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Skizze aus dem Leben Katharinens II. von Rußland.


1.

Mitten in dem prächtigen Park von Sarskoe Selo, auf einer unscheinbaren Steinbank, saß ein junger Officier, der mit düstern Blicken an der Urne eines einfachen Marmor-Denkmals hing, das, unter Thränenweiden und Platanen versteckt, bestimmt schien die Stelle zu heiligen. Spärliches Licht stahl sich durch das dichte Laubdach rings umher, und kein Laut aus den Hallen des glänzenden Kaiserschlosses störte hier die ewige Stille. Nur die Nachtigall erhob zuweilen klagend die Stimme, und leise plätschernd rieselte ein krystallheller Quell an dem kleinen Hügel hin, der das Denkmal trug. Verstohlen nur drangen einzelne Sonnenblicke durch das Blätterdunkel auf die alabasterne Urne, und beleuchteten glänzend die rührende, einfache Inschrift, um welche Tausende den Staub noch beneideten, welchen sie der Vergessenheit entziehen sollte.

»Dem treusten Diener seine Kaiserin,« lispelte der junge Mann, und wie aus einem Traum erwachend, fuhr er in die Höhe; »dem treusten Diener seine Kaiserin« wiederholte er, und eine Thräne trat ihm in das dunkle Auge; dann fuhr er fort und seine Stimme wurde immer lauter und heftiger: »was sind die Ehrenstellen, was ist Deine Macht, prächtiger Potemkin, was sind Deine Schätze, übermüthiger Günstling, gegen dies Wort aus dem Munde der größten Frau ihrer Zeit. Unglücklicher Lanskoy! Von ihr geehrt, von Allen geliebt, die Dich kannten, in der Blüthe der Jugend riß Dich der kalte Todt hinab, und trennte Dich von ihr, in deren Anschauen Dir vergönnt ward zu athmen. Glücklicher Lanskoy! Vergessen schlummerst Du hier, von Allen vergessen, aber ein großes Herz trauert um Dich, ein Herz nannte Dich treu, im Andenken Deiner Kaiserin lebst Du! – Starbst Du nicht gern – war solcher Tod nicht süß?«

Und wieder fiel seine Stirne in die Hand, und in sich selbst verloren, starrte er schweigend vor sich hin. Da vernahm er ein leises Rauschen hinter sich, er wandte das Haupt, und plötzlich sank er kniend zur Erde, und verhüllte sein hocherglühendes Antlitz, denn vor ihm stand Katharina, in all dem Zauber, den Natur und Kunst, Geistes- und Körperbildung über sie ausgegossen hatten. Ein Jagdkleid von dunkelgrünem Sammt, schmiegte sich an die edlen Formen, das blonde seidene Haar wallte in lichten Locken um die hohe Stirn, das mächtige, wunderbare Auge glänzte von eben vergossenen Thränen, und das Antlitz, von rosigem Schein übergossen, zeugte noch von den Aufregungen der Jagd. Eine kleine Gerte in ihrer Hand zeigte, daß sie eben vom Pferde gestiegen war. So stand sie vor dem unglücklichen Mamanov, der es eben gewagt hatte, in dieser Einsamkeit sich seinen Gefühlen überlassend, seinen Haß gegen Potemkin, und seine Leidenschaft für die Kaiserin in lauten Worten auszusprechen. Ob sie ihn belauscht hatte, ob nicht – davon hing jetzt, wie er wähnte, das Schicksal seines Lebens ab.

Lange stand die Kaiserin schweigend, und maß ihn mit einem so ernsten Blick, daß er überwältigt das Haupt tiefer zur Erde beugte. Endlich winkte sie ihm, aufzustehen, dann sprach sie mit einem Tone, der nur ihr zu Gebote stand, zwischen Hoheit und Wehmuth schwankend: »Hast Du den unglücklichen Lanskoy gekannt?«

»Ja, Ihro Majestät!« stammelte Mamanov.

»Du scheinst ihn geliebt zu haben, da Du ihn so ungeheuchelt beklagst?«

»Ihro Majestät, Vergebung, ich beklagte ihn nicht, ich beneidete ihn!«

Nach einer kleinen Pause, in welcher die Kaiserin aufmerksam das regelmäßig schöne Gesicht des jungen Mannes und seine edle Haltung beobachtet hatte, fragte sie wieder: »Wer bist Du?«

»Alexander Mamanov, seit vier Wochen Officier bei der Garde Eurer Majestät, gestern bezog ich die Wache auf Sarskoe Selo, und heute wagte ich es, das Grab meines unglücklichen Freundes Lanskoy zu besuchen.«

»Nun Freund Mamanov« – lächelte die erhabene Frau – »wenn Du zu Selbstgesprächen so geneigt bist, so nimm künftig einen Wächter mit Dir, der den Lauscher fern hält; denn stände jetzt Potemkin an meiner Stelle, so wäre es wohl mit Deiner militärischen Laufbahn für ewig vorbei.«

Mamanov erblaßte, die Kaiserin aber legte mit einer unendlich anmuthigen Miene den Finger an die Lippen, wiegte lächelnd das Haupt, und sagte vertraulich:

»Ei, ei, so furchtsam? – Sei versichert, Katharina ist keine Schwätzerin, und Du kannst auf ihr Wort bauen, wenn sie Dir verspricht, daß weder die Kaiserin, noch der ›übermüthige Günstling Potemkin‹ jemals erfahren sollen, wie Du von Beiden denkst. Adieu.«

Noch einmal neigte sie das Haupt, Mamanov stürzte wieder zur Erde, doch ehe er eine Entschuldigung stammeln konnte, war sie im Gebüsch verschwunden.

*

2.

Zum dritten Male schon schlich die Fürstin Schubalow auf leisen Sohlen über das Parquet von Perlmutter, das die Vorzimmer der Kaiserin ziert, und fragte mit gedämpfter Stimme die dienstthuende Kammerfrau: »noch immer nicht zurück?«

»Noch immer nicht!« – entgegnete diese, mit sorglichem Blick von der Stickerei aufsehend – »Aber was haben Sie denn heute, Prinzessin? Sie sind so ängstlich, scheinen betrübt, was kann denn Ihrer Jugend Rosentage trüben?«

»Ach« – seufzte die Prinzessin, und warf sich in die Sammtpolster des Sopha's – »wenn Sie wüßten!«

»Ja, das ist es eben« – entgegnete die Gräfin Romaniew – » wenn ich wüßte! Ich weiß nun aber einmal nichts, und kann mir auch nichts denken. Sollte Amor Ihnen vielleicht einen Streich gespielt haben? Ja, da müßten Sie sich mit dem allgemeinen Weltschicksal trösten, etwas Besseres wüßte ich Ihnen wahrlich nicht zu rathen.«

»Ach, wer denkt an die Liebe« – schmählte die Prinzessin – »ich gewiß nicht.«

»Nun denn« – fuhr die Gräfin fort – »so möchte ich doch begreifen können, worüber Sie klagen. Sie sind achtzehn Jahre alt, schön wie Hebe, geistreich wie Minerva, angebetet wie Venus. Sie sind die einzige Erbin einer enorm reichen Tante, Sie sind geliebt von der Kaiserin, sind jetzt schon Palast-Dame – mein Himmel, was soll Ihnen denn das Glück noch bieten?«

»Wäre die böse Tante in Gottes Namen denn schon hinübergegangen« – flüsterte die Prinzessin mit Thränen in den Augen – »ihr Geiz bringt mich zur Verzweiflung!«

»Aha, da also wäre der wunde Fleck« – lachte die Gräfin – »darum suchen wir die Kaiserin – Geld!« –

»O pfui doch« – unterbrach sie die Prinzessin – » Gold

»Nun also, es klingt freilich nobler, Gold brauchen wir? Nun, da könnte ich vielleicht helfen.«

»Wie« – rief die Prinzessin, wischte schnell die Thränen aus den schwarzen Augen, und sah sie mit leuchtenden Blicken an – »ach, Gräfin, das würde ich Ihnen nie vergessen, dann dürfte ich auch der Kaiserin nichts sagen, und das wäre herrlich! Seit Lanskoy's Tode habe ich sie nicht mehr lächeln sehen, ihre erhabene Stirn ist stets umwölkt, und ihre Laune –«

»St« – warnte die Gräfin – nun, was brauchen wir denn, so ein 500 bis 1000 Rubel?«

»Gott bewahre« – jammerte die Prinzessin »viel mehr, viel mehr!«

»Nun, wie viel denn?« – fragte die Romaniew erschrocken.

Sehr kleinlaut flüsterte die Prinzessin: »20,000 Rubel!«

»Gerechter Himmel!« rief die Gräfin, und die Nadel fiel ihr aus der Hand – »was wollen Sie denn mit all dem Gelde machen?«

»Ich habe gewettet –«

Eben rauschte der prächtige Potemkin herein; seine hohe Gestalt strahlte im Glanze der schönsten Uniform, sein stolzes Haupt wiegte sich wohlgefällig unter der Last des Casquets, auf dem ein ungeheurer Reiher prangte, wie in Rußland keine zweite aufzuweisen war.

Erschrocken winkte die Prinzessin der Gräfin Schweigen zu, und spielte, gleichgültig lächelnd, mit der Pagode, die vor ihr auf einem kleinen Tischchen stand. Der Fürst grüßte, warf sich dann nachlässig in ein Sopha, und fragte, wie vorhin die Prinzessin: »Noch nicht da?«

»Noch nicht,« entgegnete die Gräfin.

»Das ist kaum möglich, vor einer Viertelstunde kamen ja die Pferde schon zurück, wo sollte sie – ach, wahrscheinlich bei Lanskoy's Grab! Unerträgliche Empfindelei der Weiber! In diesem einzigen Punkte läßt Katharinens großer Geist sich zum Gewöhnlichen herab. Sechs Monde ist er todt – mein Gott, wie kann man nach solch einer Ewigkeit noch irgend eines geschiedenen Günstlings gedenken!«

»Eines solchen wohl!« – meinte die Prinzessin, und streifte mit einem raschen Blick Potemkins Gesicht, der augenblicklich erröthete – »Katharinens Geist bleibt auch hierin groß« – fuhr sie fort – »daß er echte Treue von eigennütziger Anhänglichkeit sehr scharf zu trennen weiß. Lanskoy liebte in ihr die Frau, und Katharine war zu lange daran gewöhnt, nur die Kaiserin in sich angebetet zu sehen, als daß sie nicht mit Wehmuth das Andenken eines so seltenen Freundes feiern sollte.«

Potemkin drehte mit raschem Finger den dunkeln Bart, lächelte etwas höhnisch, und sagte dann mit einer nachlässigen Bewegung des Kopfes: »Ah, mein kleiner Eigensinn, auch hier? Ja, ja, das läßt sich denken, daß solche Romantik unter Ihrem Höchsteigenen Schutze steht. Sie lieben Männer wie das Pagodchen dort, mit dem Sie sich eben so zierlich unterhalten. Allerliebst! Sehen Sie, wie er nickt, Sie tippen mit dem Rosenfinger, und ja, ja, ja! sagt der Göttermann, bis er einschläft, und ihn das niedliche Fingerchen wieder zu seinem Tagewerk erweckt.«

Die Prinzessin kniff die Unterlippe ein klein wenig zusammen, trommelte auf der Malachitplatte des Tisches, und schwieg. Die Gräfin aber, um dem Gespräch schnell eine andere Wendung zu geben, fragte nach den Fortschritten bei der Einrichtung des Taurischen Palais, und meinte: vor einem Jahre würde wohl keine Hoffnung sein, sich darin bewirthet zu sehen.

»In zwei Monaten gebe ich das glänzendste Fest darin, das Petersburg jemals sah« – schwor der Fürst. Die Prinzessin lächelte schon wieder ein wenig höhnisch. »Haben Sie Lust zu wetten?« – fragte er rasch; die Prinzessin erglühte über und über. – »Ach, ja so, meine Wette von gestern habe ich ja noch einzuholen; nun, wie steht's?«

»Sie werden sie augenblicklich erhalten« stotterte sie ärgerlich, und stand auf.

»Einen Vorschlag, liebliche Agraffine« – rief Potemkin – »Sie können Ihrer Verlegenheit auf die angenehmste Weise von der Welt entledigt werden. Sie geben mir einen Kuß, und die Wette ist abgethan.«

»Ihre Indiscretion, mein Fürst,« – rief die Prinzessin, indem sie hinauseilen wollte – »ist mit nichts auf Erden zu vergleichen, als mit Ihrer Eitelkeit.«

Doch eben traten vier Mohren ein, und – »die Kaiserin!« – riefen die Damen aus einem Munde, und stellten sich, die Erhabene zu empfangen, an den Eingang.

Heiter, wie der Tag, strahlte heute Katharinens entwölkte Stirn. Sie blickte freundlich um sich, begrüßte gnädig lächelnd den erstaunten Potemkin, und reichte der überglücklichen Prinzessin die Hand, welche sie seit Monden nicht in solcher Stimmung gesehen hatte.

Doch plötzlich flog ihr forschender Blick von der Prinzessin auf Potemkin, und von diesem wieder auf die Prinzessin zurück.

»Was hat es hier gegeben?« – fragte jetzt die Kaiserin – »meine reizende Agraffine ist purpurroth, und scheint verstimmt, und Du« – sie wandte sich zu Potemkin – »bist ungewöhnlich aufgeregt; nun, was habt Ihr mit einander?«

»Ach, Ihro Majestät« – seufzte die Prinzessin – »der Fürst wollte, ich habe« – sie stockte, und drückte wiederholt Katharinens Hand an ihre Lippen.

»Nun?« – fragte diese mit lang gedehntem Ton, indem sie die Jagdhandschuhe abzog, und der Gräfin hinüberreichte – »Du weißt, ich liebe Antworten, die kurz und bündig meiner Anforderung genügen, die Deinige ist zwar sehr kurz, aber um Räthsel zu lösen, habe ich weder Muße noch Luft – also?« Ein seltsamer Blick aus ihrem forschenden Auge ruhte eine Secunde lang auf Potemkin, der ruhig lächelnd mit der Gerte spielte, die er mit gewohnter Galanterie der Kaiserin abgenommen hatte.

»Ihro Majestät« – stammelte die Prinzessin »Vergebung, ich kann wirklich nicht vor dem Fürsten –«

»Das klingt ja seltsam!« meinte Katharina, und ihr Blick, der auf Potemkin ruhte, wurde durchdringender.

»Ich sehe schon« – begann dieser nachlässig zu der Prinzessin herabblickend – »ich muß unserer kleinen Dame aus der Noth helfen. Wahrscheinlich kommt sie, um an die immer offene Schatulle Ew. Majestät zu appelliren; sie hat gestern etwas verwegen mit mir gewettet, und da ich sie in diesem Augenblick ein Bischen boshaft daran erinnerte, zeigte mir ihr schnell auflodernder Aerger, daß sie grade daran nicht erinnert sein wollte.«

»Nun, und was beträgt denn diese Wette, die Dich so außer Fassung bringt?«

Und wie vorhin stotterte die Prinzessin kleinlaut: »20,000 Rubel!«

»Wie?« – fragte die Kaiserin, und eine leichte Wolke zog über ihre klare Stirn – »was war es denn, das Dich in Deiner Armuth zu solcher Wette verleiten konnte?«

Eine dunkle Purpurröthe ergoß sich über das blühende Antlitz der Prinzessin. Boshaft lächelnd weidete Potemkin sich an ihrer Verlegenheit, dann begann er:

»Da muß schon wieder ich aus der Noth helfen, denn Sie selbst werden es doch nimmermehr hervorbringen. Der liebenswürdige Eigensinn Ihrer reizenden Agraffine, ihr geringes Quantum Eitelkeit, und ihr höchst pikanter Leichtsinn kosten Ew. Majestät heute wieder 20,000 Rubel. Wir standen gestern nach der Tafel am Fenster, und die Prinzessin erschöpfte sich wie gewöhnlich in beißendem Witz, zu dessen Zielscheibe zu dienen mich Glücklichen eben gestern die Reihe traf; da trabt von der chinesischen Brücke herauf die Wache, welche von Petersburg kommend, ablöste. Ein junger Officier, den ich vor vier Wochen in die Garde aufnahm, reitet voraus, und starrt mit trübem Blick auf den Sattelknopf. Der Prinzessin beliebte es, ihn zu bemerken, und ihn bildschön zu finden, in diesem Augenblick hebt er den Kopf, sein Blick streift aufmerksam die Fenster des Saals, doch, als hätte er nicht gefunden, was er suche, blickt er wieder melancholisch vor sich nieder. Die Prinzessin ist außer sich über die schönen Augen und eitel genug – nehmen Sie es nicht übel, ich bin ein zu wohl erfahrener Weiberkenner, um dies nicht augenblicklich in ihren Zügen zu lesen – sich einzubilden, er werde, überrascht von ihrem Liebreiz, sich noch einmal umsehen.«

»Das ist ungezogen und unwahr!« unterbrach ihn die Prinzessin rasch.

»St!« – winkte die Kaiserin Potemkin fuhr fort:

»Warum wetteten Sie so schnell? Ich sagte: der ist Stahl und Eisen, glauben Sie, daß er noch einmal heraufsieht, ehe er die Wache erreicht? Gewiß, ruft Agraffine mit Zuversicht. Ich wette Nein – lache ich zurück. Was Sie wollen – zürnt Agraffine, und ihr liebliches Gesicht überzieht sich dunkelroth vor Aerger, als ich sage: 20,000 Rubel, er sieht nicht mehr herauf! – Es gilt! ruft sie triumphirend, und der Abscheuliche sitzt wie festgeschmiedet auf seinem Pferd, und langt ohne eine Wendung des Kopfes vor der Wache an. Habe ich meine Wette nun ehrlich gewonnen?«

»Ohne Zweifel!« – entgegnete Katharina »aber wer soll sie bezahlen?« – Die Prinzessin stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Kaiserin fuhr fort, als hätte sie es nicht bemerkt: »Ich bin es wahrlich müde, Agraffinens Thorheiten durch die Finger zu sehen; als Vormünderin darf ich das gar nicht mehr, Prinzessin, diesmal helfen Sie sich selbst.«

»Nun?« lächelte Potemkin boshaft.

»Ihro Majestät« – rief die Prinzessin listig – »ich könnte mir schon helfen, wenn ich wollte; der Fürst hat mir einen Kuß als Ablösungssumme angetragen; aber ich ziehe es vor, meine Wette zu bezahlen, und finde dies weit mehr nach meinem Geschmack.«

Die Kaiserin stutzte, und jetzt war die Reihe des Erglühens an Potemkin. »Da muß ich mich doch wohl am Ende über Dich erbarmen« – meinte sie, und schritt mit einem sonderbaren Blick auf Potemkin nach ihrem Cabinet, doch plötzlich stand sie still, wandte sich um, als hätte sie etwas vergessen, und fragte rasch: »Und wer ist denn der spröde Ritter, der mich so viel Geld für einen Blick bezahlen macht?«

»Der Lieutenant Alexander Mamanov« entgegnete Potemkin.

»Mamanov?« – wiederholte die Kaiserin schnell, und ging rasch nach dem Cabinet.

»Boshafte!« schmählte Potemkin, als sie verschwunden war – »das sollen Sie mir büßen!«

Die Prinzessin lächelte mit schlecht unterdrückter Schadenfreude: »Haben Sie dies nicht längst, und am meisten heute um mich verdient?«

In diesem Augenblick trat Katharina in die Thüre, winkte der Prinzessin, und drückte ihr ein Papier in die Hand, dann streichelte sie ihr die schönen Wangen und flüsterte: »Nicht mehr wetten, Agraffine, Du kostest mir zu viel Geld, bezahle schnell! – Adieu, Freund Potemkin,« – rief sie kurz dem erstaunten Günstling zu – »auf Wiedersehen!« – und verschwand in ihr Cabinet.

Dieser eilte mit einem wüthenden Blick und klirrenden Schritten hinaus, unter der Thüre noch rief er: »Das gedenke ich Ihnen, Prinzessin!«

Jene aber hatte die Anweisung entfaltet, und jubelte laut: »100,000 Rubel! O die göttliche Kaiserin!« fiel der verstummten Gräfin stürmisch um den Hals, und eilte hinaus, den Stickrahmen und ein Kästchen farbiger Genille an der seidenen Schleppe hinter sich herziehend.

*

3.

Vierzehn Tage waren seit jener Scene in den Zimmern der Kaiserin verstrichen. Alexander Mamanov war bereits Obrist der Garde und Flügel-Adjutant des General-Feldmarschalls Potemkin, und hatte sich längst überzeugt, daß sein unbedachtes Selbstgespräch das ganze Glück seines Lebens begründet habe. Wie mit einem Zauberschlag hatte die mächtige Gunst Katharinens ihn auf den Gipfel des Glückes gehoben. Ein armer Edelmann, dessen Herz sich in fruchtloser Leidenschaft für die größte Frau verzehrte, dessen dunkles Geschick ihm keine Hoffnung irgend einer Annäherung an den erhabenen Kreis, der die Herrscherin umgab, gestattete, der längst mit sich selbst über sein Schicksal einig, die Raserei seiner Wünsche erkennend, still und unbemerkt zu vergehen glaubte – stand jetzt mit einem Mal auf einem Punkt, den selbst seine kühnsten Hoffnungen nie zu ahnen gewagt hatten. Umleuchtet von dem Zauberlicht, welches Katharinens Geist um jeden Gegenstand zu verbreiten wußte, den sie mit einem nicht gewöhnlichen Interesse beglückte, umgeben von all' dem Glanze, welcher ihn durch die Freigebigkeit der großmüthigen Monarchin umfloß, geleitet von seinem eigen kräftigen Geist, von seinem im Auslande geläuterten Geschmack, unterstützt von allen Vorzügen eines seltenen schönen Aeußern, spielte er eine Rolle, die ihn unter die wichtigsten Männer der damaligen Zeit erhob.

Durch seine unbedingte Ergebenheit, durch seine vergötterte Anhänglichkeit an die Person der Kaiserin, noch mehr aber durch seine furchtlose Offenheit über das Betragen Potemkins, gegen welchen er seinen Haß nur leicht verhüllte, gewann er Katharinens Vertrauen bald in einem Grade, der ihn allen ihren Umgebungen furchtbar machte. Vergebens spielte man Intriguen aller Art gegen Mamanov, das klare Auge der Kaiserin durchschaute das feinste Gewebe, und an der Festigkeit ihres männlichen Geistes zersplitterten alle Umtriebe solcher Art. Sie glaubte ein treues Herz entdeckt zu haben, und Lanskoy's edle Seele wähnte sie wiederzufinden in seinem Freunde. Mehr und mehr zog man sich in sich selbst zurück, und nur zuweilen wagte sich die Intrigue mit leisen Fühlhörnern hervor, die dann aber gewöhnlich eben so leise wieder eingezogen wurden.

Vierzehn Tage waren hinreichend gewesen, Mamanov so hoch über sein Unglück und seine Feinde zu erheben und nur ein Geist, wie der seine, konnte sich ohne Schwindel auf solcher Höhe erhalten, doch sein Blick stets hinauf, nicht nach der Tiefe zurück gerichtet, die er verlassen hatte, bewahrte ihn vor dieser Krankheit.

 

Es war ein trüber, regnigter Tag, als Mamanov durch die Vorzimmer der Kaiserin schritt, um unangemeldet in's Cabinet zu treten. Seine Seele war erfüllt von ihrem Bilde, und sein Herz pochte stärker bei dem Gedanken, sie bald zu sehen, so neu und reizend war ihm noch die Idee, in ihrer Nähe zu athmen. Auf Sarskoe Selo ist ein Zimmer, dessen Wände aus den schönsten Bernstein-Platten bestehen, verziert mit Frucht- und Blumengewinden, ja mit kleinen Amoretten sogar, aus demselben Material geschnitzt, und oft zwei Zoll sich aus der Wand hervorhebend; das angenehme hell und dunkelgelb wechselnde Farbenspiel, und der seltsame Geruch, der sich bei heißen Sommertagen aus dem Bernstein entwickelt, machen einen ganz eigenen, kaum zu beschreibenden Eindruck. Nie ging Mamanov durch diesen Saal, ohne einen Augenblick bei diesem kostbaren Geschenk Friedrichs des Einzigen zu verweilen, der seiner großen Zeitgenossin ein seiner würdiges Andenken in der seltenen Pracht dieser Bernsteinfülle zugesendet hatte. Auch heute stand er einen Augenblick still, als er hereintrat, doch nicht um, wie sonst, die wunderbare Arbeit, sondern einen noch weit wunderbarern Anblick anzustaunen.

Auf einem der goldenen Sopha's saß eine reizende Mädchengestalt in tiefer Trauer; das Haupt hinten über gelehnt auf die Polster, den einen blendend weißen Arm, vom Handschuh entblößt, fest über das Herz gedrückt, die jugendliche Brust von sanften Athemzügen gehoben, schien sie eben erst entschlummert zu sein. Lange, dunkle Wimpern beschatteten die geschlossenen Augen, und schmucklos fielen rabenschwarze Locken um die weiße Stirn und die vollen Schultern; vom sanftesten Incarnat des Schlafes umduftet, glühten die Wangen in höherem Purpur, und von einem lieblichen Traum geneckt, lächelte der halbgeöffnete Mund, eine Reihe perlweißer Zähne verrathend.

Unbeweglich stand Mamanov vor der Zauberin, und ihm war, als träume er, und als müßte das liebliche Bild bei der leisesten Bewegung verschwinden.

Doch je mehr er begierig all diese Reize mit seinen Blicken verschlang, je tiefer empfand er die Gefahr, wenn man ihn so vor der schönen Schläferin fände. Und dennoch wollte der eingewurzelte Fuß nicht von der Stelle, und seine Phantasie quälte ihn mit der immer wiederkehrenden Frage: Wie schön muß das Auge sein, wenn sie es nur öffnen wollte?

» Vive Cathérine – vive la grande – pensez à moi<« tönte jetzt aus dem anstoßenden Zimmer von einer schmetternden Stimme herüber. Entsetzt fuhr Mamanov zusammen, er war belauscht worden, wähnte er, und unrettbar verloren. Noch stand er unschlüssig, ob er vorwärts oder zurückgehen sollte, als dieselbe Stimme noch gellender als vorher: » Vive Cacadou, aimable Cacadou Potemkin – la grande Cacadou Cathérine<« – im seltsamsten Durcheinander schnatterte.

Mit einem tiefen Athemzuge begrüßte nach zwei Secunden Mamanov den prächtigen Cacadou im Nebenzimmer, ein Geschenk Potemkins, das wegen allzuunverschämten Geschreis schon längst von der Kaiserin dahin verwiesen worden war. Gedankenlos stand der neue Günstling vor dem goldenen Bauer und starrte den gefiederten Schreier an, der ihm den größten Schrecken seines Lebens bereitet hatte. Mit philosophischem Blick stellte dieser indessen die orange-gelbe Haube in die Höhe, spreizte die schneeweißen Federn fächerartig aus einander und rief: » pense à moi<,« indem er den Zeigefinger des zerstreuten Mamanov's durch und durch biß. »Bestie!« schrie dieser im heftigsten Schmerz auf, und stampfte mit dem Fuße, daß es weit durch die Säle hinschallte.

Da bewegte es sich draußen, ein seidenes Gewand rauschte näher, und das reizende Schwarzköpfchen sah neugierig mit großen dunkeln Augen in's Zimmer; doch schnell fuhr es wieder zurück, wurde über und über roth, stammelte halb verständlich: »Mamanov!« und drückte rasch die Thüre wieder zu.

»Sie kennt mich!« sagte dieser, indem er das Taschentuch um die blutende Hand schlang! »Vielleicht eine Supplicantin, die das Erscheinen der Kaiserin erwartet! Dürfte ich ihr doch das Wort reden! Welche Augen!«

» Pensez à Cathérine!<« schmetterte jetzt der verwünschte Cacadou zum dritten Mal, und, wie vom Winde fortgetrieben, flog Mamanov nach dem kaiserlichen Cabinet.

*

4.

» Nur noch einen Augenblick!« – rief ihm im letzten Vorzimmer die Fürstin Naretzky entgegen »der Kriegs- und See-Minister sind noch bei Ihrer Majestät, die Geschäftszeit wird heute um zwei Stunden verlängert. Setzen Sie sich zu mir, schöner Mamanov, und erzählen Sie mir, wie Ihnen zu Muthe ist im Glanz der Sonne, welche ihre Strahlen in diesem Augenblicke noch auf Sie aussendet?«

»Fragen Sie den Blindgebornen, dem man den Staar operirte, und ihm zum ersten Mal die Erde in all' ihrer Herrlichkeit zeigt, wie ihm zu Muthe ist? Er kennt in keiner Sprache Worte, die diese Empfindung aussprechen. Das ist auch mein Fall!«

»Bravo« – rief die Fürstin, vergnügt in die Hände klatschend – »Sie sind für den Hof geschaffen, denn Ihre Ausdrücke sind eben so fein, als gewählt.«

»Es ist die Sprache meines Herzens!«

»Noch – sicher« lächelte die Fürstin – » A propos<, wo ist denn unsre kleine Schubalow hingerathen? Haben Sie ein allerliebstes Figürchen, mehr klein als groß, mit einem Gesichtchen, auf dem Laune und schmachtende Zärtlichkeit, Schalksinn und Empfindelei sich um den Platz streiten, in den Sälen gesehen? Sie ist in tiefer Trauer –«

Mamanov erröthete, und versicherte etwas verlegen, sie nicht gesehen zu haben. Die Fürstin, zu welterfahren und schlau, um den Neuling in der Verstellungskunst nicht augenblicklich zu durchschauen, schwieg, und sprach dann von gleichgültigen Dingen. Doch, jetzt trat die Prinzessin ein ohne eine Spur von Verlegenheit, und ohne ein Zeichen, daß sie es gewesen, welche so unvorsichtig den Namen des Obristen genannt hatte.

Die Fürstin beobachtete sie genau, doch Agraffine, am Hofe aufgewachsen, war Meisterin ihrer Züge, wenn sie es sein wollte. Unbefangen begrüßte sie die Naretzy, gleichgültig fremd Mamanov, und setzte sich neben die Fürstin, als wäre nichts vorgefallen.

»Sie werden nicht so glücklich sein, die Prinzessin zu kennen, Herr Obrist!« – begann diese jetzt – »ich glaube, Sie waren schon zur Tante nach Petersburg gereist, als der Obrist Mamanov präsentirt wurde, nicht?«

Gleichgültig erwiederte Agraffine: »Ich erinnere mich wenigstens nicht, früher das Vergnügen gehabt zu haben.«

»Ich bin zum ersten Mal so glücklich, die Prinzessin zu sehen« – sagte Mamanov mit einer tiefen Verbeugung – »welch ein feindseliger Zufall beraubte den Hof so lange einer seiner schönsten Zierden?«

»Sie hat ihre Tante verloren« – fiel die Fürstin ein – »gestern starb sie. Sehen Sie nur den matten Blick, vierzehn Tage saß sie an dem Krankenlager, und in den letzten vier Nächten schloß sie kein Auge.«

»Ich habe wahrlich gelitten« – sprach die Prinzessin nun – »Gott weiß, wie es der boshafte Potemkin anfing, daß bis in ihre Krankenstube das Gerücht von unsrer Wette drang. Diese ganze Zeit über hörte ich nichts, als Strafpredigten über meinen Leichtsinn, und Lehren über die Nothwendigkeit zu sparen. Die letzten vier Nächte hielt sie meine Hände mit ihren eiskalten Fingern umfaßt, und schrie beständig mit heiserer Stimme: ›Agraffine, ich hinterlasse Dich als Erbin von 10 Millionen und 12000 Seelen, weißt Du, was es heißt, solch ein Vermögen zu besitzen? An meinen Lippen, an meinem Körper habe ich es abgedarbt – folge dem Beispiel Deiner Tante! Wehe Dir, wenn Du jemals Dein Capital angreifen solltest! Mein Geist wird Dich verfolgen bis zum Grab!‹« – Die Prinzessin schauderte zusammen. – »Hu,« fuhr sie fort »ich bekomme das Fieber, denke ich an diese vier Nächte. Geiz ist doch ein furchtbares Laster! Ich bin auch so angegriffen, wo ich mich hinsetze« – bemerkte sie mit einem Seitenblick auf den Obrist – »da schlafe ich ein. Ich wollte vorhin, bis die Kaiserin sichtbar sei, die Gräfin Romaniew besuchen, aber ich glaube, ich war nicht dort.«

»Sie glauben« – lachte die Fürstin. – »da sind Sie wohl unterwegs eingeschlafen?« Die Prinzessin erröthete, und meinte, fast müsse sie es fürchten, denn im Bernsteinzimmer habe sie sich ermüdet einen Augenblick niedergelassen, und sei auch nicht weiter gekommen, als bis dorthin. »Da müssen Sie ja die Prinzessin doch gesehen haben?« – fragte die Fürstin listig lächelnd – doch Mamanov hatte sich gefaßt, und gekränkt über Agraffinens nachlässige Kälte, versicherte er im gleichgültigsten Ton, daß er nicht so glücklich gewesen sei.

Das Zimmer füllte sich indeß mit Damen, das Gespräch wurde allgemeiner, und Mamanov unterhielt sich bald leicht und geistreich mit einigen seiner Bekanntinnen. Man bemerkte seine verbundene Hand, und erkundigte sich mit vieler Theilnahme, wie er zu der schlimmen Wunde gekommen. Er gestand, daß der Cacadou ihn so zugerichtet habe. »Ha, ha, ha« – lachte Agraffine – »das ist Potemkins Geschenk! Ja, das glaube ich gern, in dem steckt der Geist seines ehemaligen Herrn, ich bin gewiß, er hat Ihnen aus alter Anhänglichkeit für diesen den Finger zerbissen. Ja, und mit Potemkin und seinem Cacadou muß man vorsichtig umgehen!«

»Das scheinen Sie insbesondere zu berücksichtigen« – rief der Fürst, der eben eintrat – »denn Ihre liebliche Silberstimme drang bis in's Cabinet, und trieb mich heraus, da mir eine Ahnung sagte, daß Sie wieder viel Gutes von mir sprächen. Ah, bon jour,< Mamanov! Haben Sie nun endlich den Schelm kennen gelernt, der uns hier Alle im Athem hält? Gestehen Sie, daß die Prinzessin reizend in der Trauer ist. So stumm, Undankbarer? – Sie sind ja jetzt eine reiche Erbin, jetzt wollen wir wetten, Prinzessin! Wetten wir 50,000 Rubel, daß Sie in vier Wochen –« er beugte sich zu ihrem Ohr hinab, und flüsterte ihr leise etwas zu.

Sie erglühte und erblaßte in einem Augenblick: »Pfui doch« – rief sie und wandte sich ab.

»Wissen Sie wohl« – fuhr Potemkin, zu Mamanov gewendet, fort, ohne sich durch die bittenden Blicke der Prinzessin stören zu lassen – »wissen Sie, daß Sie für Agraffine eine theure, eine ausnehmend theure Person sind?« Und nun erzählte er boshaft ausführlich die Geschichte der Wette.

Die Prinzessin zerdrückte eine Thräne, die ihr Aerger und Scham erpreßte. Mamanovs Augen ruhten mit tiefer Bedeutung auf ihren schönen Zügen, und Potemkins welterfahrener Kennerblick flog triumphirend von Einem zum Andern. Mamanov stand lange schweigend, in Gedanken verloren, man rief ihn zur Kaiserin, er verließ mit leichter Verbeugung, in sichtlicher Zerstreuung den glänzenden Kreis. Kaum war er hinweg, so rief die Prinzessin: »Abscheulich, Fürst – beim Himmel, abscheulich!«

»Ja, sehen Sie wohl« – drohte er im Hinausgehen mit aufgehobenem Finger – »mit Potemkin und seinem Cacadou muß man vorsichtig umgehen! Merken Sie sich das, reizende Erbin.«

*

5.

Zwei Monde waren in immer dauernder Spannung verstrichen. Potemkin fing an, seinen jugendlichen Nebenbuhler zu fürchten, und an seinen Sturz zu denken; die Prinzessin verhehlte sich vergebens, daß der schöne Mamanov über jeden Ausdruck interessant sei, und dieser bemühte sich mit unermüdetem Eifer, von Stufe zu Stufe zu steigen, und sich Katharinens Gunst ausschließlich zu versichern. Kein Blick zeigte, daß irgend etwas außer der Kaiserin für ihn existire, und dennoch war auch an ihm etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Katharina allein schwebte hoch über all' den Kleinlichkeiten ihres großen Hofes, und ließ durch keine Laune ihres Herzens den Geist in seinen Wirkungen lähmen. Fast ihre ganze Zeit war, wie immer, ihrem Volk geweiht, und ihre Weisheit fand stets den rechten Weg, es zu beglücken.

Obgleich Potemkins Einfluß zu groß, und seine Brauchbarkeit als Staatsdiener von der Kaiserin zu anerkannt war, als daß er für seine Stellung je fürchten konnte, so fühlte er dennoch wie nöthig es sei, durch irgend etwas das Interesse der Kaiserin an seiner Person wieder zu beleben. Er kannte ihren echt ritterlichen Sinn, die Großmuth ihres Charakters, und von dieser Seite sollte ein Angriff gewagt werden.

Das prächtige Taurische Palais war vollendet. Was kaum denkbar schien, hatte Potemkins Gold möglich gemacht, der ungeheure Saal war auf's Geschmackvollste und Glänzendste decorirt, und ganz Petersburg sah mit Begierde dem verheißenen Fest entgegen, welches das seltene Kunstwerk einweihen sollte, und von welchem man, nach Potemkins Art, etwas Ungeheures erwarten durfte.

Der langersehnte Tag erschien. Die Kaiserin war schon am frühen Morgen mit dem Hof nach Petersburg gefahren, um sich selbst und ihren Damen Zeit zur Toilette und Ruhe vor dem Ball zu gönnen. Ihre Neugierde war allerdings etwas gereizt, denn Potemkin hatte schon seit Monden von seinem Palais nicht mehr gesprochen, und Katharina sah daraus, daß ihr eine Ueberraschung bevorstand.

Die prächtigste Toilette erhöhte heute die Schönheit der großen Frau, und als sie aus ihren Zimmern in den Saal trat, wo der ganze Hof sie zur Abfahrt erwartete, erscholl ein unwillkührliches »Ah!« aus Aller Mund. Ein Kleid von weißem Sammet, mit goldenen Sternen durchsäet, umfloß in tausend Falten ihre hohe Gestalt, ein Mantel von lichtblauem Sammet, mit einer prachtvollen Stickerei geschmückt, durchaus mit dem reinsten Hermelin verziert, fiel wie eine lichte Wolke von den Schultern herab, die erhabene Erscheinung umfließend; die lange schlanke Taille war mit unzähligen Solitairs und unglaublich großen Perlen geschmückt, die kurzen, anliegenden Aermel mit den kostbarsten brüsseler Manschetten garnirt, wurden von vier Reihen einzelner Brillanten festgehalten, und erhöhten noch den Reiz des wunderschönen Arms, der nicht die kleinste von Katharinens Schönheiten war. Eine Guirlande von Astern auf's Zierlichste aus Diamanten zusammengesetzt, schlang sich durch ihr Haar, und auf dem Scheitel, gleichsam nur als eine leise Erinnerung für ihre Umgebung, schwebte eine kleine Krone von Perlen, deren es nicht bedurfte, um der ganzen Erscheinung das Siegel der Majestät aufzudrücken. Nach dem Bilde Katharinens, auf Sarskoe Selo. Nie war Katharina reizender, und nie der Eindruck, den ihr Anblick hervorbrachte, unvergeßlicher, als wenn sie durch irgend einen Umstand gezwungen, in ihrer ganzen kaiserlichen Pracht erscheinen mußte, weil dann in ihrem Ton, in ihren Bewegungen, in ihrer ganzen Art zu sein, etwas so unbeschreiblich Herablassendes und Gütiges lag, gleichsam als wollte sie sich entschuldigen, gezwungen zu sein, mit dem überirdischen Glanze ihrer Größe und Herrlichkeit Aller Augen blenden, und Aller Herzen mit scheuer Ehrfurcht von sich entfernen zu müssen.

Mamanov stand sprachlos vor ihr, als sie sich ihm jetzt nahte, die Hand auf seinen Arm legte, und mit bezaubernder Freundlichkeit sprach: »Laß uns denn sehen, was für Herrlichkeiten Potemkin uns heute bieten kann, die uns für die eitle Mühe und kaum erträgliche Last des Putzes entschädigen.«

Diese Bewegung der Kaiserin war das Zeichen zum Aufbruch. Die Damen ergriffen gleichfalls den Arm ihrer Begleiter, und der Zug setzte sich in Bewegung. An der Thüre des Saals stand Katharina plötzlich still, wandte sich um, und überschaute mit prüfendem Blick ihre Suite. Glänzende Diamanten, prachtvolles Farbenspiel der modernsten Roben aller Art, echte und falsche Rosen auf blühenden und verwelkten Wangen blitzen ihr fast blendend entgegen, prachtvolle Uniformen, Degengriffe und Epaulets, Kammerherrnschlüssel und Sterne starrend von Brillanten, und mit wohlgefälligem Lächeln fragte die Kaiserin: »Was meinst Du, Mamanov, ist dieses flimmernde Gefolge meiner würdig? Wird der eitle Potemkin uns größere Pracht bieten können? Sieh, wie sie heute gewühlt haben in den Schachten ihrer Demant-Gruben, und Alles zu Tage gefördert, was nur irgend leuchten kann. Ja, ja« – meinte sie nach ihrer Gewohnheit leicht das Haupt wiegend – »im Glanz nehmen meine Kavaliere es wohl mit ihm auf, der Degen griff mag leicht irgendwo eben so schön leuchten, aber Potemkins Klinge« – – flüsterte sie zu seinem Ohr geneigt – »hat doch am Ende schärferen Stahl, als die meiner carmoisirten Kavaliere zusammen!«

Sie ging nun vorwärts, und nicht ohne unmuthiges Herzklopfen wagte Mamanov die kühne Frage: »Ich hoffe, Ew. Majestät zählen mich nicht zu ihren Kavalieren? Ich bin Officier, und meine Klinge von so echtem Stahl, als irgend eines Feldmarschalls im russischen Reich!«

»Oho« – sagte die Kaiserin, die breite Marmortreppe hinuntersteigend – – »wir sind sehr eifrig, Freund Mamanov, ich bin heute guter Laune, da mag Dir solche Tollkühnheit hingehen, doch« – setzte sie mit einem sehr ernsten Seitenblick hinzu – »Du kannst ja Deine Klinge mit Potemkins Degen messen, wenn Du so fortfährst, wird es nicht lange ausbleiben, und ich werde Dich kaum davor schützen können.«

Bei diesen Worten war man bei dem prachtvollen Staatswagen angekommen, die Kaiserin stieg ein, und Mamanov warf sich knirschend in seine Prachtequipage, die heute glänzender, als selbst die der Kaiserin, Alles überstrahlte; es war ein Geschenk Katharinens, was eigens für diesen Tag von ihr bestimmt wurde. Unter dem donnernden Jubelrufe des in Masse versammelten Volkes rasselten die Wagen dahin; glänzend geschmückte Läufer mit Fackeln flogen vor den Rossen her, und warfen abenteuerliches Licht auf die Volksgruppen. Alle Blicke wandten sich von der hohen Kaiserin zu dem schönen Mamanov, der im Sonnenstrahl ihrer Gunst so schnell emporgestiegen war, doch dieser murmelte mit finsterer Stirn in sich hinein: »Ja, dieser Potemkin steht mir ewig im Wege, ihn achtet – – fürchtet sie wohl gar, und ich« – er wägte den Gedanken nicht auszudenken, der jetzt sich in seine Seele drängte, zum ersten Mal fühlte er, wie weit er noch vom Ziele stehe, wie viel noch zu seinem Glücke fehle.

Die Straße nach dem Taurischen Palais war auf das Glänzendste beleuchtet, doch Alles überstrahlte das Palais selbst, welches nun aus der Nacht hervortrat, und eher einem Flammentempel, als einem Schlosse glich. Unter den Colonnaden des Eingangs stand Potemkin, in unerhörtem Glanze prangend, umgeben von den vornehmsten Officieren der Armee. Als der Wagen der Kaiserin vorfuhr, eilte er die Stufen herab, beugte das Knie zur Erde, und empfing sie in dieser Stellung; die Kaiserin reichte ihm die Hand zum Kusse dar.

»Nimm, erhabene Monarchin, aus den Händen Deines Geschöpfes gnädig diese Gabe der reinsten Dankbarkeit« – flehte Potemkin mit dem vollen Wohlklang seiner sonoren Stimme, und wies mit der ausgestreckten Linken nach dem leuchtenden Palast, dann bot er der erstaunten Kaiserin den Arm, und sprach, sie die Stufen hinaufgeleitend: »Gönne Deinem Diener das Glück, Dich in Deinem Eigenthum zu bewirthen mit Allem, was er nur Deiner Gnade verdankt!«

Katharina war überrascht von dieser wahrhaft kaiserlichen Gabe ihres Helden. Das Palais hatte an 4 Millionen gekostet, und die innere Ausstattung desselben übertraf jede Vorstellung. Mit einem von Gnade und innerm Wohlgefallen verklärten Antlitz trat sie in den Saal, der einen wahrhaft feenartigen Anblick darbot. Die ungeheure, doppelte Colonnade, welche, eine Hauptzierde dieses Prachtgebäudes, sich längs der Wände hinabzieht, war mit Guirlanden von Goldblumen umwunden, welche vom Boden bis zur Decke jede Säule umrankten, und aus welchen tausend und aber tausend Wachskerzen hervorstiegen, ein Lichtmeer ausströmend, welches bei dem ewigen Reflex in den unzähligen Diamanten kaum zu ertragen war. Doch mitten durch den Lärm der Musik, die blendende Helle des Lustres, drang der frische, liebliche Duft aus tausend Blumenkelchen, und zwischen der zweiten Colonnade hindurch, trat man in das erquickende Halbdunkel eines üppigen Orangenwäldchens, welches hier, mitten im Saal, von lieblichen Gängen, duftenden Lauben und schwellenden Ottomanen geziert, den erhitzten Tänzern die angenehmste Erholung darbot; hier und dort leuchtete aus dem grünen Gezweige das blendend weiße Knie einer marmornen Venus, oder die beflügelte Sohle des Gottes, den sich Liebende so oft als Bote wünschen, und das leise Plätschern einer Kühlung bringenden Fontaine vollendete den magischen Eindruck des Ganzen. Hier war es auch, wo die Kaiserin in gewählten und herzlichen Worten dem Fürsten für sein Geschenk dankte, und es anzunehmen geruhte Einige Zeit darauf gab Katharina es ihm unendlich verschönert wieder..

Potemkin hatte einen glücklichen Wurf gethan, der Sieg schien gewonnen. Er führte die Kaiserin zum Spiel, und warf im Vorübergehen einen triumphirenden, halb verächtlichen Blick auf Mamanov, der, alle Martern der Eifersucht und des gekränkten Ehrgeizes im Busen, Katharinen zur Seite ging. Unwillkührlich zuckte seine Hand nach dem Degen, als er Potemkins Auge traf, doch dieser, in der sicheren Gewandtheit des feinsten Welttons, mit dem vollen Bewußtsein seiner geistigen Ueberlegenheit, hatte längst die Aufmerksamkeit der Kaiserin so von Mamanov abzuwenden gewußt, daß diese Aeußerung seines Grimms eben so unbeachtet, als zwecklos vorüberging.

Potemkin war gewiß einer der interessantesten Männer seiner Zeit. Geschmückt mit allen Tugenden, entstellt von allen Lastern der damaligen großen Welt, war er fast immer sicher zu siegen, wo er Lust zum Kampfe zeigte. Eben so felsenfest, wie auf dem Schlachtfeld stand er auf dem schlüpfrigen Boden von Katharinens Hof, und nie gelang es irgend einem Sterblichen, die Achtung zu erschüttern, welche er ihrer großen Seele eingeflößt hatte.

Das Spiel und der Tanz hatten bereits begonnen. Mit einem gnädigen Lächeln entblößte Katharina die schönen Hände, und reichte Mamanov die gestickten, seidenen Handschuhe hin; dieser biß sich auf die Lippen und beugte sich ehrerbietig. Er stand neben dem Stuhl der Kaiserin, und bemühte sich von nun an vergebens, weder einen Blick aus ihrem glänzenden Auge, noch irgend sonst ein Zeichen der Aufmerksamkeit zu erhalten; für heute schien er mit dem gnädigen Lächeln bei Ueberreichung der Handschuhe abgefertigt, und in tausend Witzfunken sprudelte Potemkins Geist hervor, Alles um sich her verdunkelnd. Düster ward es vor Mamanovs Augen, der Glanz der Lichter schien ihm nach und nach zu verlöschen, das Fest armselig, die Damen langweilig, kaum noch vermochte er, den finstern Unmuth unter der freundlichsten Larve zu verbergen, und starrte gedankenlos den kostbaren Teppich an, der den Spieltisch der Kaiserin umgab.

Da erhob diese plötzlich das Haupt von den Karten, sah in den Saal hinaus, den sie von ihrem erhöhten Standpunkte mit einem Blick überschauen konnte und rief heiter: »Sieh da, meine kleine Mündel, wo blieb wohl der liebliche Leichtsinn so lange? Sehen Sie nur« – bemerkte sie, die weiße Hand vertraulich auf Potemkins Arm legend, um seine Aufmerksamkeit vom Spiel abzulenken – »sehen Sie wie reizend heute Ihre eifrige Widersacherin ist? Beim Himmel, das Mädchen ist zum Küssen! Nur näher, näher!« – rief sie gnädig winkend.

Da schwebte Agraffine den Saal herauf, schön wie die Liebesgöttin, heiter wie der Tag, und leichtfüßig wie eine Grazie. Die schlanke, jugendliche Gestalt umschloß ein Prachtkleid von rosenrother Seide, mit Perlen und Diamanten besäet. Ein Kranz von Rosenknospen, mit Brillanten durchwebt, schlang sich durch die dunkeln Locken, ein ähnliches Bouquet zitterte an dem reizenden, hochklopfenden Busen, der weiße Hals schien der echten Perlen zu spotten, die ihn umschlangen, und die niedlichen Füßchen kaum die Erde zu berühren, als sie auf den Wink der Kaiserin herbeieilte. Keine Dame, außer der Kaiserin, hatte ähnlichen Schmuck aufzuweisen. Diese bot ihr herablassend die Hand zum Kusse, dann überflog ihr Kennerblick prüfend die geschmackvolle Toilette, und mit einem anmuthigen Lächeln sprach, sie: »Da sieht man die Erbin von 10 Millionen! Ich fürchte, heute Nacht wird es unruhig in Alexander Newsky Im Alexander Newsky-Kloster, am Ende der Straße Newsky-Prospect, sind die Familienbegräbnisse der Vornehmen, die in Petersburg residiren., denn Deine Tante wendet sich dreimal im Sarge um, wenn ihr Geist Dich so erblickt, erstens aus Aerger über mich, daß ich Dir erlaubte heute die Trauer abzulegen, und dann aus Entsetzen über Deinen Luxus. Aber wo bliebst Du denn?«

»Das Kleid« – seufzte die Prinzessin verlegen »ist erst vor einer Stunde aus Lyon eingetroffen.«

»Aha« – lachte die Kaiserin – »da werden wir wohl Todesangst bestanden haben? Nun, nun, erhole Dich schnell im Tanz – siehst Du, die Menuet hat längst angefangen.«

Verlegen blickte Agraffine in den Saal – »Dort dort tanzt mein Kavalier« – rief sie aus – »pfui, mich so …«

»Man hat Dich sitzen lassen« – spottete Katharina – »Mamanov, erlösen Sie doch die arme Ariadne!«

Mamanov reichte mit einer Verbeugung der Prinzessin den Arm, und eilte mit ihr in den Saal.

»Da sind Sie nun gezwungen, mit einem unbesonnenen Mädchen zu tanzen« – flüsterte die Prinzessin im Gehen – »und müssen Ihren schönen Platz neben der interessantesten Frau Ihrer Zeit, auf eine Viertelstunde verlassen, das kann ich mir wahrlich nicht vergeben.«

Stumm drückte Mamanov ihren Arm an seine Brust mit einer Heftigkeit, daß er selbst davor zurückbebte. Agraffine war von dieser unerwarteten Bewegung gleichfalls so überrascht, daß ihr die Stimme versagte. Schweigend stellten sie sich zum Tanz; nur zuweilen hoben sich die gesenkten Augen der Prinzessin, und begegneten wieder und immer wieder den glühenden Blicken Mamanovs. Verwirrt, in der süßesten Verlegenheit ihres Lebens, kehrte sie an seinem Arm nach geendetem Tanz zu der Gräfin Romaniew zurück, mit der sie gekommen war. Fast unwillkührlich drückte Mamanov die weiche Hand, als er sich verabschiedete, eben so unwillkührlich ward der Druck sanft erwiedert, und träumend flog das Auge der Prinzessin dem Hinwegeilenden nach.

Keiner seiner wohlgehüteten Blick hatte bis heute Agraffinen den Weg zu seinem Herzen gezeigt, kaum wußte sie – das erste Zusammentreffen ausgenommen, ob er auch nur das geringste Interesse an ihr nehme, und vergebens hatte sie es so oft versucht, in seinen Augen zu lesen. Jetzt auf einmal, ganz unerwartet, plötzlich, verrieth er ihr hüllenlos den Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte; wie von einem raschen Windstoß angefacht schlug die Flamme in ihrer Brust lodernd auf, und mit süßem Beben zitterte seine Berührung in ihrer Seele nach.

Gedankenlos, nur nach ihm das Auge wendend, der regungslos an dem Stuhl der Kaiserin gefesselt stand, flog sie von Tanz zu Tanz, und bemerkte nicht, daß Katharina ihr zuweilen lächelnd mit dem Finger drohte; denn wie Pfeile streiften ja seine glühenden Blicke an ihr vorüber, konnte sie etwas Anderes sehen, außer ihm?

Drei mal schon hatte Potemkin, der vor ihr stand, begonnen: »Hier, Prinzessin, nehmen Sie!« aber Agraffine, in völliger Geistesabwesenheit, hörte und sah nicht. »Aber, mein Himmel, Agraffine« – rief er endlich, ihre Hand fassend, »wo sind Sie denn?« Erschrocken fuhr sie zusammen, und suchte sich um so schneller zu fassen, als sie auf die forschenden Blicke des Fürsten traf, der ihr mit der ihm eigenen Eleganz ein Loos zu der Lotterie bot, die nach dem Souper gezogen werden sollte. Sie nahm es zerstreut dankend an, ohne zu wissen wovon die Rede sei, Potemkin aber folgte dem Flug ihrer Augen, und wußte es augenblicklich. Ohne ein Wort weiter verließ er sie.

Das Souper war prächtig, wie Alles, was der Fürst heute bot. Die Kaiserin in der herrlichsten Laune, scherzte mit ihrer Umgebung, und erheiterte Alles durch die holdselige Art mit der sie anständigen Frohsinn und pikanten Witz zu erwecken wußte. Diese große Frau hatte bei einem männlichen umfassenden Geist die seltene Tugend, ganz liebenswürdiges, mildes Weib sein zu können und mit dem eisenfesten Charakter des Mannes das weiche, jedes zärteren Gefühls fähige Gemüth einer Frau zu verbinden. Besonders herablassend war sie heute gegen die Prinzessin, die sie oft mit mütterlichem Wohlwollen betrachtete – indeß es diese kaum wagte dem durchdringenden, klaren Auge Katharinens zu begegnen.

Das Souper war geendet, man kehrte aus den Speisezimmern zurück, und verweilte lustwandelnd in der erquickenden Kühle des Orangenwäldchens; doch bald entfalteten die Töne wieder ihre Schwingen, und die Tanz- und Spiellustigen eilten nach dem Saal.

In einem dichten Gebüsch von blühendem Jasmin, versteckt in einer Laube, saß Agraffine, verlassen von ihren jungen Begleiterinnen, und genoß der süßen Einsamkeit mitten in der lärmenden Pracht mit vollen Zügen, und horchte, die kleine Hand fest auf die bebende Brust gedrückt, den lauten Schlägen ihres Herzens. Da rauschte es neben ihr; vom Licht einer bunten Glaslampe magisch beleuchtet, stand Mamanov vor ihr. Lautlos starrten Beide sich an. Ihre Pulse standen still, sie waren sich der Gefahr bewußt, die sie drohend umschwebte, und dennoch sanken ihre Blicke in einander, als wollte Jedes das Herz des Andern durchbohren mit diesen Flammen.

Endlich stammelte Mamanov, seiner Gefühle nicht mehr mächtig: » Ein unbelauschter Augenblick ist unser, welcher Gott bietet ihn uns wieder? Agraffine, zeige mir Deine Seele, laß mich den reinen Grund Deines Herzens schauen! Was finde ich dort?«

»Dein Bild!« seufzte das Mädchen unter hervorstürzenden Thränen.

»Engel!« flüsterte er, sie rasch an die bebende Brust pressend, und ein Feuerkuß glühte auf ihren Lippen. Lauter drang jetzt der Klang der Instrumente aus dem Saal herein, halb ohnmächtig sank die Prinzessin auf die Ottomane, Mamanov verschwand mit Blitzesschnelle – und Agraffine blieb mit ihrer Seligkeit allein.

Wohl eine halbe Stunde saß sie regungslos, das glühende Gesicht in die duftenden Blüthen gedrückt, und immer klarer gestaltete sich das Bewußtsein und die Erkenntniß ihrer Liebe. Noch wogte es zu unbändig in der schwellenden Brust, als daß sie fähig gewesen wäre, die ganze Hoffnungslosigkeit ihrer Leidenschaft zu begreifen – sie fühlte nur, daß sie geliebt war, für einen andern Gedanken hatte sie nicht Raum.

Da hörte sie sich plötzlich rufen, und aufsehend, begegnete sie dem verwunderten Blick der Gräfin Romaniew.

»Was ist Ihnen, Agraffine? Die Kaiserin, Potemkin, der ganze Hof fragt nach Ihnen, drei Tänzer, die Sie treulos im Stich ließen, durchsuchen den ganzen Saal.«

»Ach« – klagte die Prinzessin – »ich leide Höllenpein! Das Lyoner Kleid ist zu eng, ich bin so fest, daß ich kaum athmen kann.«

»Richtig, zu fest geschnürt« – schmählte die Gräfin – »so etwas dachte ich gleich. Aber das muß eine junge Dame überwinden. Kommen Sie schnell mit in den Saal. Haben Sie das Loos Nr. 20 mit der Devise: Revanche pour un pari<

Agraffine griff in den Busen, und zog es verwundert hervor: »Hier!« –

»O Glückskind! Doch kommen Sie!« –

Eben traten sie in den Saal, und Potemkin mit einem seltsamen Lächeln ihnen entgegen. Zu delicat, um zu fragen, reichte er der Prinzessin mit einer freundlichen Verbeugung eine rothe Maroquin-Kapsel hin: »Das« – sagte er – »Ihr Gewinnst in meiner Lotterie, wie sehr beglückt mich der Zufall, der grade Ihnen dieses Medaillon zufallen ließ!« Mit diesen Worten eilte er hinweg.

Auf dem Deckel des Etuis stand mit goldenen Buchstaben: Nr. 20, Revanche pour un pari.< Sie drückte an dem Knopf, und Katharinens sprechend ähnliches Bild, im russischen Nationalcostüme, mit Solitairs eingefaßt, blitzte der Prinzessin entgegen. Wie ein Dolchstich fuhr ihr der Anblick durch das Herz. Alles versammelte sich um sie; sie hatte den ersten und kostbarsten Gewinn gemacht, man nahm das Medaillon heraus, und auf der Rückseite stand in blauer Email mit kleinen Brillanten eingesetzt: Cathérine ta bienfaitrice.< Agraffine erblaßte, heiße Thränen stiegen in ihre Augen, sie eilte den Saal hinab, um ihre Verwirrung zu verbergen; da schritt eben die Kaiserin am Arme Mamanovs zwischen den Colonnaden herauf.

Die Prinzessin blieb unschlüssig stehen, wohin sie sich wenden sollte – doch die Kaiserin hatte sie schon bemerkt.

»Nun, kleiner Flüchtling« – rief sie ihr entgegen – »zeige uns Deinen Gewinn.«

Zitternd nahte sich die Prinzessin, und reichte ihr das Medaillon hin. Ohne das Auge erheben zu können, stand sie da, die glühenden Blicke mit den langen seidenen Wimpern verschleiernd.

»Allerliebst« – sprach die Kaiserin, geschmeichelt von dieser neuen Aufmerksamkeit Potemkins, ohne den Dorn zu ahnen der mit dieser Rose in Agraffinens Herz gedrückt ward. »Das macht Dir wohl viel Vergnügen, Schwarzauge?« – fuhr sie fort, den Kopf der Prinzessin sanft erhebend.

»O« – rief diese begeistert – »ich werde es nie wieder von mir lassen, ich werde es stets auf meinem Herzen tragen!«

Rasch nahm Katharina eine Perlenschnur von ihrem Busen, zog sie durch das Medaillon, und schlang sie um den Hals der Prinzessin, indem sie ihr die heiße Stirn küßte. Dann sprach sie sanft: »Vergiß nie Katharina, Deine Wohlthäterin!«

»O niemals, niemals, Ihro Majestät!« – rief Agraffine außer sich, preßte unter stürzenden Thränen die Hand der Kaiserin an ihre Lippen und eilte dann hinweg, um sich an dem Busen der gütigen Romaniew auszuweinen, welche, sie für krank haltend, sogleich nach Hause brachte.

*

6.

Acht Tage lang sprach ganz Petersburg von dem glänzenden Feste des Tauriers Diesen Beinamen hatte bekanntlich Potemkin, seit er im Namen der Kaiserin die Halbinsel Krimm, die Insel Taman und einen Theil der Kuban – später der Krone unter dem Namen Taurien und Kaukasien einverleibt – in Besitz nahm, und den Czar von Georgien, Heraclius, den Eid der Treue schwören ließ. und seinem prachtvollen Geschenk an die Kaiserin, aber neue Feste, neues Interesse irgend einer andern Art verdrängte bald die Erinnerung an jenen Abend, nur in Agraffinens Brust stand sein Andenken unerschütterlich fest. Mehrere Tage hielt sie sich unter quälenden Seelenkämpfen vom Hofe entfernt; ihr Benehmen auf dem Ball lieh dem Vorwande einer andauernden Unpäßlichkeit den Schein der Wahrheit, und nur auf den ausdrücklichen Befehl der Kaiserin warf sie sich endlich am Morgen des sechsten Tages in den Wagen, um in Sarskoe Selo neuen Kämpfen, neuer Angst entgegen zu gehen. Sie erbebte vor dem Augenblick, Mamanov wieder zu sehen, denn sie fühlte nur zu tief, daß ihre Liebe zu ihm der schnödeste Undank gegen ihre erhabene Monarchin sei. Wieder, und immer wieder zog sie das Bild der Kaiserin, welches sie nie mehr von sich ließ, aus dem Busen, und bedeckte es mit Küssen und Thränen.

»Ach« rief sie, von innerer Angst beklemmt – »noch sah ich diesen holdseligen Mund mir nur lächeln, diese klaren Augen ruhten nie anders, als mit dem Ausdruck himmlischer Güte auf mir, doch wie schrecklich, wenn sich diese Brauen zürnend zusammenziehen, dieser Blick durchbohrend auf mir ruhen, diese Lippen mich mit ernsten Worten fragen würden: Undankbare, hab' ich es um Dich verdient – ich – die ich seit Deiner Kindheit die Verlassene mütterlich liebte und beschützte, daß Du mir den geliebten Freund entreißen willst?« Und erbleichend rief die Prinzessin jetzt, das thränenbenetzte Antlitz in die Kissen des Wagens drückend: »O ich weiß, Katharina, Du bist fürchterlich in Deinem Zorn!«

Eben rollte der Wagen donnernd unter dem künstlichen Felsberg durch, der den Thorweg in den Park von Sarskoe Selo bildet, Agraffine blickte auf, und ihr war, als hätte sich die Sonne plötzlich verfinstert, und als solle eben ein Feuermeer herabfallen, um sie und die Welt zu vernichten; – doch nicht lange dauerte diese Phantasie ihres kranken Kopfes, denn der Wagen flog in den Park, die freundlichsten Sonnenstrahlen beleuchteten den herrlichen Garten, und aus weiter Ferne tönten aus dem Gebüsch die Glöckchen des chinesischen Dorfes, die, von einem sanften Westwinde bewegt, wie leise Klagetöne durch die Luft schwebten. Starr blickte die Prinzessin vor sich hinaus, da stieg auch schon das prächtige Schloß – Katharinens Lieblingssitz, vor ihr auf, und weithin im goldenen Glanze strahlend, leuchtete es in seiner kaiserlichen Pracht durch die grünen Boskets. Mit Todesangst sah Agraffine, wie es näher und näher rückte, ihr war, als müsse sie die Pferde gewaltsam umwenden und auf ewig fliehen; doch dem Winde gleich sausten die vier Araber über die Brücke, und als die Prinzessin die Blicke erhob, da war es ihr, als grinzten die grotesken Gesichter der vergoldeten Riesen, die karyatidenartig in langer Reihe den ersten Stock des Palastes auf ihren Schultern tragen, ihr teuflisch lachend entgegen, und sie mußte beide Hände fest vor die Augen pressen, um dem Anblick der ängstigenden Fratzen zu entkommen.

Jetzt hielt der Wagen; schwankend stieg sie die breiten Marmortreppen des Eingangs hinan, doch als sie nun in den Corridor trat, und aus den Spiegelthüren welche zu den innern Treppen und Eingängen des Schlosses führen, ihr verstörtes und blasses Antlitz ihr vielfach entgegentrat, da wankten ihre Knie, die Kraft verließ sie, sie mußte sich auf den Arm ihres Mohren stützen, um nicht hinzusinken.

Eben wurden die Pferde der Kaiserin vorgeführt, und im Reitkleid trat Katharina hinter den Spiegeln hervor; Mamanov, sie zu begleiten bestimmt, folgte ihr.

»Mein Gott« – rief entsetzt die Kaiserin, vor dem Anblick der Prinzessin zurücktretend – »wie siehst Du aus, Agraffine, Du bist wirklich krank! Mein armes Kind, wie konnten wenige Tage Dich so verändern. Ja, der unselige Tanz!«

Bewußtlos lehnte Agraffine an ihrem treuen Mohren, der, sie sanft schüttelnd, ihr in gebrochenem Russisch zuflüsterte: » Sutarina – Cussutarena< Gebieterin, die Kaiserin.!« Doch bewußtlos hing das bleiche Haupt des Mädchens auf ihrem Busen, die Arme matt herabfallend, das Antlitz unbeweglich – so war ihr Anblick wahrhaft Mitleid erregend.

»Hilf sie hinaufbringen« – sprach Katharina, sich zu Mamanov wendend – »und sorge dafür, daß die Bedienten sie nicht hart anfassen, sie ist eine zarte Blume, ein rauhes Lüftchen macht sie welken. Bringe sie zur Daschkow, dann folge mir!«

Katharina schwang sich auf's Pferd, und flog davon in den Park. Mamanov stand eben so bleich, wie Agraffine, dieser gegenüber, doch schnell umfaßte er sie nun, hob sie empor, und trug die jugendliche Gestalt mit leichten Schritten die Treppen hinan.

Die Prinzessin glaubte zu träumen, als sie durch die schaukelnde Bewegung geweckt, das matte Auge aufschlug, und sich von starkem Arm umfaßt und getragen. fühlte. »Agraffine!« – flüsterte jetzt eine wohlbekannte Stimme, und fester preßten sie die umschlingenden Arme, und, neuen Lebens voll, begann ihr verrätherisches Herz heftiger zu pochen. »Lassen Sie mich« flehte sie – »ich fühle wieder Kraft zu gehen.«

Sanft ließ sie jetzt Mamanov auf ein Sopha nieder, und befahl den Dienern, Damen zur Hülfe herbeizurufen. Der Eine lief da- – der Andre dorthin, und unbelauscht standen die Liebenden sich gegenüber.

»Agraffine« – seufzte Mamanov – »welch eine Ewigkeit entfloh seit jenem seligen Augenblick! Warum entziehst Du mir grausam Deine Nähe? Welch ein geheimer Gram nagt an Deinem Leben? Bereust Du das selige Selbstvergessen, in dem Du mir Dein Herz hüllenlos zeigtest?«

Sanft neigte er den schönen Kopf zu ihr herab, sein glühendes Auge, in der Lust des Wiedersehens strahlend, hing flehend an ihren Lippen, sein warmer Athem wehte an ihre Wange – da riß Agraffine – den schwersten Sieg ihres Lebens erringend – das Medaillon hervor, hielt es ihm hin, und rief mit thränenerstickter Stimme: » Cathérine, ta bienfaitrice!<« Erblassend trat Mamanov zurück: »Du liebst mich nicht!« stammelte er unter Schauern der Erinnerung, und stürzte hinaus.

»Auch das noch!« seufzte die Prinzessin, das thränenvolle Auge zum Himmel richtend; da bemerkte sie erst, daß sie sich im Bernsteinzimmer befand. »Wie glücklich war ich damals« – jammerte sie, im Schmerz vergehend – »als noch keine verheerende Leidenschaft meine Seele vergiftete!« Und, wie damals, schmetterte die Stimme des gefährlichen Cacadou aus dem Nebenzimmer herüber: »p ensez à moi – vive Cathérine!<«

» Vive Cathérine!<« – wiederholte die Prinzessin, sich hoch aufrichtend – – » vive Cathérine!<« – rief sie jetzt feurig, wischte sich die Thränen aus dem funkelnden Auge, und der feste Entschluß der Entsagung leuchtete verklärend auf ihrer Stirn.

 

Der ganze Hof sprach von dem plötzlichen Erkranken der Prinzessin, man hatte verschiedenartige Meinungen darüber, doch Keiner kannte den wahren Grund, als Mamanov, und – Potemkin, dessen Späherauge schon längst in Agraffinens schlecht verhüllte Seele gedrungen war. Niemand aber zeigte sich theilnehmender, als er, denn erwünschter konnte ihm nichts kommen, als diese Liebe, die, nach seiner Weltkenntniß, nicht lange nach Erhörung schmachten würde.

Je mehr Agraffine, ihrem Entschluß treu, sich von Mamanov entfernt hielt, und je geflissentlicher sie jeder Annäherung, ja selbst jedem Blicke auszuweichen bemüht war, je heftiger flammte die Leidenschaft in seiner Seele auf, je dringender ward das unbezwingliche Verlangen, sie zu sehen, zu sprechen, seine Liebe erwiedert zu wissen.

Vier Wochen waren in immerwährendem Kampfe von beiden Seiten verstrichen. Jeder Tag überhäufte Mamanov mit neuen Beweisen der kaiserlichen Gunst, und zwang ihn zu der übermenschlichsten Verstellung, deren sein geschmeidiger Geist fähig war. Selbst Katharinens Adlerblick durchschaute nicht die Tiefen seiner treulosen Seele; mit arglosem Vertrauen ließ sie keine Gelegenheit vorübergehen, ihn zu erhöhen, und seine Besitzungen, die schon mehrere Millionen an Werth betrugen, zu vergrößern. Doch nicht mehr, wie früher, rührten ihre Wohlthaten das verstörte Gemüth des bereits allzusichern Günstlings; denn der Gedanke, nicht Alles, was ihm das Glück gab, ihr zu Füßen legen zu dürfen, deren jugendlich reizendes Bild ewig zwischen ihm und Katharina stand, verbitterte ihm jeden Genuß, und die tief gekränkte Eitelkeit: seine Liebe nicht so erwiedert zu finden, wie er es zu hoffen sich berechtigt glaubte, steigerte endlich sein Verlangen nach dem Besitz der Prinzessin bis zur Raserei, und ließ ihn Alles wagen.

 

Früher als gewöhnlich hatte die Kaiserin heute die Tafel aufgehoben, weil wichtige Geschäfte sie in's Cabinet riefen; die Damen schlugen vor, sich mit dem Ballspiel die Zeit zu verkürzen, bis zur Stunde, wo sie mit der Kaiserin eine Partie nach ihrem Lieblingsschlosse Babilow machen sollten. Man eilte in den kühlen Ballonsaal hinauf, und bald war das Spiel in vollem Gang. Zufällig stand Agraffine Mamanov gegenüber, und fing zuweilen seine Bälle auf. Jetzt bemerkte sie mit Entsetzen, daß er absichtlich einen Ball fallen ließ, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, etwas aus dem Busen zog, es mit Blitzesschnelle darum wand, und ihn nun mit einem bedeutenden Blick ihr zuschleuderte.

Erschrocken, und in Todesangst den Geliebten verrathen zu sehen, haschte sie darnach, konnte ihn aber nicht erreichen, und durchstöberte nun ängstlich suchend, die Ecke des Saales, wo er gefallen war; da lag er auch unter einem Armstuhl, und mit glühenden Wangen griff sie darnach, dem Kavalier, der ihr suchen half, rasch zuvorkommend. Sie eilte wieder zurück zum Spiel, schob den Ball unbemerkt in die Tasche ihrer bauschigen Robe, und bemächtigte sich im Flug eines andern. Ein dankender Blick Mamanovs flog an ihr vorüber; wie Gluth brannte der verhängnißvolle Federball auf ihrem Gewissen und sobald es der Anstand erlaubte, schlich sie unbemerkt auf ihr Zimmer.

Ein kleines Zettelchen schlang sich um den Ball, sie löste es mit zitternder Eile ab, und ihre Blicke überflogen mit Schrecken den Inhalt.

 

»Grausame, nicht länger ertrage ich meinen Zustand – Du tödtest mich! Wann endlich wird mir ein Zufall lächeln, Dir dies Blatt zuzuspielen? Ich muß Dich sprechen, muß! Weigere Dich nicht, mich zu sehen. Diese Nacht harre ich Deiner im Park; von ein Uhr bis es vier schlägt, trifft Du mich an Lanskoy's Grab. Erscheinst Du nicht, so schwöre ich Dir, daß jede Nacht mich dort harrend finden soll, bis Dein kaltes Herz, von meinem tiefen Leid gerührt, die treuste Liebe zu belohnen eilt.«

 

Welch eine Nacht durchwachte die bedrängte Agraffine. Fest entschlossen die namenlose Sehnsucht, ihn zu sehen, in die Brust zurückzudrängen, warf sie sich auf ihr Lager, und rief flehend den Schlaf an, der sie floh, ihre Qualen zu mildern. Eine trübe, fast kalte Nacht lag auf der Erde – und draußen stand er im feuchten Wald, seine Existenz, sein Leben wagend, um die Harte zu erwarten, die seiner heißen Liebe kalte Pflicht entgegensetzte. Unzählige Mal sprang sie vom Lager, und starrte durch das geöffnete Fenster in die Dunkelheit des Parks, der, wie ein geheimnißvoller Schleier, sich vor ihren Blicken ausdehnte. »Ach, wie kalt« – jammerte sie fröstelnd, und schlug den Tibet-Shawl fester um die entblößten Schultern – »armer, armer Mamanov!«

Aber, treu ihrem Vorsatz, warf sie endlich klirrend das Fenster zu, verkroch sich tief unter die seidenen Polster ihres Lagers, und leise nahte ihr der Schlummer, den errungenen Sieg mit süßer Ruhe lohnend.

*

7.

Ungewöhnlich bleich erschien am andern Morgen Mamanov im Vorzimmer der Kaiserin. Die Prinzessin und die Romaniew hatten den Dienst, und tiefer neigte sich jene auf ihre Arbeit, als Mamanov hereintrat. Eine leichte Schminke verhüllte heute zum ersten Mal die Spuren der durchkämpften Nacht auf Agraffinens sonst so blühenden Wangen; ein düstrer Blick aus seinen Augen streifte das Gesicht der Prinzessin.

Sie blickte nicht auf. Die Stickerei der Romaniew bewundernd, trat Mamanov zu jener, und dann von ihr weggehend, auch an den Rahmen der Prinzessin.

»Was arbeiten Sie hier?« fragte er mit dem gleichgültigsten Ton. Eben so gleichgültig erwiederte Agraffine: »Eine Ansicht von Gatschina, in Seide gestickt, womit ich nächstens die Kaiserin zu überraschen denke.«

»Unmenschliche!« flüsterte er, an ihr vorüber nach dem Cabinet gehend. Der Prinzessin erstarb das Wort auf der Zunge. »Unmenschliche« tönte den ganzen Tag in ihrem Ohr, und sein bleiches Gesicht bei Tafel war ihr ein kaum zu ertragender Vorwurf, sie dankte Gott, als sie endlich am Abend in ihre stillen Zimmer trat, daß dieser ewig lange Tag mit all seiner Pein hinter ihr lag.

Wieder ging eine schlaflose Nacht an ihr vorüber, doch unerschütterlich fest blieb ihr Entschluß. Heute wie gestern, begrüßte sie mit Schrecken den Morgen, denn sie sollte ja auch heute wieder in seinen leidenden Zügen die Spuren ihrer Grausamkeit sehen. Wie immer führte ihn sein Weg durch die kaiserlichen Vorzimmer, er schien noch bleicher, als gestern, doch außer einer Verbeugung und einem vernichtenden Blick, der sie im Vorübergehen flüchtig berührte, hatte Agraffine heute von Mamanov nichts, zu befürchten, er schien kalt, und mit sich selbst abgeschlossen zu haben.

»Ob er wohl noch immer meiner harrt?« fragte sie sich selbst am Abend, als ihr Bild, im Nachtkleid, reizender als gewöhnlich, ihr aus dem ungeheuren Spiegel entgegenlächelte. Doch hinter ihr schaute auch das grämliche Antlitz ihrer ältesten Kammerdienerin, die eben die letzte Schleife befestigte, über ihre Schulter, und schnell drängte sich die Frage nach dem pochenden Herzen zurück.

Sorgsam verschloß Anna die Fenster, zog dann die schweren Damast-Gardinen aus den bronzenen Armen, die sie hielten, und verhüllend wogten sie nun von beiden Seiten zusammen. »Was machst Du, Anna?« fragte befremdet die Prinzessin.

»Die Nächte werden schon kühl, Sie könnten sich eine schlimme Erkältung zuziehen, meine theure Fürstin, und bei Ihrer noch immer leidenden Gesundheit dürfte Ihnen wahrlich unsre bösartige, feuchte Nachtluft gefährlich werden. Nicht wieder des Nachts die Fenster öffnen!« – – bat herzlich die alte, gutmüthige Frau.

Agraffine versprach es schweigend, und beruhigt begab sie sich zur Ruhe.

»Unmenschliche!« seufzte die Prinzessin, den Kopf nachdenkend auf dem weißen Arm wiegend – »der bösartig, feuchten Nachtluft setzest Du ihn aus, und warum, warum so hart?«

Rasch sprang sie auf, und eilte unwillkürlich vorwärts. Da blitzten ihr von der Toilette herüber, auf die ein matter Strahl der Lampe fiel, die großen Solitairs, die Katharinens Bild umflossen, entgegen – » Oh Cathérine ma bienfaitrice!<« stammelte, schon an der Thüre, erschreckend die Prinzessin; mit einem kräftigen Druck schob sie rasch den Riegel vor, und eilte zum Sopha zurück, auf dem sie der Morgen noch wachend fand.

Heute erschien Mamanov nicht bei der Kaiserin, auch an der Tafel war er nicht. Agraffine hatte nicht den Muth zu fragen, und erwartete schweigend den Zufall, der ihr verkünden sollte, warum der Geliebte sich nicht zeige.

Die Kaiserin sprach nach aufgehobener Tafel angelegentlich mit ihrem Leibarzt, die Prinzessin schlich sich unbemerkt näher, und hörte eben als er sagte: »Es ist nur eine heftige Erkältung, und der Fieberanfall nicht bedeutend, wenn er sich schont, kann Alles ohne Gefahr vorübergehen, aber eine zweite Erkältung könnte ihm tödtlich werden.«

»Ja« – meinte Katharina – »diese Männer glauben das Recht zu haben, so lange sie Jugendkraft in sich fühlen, auf ihr Leben losstürmen zu dürfen. Mamanov reitet und jagt mit Wuth, und hat kein Ohr für meine Warnungen. Lanskoy war eben so, er wurde ein Opfer seines Eigensinns, und dieser Mamanov –«

Agraffine hörte nichts weiter. In einem kaum zu beschreibenden Zustande, ausgelassene Fröhlichkeit heuchelnd, durchlebte sie den Abend. Mit Entsetzen sah sie ein schweres Gewitter aufsteigen, das sich auch bald krachend über Sarskoe Selo ergoß, und vergebens flog ihr Auge flehend zum Himmel, dichte Wolken umzogen den Horizont, und Regenströme schossen unaufhörlich herab, noch als sich das Wetter längst entladen hatte.

Als endlich die Nacht sie vom Dienst befreite, eilte sie halb bewußtlos nach ihren Gemächern, und riß die Fenster auf, um, wie sie Anna versicherte, Luft zu schöpfen, doch, vom Wind getrieben, flog der Regen erkältend ihr in's Antlitz, und mit einem unaussprechlich bittern Gefühl trat sie zurück, und harrte des Augenblicks, wo Anna zur Ruhe ging, um ihren Thränen freien Lauf zu lassen. Jetzt zog die langsame Dienerin die Thüre hinter sich zu, und Agraffine sank schluchzend in das Sopha.

»Großer Gott, wenn er stürbe, durch mich gemordet, durch meine Grausamkeit. Wo fände ich dann Ruhe auf der weiten Erde?« – jammerte sie, in trostlose Klagen ausbrechend – da schlug die Uhr eins, und ein heftiger Windstoß fuhr klirrend an den Fenstern hin.

»Barmherziger« – rief sie jetzt, erschrocken aufspringend – »wenn er heute, in dieser fürchterlichen Nacht – es wäre sein Tod, der Arzt sagte es ja!«

Sie riß das Fenster wieder auf, der Regen strömte noch immer unaufhaltsam herab, ein Schauder überlief sie bei dem Gedanken: »wenn er jetzt noch meiner harrte? – Aber er wollte ja harren, bis ich endlich seine treue Liebe lohnen sollte« – stöhnte sie verzweifelnd – »Gott ich muß hinaus, muß ihn retten, oder selbst vergehen im Wehe um ihn.«

Rasch warf sie einen Mantel über, verhüllte den Kopf in einen dichten Shawl, und auf leichten Sohlen eilte sie zwischen ihren schlafenden Kammerdienerinnen durch, die Treppe herab, hinaus in den feuchten, vom kalten Winde bewegten Park. Unaufhaltsam schritt sie vorwärts, Regen und Sturm nicht achtend, denn mit dem Entschluß ward ihr auch der feste Muth, dessen sie zu dem kühnen Wagniß bedurfte. Langsamer wurde ihr Lauf, je näher sie dem dunkeln Bosket kam, in dem Lanskoy's Gebeine ruhten. Kaltes Grauen durchrieselte sie bei dem Gedanken, daß sie Mamanov, den ja Krankheit fessele, nicht finden werde, und dann in finsterer Nacht mit Lanskoy's Schatten allein sei.

Jetzt raschelte es im Gesträuch, ihr Athem stockte, ihre Pulse pochten hörbar durch die Stille – der Regen drang nur langsam durch das dichte Gezweig, und lange vernahm sie nichts, als das Fallen einzelner Tropfen von Blatt zu Blatt. Jetzt, jetzt klang ein tiefer Seufzer durch das Gebüsch, eine Gestalt wankte vor dem Hügel auf und ab, den, durch die Dunkelheit leuchtend, das marmorne Denkmal bezeichnete.

»Mamanov« – hauchte Agraffine kaum hörbar aus der gepreßten Brust hervor.

»Ist's möglich, Agraffine, also doch?« flüsterte jetzt seine Stimme näher, und bald fühlte sie sich umfaßt, und lag zitternd, und von Fieberfrost geschüttelt, an seinem Herzen.

*

8.

Noch oft vernahm Lanskoy's Schatten in nächtlicher Dunkelheit die Schwüre ewiger Liebe und Treue, in denen die Liebenden sich erschöpften und in denen sie Entschädigung fanden für den Zwang des Tages. Mamanov war genesen, und schien über jeden Ausdruck glücklich durch die heiße, Alles opfernde Liebe, mit welcher Agraffine ihr ganzes Herz vor ihm enthüllt hatte. Im seligsten Wahne entfloh der letzte, schöne Rest des Herbstes, und schon mahnten die fallenden Blätter die träumende Agraffine an das baldige Ende ihres stillen Glücks, als sie mit Schrecken, sich selbst kaum ihre Bemerkung gestehend, Mamanov's Liebe erkalten, und seine Sehnsucht, sie zu sehen, mehr und mehr verschwinden sah. Je sorgfältiger er seine zunehmende Kälte zu verschleiern suchte, je tiefer und schmerzlicher fühlte Agraffine – die mit unbegrenzter Neigung an ihm hing, ihr Unglück, ja es kam dahin, daß sie ihn schon Tage lang nicht mehr sprach, ohne daß er, der sonst, vom Fieber gequält, Nächte hindurch auf sie gelauert hatte, auch nur den entferntesten Wunsch gezeigt hätte, sie zu sehen. In marternder Ungewißheit schwankte ihre Seele zwischen Liebe und Grimm, und immer wollte es ihr nicht gelingen, ein Wort mit Mamanov sprechen zu können. Um ihre Qualen zu vermehren, glaubte sie zu bemerken, daß die Kaiserin oft einen seltsam fragenden Blick auf sie richte, dann aber, nach einer Pause, beruhigt das Haupt schüttle, als wolle sie sagen, unmöglich! »Sollte sie Verdacht haben, ist vielleicht Vorsicht der Grund, weßhalb Mamanov sich zurückzieht? Was wird aus mir werden, wenn wir nach Petersburg zurückkehren, wo ich, bei der Romaniew wohnend, keine Hoffnung habe, ihn zu sehen?« Mit tausend ähnlichen Fragen quälte sich die Prinzessin, und die Nachricht, daß der Hof in acht Tagen nach dem Winterpalais ziehen werde, trieb ihre Verzweiflung auf's Höchste.

Gedankenvoll, den Kopf in die Hand gestützt, saß Agraffine Abends auf einer Fenster-Ottomane des Spielsaals und starrte, sich unbemerkt glaubend, schweigend vor sich hinaus. Alle Qualen der Eifersucht zerrissen ihr armes Herz, denn blendender als je saß Katharina mit Mamanov am Spiel, und seine Blicke ruhten flammend auf der herrlichen Gestalt. Sie bemerkte nicht, daß sich Jemand neben ihr niederließ, denn sie war beschäftigt mit dem Gedanken: »Wenn nur ein vorübergehender Reiz gekränkter Eitelkeit ihn in meine Arme geführt hätte, wenn sein Herz nur für sie zu fühlen fähig wäre? … und eine große Thräne perlte über die verbleichte Wange.

»Schon wieder hätte ich gewonnen!« lachte eine Stimme neben ihr; sie wandte den Kopf, und Potemkins geistreiches Auge traf sie so forschend, so durchdringend, daß sie entsetzt den Blick senkte. »Sagte ich Ihnen damals nicht, Sie würden sich verlieben? Arme Agraffine! Thränen in Ihren Augen sind nur Tropfen, die Ihnen Liebe oder Eifersucht erpressen können, Eines ist von dem Andern unzertrennlich, folglich haben sich beide in Ihrem Herzen eingenistet.« Vergebens haschte die Prinzessin nach leichtem, scherzendem Witz, der ihr sonst gegen Potemkin stets zu Gebote stand – sie fand ihn nicht mehr, und Thräne um Thräne drängte sich aus den gesenkten Wimpern.

Potemkin sah hinaus in die dämmernde Landschaft, als bemerke er ihren Zustand nicht, und sprach: »Schade, daß der Winter schon mit seinen plumpen Eistritten naht, und Katharina aus Sarskoe Selo treibt, sie wird den reizenden Park wieder schmerzlich vermissen. Ja, ja – die Kaiserin hat gleiches Loos mit der zärtlich flötenden Nachtigall an Lanskoy's Grab, Beide müssen sie den Schauplatz ihrer stillen Freuden verlassen.«

Agraffine zuckte zusammen, wie ein Dolchstich fuhr der Gedanke: »Potemkin weiß Alles!« durch ihr Gehirn. Vertraulich aber neigte sich dieser zu ihr nieder, flüsterte tröstend: »Nur ruhig, Prinzessin, Potemkin ist nicht so schwatzhaft, wie sein Cacadou« – und verließ die Aermste zerschmettert, und keines deutlichen Gedankens fähig.

Eine Idee tauchte endlich empor aus dem Chaos ihrer Gefühle – sprechen mußte sie ihn noch einmal, und Gewißheit haben über ihr Unglück, ehe sie Sarskoe Selo verließ. Sie achtete keine Gefahr; den innern Frieden, die Achtung vor sich selbst hatte ihr Mamanov ja geraubt, was hatte sie noch zu wagen?

 

»Ich muß Dich sprechen, muß! Heute um ein Uhr beim Grabe. Aber komm, erscheine, Mamanov – laß mich nicht vergebens warten – noch kennst Du das Herz nicht, das Du zertrittst!«

 

Mit diesen Zeilen auf dem schwer bedrängten Busen wagte die Prinzessin am andern Tage vergebliche Versuche, sich Mamanov zu nahen, der heute unzertrennlich von der Kaiserin schien.

Endlich als man sich anschickte, zum französischen Theater In Sarskoe Selo ist ein niedliches, im chinesischen Geschmack eingerichtetes Theater, worin zu Katharinens Zeiten oft gespielt wurde. aufzubrechen, führte der Zufall herbei, wonach Agraffine den ganzen Tag vergebens gestrebt hatte.

Die Kaiserin forderte den Text des Vaudeville's, welchen sie gewöhnlich mit sich zu nehmen pflegte. Die Prinzessin hatte bemerkt, daß man am Morgen das Buch auf ein Trumeautischchen im chinesischen Vorzimmer gelegt hatte. Sie flog hinüber, begegnete aber schon im zweiten Zimmer dem rückkehrenden Mamanov, dessen unerschöpfliche Galanterie für die Kaiserin ihr zuvorgekommen war. Rasch wollte er an ihr vorüberfliegen, doch mit einem Blick, der ihm bis in's tiefste Herz drang, schob sie ihm das Blatt in die Hand, flüsterte befehlend: »Lies augenblicklich!« und verschwand im anstoßenden Zimmer. Mamanov aber entfaltete es hastig, überflog den Inhalt, und schob rasch das Blatt in den Busen, da er Schritte hinter sich vernahm.

Während dieser wenigen Minuten sprach Katharina mit sehr umwölkter Stirn zur Fürstin Naretzky: »Nein, sage ich Dir, nein, wie oft soll ich es wiederholen, daß ich solchen schmählichen Argwohn ewig von mir weisen werde.«

»Ew. Majestät betrogen zu wissen« – sagte leise die Fürstin, und eine Thräne trat in ihr Auge – »von Undankbaren, von Ihren Geschöpfen betrogen zu wissen, diesen Gedanken kann ich nicht ertragen.«

Zornig blitzte sie Katharinens Auge an: »Betrogen – Katharina?!« – sprach sie fast zu hörbar »weißt Du, welch ein Wort Du sprichst?« – doch die Thräne im Auge der Fürstin bemerkend, setzte sie schnell besänftigend hinzu: »Deine Liebe für mich verblendet Dich, es kann ja nicht sein. Siehst Du, dort naht Mamanov, wie unbefangen er ist, wie ihn ein Blick von mir beseligt! Und Agraffine, mein Liebling, sie sollte? – Macht mich dies glauben, so zerreißt Ihr eines der schönsten Bande, das mich an die Menschheit knüpft. Ich will nie wieder davon hören, nie wieder!«

Das Vaudeville hatte begonnen. Die Kaiserin, die selbst in ihren Erholungsstunden sich ihrer Pflicht nicht entzog, las Bittschriften, die Potemkin ihr überreicht hatte, und Mamanov, dem das Blatt wie Feuer auf der Brust brannte, griff eben in den Busen, weil er fürchtete, es noch nicht tief genug verborgen zu haben, als die Kaiserin sich nach ihm hinüber wandte, und auf einen wahrhaft komischen Fehler aufmerksam machte, der die Bittschrift, die sie in der Hand hielt, entstellte. Sie lachte laut auf, als sie mit dem Finger darauf hinwies. Mamanov war schnell mit der Hand zurückgefahren, als sich die Kaiserin wandte, ihr Falkenauge flog von seinem Gesicht auf die Brust, und verrätherisch blickte zwischen der glänzenden Uniform hervor ein Eckchen von Agraffinens Billet; kein Zug verrieth die gemachte Entdeckung, unablässig mit ihm sprechend, zerstreute sie den überglücklichen Mamanov so geschickt, daß er bald des gefährlichen Billets nicht weiter dachte.

Gnädig lächelnd winkte sie ihm jetzt, und deutete auf ein kostbares Armband, das ihr entfallen war, rasch bückte sich Mamanov es zu erheben, und durch die Bewegung fiel – wie Katharina es erwartet hatte das Zettelchen unbemerkt vor ihr nieder, leise aber blitzschnell setzte sie den Fuß darauf, dankte Mamanov mit einem Blick, der ihn bis zu den Wolken erhob, als er ihr das Bracelet umband, und scherzte in der heitersten Laune den ganzen Abend mit ihm und ihrer Umgebung.

»Wie ungeschickt!« – rief unmuthig Katharina, da ihr im Aufstehen die Spitzen-Enveloppe von den Schultern zur Erde glitt, und rasch, ehe sich Jemand bücken konnte, hatte sie dieselbe schon aufgehoben. Früher als gewöhnlich zog sie sich heute in ihre Gemächer zurück, und entließ Mamanov voll neuer Hoffnungen zu immer steigender Größe. Bald umzog dunkle Nacht das prächtige Kaiserschloß, nach und nach erloschen die Kerzen in den weithin schimmernden Prunkgemächern, Ruhe und lautlose Stille lagerte sich auf dem herbstlich durchwehten Park, und mit dumpfem Klang verkündete die Glocke die erste Stunde des beginnende Tages.

Da schwebte aus den kaiserlichen Gemächern eine hohe, verhüllte Gestalt über die offene Gallerie nach dem Garten hinab, mit majestätischem Anstand schritt sie durch die Laubgänge, und ängstlich lauschend hoben Gesträuche und Blumen die neugierigen Häupter empor, als wollten sie fragen: »Was suchst Du, Hohe, hier in solcher Stunde?« Leise nur spielte der Nachtwind mit den fallenden Blättern, und selbst die kältende, Herbstluft stand schonend still ob diesem hocherhobenen Haupte.

*

9.

In dumpfem Hinbrüten saß Agraffine auf der unscheinbaren Steinbank an Lanskoy's Grabe; vergessen hatte sie den friedlichen Schatten, den sie einst fürchtete, denn ein wirkliches Gespenst stand vor ihrer bangen, schwerbedrückten Seele.

»Wirst Du kommen?« seufzte sie, als schallend weithin durch den Park die Glocke halb zwei Uhr verkündete – »wirst Du kommen?« und eilende Schritte näher und näher kommend, schienen ihr zu antworten – er war es der jetzt aus dem Gebüsch trat, es war Mamanov tief in einen Mantel verhüllt. »Ach, ich wußte es wohl« – rief Agraffine außer sich, an seine Brust sinkend – »ich wußte es wohl, so namenlos grausam würdest Du nicht sein, wie ich es einst war, Dich drei Nächte in Sturm und Wetter hier auf dieser schauerlichen Stelle warten zu lassen. Ach damals« – rief sie ihn fester umklammernd – »kämpfte ich den vergeblichen Kampf zwischen Liebe und Dankbarkeit, aber nun – nun ist ja Alles, Alles vorbei! Mamanov, meine Seele steht am Rande der Verzweiflung, liebst Du mich noch? – Liebst Du mich?«

»O, meine Agraffine« – rief er, von ihrem tiefen Weh erschüttert – »wie kannst Du fragen? Kannst Du einen Augenblick an der Wahrheit meiner Liebe zweifeln, die ich Dir mit den heiligsten Eiden, mit tausend Proben bestätigt habe? Wagte ich nicht freudig Leben und Ehre, um Dich zu sprechen, und an Deinem treuen Herzen von dem Zwang des Hofes auszuruhen?«

»Aber warum vermeidest Du mich? Warum fliegt jetzt Dein Blick an mir vorüber? Warum hältst Du nicht Dein heiliges, mir gegebenes Wort? Noch weiß Katharina nichts von unserer Liebe, noch hast Du nicht bei ihr um meine Hand geworben, wie Du mir versprachst – was soll ich davon denken?«

Verlegen antwortete Mamanov: »Noch bot sich kein Augenblick dar, den ich unsern Wünschen günstig fand; wir müssen vorsichtig zu Werke gehen – die Kaiserin könnte leicht –«

»Dich von der Höhe hinabstoßen, meinst Du wohl« – fiel ihm die Prinzessin heftig in's Wort – »auf welche ihre Gunst Dich erhob? Und wenn Dir so geschähe, hättest Du es nicht um sie verdient, widerführe Dir nicht Dein Recht? Würde meine heiße, hingebende Liebe Dich nicht beglücken, Dich nicht vergessen lehren?«

»Agraffine!« – rief Mamanov sie an seine Brust drückend.

»Du hast keine Antwort für mich« – flehte sie, seine Küsse nur halb erwiedernd – »es ist Nacht, ich kann nicht in Deinen Augen lesen was Dein Herz spricht – und Dein Mund ist stumm.«

»Ich wage es nicht, mich der Kaiserin zu vertrauen« – – stammelte endlich Mamanov – »mir fehlt der Muth!«

»Gut« – rief Agraffine mit einer Entschlossenheit, vor der er zurückschauderte – »so habe ich ihn! Was kann ich noch verlieren? Die Liebe der Kaiserin? O ich ertrage ihre Gnade nicht länger, sie wird mir zur Folter. Ich entdecke ihr unsern Bund, und zertritt sie mich – nun, so übt sie nur Gerechtigkeit an der Schlange, die sie verrieth – um Dich! Doch Katharina ist edel, sie ist groß« – fuhr die Prinzessin fort, und ein schwacher Hoffnungsstrahl flammte in ihr auf – »Mamanov, wenn sie uns vergäbe, wenn sie uns beglückte?«

»Was willst Du thun?« – rief dieser außer sich – »wärest Du wahnsinnig genug, so mein Glück zu zerstören?«

»Dein Glück?« – hauchte Agraffine – »vereint mit mir?«

»Ich werde Dir niemals meine Hand reichen« fuhr Mamanov auf – »ich kann mich von Katharina nicht trennen!«

»So liebst Du sie?« – stammelte die Prinzessin, und dunkler wurde die Nacht um sie her, und vergehend sank sie auf die Steinbank.

»Ich liebe Dich, Agraffine« – rief Mamanov, verzweifelnd vor ihr niedersinkend – »aber die Kaiserin hält mich durch Geist, durch Größe, durch Macht gefesselt! Mein Geschick liegt in ihrer Hand, ich kann steigen, wie Potemkin stieg. Mein Herz ist Dein, aber meine Hand muß ewig frei bleiben!«

»Ungeheuer!« – schrie Agraffine auf, und sank leblos zur Erde.

Mamanov faßte sie entsetzt in seine Arme – da rauschte es im Gebüsch, und ein Schauder rieselte durch seine Glieder, ihm war es, als stände Lanskoy's Schatten vor ihm, und starr, mit Eiseskälte bedeckt, ruhte die unglückliche Agraffine, vor Kurzem noch ein blühendes Bild des Lebens und der Jugendlust, an seinem von Zweifeln und Angst zerrissenen Herzen.

Vergebens bemühte er sich, sie in's Leben zurückzurufen.

In die kaiserlichen Zimmer stürzte in diesem Augenblicke rückkehrend die verhüllte Gestalt, warf den Mantel von sich, und mit geisterbleichem Gesicht sank sie athemlos auf einen Stuhl, legte die kalte Hand über die zornig funkelnden Augen, und langsam schlich Thräne um Thräne über die Wangen herab.

So saß sie wohl eine Stunde, dann hob sie sich hoch empor, wandte den zürnenden Blick nach dem dunkeln Park hinaus, rief mit erstickter Stimme: »Verräther, Ihr sollt Katharina kennen lernen!« – und eilte in ihr Cabinet, das sie hinter sich verschloß.

Eine Stunde später war es der alten Anna, als höre sie stark an die Thüre des Vorsaals klopfen; sie stand erschrocken auf, zündete ihr Licht an, und eilte hinaus – da lag im Vorzimmer, auf einer Ottomane ausgestreckt, die Prinzessin leblos, der Saal war leer, und die arme Alte wußte vor Entsetzen kaum, was sie beginnen sollte.

*

10.

Erst gegen Morgen war es Anna gelungen, die Prinzessin, welche nur nach langer Mühe wieder in's Leben zurückgebracht werden konnte, in sanften Schlaf zu sprechen, und unwillig fragte die wackere Alte eine jüngere Kammerdienerin, welche den Vorgang der Nacht verschlafen hatte, was denn das Rennen und Laufen, Thür auf und Thürzuschlagen im Palast heute bedeuten solle.

»Ja das weiß ich nicht zu sagen« – meinte Jene – »ich will aber gehen, mich zu erkundigen.«

Wohl eine halbe Stunde verstrich, ehe sie wiederkehrte, und Anna betrachtete indeß mit Kopfschütteln die bleichen, ganz veränderten Züge ihrer jungen Gebieterin, die mit hochfliegender Brust in unruhigem Schlummer vor ihr lag.

»Um Gott« – seufzte die treue Alte – »was für ein Sturm hat mir diese frische Rose geknickt! Vor wenig Monden die Zierde des Hofes, der Liebling der großen Kaiserin, die reichste Dame im Land und nun, so unglücklich, so verändert?«

Vergebens zerbrach sie sich den grauen Kopf, sie konnte das Räthsel nicht lösen. Da trat die andere Kammerdienerin mit einem sehr geheimnißvollen Gesicht herein, und erzählte unter vielen wichtigen Anmerkungen und Meinungen der Dienerschaft – daß die Kaiserin noch heute nach Petersburg zurückkehren wolle, daß sie sich noch nicht gezeigt habe, sondern seit dem frühesten Morgen mit lauten Schritten in ihrem Cabinet auf- und abgehe, daß eiligst ein Feldjäger nach Moskau geschickt worden sei, daß sogar die Minister abgewiesen worden wären, daß sie – etwas Unerhörtes – nicht mit ihnen gearbeitet habe, und daß man in Todesangst mit den Köpfen an einander renne, weil man ein furchtbares Gewitter erwarte.

Da fuhr der klugen Alten plötzlich der Gedanke durch den Kopf, ob wohl das Ereigniß dieser Nacht mit der seltsamen Stimmung der Kaiserin im Zusammenhang stehe, und eben wollte sie die Prinzessin wecken, als ein Lakai hereinstürzte, berichtend: die Kaiserin habe nach ihr verlangt, und erwarte sie jeden Augenblick.

Agraffine fuhr erschrocken in die Höhe, als Anna sie sanft berührte, und mit Blitzesschnelle warf ihr die Alte Kleider um, ohne ihr zu sagen, warum; erst als sie fertig war meldete sie ihr, daß die Kaiserin nach ihr geschickt habe.

Die Prinzessin eilte so schnell, als ihre erschöpften Kräfte es erlaubten, in die kaiserlichen Apartements, so beschäftigt mit ihrem Unglück, daß sie nicht daran dachte, was wohl die Kaiserin von ihr begehren möchte. Nur die Vorstellung, den Anblick Mamanovs zu ertragen – beschäftigte ihr armes, zerrissenes Herz.

Mit einem seltsamen Gesicht, dessen Ernst sie erschreckte, gebot ihr die Fürstin Naretzky zu harren, bis die Kaiserin die Glocke ziehen werde.

»Ihro Majestät sind heute sehr unwohl« – setzte sie mit einem Blick hinzu, der wie ein Dolchstich durch Agraffinens Herz fuhr – »und Gott verzeihe den Verräthern, die Kummer und Gram auf dieses erhabene Haupt zu rufen wagten.« – In diesem Augenblick ertönte die Glocke – »Hinein!« – sprach kalt die Fürstin, auf das Cabinet zeigend. Die Stimme des Weltgerichts schien Agraffinen dieser Glockenton, sie erhob sich, ihre Knie zitterten, vor ihrem Blick ward es finster, unter Todesschauern trat sie ein. Da lehnte Katharina an einer der goldenen, mit Lapis Lazuli und Jaspis verzierten Säulen ihres Closets, bleich und ernst wie der Todesengel, das Haupt hoch emporgerichtet, stand sie der Bebenden gegenüber, und ihr Blick drang durchbohrend bis auf den Grund des armen, blutenden Herzens.

»Du liebst Mamanov?« – fragte die Kaiserin rasch, aber mit fester Stimme.

Da brach Agraffinens Kraft zusammen, unvermögend, das schreckliche Ja hervorzustammeln, sank sie lautlos in die Knie, und verbarg den Kopf auf dem Teppich zu Katharinens Füßen.

»Agraffine« – fragte diese mit mildem Ton, und ihre Stirne umwölkte sich düster, ihr lieblicher Mund verzog sich schmerzlich, unter vergeblichem Kampfe brach die Stimme in Thränen – » habe ich das um Dich verdient?« –

»O meine Kaiserin« – rief die Prinzessin im wilden Schmerz – »zertreten Sie mich in Ihrem Zorn, vernichten Sie die undankbare Verrätherin, aber nicht diese Milde, um der ewigen Barmherzigkeit willen, nicht Milde, sie zerschmettert mich. Geben Sie mir den Tod« – rief sie flehend, schleppte sich auf den Knien zu Katharinen und drückte das erkaltete Gesicht in die Falten ihres Kleides – »den Tod, ich kann nicht leben, mit Ihrem Zorn belastet!«

Da erhob Katharina das Haupt zum Himmel, und ein göttlicher Strahl stieg auf in ihrem wunderbaren Auge, der Strahl des Mitleids. Doch nur eine Secunde lang leuchtete die himmlische Flamme verklärend auf ihrem Antlitz, dann griff sie schweigend noch dem Glockenzug, und zweimal tönte lang und hell der Klang durch die Gemächer. Nach wenigen Secunden trat Mamanov, nichts ahnend, ein, doch wie der Blitz lautlos die Eiche zersplittert, so drang Katharinens furchtbarer Blick vernichtend bis in das Mark seines Lebens, und gleich dem Krachen des Donners, erschütterte ihn das Wort:

»Verräther – kennst Du dies Weib?«

das die Kaiserin mit einer Stimme sprach, vor welcher oft eine halbe Welt erzitterte, wie sollte sie nicht Mamanovs Muth gänzlich vernichten?

»Ew. Majestät« – stammelte er, sich nähernd.

»Hinweg von mir, Ungeheuer« – rief Katharina, indem sie beide Hände, wie abwehrend ausstreckte »wage nie mehr, Dich der verrathenen Herrin zu nahen. In den Staub mit Dir, Wurm« – herrschte sie, da Mamanov noch immer unschlüssig und wie betäubt von fern stand, erblassend stürzte Mamanov zur Erde – »kennst Du Katharina?« – fuhr sie fort – »Das listige Haupt vor die Füße gehört Dir!«

Agraffine stieß einen lauten Schrei aus, die Kaiserin trat zurück, und maß mit einem Blick, in dem sich die unsäglichste Verachtung und der bitterste Unmuth spiegelte, den zum Tod erblaßten Günstling.

»Liebst Du dies Weib?« fragte sie endlich kurz. Mamanov verstummte. – »Gleichviel!« – sprach Katharina mit eisiger Kälte, dann trat sie an ihre Toilette, nahm zwei Ringe mit blitzenden Solitairs, reichte einen der Prinzessin, den andern warf sie dem erstarrten Mamanov zu, und sprach in demselben Ton »Du wirst sie heirathen.«

»Ihro Majestät!« – schrie der Vernichtete laut auf – und in einem Nu zerstoben seine Hoffnungen und Plane, wie Seifenblasen in der erschütterten Luft.

»Ohne Umstände« – herrschte ihm die Kaiserin zu – »ich weiß wohl, was Du sagen willst, ich weiß, daß Du zu niedrig bist für das Glück, das Dir eine Tochter der ersten Familien des Landes in die Arme schleudert, aber sie ist verblendet, sie will ihr Schicksal. Agraffine« – fragte sie etwas milder – »bist Du entschlossen, jedes Geschick mit diesem Manne zu theilen?«

»Ich bin entschlossen!« – schluchzte die Unglückliche.

»Bedauernswerthes Opfer!« – seufzte die Kaiserin, und wieder faßte sie den schrecklichen Glockenzug, und dreimal tönte der furchtbare Klang durch die Säle.

Da öffnete sich die Thüre des Salons, ein Pope trat ein, im Vorzimmer erblickte man einen Officier von der Wache mit zwölf Gardisten.

»Nehmt das Brautpaar in Empfang!« – sprach die Kaiserin, und Mamanov wandte sich mit Entsetzen, ja mit einem Ausdruck von Wahnsinn dem Ausgange zu.

Die Prinzessin zerfloß in Thränen, und wagte es, heiße Küsse auf Katharinens Füße zu drücken. »Gott sei mit Dir, Agraffine« – sagte leise die Kaiserin, zu ihr herabgebeugt, eine große Thräne glänzte in ihrem Auge, und gnädig reichte sie ihr die Hand zum Abschiedskusse. Agraffine preßte diese, in Reue und Weh vergehend, an die heißen trockenen Lippen, und folgte dann wankend dem Popen, der sie dem stummen Bräutigam stumm zur Seite führte.

*

11.

Schweigend ging man durch die kaiserlichen Zimmer; man glaubte eher einen Leichenzug zu sehen, als einen Gang zum Traualtar. Nach und nach schloß sich lautlos fast der ganze Hofstaat an, und betäubt, halb bewußtlos, schwankten Braut und Bräutigam neben einander her. Da schnatterte, als sie in das Bernsteinzimmer traten, der Cacadou in buntem Gewirr: » Vive Cathérine – pensez Potemkin<« – und zusammenschaudernd schlug sich Mamanov mit der geballten Faust vor die Stirn – die Prinzessin aber blickte mit den frommen Augen zum Himmel, und flüsterte noch einmal: » Vive la grande Cathérine!<«

Jetzt trat man in die festlich geschmückte Capelle von Sarskoe Selo, deren tiefblaues mit goldenen Sternen besäetes Gewölbe von flammenden Kerzen wiederstrahlte. In dem glänzenden kaiserlichen Betsaal stand der ganze Hof als Zeuge dieser Verbindung, vor Allen erkannten Mamanov und Agraffine auf den ersten Blick Potemkin, der mit triumphirendem Gesicht an einem Fenster lehnte, um den Schluß des wohlangelegten Spiels zu überschauen. Mamanov knirschte, die Prinzessin dachte: »Furchtbarer Warner, Du kamst zu spät!« –

Die Trauung war vorüber; unter Todesschauern folgten sie dem Officier, der, sie escortirend, mit ihnen die Treppe hinabstieg. Zwei schwer bepackte Reisewagen fuhren vor, man hob die jungen Gatten in den einen, die treue Anna und Mamanovs Kammerdiener in den andern, die Escorte stieg zu Pferde, und dahin rollten sie, von den fürchterlichen Wächtern umgeben.

»Nach Sibirien« – jammerte Agraffine, das weinende Antlitz an Mamanovs Brust legend, eben rasselten die Wagen unter dem felsigen Thorweg donnernd nach.

»Nach Sibirien!« schrie Mamanov laut auf, und sank betäubt in die Kissen des Wagens zurück.

Rastlos ging die Fahrt nach Moskau zu. Die Reisenden waren mit Allem versehen, was zu den Bequemlichkeiten des Lebens gehört, aber sie waren gefangen, und bei jedem Blick ins Freie trafen ihre Augen auf die bärtigen Gesichter der Reiter, die sie begleiteten. In der Blüthe des Lebens flogen sie dem furchtbaren Sibirien zu, herausgeschleudert aus dem Zauberkreis des glänzendsten Hofes in Europa, sanken sie pfeilschnell in die kalte Tiefe des Elends hinab, und nur Agraffinens muthige Seele, die im Unglück erst den ganzen Reichthum an Kräften entfaltete, konnte sich aufrecht erhalten unter der doppelten Wucht ihres Jammers. Ihr Gatte hatte kein freundliches Wort, keinen freundlichen Blick für ihre treue, hingebende Liebe – starr und theilnahmlos starrte er hinaus in die Ferne, die ihm mit jeder Secunde furchtbar näher zu rücken schien.

Vergehend in stummem Jammer saß Agraffine am fünften Morgen neben dem Schlummernden. Zum ersten Mal schlief er ruhig, seit sie von Sarskoe Selo abgefahren waren; im Schlaf unwillkührlich hinübergesunken lag sein Kopf an ihrer Brust, seine bleiche Wange war sanft geröthet, und sein schönes Haar spielte von dem leise schaukelnden Wagen bewegt, lieblich um seine Stirn. Sehnend hing der Prinzessin Blick an seinen Zügen, sanft beugte sie sich zu ihm nieder und betete leise:

»Vater im Himmel, gieb mir das Herz meines Gatten wieder, sei es auch in den furchtbaren Bergwerken Sibiriens, und ich segne mein Geschick an seiner Seite. Doch ist er für mich verloren, so gieb mir den Tod, denn ich kann nicht leben ohne seine Liebe!«

Heiße Tropfen fielen auf seine Stirn und ihn leise umschlingend, faltete sie, sanft betend, die zitternden Hände.

Da löste sich die Rinde um Mamanovs starres Herz, der Trotz des gekränkten Stolzes floh aus seiner Seele, er richtete sich empor, umschlang mit heißer Liebe das reizende Geschöpf, und rief unter einem Strom von Thränen, die erleichternd aus seinen trüben Augen stürzten: »Agraffine, mein holdes süßes Weib, ach, ich verdiene Dich nicht!«

Wie ein Strahl vom Himmel verbreitete sich Entzücken über ihr lilienweißes Antlitz, glühend umschlang sie den geliebten Mann, und rief jubelnd: »Nun laß uns nach Sibirien bringen, Katharina, Elysium ist überall, wo Liebe ist!«

Sobald Mamanov es über sich gewonnen hatte, alle seine Ideen und Gedanken loszureißen von den großen Planen seines Lebens, und Katharinens Bild aus seiner Phantasie zu verdrängen, tauchte die Liebe zu Agraffinen in ihrer vollen Kraft empor, und ward bald wieder so mächtig, als sie es früher gewesen war. Das Unglück hatte seinen Ehrgeiz gebrochen, und seine angeborne Weichheit trat wieder hervor, ihn fest an die Unglücksgefährtin schließend. Zweimal hatte man ihnen gestattet, zu ruhen, jetzt am Abend des sechsten Tages, da eben die Nacht einbrach, blickte aus tiefer Dämmerung hier und dort eine der ungeheuren, vergoldeten Kuppeln der großen Czarenstadt hervor. In seiner alterthümlichen Pracht hob sich nach und nach der Kreml aus der Nacht, in ihrem asiatischen Glanze strahlten die Häupter von Kirchen aller Art im Mondschein, majestätisch aber überragte die prächtige Iwan weliki ihre jüngern Schwestern. Mehrere Stunden fuhren sie zwischen dem Meer von Häusern und Palästen hin, ehe sie vor einem großen, prächtig beleuchteten Hôtel ankamen, wo sie der Officier auszusteigen bat.

Agraffine war so ermüdet, daß Mamanov sie mehr trug als führte. Mit Erstaunen traten sie in das Palais. Eine breite, prächtig erleuchtete Marmortreppe, deren reich vergoldetes Geländer rechts und links mit blühenden Blumen prangte, führte die jungen Gatten nach dem ersten Stock, auf dessen Corridor eine Schaar reich gekleideter Bedienten ihrer harrte, und von wo aus sie ein ehrwürdiger Maitre d'hôtel< durch eine endlose Reihe prächtig erleuchteter und eben so decorirter Säle führte. Ueberall glänzten Aufsätze von Bronze, Silber, vom feinsten französischen Porzellan, überall fanden sie den höchsten Luxus mit dem feinsten Geschmack verbunden.

Endlich traten sie in einen Saal, in dessen Mitte, Katharinens lebensgroße Gestalt in Marmor, prangte. Der alte Haushofmeister nahte nun an der Spitze der Dienerschaft, wünschte dem vor Staunen sprachlosen Paar mit echt französischem Wortschwall Glück zu der Ankunft in ihrem Eigenthum, empfahl sich und ihre gesammte Dienerschaft mit Rührung ihrem Wohlwollen, und reichte ihnen endlich ein Schreiben dar.

Mamanov löste mit rascher Hand das große kaiserliche Siegel – es war eine Schenkungsacte des prächtigen Palastes mit Allem, was er enthielt, und unten ganz in einer Ecke stand zierlich geschrieben: Ainsi se venge Cathérine.<

Nach einer Pause des namenlosesten Entzückens, in welcher sich die Gatten weinend umschlungen hielten, rief Mamanov: »Kannst Du mir zürnen, Agraffine, wenn ich das Bild dieser großen Frau ewig im Herzen trage?«

»Ich würde es Dir nie verzeihen, wenn es je in Deiner Brust erlöschen könnte!« – jauchzte die Prinzessin, und im seligen Entzücken legte sie die weiche Wange trunken an sein Herz, und flüsterte: »Für Agraffinens stilles Glück behält es doch noch immer Raum, nicht wahr, mein Alexander?«

»Engel!« – rief dieser im Uebermaß des Glücks – »verdiene ich Dich denn? Höre meinen Schwur« – rief er, vor Katharinens Statue niedersinkend, und seinen Arm um die an ihn gelehnte Gattin schlingend – »ich will es heilig halten, dies theure Pfand der Verzeihung, und Agraffinens Glück soll Dich versöhnen mit dem Verräther!«

Und Mamanov hielt Wort, denn durch eine lange Reihe von Jahren sah Katharina in dieser Ehe die Früchte ihrer Großmuth reifen, und als endlich ihr seltener Geist zum Urquell aller Größe zurückgerufen ward, folgten ihr unter dem Segensruf der russischen Nation auch die heißen Dankesthränen der durch sie beglückten Agraffine.

 

Ende des zweiten Bandes.

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