust an den verfluchten Steinen! Gewaltsam hatte ich meine Leidenschaft für Dich bekämpft, noch gelang es mir, ach – ich konnte ja nicht glauben, daß ich Unseliger Liebe finden werde! Da führte mich der Dämon auf jenen verlassenen Thronsessel, warf den blitzenden Reichsapfel zu meinen Füßen, die Geister der Hölle ergriffen mich abermals, und ehe Du eintratest war der Raub an meiner Brust verborgen, an dieser Brust – an welche ich wenige Augenblicke später das geliebteste und beklagenswertheste Weib auf Erden drückte! Zum Erstenmale fühlte ich den Drang, mich von meinem Götzen zu trennen, ich wollte Dir das Kleinod übergeben, doch Gewissensangst und Furcht, von Dir durchschaut zu werden, verzögerte den Augenblick, wir wurden gestört und erfüllt von Entsetzen entfloh ich! – Alice, ich habe Dir den ganzen Abgrund meiner Seele enthüllt, doch bei dem Gott, an dessen Thron ich einst die Lösung dieses Räthsels erwarte, schwöre ich's, seit Du an meinem Herzen geruht, seit mich die glühendste Liebe für Dich durchströmt, habe ich meine Schätze nicht gesehen, der Feind in mir schien entflohen, bis vor wenig Augenblicken. Alles zu meiner Flucht bereitend, benutzte ich diese unbewachte Stunde, meine Schätze zu ordnen; ich bin entschlossen, aus diesen Juwelen Waffen zu schmieden für meinen Glauben, für meinen König. Kaum aber hatten sie meine Hand berührt, kaum flammten sie im Kerzenschein um mich her, so erwachte der alte Geist des Frevels mächtiger als je, ich vergaß Gefahr und –«

*

VIII.

» Großer, allmächtiger Gott!« schrie jetzt Alice auf. Die Glocke zu St. Germain verkündete mit dumpfem Klang die zweite Stunde nach Mitternacht. »Gefahr und Tod, Dein Leben, das Leben Heinrichs, Euren Untergang – vergessen Alles – Alles! O heilige Jungfrau erbarme Dich ihrer!« Mit diesen Worten riß sie den Staunenden empor und fuhr mit bebenden Lippen fort: »Du bist der Unglücklichste aller Lebenden, ich vergebe Dir, ich liebe Dich, Du bist schuldlos, obgleich mit schwerer Schuld beladen, doch davon jetzt nichts mehr, rette, rette Dich! Um Dich habe ich diesen furchtbaren Gang gewagt, ich konnte Tausende retten, doch ich dachte nur an Dich; Gott wird mir vergeben, wie er Dir die unfreiwillige Schuld vergiebt!« In fieberhafter Eile, in bebender Hast erzählte sie nun dem Erstarrenden was sie gesehen, gehört, und schnell lüftete sich vor seinem Blick der finstere Schleier, der noch die blutigen Gräuel des kommenden Morgens deckte.

»Du mußt fliehen, verhüllt in Frauentracht, oder als Knecht, wie Du willst, wie es Dir Dein Geist eingiebt, aber fort mußt Du, wenn Du nicht mich mit Dir vernichten willst!«

»Fliehen – ich?« schrie Villeroy und sein Auge sprühte Flammen, seine Hand faßte nach dem Dolch an seiner Seite, »fliehen um mein elendes Dasein zu retten? und Coligny, Heinrich, Condé, Teligny, sie Alle sollten untergehen? Nein, können wir uns retten, so ist es nur vereint möglich, fallen aber sie, denkst Du der Mann, den Du liebst, für dessen Rettung Du Ehre, Freiheit, ja vielleicht Dein Leben wagst, er könnte leben?«

Alice starrte ihn geisterbleich an, sie fühlte, daß ihr Opfer vergeblich gebracht war, daß er sich nicht retten dürfe! Der Schmerz des Todes durchzuckte jetzt schon ihre Brust, der Mordstahl hatte sie schon getroffen, sie bebte vor nichts mehr, sie hatte nichts mehr zu erklären, laut aufschreiend warf sie sich an die Brust des Verlorenen und keine Thräne erleichterte die Qual, kein Wort sprach es aus, daß ihr Leben vernichtet sei.

In wüthendem Schmerz, in grimmiger Lust preßte Villeroy die Geliebte an sich; noch einmal genoß er die höchste Seligkeit des Daseins, schwelgend in den Küssen der Verzweifelnden; dann richtete er sich empor, wand sich sanft aus ihren Armen und sprach mit Fassung:

»Alice, meine Rechnung ist abgeschlossen, diese Stunde gab mir Kraft zum Leben, wie zum Tod! Laß uns scheiden, als wäre ich dem letzteren schon verfallen! Verlaß mich jetzt, kehre in die Höhle des Verbrechens zurück, denn dort allein ist Schutz für Dich. Ich eile, Coligny und die Freunde zu warnen und sammle so viel Ritter, als ihrer in dieser kurzen Frist die uns noch bleibt, zu finden. Mit ihnen eile ich nach dem Louvre, St. Barthelemy soll mir die Thore öffnen; an Heinrichs Seite ist mein Platz, er lebe oder falle. Gott sei Dein Geleite!«

Noch einen seligen, fürchterlichen Augenblick hielten sie sich umfaßt, dann riß sich Alice aus seinen umschlingenden Armen, drückte die Larve fest vor das glühende Antlitz und floh hinweg aus dem Portal, die Straße Betizi hinab, ohne an Gefahr, an Gegenwart und Zukunft zu denken; ihre Seele war erstarrt unter den Schrecken der entflohenen Stunden.

Geheimnißvolles, finsteres Leben herrschte schon in der Stadt, aus tausend Mörderaugen schien die tiefe Nacht sie anzustarren, schweigende Haufen schwankten wie Geister an ihr hin, schauerlich strich zuweilen leiser Waffenklang ihrem Ohr vorüber, doch festen Trittes ging sie mitten durch das unheimliche Treiben, sie hatte nichts mehr zu wagen, es galt ja ihn nicht mehr. Das weiße Kreuz wirkte überall, ohne daß sie es ahnte, denn sie wußte schon nicht mehr, daß sie es trug, daß sie dessen bedurfte. Jetzt stieg das schweigende Louvre furchtbar vor ihr auf, sie erschrak nicht vor den finstern Mauern, hinter denen vielleicht der Henker schon auf sie lauschte. Mit starker Hand schlug sie an die kleine Pforte. St. Barthelemy rief sie zum letzten Mal und ging kalt durch den nachtbedeckten Hof, in dem sich's unsichtbar regte, wie das Geschlecht giftiger Gewürme im Schooß eines Verließes. Sie flog die Treppen hinan, kein Laut traf ihr Ohr, sie trat in ihr Gemach und ein lauter Schrei ihrer Dienerin erweckte sie aus der stumpfen Fühllosigkeit, in welcher sie den fürchterlichen Weg zurückgelegt.

»Wer da, was giebt's!« kreischte Jene sich vor der vermummten Gestalt bekreuzend, »was sucht Ihr hier? Wir sind gute Christen, Ihr sollt uns nichts anhaben.«

Jetzt erst erinnerte sich Alice ihrer Verkleidung; sie riß die Larve ab, schleuderte Barett und Mantel von sich und sank an ihrem Betstuhl zusammen.

»Heilige Mutter Gottes!« stammelte Madelon, »das ist mein Fräulein! Schütze uns St. Denis, wie seht Ihr aus! Herr Gott, wäret Ihr in dieser Nacht gestorben, so dächte ich Eure Leiche käme mich heimzusuchen! Was geht nur vor in diesem Schloß, daß alle Menschen wie Spukgestalten herumschleichen? Ich war ein wenig entschlummert; aber das geheimnißvolle Rennen und Laufen und dann wieder die gräßliche Stille weckten mich und eine Angst überfiel mein Herz, als sollte alles um mich in Feuer aufgehen.«

Allmählich kehrte Alicen die Besinnung wieder, sie blickte staunend um sich her, sie war in ihrem friedlichen Gemach, das war die treue Madelon, welche vor ihr stand, das war der Betschemel, auf dem sie so oft zu Gott um Rath und Trost gefleht; vor wenig Minuten aber sah sie sich im Hause eines Mannes, um Mitternacht, einzig von dem reinsten Bewußtsein geschützt; sah sich als Vertraute eines Frevlers, den sie liebte, sah sich in dunkler Nacht auf finstern Straßen durch schweigende Mörder wandeln – ihre Ideen verwirrten sich, sie vermochte nicht zu unterscheiden was wahr, was Traum sei und mit einem tiefen Athemzug fragte sie, als ob sie aus langem Schlaf erwachte: »Hat die Königin nach mir verlangt?«

»Die Königin?« frug Madelon versteinert, »kommt Ihr denn nicht von ihr? Ich dachte schon, Ihr würdet die ganze Nacht unten bleiben. Wo waret Ihr denn?«

»Hast Du die Glocke nicht gehört?«

»Nein, wahrlich! Als es Mitternacht schlug, erwachte ich und seit dieser Zeit sitze ich hier und friere vor Angst, das hätte ich doch wohl gehört!«

»Ich bin gerettet!« seufzte Alice in sich hinein, »aber er – er!« In diesem Augenblick schallte die dritte Stunde des neuen Tages vom Thurm des Louvre herab, sie fuhr empor, horchte hoch auf und sank mit dem Ruf: »Zwei Stunden Leben noch!« besinnungslos, kalt und starr in Madelons Arme.

Die erschrockene Dienerin schleppt die Unglückliche auf ihr Lager, reibt ihre Schläfe, betet zu allen Heiligen, die sie der Reihe nach anruft; doch Alicens Lippen öffnen sich nicht, ihr Auge starrt gebrochen, ohne Sehkraft, ihre Brust hebt sich zu keinem Lebenshauch: »sie ist todt!« kreischte die entsetzte Magd, und jetzt tönt die Glocke der Königin lang und grell durch das Gemach.

Madelon glaubte auch ihre Todesstunde nahe; die Königin verlangte nach dem Fräulein, und diese lag da, ein starrer Leichnam. Was sollte sie beginnen? Konnte sie sich von der Unglücklichen entfernen, durfte sie Katharina warten lassen, ohne sie von dem Vorfall zu benachrichtigen? Ihr schwacher Geist fand kein Mittel; stumm, in tödtlicher Angst übergoß sie die besinnungslose Alice mit Essenzen, aber jetzt schallte die schreckliche Glocke zum zweiten Male, lauter, anhaltender als vorhin – die Ehrfurcht vor der erhabenen Majestät siegte, sie flog hinunter und stürzte, da sie im Vorzimmer Niemanden fand, geradezu in Katharina's Kabinet.

»Was ist das?« rief ihr diese mit finsterer Stirne entgegen, »wo ist Deine Gebieterin?«

»Ew. Majestät,« stammelte Madelon, in Thränen ausbrechend, »nehmt's nur nicht übel, aber oben liegt sie in ihrem Gemach und ist todt, glaube ich, denn sie giebt kein Zeichen mehr!«

»Todt?« schrie Katharina, zurückfahrend, »was ist denn geschehen?«

Madelon wußte nicht was antworten, denn so viel begriff sie jetzt, daß irgend ein schweres Geheimniß hier walte, dessen Enthüllung ihrer Herrin gefährlich werden könnte.

Eben öffnete die Königin die Lippen zu einer neuen Frage, als die Herzogin von Lothringen hereinstürzte und sich mit sichtbarer Erschütterung zu den Füßen der Königin niederwarf.

»O, meine Mutter,« rief sie, »erbarmt Euch Margarethens Angst; sie ahnt was vorgeht, sie fleht Euch an, ihr eine Zuflucht in Euren Zimmern zu gestatten – wird blinde Wuth die Gattin des schlimmsten Ketzers verschonen, wenn einmal die Furien des Mordes durch diese Räume rasen?«

»Margaretha von Valois ist Heinrichs Gemahlin, sie bleibt in den Gemächern des Gatten,« sprach kalt die entmenschte Frau, »ist es ihr nicht bestimmt zu sterben, so wird ihr der Mord nichts anhaben können!«

Madelon hatte sich schon bei dem Eintritt der Herzogin nach der Thüre zurückgezogen, sie hatte genug gehört und eilte mehr todt als lebend zu ihrem Fräulein; ihre Zähne klapperten an einander, sie glaubte das jüngste Gericht nahe. Vom Mord hatte sie gehört, hatte das Todesurtheil vernommen, welches eine Rabenmutter über das eigene Kind ausgesprochen; wer im Louvre war seines Lebens sicher, wenn Margaretha von Valois es nicht mehr war?

Sie fand Alice in demselben trostlosen Zustande, in welchem sie sie verlassen hatte, noch immer kalt und leblos, noch immer kein Zeichen rückkehrender Besinnung. Still weinend setzte sie sich zu der, wie sie wähnte, Verschiedenen und betete für die arme Seele.

Doch diese Seele wohnte noch in dem regungslosen Körper, die Unglückliche lebte, der Erbarmer hatte die bleichen Lippen noch nicht mit dem Friedenskuß berührt.

Eine lange, fürchterlich lange Stunde zog vorüber, da ward es plötzlich laut im Hof des Louvre. Eine kleine Schaar von funfzig Hugenottischen Rittern, welcher sich auf die Parole das Thor geöffnet, zog ein und verlangte nach ihrem König. Der Obrist d'O sah sie mit einem gräßlichen Lächeln an, befahl Fackeln anzuzünden und mit Entsetzen erblickten sich die Tapfern in einem stählernen Kreis, den tausend Hellebarden bildeten.

»Ihr seid uns sehr willkommen, edle Herren,« sprach d'O höhnisch, »Eure Gegenwart im Louvre erspart uns die Mühe, Euch einzeln in Euren Wohnungen aufzusuchen. Geduldet Euch nur eine kurze halbe Stunde, Heinrich von Navarra ist meines Wissens in den Gemächern seiner schönen Gattin, und Ihr seid gewiß nicht unhöflich genug, das junge Ehepaar jetzt zu belästigen; sobald die Frühmette eingeläutet wird, pflegt er sie zu verlassen und dann denke ich – werdet Ihr ihm willkommen sein.«

Knirschend, aber regungslos standen die Helden, sie wußten, daß sie das Haupt in's Todesnetz getragen, doch ein Gedanke nur zerriß in diesem Augenblicke ihre Brust, es war die Frage: »Wird Heinrich von Navarra leben?«

*

IX.

Ein Schuß zerriß die lautlose Stille und das Band, welches Alicens Sinne gefesselt hatte. Hoch fuhr sie vom Lager auf und stierte mit weit offenen Augen um sich; lebendig ward's im Hof, auf den Treppen, auf den Gängen; Schwerdtergeklirr, Mordgeheul und Wehklagen wogte um sie her; wimmernd löste jetzt die Frühmettenglocke zu St. Germain die unheilkündende Zunge und plötzlich erschallten als Echo die Sturmglocken des Louvres und aller Thürme von Paris, um den gräßlichen Todtenruf durch die zitternde Luft weithin über die staunende Stadt zu tragen.

Alice flog vom Lager, ihre Kniee schwankten nicht, sie stand fest, hoch aufgerichtet der fast sinnlosen Dienerin gegenüber, die sie zu umfassen strebte; ihr dunkles Haar floß gelöst in dichtem Strom um Brust und Hüften, marmorbleich schimmerten die edlen Züge aus den wirren Locken hervor, und die flehende Madelon mit Riesenkraft von sich schleudernd, enteilte sie dem Gemach und flog den Corridor hinab nach den Zimmern der Königin.

Noch hatte sie ihren Weg nicht halb zurückgelegt, da drängte sich von den Gemächern des Hugenottischen Königs her eine Gruppe zwischen sie und die kalten Mauern, eine Gruppe, die ihr Auge und Fuß erstarren machte. Ein junger Protestant, Henri Bause, vertheidigte sich gegen fünf Mörder aus der königlichen Garde, eine weiße luftige Gestalt strebt vergebens in dem engen Gang sich durchzudrängen, fleht vergebens um sein Leben; von einer Hellebarde durchstoßen, haucht er in Todeszuckungen die Seele aus. Die lautschreiende Dame sinkt besinnungslos zusammen. Alice will ihr nahen, die Wache erhebt sie vom Boden – es ist Margaretha von Valois, welche in heftigen Krämpfen mit dem Tod zu ringen scheint; die Nähe der Königstochter legt dem entfesselten Mord keine Zügel an; man bringt sie fühllos nach den Zimmern der Königin und geht wieder an die Blutarbeit.

»Zum König, zum König!« schreit jetzt Alice und schlüpft zwischen Leichen und Henkern durch der großen Treppe zu, die nach Heinrichs Wohnung führt. Da sieht sie den jungen Löwen entwaffnet, an seiner Seite den Prinzen von Condé, Schmerz und Wuth verzerren ihre bleichen Züge, umgeben von Bewaffneten führt man sie zum König.

»Ich bürge für Eure Sicherheit, meine Prinzen,« sprach der befehlhabende Offizier, »aber nur unter dem unmittelbaren Schutze des Königs, der Euch erwartet, kann ich für Euer Leben einstehen.«

Der Zug entfernt sich und verschwindet in dem Flügel des Schlosses, wo Karl der Neunte, an der Seite seiner Mutter, umgeben von seinem Hofstaate mit wahnsinniger Lust das Gemetzel vom Balkon herab mit ansieht.

Eine augenblickliche Stille trat jetzt ein, Alice lehnte an einem geöffneten Fenster des Corridors, ein pfeifender Luftzug wühlte in ihren Haaren, ihre Gestalt war so leblos wie der Marmor, der ihr zur Stütze diente, ihre Seele ein Chaos.

Da tönt Schwerdtergeklirr von der großen Treppe herauf, Stufe für Stufe erkämpfen verfolgte Hugenotten den Weg zu ihrem König; wie die Meute Hunde an der Ferse des Wildes, hängen die lechzenden Mörder an ihrer Beute.

»Heinrich und die Bibel!« ruft eine furchtbare Stimme; Leben durchzittert Alicens regungslose Gestalt, ihr Fuß hebt sich, ihr Herz schlägt mächtig gegen das fliegende Gewand; jetzt hat er die letzte Stufe erreicht; er wurzelte fest auf dem Boden, seine Waffe pfeift sausend um die Häupter der schäumenden Söldner, da zersplittert der Stahl in seiner Faust, drei Schwerdter senken sich in den schlanken Körper, in die keuchende Brust und mit dem Todesschrei: »Alice!« stürzt er an der erstarrten Geliebten nieder, deren Arme sich vergebens ausbreiten, ihn zu empfangen. Ihr Antlitz, ihre Hände, ihr weißes Gewand ist bespritzt von dem Blut des heißgeliebten Mannes, sie wirft sich an ihm zur Erde, Leichen häufen sich um sie, sie sieht nur sein gebrochenes Auge, hört nur seine Todesseufzer und fühlt den krampfhaften Druck der erkaltenden Hand, die sich um ihren Nacken legt. Sein Haupt sinkt an ihre Brust, sie stammelt leise:

»Heinrich von Navarra ist gerettet – Alice geleitet Deine Seele!« und ihre Lippe küßt den letzten Hauch, das letzte seiner Worte: »Wiedersehn!« von dem zuckenden Mund; ihr reiches Haar fällt, ein heiliger, dunkler Schleier, über sein sterbendes Antlitz und verhüllt die Schatten des Todes und den Scheidegruß der Liebenden den Blicken der Würger.

Als Alicens Besinnung wiederkehrt, schlägt eine schreckliche Stimme an ihr Ohr; es ist Katharina, die höhnisch fragt:

»Welche meiner Damen spielt denn hier den Beichtvater bei dem sterbenden Ketzer?«

Da hebt die Jungfrau das Marmorantlitz empor, ihr dunkles, starres Auge will aus seinen Höhlen treten, um ihren Mund spielt ein gräßliches Lächeln, ihre weiße Brust ist mit Blut befleckt.

»Alice!« ruft Katharina und tritt einen Schritt zurück vor dem Ausdruck dieser Züge; ein Schauder durchrieselt sie, den ihrer Hyänennatur alle Verzerrungen des Todes, die sie umgaben, nicht erwecken konnte.

»Alice,« lacht Karl der Neunte grinsend auf, »die spröde Dame, die keusche Lucretia – ha – ha – das ist lustig, Frau Mutter!«

Doch hoch wie ein Gespenst steht jetzt die Geschmähte den Zurückweichenden gegenüber, ein fürchterlicheres Lachen als das seine bricht aus ihren bleichen Lippen.

»Ha – ha – nicht wahr, Mordknecht, Verruchter, das ist lustig?« ruft sie in hohlen, Mark durchschauernden Tönen, »wahnsinniger Tyrann, jetzt lachst Du allein und hier die schnaubende Megäre an Deiner Seite – Ihr lacht allein – doch die schwarze Stunde, die ob Eurem verfluchten Haupte schwebt, hört Ihr nicht kommen! – Horch auf, König, wenn Deinem elenden Leibe Blutströme entquellen, jeder Deiner Athemzüge Tod erflehen wird von der Gnade Gottes – dann denke an diese Nacht! Dann lacht eine ganze Welt, vor Wonne lacht sie, daß Deine Seele zum Abgrund fährt, und Du wirst es hören, dies Hohngelächter der Erde, auf Deinem Sterbelager wird es Dich umrauschen, wird Dir folgen bis hinab zur Hölle, wie dieser hier, die ich verhaßt, verachtet und verlassen auf einsamem Lager dem Tod entgegenreifen sehe, glühendes Gift in den Adern, glühendere Pein im Herzen, und der Fluch der Mit- und Nachwelt wird für Euch Beide der einzige treue Geleiter sein!«

Das schreckliche Wort war gesprochen. Karl der Neunte stand vernichtet, ihm war, als habe er die Posaunen des Weltgerichts vernommen, sein Haar sträubte sich, seine erschlafften Arme sanken herab, die Menschennatur trat für einen Augenblick in ihre Rechte. Die Königin verhüllte das Gesicht, sie vermochte nicht länger den Blick der Wahnsinnigen zu ertragen, deren Augen sich mit Nacht umziehend gespenstisch an ihren Zügen hingen. Die prophetischen Worte, die sie gehört, klangen nach in ihrer abergläubischen Seele, sie riß den Talisman hervor, den sie beständig bei sich trug, preßte ihn abgewandt an die Lippen und floh hinweg, den entnervten träumenden Sohn an ihrer Seite zu neuen Freveln zu reißen.

Alice ward nach ihrem Gemach getragen, ihr Körper war versteint, die Gelenke ihrer Glieder erstarrt.

Wenige Wochen überlebte sie den Geliebten, doch sie litt nicht, denn die Seele war ihm längst gefolgt und nur die blöden Sinne walteten noch in dem schwindenden Körper, der einst die schöne Hülle eines edlen, nur zu glühenden Geistes gewesen.

 

Die Geschichte jener Tage zeigt uns das gräßliche Ende Karl des Neunten; Ströme von Blut drangen aus seinen Poren, er starb in Verzweiflung, wie Katharina von Medicis, welche erst die Vernichtung aller Wünsche und Hoffnungen ihres an Frevel reichen Daseins erleben mußte, ehe, das tödtliche Gift ihren Körper der entflohenen Macht nachsandte.

Heinrich von Navarra aber hat sich ein Denkmal gesetzt, das, durch alle Zeiten leuchtend, ihn des edlen Blutes würdig zeigt, welches für ihn vergossen ward. Oft noch schwebte wie ein lichter Traum die Erinnerung an die reizende Alice d'Aumont durch seine Seele und eine trübe Wolke auf seiner Stirne feierte das Gedächtniß des treuen Villeroy.

*


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