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Es giebt Nächte, die der Städter wenig kennt, deren aber der Landmann sich freut, indem er, vom heißen Tagewerk abgemüht, ruhend vor seiner Hütte, hineinschaut in die funkelnde Finsterniß; Nächte, wo Gott aus Höhe und Tiefe, aus Baum und Strauch blickt, und in heiliger Stille dem Sterblichen die Gewißheit seiner Allgegenwart in die Brust haucht, daß sie beseligend, erhebend durch Herz und Geist zieht! – Eine solche Nacht war es, als unter der Eiche im Mühlthal ein Pärchen saß, Hand in Hand, Auge in Auge, über ihnen der gottvolle Himmel, zu ihren Füßen der stillplätschernde Fluß, rings um sie her der Friede der Nacht, und in ihren Herzen die Glückseligkeit einer jungen Liebe. – Lange saßen sie schweigend, das Antlitz des Mädchens strahlte wie eine rosige Blüthe durch den Mondschimmer, das dunkle Auge des Mannes, aus dem Redlichkeit und Muth blickte, hing an den frischen Lippen der Jungfrau, und schien einer Antwort auf irgend eine Frage zu harren.
Endlich brach er das Schweigen.
»Du zögerst lange, Rose, kannst Du das Wort nicht finden, auf das ich warte?«
»Du bist aber auch so ungeduldig, Heinrich« sprach sie ängstlich – »warum denn so eilig? es hat ja Zeit, der Brautstand ist so schön.«
»Langer Brautstand ist zu nichts nütze; ich will Dich zur Frau, Du bist mir gut, Du willst einziehen in mein Haus, wozu nun das Zieren? – Um Ostern sprachst Du: ›Warte nur bis Weihnachten!‹ Zu Weihnachten, als ich Dir den Christbaum putzte, sagtest Du: ›Nur bis Ostern, Heinrich!‹ Ostern ist nun auch vorbei, meine Schneidemühle klappert im Thal, mein Wohnhaus steht geschmückt mit Tannenreisern seit drei Wochen, wir sind aufgeboten, und noch immer soll mir der Hochzeittag nicht anbrechen – laß es endlich genug sein, des Neckens bin ich satt, sage ja, oder nein!«
»Heinrich!« unterbrach ihn Rose, und schlang den Arm um seinen Hals, – »Du bist recht hart gegen mich.«
»Ich? – Du bist's Rose, – Du! Du sagst, Du liebst mich, und bist doch zu schwach, zu wollen, was Dein Herz fordert. – Ich weiß es, was es ist, die Base ist's, die Dich mir abwendig macht, der alte Drache.«
»Schilt mir die Stotheim nicht, sie ist meine Mutter, seit ich zwei Jahre zähle, sie hat mich redlich geliebt, und will mich nicht verlieren! Sieh, Heinrich, wenn ich sie mir denke, allein, verlassen in dem stillen Häuschen, – wer soll sie pflegen in ihrem Alter, wer ihr Haupt –«
Thränen erstickten ihre Stimme, sie legte den Kopf an seine Schulter und seufzte schwer. – Jeder Seufzer fuhr wie ein Messer durch das Herz des jungen Mannes, er kämpfte, endlich sprach er langsam und zögernd:
»Nun denn, Rose, ich weiß, Dein Herz hängt mehr an ihr, als an mir; ich weiß, sie bringt uns Unglück; kannst Du aber nicht ohne sie sein, so nimm sie in Gottes Namen mit in mein Haus, ich will sie halten, wie meine leibliche Mutter.«
Da fiel eine schwere Last von Rosen's Brust, jubelnd sprang sie auf und rief:
»Am Sonntag um acht Tage, Heinrich, laß uns Hochzeit machen.«
Jetzt rauschte es im Gebüsch, leise und ungesehen, wie die Schlange aus dem Paradies, schlüpfte es durch die Hecken; der schöne Jagdhund, der zu Heinrichs Füßen lag, spitzte die Ohren, schlug an und stürzte mit lautem Gebell dem nächtlichen Lauscher nach. Ein Schrei schlug an Rosen's Ohr, sie erschrak heftig. »Rufe den Hund!« bat sie angstvoll, und Heinrich pfiff, daß es hell durch die Stille klang.
In langen Sätzen kam Nero herbei, Heinrich besänftigte das schnaubende Thier, und ging dann mit Rosen den Fluß entlang. Am Steg standen sie noch ein Weilchen, elf Uhr schallte jetzt vom nahen Kirchthurm, Rose fröstelte, schlug die Schürze um's Haupt, flüsterte eilig: »Gute Nacht!« – und flog über den Steg, dem Dorfe zu. Heinrich aber streckte sich an dem Hügel auf den weichen Rasen, kraulte den Kopf seines treuen Hundes und dachte: Also ohne die Base kann sie nicht leben. Ich wollte mit ihr glücklich sein, gäbe es auch nichts in der Welt, als Gottes schöne Erde, und sie dazu!
*
Düster brannte die Lampe in dem traulichen Stübchen. Katharina saß am Rocken und schien zu schlafen, als Rose athemlos eintrat, doch lag auf den Wangen der Alten eine ungewöhnliche Röthe, und die Lippen zitterten so heftig, daß das Mädchen erschrocken ihre kalte Hand faßte, und sie rüttelnd in ihr Ohr rief: »Muhme – Muhme, was fehlt Ihr, ist Sie krank?«
Kathrine fuhr hoch auf, wischte sich die Augen aus und kreischte: »Ach, heilige Mutter Gottes, welch' ein Traum!«
»Sie hat geschlafen?«
»Ei freilich, man soll wohl wach bleiben, wenn die Jungfer bis Mitternacht im Mühlthal herumläuft; schlafe wohl schon eine Stunde und hatte einen bösen, bösen Traum! Ich sah Dich am Sturzbach, händeringend, mit zerrauftem Haar, sahst aus wie gestorben, und eben, als Dich die Fluth verschlang, wecktest Du mich!«
Rose schauderte; sie nestelte das Mieder auf, setzte sich auf die Ofenbank und sagte, gezwungen lächelnd: »Träume sind Schäume.«
»Ja ja,« keifte Kathrine, das Rädchen in rasche Bewegung setzend, »so sprechen alle die Sündhaften, die mit sehenden Augen zum Abgrund rennen, und nicht gemahnt sein wollen.«
Rose löste die glänzenden Flechten, sah auf die geschäftigen Fingerspitzen herab und murmelte: »Nun, der Abgrund, dem ich zurenne, ist so übel nicht; ein blühender Garten, ein wohnliches, von fruchtbaren Aeckern umgebenes Haus und drinnen ein schöner Freiersmann, mit offenem Kopf und redlichem Herzen. Ei, Muhme, hätte Ihr vor zwanzig Jahren ein solcher Abgrund gewinkt, sie wäre so gut hineingelaufen, wie ich!«
Bleich vor innerem Grimm, ließ jetzt die Alte die dürre Hand vom Rocken sinken und starrte das blühende Mädchen an.
»Also Du willst wahr und wahrhaftig einziehen in die Mühle? Du hörst nicht die Stimme der treuen Alten, die Dich gepflegt, seit sechzehn Jahren, wo Du, eine Vater- und Mutterlose, meiner Barmherzigkeit zufielst, gepflegt wie mein leibliches Kind!«
Rose warf den Strom ihrer dunklen Haare in den Nacken, schob einen Schemel zu den Füßen der Alten, hockte sich wie ein gehorsames Kind neben ihr nieder und sagte, ihre sträubende Hand streichelnd: »Denkt Sie denn, Muhme, das erkenne ich nicht im tiefsten Herzen? Da thut Sie mir schweres Unrecht! Wenn ich nicht an Ihr hinge mit Kindestreue, glaubt Sie denn, ich wäre nicht längst Heinrichs Ehefrau? Habe ich ihn nicht vertröstet von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, um Ihretwillen, weil ich weiß, daß Sie den redlichen Menschen nicht leiden mag, und – um noch nicht von Ihr gehen zu müssen. Aber, Muhme, das kann Sie doch nicht läugnen, daß Sie einen blinden Haß auf den rechtschaffenen Müller geworfen hat!«
»Ich hasse nicht, Jungfer Rose, versteht Sie? Ich hasse Keinen, als den bösen Feind, der Ihr den Müller zuführte, denn es wird Ihr Unglück, nimmt Sie ihn!«
»Ach, Muhme, nicht so, nicht so schlimm!« flehte Rose, mit Thränen in den Augen.
Die Alte blinzelte sie von der Seite an und ihr Ton wurde milder, als sie das Mädchen weinen sah, denn Kathrine liebte nichts auf der weiten Welt als Rose; sie gönnte Keinem einen guten Bissen, einen frischen Trank, einen frohen Tag, als Rosen; sich selber war sie feind, geizte sich das Brod vom Munde, Rosen zu gefallen, damit sie dereinst was Erkleckliches erbe; aber Rosen selber gönnte sie auch Keinem als sich, sie wollte von dem Mädchen gepflegt sein bis an's Ende, aber auch sie beherrschen, und herrschen überhaupt bis an's Ende; im Hause Heinrichs aber war Alles unterthan, denn Heinrich sah aus wie ein Mann, und that wie ein Mann, und das gefiel der Alten schlecht.
Nach einem kurzen Schweigen schob sie das Spinnrad zur Seite, handirte am Docht der Lampe, daß sie heller brenne, faltete dann die dürren Finger nachdenklich ineinander und sah wehmüthig auf das Mädchen herab, die, beide Hände auf ein Knie Kathrinen's gelegt, bittend zu ihr aufblickte. – Endlich sagte Rose leise, als fürchte sie die Antwort der Muhme: »Heirathen muß ich ja doch einmal, ledig mag ich nicht bleiben; es ist recht ein Elend, wenn man im Leben keinen Beschützer hat.«
»Beschützer?« lachte die Alte bitter auf. »Das Schaf braucht einen Schützer, der Stier schützt sich selbst. – 's ist nun, wie man die Sache nimmt. Ich hab's noch nicht bereut, daß ich ledig blieb, habe an den Thränen Deiner Mutter genug gesehen und an ihrem Hauskreuz! – Ha, es ist ein hübsches Ding um's Heirathen – Gott erbarm's! – Am Hochzeittag ist Freude in allen Ecken, Tanz und Braten, Liebeswonne und Festgewand! Ein Jahr darauf geht's an's Kindtaufen – was steht die arme Frau aus, bis der Tag da ist! Dann schreien die Kinder durch's Haus, der Mann läuft hinaus – die Frau pflegt mit Angst und Sorge ihre Würmer; die Gevatterinnen kommen, die schwatzen vom Mann, der lieber im Wirthshaus sitzt, als in der Werkstatt. Die Kinder mehren, die Arbeit mindert sich. Die Frau weint, grämt sich und wird häßlich, der Mann ist ihrer überdrüssig; draußen auf verbotenem Wege sucht er seine Lust, doch immer ist er rauh und finster; blüht auch draußen der Holunderstrauch, in ihren Mauern hat sie tiefen Winter! Doch das Alles trägt sich noch, sie betet und schweigt. Jetzt aber kommt nächtlicher Weile die Krankheit und fällt ihre Kindlein an mit glühender Zunge! Sie liegen im Fieber, sie recken die Arme nach Hülfe zur Mutter, die aber kann nicht fort zum Doktor im nächsten Dorf, denn der Mann sitzt beim Trunk und Spiel, sie ist allein in der einsamen Hütte! – Als er mit Morgengrauen heim kommt, ist's zu spät. Der blasse Tod hat die Würmer erlöst vom Trübsal dieser Welt; am Abend zimmert er die Truhen für sein eigen Fleisch und Bein; und als die arme Mutter mit stummen Thränen ihre Zwillinge bettet zum letzten Schlaf, als sie da liegen im weißen Hemdlein, eine Citrone in den kalten Händen, ein dürftiges Kränzchen im goldigen Haar, und als sie auf ihn hinstarren mit den schönen, gebrochenen, weit offenen Augen – da wacht ihm das Gewissen auf und schlägt ihn mit blutigen Hieben, und er läuft fort zum Mühlbach und sucht dort das Ende aller Pein. – Die Wittwe aber siecht dahin in stiller Trauer und stirbt, ihr letztes Kindlein schutz- und hilflos der Barmherzigkeit überlassend!«
Die Stimme der Alten brach in Thränen, – doch sie sträubte sich gegen die ungewohnte Regung, zwang sich zu einem schneidenden Lachen, das schaurig durch die Nacht drang, und rief: »Und doch war die Hochzeit so gar prächtig gewesen, der Freiersmann so stattlich und das Haus so wohnlich – ihr letztes Häuslein war's auch, nur ging's nicht so lustig drin her, als am Hochzeitstag.«
»Oh, oh,« stammelte Rose, das Gesicht in beide Hände drückend und schmiegte sich zitternd an Kathrine, die selbst an allen Gliedern bebte, »das ist meine Mutter, meine arme Mutter!«
»Jawohl ist sie's!« fuhr die Alte fort, und schlug ein Kreuz. »Gott tröste ihre arme Seele, und nehme sie zu sich aus dem Fegfeuer, sie hat's auf Erden schon bestanden! – Ja, sie ist's, von der ich sprach, und so könnte ich's auch haben, hätte ich nicht bei Zeiten die Augen aufgethan, und so haben's und hatten's und werden's noch Tausende haben. Denn die Mannsleute sind schlechtes Volk, sie mögen sich noch so gottselig stellen; der Böse ist ihnen so in Fleisch und Bein gewachsen, daß er aus jedem Schweißlöchelchen den Pferdefuß streckt.«
Rose war zu tief erschüttert, um lachen zu können, aber der Grimm der Alten, der tiefe Ernst, mit dem sie die letzten Worte sprach, streifte plötzlich das Grauen von ihr ab, und sie mußte unwillkürlich ihren redlichen, schönen Heinrich mit diesem Bild vergleichen, und sich bezeugen, daß in ihm gewiß der Böse nicht hause. Kathrine verstand ihr sinnendes Schweigen falsch und fuhr fort:
»Wäre Dein Bräutigam, was er sein sollte, ein tüchtiger Gewerbsmann, ein fleißiger Arbeiter, und kümmerte sich um Nichts, als um seine Mühle und sein Weib, so wollte ich schweigen, und – so schwer mir's würde – den Segen sprechen über Euren Bund; aber, er paßt nicht für Dich, und Du nicht für ihn. Ihr macht Euch nur Beide unglücklich.«
Rose horchte hoch auf und sah die Muhme mit großen Augen an.
»Ja, glotze Sie mich nur an, Jungfer, ich werde Ihr die Sache gleich begreiflich machen. – Sie ist ein hübsches, frisches, dralles Ding, wie's die Mannsleute gern leiden mögen; Sie hat aber Nichts als Ihre achtzehn Jahre und eine geschickte, arbeitsame Hand für Küche und Garten, für Scheuer und Stall. Wenn Ihr einmal das rosige Gesicht zusammenfällt, bleibt eine tüchtige Bauersfrau übrig, und das ist noch immer genug für einen Schneidmüller, wird Sie meinen! Ja wohl, Rose, da hast Du Recht, aber für den Heinrich Huber nicht; dem steht der Sinn höher hinaus, den blendet jetzt Deine runde Larve, und streift ein Jahr um's andere Dir einen Reiz um den andern ab, geht Dir's wie Deiner Mutter. – Heinrich war in der Fremde, sein schönes Geschäft genügt ihm nicht; hat er nicht tausend Veränderungen hineingebracht, hat er nicht, als sein Vater die Augen schloß, schnell die Mühle zusammengerissen, die so viele Jahre gut genug gewesen, und der er sein schönes Erbe dankt, – und hat Maschinen und Treibwerk, und Gott weiß, was für Neuerungen da hineingebaut? Und ist er denn ein Müller? Ei ja, wenn's gilt, Geld einzunehmen; ich denke aber, seine Mühle sieht ihn weniger, als der grüne Wald; mit dem Revierförster hält er Freundschaft, einen prächtigen Jagdhund läßt er vor sich hinlaufen, mit Behänge und Ruthe, wie unseres gnädigen Grafen Lieblingshund sie nicht hat, und dazu stolzirt er in der grünen Jacke, mit grauem Filzhut, die Büchse auf dem Rücken, wie ein Prinz einher, jagt Tagelang, hält sich ein Wägelchen mit prächtigem Schimmel und glänzendem Geschirr, liest Bücher und zeichnet Stundenlang! Daß sich Gott erbarme! Ist das das Treiben eines gehorsamen Bauern und Schneidmüllers? Das ganze Dorf spricht von seinem Wandel; der Hochmuthsteufel steckt in ihm, Hochmuth aber kommt vor dem Fall. Darum sollst Du nicht blind sein, sollst Dich hüten, Er ist kein Mann für Dich.«
Rose hatte schon längst den Kummer von vorhin vergessen; er hatte erst der Freude über das Bild ihres Bräutigam, dann dem Aerger Platz gemacht; ihre Wangen glühten: »Weiß Sie was, Muhme, wer über Heinrichs Wandel nicht das Beste sagt, der lügt und verleumdet, und ist schlecht,« sprudelte sie rasch hervor, und ohne sich unterbrechen zu lassen, fuhr sie fort: »Daß er sich ein Wägelchen kaufte, that er mir zu Ehren, damit er mir Sonntags, wenn die Arbeit ruht, auch eine Freude machen, mich zur Kirchweihe oder zum Jahrmarkt, oder nach Wasserburg hinunterfahren kann; dabei ist keine Hoffart. Daß er den grünen Wald und die Jagd liebt, ist kein Vergehen; ich höre auch lieber die Vöglein singen, als die Mühle klappern, und athme lieber den Duft von Linden und Tannen, als den Staub der Stampfmaschine ein. Er vernachlässigt sein Gewerbe nicht, hält streng seine Tage ein, nur einen in der Woche gönnt er sich im Wald – und ich meine, deshalb kann man ihn keinen Müssiggänger schelten; kurz, Muhme –«
»Du bist verliebt,« unterbrach endlich die Alte ihren Redestrom, »und taumelst in's Verderben, das sehe ich, Du bist verloren! Ich war so frisch und jung, wie Du, und glaubte auch an Redlichkeit, wie Du; der Förster unseres Grafen war mein Schatz, ein stattlicher Mann, gerade wie Herr Heinrich Huber, alle Mädchen neideten mir den schönen Jäger, und ich war ihm zugethan mit Leib und Leben. Zwei Tage vor der Hochzeit packten mich die Blattern, und statt auf's weiche Brautbett, sank ich auf's dornenvolle Schmerzenslager. Da ich genaß, hatte die Krankheit mein Gesicht zerrissen, und als ich zum ersten Mal wieder in die Kirche ging, verkündete der Pastor meinen schönen Schatz mit Richter's Dorothee – ich fiel um und man trug mich für todt heim – siehst Du, seit der Zeit glaube ich nur an ein Mannsbild noch, das treu ist und seine Bräute sicherlich holt, früh oder spät, der Knochenmann ist's mit der Hippe, der ruft uns alle endlich zum Kämmerlein.«
Eben schlug die Uhr im Dorf, dumpf und dröhnend klang Mitternacht durch die Stille; Rose flog entsetzt empor, Kathrine bekreuzte sich, Beide griffen nach der Lampe und Rose flüsterte:
»Die Geisterstunde – heut erschreckt mich schon zum zweiten Mal die Glocke bis in's Herz hinein, sie wimmert so dumpf, und Sie, Muhme, jagt Einem auch die Todesangst durch alle Adern mit Ihren gräulichen Geschichten. Laß Sie uns endlich zu Bette gehen, so spät waren wir seit lange nicht mehr auf; morgen, wenn die Sonne kommt, kommen Ihr auch freundlichere Gedanken, und dann wollen wir weiter davon reden.«
Die Alte nickte, ging mit der Lampe voran, und nach wenigen Minuten huschte Rose in's weite Himmelbett, zog die schwere Decke über den Kopf und flüsterte mit klappernden Zähnen: »Und stünde gleich der gräuliche Knochenmann da mit Stundenglas und Hippe, und drohte mit dem beinernen Finger, ich bliebe doch nicht ledig.«
Die Alte aber betrachtete mit giftigem Lächeln ihren linken Fuß, in welchem ein frischer Biß brannte und murmelte in sich hinein: »Sein prächtiger Hühnerhund hat scharfe Zähne, aber eine scharfe Zunge schlägt doch tiefere Wunden; das soll der Herr Heinrich noch erfahren.« – Dann suchte auch sie ihr Lager, aber sie schlief lange nicht, und überdachte Vieles, und brütete Manches aus im bösen Sinn.
*
Ist das Herz schwer von Kummer, ist es voll Freude, immer flieht der Schlaf das Auge des Leidenden, wie des Frohen. Heinrich lag noch lange am Hügel und schaute tief in die goldnen Sterne hinein und meinte, er sehe hinter den wolkenlosen Fernen ein liebes Antlitz, das ihn mit Himmelsaugen freundlich anlächle; und je tiefer er den Blick versenkte in die funkelnde Nacht, je deutlicher wurden ihm die Züge des fernen Gesichts; die Mutter glaubte er zu sehen, die sich über ihn neige wie in der frohen Kinderzeit, und ihm war, als flüstere sie mit treuen Lippen, wie einst, wenn sie ihn schlafen legte:
Bleibst Du nur immer treu und rein,
So wird auch der Schutzengel Dein
Auf allen Wegen mit Dir sein.
Und sein redliches Herz wallte hoch auf in dem süßen Leid heiliger Erinnerungen; er streckte die Arme weit hinaus nach dem reinen Firmament und betete aus voller Seele, so brünstig, wie er es lange nicht gethan; denn das Glück macht gute Menschen fromm und dankbar. Heinrich aber war ein guter Mensch und war glücklich, sollte doch Rose endlich sein Weib werden und schalten und walten in Haus und Feld, wie es einst seine fromme Mutter gethan.
Gegen Morgen erst dachte er an den Heimweg, und schlenderte fröhlichen Muthes den Fluß entlang, seiner Mühle zu, deren Klappern hell durch die Stille klang.
»Der Anton ist doch ein redliches, altes Haus,« murmelte er, nach der Mühle einlenkend, »kann nicht ruhen und rasten, will ihm doch zur guten Nacht von meinem Glück sagen.« Somit trat er in die offene Thür und rief dem Alten zu:
»Toni, was treibst Du, hast ja heute die Wache nicht, laß dem Xaver sein Amt; komm mit hinüber in's Haus, leg' Dich zur Ruh und laß Dir noch eins erzählen.«
Der Alte rückte verdrießlich die Mütze auf's rechte Ohr, fuhr den Xaver tüchtig an, weil er eingeschlafen war, und brummte etwas in sich hinein von »verliebten Narren, tollen Nachtläufern« und dergleichen, dann schickte er sich an, mit dem Herrn zu gehen. – Der aber lachte von Herzen und tröstete: »Sei zufrieden, alter Bär, mit dem Nachtlaufen ist's bald vorbei; denn habe ich einmal eine tüchtige Frau, so wird sie mir das unnütze Treiben schon legen.«
Der Alte schwieg, und sie kamen in's Haus, ohne daß er die Lippen anders als zu unverständlichem Murmeln geöffnet hatte. Heinrich kannte seine Art, und ließ ihn, erst als sie in die freundliche Wohnstube traten, rief er froh: »Anton, heute um acht Tage ist Hochzeit, und nun jubele mit mir, oder wir sind die längste Zeit Freunde gewesen.«
»Hochzeit? – Das hab ich schon oft gehört, aber den Brautzug muß ich sehen, wenn ich's glauben soll.« – Damit schlug der Alte Feuer, machte Licht und rauchte kaltblütig seine Pfeife an.
»Ich sage Dir ja, ja – es ist Hochzeit,« rief Heinrich verdrießlich, und schob seinem lechzenden Nero die Wasserschüssel hin. – »Freu' dich, Nero, bald wird die hübsche Hausfrau dich bedienen.«
»Armes Vieh!« – murmelte der Alte, den Hund mitleidig betrachtend – »die wird für was anderes zu sorgen haben, als für dich – und dein Herr auch.«
»Narr – denkst Du dem Nero wird was abgehen, wenn neue Ordnung hier in's Haus kommt?«
»Ordnung kommt herein, so?« dehnte Anton – »mit der launigen Jungfer Rose wird freilich wohl eine neue Ordnung hier einziehen, absonderlich, wenn Ihr gestattet, daß die alte Hexe fleißig zuspricht.«
»Die kommt ganz mit herein, Toni,« sprach Heinrich halb trotzig, halb verlegen, »aber ich denke sie schon im Zaum zu halten, in meinen Mauern soll sie tanzen wie ich pfeife.«
»Die Alte, die Kathrine, die kommt in's Haus,« stammelte Anton entsetzt und die Hand mit der Pfeife sank ihm vom Munde, »so weit also haben Euch die schwarzen Augen der Wetterdirne gebracht? Gott stehe Euch bei.«
Recht gern wollte sich Heinrich zum Lachen zwingen, aber es ging nicht recht. »Denkst Du, ich sei nicht Manns genug in meinem Hause Ruhe zu erhalten?« herrschte er.
»Unter zwanzig Mühlknappen, ja Herr, da seid Ihr's; aber den Weibern, und gar der Kathrine gegenüber, seid Ihr Nichts; denn die jagt Euch den Frieden auf ewig zum Haus hinaus, Ihr aber seid ein verlorner Mann, wo Euch der fehlt, Zank und Hader ist schlimmer als Mord und Todtschlag! – Wenn Ihr die Alte in die vier Mauern bringt, tragt Ihr den Marder in's Taubenhaus. Gebt Ihr, was sie will, aber laßt sie draußen. Sie mag Euch nicht und Ihr sie nicht – habt Ihr denn Eure Vernunft ganz verloren, daß Euch der heillose Gedanke kommen konnte?«
»Ich kann nicht anders, ich hab's der Rose versprochen,« entgegnete Heinrich finster, »sie ist einmal so an sie gewöhnt, kann nicht von ihr lassen.«
»Nicht? – so? – Ei so laßt sie; es giebt brave Mädels genug, die nach einem jungen, rechtschaffenen Mann wie Ihr, blinzeln, die sich glücklich schätzen würden, wenn Ihr sie anschaut, warum muß es denn gerade die sein? – Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und dem Manne anhangen, sagt die Schrift; wenn Euch die Rose liebt, so käme sie Euch gar nicht mit so unverständiger Forderung; ist ihr aber die Base lieber als Ihr, so ist sie Eurer nicht werth, drum laßt sie laufen.«
Heinrich sprang von der Bank auf und griff nach dem spanischen Rohr, das am Ofen lehnte.
»Ihr wollt mir wohl Eins versetzen, weil ich rede wie mir der Schnabel gewachsen? Meinetwegen, schlagt zu, 's ist nur billig; ich habe Euch, als Ihr ein kleiner Kerl war't, gar manchen kräftigen Puff versetzt, wenn Ihr dummes Zeug machtet, und warte noch immer auf den ersten Schlag von Euch.«
Heinrich wurde blutroth und die schwellende Stirnader sprach deutlich was er meine; nach einem kurzen Schweigen reichte er dem Alten den Stock mit dem goldnen Knopf, den er aus der Fremde gebracht hatte:
»Das Rohr, Toni, hat Dir immer so gefallen, nimm's und trag's an meinem Hochzeitstag, aber schweig, wenn Du nichts Klügeres zu Markte bringen kannst, als Du eben schwatztest.«
Der Alte nahm das Rohr, besah es sich von allen Seiten, lehnte es dann wieder in die Ecke und sagte trocken:
»Behaltet's gleich für Euren neuen Hausstand, 's ist Euch nöthiger als mir; ich brauche keinen solchen Fliegenwedel; ich kann gehen wo mir's nicht gefällt, das aber kann nicht Jeder.«
Damit ging er in den obern Stock nach seiner Kammer. Heinrich aber schlief nicht mehr, denn der anbrechende Tag schaute zwischen den Linden durchs Fenster und der alte Bursche war im Groll von ihm gegangen, das war in den 28 Jahren, die er ihn kannte, nie geschehen.
*
Gar lustig hatten die Geigen gespielt am Hochzeitstag, gar prächtig und fröhlich gings her in dem stattlichen Hause; die Mühle stand; die Knappen sprangen und sangen, die Gäste lachten und schmausten, die Braut strotzte in Frische und Gesundheit, der Bräutigam in Kraft und Mannesschöne, die Base im großblumigen Hochzeitsstaat und ihre schmalen Lippen lächelten tückisch, und Rosens Augen lachten selig und Heinrichs Herz war übervoll von Glück. – Am andern Morgen nach dem Freudentag trat die junge Frau mit blitzenden Augen vor die vollen Kasten und Truhen, welche Frau Huber ihrem Sohne nachgelassen und fand schneeweißes Leinen und Silber und Zinn, Kupfer und Glas und alles, was einer Hausfrau Herz erfreuen mag, im Ueberfluß.
Triumphirend führte sie die Base umher im neuen Eigenthum und zeigte und pries ihre Schätze und jubelte bei jedem neuen Stück Hausrath, das ihr blank und nett in die Augen fiel. – Auch die Alte jubelte und triumphirte, aber im andern Sinne als die arglos fröhliche Rose; denn sie dachte: Wie schön wird das Alles einmal sein, wenn's unser ist, unser allein.
Das erste Jahr war schnell entschwunden; in der Mühle hatte sich wenig geändert; daß Heinrich die blanken Gewehre aus der Schlafkammer auf den Boden räumen mußte, war natürlich, denn Rose hatte ein Töchterlein an der Brust und fürchtete sich so sehr, es könnte Unglück geschehen. Heinrich warf zwar einen schmerzlichen Blick auf die leeren Stellen im Glasschrank, denn seine Waffen waren seine Freude; aber was thut man nicht einer jungen Mutter zu Liebe; wollte er sich laben an dem Anblick der prächtigen Doppelbüchse, welche er einst zu Wien gekauft, so stieg er hinauf in die Dachkammer und Nero schlich ihm schüchtern nach, denn daß der große Jagdhund, der anschlug wenn sich eine Maus rührte, nicht mehr in die Stube durfte, wo die Base das Kind einwiegte, war wieder natürlich. – Heinrich liebte sein Weib, sein Kind und den Frieden, so war es denn gekommen, daß er eine liebe Gewohnheit nach der andern ablegte, ohne es selbst zu merken, daß er es zur Erhaltung des Friedens gethan.
Die Alte schaltete und waltete unumschränkt, aber so still und friedlich, daß der Herr des Hauses nichts davon merkte; er hatte sich gefürchtet vor ihrem Zanken und Keifen, aber sie zankte nicht, und wenn Heinrich in der Mühle oder im Walde war, ahnte sein redliches Herz nicht, daß die Base daheim mit Krokodillsthränen Rosen's Schicksal beweinte und der jungen Frau eine Grille nach der anderen in den Kopf setzte. Da war er ein Müßiggänger, ein Vornehmthuer, dem ein Reh lieber sei als Weib und Kind; an den Bettelstab werde er sie noch Alle bringen mit seiner Schlemmerei, denn auf der Mühle werde er betrogen, weil er sich um's Geschäft nicht kümmere und habe er sechs Stunden gejagt, so gehe er auch nicht mit trockner Kehle am Wirthshaus vorbei, da fließe denn in einer Stunde der Gewinn einer Woche in des Wirths Tasche, und was der giftigen Redensarten mehr waren. – Kam der junge Mann des Abends von der Jagd mit von der scharfen Luft gerötheten Wangen, glänzten seine Augen vor Freude, wenn er Rose sah mit dem Kindlein auf den Knieen, so flüsterte ihr Kathrine zu, indeß er Gewehr und Jagdtasche ablegte: »Siehst Du, wie er brennt gleich dem feurigen Löwen, das macht der Wein, siehst Du, wie er glotzt mit gläsernen Augen, am Waldbach hat er seinen Durst nicht gelöscht; o über die nichtsnutzigen Mannsleute.« – Und dann wischte sie die tückischen Augen und seufzte schwer; trat aber der Heinrich in die Stube und herzte seine kleine Apollonia, so that sie freundlich wie ein Fuchs und brachte ihm dies und das, was er gewohnt war, und der arglose Mann merkte den Wurm nicht, der an seinem Glücke nagte.
Lange hatte die Rose das Geschwätz der Alten mit Aerger und Galle angehört, doch sie schwieg, da sie wohl wußte, Gegenreden machten bei Kathrinen das Uebel nur ärger. Endlich gewöhnte sie sich daran, immer dasselbe zu hören, und als das zweite Jahr ihrer Ehe zu Ende ging, glaubte sie der Alten, denn sie war gut, aber schwachen Geistes, und ihre Neigung zu Heinrich verminderte sich in dem Grade, als ihn die Gewißheit seines Glückes mit heiterer Ruhe erfüllte. – In dieser Ruhe sah Rose eine Abnahme seiner Liebe für sie, weil die Alte wollte, daß sie das sehen sollte; dazu kam, daß sie sich zum andern Mal gesegneten Leibes fühlte und tausend üble Launen hatte, die sie geneigter als sonst machten, den Einflüsterungen der Base zu horchen. – Noch aber ging Alles leidlich, denn Heinrich schrieb ihre Verstimmung auf Rechnung ihres Zustandes und war voll Geduld und Nachsehen.
Da ward ihm ein Knäblein geboren, und Heinrich nahm das Kind in seine Arme, hob es zum Morgenhimmel empor und betete unter heiligen Schwüren für die Erhaltung, für das Wohl seines Weibes, seiner Kinder und die Thränen füllten seine Augen und große Tropfen fielen auf die Stirn des kleinen Neugebornen und trat mit überströmendem Herzen an Rosens Bett. Die aber sah finster und mürrisch vor sich hin und antwortete nicht auf seine herzlichen Worte.
Lange stand er so und wartete auf einen Blick von ihr, sie wich diesem Blick aus, verlangte nach dem Kinde und wandte dann das Gesicht trotzig zur Seite. – Da ging der arme Mann hinaus in den Wald und weinte sein volles Herz aus und fühlte zum ersten Mal, daß sein Weib ihn doch wohl nie recht geliebt und verstanden habe und daß es auf Erden noch ein anderes Herz für ihn geben müsse als das Ihre. – Es war ein trostloses, vernichtendes Gefühl das ihn ergriff; er streifte lange und willenlos umher, ihm war als hätte er all' sein Eigenthum, alles verloren was ihm Freude machte; er war in dem Augenblick recht arm, recht bettelarm geworden.
Daheim aber streichelte die Base die fieberheißen Wangen der Wöchnerin und brachte ihr kühlende Tränke und jammerte: »Sieh den heillosen Menschen, nun liegst Du da, matt und elend, wie ein verlöschendes Licht, und wer ist Schuld an Deinem Leid, für wen trägst Du Dein Kreuz, für ihn, und er läuft draußen seiner Lust nach, der Tagedieb, und kümmert sich wenig um Weib und Kind!«
Rose weinte bitterlich, das Knäblein weinte, die kleine Apollonia weinte, weil Niemand mit ihr spielen wollte, aber der alten Base lachte das Herz im Leibe, denn sie sah durch's Eckfenster den Müller kommen, bleich und finster, und hörte ihn nach seiner Stube gehen und den Riegel vorschieben und wußte, daß ihr Weizen im Grünen sei.
Am Tauftag des Knaben ging's wieder lustig her in der Mühle, Vettern und Muhmen kamen, aßen und tranken und schlugen die Hände über den Kopf zusammen über den Heinrich, von dessen anstößigem Wandel die Base ihnen in's Geheim nicht genug zu erzählen wußte. Heinrich beachtete die Gesichter seiner Verwandtschaft wenig, er ärgerte sich nur über den Anton, der trüb und ernst unter den Mühlknappen saß und keinen Tropfen Wein nahm.
»Höre, Anton,« sagte er endlich, den ehrlichen Alten am Arm fassend, »komm mit mir hinaus in's Freie, ich muß Dir einmal in's Gewissen reden.«
Anton stand auf und sie traten unter die Linde vor dem Hause.
»Nun sage mir, warum siehst Du seit Wochen so sauer drein, daß mir trüb zu Sinne wird, wenn ich Dich nur ansehe; warum sitzest Du heut am Freudentag da, als wär's ein Leichenmahl, das Du verzehren sollst, ich bin Dein Gesicht von Jugend auf anders gewöhnt, willst Du mir auch das Leben verbittern?«
Da stand der Anton schweigend und schaute vor sich nieder und wollte reden und konnte nicht, und endlich liefen ihm helle Tropfen über die runzeligen Backen.
»Um Gotteswillen, was fehlt Dir?«
»Gebt mir den Abschied, Herr!« brachte der Alte endlich mühsam hervor.
»Den Abschied? – Dir? – hast Du den Verstand verloren?«
»Ich will ihn behalten, darum gehe ich! Seid Ihr denn blind? Denkt Ihr nicht mehr dran, was ich Euch sagte vor der Hochzeit schon? Die alte Schlange brütet auf den Guckguckseiern, ein Küchlein nach dem andern kriecht heraus; ich will den Untergang dieses Hauses nicht mit ansehen. – Ich muß täglich, stündlich von alten Spitzbuben hören, die den Herrn um das Erworbene betrügen, ich muß dabei stehen, wenn sie ehrenrührige Reden über Euch führt, wenn sie Euer Weib hetzt, und soll zu alle dem schweigen? Gestern hat sie mich aus der Kammer gejagt, die ich seit 30 Jahren bewohne, ich soll in der Mühle schlafen, da gehöre ich hin. – Nein, es ist vorbei, ich halte es nicht länger aus; laßt mich abziehn, oder es giebt Mord und Todtschlag!«
Heinrich knirschte, aber er schwieg und ging in's Haus zurück.
Am andern Morgen, als die Knappen beim Frühmahl saßen und die Alte eben aus der Zimmerthür wollte, faßte er sie mit starker Hand, führte sie vor den Anton hin und sagte kalt, aber überlaut:
»Muhme, der alte Anton hier ist mir wie ein Vater, er ist treu wie Gold, ihm soll unter meinem Dache kein Haar gekrümmt werden, er soll in der Kammer bleiben, in der Sie heut Kartoffeln aufschütten ließ, so lange ein Stein hier mein eigen ist – versteht Sie mich? Kann Sie sich aber nicht vertragen mit den Leuten die mir etwas gelten, so sage Sie es; ihre Hütte unten im Dorf habe ich in gutem Stand erhalten, sie steht leer.«
Leichenblaß vor Wuth stand die Alte: ihre giftigen Blicke flogen wie Pfeile umher, jetzt riß sie ihren Arm los und kreischte mit zitternden Lippen: »Das sollt Ihr mir nicht zwei Mal sagen, undankbarer Schlemmer!« und schoß blitzschnell aus der Stube.
*
Als Heinrich den Nachmittag von der Mühle kam, fand er sein Weib krank, im Fieber, und in Thränen gebadet. Die Alte aber stand schon reisefertig vor dem Bette der Wöchnerin und ermahnte sie zur Geduld in ihrem Leid.
»Ach, Heinrich,« jammerte Rose, und streckte die gefalteten Hände nach ihm aus, »habe ich das um Dich verdient, daß Du mich umbringst, daß Du mir die Mutter aus dem Hause treibst, sie, auf der die ganze Last der Wirthschaft ruht, sie, die mir die unentbehrlichste Stütze geworden ist. Wer soll für mich, für's Kind, für's Gesinde sorgen, wenn ich nicht vom Bett kann? – O, ich trage ohnedem schwer genug, warum treibst Du sie fort!«
»Ich treibe sie nicht fort,« entgegnete Heinrich finster, »sie geht selbst; ich will Frieden im Hause, und kann sie mit dem nicht unter meinem Dache bleiben, so ist's ihre eigene Schuld.«
»O, sage ihr nur ein Wort,« flehte Rose in Thränen zerfließend, »sie ist alt, habe Nachsicht mit ihr; wenn sie geht, so überlebt sie's nicht lange, und dann hast Du Dein Lebelang den Vorwurf von mir.«
»Das wäre freilich schlimm« – sprach Heinrich ernst, und sein Inneres zog sich krampfhaft zusammen – »Vorwürfe, Zeitlebens. Das wäre hart.« – Damit wandte er ihr den Rücken und sagte zu Kathrine, die in giftiger Verstocktheit zur Seite stand: »Bleibe Sie da, Muhme, thue Sie's meinem Weibe zu lieb, die kann leben ohne Mann und Kind, aber nicht ohne Sie; sie trägt an ihrem Glück zu schwer, sie will die Last gerne los sein, bleibe Sie ja im Hause, Base.«
»Hörst Du die spitzen Reden?« keifte die Alte, als die Thür hinter ihm zufiel. – »Da hast Du ein rechtes Glück gemacht – Gott sei's geklagt! Aber ich will das Opfer bringen, Du armes Lamm hast eine Stütze nöthig gegen solchen Wolf; ich bleibe bei Dir, Rose.«
Und die Kathrine blieb, und Rosens herbe Laune blieb und im Hause selbst Alles wie es war, nur mit dem Unterschied, daß Kathrine keine Freundlichkeit gegen den Herrn mehr heuchelte und dieser still und ernst an ihr hinging, ohne sie zu beachten. Wurden ihm die heimlichen Neckereien des bösen Geistes im Hause zu toll, so nahm er den Stutzen von der Wand und pfiff dem treuen Nero; aber der grüne Wald mit seinen tausend Geheimnissen, die funkelnden Thautropfen, das Flüstern und Träumen in den jungen Zweigen, das Jubeln der Vögel im dunkeln Busch, nichts mehr erweckte seine Seele zum früheren Muth, sein Gemüth hatte einen Eindruck empfangen, den es nicht zu überwinden vermochte, sein innerstes Leben krankte. – So gingen Monde hin.
Eines Abends, als er heimkam von der Mühle, trat ihn der Anton an, bot ihm mit trübem Gesicht die Hand, schüttelte sie heftig, und ging dann mit gesenktem Kopf nach seiner Kammer. – Heinrich sah ihm betreten nach. »Den Alten haben die Weiber gewiß wieder geplagt bis auf's Blut,« dachte er, und seine Stirn wurde noch finsterer als sie war. Am andern Morgen, als Heinrich nach der Mühle kam, fand er die Knappen schweigend und traurig; der Oberknecht wischte sich sogar von Zeit zu Zeit eine Thräne aus dem Bart; verwundert betrachtete er die sonst so heitern Bursche: »Was ist's,« rief er den Xaver an, »hat's einmal wieder Stänkerei gegeben? Und wo steckt denn der Anton, daß er nicht Ordnung hält unter Euch?«
»Der Anton ist fort,« brummte Xaver, mit Mühe seine Thränen hinabdrückend, »ich soll Euch herzlich von ihm grüßen und Ihr solltet ihm nicht gram sein, aber er habe es nicht mehr aushalten können und bringe es nicht über's Herz, Euch Lebewohl zu sagen. Er wolle den Frieden nicht aus Eurem Hause jagen, mitansehen möge er aber auch nicht länger, was er sehen müsse, und so hat er sich zum Steinmüller in Erbach verdingt. Ihr sollt ihn nicht holen, es nütze nichts, er komme nicht mehr unter Euer Dach; und so ist denn das alte, ehrliche Haus fort!«
Heinrich war erbleicht und stand lange sprachlos; dann schlug er die Faust vor die Stirne und murmelte: »Um den also haben sie mich gebracht, mein einziger Freund ist hin.« Da schmiegte sich Nero an sein Knie und sah mit treuen Augen so klug zu ihm auf, als verstünde er des Herren Schmerzen.
»Dich habe ich noch – und wer weiß, wie lange sie dich mir lassen,« sprach er bewegt, und streichelte sanft das schöne Thier, das froh um ihn hersprang, und eben ging die Alte mit seinem jüngsten Kinde an der offenen Pforte vorbei; er sprang hinaus, nahm rasch den jubelnden Knaben von ihrem Arm und lief mit ihm am Mühlbach hinunter, hoch aufathmend, als hätte er ihn einer großen Gefahr entrissen, und das Kind schlang die Aermchen um seinen Hals und lallte und jauchzte und redete in der Sprache, die noch keine Worte hat und doch so verständlich, so unwiderstehlich ist, zum Vaterherzen; und Heinrichs schwere Brust ward leicht in Thränen, er pflückte Maßlieb und Schlingkraut und herzte sein Liebes und rief: »Wenn sie mir nur die Kindlein läßt, mag sie mich um alles Andere bringen!«
*
Zwei Jahre waren so vergangen; Rose hatte ein drittes Kind geboren, aber es kam todt zur Welt, denn innerer Unmuth und Verdruß nagten an ihr und streiften die Blüthen von Wange und Gemüth. – Heinrich sah wenig frohe Tage; bald kamen die Verwandten, aufgehetzt von der Alten, und redeten ihm zu, seine Lebensweise zu ändern, bald kränkelte sein Weib, bald die Kinder, endlich fehlte ihm der alte Anton überall und was er that, war Unrecht; er konnte kein freundliches Gesicht in seinem Hause erringen. Seine einzige Freude und Erholung war der Sonntag, den er zur Jagdzeit im Wald verbrachte, oder eine Fahrt mit den Kindern nach dem nahen Städtchen hinein; sein Weib ging nie mit, denn sie eiferte jetzt gleich der Base, gegen die Hoffahrt, sich ein Wägelchen zu halten, und sah in der Festigkeit und Ruhe, die er ihren Vorwürfen entgegensetzte, abermals nur seinen Mangel an Liebe, seine Gleichgültigkeit; er aber wollte sich ihren Launen nicht gänzlich opfern; er war sich bewußt, daß er in seinem Geschäft nichts versäume, und daß er sich dies Vergnügen, unbeschadet seiner Pflicht, erlauben könne, und that schweigend, was ihm Recht schien. – So erbitterten die Gemüther immer mehr, und die Base rückte dem Ziel immer näher, denn in Huberts Hause, wo die Geigen so lustig aufgespielt hatten am Hochzeitstage, wickelte sich einförmig und unverändert ein freud- und liebloses Leben ab.
Es war ein heller, aber kalter Novembertag, als Heinrich die Mühle verließ, um zum Mittagsbrod nach seinem Hause hinüberzugehen. – Das wohnliche, reine Gebäude stand auf einem Hügel, hundert Schritte vom Fluß entfernt, und man übersah von dort aus nach Norden eine schöne Strecke in's Land hinein, und nach Süden die Mündung des Mühlbaches in die Donau. Vor der Thür stand Heinrich einen Augenblick still und schaute in die Landschaft hinaus, auf der ein trüber Sonnenschein lag, wie der matte Liebesstrahl aus einem brechenden Auge. – Es war ihm heute besonders wehmüthig um's Herz, denn es war der Geburtstag seiner seligen Mutter, deren frommes und friedliches Walten so lange von seinem Haupte die Kümmernisse des Lebens fern gehalten hatte. – Er feierte die heilige Erinnerung stumm, und verschloß auch dieses Gefühl in sein tiefstes Herz hinein, denn drinnen im Hause war er ja unverstanden und ungeliebt, es feierte Niemand mit ihm das theure Andenken. – Als er so stand und sann, gewahrte er auf der Landstraße ein hübsches Fuhrwerk mit einem tüchtigen Rappen bespannt, das im sausenden Galopp daherschoß; er sah verwundert das halsbrechende Treiben, und merkte erst, als das Roß vom Weg ab dem Mühlbach zurannte, daß hier ein Unglück sei. Er flog den Hügel hinab, der Gegend zu, und gewahrte nun näher kommend, daß im Wagen ein Mann saß, der sich vergebens aber mit Unerschrockenheit mühte, das tolle Pferd zu zügeln, jetzt senkte es den Kopf und machte einen Seitensprung, das Fuhrwerk schlug um und der Mann flog weit hinaus in den Mühlbach; einen Augenblick lang trug ihn die dünne krachende Eisdecke, doch plötzlich war er verschwunden und die geborstene Fläche bezeichnete den Ort, wo er versank.
Heinrich schrie um Haken und Stricke, flog dem Ufer zu und riß die Mühlknappen mit sich hinab. Keiner wagte sich auf das Eis, Heinrich besann sich nicht, schlang sich einen Strick um den Leib, nahm eine Hacke und trat muthig den gefährlichen Weg an; die Knappen beschworen ihn, an Weib und Kind zu denken, er aber rief ihnen zu: »Denkt Ihr nur dran, den Strick fest zu halten, wenn ich sinke, für's andere laßt den lieben Gott sorgen.« Und siehe, das Eis trug den kräftigen Mann bis an die Stelle, wo der Unglückliche versunken war, dessen Rechte sich noch krampfhaft an der gesprungenen Decke festhielt. Doch da brach es auch unter Heinrich ein und er schrie, sich mit dem einen Arm am Strick anklammernd, mit dem andern das Eis um sich her zerschlagend: »Haltet fest, Jungens, in Gottesnamen, da ist noch Rettung – laßt nicht los, denn er hat mich an den Füßen gepackt.« Wirklich hatte der Halbbewußtlose mit letzter Anstrengung Heinrichs Bein erfaßt, und hing nun centnerschwer an seinem Retter, diesen mit hinabziehend. – Doch der Strick hielt ihn über dem Wasser, und nach unsäglicher Mühe gelang es ihm, sich an einer Stange, welche Xaver herbeigeschafft, so weit herauszuarbeiten, daß man mit ihm den erstarrten Mann an's Ufer ziehen konnte.
Da aber stand Rose, leichenbleich, rang die Hände, weinte bitterlich und fiel ihrem fast ohnmächtigen Mann um den Hals. – Heinrich vergaß Frost und Schrecken, Mühe und Noth, als er sie so sah, es ward ihm warm und wohl bis in's Herz hinein, und er drückte sie fest an sich, denn er hatte ja endlich einmal wieder ein Zeichen von Liebe empfangen. Lange war Rose nicht so freundlich gewesen als jetzt, da er sagte: »Nicht wahr, wir legen den unglücklichen Mann in die grüne Gaststube?« – Sie selbst half die Trage bereiten, und nach wenigen Minuten lag er in trocknen Kleidern auf einem weichen Bett im warmen Stübchen; die Mühlknappen liefen nach dem Doktor in's Dorf und Heinrich rieb den Bewußtlosen mit Branntwein, bis er endlich nach langem Bemühen die Augen aufschlug. – Der ehrliche Müller pries Gott und alle Heiligen, und ward fast kindisch vor Freuden. Der Fremde aber sah bald auf ihn, bald auf die geschäftige Rose und drückte beider Hände und weinte still, denn sprechen konnte er noch nicht.
Er war ein wohlgekleideter Mann von rüstigem Aussehen, mit wohlwollenden Zügen und großen redlichen Augen; er mochte ein Fünfziger sein. Um den Leib trug er ein schwere Geldkatze, auf die er deutete und die ihm Heinrich, seinen Wunsch verstehend, abschnallte.
»Euer Geld ist wohl bei uns aufgehoben, lieber Herr,« sagte er, die Geldkatze vor seine Augen in einen Schrank legend.
»Nein, nein,« stammelte der Fremde mühsam, »Euer – Euer.«
Heinrich sah ihn groß an, schloß den Schrank und schob ihm den Schlüssel unter das Kissen. »Lieber Herr,« sagte er, »Ihr seid in meinem Eigenthum, seid mein Gast und werdet mir doch wohl die Zeche nicht bezahlen wollen?«
Der Mann blickte beschämt vor sich hinaus, reichte ihm noch einmal die Hand, legte sie auf sein Herz, und sah dankend gen Himmel. »Ja, ja,« rief Heinrich froh und versöhnt, »der liebe Gott hat uns aus dem Wasser geholfen und ich will Euch wieder auf die Beine helfen.«
*
Und so war es auch; nach drei Tagen ging Herr Andreas Söding frisch und munter im Stübchen umher und wiegte die Kinder auf den Knieen, oder besprach sich herzlich und offen mit seinem Retter über die schönen Wälder in der Gegend, über den Baumschlag und das Treibholz, denn er war ein reicher Holzhändler aus dem Banat, hatte seine eigenen Triften und Forste und war heraufgekommen nach Deutschland, um eine Geschäftsreise nach Amsterdam zu machen. Auf dem Wege traf ihn das Unglück und hielt ihn fest, auch war sein hübsches Fuhrwerk zerschlagen, und sein schönes Roß, das der Donau zulief, verunglückt, und er wußte noch nicht recht, wann und wie er vom Fleck kommen sollte. – Er kannte nun Heinrichs Verhältnisse und sagte eines Tages: »Wenn Ihr mir Euer Fuhrwerk ablassen wollet, Ihr könntet fordern was immer, es geschähe mir ein großer Gefallen damit.«
Rose sah bittend zu ihm hinüber, als Herr Andreas so sprach, ihre Augen waren einmal wieder so voll Liebe, wie am Hochzeitstage, doch sagte sie nicht ein Sterbenswörtchen; die Alte aber kniff die blauen Lippen und lachte dann höhnisch: »O, wo denkt Ihr hin, Herr, der Heinrich Huber giebt Euch eher Weib und Kind, als seinen Staatswagen und seinen Prachtschimmel.« – Heinrich antwortete nicht, sondern nahm den Holzhändler am Arm, ging hinaus, ließ sein Wägelchen einspannen und fuhr mit ihm zum nahen Forst; dort ward er mit ihm handelseinig und führte dann den frohen Mann in der herrlichen Waldung umher, selbst froh und zufrieden, weil er fühlte, daß er Rosen ein Opfer gebracht habe, das sie gewiß erkennen werde, war sie doch seit langer Zeit wieder einmal lieb mit ihm gewesen. – Und als die beiden Männer nun so rüstig miteinander zwischen den schneebedeckten Bäumen, über den krachenden Boden hinschritten, als die Sonne funkelnd in Demantschimmer der kristallisirten Gezweige freundlich durch's Holz und in ihr Herz drang, da ward dem Heinrich zu Sinn wie in früherer, guter Zeit und er blieb stehen vor jeder Eiche und Buche, und seine Lust am Waldleben, seine Kenntniß des Holzbaues, sein Eindringen in die Tiefen der Natur, sprach sich hell und lebendig aus, und Herr Andreas horchte hoch auf und lauschte verwundert dem klugen Mann, und sagte endlich: »Ei, Heinrich Huber, warum folgt Ihr denn nicht Eurer innersten Natur, warum vergrabt Ihr Euer Pfund, warum überlaßt Ihr nicht Euer Handwerk einem der nichts ist als Müller, und fangt ein Geschäft an, das Euch bei Eurer Sachkenntniß zum reichen Mann machte? – Solche Leute wie Ihr seid, können wir brauchen, geht mit mir in's Banat, ich danke Euch mehr, als ich in meinem Leben abtragen kann, ich will Euch einen Weg öffnen, der –«
Heinrich schüttelte trüb den Kopf, sein froher Muth war mit einem Schlag verschwunden. »Laßt das, lieber Herr« sprach er finster, »damit ist's bei mir zu spät, mein Vater war ein Müller, die Mutter ist auf der Mühle gestorben, ich habe Weib und Kind – damit ist's nun schon vorbei und muß beim Alten bleiben; der Friede ist mein Glück, mein Leben, hätte ich nur den, ich wollte gern Müller sein, ja ich wollte selbst dem Wald für alle Zeit Valet sagen und keinen Hahn mehr spannen um ein Reh zu treffen.«
Sie gingen weiter und verloren sich schweigend im Forst, der redliche Andreas sah betrübt auf den schönen, kräftigen Mann, der so gedrückt schien, aber er ehrte sein Schweigen und sprach nicht weiter über das, was er dachte.
Als sie heimkamen und Heinrich zu Rosen sagte: »Frau, willst Du noch einmal fahren in Deiner Staatskutsche, so setze Dich schnell ein, denn morgen ist's des Herrn Andreas Fuhrwerk.« Da faßte sie dankend seine beiden Hände und konnte vor Schluchzen kein Wort hervorbringen. – Die Alte aber fuhr wie ein Pfeil vom Rocken auf, sauste wie eine Windsbraut aus der Stube und schlug die Thüre zu, daß die Fenster klirrten.
*
Herr Andreas war längst abgereist, der flüchtige Sonnenblick aus Rosens Augen verschwunden, denn die Base höhnte das arme Weib täglich wegen ihrer Schwäche und Verblendung, und so ging im Huberschen Hause alles seinen alten Weg, und der kurze Traum von einer bessern Zukunft war in Heinrichs Seele ausgeträumt. Oeder war es noch als früher, denn er hatte seinen Schimmel nicht mehr, und in der Mühle gab es auch nicht so viel Arbeit als sonst, denn im Winter ruhten die Bauten.
So war denn seine einzige Erholung an Feiertagen die Jagd; doch auch dieser wagte er sich nur selten mehr hinzugeben, denn bei der Heimkehr fand er sein Weib stets in Thränen, und suchte er sie zu besänftigen, so bekam er bittere Vorwürfe und schnöde Reden von der Base, die da meinte, ›es sei eine rechte Liebe für Weib und Kind, die den Mann fort und fort hinaustreibe dem Wilde nach, indeß daheim sich die Ratte und Maus um die Herrschaft in Ställen und Scheuern stritten.‹
»Laß die Jagd,« sagte eines Abends Rose, als er mit einem Rudel Feldhühner heim kam, »was soll ich mit den Leckerbissen, die ich mit bittern Thränen träufte – wenn's auch nur eine Grille von mir wäre, Du solltest meiner Angst Dich erbarmen und Dich für immer des abscheulichen Handwerks enthalten.«
Heinrich sah finster vor sich nieder und kraute dem Nero die Ohren, der mit klugen Augen zu ihm aufsah, als wollte er sagen: »Willst Du denn alle Deine Freuden diesen unerbittlichen Weibern hinopfern?« Wie in tiefen Gedanken murmelte endlich der Müller: »Mein armes Thier, was wird denn mit dir sein, wenn du leben sollst ohne Waldeslust und Freiheit, eingeschlossen in der dumpfigen Stubenluft, wirst du stumpf und nüchtern wie dein Herr.«
»Ich weiß wohl,« rief Rose ergrimmt, »daß Dir das böse Vieh lieber ist, als Dein eigen Fleisch und Blut, mich könntest Du leichter in Gram und Jammer sehen, als den alten Hund unter dem Ofen – so behalt denn was Dein Herz erfreut!« Laut weinend floh sie in ihre Kammer; und Heinrich saß noch lange an derselben Stelle schweigend und betrübt, bis die kleine Apollonia zu ihm kam und auf seine Knie kletterte. Lonchen war sein Liebling, das Kind hatte ein Herz für ihn, obgleich es in Gegenwart der Base nur schüchtern seine Liebkosungen erwiederte; die arme Kleine wagte dem Vater nie zu gestehen, daß sie von der Alten hart gescholten ward, wenn sie zeigte wie lieb er ihr sei; um so inniger schmiegte sie sich an sein Herz wenn die Base den Rücken wandte oder die Mutter ferne war, denn Rose weinte oft bitterlich, weil sie meinte, die Apollonia liebe den Vater und habe zu ihr kein Herz. Das gequälte Kind wußte oft nicht, was in seinem Trübsal beginnen.
»Vater,« lispelte die Kleine jetzt und streichelte ihm die eingefallene Wange, »lieber Vater, sei so gut und geh nicht mehr in den Wald, schicke den guten Nero fort, dann wird die Base nicht mehr schelten und das ganze Haus umwenden bis Du heim kommst, und die Mutter nicht mehr weinen! Der Nero hat ohnedem schlechte Tage bei uns; denn bist Du in der Mühle, so tritt ihn hier Jeder mit Füßen, wo er ist, ist er zu viel. Das treue Thier, oft wenn Du drüben bist, geben sie ihm nicht einmal zu essen, und ich muß ihm Fleisch unter der Schürze bringen, daß der arme Hund nicht hungert! – Ach, die Base mag ich gar nicht leiden.«
Heinrich hörte dem Kinde mit zornigem Staunen zu, er sagte nichts, aber sein Entschluß war gefaßt. – Am andern Tage fuhr er nach der Stadt, nahm den Hund mit sich und kehrte spät Abends allein zurück. – »Wo hast Du den Hund?« fragte Rose, als er schweigend eintrat und das Thier nicht wie sonst jubelnd an den Kindern aufsprang.
»Ich habe den Nero dem Grafen Ernst Erdödy geschenkt, den ich auf der Post traf; er reist eben nach Wien und hat mir sein Wort gegeben, das schöne Thier wohl zu halten.«
Rose ließ die Arbeit in den Schooß sinken und sah ihn mit großen Augen fragend an: »Den Nero, Deinen Liebling, Deinen steten Begleiter, hast Du weggegeben?« brachte sie zitternd hervor.
»Du meintest ja, das Thier sei mir lieber als Weib und Kind, nun wird's Dich nicht mehr stören.«
»Ach, Heinrich!« stammelte Rose, warf ihr Strickzeug weit von sich und herzte ihn und rief schluchzend: »Dein Herz ist doch gut, mag sie sagen was sie will, Du liebst mich doch.«
Und der schwer geprüfte Mann schloß sie in die Arme und weinte auch, aber aus bitterem Kummer, daß er, um eine solche Stunde zu erkaufen, jede liebgewordene Gewohnheit nach und nach opfern müsse; doch that ihm Rosens Annäherung wohl, und gern gelobte er sich, nun auch den Wald zu meiden; er räumte seine Gewehre in einen Schrank, verschloß diesen wohl, und gab den Schlüssel seinem Weibe.
Nun war Ruhe und Friede im Hause, Rose war freundlich wie seit Jahren nicht, die Base verschluckte schweigend ihren Grimm und drei Wochen lang ging alles still und friedlich.
Es war gegen Ostern zu; auf ungewöhnlich starken Frost war plötzlich Thauwetter eingetreten, der Mühlbach trat aus seinen Ufern, Heinrich saß müßig mit dem Xaver auf der Ofenbank, denn das Hochwasser hatte die Mühle beschädigt, gearbeitet konnte nicht werden, und nun besprachen die Männer dies und das, indeß die Weiber das Rädchen drehten, und die Kinder auf dem Boden sich mit der alten, schnurrenden Hauskatze herumbalgten. Der Regen goß in Strömen, und gewaltige Windstöße rüttelten von Zeit zu Zeit an den klirrenden Scheiben, so daß die Lampe auf dem Tisch alle Augenblicke zu verlöschen drohte.
»Der Herr dürfte wohl die Fenster einmal repariren lassen,« brummte die Base, indem sie verdrießlich den Docht der Lampe in die Höhe schob.
Heinrich trat zum Fenster und schob den Riegel fester vor. »Den Fenstern fehlt nichts,« sagte er, »man muß sie nur sorgfältig schließen.«
Da war's ihm, als höre er ein mattes Stöhnen vor dem Hause, er horchte hoch auf.
»Was giebt's?« fragte Rose.
Heinrich winkte ihr zu schweigen und bemühte sich, durch die zunehmende Dunkelheit einen Gegenstand zu unterscheiden, der vor der Thüre zu liegen schien; abermals stöhnte es vernehmlich, und nach einer kleinen Weile folgte ein dumpfes Winseln.
»Das ist der Nero!« schrie Heinrich und riß das Fenster auf, »Nero – hallo – Nero,« rief er in die Nacht hinaus, und ein heiseres Bellen antwortete dem Ruf.
»Der Nero – der Nero!« jubelten die Kinder.
Heinrich flog hinaus, riß die Hausthür auf, und winselnd schleppte sich das treue Thier zu seinen Füßen, leckte mit glühender Zunge seine Hand, und senkte dann den Kopf, als wolle es hier enden.
Heinrich brachte keinen Laut hervor, trug den halbtodten Hund in die Stube und legte ihn auf die Ofenbank nieder; das schöne Thier war kaum mehr kenntlich; bedeckt mit Schlamm und Gestrüpp, vom Regen triefend, mit blutigen und zerrissenen Füßen, starr vor Kälte und kaum noch athmend lag es da; von Wien herauf hatte sich der Hund den Weg gesucht zu seinem Herrn, und seine matten Blicke, die er von Zeit zu Zeit auf diesen richtete, schienen zu klagen: »Siehst Du, ich war Dir treu, Dir, der mich verstieß.« – Alle standen schweigend um das Thier her, die Kinder streichelten mit sanften Händen seinen Rücken, es war, als sagte sich Jeder das selbst, es lag etwas Heiliges in dieser Anhänglichkeit des vernunftlosen Wesens, und Heinrich schämte sich der Thräne nicht, die auf Neros Kopf herabfiel. – Die Base nur sah mit giftigen Blicken nach dem leidenden Thier hinüber, ohne sich von der Stelle zu rühren, und keifte: »Ei sieh, nun ist ja wohl Alles gut, die Bestie ist wieder da.«
Heinrich achtete der Herzlosen nicht; Rose selber brachte Wein herbei, um Neros Wunden zu waschen, man wickelte ihn in warme Tücher, bettete ihn unter den Ofen, und am andern Morgen schon kroch das Thier freudig seinem Herrn entgegen, und leckte ihm Gesicht und Hände, als sich dieser zu ihm neigte und schmeichelnd sprach: »Mein treuer Nero, nun bleibst du bei mir bis an dein Ende – nun geb ich dich nicht mehr fort.«
*
Heinrich aber sollte sich keines Besitzes ungestört erfreuen, und wäre es auch nur des eines Hundes, so hatte es die Base beschlossen im giftgeschwollenen Herzen, und als Nero anfing munter zu werden, als die Hoffnung, er werde die überstandnen Strapazen nicht überstehen, zu schwinden begann, da sah man eines Morgens die Base mit geschäftiger Hand ein leckeres Stück Fleisch für das arme Thier bereiten, das sie ihm mit grinsendem Lächeln vorsetzte. »Friß, mein Hündchen, friß« – murmelte sie, ihm die dürre Hand auf den Kopf drückend – »hast gute Zähne, wackerer Nero, trage noch eine hübsche Narbe von dir, versuch einmal, wie dir das bischen Arsenik bekommt.« – Nero verschlang gierig den duftenden Braten, und als Heinrich zu Mittag von der Mühle kam, lag das Thier da und starrte mit gläsernen Augen vor sich hinaus, hörte nicht auf die Stimme seines Herrn, und rückte sich nicht aus der Stelle. – Als sich aber Alle zu Tisch setzten, sprang der Hund plötzlich mit furchtbarem Geheul vom Boden auf, drehte sich einige Minuten wie im Kreisel um sich selbst, schleppte sich dann zu Heinrichs Füßen, und starb.
»Das Thier hat Gift!« schrie Heinrich entsetzt, und Alle sprangen auf, und Aller Augen richteten sich auf die Base. – Die aber schlürfte ruhig ihre Suppe und sagte kaltblütig: »Da hat er wohl von dem Fleisch erwischt, das ich den Ratten in den Keller legte, 's war etwas weniges Arsenik dran – warum war das Vieh so genäschig, da hat er's nun.«
»Jungfer Kathrine,« rief der Xaver, und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, wenn Sie das gethan hat, so weiß ich Eine, der ich alles Rattengift des Erdbodens in den Leib wünsche, es wäre um die weniger Schade, als um das prächtige Thier da.«
Heinrich war bleich geworden wie eine Leiche, sein Blick hing an dem gebrochenen Auge des Hundes, und flog nur zuweilen nach der Alten hinüber, in deren Zügen er die Gewißheit seines Argwohns las. – Rose sah mit gefalteten Händen vor sich nieder, sie wagte nicht ihren Mann, nicht die Base anzusehen, denn sie zitterte, in beider Gesicht die Bestätigung dessen zu lesen, was auch ihr durch's Herz schnitt. – Die Kinder kauerten am Boden und weinten bitterlich, und riefen den treuen Nero, der aber hörte nicht mehr, er hatte überstanden. – Die Mühlknechte mochten nicht essen – es war todtenstill geworden, denn Alle sahen das Ungewitter, das sich auf der Stirn des Müllers zusammenzog. – Der schwieg auch heute, wie es seine Art war; er nahm mit Xaver den Hund und trug ihn hinaus und kam nicht wieder zum Tisch.
»Base,« flüsterte Rose ihr in's Ohr, als die Knechte so schweigend da saßen, »wenn Sie das gethan hat, es wäre schändlich!«
»Ha, ha,« lachte die Alte, »das wäre ein Großes, wenn ich dem Best hingeholfen hätte. Willst Du Deinen Mann wieder jagen und herumschlenzen sehen? Leg' Trauer an und geh mit zum Begräbniß, wenn's Dich so betrübt, bestelle den Pastor und laß dem Vieh eine Leichenrede halten, dann hast Du als rechtschaffene Frau Deine Schuldigkeit gethan.«
Rose warf Messer und Gabel hin, und wollte eben aus der Thüre, als Heinrich eintrat.
»Kathrine,« donnerte er die Alte an, »schnüre Sie Ihr Bündel, in zwei Stunden komme ich heim, und finde ich Sie noch, so fliegt Sie aus dem Fenster; ich mag keine Giftmischerin um mich, mit dem Hunde fängt Sie an, der Herr ist Ihr längst zu viel, hebe Sie Sich von hinnen.«
»Das leidest Du?« schrie die Alte, kirschbraun vor Zorn, Rosen zu. Diese aber antwortete nicht, sie floh in ihre Kammer und weinte. Als Heinrich fort war, und die Alte mit beweglichen Worten Abschied nahm, und gute Saiten aufzog, ihre Unschuld betheuerte und schwur, der Nero sei ohne ihren Willen zu dem vergifteten Fleisch gekommen, da weinte sie noch mehr; denn sie sah wohl ein, daß Heinrich dies nie glauben werde, und daß dies ein unheilbarer Bruch sei. – Sie wagte auch nicht, den Abzug der Base zu verhindern, denn sie hatte auf Heinrichs bleicher Stirne zu furchtbaren Ernst gelesen, um ihm diesmal Trotz zu bieten, und so zog die Unheilstifterin denn in's Dorf hinab, mit grinsendem Lächeln, denn sie wußte wohl, daß sie ja doch Glück und Freude für immer verjagt habe, und ihrem Ziele gerade jetzt näher stehe, als jemals.
*
Heinrich sprach kein Wort zu Rosen über den Tod des Hundes, aber er schien auch ihre Thränen, die der abwesenden Base reichlich nachflossen, nicht zu bemerken. – Der Name der Alten wurde im Hause nicht genannt, und liefen die Kinder des Nachmittags nach dem Dorfe hinunter, wo sie von Kathrinen gar schmackhaft bewirthet wurden mit Obst und Kuchen, so wußte der Vater nichts, er war in der Mühle, und kam er heim, so schwiegen die Kleinen mäuschenstill, denn die thörichte Mutter hatte ihnen streng verboten, davon zu sprechen, und machte so die unschuldigen Seelen zu Heuchlern, ohne daß sie selbst es wußten. Auch sie saß heimlich Stunden lang bei Kathrinen und brachte dann die Wirkungen dieser Besuche im verbitterten Herzen heim, so daß Heinrich keine frohe Stunde mehr hatte. – Als sie aber nach mehreren Wochen anfing, dem stillen Vorwurf ihrer Thränen Worte zu geben, als sie begann, von unversöhnlichen Männern, von lieblosen Gatten und dergleichen zu sprechen, da sagte ihr der Müller ruhig:
»Rose, bemüh' Dich nicht, so lange ich unter diesem Dache wohne, zieht der Drache nicht wieder ein!« und damit war's abgethan, sie schwieg in finsterem Groll, er schwieg auch, und so rückten die Herzen mehr und mehr auseinander.
Heinrich nahm jetzt zuweilen wieder einen Stutzen zur Hand und zog auch wohl ein paar Stunden im Walde umher, aber er mochte kein Wild mehr erlegen; lief ihm ein Reh vor den Schuß, so dachte er: »Glückliches Thier, soll ich die Spanne Zeit kürzen, deren du dich so innig freust?« und die Hand sank ihm von dem gespannten Hahn, er sah dem fliehenden Thiere nach, wie es über den Rasen entschwebend sich in die blaue Ferne verlor und seufzte: »wer auch frei wäre, wie du!«
Eines Morgens trat ihn in der Mühle der Xaver an mit rothen Augen, drehte die Mütze verlegen zwischen den Fingern, öffnete drei Mal den Mund und schloß ihn wieder, ohne die Anrede finden zu können.
»Was giebt's Junge?« frug Heinrich verwundert, denn Xaver war ein harter Bursch, und Thränen in seinen Augen etwas so seltenes, daß der Müller darob erschrak. – »Herr!« – brachte Xaver endlich hervor »ich habe Euch etwas zu sagen, Ihr müßt mir aber versprechen, daß Ihr es vor Eurem Weibe geheim haltet, sonst thue ich lieber den Mund gar nicht auf.«
»Kennst Du mich als einen Schwätzer?« – sagte Heinrich finster – »rede immerhin, die Rose soll's nicht inne werden, wenn es für sie nicht taugt.«
»Ihr wißt« – sprach jetzt Xaver, sichtlich erleichtert – »die Base haßte von jeher den Anton, und wen die haßt, den mag auch Frau Rose nicht, weil nun einmal das Unglück will, daß sie blind thut, was der Kathrine gefällt!«
Heinrich seufzte tief. – Xaver fuhr fort:
»Ihr wißt, dem Anton hing stets das Herz an Euch, ob er auch ferne war, so dachte er doch immer an Euer Hauskreuz, und das nagte ihm am Leben, denn er liebt Euch wie einen Sohn, wie wir Alle Euch lieben. Da hat nun vorgestern der Teufel sein Spiel, als er im Wald einen ungeheuren Eichenklotz aufladen hilft, den der Steinmüller noch vor Nacht in die Mühle haben will, daß der eine Hebel bricht, der Klotz stürzt zurück und schlägt dem Alten beide Beine ab.«
»Um Gottes Erbarmen Willen!« schrie Heinrich. Der ehrliche Xaver konnte kaum weiter sprechen, es krampfte ihm den Halsmuskel zusammen, aber er schluckte die Thränen hinab und sagte:
»Im Waldhüterhäuschen bei Erbach liegt er, man konnte ihn nicht weiter bringen, er ist standhaft, wie er es all' sein Lebtage war, aber sein Herz verlangt nach Euch. Vor einer Stunde kam der Oberknecht vom Steinmüller und richtete mir aus, wie es ihm der Anton befohlen: Ihr solltet heimlich zu ihm kommen, ohne Eurem Weibe etwas zu sagen, er müsse mit Euch reden, sonst könne er nicht in Frieden sterben.«
Heinrich hörte fast die letzten Worte nicht mehr.
Er war schon auf dem Wege nach dem Hanse, seine Kniee zitterten, sein Bewußtsein sagte ihm: »Wäre der Anton bei dir geblieben, wo er keine der schweren Arbeiten zu verrichten hatte, so hätte ihn das Unglück nicht getroffen, das ihm vielleicht das Leben kostet, und wer hat ihn dann getödtet?«
Er kam athemlos heim, Rose war nicht da, auch die Kinder nicht, am Heerd fand er die Magd, welche das Mittagsmahl bereitete; auf seine Frage: »Wo ist mein Weib?« antwortete diese verdutzt: »Ich glaube, bei der Base.« »Die Kinder auch?« »Die nimmt sie immer mit.« »Sie geht also wohl alle Tage, wenn ich auf der Mühle bin, hinunter in's Dorf?« – »Nicht alle Tage, aber wenn das Wetter gut ist, oder wenn Ihr im Walde seid.« – »So« – sagte Heinrich gedehnt – »es ist gut; wenn sie heim kommt, kannst Du ihr sagen, zum Mittag käme ich nicht, die Leute sollten essen, ich käme vielleicht nicht vor Nacht.« – Damit ging er nach dem Wandschrank, nahm Geld heraus, packte dann Mundvorrath in die Jagdtasche, holte ein paar Flaschen alten Rheinwein, den er noch von der seligen Mutter her aufbewahrte, und trat seinen Weg an.
Die drei Stunden nach Erbach waren bald gemacht, das Hüterhäuschen lag noch eine halbe Stunde weiter hinaus. – Mit bebendem Herzen trat er in die elende Kammer, an das Schmerzenslager des armen Anton.
Der lag da, allein, mit erloschenen Augen, in denen ein matter Funke aufflammte, als Heinrich eintrat, streckte ihm die glühende, vom Fieber zitternde Hand entgegen und stammelte: »Ich wußte es wohl, Heinrich, daß Du kommen würdest.«
»Anton, um Gotteswillen – was ist's mit Dir« – schrie Heinrich, seine Manneskraft sammelnd, denn der Anblick bohrte ihm in's Herz. – »Da liegst Du in Deinen Leiden, kein Doktor, keine Hülfe, Niemand, der Dich pflegt.«
»Der Steinmüller hat mir den Lehrburschen zur Pflege und auch einen Doktor geschickt« – unterbrach ihn Anton – »ich bin nicht verlassen; aber der Hüter ist im Walde, den Burschen schickte ich nach einer Flasche Wein und den Doktor zum Teufel, und so geschieht's, daß Du mich so allein findest.«
Heinrich zog den Rheinwein hervor, goß ihm ein Glas ein, rückte sich einen Schemel zum Bett und sah mit blutendem Herzen dem Alten zu, wie er mit Entzücken das Glas ausschlürfte; seine Lippen zitterten, die Zunge hatte am Gaumen geklebt.
»Welch eine Labung« – seufzte er – »wie habe ich mich nach einem Tropfen Stärkung gesehnt, denn ich fürchtete, es werde aus sein, ehe Du kommst.«
»Rede nicht vom Tod« – rief Heinrich, – »Du bist ein starker Mann, Du kannst geheilt werden.«
»Das sagte der Doktor auch, den ich fortschickte« lächelte Anton – »ich aber meine anders. Ich bin sechs und sechszig Jahre alt, und der Mann will mir beide Beine abnehmen; nun frage ich Dich, werde ich noch weit laufen ohne Beine? Was soll ich überhaupt noch da? Ich bin einmal ein alter Mühlknapp, in meiner Jugend war ich ein lustiges Blut, und wirthschaftete mit Geld wie mit Spreu, ich sah es ja doch gleich, ich werde ewig Knecht bleiben, denn zu einer Mühle hätt's ja doch nie gereicht. – In Deinem Hause ging mir's wohl, viele Jahre lang, seit ich von Dir fort bin, freut mich ohnedem das Leben nicht, was soll ich mich nun von dem Doktor martern lassen, um als ein elender Krüppel zu betteln? da springe ich lieber mit beiden Füßen in die Grube, und thäte es gerne, wenn ich nur Dich anders zurückließe.«
Heinrich faßte seine Hand und drückte sie fest in der seinigen, und konnte nicht sprechen, denn der Alte hatte ja vollkommen Recht.
»Nimm's nicht übel, lieber Heinrich,« fuhr Anton fort, »ich heiße Dich Du, ich bin nicht mehr Dein Mühlknappe, ich bin nur noch Dein Freund; ich bin der Knecht des Steinmüllers, Du der Knecht Deines Weibes; ich kann Dir schon Du sagen. Unterbrich mich nicht, höre mich ruhig an, ich bin jetzt schmerzlos und kann sprechen, ich habe Dir nur wenig zu sagen.«
»Deine Heirath hat Dich in's Unglück gebracht, das wußte ich und sagte Dir's, denn ich kannte Dich. Du bist kein elender Pantoffelknecht, Du bist ein tüchtiger Mann, aber Dein Gemüth neigte sich von jeher zum Frieden, Du bist schwach, wo es gilt diesen zu erhalten, und darum wußte ich, daß Du mit der Rose in's Elend kämest. Es ist nun so gekommen, aus Liebe zum Frieden hast Du die Alte im Hause geduldet, aus Liebe zum Frieden alle Deine Gewohnheiten geopfert, dadurch schwand dein froher lebenskräftiger Sinn, Du empfandest es schmerzlich, daß Dein Weib Dich nahm, um Frau Müllerin zu werden, daß Du aber eigentlich die Base geheirathet hast. Du wurdest finster und starrsinnig; die Alte benutzte deine Launen, um in dem schwachen Herzen Deines Weibes auch den letzten Rest von Zuneigung zu vertilgen; sie haben Dich in der ganzen Gegend ausgeschrieen als einen bösen Menschen, der Weib und Kinder mißhandle, als einen Schlemmer und Taugenichts, der sein Geschäft vernachlässige, um seinem Vergnügen nachzugehen; Du bist schon lange Zeit verrathen und verkauft; selbst Deine Kleinen entfremden sie Dir; Deinen Leumund hat die Schlangenzunge der Alten so für immer vergiftet, und ich soll hinübergehen, und Dich an dieser Kette schleppen sehen und wissen, daß Du elend bist bis an Deiner Tage Ende, weil Du schwach genug warst, das Weib zu nehmen, das Du liebtest? – Schlage der Donner drein,« rief der Alte, die Wirkung des schnell genossenen Weines fühlend, »so soll's und darf's nicht bleiben. Du bist sechsunddreißig Jahre alt, Du bist ein schöner, kräftiger Mann, hast ein Gemüth wie das eines Kindes, und einen Kopf, der was besseres zu kommandiren versteht wie ein paar Mühlräder – und Du sollst jetzt aufhören zu leben, wo ein rechter Mann erst anfängt? Nein, beim Wetter, da möchte ich mir lieber noch heute die Beine abnehmen lassen, wenn ich wüßte, daß ich den alten Drachen damit todtschlagen dürfte, als daß ich das erlebte! Du mußt Dich von den Weibern losmachen!«
»Eine Scheidung!« fuhr Heinrich heraus, und schauderte unwillkührlich zusammen, »eine Scheidung!« wiederholte er dumpf und gedehnt, »und meine Kinder?«
»Ah was – Scheidung!« brummte Anton, » scheiden mußt Du Dich von Rosen, aber Du selbst mußt die Kraft dazu haben. Fängst Du erst an von Scheidung zu reden, da heißt es: Weshalb? Warum? Ist Rose nicht eine ehrliche Frau? Was that sie, wer kann's beweisen auf wessen Seite das Unrecht liegt? Und dann kommen die Verwandten, die Vettern und Muhmen, die Gerichte und endlich der Herr Pfarrer, und Jeder spricht zum Frieden und zur Sühnung, und die Rose, die nicht gern von der schönen Mühle und den gefüllten Truhen geht, weint und jammert, und zuletzt hetzen sie die Kinder auf Dich und richten sie ab wie die jungen Hunde, daß sie aufwarten und winseln und Pfötchen geben, denn sie haben ja schon längst lügen gelernt, und bleibst Du da, so machen sie arme Schelme daraus, denn sie müssen Tag für Tag dem eignen Vater heucheln und ihn betrügen.«
Heinrich zuckte zusammen und bedeckte die trocknen Augen mit beiden Händen.
»Zum Guckguck mit der ganzen Geschichte,« fuhr der Alte, immer heftiger werdend, fort, »mit allen den Waffen fallen sie Dich an, wenn Du von Scheidung plapperst, und ich kenne Dich, Du sagst am Ende ja, behältst das Weib, Alles geht den alten Gang und Niemand kümmert sich um Dein Elend, und keine warme Hand legt sich auf Dein Herz, das der Grimm zerfrißt, und Du schleppst fort am Kreuz, bis Du endlich aus Lebensüberdruß wirklich ein Schlemmer und Taugenichts wirst, oder als Selbstmörder endigst! Da sei lieber ein Mann, lasse ihnen den Mammon, sichere das Gut für Deine Kinder und gehe in die weite Welt, die ist groß und schön; Gott der Herr ist überall, und keine Wunde giebt's, für die er nicht Arznei hätte.«
Damit sank der Alte auf's Kissen, schloß die Augen, und eine lange Ohnmacht entzog ihm den Anblick von Heinrich's Zustand, der, im tiefsten Herzen getroffen, einer Leiche ähnlicher als einem Lebendigen, kalten Angstschweiß vor der Stirne, vor sich hinstarrte in seine gräßliche Zukunft, und lange die Schwäche nicht bemerkte, welche den Greis angewandelt hatte.
*
Es war gegen zehn Uhr Nachts, als Anton still und friedlich in Heinrich's Armen entschlummerte; sein Ende war schmerzlos, der Brand tödtete ihn und er ging ebenso gelassen ein zur Ruhe, als er sich jeden Abend zum Schlaf niedergelegt hatte. – »Auf Wiedersehn, wenn Du vernünftig bist, Heinrich!« waren seine letzten Worte; dieser schloß ihm die müden Augen, drückte dem Pastor, der ihn in den letzten Stunden getröstet, seine Börse in die Hand, bat: »Sorgen Sie für ein anständiges Leichenbegängniß!« und stürzte fort in die Nacht hinaus und flog, wie von bösen Geistern gejagt, durch Erbach der Heimath zu; die Glocken in der Nähe und Ferne summten Mitternacht, als er am Ufer des Flusses entlang nach dem Dorf hinabging, aus dessen Hütten hie und dort einzelne fahle Lichter durch die Finsterniß schimmerten, wie die Irrlichter im moorigten Sumpfe; eben ging er vor der Eiche vorüber, die vom Hügel herab gespenstig ihre Aeste in die Nacht hineinbreitete – es war derselbe Hügel, auf dem er vor acht Jahren mit stiller Seligkeit Rosens Einwilligung empfangen hatte. Ein tiefes Weh zuckte durch seine Seele, er mußte schneller vorwärts, die Erinnerung an das was war und das Gefühl dessen, wie es sich nun gestaltet, krallte ihm die Brust eisig zusammen und erst am Steg stand er still, wie damals, faßte das Geländer, um sich vor sich selbst zu schützen und hielt sich fest, denn es wollte ihn die Lust übermannen, es im kalten Bett da unten zu versuchen, das unwillig tosend unter ihm hinstürzte. – Unwillkührlich wandte sich sein Auge noch einmal nach der einst so lieben Stelle – da war es ihm, als schwebe ein weißer, durchsichtiger Schatten von der Eiche den Hügel herab, und der Schatten senkte sich auf den Strom und der Strom führte ihn auf seinen Fluthen nach dem Steg herab, Heinrich schaute fester hin, als müsse er Sehkraft gewinnen um die Nacht zu durchdringen, und jetzt war ihm, als zöge ein bleiches Antlitz unter ihm weg und es waren Rosens Züge, wie sie gewesen, in der Zeit seiner Liebe. – Er schrie auf und stürzte fort, entsetzt vor dem Spuk seiner Phantasie, ihm war, als folge ihm das Phantom und schneller und schneller wurde sein Lauf, bis er endlich auf der Bank eines Hauses niederfiel, das er erst nach einigen Minuten für die Dorfschenke erkannte. – Seine Brust flog, seine Glieder bebten, er sank mit dem Rücken an die Mauer, unfähig sich vom Fleck zu bewegen.
Da hörte er Stimmen hinter sich, bekannte Stimmen und aus dem halb offnen Fenster zu seiner Rechten drang deutlich jedes Wort in sein erstarrtes Herz.
»Marsch, fort, Gevatter Stephan,« schrie die Wirthin, »und er auch, Rüger, er sollte klüger sein; es ist schon lange Mitternacht vorbei und ihr sitzt noch und zecht und bringt mein ehrliches Haus in Verruf! Was werden Eure Weiber sagen; am Ende heißt es, ihr seid alle solche Schlemmer und Taugenichtse, wie der Schneidemüller. Gott sei dem armen Weibe gnädig, die hat auch ihr tüchtiges Kreuz zu schleppen!«
»Ach was,« unterbrach sie der Wirth, »mache nicht solchen Weltspecktakel davon, die Weiber sind immer der fehlige Theil!«
»Wir, Gott sei's geklagt! wir sind die Gequälten, weil wir leben! Hast Du gehört, was er alles thut, der Bösewicht? Der elende Mensch, erst hat er die Frau mißhandelt, Jahre lang hat sie's getragen, weiß es nicht das ganze Dorf? Pferde und Hunde, Jagd und Müssiggang war von jeher seine Freude, aus Weib und Kind und Mühle machte er sich so viel, als Du Dir aus einer leeren Weinflasche! Nun hat er endlich die arme, alte Base aus dem Haus geworfen, weil ihm ein Hund krepirte, eine bissige Bestie; er behauptete, die arme Kathrine habe dem Vieh Gift beigebracht und kein anderer Mensch that es, als er selbst, um einen Vorwand zu finden, die Alte los zu werden! So lange die im Hause war, mußte er sich noch Zaum und Zügel anlegen, jetzt aber kann's die unglückliche Rose gar nicht mehr aushalten! Heute früh ging er vom Hause fort, nahm einen ganzen Sack voll Geld und alten Rheinwein mit und hat sich bis zu dieser Stunde nicht mehr sehen lassen; vorhin kam die Müllerin hier vorbei mit ihren armen Würmern! Sie jammerte, daß es einen Stein erbarmen mußte, gewiß hat er irgendwo eine Liebste in der Gegend, der er alles zuschleppt; er bleibt ja Tagelang vom Hause fern, da ist Alles möglich!«
»Was machte die Rose denn aber hier in später Nacht?« fragte der Wirth.
»Sie ging zur Base hinüber mit den Kindern, sie sagt: wenn der Bösewicht heim kommt, soll er wenigstens alles leer finden, und wo gäbe es auch Trost für mich, als bei der Base! Es ist eine arme Kreuzträgerin, Gott stärke sie und helfe ihr von ihrem Leid! Und nun fort, ihr Herren, geht, daß es nicht heißt, ihr seid wie der Schneidemüller.«
Heinrich hatte genug gehört, er raffte sich auf und floh seinem einsamen Hause zu; die Wirthin hatte Recht, alles war leer; die schlaftrunkene Magd berichtete ihm: »die Frau habe auf ihn gewartet bis elf Uhr, sie hätte nun gedacht, er käme gar nicht mehr, da sei die Base vom Dorf gekommen und sie sei mit ihr gegangen, weil sie sich fürchte in dem Haus allein zu sein.«
Heinrich ging nach seiner Kammer mit zitternden Knieen und klappernden Zähnen. »Sei ein Mann!« tönte es noch in seinen Ohren, »Gott ist überall!« und nach zwei fürchterlichen Stunden, die er durchkämpfte, beschrieb er ein Blättchen Papier und legte es auf seinen Tisch. Dann schnürte er ein kleines Bündelchen, theilte seine ganze Baarschaft, nahm die Hälfte für sich, lud seinen Stutzen und ging festen Schrittes durch das stille Haus in die grauende Dämmerung hinaus. Sein Auge war trocken, seine Stirn brannte, der Arm hielt konvulsivisch den Stutzen fest, der über seinem Rücken hing; sein Blick wandte sich nicht nach dem theuern Vaterhaus zurück, der Kopf kehrte sich nicht zur Rechten, von wo das Klappern der Mühle mit liebgewordenen Lauten an sein Ohr schlug; seine Seele war untergegangen in dem wogenden Meere eines unaussprechlichen Schmerzes; sein Auge wandte sich nur nach innen, die Außenwelt übte keine Gewalt mehr auf dies zerrissene Gemüth. Er war geboren in diesem schönen Eigenthum friedlich und beglückt zu leben, er besaß die Kraft nicht ein anderes Dasein zu tragen, noch sich es zu schaffen.
Unaufhaltsam schritt er vorwärts, unbemerkt, denn tiefe Stille deckte die Gegend ringsum und der graue Nebelstreif am Horizont, der den anbrechenden Tag verkündete, erhellte kaum den wohlbekannten Pfad, den er nicht mehr zurückmessen sollte.
Am Häuschen der Base stand er still, sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, hier waren sie, die Kinder, das einzige Band, das die Erde noch um ihn schlang, das er vergebens zu zerreißen strebte. – Zweimal umging er die Hütte, die Pforte war sorgfältig geschlossen; schon verzagte er, da gewahrte er, daß das Küchenfenster offen stehe. Mühsam zwängte er sich hindurch, horchend ging er von Thür zu Thür, Todtenstille und Nacht lag auf der engen Hausflur. Die Kammer der Base kannte er wohl, er wollte vorüberschleichen, doch ein lieber wohlbekannter Ton schlug an sein Ohr, Rose war's, die in der Kammer sprach und seine Seele erlag für einen Augenblick der vollen Macht der Erinnerung. Rose zerstörte den Zauber bald, denn was sie sprach, strafte den Ton Lüge: »O Base, warum hörte ich nicht auf Sie,« jammerte die Bethörte, »Sie sagte mir schon längst wie alles kommen werde! Freilich wohl konnte ich nicht die rechte Liebe zu ihm haben, hatte er sie denn zu mir? Nun zeigt er sich ganz wie er ist und mein eigentliches Elend fängt erst an, da ich doch meinte, ich sei schon unglücklich genug! Möchte er doch laufen wohin er wollte, was kümmert's mich, aber daß er mich am Ende noch um das sauer Erworbene bringt, das ich mit so viel Kreuz und Leid erkaufen mußte, das ist das Aergste!«
»So gehe nicht mehr zu ihm zurück,« keifte die Alte, »zeige ihm einmal, daß Du Deine Rechte kennst! Schäme Dich in Deine Seele, daß Du die Hand noch küssest die Dich schlägt. Er muß Dir und den Kindern ja geben, was Euch nöthig und die Mühle wollen wir ihm bald abprozessiren, dafür laß nur mich sorgen!«
Rose schwieg und es klang als ob sie weine, endlich sagte sie nur allzulaut: »Ach Gott, ich bin ein unglückliches Weib, möchte mich doch der Herr von meinem Hauskreuz erlösen, er allein kann mir helfen.«
Eiskalt lief's durch Heinrich's Adern; er ging rasch vorwärts, die Kinder mußten in der großen Stube schlafen – er öffnete sie leise. Eine Lampe erhellte matt den reinlichen Raum; in einem großen Himmelbett schliefen die Kleinen, der Knabe lag an der Wand, Apollonia hatte das blühende Gesichtchen dem Lichte zugekehrt und schien im Gebet, beide Händchen über die Brust gefaltet, entschlummert.
Der arme Heinrich stand da, ein Bild trostloser Verzweiflung, sein Haupt neigte sich über das schlafende Mädchen, das immer sein Liebling gewesen war. Seine brennenden Augen fingen an sich zu benetzen, endlich fiel eine glühende Thräne auf die reine Stirn des Kindes. Apollonia zuckte zusammen, öffnete die Augen und sah, ohne zu erschrecken, als hätte sie seine Nähe geahnt, zu dem Vater empor; er faßte sie in seine Arme, hob sie empor, setzte sie auf das Fußende des Bettes und drückte das liebe Kind fest an sein brechendes Herz; die starre Rinde war gelöst, er weinte mild und leicht, und hielt sie fest und überströmte sie mit Küssen und Thränen. – Lonchen weinte bitterlich, und streichelte seine bleichen Wangen und erwiederte seine Liebkosungen, aber sie schwieg, denn die Kammer der Mutter war nahe und ihr Instinkt warnte sie, diese zu rufen.
Nach einem minutenlangen Schweigen sprach Heinrich leise und bebend: »Apollonia, ich gehe auf eine weite Reise, von welcher ich nie wiederkehre; ich kann nicht sagen, ob es mir gut, ob es mir schlecht gehen werde, Gott ist überall! Willlst Du mit mir, mein Kind, oder willst Du bei der Mutter bleiben?«
Das Mädchen sah ihn mit großen, klaren Kindesaugen an, besann sich eine Weile und flüsterte dann: »Wenn aber die Mutter stirbt, Vater?«
Heinrich schob sie von seinen Knieen, legte sie sanft wieder in's Bett zurück und sagte, sie heiß küssend: »Du bleibst bei der Mutter! Sei brav, werde sanft und fromm, Deine Mutter wird es jetzt auch werden! Wenn Du groß sein wirst und ein rechtlicher Mann will Dich freien, so prüfe Dich, und liebst Du irgend etwas in der Welt mehr als ihn, so sei redlich und weise ihn ab, damit Euch nicht Beide der Fluch treffe, der mich jetzt in die Welt jagt. Gedenke dieser Worte, es sind die letzten, die Du von Deinem Vater hörst.«
Darauf segnete er beide Kinder, küßte auch den schlummernden Knaben, und riß sich von Apollonia los, die in kindischer Angst die Hände fest um seinen Nacken schlang; dann stürzte er hinaus in den nebligen Morgen, warf sich nieder zur Erde, drückte das heiße Gesicht in's thauigte Gras und sandte ein brünstiges Gebet zum Herrn der Welten. – Drauf faßte er den Wanderstab mit fester Hand und eilte rüstig vorwärts in die dunkle Ferne hinein.
*
Kaum war die Sonne aufgegangen, so klopfte eine kräftige Hand an Kathrinen's Kammer, die Alte fuhr zornig in die Höhe, denn sie war kaum erst recht eingeschlafen und Rose wischte sich erschreckt die trüben Augen aus, denn die Ahnung eines schweren Unglücks ergriff sie plötzlich. – Die Magd von der Mühle trat athemlos ein, erzählte, daß der Herr in der Nacht gekommen sei, aber so bleich und verstört, daß sie ihm gerne aus dem Wege, in ihre Kammer ging. Als sie aber vorhin in die Stube getreten, habe sie sein Bett unberührt, ihn aber im ganzen Haus und in der Mühle nicht gefunden. Da sei ihr der Gedanke aufgestiegen, er komme wohl gar nicht mehr, denn auf seinem Tische liege ein beschriebenes Blatt, das sie jedoch nicht lesen könne. Sie zog es zögernd hervor, und an ihrem Gesicht sah man, sie habe es gelesen. Rose faßte danach, blickte hin, fuhr mit der Hand über die Augen und sagte: »Base, lese sie, ich sehe keinen Buchstaben.« Diese ergriff es in hastiger Freude und las:
»Wir thun nicht mehr gut neben einander, Rose, Du hast mich nicht geliebt, und die rechte Treue ist nie in Deine Brust gekommen, ich will uns Beiden den Frieden geben; lebe wohl, wenn Dein Bewußtsein Dich wohl leben läßt! Du wardst das Werkzeug eines bösen Weibes, um Dein und mein Glück zu vernichten.
Der Herr lehre Dich nun auch tragen, was Du Dir selber auferlegt – er lehre Dich's tragen um Deiner Kinder Willen, denn das Leben ist lang und finster, wenn die wahre Liebe fehlt. Ich verzeihe Dir, Rose, verzeihe auch mir, und halte die Kinder gut, sie sind ja schuldlos.
Heinrich Huber.«
Kaum vermochte die Alte die Freude zu verbergen, die aus ihren Augen blitzte; Rose aber saß da, bleich und kalt, wie eine Leiche, und faltete die zitternden Hände, und brachte kein Wort heraus; zum ersten Mal erkannte sie ihren bösen Geist, der sie aus dem Lächeln der Alten angrinste, und schaudernd kehrte sie den erloschenen Blick nach innen.
Da schmiegte sich Lonchen, die still herbeigeschlichen war, weinend an ihre Knie und jammerte: »Ach ja, der Vater ist fort, weit fort, und kommt nicht wieder, er hat es mir gesagt, als er in dieser Nacht bei mir war.«
Nun erzählte das Kind Alles, Wort für Wort, was Heinrich gesprochen, und wie bitterlich er geweint habe, als er von ihr ging; da brachen endlich auch Rosen's Thränen hervor, und je gewaltsamer sie dagegen gekämpft hatte, je heißer und unaufhaltsamer strömten sie nun.
»Das fehlte noch,« schrie Kathrine ergrimmt, »ich glaube gar, sie jammert dem elenden Menschen noch nach, der Weib und Kind schmählich verläßt und in die weite Welt läuft!«
»Ach,« stammelte Rose, »weiß Sie denn auch, Base, ob er nicht Hand an sich selber legte, ob er nicht im einsamen Wald geendet hat, ob ihn nicht der Mühlbach –«
»Nun,« sprach die Alte gelassen, »dann sei ihm der Herr gnädig, er war von je nicht viel werth, sollte mich nicht wundern, wenn er sich auch zuletzt noch um ein ehrliches Grab brächte! Komm nun zur Mühle, und sieh' zu, ob er Dich und deine Kinder nicht als Bettler hinterläßt, das muß jetzt unsere erste Sorge sein, über den Landläufer werden wir ja wohl zeitig genug Kundschaft erhalten.«
Rose that willenlos, was die Base befahl, denn sie hatte zu ihrem eigenen Verderben nie einen andern Willen, als den Kathrinen's, gehabt. Man zog nach der Mühle, fand Alles in Ordnung, Kisten und Truhen gefüllt, wie immer, auch die Hälfte der Baarschaft, die Heinrich redlich getheilt hatte. Die Alte nahm Besitz von seiner Kammer, schaltete und waltete, wie die Frau vom Hause, und man sah es ihr an, wie behaglich und wohl ihr zu Muthe sei. Rose ließ im stumpfen Schweigen Alles geschehen. Alle Nachforschungen nach Heinrich waren vergebens, er war und blieb verschwunden, und Rose wußte nicht, sollte sie wünschen, er habe sein Grab in den Fluthen der Donau gesucht, oder hoffen, daß er heimathlos und allein in der Welt umherziehe.
Je länger sie ihn entbehrte, je schmerzlicher fühlte sie seinen Verlust; und wie das Menschenherz nun einmal so wunderbar geschaffen ist, daß es ein Gut nicht eher zu schätzen weiß, bis es dasselbe verliert, so wachte, ehe sie sich's versah, die alte Liebe zu Heinrich in ihr wieder auf, oder vielmehr, es erwuchs eine neue, nie gefühlte, aus den Reuethränen, die sie allnächtlich vergoß, und ward ihr zur glühenden Geißel, unter deren Martern sie die Strafe für die elende Schwäche fand, durch die sie sich an ihm, an den Kindern und an sich selbst so schwer versündigt hatte. Mehr und mehr empfand sie die Hand des Herrn, welche sich rächend auf ihr schuldiges Haupt legte. Heinrich fehlte überall, im Hause und in der Mühle ging Alles verkehrt, was sie unternahm, mißlang, der Segen war von diesem Dach gewichen; trotz der Strenge und rastlosen Thätigkeit Kathrinen's vermochte sie nicht, die Mühlknappen noch das Gesinde in Ordnung und zur Arbeit zu halten.
Xaver hatte schon nach des Müllers plötzlicher Entfernung den Dienst gekündigt, die meisten Knechte folgten seinem Beispiel, neue, fremde Leute kamen zur Mühle, die Weiber wurden betrogen, hintergangen, und sahen, wußten es, konnten sich aber selbst weder Hülfe noch Rath verschaffen. Ein Knappe um den Andern wanderte, einer um den Andern kam, aber immer war's nichts Besseres was folgte.
Eine Zeitlang genoß die Alte die vollen Früchte ihres heillosen Planes. Sie war Herr, sie hatte für sich und Rosen das stattliche Eigenthum errungen, die Nachbarschaft beklagte die unglückliche Rose um ihres liederlichen Mannes Willen, und pries sie glücklich, an Kathrinen eine so feste Stütze zu haben; der verhaßte Müller war ihr aus den Augen für immer, Rosens Traurigkeit werde auch nicht lange dauern, so meinte sie, kurz, ihr Ziel sei erreicht, und sie setzte sich recht breit in ihrer neuen Herrschaft zurecht. – Es war aber noch kein volles Jahr vergangen, da fing sie an, zu merken, daß doch noch nicht Alles gehen dürfte, wie sie es verhofft. Viele Stimmen in der Umgegend wurden laut; die Mühlknappen hatten gar Mancherlei erzählt, wie man den braven Mann so lange gezwickt, gekniffen und gestachelt habe, bis es endlich dahin gekommen, wo es jetzt sei.
Mit bittern Vorwürfen überhäufte der Schwager Heinrich's, der aus der Gegend von Freimann kam, wo er ein Gütchen besaß, Rosen; er wollte ihr die Kinder wegnehmen und die Base aus dem Hause treiben; auch die anderen Verwandten, die früher das schwache Weib gegen den Mann aufhetzen halfen, verklagten sie jetzt wo sie im Unglück war; daß sie sich doch wohl ihr Kreuz selbst aufgeladen habe, – mit Mühe nur entriß sie sich alle dem Drängen und Treiben, und hielt das Ansehen der Base aufrecht; aber im Innersten fühlte sie, daß sie Alle Recht hatten, und daß sie eine verlorene Frau sei.
Trotz dem wüthenden Sträuben der Alten erschienen Aufforderungen von Rosen an den Entflohenen in allen Blättern; er sollte zur Heimath zurückkehren, die Verhältnisse hätten sich geändert, er sollte keine Klage mehr haben, er möge nur zu seinem Weibe und zu seinen verwaisten Kindern heimkommen. – Aber Alles blieb stumm und todt, Heinrich war verschwunden und blieb es.
Da begann Rose, die schon lange weder Freude noch Leid zeigte, mehr und mehr zu verfallen; sie sprach nicht, sie klagte und weinte nicht, aber Kathrine hatte die Qual, das einzige Geschöpf auf Erden, das ihrem vertrockneten Herzen theuer war, langsam hinsterben zu sehen.
Rose war niemals bös von Gemüth; sie war nur schwachen Geistes und eitlen Sinnes, und ihr Herz war der rechten Liebe nicht fähig. – Ohne die Drachenzähne, welche Kathrine zwischen ihr Glück säete, wäre sie ruhig an Heinrich's Seite durch's Leben gegangen, wenn auch nicht ihn hochbeglückend, doch ohne sein Dasein und das eigene zu vergiften, wie eben Tausend und Tausende leben, die, wenn sie das Haupt auf's Sterbekissen legen, sich dankbar die Hand drückend, dankbar dafür, daß sie einander nicht unglücklich gemacht haben. – Heinrich war zu schlichten Sinnes, er schmeichelte dem jungen, eitlen Weibe nicht, er überließ sie, im Vertrauen auf ihr Herz, ohne sie geprüft zu haben, zu leichtsinnig den bösen Einflüsterungen der Base, und als er diese an ihren Wirkungen erkannte, fehlte ihm, aus Liebe und Bedürfniß des Friedens, die Kraft, dem Uebel mit starker Hand zu steuern, und so wurden Beide elend, Einer durch die Schuld des Andern, und so geht es nur allzu oft im Leben.
Fast zwei Jahre waren seit Heinrich's Flucht entschwunden; es war eine lange, lange Zeit für die harrende Rose, die mit sich und dem Dasein zerfallen, noch immer gehofft hatte, er kehre wieder.
Zwischen den Frauen war schon seit lange ein finsteres, peinliches Verhältniß; Kathrinens Macht über Rosen war gebrochen, und mit dieser ihr Herz, denn Rose wandte sich mit sichtlichem Abscheu von ihr, floh die Stube, in der die Alte waltete, und saß Stundenlang in Regen und Schnee auf dem Hügel unter der Eiche, am Fluß, ohne, wenn sie heim kam, irgend ein Wort auf die Klagen der Base zu erwidern.
Eines Abends – es war gegen Johanni – saß Rose auch dort oben und starrte vor sich hin, ohne zu gewahren, daß Kathrine schon lange neben ihr stand mit sorgenschwerem Herzen, ihre eingefallenen Wangen betrachtend.
Plötzlich hob Rose den Kopf, fuhr mit der Hand über die Stirn und murmelte in sich hinein: »Ja, ich thue mir ein Leid, ich mag nicht mehr da bleiben!« – Damit sprang sie auf und wollte hinweg; Kathrine aber warf sich vor ihr nieder und rang die Hände und schrie verzweifelnd: »Rose, um aller Barmherzigkeit Willen, Du wirst doch nicht Hand an Dich selbst legen wollen? Undankbares Kind, habe ich das um Dich verdient?«
Eine glühende Röthe lagerte sich auf Rosen's Wangen, mit einem Blick voll Jammer hob sie die gefalteten Hände auf und betete: »Lieber Herr Gott, laß diese da nicht treffen, was sie um mich verdient, denn Deine Hand müßte schwer auf sie fallen.« Und nun öffneten sich alle Schleusen dieses so lang eingeschlossenen Gefühls, bittere Vorwürfe, schreckliche Anklagen, rissen sich vom Munde des unglücklichen Weibes, ihre Rede war so schnell und kräftig, daß die erstaunte Alte keine Antwort, keinen Widerspruch wagte. Sie zählte ihr her Tag und Stunde, wo sie langsam ihr Glück zerstört, ihre Liebe zu Heinrich untergraben, ihm Dinge angelogen habe, an die er nie dachte; sie wußte jetzt auch, warum er an jenem Unglückstag, wo er nicht heim kam, von ihr gegangen, sie schrie, händeringend: »Hätte Sie mich nicht mit Gewalt aus der Mühle geschleppt, so hätte der arme Mann Weib und Kind daheim gefunden, und der böse Feind würde nicht Macht bekommen haben über sein redliches Gemüth. Sie hat uns trennen wollen, damit Ihr Keiner was einrede, damit ich Niemandem mehr gehöre auf der Welt als Ihr. Sieht Sie, Base, was für ein elendes Weib Sie aus mir gemacht, Sie kann es vor Gottes Thron nicht verantworten, was Sie that an uns, und Sie soll auch keine Früchte davon haben, denn jetzt weiß ich es erst, daß ich den Heinrich stets mehr geliebt habe, als Alles auf der Welt, daß ich nicht leben mag ohne ihn, und daß ich Sie hasse und verwünsche bis zu meinem letzten Athemzuge!«
Damit stürzte sie, den Hügel hinunter und flog den Weg zur Mühle zu; die Alte aber wälzte sich, laut heulend, auf dem Boden und raufte das Haar, und verfluchte sich und die Undankbare, für die sie allein bis jetzt gelebt habe? ihr Spiel war verloren, denn Rosen's Haß, das sah sie nun, war allein das Theil, das sie gewonnen hatte für immer.
Beim Abendessen fanden sich die Frauen wieder zusammen, Rose sprach nicht und aß nicht, sah Niemand an, selbst die Kinder nicht, und ging, ohne ein Zeichen zu geben, nach ihrer Kammer. – Die Alte brachte, wie gewöhnlich, die Kinder zu Bette, und als Apollonia an der Kammer der Mutter vorbeiging, fiel's dem Kinde schwer auf's Herz, daß sie ihr nicht gute Nacht gesagt hatte. Sie stand still an der Thür, klopfte leise und flüsterte: »Gute Nacht, Mutter.« Da riß Rose die Thür auf, drückte die Kinder stumm in die Arme, legte den glühenden Kopf auf ihre Stirnen und stammelte nach einem langen Schweigen, wie sie jeden Abend zu thun pflegte: »Gelobt sei Jesus Christus!«
»In alle Ewigkeit,« betete Lonchen, fromm die Hände faltend.
»Amen,« kreischte Rose laut auf und die Thür fiel hinter ihr zu.
Es war fünf Uhr Morgens, als Kathrine mit verstörtem Gesicht, athemlos in die Kammer der Kinder trat. »Ist Rose hier?« schrie sie Apollonia an, die erschrocken empor fuhr.
»Nein, ich weiß nicht!« stammelte das Kind schlaftrunken.
»So hat sie sich Leides gethan!« heulte die Alte und stürzte fort, den Mühlbach entlang, und sah am Hügel, wo die Eiche stand, Rosen's Tuch liegen, und am Steg im Wasser hing ihre geblümte Schürze an einem Weidenstrauch; die Haare raufend, rannte sie fort den Bach entlang, bis dort, wo er sich in die Donau stürzt. Ihre grauen Haare flatterten gespenstig um sie her in der scharfen Morgenluft, ihre Augen traten suchend fast aus den Höhlen, ihrer keuchenden Brust fehlte der Athem, und doch kreischte sie fort und fort: » Das ist die Hand des Herrn, ach, sie ist schwer, ist schwer!« – Und als sie jetzt an die Stelle kam, wo die Flöße in dem breiten Strom liegen, war es ihr, als sähe sie am letzten derselben etwas Dunkles auftauchen und wieder sinken; sie sprang vom Ufer hinab, lief über die Balken weg, schrie: »Rose – Rose – Gott wird sich erbarmen!« – trat fehl und stürzte zwischen zwei getrennten Flößen hinab in die Donau, die hoch über ihr zusammen schlug.
Am Abend brachte man die Leiche in's Haus, und erst nach zwölf Tagen warfen die Wellen Rosen's schon fast unkenntlich gewordenen Körper, acht Stunden stromabwärts, an's Land.
Glaubst Du nun, mein lieber Leser, ich habe Dir hier eine erfundene Geschichte erzählt, und derlei finstere Bilder gestalten sich nur in der Seele des Dichters und entstammen dem Reich der Phantasie, nicht aber dem hellen Leben; so bist Du in einem wohlthuenden Irrthum, den ich zerstören muß, weil Wahrheit immer ernster zum Herzen spricht, und weil die hier gegebene Wahrheit wohl Manchem beherzigenswerth erscheinen möchte. – Was Du gelesen, ist eine wirkliche Begebenheit, Apollonia lebt noch, sowie ihr Bruder.
Bei einem Landaufenthalt unweit Münchens war es, wo ich, Erhohlung von schwerer Krankheit suchend, in dem stattlichen Dorf-Wirthshaus, das mich gastlich aufgenommen hatte, eine Frau fand, die schon nach wenig Tagen mein ganzes Interesse in Anspruch nahm; es war die noch ziemlich junge Wirthin, deren ernstes, intelligentes Gesicht, die dunkeln, melancholischen Augen, die ruhige Sicherheit, mit welcher sie an der Spitze des großen Hausstandes waltete, und die zarte Sorgfalt, die sie mir zuwendete, meine Aufmerksamkeit bald ausschließlich beschäftigte. Ihr taktvolles Benehmen die bescheidene Schweigsamkeit ihren Gästen aus der Stadt gegenüber – die jeden Sonntag das Haus förmlich belagerten, ihre unermüdete Sorge für Mann und Kinder, ihr ganzes Wesen, das sie über die bäuerliche Umgebung sichtlich erhob, gewannen ihr nach und nach meine volle Sympathie. Stundenlang saß ich des Abends bei ihr unter dem alten Nußbaum vor der Thüre, und lauschte ihrer vernünftigen und anregenden Rede; die Unterhaltung mit ihr ward mir ein Bedürfniß, eine wahre Erholung, das schien sie zu fühlen, und so errang ich nach und nach Frau Apollonia's Vertrauen, mit welchem sie gewöhnlich nicht freigebig war.
Eines Abends fand ich sie schweigsam und ungewöhnlich trübe, – ich fragte sie, ›ob sie ein Unfall getroffen, ob sie vielleicht mit ihrem Manne nicht glücklich lebe?«
Da faltete sie die Hände und rief mit wahrem Entsetzen: »Da sei Gott für! Ich bin glücklich, denn ich lebe mit meinem Manne im Frieden, und es giebt kein Glück in der Welt, wo der Friede fehlt, die Lehre habe ich schon als Kind erhalten. – Heute sind es gerade fünf und zwanzig Jahre, daß meine Mutter den Frieden in der Donau suchte, der ihr zeitlebens abging. Gott erbarme sich ihrer armen Seele!« – Und nun öffnete sich mir ihr Herz, und in einfachen, tiefrührenden Worten strömte die Geschichte ihrer Eltern, der Huber'schen Eheleute, von ihren Lippen, wie ich sie Dir jetzt erzählte, mein lieber Leser, und weiter erzählen werde – vielleicht zu Nutz und Frommen mancher unfriedlichen Seele.
Redliche Menschen verwalteten das geringe Vermögen der Huber'schen Kinder; Heinrich's Schwager und dessen rechtschaffene Frau zogen sie auf in Gottesfurcht und Einfalt, und sie gediehen, wenn gleich verlassene Waisen, besser und fröhlicher, als unter dem Druck häuslichen Unfriedens, der ihre Jugendtage belastet hatte. In Apollonia's Seele aber wollte das Andenken des Vaters, den sie so sehr geliebt hatte, nicht verbleichen.
Es vergingen Jahre, ohne daß man von Heinrich etwas vernahm, obschon der Schwager in allen Zeitungen Rosens Tod angezeigt und den Müller zur Rückkehr aufgefordert hatte.
Das einzige Lebenszeichen welches man von ihm hatte, waren Gelder, die alljährlich aus Oestreich an den Pfarrer kamen, um Messen zu lesen »für die Seele der verunglückten Frau Rose Huber.« – Das – meinte die Schwägerin, könne doch nur von Heinrich kommen, und sei ein Beweis, daß es ihm wohl gehe.
An dem Tage, wo Apollonia mit dem wackern Sohn des Schenkwirths im Dorf vor dem Traualtare zur Einsegnung stand, gewahrten die Nachbarn einen bleichen Mann, der still und ernst in die Kirche trat und an einer Säule lehnend, mit fromm gefalteten Händen, die Augen fest auf die Brautleute geheftet, wie hingezaubert schien. Viele Neugierige betrachteten den Fremden, der, in einen Oberrock gehüllt, das ergrauende Haar zuweilen aus der gefurchten Stirn streichend, ihnen wie eine Erscheinung und doch so bekannt vorkam.
Als das Paar eingesegnet war, fielen ein paar große Thränen auf seine gefalteten Hände; er machte eine Bewegung, als wollte er auf den Altar zugehen, wandte sich dann aber plötzlich wie gewaltsam ab und floh aus der Kirche. – Am Abend, als die Neuvermählten von dem Hochzeitsschmaus aus der Dorfschenke heimkehrten, lag, auf Apolloniens Betschränkchen ein Paket, das sie mit Staunen öffnete. Darin lagen drei gute Oesterreichische Banknoten, je auf 1000 Gulden, und auf einem Blättchen stand: »Denke Deines Vaters, Apollonia, und mache Deinen Mann glücklich! Den Todten aber Friede und Verzeihung!« – Das junge Weib schrie laut auf und stürzte zur Thür. »Mein Vater! wo ist mein Vater?« rief sie der eintretenden Magd entgegen.
Die erzählte von dem fremden Herrn, der, ohne ein Wort zu sprechen, in das einsame Wohnhaus getreten, auf die Ofenbank gesunken und dort lange lautweinend gesessen sei. Dann habe er das ganze Haus durchwandert, als wäre er hier daheim, habe sich bei dem Betschränkchen zu schaffen gemacht und so traurig und bleich ausgesehen, daß sie nicht gewagt hätte ihn zu stören. – Dann sei er den kleinen Pfad zum Kirchhof hinabgegangen und sie sei ihm aus Neugierde gefolgt. Dort habe er lange gesucht und endlich an der Mauer sich auf Frau Rosen's Grabhügel gesetzt. Auch da habe er, viel geweint, habe sich ein paar Grasblumen gepflückt, die darauf wuchsen und sie gar sorglich in eine prächtige, gestickte Brieftasche gelegt. Dann hätte er die Hände gefaltet und leise gebetet. Da er aber Miene machte, als wollte er nicht mehr fort, so sei sie heimgelaufen, weil sie das Haus nicht verschlossen hatte. Die jungen Leute liefen nun durch's Dorf und hörten viel erzählen von dem stattlichen Fremden, der in der Kirche, ihrer Trauung beigewohnt hatte; es war derselbe Mann, den die Magd gesehen. Er blieb verschwunden. – Apollonia trug tief im Herzen das theure Bild des geliebten Vaters und als der Bruder heimkam von der Wanderschaft, theilte sie mit ihm die reiche Hochzeitsgabe, übergab ihm die Mühle und zog mit ihrem Mann – der seinen Ohm beerbte, nach dem fernen Dorf, wo er ihm die schöne Wirthschaft verlassen hatte, die sie noch jetzt bewohnte.
So vergingen wieder Jahre; schon tummelte sich ein fröhliches Häuflein Kinder um die junge Frau, Friede herrschte in Herz und Haus und nur manchmal seufzte sie sehnsüchtig: »Könnt' ich doch den Vater nur noch einmal sehen, könnte er mir die Kleinen segnen, dann wollt' ich ja geduldig die Trennung ertragen! Wüßt' ich nur mindestens, daß er lebt und zufrieden ist.« – So saß sie an einem warmen Septemberabend auf der Bank unter dem Nußbaum, und sah die Landstraße hinab nach ihrem Manne aus, der am Morgen nach München zur Schranne Als Schranne bezeichnet man in Süddeutschland den Getreidemarkt oder einen Kornspeicher. [ Anm.d.Hrsg.] gefahren war. Es war still und friedlich um sie her, aus dem nahen Wäldchen nur klangen zuweilen hell und fröhlich die Stimmen ihrer Kinder herüber, die sich im Dickicht jagten. Da plötzlich steht ein hoher Mann vor ihr, im Reisekleid, stattlich anzuseh'n, das Antlitz ernst und kräftig, wenn gleich das Haar früh ergraut um die Stirne fällt, frisch, fast jugendlich aus den Augen, schauend; den Blick fest auf sie gerichtet, die Hand nach ihr hinstreckend, so steht er bleich und bewegt und bringt kein Wort über die Lippen. – »Vater!« schreit die junge Frau – »das kannst nur Du sein – Du bist's!« und ihre Arme umklammern, ihre Thränen überströmen ihn.
»Apollonia! Du kennst mich noch! Es ist unmöglich, Du warst ein Kind!« stammelte der erschütterte Mann.
»Aber Du bist mein Vater! – Ich habe Dein gutes Gesicht in der Seele getragen von Kind auf bis zu dieser Stunde, und mein Herz hat mir's gesagt bei dem ersten Blick in Deine Augen, das kannst nur Du sein!«
»O Wunderwerk der Natur!« – seufzte Heinrich, und sank auf die Bank – »so sei gesegnet Du treues Kind, gesegnet Du und all' die Deinen!« – Und nun ihre Hände in die seinen fassend, fuhr er ruhiger fort: »Wenn ich damals zu Deiner Hochzeit kam und ging ohne Dich zu sehen, so geschah es nicht aus Lieblosigkeit; denn ich gedachte Deiner tagtäglich, und sehnte mich nach meinem Liebling: es geschah – weil ich mir diese schwere Buße auferlegt hatte zur Sühne der Schuld, die ich an dem elenden Tod Deiner armen Mutter, an dem Unglück meiner Kinder trage.«
»Du – Vater« – stammelte Apollonia – »Du trügest eine Schuld?« – »Ja – ich« – fuhr er mit fester Stimme fort. »Mit den Jahren erst, als der wilde Schmerz sich legte, kam mir die Einsicht, daß ich aus Liebe zum Frieden schwach gewesen und nicht gehandelt hatte als Mann, wie es mein Recht und meine Pflicht war. Der böse Geist – den ich nur zu gut kannte, durfte nie unter mein Dach einziehen, ich durfte nachher mein schwaches unglückliches Weib in ihrer Verirrung nicht verlassen, meine armen Kinder nicht zu Waisen machen, sondern ich mußte Euch Alle mit mir nehmen in die Fremde, damit Rose loskam aus den Krallen des Teufels, der ihr und mir das Herz vergiftete. – Eine furchtbare Mahnung hatte mir Rosen's drohendes Schicksal warnend angezeigt – ich aber floh feig und pflichtvergessen, auf daß sich das Unglück erfülle! Mit diesem Bewußtsein konnte ich Dir und dem Sohn nicht unter die Augen treten, ich hätte es nicht vermocht einen Blick von Euch zu ertragen, ich verdiente Eure Liebe nicht; aber auf Rosen's Grab habe ich ihr meine schwere Schuld abgebeten und ihr die ihrige verziehen – Friede mit ihrem Andenken! – Als ich die Heimath zum zweiten Mal verließ, ohne mir das Glück zu gönnen meine Kinder an's Herz zu drücken, da ward es mir zu Muthe als sei meine Buße nun vollbracht, als ließe ich all' meine Schuld dort zurück und träte entsühnt in ein neues Leben. Und so war es auch! – Als ich in's Banat zurück kam, wo mein redlicher Freund Andreas Söding, dessen Compagnon ich geworden war, mir längst eine neue Heimath begründet hatte, war ich ein anderer Mensch geworden, der Friede war über mich gekommen, ich lebte still begnügt, und arbeitete mit Freudigkeit. Mein Herz zog mich zu Euch – ich versagte mir die Rückkehr um Dein Vermögen zu erwerben, das Eure Zukunft sichere und Euch für die Vergangenheit entschädige; dieses Ziel aber sollte ich früher erreichen als ich je gehofft! Der dankbare Andreas hatte mir einen Theil seines Reichthums durch sein Testament zugesichert. Der treue Mann ist heimgegangen – und ich machte mich auf sobald ich konnte, Dir die Freudenpost selbst zu bringen, daß Ihr, nun ein schönes Erbe von mir zu erwarten habt.«
Apollonia legte die Arme um seinen Hals und sagte: »Daß Du lebst, Vater und den Frieden in Dir endlich gefunden hast, das ist die Freudenpost die Du mir bringst, nicht das Erbe; der Bruder ist ein tüchtiger Mühlenmeister geworden, es geht ihm gut, wir haben Alle was wir brauchen, was uns fehlte das warst einzig Du, wir begehren kein Gut das wir von Deinem Tod zu erwarten haben.«
»Aber Eure Kinder!« – rief Heinrich mit leuchtenden Augen auf das wilde Heer blühender Geschöpfe deutend, das athemlos, in großen Sprüngen aus dem Wäldchen kam und mit dem Ruf: »der Vater, der Vater kommt,« der Landstraße zulief. »Das sind meine Enkel, die können unser Blut nicht verläugnen.«
Da erhaschte Apollonia den Arm ihres kleinsten Mädchens im Flug und jubelte: »Der Großvater ist da, der Großvater! Kommt her Kinder, daß er Euch zum Willkommen segne!« Im Nu standen die Kleinen still, schauten verdutzt auf den hohen Mann, der ihnen zitternd vor Freude und Wehmuth die Arme entgegen streckte, und nach wenig Augenblicken umringte ihn der jauchzende Schwarm. Jeder wollte zuerst in seine Arme oder auf sein Knie, und als der Wirth nun vom Wägelchen sprang und den fremden Herrn die Kinder herzen und das selige Lächeln seiner Frau sah, da begriff er Alles, die Augen strömten ihm über und mit freudestrahlendem Gesicht rief er: »So ist's Recht, Kinder, haltet mir den Schwiegervater fest, denn dieses Mal soll er uns nicht wieder wie bei der Hochzeit durchbrennen!« Heinrich aber drückte kräftig die Hand seines wackeren Eidams und lächelte: »Das will ich auch nicht länger als bis ich meinen Sohn und Rosen's Grab geseh'n, dann hab' ich mein Tagwerk redlich vollbracht und will bei Euch ausruhen, bis Ihr mich schlafen legt, ich habe mir den Sonnenschein, der meinen Mannesjahren fehlte, für meine alten Tage sauer genug verdient, und hoffe, daß der liebe Gott mir ihn um Euretwillen noch eine Weile vergönnen wird.«
Und so kam es auch. Zur Zeit als Apollonia ihre Erzählung geendet, befand sich Heinrich eben wieder bei dem Sohn, um ihm ein großes Holzgeschäft in der Heimath einzurichten, er war noch immer rüstig und thätig und besuchte alljährlich das Grab seines Weibes.
Dort schlummert er wohl jetzt – so viele Jahre später, an ihrer Seite, denn sie war und blieb seine erste und einzige Liebe.
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